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ID1500605900

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der Aussprache zur Regie- rungserklärung des Bundeskanzlers . . . 295 B Renate Künast, Bundesministerin BMVEL 295 B Gerda Hasselfeldt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 297 D Jella Teuchner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 A Hans-Michael Goldmann FDP . . . . . . . . . . . 301 D Matthias Weisheit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 B Peter H. Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU 305 C Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . 306 C Ulla Schmidt, Bundesministerin BMGS . . . . 308 C Horst Seehofer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 312 C Volker Kauder CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 316 C Dr. Uwe Küster SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 D Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 A Carl-Ludwig Thiele FDP . . . . . . . . . . . . . . . . 317 C Birgitt Bender BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 318 B Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . . . . 320 B Peter Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 B Gudrun Schaich-Walch SPD . . . . . . . . . . . . . 322 A Andreas Storm CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 324 C Helga Kühn-Mengel SPD . . . . . . . . . . . . . . . 326 D Dr. Dieter Thomae FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 B Markus Kurth BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 329 C Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . . . 331 B Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 A Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . 336 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 339 A Plenarprotokoll 15/6 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 6. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 31. Oktober 2002 I n h a l t : (A) (B) (C) (D) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Oktober 2002 295 6. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 31. Oktober 2002 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    (A) (C) 338 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Oktober 2002 339 (C)(A) Blank, Renate CDU/CSU 31.10.2002 Fahrenschon, Georg CDU/CSU 31.10.2002 Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 31.10.2002 Joseph DIE GRÜNEN Haupt, Klaus FDP 31.10.2002 Kolbow, Walter SPD 31.10.2002 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 31.10.2002 Lietz, Ursula CDU/CSU 31.10.2002 Möllemann, Jürgen W. FDP 31.10.2002 Niebel, Dirk FDP 31.10.2002 Nolting, Günther FDP 31.10.2002 Friedrich Pieper, Cornelia FDP 31.10.2002 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 31.10.2002 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 31.10.2002 Schröter, Gisela SPD 31.10.2002 Dr. Stadler, Max FDP 31.10.2002 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 31.10.2002 DIE GRÜNEN Wolf (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 31.10.2002 Margareta DIE GRÜNEN entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage zum Stenografischen Bericht Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Markus Kurth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Herr Thomae, ich hoffe, dass sich Ihre fast schon ge-

    sundheitsgefährdende Erregung gelegt hat. Denn dann
    können Sie vielleicht jetzt zuhören. Eine kleine Korrektur
    zu dem, was Sie soeben gesagt haben: Wir sprechen nicht
    von Wahltarifen, sondern von der Wahlfreiheit zwischen
    verschiedenen qualitätsgesicherten, gleichwertigen An-
    geboten. Das ist ein großer Unterschied.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


    Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
    gen! Ich möchte diese Gelegenheit dazu nutzen, den Fo-
    kus ein bisschen weiter aufzumachen und die Linse etwas
    mehr zu öffnen. Wir stehen in der Debatte um die Ausge-
    staltung sozialer Sicherheit in Deutschland längst nicht
    mehr nur vor der Frage, wie die Systeme zu finanzieren
    und zu optimieren sind, sondern mindestens genauso
    dringlich vor der Frage, wie wir die Akzeptanz und die
    Legitimität unserer sozialen Sicherungssysteme ge-
    währleisten. Die gesellschaftliche Anerkennung und die
    Mitwirkungsbereitschaft der Hilfeleistenden und Bei-
    tragszahler hängen eng miteinander zusammen. Die
    Frage, wer besondere staatliche Zuwendung braucht und
    wie sie effizient zu erbringen ist, muss plausibel beant-
    wortet werden.

    Dazu nenne ich ein Beispiel: Sehen Sie sich einmal die
    Vielzahl bizarrer Gerichtsverhandlungen an, die um ein-
    malige Beihilfen im Rahmen der Sozialhilfe geführt wer-
    den. Dort werden zusätzliche Unterhosen, Weihnachtsker-
    zen und Heizdecken erstritten. Die jeweiligen Streitwerte
    stehen in einem geradezu grotesken Missverhältnis zu den

    Dr. Dieter Thomae




    Markus Kurth
    Prozesskosten. Worum geht es in diesen Prozessen? Es
    geht längst nicht mehr nur um eine Feststellung des ob-
    jektiven Bedarfs. Nein, ich behaupte, diese Prozesse ha-
    ben auch eine gesellschaftspolitische Funktion. Hier wird
    der Kampf „öffentliche Hand alias Steuerzahler versus il-
    legitime Bittsteller“ inszeniert.


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie wissen, von welchem Thema wir jetzt reden?)


    Allein dieses eine Beispiel zeigt die Notwendigkeit ei-
    ner Neudefinition und vor allem einer Neubegründung
    der Legitimität sozialer Sicherungssysteme.


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Tut mir Leid, ich habe nichts verstanden!)


    Rot-Grün stellt sich dieser Aufgabe der Neubegrün-
    dung und schlägt – ganz im Gegensatz zur Opposition –
    eben nicht den Weg der fortgesetzten Delegitimierung
    und des Abbaus verlässlicher sozialer Sicherung ein.
    Wenn unsere Sozialsysteme in ihrer heutigen Form nicht
    mehr auf herkömmlichem Weg finanzierbar sind und viel
    zu oft entmündigen anstatt befähigen, dann lautet unsere
    Antwort eben nicht wie bei Ihnen planloser Abbau, son-
    dern effiziente Reform.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Wir brauchen und wir befördern ein Verständnis vom
    Sozialstaat, das mehr als einen bloßen Versorgungsauftrag
    umfasst.


    (Detlef Parr [FDP]: Planlose Planwirtschaft!)

    Die Befähigung zu Teilhabe und Selbstentfaltung, die
    Eröffnung von Chancen zur Selbsthilfe sind unsere
    Ansprüche an den Sozialstaat, an einen integrations-
    fördernden Sozialstaat, der seinen materiellen und
    immateriellen Leistungsauftrag so gestaltet, dass wir die
    Voraussetzungen für eine wirksame Aktivierung nicht ge-
    fährden.


    (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aha!)

    Auf dem Weg zu einem integrierenden Sozialstaat sind

    wir in der 14. Wahlperiode schon ein gutes Stück weit ge-
    kommen. Ich nenne die wichtigsten Stichworte: Alters-
    grundsicherung, das Gleichstellungsgesetz für Menschen
    mit Behinderungen – SGB IX –, das Modellprojekt
    MoZArT zur Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und
    Trägern der Sozialhilfe und auch die systematische Be-
    richterstattung über Reichtums- und Armutsentwicklung.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Wir werden den Weg der Erweiterung von Zugangs-
    und Chancengerechtigkeit weitergehen und ausbauen.
    Wir werden eine Gesamtreform der Sozialhilfe auf den
    Weg bringen, diese letzte soziale Sicherung weiterhin als
    Rechtsanspruch verankern und dafür sorgen, dass sie
    weitgehend pauschaliert und ohne Diskriminierung aus-
    gezahlt wird.

    Wir wollen die Eingliederungshilfen für Menschen mit
    Behinderungen weiterentwickeln. Wir wollen, dass die
    Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversi-

    cherung für alle Sozialhilfebeziehenden verbindlich gilt.
    Dies sind Schritte zu einem unverzichtbaren Ausbau der
    Selbstbestimmung, einer Selbstbestimmung, die das not-
    wendige Vertrauen schafft, um dann bei den Betroffenen
    die Bereitschaft und den Mut zur eigenen Veränderung zu
    erhöhen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Das ist die „Lösung“!)


    – Sie werden es kaum glauben: Das ist die Lösung.
    Eine Umgestaltung der sozialen Sicherung, die glei-

    chermaßen Verteilungsgerechtigkeit, Teilhabegerechtig-
    keit und Effizienz ermöglicht, verschafft der Sozialversi-
    cherung auch wieder die öffentliche Akzeptanz, die sie
    braucht, um weiter bestehen zu können. Die Zusammen-
    legung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe im Zuge der Um-
    setzung des Hartz-Konzepts wird hier eine wichtige Rolle
    spielen.

    Wir werden mit der Einführung des Arbeitslosen-
    gelds II das System der Sozialhilfe endlich so reformie-
    ren, dass die herkömmliche Sozialhilfe in kommunaler
    Verantwortung nicht mehr die Rückfalloption für Lücken
    in der Arbeitslosenversicherung ist. Ein armutsfestes
    Arbeitslosengeld II wird mit neuen Brücken verbunden
    werden, die den Sozialhilfebeziehenden den Zugang zu
    Personal-Service-Agenturen und zu Job-Centern ermög-
    lichen.

    Dies zeigt: Die Frage, wie viel Sicherheit auf welche
    Weise für wen bereitgestellt wird, wollen wir eben nicht
    einseitig mit Leistungskürzungen beantworten,


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das macht ihr doch! Ihr wollt es nicht, aber ihr macht es!)


    sondern mit Angeboten und mit gesteigerter Effizienz der
    Transferleistungen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Sie von der Opposition befördern doch dauernd die be-
    griffliche und auch die politische Engführung des Sozial-
    staatsbegriffs, indem Sie von Missbrauch reden, wo man
    über Beschäftigungshemmnisse sprechen muss und da-
    rüber, wie man sie beseitigen kann. Sie glauben, Sie könn-
    ten Kosten sparen und die Statistik verbessern, indem Sie
    US-amerikanische Modelle im Sinne eines neoliberalen
    Anti-Hartz 1 : 1 übertragen.


    (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

    Doch die vorgeblich Arbeitsunwilligen, deren Sie sich zu
    entledigen trachten, bleiben in dieser Gesellschaft, auch
    wenn keine Statistik sie mehr ausweist.

    Sie wissen: Vererbte Armut, verfestigte Sozialhilfe-
    abhängigkeit und dauerhafte Ausgrenzung sind bereits
    heute in einem nicht vertretbaren Ausmaß vorhanden.


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Können Sie wenigstens einen Satz zu diesem Thema sagen?)


    Die Kosten, die Sie einzusparen glauben, kehren zurück
    als gesellschaftliche Kosten, verursacht durch Sucht,


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    330


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)






    Kleinkriminalität und verwahrloste Stadträume. Nachhal-
    tig ist Ihre sozialpolitische Philosophie nicht.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Ihre Rhetorik und Ihr In-Abrede-Stellen sozialer Bür-
    gerrechte verhindern eine Modernisierung der Leistungs-
    gewährung. Damit verhindern Sie auch die Wiedergewin-
    nung sozialstaatlicher Handlungsfähigkeit.

    Warum sollte etwa der Weg, den die Arbeitsämter nun
    bei der Umgestaltung zu Jobcentern beschreiten, nicht auf
    die Sozialämter übertragbar sein? Wir brauchen auch hier
    endlich eine Dienstleistungsorientierung. Wir müssen
    auch hier das tun, was viele Ämter im Zuge der Verwal-
    tungsmodernisierung längst als Handlungsmaxime ver-
    ankert haben: die Bürgerinnen und Bürger als ernst zu
    nehmende Klienten und nicht als lästige Kostgänger be-
    greifen.

    Meine Damen und Herren, eine Gesellschaft, die sich
    in ihren Grundstrukturen wandelt, braucht neue, vielfäl-
    tige und verlässliche Formen der sozialen Sicherung. Wir
    werden mit einer möglichst sparsamen, aber auch mög-
    lichst wirksamen Inanspruchnahme der Ressourcen den
    Weg in Richtung einer Bürgersicherung für alle von allen
    beschreiten.

    Danke.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)




Rede von Dr. Norbert Lammert
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

Herr Kollege Kurth, ich gratuliere auch Ihnen zu Ihrer

ersten Rede im Deutschen Bundestag.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich beziehe ausdrücklich in den Glückwunsch ein, dass es
Ihnen gelungen ist, sich auch an die angemeldete Redezeit
zu halten, was vielen erfahreneren Kollegen nicht immer
gelingt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Auch dem Präsidenten nicht!)


Nun erteile ich der Kollegin Annettte Widmann-Mauz
für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Annette Widmann-Mauz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

    Nach dieser Rede möchte ich wieder zur politischen Pra-
    xis zurückkommen, zur Baustelle des sozialen Gesund-
    heitswesens.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Dieter Thomae [FDP])


    Herr Kollege Kurth, wenn Sie von dem planlosen Ab-
    bau und der Notwendigkeit effizienter Reformen spre-
    chen, müssen Sie die linke Seite des Hauses anschauen.
    Denn Sie sind es doch, die einen planlosen Abbau im Ge-
    sundheitswesen betreiben, seit Sie an der Regierung sind.

    Von effizienten Reformen ist weit und breit nichts er-
    kennbar.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dieter Thomae [FDP]: Altlastenmedizin!)


    Ich wollte jetzt eigentlich die Ministerin ansprechen.
    Sie scheint aber schon gegangen zu sein.


    (Dr. Dieter Thomae [FDP]: Dann warten wir doch einmal!)


    – Ich denke doch, dass sie Interesse an der Diskussion
    über ihre Regierungserklärung hat.

    Sie hat mit diesem Ministerium die Verantwortung für
    den größten Reformsektor in Deutschland übertragen be-
    kommen. Führungsstärke, Schwung, Mut und Reform-
    wille sind in diesem Amt gefordert. Frau Schmidt aber hat
    von alledem nichts. In der Bevölkerung gilt sie mittler-
    weile als die schwächste Ministerin im Kabinett; das hat
    Gründe. Dass sie noch nicht einmal die Diskussion in die-
    sem Hohen Hause erträgt, unterstreicht diese Schwäche
    noch deutlicher.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Bilanz der bisherigen Amtsführung könnte nicht

    katastrophaler sein.

    (Beifall des Abg. Dr. Dieter Thomae [FDP])


    Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung wa-
    ren noch nie so hoch wie heute und sie steigen weiter.


    (Dr. Dieter Thomae [FDP]: Wöchentlich!)

    Die Versorgung der Patientinnen und Patienten wird
    nicht besser, sondern schlechter. Der demographische
    Wandel, der medizinische Fortschritt und die Veränderun-
    gen im Erwerbssektor werden von ihr schlichtweg igno-
    riert. Damit wird keines der Zukunftsprobleme in der ge-
    setzlichen Krankenversicherung angegangen.

    Im Gegenteil: Statt alle Beteiligten im Gesundheits-
    wesen – es geht nur im Miteinander –, Patienten, Versi-
    cherte, Ärzte, Apotheker und alle anderen Leistungs-
    erbringer, mit auf den Weg zu einer gemeinsamen Reform
    zu nehmen, hat sie das Vertrauen gänzlich verspielt.


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da kommt die Ministerin wieder!)


    Das mangelnde Vertrauen aufseiten der Versicherten und
    der Patienten beruht aber nicht auf bösem Willen. Wer soll
    denn zu dieser Ministerin noch Vertrauen haben, wenn
    weder das Ziel noch der Weg der Reise bekannt sind? Wer
    wie Sie, Frau Schmidt, noch nicht einmal zur Reiseleite-
    rin taugt, der wird nie Superministerin werden.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das ist unmöglich, was Sie sich hier erlauben!)


    Sie verstehen das Gesundheitswesen einfach nicht. Sie
    haben weder die Dynamik noch die Wechselwirkungen
    im System erkannt. Deshalb sind alle Ihre Maßnahmen,
    sowohl die in der Vergangenheit als auch die jetzt zur Dis-
    kussion stehenden, Flickwerk ohne Konzept. Das bestätigt
    die heutige Debatte wieder eindrucksvoll. Doch für uns ist

    Markus Kurth




    Annette Widmann-Mauz
    das kein Grund zur Freude; denn die Auswirkungen für
    die Menschen in unserem Land sind verheerend. Mit ei-
    ner so konzeptionslosen Politik kann man kein Vertrauen
    aufbauen.

    Fangen wir einmal an: Zu Beginn Ihrer Amtszeit haben
    Sie zur Beruhigung der Ärzte und Patienten die Budge-
    tierung der Arzneimittelausgaben ohne ein wirksames
    Steuerungsinstrument aufgehoben – Wirkung: katastro-
    phal. Dann kam die Aut-idem-Regelung. Jetzt wollen Sie
    Ihre Drohung wahr machen und die Überschreitung der
    Obergrenze für die Arzneimittelausgaben mit einem Re-
    gress bei den ärztlichen Honoraren bestrafen.

    Aber noch nicht genug: Sie wollen mehr Vertrags-
    möglichkeiten schaffen. Das ist ein hehres und gutes
    Ziel, das wir unterstützen. Aber wie machen Sie das? Sie
    strapazieren das Vertrauen der Ärzteschaft weiter, indem
    Sie den ärztlichen Sicherstellungsauftrag aufheben und
    einzelne Ärzte der Übermacht der Kassen ausliefern wer-
    den.


    (Dr. Dieter Thomae [FDP]: Viel Spaß!)

    Gehen wir in den Arzneimittelbereich, zu den Arznei-

    mittelherstellern und Apothekern. Es ist noch kein Jahr
    vergangen, seit Sie hier im Haus ein Arzneimittelaus-
    gaben-Begrenzungsgesetz verabschiedet haben. Teile
    davon haben Sie sich vorher von der Pharmaindustrie ab-
    kaufen lassen, gegen die Zusage, keine Preisregulierun-
    gen im innovativen Arzneimittelsektor vorzunehmen.
    Jetzt drohen Sie erneut Kassenrabatte, Versandhandel und
    Preissenkungen an und wollen außerdem Festbeträge für
    patentgeschützte Medikamente einführen. Auch hier ein
    klarer Wortbruch.


    (Dr. Dieter Thomae [FDP]: Können Sie das noch einmal wiederholen?)


    Wie soll so Vertrauen in die Arzneimittelversorgung ent-
    stehen?

    Nehmen wir die Versicherten. Sie haben noch bis zur
    Wahl behauptet, es gebe in diesem Jahr kein Defizit und
    im kommenden Jahr keine Beitragserhöhungen. Jedoch
    nicht einmal eine Woche nach der Wahl ist die Katze aus
    dem Sack; über Nacht gibt es wieder milliardenschwere
    Defizite.

    Jetzt drohen Sie mit der Anhebung der Versiche-
    rungspflichtgrenze – an einem Tag nur für Berufsanfän-
    ger, am anderen Tag für alle. In der Koalitionsverein-
    barung heißt es:

    Bei der Beitragsbemessungsgrenze gibt es keine Än-
    derungen.

    Schon jetzt hören wir aus gut informierten Kreisen, dass
    auch die Beitragsbemessungsgrenze angehoben werden
    soll. 300 000 Mitglieder der gesetzlichen Krankenversi-
    cherung haben sich Ihrem ständigen Hin und Her schon
    entzogen und der GKV den Rücken gekehrt. 1 Milli-
    arde Euro hat Ihr unverantwortliches Gerede unser Versi-
    cherungssystem bereits gekostet.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die Milliarde holen sie jetzt bei den Ärzten wieder rein!)


    Dieses Eintrittsgeld für Ihre Show ist den Menschen in
    unserem Land mittlerweile zu hoch. Auch das Programm,
    das geboten wird, steht in keinem Verhältnis zum Eintritts-
    preis. Zweiklassenmedizin ist doch längst kein drohendes
    Schlagwort mehr;


    (Dr. Dieter Thomae [FDP]: Bei denen Dreiklassenmedizin!)


    es ist bittere Realität in unserem Land. Sie drängen die
    Menschen in ein Zwangssystem und geben ihnen keine
    wirklichen Mitwirkungs- und Entscheidungsmöglichkei-
    ten.


    (Dr. Dieter Thomae [FDP]: So ist es!)

    Da helfen auch solche Beruhigungspillen, wie Sie sie
    heute wieder verteilt haben, wie Beauftragte für Patien-
    tinnen und Patienten, Patientencharta, Patientenquit-
    tung und wie die ganzen Dinge heißen, wenig.


    (Ute Kumpf [SPD]: Frau Widmann-Mauz, ich dachte, Sie sind Verbraucherschützerin! Da schau her!)


    – Hören Sie mal zu, Frau Kumpf: Stärkung der Patienten-
    rechte und Ausbau des Patientenschutzes wie auch die
    Stärkung des Hausarztes standen schon in Ihrer Koaliti-
    onsvereinbarung von 1998. Sie haben nichts davon um-
    gesetzt. Ich sage Ihnen eines: Wir brauchen nicht mehr
    Beauftragte für Bittsteller, sondern wir brauchen wirk-
    liche Rechte für Beteiligte im Gesundheitswesen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ute Kumpf [SPD]: Wir werden Sie daran erinnern!)


    Ich kann Ihnen nur sagen: Mit all diesen Maßnahmen
    haben Sie das Vertrauen der Menschen in Ihre Politik ver-
    spielt. Sie hätten jetzt eigentlich die Chance, einen wirk-
    lichen Neuanfang zu wagen. Aber Sie setzen Ihre Politik
    der Prinzipien-, der Konzeptions- und Mutlosigkeit fort.
    Der Koalitionsvertrag, über den wir und auch Sie gespro-
    chen haben, enthält wieder einmal sehr viel Lyrik, aber
    keine wirklich konkrete Antwort auf die drängenden Fi-
    nanzprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung und
    der Pflegeversicherung.


    (Dr. Dieter Thomae [FDP]: In der Tat!)

    Es rächt sich, dass Sie keine wirkliche Analyse der Ist-Si-
    tuation erstellt haben. So weiß die Koalition weder, in
    welcher fatalen Lage sie sich befindet, noch, wie die Pro-
    bleme gelöst werden können.

    Auch die Anhebung der Versicherungspflichtgrenze ist
    nicht geeignet, die Einnahmeproblematik zu entschärfen.
    Der Vorsitzende des Sachverständigenrates – darauf legen
    Sie ja immer großen Wert – für die Konzertierte Aktion im
    Gesundheitswesen, Professor Wille, hat in der vergange-
    nen Woche erklärt, dass selbst bei Einbeziehung aller
    Arbeitnehmer in die Pflichtversicherungsgrenze in der
    gesetzlichen Krankenversicherung in 16 Jahren nur eine
    Entlastung von 0,1 Beitragssatzpunkten zu erwarten
    wäre. Das ist geradezu lächerlich. Damit lösen Sie die
    Probleme nicht.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    332


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)






    Vielmehr verschärfen Sie auf der anderen Seite die
    Probleme in der privaten Krankenversicherung.Wenn
    Sie die private Krankenversicherung austrocknen, müs-
    sen Sie den Menschen auch sagen, dass ihnen dann kon-
    tinuierlich höhere Prämien drohen.

    Frau Schmidt, ich hätte von Ihnen eigentlich erwartet,
    dass Sie Ihren Kollegen „Superminister“ Clement in sei-
    ner Arbeit ein bisschen unterstützen und ihm durch höhere
    Beiträge, höhere Prämien und damit steigende Lohnne-
    benkosten nicht immer mehr Arbeitslose vor die Tür set-
    zen. Dass er Sie nicht unterstützt, sehen wir ja; sonst wäre
    er bei dieser Debatte dabei. Die Verschiebebahnhöfe, die
    während der letzten Legislaturperiode, also in Ihrer Regie-
    rungszeit, entstanden sind, lassen nichts Gutes erwarten.
    Allein die Umsetzung der Hartz-Vorschläge bedeutet, dass
    Ihnen 600 Millionen Euro aus der Tasche gezogen werden.

    Aber das ist noch nicht genug. Auch Herr Eichel – wo
    war der heute eigentlich? – scheint es mit Ihnen nicht gut
    zu meinen. Von dem lassen Sie sich zum wiederholten
    Male in die Kasse greifen. Anstatt die Leistungsausgaben
    durch Senkungen, zum Beispiel der Mehrwertsteuer auf
    Arzneimittel, zu verringern, lassen Sie zu, dass Herr
    Eichel die Umsatzsteuer für zahntechnische Leistungen
    anhebt und damit die Ausgaben in der gesetzlichen Kran-
    kenversicherung erhöht.

    Die Reduzierung der Beiträge aus der Arbeitslosen-
    hilfe nutzt Herrn Eichel; sie reißt aber ein weiteres Loch
    in Höhe von 0,9 Milliarden Euro in den ohnehin schon
    völlig durchlöcherten Geldbeutel der gesetzlichen Kran-
    kenkassen. Wenn Herr Eichel meint, er könne damit den
    blauen Brief aus Brüssel vermeiden, dann täuscht er sich
    wohl gewaltig. Auch Sie, liebe Frau Schmidt, tragen mit
    den Defiziten in den Sozialversicherungen dazu bei, dass
    die Gesamtverschuldung des Staatshaushaltes wächst und
    wächst und wächst.

    Sie waren und Sie sind eine schwache Ministerin und
    Sie haben sich schon nach einer Woche von Ihren Kolle-
    gen in diesem Haus über den Tisch ziehen lassen.

    Die Situation ist klar: Berücksichtigt man alle Vor-
    schläge, die auf dem Tisch liegen, dann liegt das Gesamt-
    defizit bei 4,7 Milliarden Euro. Mit den von Ihnen ge-
    planten Maßnahmen werden Sie nicht die Einsparsumme
    aufbringen, die Sie aufbringen müssen, um diese Lücke
    zu schließen.

    Wir sollten uns schon einmal darüber unterhalten – Sie
    haben heute kein Wort dazu gesagt –, wie die finanzielle
    Lage der Krankenkassen angesichts ihrer hohen Ver-
    schuldung auf dem privaten Kapitalmarkt aussieht. In der
    Vergangenheit mussten sich zahlreiche Kassen sehr stark
    verschulden. Die Finanzreserven einer Reihe von Kassen
    sind deutlich abgebaut. Die Mindestrücklage der gesetz-
    lichen Krankenversicherung ist um circa 1,6 Milliarden
    Euro unterschritten. Die Krankenkassen haben zur Si-
    cherstellung ihrer Leistungsfähigkeit nämlich ebenfalls
    eine Rücklage zu bilden. Dieser Notgroschen ist mittler-
    weile vielfach aufgebraucht. Das heißt, die ersten Kran-
    kenkassen sind eigentlich konkursreif.

    Obwohl Sie das alles wissen und obwohl Ihnen be-
    kannt ist, dass die geplanten Einsparungen diese Kassen

    nicht retten können, weigern Sie sich, den Kassen zu hel-
    fen. Sie wollen den Beitragssatz für das gesamte Jahr
    2003 festschreiben und Sie treiben diese Kassen damit in
    den wirtschaftlichen Exitus.

    Offensichtlich schwant Ihnen das; deshalb verfallen
    Sie jetzt auf eine ganz perfide Idee: Sie wollen den über
    die Kassen wachenden Ländern die Möglichkeit nehmen,
    ihren rechtsstaatlichen Verpflichtungen nachzukommen
    und den Kassen auf die Finger zu schauen. Die Länder ha-
    ben das Finanzgebaren der Kassen in der Vergangenheit
    zwar oftmals mit einem zugedrückten Auge toleriert;
    doch jetzt soll diese – rechtlich höchst fragwürdige – Hal-
    tung salonfähig gemacht werden. Damit ist der finanzielle
    Ruin der Krankenkassen politisch vorprogrammiert. Ich
    sage Ihnen: Die Patientinnen und Patienten, die Versi-
    cherten, haben sowohl aus diesem Grund als auch aus an-
    deren Gründen das Nachsehen.

    Rot-Grün plant für das kommende Jahr eine Nullrunde
    für Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser. Das heißt für die
    Patienten, dass ihre Versorgung noch schlechter wird, als
    sie es bisher schon ist. Der Vorsitzende des Marburger
    Bundes, Herr Montgomery, hat es auf den Punkt gebracht
    – ich zitiere ihn –:

    Weil die Bundesregierung offensichtlich kein sach-
    gerechtes Konzept gegen das chronische Finanzdefi-
    zit des Gesundheitswesens hat, will sie nun den Ver-
    sicherten per Gesetz vorschreiben, wann und wie oft
    sie krank werden dürfen.

    Ist das gemeint, wenn Sie in Ihrem Koalitionsvertrag da-
    von sprechen, die Qualität im Gesundheitswesen weiter-
    zuentwickeln und die Interessen der Patientinnen und Pa-
    tienten in den Mittelpunkt Ihrer Gesundheitspolitik zu
    stellen?

    Vor der Wahl haben Sie den Ärztinnen und Ärzten in
    den Krankenhäusern versprochen, Maßnahmen zu er-
    greifen, um das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur
    Arbeitszeit umzusetzen. Angesichts der Tatsache, dass im
    Krankenhaus etwa 70 Prozent der Kosten Personalausga-
    ben sind, liegt es doch auf der Hand, dass bei einer Null-
    runde keine Finanzmittel für die Einstellung weiterer
    Ärzte vorhanden sind. Im Gegenteil: Die Ärzte müssen
    mit Entlassungen oder damit rechnen, dass der Druck auf
    ihre Arbeitskraft noch größer wird. Sie lassen die Kran-
    kenhäuser im Stich und schaden damit der Versorgung in
    der Fläche und den Menschen, die darauf angewiesen
    sind.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Es gäbe noch viel zu sagen; aber nur noch kurz zum
    Stichwort Bürokratisierung im System. Hier haben Sie
    es geschafft, dass 3 800 Menschen mehr in der Verwal-
    tung beschäftigt sind, aber 15 000 Pflegekräfte weniger
    für die Versorgung zur Verfügung stehen. Dies ist die Bi-
    lanz Ihrer Politik.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Die sozialen Sicherungssysteme sind dringend auf ei-
    nen wirtschaftlichen Aufschwung angewiesen. Aber ohne

    Annette Widmann-Mauz




    Annette Widmann-Mauz
    grundlegende Reformen in der gesetzlichen Krankenver-
    sicherung wird sich dieser konjunkturelle Aufschwung
    nicht einstellen. Deshalb ist die rot-grüne Politik des
    „Weiter so“ höchst fahrlässig. Deshalb wird es Zeit, dass
    Sie Konsequenzen ziehen.

    Frau Schmidt, Sie sind den Problemen der gesetzlichen
    Krankenversicherung nicht gewachsen. Irgendwann wer-
    den Sie es auch selbst merken.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)