Rede:
ID1500602400

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 9
    1. Zur: 1
    2. Geschäftsordnung: 1
    3. erteile: 1
    4. ich: 1
    5. das: 1
    6. Wort: 1
    7. dem: 1
    8. Kolle-gen: 1
    9. Kauder.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der Aussprache zur Regie- rungserklärung des Bundeskanzlers . . . 295 B Renate Künast, Bundesministerin BMVEL 295 B Gerda Hasselfeldt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 297 D Jella Teuchner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 A Hans-Michael Goldmann FDP . . . . . . . . . . . 301 D Matthias Weisheit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 B Peter H. Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU 305 C Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . 306 C Ulla Schmidt, Bundesministerin BMGS . . . . 308 C Horst Seehofer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 312 C Volker Kauder CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 316 C Dr. Uwe Küster SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 D Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 A Carl-Ludwig Thiele FDP . . . . . . . . . . . . . . . . 317 C Birgitt Bender BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 318 B Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . . . . 320 B Peter Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 B Gudrun Schaich-Walch SPD . . . . . . . . . . . . . 322 A Andreas Storm CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 324 C Helga Kühn-Mengel SPD . . . . . . . . . . . . . . . 326 D Dr. Dieter Thomae FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 B Markus Kurth BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 329 C Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . . . 331 B Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 A Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . 336 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 339 A Plenarprotokoll 15/6 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 6. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 31. Oktober 2002 I n h a l t : (A) (B) (C) (D) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Oktober 2002 295 6. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 31. Oktober 2002 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    (A) (C) 338 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Oktober 2002 339 (C)(A) Blank, Renate CDU/CSU 31.10.2002 Fahrenschon, Georg CDU/CSU 31.10.2002 Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 31.10.2002 Joseph DIE GRÜNEN Haupt, Klaus FDP 31.10.2002 Kolbow, Walter SPD 31.10.2002 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 31.10.2002 Lietz, Ursula CDU/CSU 31.10.2002 Möllemann, Jürgen W. FDP 31.10.2002 Niebel, Dirk FDP 31.10.2002 Nolting, Günther FDP 31.10.2002 Friedrich Pieper, Cornelia FDP 31.10.2002 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 31.10.2002 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 31.10.2002 Schröter, Gisela SPD 31.10.2002 Dr. Stadler, Max FDP 31.10.2002 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 31.10.2002 DIE GRÜNEN Wolf (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 31.10.2002 Margareta DIE GRÜNEN entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage zum Stenografischen Bericht Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Horst Seehofer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)


    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

    ren! Zu allererst ist es bemerkenswert, dass ein größerer
    Teil der SPD-Bundestagsfraktion den Saal wieder betre-
    ten hat, nachdem sich abzeichnete, dass Frau Schmidt mit
    ihrer Rede zum Ende kommt.


    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD: Oh!)


    Der zweite Punkt. Es ist ärgerlich: Die deutsche Sozi-
    alversicherung befindet sich in der größten Krise seit
    ihrem Bestehen und Frau Schmidt speist das deutsche
    Parlament mit nichts sagenden Allgemeinplätzen ab.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir werden es in den nächsten Tagen erleben: In Wahr-

    heit plant sie drastische, schamlose Eingriffe in das deutsche
    Sozialsystem.


    (Erika Lotz [SPD]: Und das sagt Seehofer! – Peter Dreßen [SPD]: Sie sind ein guter Lehrmeister!)


    Drastisch und dreist, weil ich vor gut einem Monat noch
    ganz andere Töne von Frau Schmidt gehört habe. Ich habe
    mit ihr etliche Fernsehdiskussionen bestritten. Ich habe
    auf die wahre dramatische Lage der deutschen Sozialver-
    sicherung hingewiesen. Frau Schmidt hat auch in der Öf-
    fentlichkeit immer geantwortet: Das alles ist Panikmache.
    Die Krankenversicherung wird Ende des Jahres einen
    ausgeglichenen Haushalt haben.

    Jetzt sind vier Wochen vergangen. Die deutsche Kran-
    kenversicherung schwebt in akuter Lebensgefahr. Nun
    kann es nicht schnell genug gehen. In der nächsten Woche
    soll ein Gesetz eingebracht werden, das noch im Novem-
    ber verabschiedet werden soll. Das ist bei einem so erns-
    ten Thema ein schamloses Verfahren gegenüber dem
    deutschen Parlament. Bevor der Gesetzentwurf überhaupt
    eingebracht ist, bittet man uns, Sachverständige für eine
    Anhörung zu benennen, obwohl wir gar nicht wissen, was
    in dem Gesetzentwurf steht. Das ist ein reines Tollhaus.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Es ist dreist, Frau Schmidt, dass Sie noch vor gut vier
    Wochen gesagt haben: Die Finanzen der Krankenver-
    sicherung sind ausgeglichen. Jetzt müssen Sie Milliar-


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    312


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)






    dendefizite einräumen. Lügen haben kurze Beine. Sie
    wussten um die Situation der deutschen Krankenversi-
    cherung. Sie haben die deutsche Öffentlichkeit wider bes-
    seres Wissen angelogen. Sie haben sich moralisch dis-
    qualifiziert. Sie haben den Menschen vor der Wahl die
    Unwahrheit gesagt.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Das müssen gerade Sie sagen!)


    Deshalb, Frau Schmidt, glauben wir Ihnen kein Wort
    mehr. Keine Prognose von Ihnen trifft zu. Ihre Auffassun-
    gen zu den Dingen drehen sich schneller als ein Ventila-
    tor. Es ist schamlos, was Sie jetzt vorhaben. Man muss
    sich einmal vergegenwärtigen, worauf die Probleme des
    deutschen Gesundheitswesens zurückzuführen sind.


    (Zuruf von der SPD: Dass Sie 16 Jahre an der Regierung waren!)


    Es ist nicht das Unvermögen der Bevölkerung, wie uns der
    Kanzler einreden wollte, die nicht leistungsbereit sei und
    zu wenig für unser Land tue. Es ist nicht das Unvermögen
    der Beteiligten des Gesundheitswesens. Die aktuellen Pro-
    bleme des deutschen Gesundheitswesens sind alleine auf
    das Unvermögen dieser Bundesregierung zurückzuführen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Spitzenverbände der deutschen Krankenversiche-

    rungen haben vor wenigen Tagen erklärt: Die in der Ver-
    gangenheit praktizierte Schwächung der Finanzen der
    GKV zur Entlastung anderer Sozialversicherungszweige
    bzw. der öffentlichen Haushalte – das sind die berühmten
    Verschiebebahnhöfe, mit denen sich die Bundesregierung
    zulasten der deutschen Krankenversicherung entlastet –


    (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein völlig unbekanntes Verfahren für die CDU/CSU!)


    schwächt die gesetzlichen Krankenkassen in den Jahren
    2002 und 2003 bereits mit 4,5 Milliarden Euro. So die
    deutschen Krankenkassen.


    (Klaus Kirschner [SPD]: Das kennen sie von Ihnen!)


    Die deutschen Krankenkassen haben festgehalten: Ohne
    diese Belastung hätten die Beitragssätze in der Kranken-
    versicherung stabilisiert werden können.

    Jetzt aber folgt die Kontinuität im Irrtum. Mit diesen
    Verschiebebahnhöfen geht es nämlich weiter. Das meiste,
    was Herr Clement hier gestern vorgestellt hat,


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo ist er denn eigentlich?)


    ist ein Verschiebebahnhof zulasten der Kranken- und Ren-
    tenversicherung. Die Einnahmeschwächung, die Frau
    Schmidt beklagt hat, ist zuallererst darauf zurück-
    zuführen, dass diese Regierung die Beiträge für die
    Arbeitslosenhilfebezieher an die Krankenversicherung
    drastisch gesenkt hat. Das hat nicht nur dazu geführt, dass
    diese Menschen später eine niedrigere Rente haben wer-
    den, insbesondere in den neuen Bundesländern, sondern
    auch dazu, dass die Einnahmen der Krankenversicherun-
    gen drastisch vermindert wurden.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Auf diesem fehlerhaften Weg wird fortgefahren. Der
    neue Verschiebebahnhof nach den neuen politischen
    Maßnahmen wird die Krankenversicherung erneut mit
    weit über 1 Milliarde Euro belasten.

    Ich halte fest: Erste politische Ursache für die akute
    Finanznot der gesetzlichen Krankenversicherung sind die
    politischen Fehler, die Rot-Grün in den letzten Jahren und
    in der Gegenwart gemacht hat.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Hinzu kommt, dass allein zwei Leistungsbereiche

    durch politisches Unvermögen in den Sand gesetzt wor-
    den sind. Den einen Fehler haben Sie persönlich zu
    verantworten, Frau Schmidt. Sie haben die Arzneimittel-
    budgets aufgehoben, ohne gleichzeitig eine Struktur-
    reform im Gesundheitswesen durchzuführen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Das hatte zur Folge, dass die Arzneimittelausgaben in Ih-
    rer Regierungsverantwortung um 30 Prozent oder um
    annähernd 9 Milliarden DM gestiegen sind.


    (Peter Dreßen [SPD]: Bei Ihnen auch!)

    Sicherlich wird niemand behaupten, dass der Bedarf an
    medizinischer Versorgung in diesem Sektor in demselben
    Umfang gestiegen ist.

    Sie haben den weiteren Fehler begangen, die von uns
    eingeführte Selbstbeteiligung so zu ändern, dass in der
    gesetzlichen Krankenversicherung derjenige der Dumme
    ist, der sich nicht die größte Packung verordnen lässt. Für
    eine kleine Packung mit 25 Pillen sind vier Euro Zuzah-
    lung zu leisten, für eine große Packung mit 100 Pillen fünf
    Euro – in unserer Regierungsverantwortung war die
    Spreizung wesentlich größer –; das hat zur Folge, dass
    verständlicherweise niemand mehr bereit ist, bei nur ei-
    nem Euro Unterschied auf die 75 Pillen in der größeren
    Packung zu verzichten. Das war ein verheerender politi-
    scher Fehler, der zu der Explosion der Arzneimittelausga-
    ben geführt hat.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – GötzPeter Lohmann [Neubrandenburg] [SPD]: Die Pillen hat er geschluckt!)


    Die Verwaltungskosten innerhalb der gesetzlichen
    Krankenversicherung sind in Ihrer Regierungsverantwor-
    tung um 15 Prozent oder annähernd 2 Milliarden gestie-
    gen, und zwar nicht, weil die Krankenkassen unwirt-
    schaftlich arbeiten, sondern weil Sie durch Paragraphen,
    Reglementierung, Gesetze und planwirtschaftliche Maß-
    nahmen die Bürokratie in den Krankenkassen verstärkt
    haben.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Beides zusammengenommen – die politisch indizierte
    Arzneimittelexplosion plus der explosionsartige Anstieg der
    Bürokratie und der Verwaltungskosten – belastet die gesetz-
    liche Krankenversicherung gegenwärtig mit 10 Milliarden

    Horst Seehofer




    Horst Seehofer
    DM bzw. 5 Milliarden Euro. Das heißt, wenn Sie diese po-
    litischen Fehler nicht begangen hätten, würde die gesetzli-
    che Krankenversicherung trotz der schwierigen Wirt-
    schaftslage im Moment kein Defizit schreiben.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die akute Finanznot der gesetzlichen Krankenversiche-
    rung ist Ausdruck des Unvermögens dieser Regierung.
    Das ist die Folge Ihres Verschiebebahnhofs und politisch
    falscher Maßnahmen.

    Was ist zu tun? Es muss vor allem mit dem Irrglauben
    Schluss gemacht werden, dass soziale Gerechtigkeit,
    hohe Qualität in der medizinischen Versorgung und wirt-
    schaftliche Effizienz durch Reglementierung und staatli-
    che Bürokratie gewährleistet werden können.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Die Hoffnung auf soziale Gerechtigkeit durch eine
    staatlich kontrollierte Verteilungsorganisation hat sich
    endgültig als wirklichkeitsblind erwiesen.


    (Peter Dreßen [SPD]: Dann sagen Sie doch mal, was Sache ist!)


    Das Ergebnis Ihrer Politik ist, dass die Menschen in unse-
    rem Lande so hohe Krankenversicherungsbeiträge zahlen
    wie nie zuvor und gleichzeitig die Versorgungsqualität so
    schlecht geworden ist wie nie zuvor. Beitragserhöhungen
    und Leistungssenkungen sind das Ergebnis Ihrer verfehl-
    ten Politik.


    (Beifall bei der CDU/CSU – Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Schwachsinn! – Erika Lotz [SPD]: Sie Schwarzmaler!)


    Was ist zu tun? – Wir sagen es seit Jahren. Wir haben
    es auch im Wahlkampf gesagt und haben im Gegensatz zu
    Ihnen keinen Anlass, unsere Position nach der Wahl zu än-
    dern. Die erste und wichtigste Aufgabe ist eine andere
    Wirtschafts-, Finanz-, Haushalts- und Steuerpolitik, um in
    Deutschland eine wirtschaftliche Dynamik auszulösen
    und mehr Arbeitsplätze zu schaffen; denn dies ist das A
    und O für die Einnahmen der Krankenversicherung. An
    dieser Stelle müssen Sie ansetzen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Das Zweite, was Sie tun müssen, Frau Schmidt, ist, die
    neuen Verschiebebahnhöfe zugunsten des Ministers für
    Wirtschaft und Arbeit zu verhindern. Es wäre richtig und
    ein Ausdruck von Tapferkeit, die Fehler im eigenen Laden
    zu vermeiden, statt die Öffentlichkeit zu beschimpfen,
    dass sie sich angeblich falsch verhalte.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    In der Strukturreform haben Sie den großen Fehler ge-
    macht, unsere Gesundheitsreform zurückzunehmen.


    (Jörg Tauss [SPD]: Welche Reform?)

    Wenn Sie die Gesundheitsreform des Jahres 1997 nach
    der Bundestagswahl nicht aufgehoben hätten, dann hät-
    ten Sie gegenwärtig weder die Finanzierungs- noch die

    Qualitätsprobleme in der gesetzlichen Krankenversiche-
    rung.


    (Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Wenn die Kranken das bezahlen, Herr Seehofer!)


    Das war ein kolossaler politischer Fehler. Hinzu kommen
    noch Ihre eigenen Fehler in den vergangenen vier Jahren.

    Bei einer Strukturreform müssen Sie von den planwirt-
    schaftlichen Elementen Abschied nehmen und im Kern
    drei oder vier Punkte realisieren, die zu mehr Qualität und
    zu einer höheren wirtschaftlichen Effizienz führen als Ihre
    Ansätze der Bürokratie und Reglementierung. An erster
    Stelle muss gerade mittel- und langfristig
    stehen, das deutsche Gesundheitswesen aus dem Repara-
    turbetrieb herauszuholen und in der Bundesrepublik
    Deutschland mehr Prävention durch finanzielle Anreize
    zu realisieren.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Karsten Schönfeld [SPD]: Es ist unglaublich, was Sie da erzählen!)


    Zweitens. Das deutsche Gesundheitswesen muss aus
    der Dunkelkammer heraus. Bisher weiß niemand der Be-
    teiligten, was dort stattfindet. Es ist höchste Zeit, dass die
    Versicherten eine Rechnung bekommen, aus der sich er-
    gibt, was geleistet und wie abgerechnet worden ist. Es ist
    höchste Zeit, dass die Ärzte eine Gebührenordnung be-
    kommen, anhand derer sie zum Zeitpunkt der Leistungs-
    erbringung wissen, was sie für ihre Leistungen erhalten.


    (Beifall des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/ CSU] – Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen!)


    Es ist schlimm, dass die Ärzte der einzige Berufsstand
    sind, der zum Zeitpunkt der Dienstleistung nicht weiß,
    was er für seine Leistung erhält.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Drittens. Besinnen Sie sich endlich auf ein tragendes
    Element der sozialen Marktwirtschaft, nämlich auf den
    Wettbewerb. Dezentralisieren Sie das deutsche Gesund-
    heitswesen. Geben Sie den Ärzten, den Krankenhäusern,
    den Apothekern und den anderen vor Ort Tätigen durch
    Wettbewerb und freie Vertragsgestaltung – nicht durch
    staatliche Bevormundung – die Chance, die bestmögliche
    Versorgung der Patienten vor Ort sicherzustellen. Ent-
    scheiden Sie nicht alles zentralistisch, einheitlich und hin-
    ter verschlossenen Türen in Berlin.


    (Peter Dreßen [SPD]: Sie glauben selber nicht, was Sie da erzählen!)


    Geben Sie den Beteiligten im Gesundheitswesen viel-
    mehr die Gestaltungsmacht, in einen Wettbewerb um die
    bestmögliche Versorgung der kranken Menschen einzu-
    treten.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Viertens. Diejenigen, die die Krankenversicherung mit

    ihren Beiträgen finanzieren, also die Beitragszahler, ha-
    ben bisher so gut wie kein Mitspracherecht, wenn es um
    die Gestaltung der Krankenversicherung geht. Deshalb


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    314


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)






    halten wir es für ein wichtiges Gestaltungselement, die
    deutsche Sozialversicherung ein Stück weit zu demokra-
    tisieren, also auch denjenigen, die Beiträge zahlen, ein
    Mitspracherecht zu geben.


    (Zuruf von der SPD: Das fällt Ihnen aber früh ein! – Peter Dreßen [SPD]: Warum ist Ihnen das nicht vor fünf oder sechs Jahren eingefallen?)


    Den Gedanken des Gemeinsinns mit dem der Freiheit und
    den Gedanken der Eigenverantwortung mit dem der
    freien Entscheidungsmöglichkeit des Bürgers zu verbin-
    den sind Elemente eines freiheitlichen Gesundheitswe-
    sens. Räumen Sie den Versicherten endlich ein Mitgestal-
    tungsrecht bei den Versicherungskonditionen und beim
    Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung
    durch Wahlmöglichkeiten ein! Das heißt, wer sich selbst
    finanziell stärker an den Leistungen beteiligt, der hat ei-
    nen geringeren Beitragssatz.


    (Widerspruch bei der SPD)

    Lassen wir das die Menschen und nicht die Bürokraten
    entscheiden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Führen Sie endlich Mitentscheidungsmöglichkeiten

    von chronisch kranken Menschen in der gesetzlichen
    Krankenversicherung ein. Machen wir Schluss damit, dass
    Funktionäre über die Köpfe der chronisch kranken Men-
    schen hinweg entscheiden. Beziehen wir die chronisch
    kranken Menschen und ihre Selbsthilfegruppen vielmehr
    in die Politikberatung und in die Entscheidungen der ge-
    setzlichen Krankenkassen mit ein. Das wäre die richtige
    Antwort in der deutschen Gesundheitspolitik.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP!)


    Sie fallen in die Zeiten der Reglementierung zurück.
    Sie verordnen Nullrunden und wollen den Menschen
    weismachen, dass damit keine Qualitätseinbußen in der
    Gesundheitsversorgung verbunden seien. Nullrunden für
    die deutschen Krankenhäuser bedeuten aber in Wahrheit,
    dass die Krankenhäuser im nächsten Jahr nur noch zwei
    Möglichkeiten haben: Entweder entlassen sie Personal
    oder sie schränken Leistungen ein. Die meisten Kranken-
    häuser werden beides tun müssen. Frau Schmidt, Sie tra-
    gen die Verantwortung dafür, dass in Deutschland noch
    nie so viel Zweiklassenmedizin realisiert wurde wie der-
    zeit. Diese Entwicklung wird sich auch noch fortsetzen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Sie sollten bei der Wahrheit bleiben!)


    Dann gibt es noch einen Scherbenhaufen, den Rot-Grün
    angerichtet hat. Das ist die Rentenreform. Ich habe einmal
    herausgesucht, was bei der Verabschiedung dieser angebli-
    chen Jahrhundertreform vor einem Jahr von diesem Red-
    nerpult aus gesagt worden ist. Walter Riester sagte damals:

    Wir werden sicherstellen, dass in einem Zeitraum
    von zehn Jahren der Rentenversicherungsbeitrag
    nicht über 19 Prozent und in einem Zeitraum von
    20 Jahren nicht über 20 Prozent steigen wird.

    (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Leere Verspre chungen!)


    Ein Kollege aus meiner Fraktion hat damals dazwi-
    schengerufen: „Daran werden wir Sie erinnern!“


    (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Immer wieder!)

    Das tun wir heute.

    Ich habe schon vor einigen Monaten gesagt – ich wie-
    derhole es, auch wenn Herr Müntefering nicht hier ist –:
    Der Rentenversicherungsbeitrag von 19,1 Prozent ist
    nicht zu halten, obwohl die Menschen jetzt ab 1. Januar
    mehr als 15 Milliarden Euro Ökosteuer an der Tankstelle
    sozusagen als Rentenbeitrag zahlen.


    (Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Bei Ihnen wäre es noch höher!)


    Wenn Sie ehrlich mit dem Thema umgehen,

    (Karsten Schönfeld [SPD]: Was Sie nie gemacht haben! – Beifall bei Abgeordneten der SPD)


    müssen Sie die Beiträge von 19,1 Prozent auf minde-
    stens 19,8 Prozent erhöhen. Weil ich zum Optimismus
    aufgefordert worden bin, habe ich zugunsten der Regie-
    rung sogar noch optimistisch gerechnet, nämlich nur mit
    einer Steigerung von 19,1 Prozent auf 19,5 Prozent. Frau
    Schmidt, mindestens werden es aber 19,8 Prozent sein.

    Sie gehen jetzt auf 19,3 Prozent und versuchen die Dif-
    ferenz durch einen schamlosen Griff in die Rentenreser-
    ven auszugleichen. Das wird dazu führen, dass im nächs-
    ten Herbst, also im Herbst 2003, zum ersten Mal in der
    Geschichte der deutschen Rentenversicherung die Rente
    auf Pump finanziert werden muss. Das zerstört das Ver-
    trauen in die Rentenversicherung und ist des deutschen
    Sozialstaats unwürdig.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Außerdem erhöhen Sie die Beitragsbemessungs-

    grenze. Diese beiden systemwidrigen Eingriffe werden
    aber nicht ausreichen, um die Einnahmendifferenz bei
    dem von Ihnen angepeilten Rentenversicherungsbeitrag
    von 19,3 Prozent und dem tatsächlich notwendigen von
    19,8 Prozent auszugleichen.

    Deshalb prognostiziere ich heute wieder:

    (Zuruf von der SPD: Kassandra!)


    Entweder korrigieren Sie das schon jetzt, also noch bevor
    Sie den Gesetzentwurf einbringen, und gehen auf einen
    höheren Satz als 19,5 Prozent – das wäre nichts Neues;
    jeder zurzeit handelnde Minister dieser Regierung hat
    sich seit der Vereidigung in diesem Haus, also seit gut ei-
    ner Woche, in seiner Meinung, die öffentlich gemacht
    wird, mindestens einmal korrigiert –


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    oder Sie machen es später, aber Sie werden es – das ist
    bombensicher – machen müssen, und dies bei der Aus-
    sage: Wir garantieren der deutschen Öffentlichkeit, dass
    der Rentenversicherungsbeitrag über zehn Jahre hinweg
    nicht über 19 Prozent steigen wird.

    Herr Riester sagte dann noch:
    Deswegen ist diese Reform

    Horst Seehofer




    Horst Seehofer
    – gemeint ist die, die vor Jahresfrist verabschiedet wurde –

    die größte Sozialreform, die in der Nachkriegszeit
    gemacht worden ist.

    (Erika Lotz [SPD]: Das ist auch so! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Verfallsdatum: ein Jahr!)


    Man glaubt es nicht, wenn man hört, dass die größte
    Nachkriegsreform aller Zeiten, die am 1. Januar mit der
    Riester-Rente in Kraft getreten ist – nicht irgendwann,
    sondern am 1. Januar dieses Jahres –, im Oktober völlig
    aufgehoben wird, und zwar dadurch, dass der Bundes-
    kanzler erklärt: Jetzt werden wir eine Kommission einset-
    zen, die eine echte Rentenreform macht.


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dass eine Jahrhundertreform nach zehn Monaten am
    Ende ist, ist eine Welturaufführung.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich sage ganz freimütig: Wir haben auch nicht immer

    Reformen gemacht, die ein Jahrhundert gehalten haben,
    aber sie haben wenigstens einige Jahre gehalten. Eine Re-
    form, die als Jahrhundertreform gepriesen worden ist, hält
    nur Monate. Was sollen sich eigentlich all die Kommen-
    tatoren denken, die diese Reform gepriesen haben, weil
    sie der Propaganda des Ministers geglaubt haben? Was
    sollen die 2 Millionen Menschen denken, die einen Ver-
    trag zur Riester-Rente abgeschlossen haben und jetzt fest-
    stellen, dass sich alle Rahmenbedingungen ändern wer-
    den?


    (Peter Dreßen [SPD]: Das ist doch nicht wahr! Erzählen Sie keinen Blödsinn! Das ist doch dummes Zeug!)


    Es ist ein Treppenwitz der Sozialgeschichte: Nach zehn
    Monaten ist eine große Reform am Ende und es wird eine
    Kommission eingesetzt, um die nächste Reform vorzube-
    reiten.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Das ist verantwortungslos!)


    Das deutsche Sozialversicherungssystem war in Eu-
    ropa über viele Jahrzehnte Modellfall. Es war ein Vorzei-
    gemodell.


    (Karsten Schönfeld [SPD]: Und Sie haben es zugrunde gerichtet!)


    Es hat vieles überstanden und bewältigt, Millionen Ver-
    triebene und Flüchtlinge mit guten Renten- und Gesund-
    heitsleistungen sozial integriert, viele wirtschaftliche Re-
    zessionen überdauert und die deutsche Einheit sozial
    gestaltet. Es war eines der schönsten Ereignisse: die in-
    nere Einheit im sozialen Bereich mit den Renten und der
    schnellen Übertragung des Gesundheitswesens, das opti-
    mal funktioniert hat.


    (Gudrun Schaich-Walch [SPD]: Aber alles auf Pump!)


    Das alles hat das gute deutsche Sozialsystem bewältigt.
    Vier Jahre Rot-Grün haben genügt, um dieses Sozialsys-

    tem zum Kollaps zu bringen. Das ist das Ergebnis Ihrer
    Politik.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Frau Schmidt, für Ihre Planwirtschaft bestand und be-

    steht keine Zukunft. Sie müssen einen grundlegenden
    Richtungswechsel in Ihrer Politik herbeiführen: mehr Ei-
    genverantwortung, mehr Flexibilität und freiheitliche
    Muster. Dadurch werden mehr Qualität und Versorgungs-
    sicherheit gewährleistet als durch Ihre Bürokratie und Re-
    glementierung. Wenn Sie das nicht tun, werden Sie in der
    deutschen Sozialgeschichte nicht als Superministerin in
    Erinnerung bleiben, sondern Sie werden als die Ministe-
    rin in die deutsche Sozialgeschichte eingehen, die dieses
    Sozialsystem auf dem direkten Weg in den Supergau ge-
    führt hat.

    Ich danke Ihnen.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

Zur Geschäftsordnung erteile ich das Wort dem Kolle-

gen Kauder.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Volker Kauder


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und

    Kollegen! Ich beantrage im Namen meiner Fraktion,
    dass der Herr Bundeskanzler, der Herr Bundesfinanz-
    minister und der Herr Bundeswirtschaftsminister an
    dieser Debatte teilnehmen. Ein zentrales Thema deut-
    scher Politik – wie können Lohnzusatzkosten gesenkt
    werden? – wird besprochen. Die zuständigen Fachmi-
    nister und der Bundeskanzler halten es nicht für nötig,
    an dieser Debatte teilzunehmen. Das ist ein unerträgli-
    cher Zustand.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)