Protokoll:
12059

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 12

  • date_rangeSitzungsnummer: 59

  • date_rangeDatum: 26. November 1991

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 17:23 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/59 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 59. Sitzung Bonn, Dienstag, den 26. November 1991 Inhalt: Tagesordnungspunkt I: Eidesleistung eines Ministers Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 4885 A Friedrich Bohl, Bundesminister (ChefBK) 4885 B Tagesordnungspunkt II: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992 (Haushaltsgesetz 1992) (Drucksachen 12/1000, 12/1329) Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt (Drucksachen 12/1401, 12/1600) 4885D Einzelplan 02 Deutscher Bundestag (Drucksachen 12/1402, 12/1600) 4885 D Einzelplan 03 Bundesrat (Drucksachen 12/1403, 12/1600) 4886A Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen (Drucksachen 12/1408, 12/1600) in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld (Drucksachen 12/1426, 12/1600) in Verbindung mit Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung (Drucksachen 12/1430, 12/1600) in Verbindung mit Einzelplan 20 Bundesrechnungshof (Drucksachen 12/1420, 12/1600) in Verbindung mit Tagesordnungspunkt III: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1991 (Nachtragshaushaltsgesetz 1991) (Drucksachen 12/1300, 12/1587, 12/1599) Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD 4886 C Jochen Borchert CDU/CSU 4892 B Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD 4892D, 4923 B Helmut Esters SPD 4893 A Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) FDP 4897 A Dr. Willfried Penner SPD 4899 C Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste 4900 C Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 4903 D Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 4907 B Joachim Poß SPD 4913 D Josef Duchac, Ministerpräsident des Landes Thüringen 4917 D Helmut Esters SPD 4920 A Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU 4920 D II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1991 Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 4922 C Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD 4926 B Hans-Werner Müller (Wadern) CDU/CSU 4927C Einzelplan 12 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr (Drucksachen 12/1412, 12/1600) Ernst Waltemathe SPD 4930 A Dr. Peter Struck SPD 4931 C Wilfried Bohlsen CDU/CSU 4933D Werner Zywietz FDP 4936 A Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/GRÜNE 4938 A Dr. Günther Krause, Bundesminister BMV 4940 A Ernst Waltemathe SPD 4940 C Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/ GRÜNE 4941 D Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Drucksachen 12/1422, 12/1600) Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD 4943 A Hans-Wilhelm Pesch CDU/CSU 4946 A Carl-Ludwig Thiele FDP 4948 A Rolf Rau CDU/CSU 4949 C Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin BMBau 4951A Namentliche Abstimmung 4952 D Ergebnis 4967 A Einzelplan 16 Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Drucksachen 12/1416 [neu], 12/1600) Hans Georg Wagner SPD 4953 A Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU 4953 B Michael von Schmude CDU/CSU 4956 D Jutta Braband PDS/Linke Liste 4958 C Gerhart Rudolf Baum FDP 4961 C Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/ GRÜNE 4961 D Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/GRÜNE 4963 B Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär BMU 4964 A Nächste Sitzung 4969 C Berichtigung 4969 Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 4971 * A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1991 4885 59. Sitzung Bonn, den 26. November 1991 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 57. Sitzung, Seite 4676A: Die unter ZP 2 und ZP 3 abgedruckten Texte sind zu streichen. Folgende Fassung ist einzufügen: ZP2 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Verhältnisses von Kriegsfolgengesetzen zum Einigungsvertrag — Drucksache 12/1504 — Überweisungsvorschlag: Innenausschuß (federführend) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß ZP3 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung und weiterer Bundesgesetze für Heilberufe — Drucksache 12/1524 — Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 26. 11. 91 * Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 26. 11. 91 Bernrath, Hans Gottfried SPD 26. 11. 91 Blunck, Lieselott SPD 26. 11. 91 ** Börnsen (Ritterhude), SPD 26. 11. 91 Arne Büchler (Hof), Hans SPD 26. 11. 91 Clemens, Joachim CDU/CSU 26. 11. 91 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 26. 11. 91 Herta Doppmeier, Hubert CDU/CSU 26. 11. 91 Genscher, Hans-Dietrich FDP 26. 11. 91 Dr. Glotz, Peter SPD 26. 11. 91 Helmrich, Herbert CDU/CSU 26. 11. 91 Jaunich, Horst SPD 26. 11. 91 Koschnick, Hans SPD 26. 11. 91 Kretkowski, Volkmar SPD 26. 11. 91 Kubicki, Wolfgang FDP 26. 11. 91 Dr. Lehr, Ursula CDU/CSU 26. 11. 91 Meißner, Herbert SPD 26. 11. 91 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 26. 11. 91 ** Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 26. 11. 91 Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Nolte, Claudia CDU/CSU 26. 11. 91 Dr. Paziorek, Peter Paul CDU/CSU 26. 11. 91 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 26. 11. 91 * Rempe, Walter SPD 26. 11. 91 Rennebach, Renate SPD 26. 11. 91 Rixe, Günter SPD 26. 11. 91 Dr. Scheer, Hermann SPD 26. 11. 91 Schmidt (Mülheim), CDU/CSU 26. 11. 91 Andreas Schuster, Hans Paul FDP 26. 11. 91 Hermann Seidenthal, Bodo SPD 26. 11. 91 Dr. Soell, Hartmut SPD 26. 11. 91 ** Stübgen, Michael CDU/CSU 26. 11. 91 Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 26. 11. 91 Dr. Ullmann, Wolfgang Bündnis 26. 11. 91 90/GRÜNE Voigt (Frankfurt), SPD 26. 11. 91 Karsten D. Dr. Voigt (Northeim), CDU/CSU 26. 11. 91 Hans-Peter Vosen, Josef SPD 26. 11. 91 Wollenberger, Vera Bündnis 26. 11. 91 90/GRÜNE Zierer, Benno CDU/CSU 26. 11. 91 ** * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
Gesamtes Protokol
Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205900000
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt I auf:
Eidesleistung eines Bundesministers
Der Herr Bundespräsident hat mir folgendes mitgeteilt:
Gemäß Art. 64 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland habe ich heute auf Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers den Bundesminister des Innern, Herrn Dr. Wolfgang Schäuble, aus seinem Amt als Bundesminister entlassen und den Bundesminister für besondere Aufgaben, Herrn Rudolf Seiters, zum Bundesminister des Innern und Herrn Friedrich Bohl zum Bundesminister für besondere Aufgaben ernannt.
Nach Art. 64 Abs. 2 des Grundgesetzes leistet ein Bundesminister bei der Amtsübernahme den in Art. 56 des Grundgesetzes vorgesehenen Eid.
Herr Bundesminister Bohl, ich darf Sie zur Eidesleistung zu mir bitten.

(Die Abgeordneten erheben sich)

Herr Bundesminister, ich bitte Sie, den Eid zu sprechen.

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1205900100
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205900200
Herr Bundesminister, Sie haben den Eid gesprochen. Ich möchte Ihnen im Namen des Hauses alles Gute für Ihr neues Amt wünschen.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch dem Bundesminister des Innern, Herrn Rudolf Seiters, unsere ganz herzlichen Glückwünsche und besten Wünsche
für sein neues Amt aussprechen und ihm alles Gute wünschen.

(Beifall im ganzen Hause)

Dem ausgeschiedenen Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble danke ich im Namen des Hauses für die von ihm geleistete Arbeit und beglückwünsche ihn für sein neues Amt. Ich wünsche uns allen eine gute Zusammenarbeit.

(Beifall im ganzen Hause) Ich rufe Tagesordnungspunkt II auf:

Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992 (Haushaltsgesetz 1992)

— Drucksachen 12/1000, 12/1329 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß)

Wir kommen zur Beratung der Einzelpläne. Zunächst stimmen wir über drei Einzelpläne ab, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe zunächst auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
— Drucksachen 12/1401, 12/1600 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Rudi Walther (Zierenberg) Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
Dr. Sigrid Hoth
Dr. Ulrich Briefs
Wer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist der Einzelplan 01 bei einer Gegenstimme angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
— Drucksachen 12/1402, 12/1600 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen Borchert
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

Helmut Esters



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Wer stimmt für den Einzelplan 02 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist der Einzelplan 02 bei zwei Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 03
Bundesrat
— Drucksachen 12/1403, 12/1600 —Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Pützhofen Dr. Sigrid Hoth
Ernst Kastning
Wer stimmt für den Einzelplan 03 in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist der Einzelplan 03 bei einer Gegenstimme angenommen.
Ich rufe nun die Einzelpläne 08, 32, 60 und 20 sowie den Tagesordnungspunkt III auf:
Einzelplan 08
Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen
— Drucksachen 12/1408, 12/1600 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Nils Diederich (Berlin) Hans-Werner Müller (Wadern)
Werner Zywietz
Einzelplan 32
Bundesschuld
— Drucksachen 12/1426, 12/1600 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Adolf Roth (Gießen) Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Helmut Wieczorek (Duisburg)
Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
— Drucksachen 12/1430, 12/1600 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Adolf Roth (Gießen) Dr. Gero Pfennig
Helmut Wieczorek (Duisburg) Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)
Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
— Drucksachen 12/1420, 12/1600 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Rudolf Purps
Dr. Conrad Schroeder (Freiburg) Ina Albowitz
III. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1991 (Nachtragshaushaltsgesetz 1991)

— Drucksachen 12/1300, 12/1587 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß)

— Drucksache 12/1599 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Adolf Roth (Gießen) Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Helmut Wieczorek (Duisburg)

(Erste Beratung 52. Sitzung)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache vier Stunden vorgesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Helmut Wieczorek.

Helmut Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1205900300
Guten Morgen, Frau Präsidentin! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushaltsausschuß legt heute das Ergebnis seiner Beratung dem Deutschen Bundestag zur endgültigen Beschlußfassung vor. Als Fazit müssen wir Sozialdemokraten leider feststellen, daß die schwere Glaubwürdigkeitskrise, in die die Finanz- und Haushaltspolitik geraten ist, weiter andauert.

(Zuruf von der CDU/CSU: Um Gottes willen!)

„Wortbruch", „Täuschung" und „illusionäre Fehleinschätzung" könnten die Überschriften über die einzelnen Kapitel lauten.
Wir schließen uns nachdrücklich dem Urteil des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung an, der vor wenigen Tagen der Bundesregierung vorgehalten hat, daß ihre politische Gestaltungskraft nicht ausreiche, die Vielfalt der staatlichen Aufgaben zu bewältigen, die damit verbundenen Ausgaben zu überprüfen und Prioritäten neu zu setzen. Es sei der Finanzpolitik bisher nicht gelungen, überzeugende Instrumente und Mechanismen zu entwickeln, die eine langfristige Strategie und einen klaren Kurs in der Finanzpolitik ermöglicht hätten.
Ein so miserables Zeugnis haben die Sachverständigen noch keiner Bundesregierung ausgestellt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste — Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Was? — Hans Klein [München] [CDU/CSU]: Mit Ausnahme der SPD-geführten!)

Ich möchte auch gern ein Bild des Leitartiklers der Wochenzeitung „Die Zeit" aufgreifen: Sie sind, Herr Bundesfinanzminister, in der Situation des Pfarrers, dem der Glauben abhanden gekommen ist.

(Lachen bei der CDU/CSU — Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Sie sollten lieber den „Bayernkurier" lesen!)

Es fehlt dann die Qualifikation zum Beruf. Seine Predigten an die Gläubigen klingen so hohl wie Ihre Sonntagsreden an die Steuerzahler.

(Beifall bei der SPD)

Die lautesten Kritiker Ihrer Finanzpolitik sitzen ja sogar in Ihrer eigenen Koalition. Graf Lambsdorff for-



Helmut Wieczorek (Duisburg)

derte wiederholt eine Kurswende in der Finanzpolitik.

(Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Er hat es schon zurückgenommen!)

Er bescheinigt Ihnen, daß zentrale ökonomische und finanzpolitische Daten heute schlechter sind als zu Zeiten der Wende 1982.

(Dr. Hans-Jochen Vogel [SPD]: Hört! Hört!)

Auf die mit der deutschen Einheit verbundenen finanzpolitischen Herausforderungen haben Sie nur zwei Antworten: den perspektivlosen Marsch in den Verschuldungsstaat und die Belastung der Bürger durch eine beispiellose und nicht abreißende Kette von Abgaben und Steuererhöhungen. Allein 1992 kassieren Sie zugunsten des Bundeshaushalts 50 Milliarden DM, und um noch einmal 45 Milliarden DM müssen Sie sich verschulden. Das sind zwar knapp 4,5 Milliarden DM weniger, als Sie selbst geplant hatten, aber diese Verbesserung ist keineswegs auf Ausgabenkürzungen durch die Koalition zurückzuführen. Da brachten die Haushaltsberatungen ganze 460 Millionen DM an Einsparungen.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Kläglich!) Das ist gerade 1 Promille des Haushaltsvolumens!

Nein, ursächlich sind die kräftiger sprudelnden Steuerquellen. Allein die Lohnsteuer bringt in diesem Jahr einen Anstieg von über 15 %.

(Dr. Klaus Dieter Uelhoff [CDU/CSU]: Dann muß es den Leuten aber schlecht gehen!)

Meine Damen und Herren von der Koalition, die angebliche Rückführung der Neuverschuldung bis 1995 auf 25 Milliarden DM als Konsolidierung auszugeben ist blanker Hohn, wie die „Süddeutsche Zeitung" schreibt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

Das ist allenfalls die Fassade eines Potemkinschen Dorfes, mit dem Sie von den Zeitbomben der verdrängten Risiken und der ausgelagerten Schattenhaushalte abzulenken versuchen.
Ich will Ihnen nur einige der ausgeblendeten Risiken ins Gedächtnis zurückrufen: Für die OsteuropaHilfe und für stark steigende Bürgschaftsrisiken ist keine Vorsorge getroffen worden. Wegen der beschlossenen Liquiditätshilfe für die UdSSR ist bereits die erste Milliarde DM fällig geworden. Die Finanzierung des Aufbaus der neuen Länder ist weiterhin völlig unklar. Selbst nach Schätzungen des Bundes steigt die Kreditfinanzierungsquote der neuen Länder bis 1995 auf den absurden Wert von 42%. Hier wird sich der Bund nicht aus seiner Verantwortung stehlen können.
Die Familien werden verfassungswidrig hoch besteuert. Sie wissen doch selbst, daß es dabei um ein zweistelliges Milliardenrisiko geht.
Für das seit dem Einigungsvertrag überfällige Entschädigungsgesetz liegen immer noch keine Zahlen auf dem Tisch. Im übrigen: Dadurch entwickelt sich die Bundesregierung selbst zu einem Investitionshemmnis für die neuen Länder. Denn niemand verzichtet auf seinen Rückgabeanspruch, wenn er nicht weiß, was er dafür bekommt.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!) Die Liste ließe sich beliebig lang fortsetzen.

Herr Bundesfinanzminister, ich streite mich mit Ihnen nicht um Begriffe, nicht darum, ob man den Fonds Deutsche Einheit, den Kreditabwicklungsfonds oder die Treuhandanstalt Schattenhaushalte, Nebenhaushalte oder Sonderhaushalte nennt. Entscheidend ist, daß es sich hierbei um öffentliche Schuldentöpfe handelt, für die der Bund ganz oder teilweise geradezustehen hat.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS/Linke Liste])

Frau Breuel, die Präsidentin der Treuhandanstalt, sagte dieser Tage sehr deutlich und für jeden nachvollziehbar — ich zitiere —:
Letztlich ist es unerheblich, ob das vom Finanzministerium oder von uns bezahlt wird. Es kommt doch aus derselben Tasche.
Recht hat Frau Breuel.
Das ist nämlich der Punkt, auf den es ankommt. Noch vor vier Wochen — am 8. Oktober — antwortete auf meine entsprechende Frage der Parlamentarische Staatsekretär Carstens im Namen der Bundesregierung:
Bei den Schulden der Treuhandanstalt handelt es sich um betriebliche Verbindlichkeiten. Ziel ist es, diese Verbindlichkeiten soweit wie möglich aus den jetzigen bzw. künftigen Erlösen der Treuhandanstalt zu finanzieren.
Schön wäre es.
Auch hier gilt doch wieder das Prinzip „verschleiern und verdrängen" , bis es nicht mehr geht. Ich will Ihnen sagen, worum es eigentlich genau geht. Das Treuhandvermögen ist aufgezehrt. Die Treuhandanstalt ist überschuldet. Angesichts der jetzt vom Bundesfinanzministerium im Unterausschuß „Treuhand" angekündigten Neuverschuldung der Treuhand von jährlich 30 Milliarden DM werden die gesamten Schulden der Anstalt bis 1995 auf mindestens 260 Milliarden DM anwachsen.
Aber auch jetzt lüften Sie die Decke gerade nur so weit, wie es eben notwendig ist. Worauf die Menschen in diesem Land aber warten, Herr Bundesfinanzminister, ist ein klares Wort, wie der Schuldenberg der Treuhandanstalt in die Finanzwirtschaft des Bundes einbezogen werden soll. Oder beabsichtigen Sie etwa, diese Erblast des kommunistischen Regimes den neuen Ländern aufzubürden? Sollen die Menschen dort zum zweiten Mal die Rechnung bezahlen?
Sie, Herr Bundesminister Waigel, haben den Kreditabwicklungsfonds, den Fonds Deutsche Einheit und die Treuhandanstalt als sogenannte Sondervermögen aus der verfassungsrechtlichen Begrenzung der Kreditaufnahme des Bundes herausgenommen. Das ist eine klare Umgehung, wenn nicht gar ein Verstoß gegen die Verfassung. Denn diese Fonds besitzen



Helmut Wieczorek (Duisburg)

doch überhaupt kein Vermögen im Sinne einer positiven Vermögenssubstanz.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Schulden besitzen sie!)

Es sind Schuldentöpfe, von denen bereits heute feststeht, daß sie auf die staatlichen Haushalte übernommen werden sollen.
Sie, Herr Bundesfinanzminister, nehmen Zuflucht zu einem Trick, um dem verfassungspolitischen Druck auf Konsolidierung der staatlichen Schuldenwirtschaft ausweichen zu können. Sie geben immer vor, fest auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen — offensichtlich, um es besser mit Füßen treten zu können.

(Beifall bei der SPD — Oh!-Rufe bei der CDU/CSU — Hans Klein [München] [CDU/ CSU]: Es gibt Bilder, die ins Auge gehen!)

— Wir kennen das doch schon bei Ihnen, Herr Minister: Beim Grundfreibetrag, bei der Zinsbesteuerung und beim Länderfinanzausgleich haben Sie es doch so gemacht. Das ist Ihnen doch bescheinigt worden.
Meine Damen und Herren, der Bundesfinanzminister wird zur Finanzierung des Bundeshaushaltes im nächsten Jahr 45 Milliarden DM neue Schulden aufnehmen. Gleichzeitig sind aber für die im Bundesbereich angesiedelten Sondertöpfe Neuverschuldungen in doppelter Höhe, nämlich 90 Milliarden DM, vorgesehen. Beide Beträge müssen als eine Einheit gesehen werden. Wir kommen dann auf die erschreckende Zahl von 135 Milliarden DM Neuverschuldung, für die der Bund unmittelbar oder mittelbar geradestehen muß.
Der Sachverständigenrat rechnet vor, daß einschließlich der Kreditaufnahme der Länder und Gemeinden und der Sozialversicherung der öffentliche Bereich auf eine Rekordverschuldung von 200 Milliarden DM zusteuert. Sie sind der größte Schuldenminister, den diese Republik jemals gehabt hat.

(Beifall bei der SPD — Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das ist ja nicht zu fassen!)

Wir haben Ihnen diese Zahlen schon bei der Debatte im letzten Jahr genannt. Sie werden jetzt bestätigt, aber Sie wollen sie ja nicht wahrhaben.

(Norbert Gansel [SPD]: Lügen sind schlimmer als Schulden!)

Diese Zahlen sind schon bedrohlich genug. Aber bedrohlicher noch als die Momentaufnahme 1992 ist die mittelfristige Entwicklung. Nach allen Finanzprojektionen wird die Neuverschuldung des öffentlichen Bereiches auch künftig nicht entscheidend unter 200 Milliarden DM pro Jahr absinken. Damit erweisen sich die finanzpolitischen Beschwichtigungsversuche der Bundesregierung als gescheitert, das Defizit werde nur vorübergehend stark ansteigen. Nein, es ist dauerhaft zu hoch, und das trotz der Steuererhöhungen. Weil Sie nicht konsolidieren!
Finanzierungsdefizite von 200 Milliarden DM gehen weit über das hinaus, was der Staat ohne negative Rückwirkung auf Stabilität und Wachstum dauerhaft durch Kreditaufnahme finanzieren kann. Beträge dieser Größenordnung strapazieren den Kapitalmarkt und verursachen Zinssteigerungen. Die Bundesbank wird nicht müde, davor zu warnen. Sie treffen die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft und insbesondere den schon wieder rückläufigen Wohnungsbau.
Die Zinssteigerungen verstärken zusammen mit den Steuer- und Abgabenerhöhungen den Preisauftrieb, schwächen dadurch den Wert der Deutschen Mark gegenüber dem Ausland und heizen die Inflation weiter an.
Wenn Sie, Herr Bundesfinanzminister, selbst den Mut zur Umkehr nicht aufbringen, wird die Bundesbank Sie mit einer restriktiven Politik dazu zwingen müssen. Bisher sind die Warnungen der Bank und des Sachverständigenrates vor den gesamtwirtschaftlich schädlichen Folgen einer Mehrwertsteuererhöhung bei Ihnen auf taube Ohren gestoßen. Ihr Koalitionspartner Graf Lambsdorff hat jedoch bereits die Gefahr einer Stagflation beschworen.
Niemand fordert von Ihnen, die Probleme allein zu lösen. Gefordert aber ist vom Bundesfinanzminister und der gesamten Bundesregierung, daß sie sich ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung bewußt sind. Sie müssen konzeptionelle Vorgaben entwickeln, damit das Vertrauen des In- und Auslandes in die deutsche Finanzpolitik zurückkehrt.

(Beifall bei der SPD)

Das Ergebnis des starken Anstieges der Bundesverschuldung ist eine dramatisch steigende Zinsbelastung. Das ist gleichzeitig das strukturelle Problem der Finanzplanung. Bereits 1992 ist der Ausgabenansatz für Bundesschulden mit 55 Milliarden DM höher als die Ausgaben für Umwelt, Gesundheit, Wohnungsbau, Bildung, Forschung, Technologie, Wirtschaft und das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost zusammen. Die Schuldendienstleistungen nur aus dem Bundeshaushalt werden bis 1995 rund 70 Milliarden DM betragen. Wenn ich die Treuhandanstalt als zusätzlich zu kalkulierendes Risiko dazunehme, kommen wir auf einen Schuldendienst von 100 Milliarden DM pro Jahr. Jede siebte Mark wird dann für Zinsen ausgegeben; Geld, das für die Gestaltung der Zukunftsaufgaben fehlen wird.
Den Anstieg der Folgekosten der staatlichen Verschuldung hat der Bundesrechnungshof kürzlich mit dem warnenden Hinweis beschrieben — ich zitiere —:
Dies kann im Ergebnis dazu führen, daß heute und in Zukunft Zinsen auch für solche Kredite gezahlt werden, deren Gegenwert ganz oder teilweise schon nicht mehr vorhanden ist. Deshalb ist zu befürchten, daß die Kreditaufnahme in ihrer Funktion als Instrument zur Finanzierung zusätzlicher Investitionen eingeschränkt wird.
Lebensnah ausgedrückt heißt das: Unter Ihrer politischen Führung lebt die Republik heute auf Kosten unserer Kinder und Enkel.

(Beifall bei der SPD)

In dieser Situation der Staatsfinanzen hätten die Ausgaben des Bundes strukturell auf den Prüfstand gestellt werden müssen, um die Prioritäten neu zu ordnen. Eisernes Sparen, die rein quantitative Begrenzung der Ausgaben, ist die erste Pflicht. Dies al-



Helmut Wieczorek (Duisburg)

lein reicht aber nicht mehr aus. Es muß begleitet werden durch Veränderungen der Haushaltsstrukturen und durch neue, effizientere Lösungen.

(Beifall bei der SPD)

Das Geld muß intelligenter ausgegeben werden.

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP — Hans Peter Schmitz [Baesweiler] [CDU/ CSU]: Wie in Nordrhein-Westfalen! — Weiterer Zuruf von der FDP: Das haben wir letzte Woche gemerkt!)

Daran gemessen ist das Ergebnis der Haushaltsberatungen geradezu beschämend.

(Beifall bei der SPD)

Es ist ein Lehrstück für die Handlungsunfähigkeit als Folge von mangelndem politischen Durchsetzungswillen und mangelnder Durchsetzungskraft.
Nehmen wir als nächstes den Subventionsabbau. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Oje!) Darüber könnten wir sehr lange reden.

(Peter Conradi [SPD]: Möllemann!)

— Herr „Mümmelmann" ist, glaube ich, nicht da.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja unglaublich! Das geht doch nicht! — Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Den Minister sollten Sie ein bißchen freundlicher behandeln!)

Beim Subventionsabbau ist die Bundesregierung restlos gescheitert. Bereits der Sachverständigenrat hatte festgestellt, daß die Bundesregierung mit ihrem ursprünglich geplanten, aber mehr als bescheidenen Abbau der Finanzhilfen nicht im entferntesten eine Konsolidierung leistet. Angetreten sind Sie mit dem Ziel, Herr Minister Waigel, 10 Milliarden DM an Finanzhilfen und Steuervergünstigungen beim Bund haushaltswirksam für 1992 zu streichen. Sie haben während der Haushaltsberatungen nicht etwa eine Streichung vorgenommen, sondern — hier hat der Kollege Weng von der FDP recht — Sie haben die Subventionen um Milliardenbeträge aufgestockt. Wenn der Minister Möllemann trotz ätzender Kritik der Öffentlichkeit sein 30-Milliarden-Märchen ständig wiederholt, ist das nur noch grenzenlos peinlich.
Das vernichtende Ergebnis dieser Subventionspolitik schädigt auch das Ansehen der deutschen Wirtschaftspolitik im Ausland. Es untergräbt das Vertrauen in die Leistungskraft und den Leistungswillen der Deutschen, die mit der Einigung verbundenen Probleme in den Griff zu kriegen und krisenhafte Ausstrahlungen auf internationale Kapitalmärkte zu vermeiden.
Ein Sündenfall ganz besonderer Dimension ist die Agrarpolitik. Wegen des Widerstandes der EG-Kommission wird im Haushalt eine neue Milliardensubvention ausgebracht: der soziostrukturelle Einkommensausgleich.

(Dr. Klaus-Dieter Uelhoff [CDU/CSU]: Von den Kumpels reden Sie gar nicht!)

Die Ausgabe ist mangels gesetzlicher Grundlage noch
nicht einmal etatreif. Gleichzeitig wird bei der Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung ein neuer Schattenhaushalt im Volumen von über 700 Millionen DM zur Finanzierung der Herauskaufaktion Milch eingerichtet. Die Zuschüsse an die Träger der landwirtschaftlichen Unfallversicherung werden um 125 Millionen DM aufgestockt.
Den absoluten Gipfel erreicht die Bundesregierung aber, wenn sie in die Finanzplanung für 1995 zusätzlich 10,6 Milliarden DM für die Finanzierung einer verfehlten Agrarwirtschaft einstellt. Noch nie ist in der Bundesrepublik soviel Geld für die Landwirtschaft ausgegeben worden, und noch nie hatten wir so arme Bauern wie unter Ihrer Regierung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)

Die Subventionen sind nicht nur absolut zu hoch; eine Generalbereinigung ist überfällig. Wir kritisieren dort nicht in der Sache, wo mit Anpassungskonzepten Strukturprobleme begrenzt werden sollen. Die Subventionen müssen danach bewertet werden, ob sie Zukunftschancen verbessern und sich sinnvoll in ein wirtschafts- und finanzpolitisches Gesamtkonzept einfügen lassen.
Die Ausgabenplanung der Bundesregierung für die Verteidigung trifft auf unseren entschiedenen Widerstand. Wir Sozialdemokraten fordern eine drastische Kürzung. Wir fordern nicht nur aus haushaltspolitischer Sicht, den Verteidigungshaushalt des Bundes um 4 Milliarden DM zu senken, sondern angesichts des dramatischen Wandels der internationalen Beziehungen und der fundamental geänderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen gilt es, den Verteidigungsetat grundsätzlich neu zu gestalten.

(Beifall bei der SPD)

Der Kalte Krieg ist vorbei. Wir vermissen hier Ihren Gestaltungswillen.
Die konzeptionelle Umgestaltung auch anderer Politikbereiche kommt nicht voran. Ich denke an die Wohnungspolitik. Weil sie an der falschen Stelle zuviel Geld ausgeben, bleibt die wirksame Bekämpfung der Wohnungsnot in Ansätzen stecken. Zudem setzen Sie in der Wohnungspolitik die falschen Instrumente ein. In der Fachwelt haben Sie dafür eine regelrechte Abfuhr erhalten.
In der Bundesrepublik fehlen inzwischen 2,5 Millionen Wohnungen. Das ist sozialer Sprengstoff.
Deshalb wollen wir Sozialdemokraten das wohnungspolitische Gesamtbudget von Ausgaben und Steuervergünstigungen umgestalten. Die Prioritäten sollen anders gesetzt werden: einerseits zugunsten des Baus von sozialen Mietwohnungen mit langfristigen Bindungen und andererseits zugunsten einer progressionsunabhängigen Ausgestaltung der steuerlichen Eigentumsförderung. Das Fördersystem wird damit sozial gerechter und wohnungspolitisch effizienter. Wir Sozialdemokraten haben die besseren Lösungen.

(Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ CSU)

Meine Damen und Herren, die hohen Zinsausgaben lassen die Bundesregierung auch handlungsunfähig



Helmut Wieczorek (Duisburg)

werden, wenn es um die eigenen Investitionen geht. So fahren Sie die Investitionsausgaben des Bundeshaushalts nach der mittelfristigen Finanzplanung bis 1995 real um 20 % zurück. Selbst wissend, daß eine solche Rückführung der Investitionen dem Bedarf an infrastruktureller Anpassung — insbesondere in den neuen Ländern — nicht gerecht wird, suchen Sie nach Schlupflöchern. Das Stichwort heißt: private Finanzierung öffentlicher Investitionen. Es soll ein Zauberwort für offenes Denken sein. Aber in Wirklichkeit geht es hier nicht um intelligente Lösungen, sondern wieder nur um simple Auslagerung von Schulden aus dem Bundeshaushalt.
Meine Damen und Herren, dem konzeptionellen Mangel Ihrer Finanzpolitik bei der Durchforstung der Ausgaben entspricht Ihre von sozialer Gerechtigkeit und ökonomischen Einsichten losgelöste Steuer- und Abgabenpolitik. Die Bundesregierung hat bei ihrer Steuer- und Abgabenwalze völlig aus den Augen verloren, daß der Reichtum eines Staates auf dem Fleiß und der Produktivität der arbeitenden Menschen beruht.
Die neue Steuerschätzung belegt: Die inflationsbedingten heimlichen Steuererhöhungen lassen die Arbeitnehmer noch mehr zum Hauptfinanzier des Staates werden. 1992 wird das Lohnsteueraufkommen um 28 Milliarden DM steigen, das gesamte Unternehmensteueraufkommen nur um 4 Milliarden DM. Die Realeinkommen stagnieren, die Unternehmensgewinne explodieren.
Mit Ihrer Steuerpolitik, die den Arbeitnehmer massiv belastet, die leistungsstarken Gruppen unserer Gesellschaft aber durch die Abschaffung der Vermögen- und der Gewerbekapitalsteuer entlasten will, geben Sie zu erkennen, daß Sie sich dem einfachen Bürger in keiner Weise zur Rechenschaft verpflichtet fühlen.
Die Bundesregierung steuert einen gefährlichen Kurs. Sie unterhöhlt die soziale Gerechtigkeit und die damit untrennbar verbundene Leistungsbereitschaft von Millionen Menschen, ohne die der Aufbau eines wirtschaftlich und sozial geeinten Deutschland nicht gelingen kann.

(Beifall bei der SPD)

Der Sachverständigenrat sagt Ihnen wörtlich: Der bisherige Kurs der Finanzpolitik hat künftige Lösungen erschwert. Bei steigenden Steuern und Abgaben, steigenden Zinsen und sich beschleunigenden Preisen sperren sich die Menschen gegen weitere Belastungen.
Die Menschen haben recht; sie sperren sich nicht gegen den Preis der Einheit, sondern gegen Ihre Politik. Die nächsten Belastungen stehen doch schon vor der Tür! Die Defizite der Kranken- und der Rentenversicherung lassen weitere Beitragserhöhungen erwarten.
Wir lehnen Ihre Steuerpolitik, meine Damen und Herren, auch deshalb ab, weil sie die Ansatzpunkte einer ökologisch orientierten Politik verschüttet. Als führende Industrienation trägt die Bundesrepublik auch globale Verantwortung. Wir sind in der Pflicht,
einen substantiellen Beitrag zur Energieeinsparung und zur Schadstoffminderung zu erbringen.

(Beifall bei der SPD)

Nun hat die SPD einen unverdächtigen, seriösen Bundesgenossen gefunden: Der Vorschlag der EG auf Einführung einer kombinierten CO2/Energie-Steuer läuft letztlich auf eine ökologische Umgestaltung des Steuersystems hinaus.
Insgesamt soll die Belastung von CO2-Einsatz und Energieverbrauch jährlich 40 Milliarden DM erbringen. Das ist ein Betrag, der nach Auffassung der Kommission zu Steuerentlastungen für die breite Mehrheit der Bevölkerung verwendet werden sollte.
Mehr Steuern für den Verbrauch von Energie einerseits, weniger klassische Steuern andererseits, das war und ist unser Konzept. Wir fordern Sie deshalb auf, Herr Bundesfinanzminister, die Verhandlungen in Brüssel aktiv voranzutreiben. Warum tun Sie sich denn so schwer?

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß die Finanzlasten für den Aufbau der neuen Bundesländer auf Jahre hinaus nur aus dem Sozialprodukt der alten Länder aufgebracht werden können. Die für die neuen Bundesländer geschätzte Wachstumsrate von real 9,5 % ist erfreulich, kann aber leider nicht einmal den Einbruch dieses Jahres ausgleichen.
Frau Breuel kündigt zum Jahresende über 320 000 weitere Entlassungen an. Der Kollege Neuling von der CDU hat hier vor kurzem vorgerechnet: Von den 9,8 Millionen Vollerwerbstätigen des Jahres 1989 werden Ende dieses Jahres nur noch 4,8 Millionen übriggeblieben sein. 5 Millionen Menschen werden danach ihren alten Arbeitsplatz verloren haben. Der Sachverständigenrat geht davon aus, daß der Tiefpunkt der Entwicklung erst Ende nächsten Jahres eintreten wird.
Natürlich gibt es — Gott sei Dank — auch positive Meldungen über Investitionszusagen westdeutscher Unternehmen oder über Existenzgründungen. Aber alle positiven Meldungen, so begrüßenswert sie auch sind, meine Damen und Herren, ändern nichts an der Tatsache, daß der Desindustrialisierungsprozeß in den neuen Ländern weitergeht. Optimismus ist in Ordnung, aber die Schönfärberei der Bundesregierung verstellt den Blick, statt ihn für das Notwendige zu öffnen.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion eine politische Entscheidung getroffen, bei der klar war, daß die nicht wettbewerbsfähigen Teile der Wirtschaft der DDR unter dem Anpassungsdruck der Marktwirtschaft zusammenbrechen würden. Die Situation verschärfte sich nochmals durch den völligen Zerfall des sowjetischen Marktes. Damals — im Sommer des letzten Jahres — forderten wir bereits einen Aufbauplan für die neuen Länder. Wertvolle Zeit ist ungenutzt verstrichen.
Sie haben sich, Herr Bundesfinanzminister, auf dem Vorstandstreffen der Unternehmen mit Bundesbeteiligung am 1. Oktober klar dazu bekannt, daß die wirt-



Helmut Wieczorek (Duisburg)

Schafts- und finanzpolitische Verantwortung für die Treuhandanstalt zunächst, natürlich bei der Bundesregierung und beim Bundesminister der Finanzen liegt. Daß diese Klarstellung erfolgt ist, erkenne ich für meine Fraktion ausdrücklich an. Daß Sie, Herr Bundesfinanzminister, seit der deutschen Einheit aber ein Jahr dafür benötigt haben, ist sehr bedauerlich.
Entscheidend ist jetzt, welche Folgerungen Sie aus dieser Verantwortung ziehen. Die Menschen in den neuen Ländern sind über das Vorgehen der Treuhandanstalt tief verunsichert.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Ich fordere Sie dringend auf, den politischen Konsens über Aufgabe und Arbeitsweise der Treuhandanstalt mit uns Sozialdemokraten herzustellen; sonst wird ein innenpolitischer Konflikt entstehen, der die gesellschaftliche Akzeptanz der Treuhandanstalt aufs schwerste belastet.
Ich will hier heute keine Treuhanddebatte führen, sondern mich auf einige Hinweise auf das sich für die Treuhand abzeichnende Finanzkonzept der Bundesregierung beschränken.
Was heißt es eigentlich, Herr Finanzminister, wenn Sie sagen, daß Sie die finanzpolitische Verantwortung nur „zunächst" übernehmen? Die Treuhandanstalt ist nach Art. 25 des Einigungsvertrages eine bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts. Dafür steht der Bund ein und niemand sonst — und auch nicht nur „zunächst" !
Wenn Sie an dieser Finanzverantwortung Änderungen vornehmen wollen, weil Sie sich über die Vermögensbilanz der Treuhand getäuscht haben, dann werden alle finanzwirtschaftlichen Regelungen des Einigungsvertrages auf den Tisch kommen. Da haben auch die neuen Länder und die Gemeinden berechtigte Wünsche.
Die Aussage der Bundesregierung, daß mit der künftigen Kreditaufnahme von 30 Milliarden DM pro Jahr die Treuhandanstalt neue, bleibende Werte schaffe, ist eine Irreführung. Die Kreditaufnahme wird größtenteils zur Finanzierung des Schuldendienstes benötigt, denn bis 1995 erwartet die Treuhandanstalt einen Rückgang ihrer Einnahmen auf 8 Milliarden DM, während der Zinsdienst auf das Dreifache zusteuert. Die Tilgung ist dabei noch nicht eingerechnet. Das bedeutet: Der Schuldendienst der Treuhand selbst muß mit neuen Schulden finanziert werden. An zweiter Stelle stehen die Ausgaben für Privatisierung, Abwicklung und Sozialpläne, erst an letzter die für Sanierung.
Für die Unternehmenssanierung, wie die Sozialdemokraten sie fordern und wie die Menschen in den neuen Ländern sie erwarten, wird kaum Geld bereitgestellt. Auch der Sachverständigenrat — ich muß ihn noch einmal zitieren — hat festgestellt, daß im Gegensatz zu den Investitionen westlicher Unternehmen die Investitionsbudgets der in Treuhandbesitz befindlichen Unternehmen über keine nennenswerten Investitionssummen verfügen; Steigerungen sind schon gar nicht vorgesehen.
Meine Damen und Herren, bedenken Sie doch: Was heute an Investitionen in diesen Betrieben versäumt
wird, müssen wir morgen als Teil der Sozialpolitik bezahlen. Bereits heute stützt die Bundesanstalt für Arbeit mit 46 Milliarden DM den Arbeitsmarkt im Osten; das ist mehr als das Doppelte der Summe, die von der Treuhand für Privatisierung, Abwicklung und Sanierung zusammen ausgegeben wird. Wenn erst die Industriestrukturen weggebrochen sind, hilft die schönste marktwirtschaftliche Angebotspolitik nicht weiter; auf einem Mond investiert niemand, selbst wenn er dort keine Steuern zahlt.
Meine Damen und Herren, der für das nächste Jahr erwartete Anstieg des Bruttosozialprodukts in den neuen Ländern beruht nicht auf dem Beginn eines industriellen Aufholprozesses, sondern im wesentlichen auf der Wirkung von Transferleistungen. Die Stabilität dieser Transferleistungen im staatlichen Bereich ist deshalb ganz besonders wichtig. Ihr kommt entscheidende Bedeutung zu. Neben der Treuhandanstalt und der Arbeitsmarktpolitik sind dies insbesondere die Finanztransfers zur Stabilisierung der Haushalte von Ländern und Gemeinden.
Die Zeit drängt. Das auf zwei Jahre befristete Gemeinschaftswerk „Aufschwung Ost" war darauf angelegt, für zwei Jahre eine Atempause zu verschaffen. Der aufgestockte Fonds Deutsche Einheit geht bis 1995 auf Null zurück; die wohnungswirtschaftlichen Verschuldungsprobleme der Kommunen sind nicht gelöst, sondern mit dem Schuldenmoratorium bis 1993 lediglich vertagt. Die Bundesregierung hat bisher keine Konzeption, wie die 1993 auf 50 Milliarden DM angewachsene Schuldenlast refinanziert werden soll.
Ober allem, meine Damen und Herren, schwebt das Damoklesschwert des Kreditabwicklungsfonds. Zu Jahresbeginn ging das Finanzministerium von einem Fondsrisiko im Volumen von 120 Milliarden DM aus; im Juli wurden sogar 160 Milliarden DM genannt. Da bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine mögliche Schuldenübernahme durch die Treuhandanstalt ausscheidet, müßte nach den Bestimmungen des Einigungsvertrages der Fonds bei seiner Auflösung Ende 1993 zur Hälfte auf die neuen Länder übertragen werden. Nach den vom Bund angenommenen Haushaltsdaten für die neuen Länder und Gemeinden beträgt deren Gesamtverschuldung 1995 aber bereits 160 Milliarden DM, nach eigener Schätzung der Länder sogar um die Hälfte mehr. Die Pro-Kopf-Verschuldung läge dann in den neuen Ländern bei über 10 000 DM pro Einwohner; dieser Verschuldung steht eine Infrastrukturausstattung gegenüber, die sich nicht im entferntesten mit der im Westen vergleichen läßt.
Beides zusammen bedeutet eine Haushaltsnotlage. Dies, Herr Bundesfinanzminister, zeugt nicht von einer solidarischen Finanzpolitik!

(Beifall bei der SPD)

Sie erkennen die Finanzbedürfnisse der neuen Länder nicht als gleichberechtigt neben denen des Bundes an. Die neuen Länder wollen nicht dauerhaft am Tropf von Notzuweisungen hängen; sie erwarten von Ihnen zu Recht eine finanzwirtschaftliche Perspektive, die ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Zukunft eigenverantwortlich zu gestalten.



Helmut Wieczorek (Duisburg)

Die geplante Streichung von Strukturhilfemitteln für die alten Länder von jährlich 2,45 Milliarden DM ergänzt dieses Bild. Es ist kein Zeichen kooperativer Finanzpolitik wenn die unbestritten notwendigen Hilfen für die neuen Länder dadurch aufgebracht werden sollen, daß sie gerade den Ländern und Regionen im Westen weggenommen werden, die mit Strukturproblemen zu kämpfen haben. Statt nach einer Lösung für einen fairen Lastenausgleich zu suchen, produzieren Sie neue Brüche und Verwerfungen.

(Beifall bei der SPD)

Abschließend ein Wort zu der Auflistung der sogenannten einigungsbedingten Ausgaben des Bundes; eine peinliche Zusammenstellung, die in der Öffentlichkeit aufmerksame Beachtung findet. Im nächsten Jahr sind es angeblich 109 Milliarden DM. Worauf es mir in diesem Zusammenhang ankommt, ist nicht, daß die Darstellung sachlich falsch ist. Ich halte dies vielmehr für eine unwürdige Form der Aufrechnung. Ich stimme dem Kollegen Kolbe von der CDU ausdrücklich darin zu, daß mit dieser Aufrechnung der Unmut im Westen über die vermeintlich trägen und teuren Neubürger im Osten verstärkt und der Prozeß der inneren Einigung Deutschlands behindert wird. Für meine Fraktion gilt: So, wie wir früher für die Freiheit Berlins solidarisch Sorge getragen haben, entrichten wir heute solidarisch unseren Preis für die Einheit.
Ich danke Ihnen sehr.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/ Linke Liste)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205900400
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jochen Borchert.

Jochen Borchert (CDU):
Rede ID: ID1205900500
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der uns heute zur zweiten und dritten Lesung vorliegende zweite gesamtdeutsche Bundeshaushalt 1992 ist durch folgende Punkte gekennzeichnet:
Erstens. Mit dem Bundeshaushalt 1992 knüpfen wir nach den Jahren 1990 und 1991, die auf Grund der Wiedervereinigung Deutschlands Ausnahmecharakter hatten, an die erfolgreich praktizierte Konsolidierungspolitik der 80er Jahre an.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Obwohl in den Haushaltsberatungen erhebliche Mehranforderungen mit einer Größenordnung von mehr als 4 Milliarden DM aufgefangen werden mußten, konnte die Zuwachsrate der Ausgaben auf 2,9 gesenkt werden.

(Dr. Alfred Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Diese Politik war offensichtlich so erfolgreich, daß die Opposition jetzt den Vorwurf konstruiert, wir hätten unser Einsparziel nicht erreicht, indem sie erst den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses gegenüber der Presse erklären läßt, wir hätten vorgesehen, 4 Milliarden DM einzusparen, und anschließend sagt, wir hätten dieses Ziel nicht erreicht. Das heißt: Die Opposition gibt die Ziele selber vor, an denen sie uns nachher messen will.

(Widerspruch bei der SPD — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]: Übles Verfahren!)

Dies ist ein etwas merkwürdiges Verfahren. Aber es zeigt, wie wenig ernsthafte Kritikpunkte die Opposition noch hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Frag' doch mal den Möllemann!)

Die Koalitionsfraktionen hab en ihr Versprechen eingelöst, einerseits die Jahrhundertaufgabe — den Aufbau der neuen Länder — zu finanzieren und andererseits die Zuwachsrate der Ausgaben zu begrenzen.
Zweitens. Ebenfalls in die Tat umgesetzt haben wir unser Vorhaben, die auf Grund der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung eintretenden Steuermehreinnahmen voll zur Verminderung der Nettokreditaufnahme einzusetzen. Durch die Begrenzung der Ausgaben und durch Steuermehreinnahmen konnte so die Nettokreditaufnahme gegenüber der Regierungsvorlage um 4,5 Milliarden DM auf 45,3 Milliarden DM abgesenkt werden; gegenüber dem voraussichtlichen Ist 1991 immerhin eine Reduzierung von 14 Milliarden DM.
Gemessen als Anteil am Sozialprodukt betrug die Nettokreditaufnahme 1982 — damals war die SPD verantwortlich — als Folge einer ausufernden Ausgabenpolitik 2,2 %. Bis 1989 haben wir die Nettokreditaufnahme auf 0,9 % des Sozialprodukts begrenzt. 1992 werden es mit 1,5 % weniger als zu Zeiten der Regierungsverantwortung der SPD sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

1982 war die Verschuldung das Ergebnis einer maßlosen Ausgabenpolitik. Damals wurde der Gegenwartskonsum auf Kosten der Kinder und Enkel finanziert. 1992 dient die Kreditaufnahme der Finanzierung einer Jahrhundertaufgabe, die ohne Beispiel ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205900600
Herr Abgeordneter Borchert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wieczorek? — Bitte.

Helmut Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1205900700
Herr Kollege Borchert, würden Sie so freundlich sein, die Zahlen, die Sie für den Bundeshaushalt allein genannt haben, in Relation zum Niveau der Gesamtverschuldung der Bundesregierung zu setzen?

Jochen Borchert (CDU):
Rede ID: ID1205900800
Ich glaube, der Vergleich der Haushalte 1982 und 1992 — damals ausufernde Verschuldungspolitik, heute Finanzierung einer Jahrhundertaufgabe — ist Beispiel genug für die völlig unterschiedliche Finanzpolitik:

(Beifall bei der CDU/CSU — Detlev von Larcher [SPD]: Völlig ahistorisch sind Sie!)


Jochen Borchert
1982 der Weg in eine finanzielle Katastrophe, 1992 eine solide Finanzierung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lachen bei der SPD)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205900900
Herr Abgeordneter Borchert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Esters?

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Warum sind die denn so nervös bei der SPD?)


Jochen Borchert (CDU):
Rede ID: ID1205901000
Dem Kollegen Esters sicher.

Helmut Esters (SPD):
Rede ID: ID1205901100
Herr Kollege Borchert, sind Sie bereit, die prozentualen Anteile zu nennen, wenn Sie die ganzen Sondervermögen hinzurechnen, die ja in Wirklichkeit Schuldentöpfe sind?

Jochen Borchert (CDU):
Rede ID: ID1205901200
Herr Kollege Esters, ich habe die Summe der Sondervermögen von 1982 nicht im Kopf.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Es gab keine!)

Auch damals gab es neben dem Haushalt erhebliche Schulden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie rechnen heute Bundesbahn und anderes genauso dazu. Ich habe die Zahlen der Bundeshaushalte damals und heute miteinander verglichen. Ich finde, dieses Ergebnis ist eindeutig genug.

(Beifall bei der CDU/CSU — Detlev von Larcher [SPD]: Das ist wohl wahr! Eindeutig genug!)

Drittens. Wir werden die Konsolidierung mittelfristig konsequent fortsetzen.

(Ina Albowitz [FDP]: Sehr wahr!)

Für uns bedeutet Konsolidierungspolitik, daß über den Weg strengster Ausgabendisziplin der finanzielle Spielraum zurückgewonnen wird, um die Neuverschuldung des Staates auf ein gesamtwirtschaftlich vertretbares Maß zurückzuführen. Gleichzeitig müssen im Haushalt die Ausgaben von konsumtiven Bereichen zu einer investiven Verwendung umgeschichtet werden.
Nur eine konsequente Begrenzung der Ausgaben, bei der die Zuwächse deutlich hinter der Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Leistung zurückbleiben, verbessert die Angebotsbedingungen der Volkswirtschaft, stärkt das Vertrauen in die Stabilität unserer Währung, gibt den internationalen Kapitalmärkten die richtigen Signale und ist Ausdruck einer stabilitäts- und wachstumsorientierten Haushaltspolitik.
Ich finde, völlig zu Recht schreibt der Sachverständigenrat:
Die Finanzpolitik mùß erkennen lassen, daß sie tatkräftig darangeht, das hohe Defizit in den öffentlichen Haushalten innerhalb eines überschaubaren Zeitraums abzubauen. Das ist der stabilitätspolitische Aspekt einer verläßlichen Konsolidierungsstrategie.
Die Koalitionsfraktionen setzen diesen Rat mit diesem Haushalt und der mittelfristigen Finanzplanung um.

(Lachen bei der SPD)

Mit dem Haushalt 1992 wird ein Bundeshaushalt verabschiedet, der nach den außergewöhnlichen Jahren 1990 und 1991 wieder den Kurs der Konsolidierung aufnimmt. Die Ausgaben wachsen um 2,9 %. Im mittelfristigen Zeitraum ist eine Zunahme von unter 2 % geplant. Die im Finanzplan für 1993 vorgesehene Ausgabensteigerung von 1,4 % ist ein ehrgeiziges Ziel.
Mit dem Moratoriumsbeschluß hat sich die CDU/ CSU-Fraktion selbst die Pflicht zur Sparsamkeit auferlegt. Der Moratoriumsbeschluß bedeutet, daß zusätzliche Ausgabenwünsche nur zusammen mit einem soli den Deckungsvorschlag beschlossen werden können. In der jetzigen Haushaltslage ist nicht alles, was wünschenswert ist, auch finanzierbar.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Neue Leistungen können nur finanziert werden, wenn wir auf andere Leistungen verzichten.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]: Sehr richtig!)

Mit der Fixierung auf die Nettokreditaufnahme wird allerdings der Konsolidierungsweg in der politischen Auseinandersetzung nur recht unvollkommen beschrieben. Eine Senkung der Nettokreditaufnahme allein muß nach unserer Auffassung noch nicht Konsolidierung bedeuten. Man kann durch Verbesserungen auf der Einnahmenseite bei gleichzeitig hohen Ausgabenzuwächsen die Nettokreditaufnahme eine Zeitlang stabil halten.
Dies war der Weg der SPD in den 70er Jahren. Mit 30 Steuererhöhungen hielten Sie damals die Nettokreditaufnahme über einige Jahre im gesamtwirtschaftlichen Lot, so lange, bis die Konjunktur wegbrach. Danach geriet alles aus den Fugen.

(Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es! — Zuruf von der SPD: Das kommt bei euch auch noch!)

Die CDU/CSU-Fraktion versteht unter Konsolidierung eine Senkung der Nettokreditaufnahme auf Grund moderater Ausgabenzuwächse im Vergleich zum nominalen Wachstum des Bruttosozialprodukts. Nur so entsteht bei Senkung der Nettokreditaufnahme gleichzeitig der dringend notwendige Freiraum für private Investitionen. Nur so kann die Staatsquote dauerhaft gesenkt werden.

(Detlev von Larcher [SPD]: Sie erhöhen sie doch!)

Nur so kann sich die Soziale Marktwirtschaft erneuern, und nur so wird der Spielraum für notwendige Steuersenkungen geschaffen. Die Steuererhöhung zur Finanzierung der Jahrhundertaufgabe wird zeitlich begrenzt, und es wird der Spielraum geschaffen, sie wieder zurückzuführen.
Die CDU/CSU hat in den vergangenen Jahren bewiesen, daß dieser Weg gangbar ist. Der Bund steigerte in den Jahren von 1982 bis 1989 im Jahresdurchschnitt seine Ausgaben um 2,5 %, die öffentlichen



Jochen Borchert
Haushalte insgesamt um 3 %. Gleichzeitig wuchs die Wirtschaft im Jahresdurchschnitt um 6 %. Die Staatsquote sank von 50 auf 45 %.
Diesen wirtschaftlichen Erfolgskurs hat die SPD als den Weg der sozialen Kälte und der Umverteilung von unten nach oben diffamiert.

(Dr. Konstanze Wegner [SPD]: Das ist es auch!)

Den Weg der sozialen Kälte und der Umverteilung zu Lasten der Ärmsten hat die SPD in den 70er Jahren selber praktiziert, als der Schuldenstand des Bundes von 1969 bis 1982 um 700 % anwuchs. Das praktizierte die SPD, als die Zinsausgaben des Bundes von 1970 bis 1983 um mehr als 1 000 % explodierten. Alle Bürger, auch die ärmsten, mußten damals die Folgen einer maßlosen Ausgabenpolitik ausbaden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wie die „besseren Konzepte" der SPD in der Finanzpolitik aussehen, auf die der Kollege Wieczorek zaghaft hingewiesen hat, zeigt die Finanzpolitik in Nordrhein-Westfalen.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist das! — Ina Albowitz [FDP]: „Zaghaft" ist das richtige Wort!)

Für die Union besteht deshalb heute nicht der geringste Anlaß, vom bewährten Konsolidierungskurs der 80er Jahre abzuweichen. Für die Union ist dies der Weg, der Wohlstand für alle schafft. Für die Union ist dies der Weg, der die Voraussetzungen schafft, damit soziale Leistungen auch in Zukunft bezahlbar bleiben. Der Weg der Konsolidierung bedeutet nicht Stillstand; dies beweisen die Fakten. Gestaltende Politik ist dauerhaft nur bei soliden staatlichen Finanzen möglich.
Dafür ist unsere Familienpolitik ein Beispiel: Mit der Einführung des Kinderfreibetrages, der Anhebung familienpolitisch wichtiger Freibeträge, der Einführung des Kinderbaugeldes, des Kindergeldzuschlags, des Erziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs — ich nenne damit nur einige Beispiele — haben wir bei soliden Finanzen, bei erfolgreicher Haushaltspolitik gleichzeitig in wichtigen Bereichen deutliche Signale gesetzt.
Wir haben mit unserer Politik die Ausgaben begrenzt und gleichzeitig durch Umschichtungen den finanziellen Spielraum für neue Aufgaben gewonnen. Sozialdemokratische Regierungen würden bei dieser Erfolgsbilanz vor Neid erblassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lachen bei der SPD)

Mit der Einheit Deutschlands stand die Haushaltspolitik 1991 vor gewaltigen und in diesem Ausmaß bisher nicht bekannten Aufgaben. Die Unterstützung des wirtschaftlichen Aufbaus und die soziale Flankierung in den neuen Bundesländern waren nur durch die Erfolge der Haushalts- und Finanzpolitik in den 80er Jahren möglich.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: So ist es!)

Bei allen Anstrengungen zum Aufbau der neuen Bundesländer war aber doch klar, daß sich die Hinterlassenschaften von 40 Jahren sozialistischer Strukturen nicht in wenigen Monaten beseitigen lassen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Für die Menschen in den neuen Bundesländern ist dies ein schwieriger und schmerzhafter Prozeß. Alte Arbeitsplätze fallen fort, und neue Arbeitsplätze entstehen aus der Sicht der Betroffenen viel zu spät. Alte Qualifikationen werden nicht mehr benötigt, neue Fähigkeiten müssen erworben werden. Viele sind in dieser Phase des Wandels enttäuscht oder drohen mutlos zu werden. Sie erwarten zu Recht unsere Hilfe und unsere Solidarität.
Bei allen Schwierigkeiten, die noch vor uns liegen und die ich nicht übersehe, können wir aber doch feststellen, daß wir innerhalb nur eines Jahres, eines Jahres deutsche Einheit, ein großes Stück des Weges zur ökonomischen und sozialen Einheit vorangekommen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es war richtig, schnell zuzupacken und zu handeln. Umwege oder Stufenlösungen wären falsch gewesen.
Wenn man den Bericht der „Frankfurter Neuen Presse" vom 17. September liest, dann erscheint heute die zögerliche Haltung Lafontaines zur Wiedervereinigung in einem anderen Licht. Da heißt es, der stellvertretende SPD-Vorsitzende und saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine habe sich im vergangenen Jahr bei der sowjetischen Führung über deren klare Unterstützung der deutschen Einigung beklagt. Lafontaine — so Falin weiter — habe ihm gegenüber bittere Klage geführt, daß die Sowjets einer raschen Einigung Deutschlands keinen Widerstand entgegengesetzt haben.

(Dr. Alfred Dregger [CDU/CSU]: Unglaublich! — Detlev von Larcher [SPD]: Warum wiederholen Sie Lügen? — Weiterer Zuruf von der SPD: Alles dementiert!)

Lafontaine habe deshalb befürchtet, als Kanzlerkandidat der SPD bei der Bundestagswahl zu scheitern —

(Detlev von Larcher [SPD]: Sie wiederholen doch immer wieder Lügen! — Gegenrufe von der CDU/CSU: Es ist nie dementiert worden! — Das tut weh!)

— hören Sie es sich ruhig an; ich weiß, daß das für Sie nicht angenehm ist — , und das, obwohl die deutschen Sozialdemokraten in früheren Jahren immer so gut mit sowjetischen Regierungen zusammengespielt hatten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)

Wir dürfen gespannt sein, welche weiteren Enthüllungen in Moskau noch an den Tag kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Da ist die Äußerung des SPD-Chefs Björn Engholm wirklich wohltuend, wenn er sagt, daß der vom Bundeskanzler Helmut Kohl eingeschlagene Weg vermutlich richtig war. Ich zitiere:



Jochen Borchert
Ob es andere Möglichkeiten des Weges gegeben hätte, das würde ich nach heutiger Einschätzung bezweifeln.
Ich bezweifle, daß sich die SPD-Fraktion gleichfalls zu dieser Erkenntnis durchringt, und daß sie sich dazu durchringt, daß sie mit ihrer Politik der vergangenen Jahre auf dem Holzweg war.
Diese Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben die historische Chance der Wiedervereinigung Deutschlands ergriffen und diese Wiedervereinigung in kürzester Zeit realisiert. Daß wir die Jahrhundertaufgabe heute finanzieren können, ist das Ergebnis der Politik der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen seit Herbst 1982.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Es ist auch nicht vergessen, daß in den 70er Jahren, als Sozialdemokraten die Regierungsverantwortung trugen und die Belastbarkeit der Wirtschaft testen wollten,

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Mit der FDP gemeinsam!)

das reale Bruttosozialprodukt sank, die realen Ausrüstungsinvestitionen zurückgingen, die Beschäftigung dramatisch zurückging,

(Zuruf von der SPD: Völlig ahistorisch!)

die Zahl der Insolvenzen stieg und die jährliche Preissteigerungsrate im Durchschnitt 5,3 % erreichte. Demgegenüber sind die durch unsere Politik ermöglichten Fortschritte eine wahre Erfolgsgeschichte.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Von 1982 bis 1990 ist das reale Bruttosozialprodukt im Durchschnitt jährlich um 3 % gewachsen. Von September 1983 bis September 1991 sind über 3 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen worden, davon allein 950 000 in den letzten zwölf Monaten.

(Detlev von Larcher [SPD]: Der vergleicht Äpfel mit Birnen!)

Von 1983 bis 1990 belief sich die durchschnittliche Preissteigerungsrate auf 1,60/e. Trotz dieser Fakten behauptete Frau Matthäus-Maier am 5. Juni 1991: „Es sind sozialdemokratische Konzepte, die unser Land in der Wirtschaftspolitik, in der Finanzpolitik und in der Umweltpolitik voranbringen. "

(Ingrid Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Besonders in Nordrhein-Westfalen!)

Richtig ist: Es sind sozialdemokratische Konzepte, die Anfang der 80er Jahre zur Haushalts- und Finanzkrise geführt haben

(Beifall bei der CDU/CSU — Detlev von Larcher [SPD]: Das ist doch nicht wahr! Das ist doch Quatsch!)

und es sind christdemokratische Konzepte, die unser Land in der Wirtschaftspolitik, in der Finanzpolitik und in der Umweltpolitik wieder voranbringen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf der Abg. Ingrid Matthäus-Maier [SPD])

Die Wirtschaftspolitik in den neuen Bundesländern ist durch große Anpassungsprobleme gekennzeichnet, die unvermeidlich sind. Aber der Erneuerungsprozeß wird vorankommen, denn die Investitionen werden erheblich angehoben durch staatliche Stellen und durch Unternehmer aus dem Westen. Sowohl Privatinvestitionen als auch die erheblichen staatlichen Maßnahmen, vor allem des Bundes, beginnen Wirkung zu zeigen. Und wie reagiert die SPD? Ihr Bundesgeschäftsführer, der frühere Gewerkschaftsfunktionär Blessing, sagte kürzlich im Südwestfunk: „Das Problem sind auch die Unternehmer, die sich nach der deutschen Einheit, von der sie hauptsächlich profitiert haben, jetzt als vaterlandslose Gesellen gebärden und nicht in der Lage sind, ihren Beitrag entsprechend zu leisten. " Dies, meine ich, war eine schlimme Entgleisung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

Dies ist der Rückfall in finsteren Klassenkampf.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich empfehle ihm Nachhilfeunterricht bei erfolgreichen Unternehmern in der SPD, wie etwa Edzard Reuter, der in Brasilien sagte:

(Zuruf von der CDU/CSU: Das nützt bei denen nichts!)

— Man soll den Glauben an die Lernfähigkeit nie aufgeben, Herr Kollege. — Ostdeutschland wird in absehbarer Zeit zur modernsten Region Europas, vielleicht sogar der Welt. Ich meine, dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Sachverständigenrat fordert die öffentliche Hand auf, durch strenge Ausgabendisziplin auf allen Ebenen einen Konsolidierungsbeitrag zu leisten.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Da hören Sie mal drauf!)

— Dieser Prozeß der Solidarität, Frau Kollegin, stößt allerdings bei den SPD-regierten westdeutschen Ländern nach wie vor auf wenig Gegenliebe. Diese westdeutschen Länder berücksichtigen in der Mehrzahl bei der Aufstellung ihrer Haushalte für 1992 den Prozeß der Wiedervereinigung kaum. Die Haushalte sind durch hohe Steigerungsraten gekennzeichnet.

(Detlev von Larcher [SPD]: Der redet immer über andere!)

Die mangelnde Solidarität wird darüber hinaus durch zwei Gesetzentwürfe deutlich: durch das Steueränderungsgesetz 1992 und durch das Gesetz zur Abschaffung der Strukturhilfe, deren Änderung von den SPD-regierten Ländern abgelehnt wird.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]: Leider wahr!)

Es besteht wohl kein Zweifel, daß die strukturschwachen Länder im Osten Deutschlands und nicht im Westen liegen. Für die Weitergewährung der Strukturhilfe an die alten Bundesländer gibt es ab 1992 keine Begründung mehr. Trotzdem fordert der Bundesrat mit der Mehrheit der SPD-geführten Länder, die Strukturhilfe weiterzuführen und erst 1995 end-



Jochen Borchert
gültig darauf zu verzichten. Dies kostet 6 Milliarden DM, die dann nicht für den Aufbau der neuen Bundesländer zur Verfügung stehen.
Zum Bundeshaushalt 1992 hat der Bundesrat Anträge über Mehrausgaben in Höhe von mehr als 5 Milliarden DM beschlossen. Auch dies ist kein Zeichen dafür, daß die Mehrheit im Bundesrat und hier an der Spitze die SPD-geführten westdeutschen Bundesländer bereit sind, ihren finanziellen Beitrag zur Wiedervereinigung Deutschlands zu leisten. Hier zeigt sich die Doppelzüngigkeit der SPD, die einerseits vom Teilen redet, andererseits das Teilen in dieser Frage jedoch verweigert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das Verfahren im Vermittlungsausschuß wird zeigen, in welchem Ausmaß die SPD-regierten Länder gewillt sind, dem im Grundgesetz enthaltenen Auftrag, annähernd gleiche Lebensverhältnisse in Deutschland zu schaffen, nachzukommen.
Niemand bestreitet Risiken bei der zukünftigen Entwicklung der öffentlichen Finanzen. Die Entwicklung der öffentlichen Finanzen wird maßgebend von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bestimmt. Wirtschaftliches Wachstum ermöglicht die Finanzierung der vor uns liegenden Aufgaben, ohne daß die Bürger oder der Staat überfordert werden. Es ist deshalb unsere primäre Aufgabe, alles zu tun, damit unsere Volkswirtschaft auch mittelfristig Rahmenbedingungen erhält, die wirtschaftliches Wachstum unterstützen und fördern.
Die dafür notwendigen Voraussetzungen müssen von allen am Wirtschaftsprozeß Beteiligten erbracht werden. Auch die Tarifparteien müssen ihren Kurs korrigieren. 1991 waren die Tarifabschlüsse in den alten und in den neuen Bundesländern zu hoch. Von den Tarifparteien ist eine Lohnpolitik zu fordern, die sich am Produktivitätszuwachs orientiert

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Immer die anderen!)

und die die Sicherung der Geldwertstabilität unterstützt.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Selbst Schulden machen und bei anderen Stabilität einfordern!)

Der Staat muß den Aufbau einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft in den neuen Bundesländern unterstützen und sozial abfedern.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ja! Fangt doch endlich an!)

— Herr Kollege, wenn Sie das immer noch nicht gemerkt haben, dann frage ich mich, wo Sie die ganze Zeit waren. —

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ich war da!)

Dabei dürfen vorhandene Strukturen nicht konserviert werden; die Rahmenbedingungen für Investititionen in den neuen Bundesländern müssen vielmehr
verbessert und damit der Strukturwandel unterstützt und gefördert werden.

(Detlev von Larcher [SPD]: Machen! Machen!)

Wenn die Rahmenbedingungen für Investitionen und wirtschaftliches Wachstum weiter verbessert werden sollen, dann muß das Finanzierungsdefizit der öffentlichen Haushalte in den nächsten Jahren deutlich zurückgeführt werden.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Richtig!)

Die Konsolidierung ist dabei nicht nur eine quantitative Aufgabe; vielmehr müssen alle Ausgaben überprüft und neue Prioritäten und neue Schwerpunkte gesetzt werden.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Anfangen!)

Konsolidierung bedeutet für uns strengste Ausgabendisziplin

(Detlev von Larcher [SPD]: Das sieht man!)

und — durch Umschichtungen und Kürzungen bei den konsumtiven Ausgaben — gleichzeitig eine Erhöhung bei investiven Ausgaben.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Und bei den Subventionen!)

Der Aufbau der neuen Bundesländer, d. h. die Transformation einer Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft, ist weltweit ohne Beispiel. Mit dem Haushalt 1992 stellen wir die notwendigen Instrumente und die finanziellen Mittel zur Bewältigung dieser Aufgabe zur Verfügung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, auch in diesem Jahr hat sich das besondere Klima im Haushaltsausschuß bei den schwierigen Haushaltsberatungen, wie ich finde, bewährt. Wir haben den Haushalt 1992 und den Nachtragshaushalt 1991 in wenigen Wochen beraten und erhebliche Änderungen beschlossen.
Für die intensive Beratung und Unterstützung durch die Beamten des Finanzministeriums sowie für die Hilfe durch die Mitarbeiter des Ausschußsekretariats bedanke ich mich herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Ich danke ebenso für die Unterstützung durch den Bundesrechnungshof, der für unsere Arbeit im Haushaltsausschuß eine wichtige Hilfe ist.

(Beifall bei der SPD)

Dem Vorsitzenden Rudi Walther und dem stellvertretenden Vorsitzenden Dr. Klaus Rose danke ich für die zügige und auch in schwierigen Phasen immer geduldige Verhandlungsführung. Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen für die offene und immer faire Diskussion.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir gern gemacht!)

Ich danke auch Helmut Wieczorek und den Kollegen der SPD, die — bei allen inhaltlichen Differen-



Jochen Borchert
zen — im Ausschuß immer fair mit uns diskutiert haben — im Unterschied zur Diskussion hier im Plenum.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich bin dankbar für das freundschaftliche und offene Verhältnis in der Koalitionsarbeitsgruppe. Ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, aber auch der FDP sehr herzlich dafür bedanken.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Bei mir auch!)

Ich bin dankbar, daß alle Haushaltspolitiker der Koalition immer bereit waren, bei strittigen Fragen einen Kompromiß zu suchen. Den Kompromiß gemeinsam zu verantworten ist eine gute Ausgangsbasis für die vor uns liegende Konsolidierungsaufgabe der nächsten Jahre.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Den Steuerzahlern sollten Sie einmal danken!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205901300
Es spricht jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Weng.

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1205901400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dem Rundumdank des Kollegen Borchert im letzten Teil seiner Rede kann ich mich für die FDP-Fraktion ebenso rundum anschließen. Ich glaube, daß wirklich jeglicher Grund gegeben ist, den hier Genannten Dank auszusprechen, wie der Kollege Borchert es soeben getan hat. Die Arbeit war gerade in diesem Jahr mit seinen zwei Etatberatungen besonders strapaziös — und das eben nicht nur für die Abgeordneten, sondern insbesondere auch für die Mitarbeiter in den verschiedenen genannten Bereichen.
Meine Damen und Herren, die in den letzten Tagen wieder außerordentlich stabile Deutsche Mark ist das deutliche Signal, daß die internationale Finanzwelt uns weiterhin zutraut, die Probleme im Zusammenhang mit der deutschen Einheit zu lösen, ohne daß es zu Einbrüchen kommt. Ich stelle diese Aussage sehr bewußt an den Anfang meiner Haushaltsrede, weil ich weiß, wie wichtig dieses Vertrauen für das Gelingen unserer großen nationalen Aufgabe in schwieriger internationaler Situation ist.
Nach Herstellung der deutschen Einheit bleibt unser erstes Ziel, in ganz Deutschland — entsprechend unserem Verfassungsgebot — schnellstmöglich vergleichbare Lebensbedingungen herzustellen. Auch der heute hier in zweiter Lesung debattierte Bundeshaushalt 1992 ist ein wichtiger Meilenstein auf diesem Weg,

(Beifall bei der FDP)

und wir sind auf einem guten Weg.
Erinnern wir uns: Übernahme der Verantwortung durch die Koalition aus CDU/CSU und FDP im Jahre 1982. Seitdem haben wir bis zum Fall der Mauer Jahr für Jahr eine konsequente Konsolidierungspolitik gefahren: unter Einschränkung öffentlicher Ausgab en
bei gleichzeitiger Senkung von Steuern und Abgaben für unsere Bürger und einem — dennoch — kontinuierlichen Zurückführen der Nettoneuverschuldung. Dies hat die Koalition in einem außerordentlich geordneten Verfahren bewältigt. Die Entwicklung in der Wirtschaft, insbesondere auch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, hat diese Politik als erfolgreich bestätigt.
Dann kam die Phase des finanziellen Zusammenbruchs der damaligen DDR, die Übernahme der finanzpolitischen Verantwortung, die Zusammenführung des alten DDR-Haushalts mit dem Bundeshaushalt. Und jetzt im Jahr 1991, nachdem die Wähler der Koalition auf eindeutige Weise das Vertrauen für die Bewältigung der Aufgaben gegeben hatten, mußten wir den Etat des laufenden Jahres in der ersten Jahreshälfte beraten und haben wir nach der Sommerpause in der Konsequenz unseres früheren Handelns den Bundeshaushalt 1992 beraten.
Wenn nicht destruktive Opposition es verhindert, wird dieser Etat pünktlich zum Jahresbeginn 1992 in Kraft treten. Ich glaube, nicht zu übertreiben, wenn ich sage: Die finanzpolitische Normalität ist mit dem Abschluß der Beratungen dieser Woche im geeinten Deutschland hergestellt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

Die Freien Demokraten im Deutschen Bundestag haben zu diesem Erfolg einen wichtigen Anteil beigetragen.
Der vorgelegte Bundeshaushalt zeigt, daß sich die Koalition konsequent an ihre eigenen politischen Vorgaben hält. Das Wachstum des Etats bleibt auf der Ausgabenseite unter 3 % und damit unter der prognostizierten gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Die Nettokreditaufnahme wird sogar deutlich unter den Betrag zurückgeführt, der uns bei der Herstellung der deutschen Einheit in der damals gemachten politischen Festlegung vertretbar erschien. Im nachhinein gibt uns die Entwicklung bis heute recht, auch bezüglich des Umtauschkurses bei der Herstellung der Wirtschafts- und Währungsunion und bei den flankierenden Maßnahmen. Ich sage das auch in Kenntnis der damaligen Skepsis der Deutschen Bundesbank. Ich stelle fest: Heute hat die flankierende Stabilitätspolitik der unabhängigen Währungshüter uns bestätigt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Für die FDP-Fraktion bleibt diese Währungspolitik der Deutschen Bundesbank weiterhin Beweis, daß es zu unserer Politik keine vernünftige Alternative gibt.

(Beifall bei der FDP)

Der vorgelegte Etat 1992 hat auf der Ausgabenseite erneut wichtige Schwerpunkte im Bereich der Herstellung vergleichbarer Lebensverhältnisse in den neuen Bundesländern. Es ist nicht nur der Fonds Deutsche Einheit, der mit einem deutlich erhöhten Betrag ausgestattet wird, sondern es ist auch die zweite Etappe des Gemeinschaftswerks Aufschwung Ost eingearbeitet, das seinerzeit wesentlich von Bundeswirtschaftsminister Möllemann in Gang gesetzt



Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

wurde. Jeder, der mit offenen Augen durch die neuen Bundesländer gegangen ist und sich die dortige Situation noch vor wenigen Monaten vor Augen hält, hat gesehen, daß gerade dieses Gemeinschaftswerk einen wichtigen Teil wirtschaftlichen Aufschwungs bewirkt hat. Wenn die Prognose der Sachverständigen richtig ist, daß im kommenden Jahr die Talsohle in den neuen Bundesländern durchschritten ist, dann war Aufschwung Ost hierfür eine entscheidende Weichenstellung.

(Zurufe von der FDP: Sehr richtig!)

Durch schnelles und unbürokratisches Handeln, auch durch in normalen Zeiten nicht akzeptable Großzügigkeit beim Umgang mit dem Geld des Steuerzahlers ist der Abschwung in wichtigen Branchen, vor allem in der Baubranche, seinerzeit gestoppt worden und hat Aufschwung eingesetzt.
Kontinuierlicher Fortgang der notwendigen öffentlichen Investitionen wird den weiteren Aufbau flankieren. Die FDP-Fraktion trägt weiter in voller Überzeugung mit, daß es zu den bekannten enormen finanziellen Transferleistungen von West nach Ost kommt und kommen muß. Der Aufbau einer wettbewerbsfähigen Infrastruktur, aber vor allem die Unterstützung der Menschen bei der tiefgreifenden Umstellung ihrer Lebensverhältnisse bleiben unsere Aufgabe und unser Ziel.
Im Etat hat Niederschlag gefunden, daß die Koalition im Bereich der Subventionen weitgehende Abbaubeschlüsse gefaßt und diese auch umgesetzt hat.

(Detlev von Larcher [SPD]: Dafür sollten Sie sich schämen, daß Sie das gesagt haben!)

Der Beschluß, innerhalb von drei Jahren 30 Milliarden DM Subventionen abzubauen, der im Juli dieses Jahres auf Betreiben des Bundeswirtschaftsministers zustande kam,

(Detlev von Larcher [SPD]: Möllemann müßte doch schon längst zurücktreten!)

ist nahezu vollständig in den Etat eingearbeitet.

(Detlev von Larcher [SPD]: Möllemann hat sich verspekuliert!)

Daß die Koalitionsfraktionen bei kleinen Einzelbereichen wie z. B. der Werfthilfe, übrigens mit Unterstützung der Opposition, noch einmal nachgegeben haben, ließ sich durch die besondere Situation der westdeutschen Werften einerseits und durch finanzwirtschaftliche Deckung und höhere Einnahmen andererseits begründen.

(Helmut Esters [SPD]: Ah ja!)

Im Licht eines Berichts der Bundesregierung über die Schiffbauhilfe in Konkurrenzländern, vor allem in Fernost, sage ich allerdings voraus, daß es mit der Begründung wegen Subventionierung der Schiffsbauten in Fernost nicht mehr aufrechtzuerhalten sein wird, hier entsprechend zu unterstützen. Die Bundesregierung sagt in diesem Bericht eindeutig, daß eine solche Subventionierung bei weitem nicht in dem Umfang stattfindet, wie das hier immer unterstellt wird.
Erlauben Sie mir beim Stichwort Subventionsabbau eine persönliche Bemerkung; der eine oder andere wird darauf gewartet haben. Durch zusätzliche Anforderungen, die teilweise erst in der letzten Phase der Haushaltsberatungen durch uns beschlossen werden mußten und die im Lichte unvorhersehbarer Entwicklungen unabweisbar waren, war die Koalition nicht in der Lage, in den Beratungen im Haushaltsausschuß die geplante Reduzierung des Gesamtetats zu erreichen. Auch neue Subventionen und subventionsartige Zahlungen gehören zu den zusätzlich beschlossenen Ausgaben.
Vor diesem Hintergrund war meine Bemerkung am vergangenen Freitag in der Pressekonferenz zu verstehen — ich habe diesen Zusammenhang auch ausdrücklich deutlich gemacht — , daß das erwünschte Ziel beim Subventionsabbau nicht erreicht worden ist. Das gedankenlose, vielleicht auch böswillige Zusammenstricken dieser Äußerung mit dem Ergebnis der Möllemann-Initiative zum Subventionsabbau ist zwar eine „gute" schlechte Nachricht, wird aber durch die Fakten nicht abgedeckt. Wer versucht, zwischen den Bundeswirtschaftsminister und den Haushaltssprecher der FDP-Fraktion einen Keil zu treiben, versucht nur, der FDP den berechtigten Anspruch streitig zu machen, daß sie sich mehr als andere dafür einsetzt, Subventionen tatsächlich abzubauen.

(Beifall bei der FDP — Zurufe von der SPD)

— Wenn die Zwischenrufer auf der Seite der SPD zugehört hätten, wären die Zwischenrufe eigentlich von selbst erledigt gewesen, weil ich ganz genau dargestellt habe, wie Ablauf und Inhalt dessen waren. Deswegen waren die Zwischenrufe zwar gut gemeint, aber sachlich falsch.
Auch wenn ich ehrlich sage, meine Damen und Herren, daß Wünschenswertes nicht erreicht worden ist, lasse ich mir die Qualität des Erreichten nicht von anderen zerreden. Zur Begrenzung der Ausgabensteigerung gehört ganz wesentlich, daß die öffentlichen Hände als Arbeitgeber die von der Deutschen Bundesbank für erforderlich gehaltene restriktive Tarifpolitik auch selbst ernst nehmen. Die gesellschaftspolitische Notwendigkeit, z. B. die Bezüge in den neuen Bundesländern bei den dortigen öffentlich Bediensteten schneller anzupassen, als dies ursprünglich geplant war, schneller anzugleichen mit Blick auf die menschliche Situation dort, muß aber auch durch die Bereitschaft zu einer volkswirtschaftlich vertretbaren, d. h. diesmal zu einer relativ bescheidenen Anpassung flankiert werden.
Meine Damen und Herren, wir haben in den vergangenen Jahren starke Erhöhungen im Bereich der Tarife des öffentlichen Dienstes durch Kürzungen beim Personal im Bundeshaushalt ausgleichen müssen. Wir haben dieses nie gern getan, aber es war immer auch ein Signal der Mehrheit des Deutschen Bundestages, daß wir in der gesamtpolitischen Verantwortung den Anteil der Ausgaben für den öffentlichen Dienst nicht über ein bestimmtes Niveau des Etats hinaus steigern würden. Wir werden zu diesen Überlegungen zurückkehren müssen, wenn hier keine Einsicht bei den Tarifpartnern herrscht.

(Hans H. Gattermann [FDP]: Sehr richtig!)

Wir haben diese Forderung auch dem Bundesfinanzminister und damit der Bundesregierung mit



Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

auf den Weg gegeben. Die Tatsache, daß uns wichtige gesamtstaatliche Aufgaben zur Einrichtung neuer Behörden genötigt haben, und die Tatsache, daß wir bei der Übernahme öffentlich Bediensteter aus den neuen Bundesländern in neue Aufgaben, z. B. im Wissenschaftsbereich, aus menschlichen Gründen doch etwas großzügiger verfahren sind, als es die nackte Finanzpolitik erforderlich gemacht hätte, müssen einen gewissen Ausgleich finden. Ich meine, daß das Wort vom Überwinden der Teilung durch Teilen wenigstens durch das Leisten eines bescheidenen Anteils auf diesem Gebiet in die Tat umgesetzt werden sollte.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU)

Ich hoffe deshalb sehr, daß bei den anstehenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst auch die Länder und Gemeinden im Westen Deutschlands nicht wie in der Vergangenheit so oft den Bund allein lassen. Nach den Abschlüssen des vergangenen Jahres brauchen die öffentlichen Haushalte aller Gebietskörperschaften eine kleine Atempause.

(Ina Albowitz [FDP]: Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, die Tarifautonomie wird von der FDP selbstverständlich hochgeachtet. Ich möchte trotzdem von hier aus einen dringenden Appell an die Tarifparteien all der Wirtschaftsbereiche richten, auf die wir keinen direkten Zugriff haben, auch nicht haben wollen und nicht haben dürfen. Mäßigung und nicht Kraftproben derer, die ja durch ihre Arbeitsleistung tatsächlich für die Wohlfahrt aller Verantwortung tragen, ist das Gebot, zumindest his zu dem Zeitpunkt, zu dem der Aufschwung im Osten gesichert ist. Rund 950 000 zusätzliche Arbeitsplätze in den alten Bundesländern mit allen daraus resultierenden positiven Konsequenzen bis zum heutigen Tage zeigen doch, daß die Wirtschafts- und Finanzpolitik auf einem guten Weg ist und daß die Haushaltspolitik dies richtig flankiert. Die Sicherheit der Arbeitsplätze muß auch für die Tarifpartner Vorrang vor den noch so verständlichen Interessen einzelner Sektoren haben.
Mit Blick auf die Tarifabschlüsse erlaube ich mir noch einen weiteren Hinweis. Da in der Öffentlichkeit die Frage der Höhe des Verteidigungsetats immer nur an Hand der Ausgabenhöhe diskutiert wird — übrigens natürlich von der Opposition trefflich unterstützt, die hier trotz besserer Kenntnis Unwahres behauptet —,

(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Das macht sie immer! Typisch!)

ohne hier die innere Struktur zu berücksichtigen, entsteht manchmal der Eindruck, der neuen Situation bei der äußeren Sicherheit werde nicht oder nicht ausreichend Rechnung getragen.
Meine Damen und Herren, durch das Hinzukommen neuer Aufgaben, z. B. durch das Hinzukommen von Teilen der früheren Nationalen Volksarmee, und durch Ausgaben, die zum Teil überhaupt nichts mit dem Bereich Verteidigung der Bundesrepublik zu tun haben, ist die Struktur im Verteidigungsetat einschneidend verändert. Viel höheren Personalausgaben, die in der Übergangszeit noch eine Weile Bestand haben werden, stehen wesentlich geringere Ausgaben für Rüstungsbeschaffung gegenüber.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205901500
Herr Abgeordneter Weng, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Penner?

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1205901600
Ja gerne.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Bei dem wäre ich vorsichtig!)

— Ich bin bei jedem vorsichtig, Herr Kollege Glos.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1205901700
Herr Kollege Weng, wollen Sie tatsächlich Vorsitzender der FDP werden?

(Heiterkeit bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1205901800
Herr Kollege Penner, das ist natürlich eine sehr gute Frage; das wissen Sie. Nur, diese Frage durfte hier nicht gestellt werden; um so weniger kann ich sie hier beantworten.

(Heiterkeit bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Erst im Licht der neuen Verteidigungskonzeption und der künftigen Aufgaben der Bundeswehr, möglicherweise auch im internationalen Bereich, können künftig die Ausgaben für Verteidigung abschließend festgelegt werden. Erst in diesem Licht wird über die Frage zusätzlicher, zum Teil ja außerordentlich teurer Beschaffungsvorhaben, die sich im politischen Raum bewegen, zu entscheiden sein. Sie wissen, daß ich hier an den vieldiskutierten Jäger 90 und daß ich auch an zusätzliche moderne Unterseeboote denke, über die in der Öffentlichkeit heftig diskutiert wird. Wir werden unter den genannten Aspekten und zum gegebenen Zeitpunkt, der heranrückt und der wahrscheinlich im nächsten Jahr liegen wird, über diese Einzelmaßnahmen zu entscheiden haben.
Meine Damen und Herren, ich signalisiere der Bundesregierung in diesem Zusammenhang in großer Deutlichkeit: Das Parlament, hier die verantwortliche Parlamentsmehrheit, d. h. die Fraktionen der Koalition, werden diese Entscheidungen eigenständig treffen und dann auch politisch vertreten.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Gibt es neue Verhältnisse bei euch?)

— Es gibt keine neuen Verhältnisse bei uns, sondern wer weiterhin gut zuhört, hört dann noch manches, Herr Kollege Wieczorek.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aber die Geschichte mit dem Vorsitzenden erfahren wir noch?)

Eine weitere Anmerkung. Gerade bei der Einrichtung neuer Behörden, wie des neuen Bundesausfuhramtes zur Verbesserung der Kontrolle im sensiblen Bereich von Ausfuhren und damit zu einer verbesserten Vermeidung rechtswidriger Rüstungsexporte, bei der Verstärkung der Gauck-Behörde zur Aufarbeitung des Stasi-Unrechts oder bei der Vergrößerung des Bundesamtes für Flüchtlinge, die dringend erfor-



Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

derlich ist, um die Beschlüsse der Koalition einschließlich der SPD zur Abwehr des Mißbrauchs unseres Asylrechts umzusetzen, hat der Haushaltsausschuß nicht nur zusätzliche Mittel beschlossen, sondern er hat in diesem Zusammenhang von der Bundesregierung folgendes gefordert: Wir legen großen Wert darauf, daß seither in anderen öffentlichen Bereichen Beschäftigte bestmöglich in den neuen Behörden eingesetzt werden. Meine Damen und Herren, es kann nicht sein, daß teurer Vorruhestand an einer Stelle des öffentlichen Dienstes und verzweifelte Suche nach sachkundigen Mitarbeitern in anderen Bereichen parallel laufen. Hier müssen Wege gesucht werden — und wenn sie ernsthaft gesucht werden, werden sie auch gefunden —, um denjenigen, die auf Grund politischer Entscheidungen nicht im Bereich ihrer seitherigen Tätigkeit bleiben können, auch in vernünftiger Weise einen Weg zu anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes zu öffnen. Ich sage das mit Blick darauf, daß gerade die Führung des Innenministeriums gewechselt hat und der bisherige Innenminister jetzt an anderer Stelle Verantwortung trägt: Sie werden daran mitwirken können, daß dem, was uns das Innenministerium hierzu im Ausschuß gesagt hat, daß nämlich alles mögliche nicht gehe, durch den Versuch begegnet wird, es bestmöglich gehend zu machen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, das Haushaltsrecht ist das Königsrecht des Parlaments. Wir müssen uns selbst immer die Frage stellen, ob wir dieses Recht genutzt haben, ob wir es nutzen. Ich meine, wir müssen der Regierung künftig noch stärker zeigen, daß wir als Parlamentarier nicht nur bescheidene Korrekturen, sondern auch strukturelle Veränderungen durchsetzen können, daß das Parlament nicht reines Vollzugsorgan von Regierungswollen werden kann.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das Selbstverständnis der Kollegen im Haushaltsausschuß ist im Laufe dieses Jahres auch erheblich gewachsen. Das darf ich hier für alle Kollegen feststellen.

(Zuruf von der FDP: Konnte das überhaupt noch wachsen? — Heiterkeit bei der FDP)

Meine Damen und Herren, nach dem gestrigen Tag ist in der Führung aller drei Fraktionen des Deutschen Bundestages ein Generationswechsel vollzogen worden. Die morgige Runde der sogenannten Elefanten, die Debattenbeiträge der Fraktionsvorsitzenden müssen Aufschluß darüber geben, ob die Regierung künftig mit einem stärkeren Parlament zu rechnen haben wird.
Ich bin mir sicher, daß die FDP-Fraktion in der Tradition großer Parlamentarier in ihren Reihen künftig im Kräftespiel zwischen Regierung, Verwaltung und Deutschem Bundestag ihren Platz selbstbewußt einnehmen wird.

(Dr. Wilfried Penner [SPD]: Der Waigel zittert schon! — Heiterkeit)

— Wer auch immer zittert — es wird sich wieder legen.
Meine Damen und Herren, nach engagierter innerfraktioneller Diskussion über den Bundeshaushalt 1992 und nach intern auch härterem Ringen um einzelne Positionen des Zahlenwerks, als dies vielleicht in früheren Jahren der Fall gewesen ist, und obgleich natürlich wie in jedem Jahr auch diesmal nach den Etatberatungen Wünsche offenbleiben, wird die FDP-Bundestagsfraktion dem Bundeshaushalt 1992 mit den Änderungen, die der Haushaltsausschuß an der Regierungsvorlage angebracht hat, in zweiter Lesung zustimmen.

(Detlev von Larcher [SPD]: Überraschend! Welche Überraschung!)

— Es ist interessant, womit Sie sich so alles überraschen lassen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205901900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dietmar Keller.
Dr. Dietmar Keller [PDS/Linke Liste]: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundeshaushalt 1992 legt die Axt an die politische Gestaltungsfähigkeit des Bundes. Selbst der Bundesrechnungshof ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die ständig steigende Staatsverschuldung den Handlungsspielraum des Bundes bei der Haushalts- und Wirtschaftsführung immer stärker verengt.
Die Bundesregierung ist offensichtlich nicht in der Lage, ihren eigenen vollmundig verkündeten Zielvorgaben gerecht zu werden. Im Haushalt 1992 wollte sie durch den Abbau von Finanzhilfen insgesamt 5 Milliarden DM einsparen. Dieser Subventionsabbau ist nicht zustande gekommen. Mittlerweile kann die Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregierung auch als organisiertes Chaos bezeichnet werden.
Der Wirtschaftsminister ließ z. B. verkünden, er werde zurücktreten, sollte es nicht möglich sein, einen Subventionsabbau in der Größenordnung von 10 Milliarden DM zu beschließen. Sollte er es doch tun!
Vielleicht kann uns die Bundesregierung mit Hilfe von Herrn Möllemann auch mitteilen, ob es tatsächlich zutrifft, daß 70 % der von 1988 bis 1990 für Luftfahrt, Werften und Stahl gewährten Subventionen in die Kassen eines einzigen Unternehmens geflossen sind.
Es ist doch einfach nicht nachvollziehbar, daß über die Treuhand Milliardenbeträge eingesetzt werden, um damit den Abbau von Arbeitsplätzen zu finanzieren. Über die Bundesanstalt für Arbeit wird ja nicht nur Kurzarbeit finanziert, sondern viele der durch das segensreiche Wirken der Treuhand um ihre Arbeitsplätze gebrachten Menschen werden in ABM-Stellen untergebracht.
In diesem Jahr standen der Treuhand für Sanierungszwecke rund 12 Milliarden DM zur Verfügung. 50 % dieser Mittel konnten für die Erarbeitung und Finanzierung von Sozialplänen ausgegeben werden. 7 Milliarden DM standen für die Ausstattung der Unternehmen mit Eigenkapital bereit. Das heißt, 1991 konnten für die Erhaltung eines Arbeitsplatzes in einem der Verwaltung der Treuhand unterstellten Be-



Dr. Dietmar Keller
trieb im Durchschnitt 10 000 DM ausgegeben werden — eine Summe, die nicht einmal 5 % des Betrages ausmacht, den seriöse volkswirtschaftliche Berechnungen für den Erhalt eines Arbeitsplatzes veranschlagen.
Für die Zeiss-Werke in Jena wurde pro Arbeitsplatz zwar das 40fache dieser Summe bereitgestellt. Aber diese, objektiv betrachtet, positive Entscheidung hat natürlich nichts mit der Person des Chefsanierers zu tun. Oder wohl doch?
1992 wird die Bundesanstalt rund 46 Milliarden DM in die ostdeutschen Länder pumpen, um den totalen Kollaps des Arbeitsmarktes abzuwenden. Hier und da werden zwar Stimmen aus dem Regierungslager laut, die fordern, der Treuhand endlich einen gesetzlichen Sanierungsauftrag zu erteilen. Aber ich habe wenig Hoffnung, daß es gelingen könnte, die Borniertheit, den Starrsinn und die Ignoranz, die im Regierungsdeutsch Verläßlichkeit, Stetigkeit und Berechenbarkeit heißen, zugunsten einer Politik aufzubrechen, die die Wettbewerbsfähigkeit möglichst vieler ostdeutscher Betriebe gewährleistet und sichert, die Arbeitsplätze erhält und schafft und damit das in den neuen Ländern vorhandene Produktionspotential fördert.
Durch das Steueränderungsgesetz 1992 werden vor allem Unternehmen in den Genuß zusätzlicher Steuervergünstigungen kommen. Der Wegfall der Gewerbekapitalsteuer wird die Unternehmen netto um 3,36 Milliarden DM entlasten. Durch die Senkung der Gewerbeertragsteuer werden den steuerlich erfaßten Gewerbebetrieben netto weitere 1,2 Milliarden DM geschenkt. Die Senkung der Vermögensteuer wird den Unternehmen weitere Entlastungen in einer Größenordnung von rund 2,7 Milliarden DM bescheren.
Die Gemeinden werden im Rechnungsjahr 1993 durch den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer einen Steuerausfall in Höhe von rund 3,9 Milliarden DM verkraften müssen, fast 1,1 Milliarden DM mehr, als von der Bundesregierung zunächst veranschlagt. Übrigens wird der Wegfall der Gewerbekapitalsteuer dazu führen, daß den sogenannten strukturschwachen Städten und Gemeinden mit einer Senkung der Gewerbesteuerumlage nicht geholfen werden kann. Sie werden durch das Steueränderungsgesetz doppelt bestraft: Zum einen verlieren sie die Einnahmen aus der Gewerbekapitalsteuer, zum anderen bringt die verringerte Umlage deshalb kein Einnahmeplus, weil sich die Strukturschwäche dieser Kommunen im Vorhandensein ertragsarmer Betriebe niederschlägt, die sowieso kaum gewerbeertragsteuerpflichtig sind.
Diese durch das Steueränderungsgesetz erhöhten indirekten Subventionen werden jedoch nicht, wie die Bundesregierung behauptet, durch steuerlichen Subventionsabbau und die Einschränkung von Abschreibungsmöglichkeiten gegenfinanziert, sondern durch die Anhebung der Mehrwertsteuer. Die Erhöhung um einen weiteren Prozentpunkt lehnt der Finanzminister gegenwärtig zwar noch ab — ich erinnere an dieser Stelle nur an den heldenhaften Kampf der Bundesregierung für und gegen die Quellensteuer — , aber er schließt die Anhebung der Mehrwertsteuer auf 16 To nicht grundsätzlich aus. Das „Handelsblatt" bescheinigt:
Mit der Ablehnung, Einführung, Abschaffung und Wiedereinführung der Zinsbesteuerung an der Quelle hat sie den Bürgern eine atemberaubende Achterbahnfahrt zugemutet. Für die verantwortlichen Koalitionspolitiker gilt Helmpflicht und die Warnung: ,Achtung: Bumerang!'
Finanzminister Waigel hatte im Frühjahr 1989 die Förderung und Pflege von Feuchtbiotopen als seine Herzensaufgabe entdeckt und verkündet: Quellen soll man nicht abschöpfen. Man soll sie sprudeln, sich über die Wiesen ergießen lassen.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juni dieses Jahres verlangt der Gleichheitsgrundsatz, „daß die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden". Das Bundesverfassungsgericht verpaßte der Bundesregierung damit eine schallende Ohrfeige; denn es stufte die bisherige Praxis der Besteuerung von Zinserträgen als verfassungswidrig ein, weil diese nach Ansicht der Richter zu ungleichmäßig vollzogen wurde.
Bereits 1990 hatten die obersten Verfassungshüter die Kinderfreibeträge als verfassungswidrig, weil zu niedrig, eingestuft. 1992 will das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, ob der Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer nicht zu niedrig angesetzt ist. Würde die Bundesregierung die Kinderfreibeträge nur um 100 DM anheben, bedeutete das einen Einnahmeverlust von 440 Millionen DM. Die rückwirkende Anhebung des Grundfreibetrags für alle Steuerpflichtigen würde 300 Milliarden DM kosten.
Hat der Finanzminister die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zwingend ergebenden Konsequenzen gezogen? Hat die Bundesregierung ihrer mittelfristigen Finanzplanung überhaupt Zahlenmaterial zugrunde gelegt, das wenigstens den Anschein einer seriösen Haushalts- und Finanzpolitik wahren hilft? Eine Mischung aus Starrköpfigkeit und Gesundbeterei kennzeichnet die Reaktion der Bundesregierung auf diese Urteile der obersten Verfassungshüter.
Herr Bundesfinanzminister, Sie verhalten sich wie ein Anhänger des ptolemäischen Systems, der noch immer glaubt, daß sich die Sonne um die Erde dreht, und sich weigert, durch das Fernrohr zu schauen und den Zusammenbruch seines Weltbildes mit eigenen Augen zu sehen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Für so was seid ihr Spezialisten!)

Würden Sie sich den Tatsachen stellen, müßten Sie zugeben, daß eine Verdoppelung des Grundfreibetrags bei einem dieser Berechnung zugrunde gelegten Existenzminimum von 11 000 DM für Ledige bzw. 22 000 DM für Verheiratete Einnahmeausfälle bei der Einkommensteuer in Höhe von 40 Milliarden DM bedeutet.
Fast 2,7 Millionen unerledigte Einsprüche lagen 1990 bei den Finanzämtern. Das sind nach Auskunft der Deutschen Steuergewerkschaft mehr als doppelt so viele wie 1989. Über 40 000 Beamte fehlen in den Finanzämtern. Experten schätzen, daß Bund, Ländern und Gemeinden dadurch jährlich rund 120 Milliarden DM an Steuereinnahmen verlorengehen. Jeder



Dr. Dietmar Keller
Steuerfahnder schafft im Durchschnitt 1,2 Millionen DM pro Jahr heran. Allein in den neuen Bundesländern entgehen den Gebietskörperschaften Steuereinnahmen in einer Größenordnung von 16 Milliarden DM.
Was tun Sie, Herr Bundesfinanzminister, und was tut die Bundesregierung, um diese Finanzquellen zu erschließen? Würde die Bundesregierung nicht nur die Steuergeschenke an die Unternehmer zurücknehmen, sondern auch die Möglichkeiten der Steuerhinterziehung beschneiden, könnte eine Steuerreform finanziert werden, die dem Gleichheitsgrundsatz verpflichtet ist, ja es würde sogar noch Geld für sogenannte soziale Wohltaten in der Kasse sein.
Die Quellensteuer oder kleine Kapitalertragsteuer oder der Zinsabschlag läßt Steuerhinterziehungen auch weiterhin zu. Ich bin versucht zu sagen: Steuerhinterziehungen werden attraktiver, zumal nicht einmal der Hauch einer Strafandrohung zu spüren sein wird, da der Sparerfreibetrag von den Kreditinstituten verwaltet wird und die Finanzbehörden noch nicht einmal Stichproben durchführen dürfen.
Die mehrfache Inanspruchnahme des Sparerfreibetrags ist bei der anonymen Abführung der Quellensteuer überhaupt nicht auszuschließen. Die Einhaltung des Freibetrags muß vom Bankkunden nur schriftlich versichert werden. Der der Bank erteilte Freistellungsauftrag wird den Finanzbehörden nicht vorgelegt. Der Anleihenmarkt reagierte prompt auf die Nachricht, daß weder Kontrollmitteilungen noch Stichprobenverfahren zu erwarten sind.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was verstehen Sie denn vom Anleihenmarkt?)

Es gab Kursgewinne bis zu 60 Pfennigen, und die Bundesbank mußte 770 Millionen DM in den Markt einschleusen. Es herrschte eine Riesenstimmung. Die „Wirtschaftswoche" erinnert in ihrer Ausgabe vom 15. November 1991 daran,
... daß sich die Regierung bei ihrer Entscheidung die Feder von Banken hat führen lassen, deren Abwehrschlacht gegen die Stichproben an Doppelmoral kaum zu überbieten war.
Die Bundesregierung mißachtet die Gebote der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit. Sie richtet Schattenhaushalte ein, die sie als Sondervermögen deklariert und aus dem Haushaltsplan ausgliedert. Der Erfindungsreichtum der Bundesregierung zeigte sich vor allem bei der Interpretation des Art. 115 Abs. 2 des Grundgesetzes: Immer mehr Kredite werden vom Bund über sogenannte Sondervermögen aufgenommen, die nicht im Haushalt ausgewiesen sind.
Der Begriff „Sondervermögen" gaukelt den Bürgerinnen und Bürgern vor, die Bonität des Bundes als Kreditnehmer sei gesichert. Von welchem Vermögen sprechen Sie? Wessen Vermögen wird durch diese Politik gemehrt, und wessen Vermögen wird gemindert? Die sogenannten Sondervermögen sind doch die Instrumente, mit deren Hilfe die Bundesregierung das im wahrsten Sinne des Wortes öffentliche Vermögen
verschleudert. Was laut Verfassung lediglich eine Ausnahme sein sollte, nämlich eine Kreditaufnahme, die über den Ausgaben für Investitionen liegt, hat die Bundesregierung einfach zum Normalfall erklärt. Da Sondervermögen aus den Regelungen herausgenommen werden können, die die Kreditaufnahme begrenzen, ist die Bundesregierung in der für sie glücklichen Lage, einer Aufbringung der Mittel für den Fonds Deutsche Einheit, den Kreditabwicklungsfonds und die Treuhandanstalt über die öffentlichen Haushalte aus dem Weg zu gehen. Dient etwa der Fonds Deutsche Einheit der Erhaltung eines Vermögensbestandes oder nicht vielmehr der Finanzierung zusätzlicher, eben nicht im Haushaltsplan ausgewiesener Kredite? Wie ernst nimmt die Bundesregierung den Grundgesetzartikel 115? Sie weiß doch, daß aus dem Fonds Deutsche Einheit laufende Ausgaben finanziert werden, aber eben nicht Investitionen.
Dabei schaltet und waltet die Bundesregierung mit diesem Sondervermögen, wie es ihr gefällt. Ein Beispiel: Die Zinsverpflichtungen des Kreditabwicklungsfonds werden nach offizieller Lesart nur zu 50 % vom Bund getragen. Die andere Hälfte belastet den Haushalt der Treuhand. Der Haushalt der Treuhand wird durch Kredite finanziert, für die der Bund bürgt und deren Tilgung er aus seinen Einnahmen erwirtschaften muß. Von 1992 bis 1994 darf die Treuhand, also mittelbar der Bund, bis zu 90 Milliarden DM als Kredit aufnehmen. Im Haushalt 1992 findet man die 30 Milliarden DM, die im kommenden Jahr kreditfinanziert werden sollen, allerdings nicht. Es ist übrigens zu erwarten, daß diese Kredite nicht zur Sicherung oder Schaffung von Arbeitsplätzen eingesetzt, sondern für Zins- und Tilgungsleistungen beansprucht werden. Die Präsidentin der Treuhand schätzt, daß im kommenden Haushaltsjahr mindestens 25 Milliarden DM für Zinsleistungen benötigt werden. Bis 1995 wird bei der Treuhand ein Nettokreditbedarf von rund 160 Milliarden DM entstanden sein. Die Abwicklung der Treuhand wird dem Bund unter Einbeziehung der Altschulden zusätzliche Schulden in Höhe von rund 265 Milliarden DM bescheren, für die im Haushalt Zins- und Tilgungsleistungen veranschlagt werden müssen.
Der Fonds Deutsche Einheit hat 1991 rund 20 Milliarden DM an Schulden aufgenommen. Dieser Betrag taucht im Haushaltsplan des Bundes allerdings ebenfalls nicht auf. Statt, wie es haushaltsrechtlich geboten wäre, z. B. in der mittelfristigen Finanzplanung die mit Auflösung des Kreditabwicklungsfonds auf den Bund übergehende Zinsbelastung in Höhe von 5 Milliarden DM als Zinsausgaben des Bundes auszuweisen, behauptet die Bundesregierung, es handle sich auch über das Jahr 1993 hinaus wie in den Jahren zuvor um die Erstattung von Zinsleistungen. Die gegenüber dem Ausgleichsfonds „Währungsumstellung" bestehende Höhe der Verbindlichkeiten des Kreditabwicklungsfonds steht immer noch nicht fest. 1991 war die Bundesregierung bei einem Zinsansatz von 3,94 Milliarden DM von Forderungen in Höhe von 35 Milliarden DM gegenüber dem Kreditabwicklungsfonds ausgegangen. 1992 sollen im Wirtschaftsplan des Fonds 6 Milliarden DM veranschlagt werden, 1 Milliarde DM mehr, als ursprünglich geplant.



Dr. Dietmar Keller
Da die D-Mark-Eröffnungsbilanzen der Geldinstitute und Außenhandelsbetriebe immer noch nicht vorliegen — die Bilanzen der anderen Unternehmen wurden erst „zum größten Teil" eingereicht —, ist dieser Zinsansatz mit großen Risiken behaftet. Sind die Auswirkungen der von den ostdeutschen Geldinstituten vorgenommenen Bewertungsabschläge überhaupt schon näher quantifizierbar? Was geschieht mit den Transferrubelguthaben? Ist die Regelung des Rubelsaldos mit den sogenannten Ostblockstaaten immer noch offen? In welcher Höhe wird die Umbewertung der aufgelaufenen Guthaben und die Schuldenregelung Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber dem Kreditabwicklungsfonds begründen? Trifft es zu, Herr Bundesfinanzminister, daß Ihr Haus das Gesamtvolumen des Fonds nicht mehr auf 65 Milliarden DM schätzt, sondern mittlerweile 160 Milliarden DM im Gespräch sind?
Die neuen Bundesländer werden Ende 1993, wenn der Kreditabwicklungsfonds aufgelöst wird und sie 50 % der aufgelaufenen Gesamtverschuldung übernehmen, ihre Haushalts- und Wirtschaftsführung ganz in den Dienst der Finanzierung dieser Schuldenübernahme stellen müssen. Nach einer Finanzplanungsprojektion des Bundesfinanzministers werden die ostdeutschen Länder 1995 eine Gesamtverschuldung von rund 130 Milliarden DM aufweisen. Die Schuldenübernahme aus dem Kreditabwicklungsfonds wird diesen Schuldenberg noch weiter anwachsen lassen. Wie soll unter diesen Bedingungen eine geordnete Haushalts- und Wirtschaftsführung möglich sein? Kann von einer mittelfristigen Finanzplanung, die diesen Namen verdient, überhaupt noch die Rede sein? Ist die Bundesregierung überhaupt an einer seriösen und soliden Finanzplanung interessiert? Ich finde, die Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregierung hat keinen Schwerpunkt, keine Achse, sondern besteht aus Reflexen.
Aufgabe der regierungsamtlichen Schönwetterpropheten ist es nun, den jeweils neuesten Schwenk argumentativ so zu begründen, daß der Eindruck entsteht, Bonn weiche seit Jahren nicht vom gleichen Kurs ab. Wer gar Schuldenberge zu sehen glaubt, die zur Kursänderung zwingen könnten, dem wird vom Bundesfinanzminister eine rosarote Dienstbrille verschrieben, die Herr Waigel bereits seit Jahren erfolgreich im Selbstversuch getestet hat.
Das Budgetrecht, das jedes Jahr anläßlich der Lesung des Haushaltsentwurfs Rednerinnen und Redner sämtlicher Parteien als die Krone des demokratischen Parlamentarismus preisen, wird ausgehöhlt. Hinzu kommt, daß die Sondervermögen jeder wirksamen parlamentarischen Kontrolle entzogen sind.
Mit einem Unterausschuß „Treuhand" ist — wie wir erst jüngst feststellen mußten — die Kontrolle dieser Mammutbehörde nicht einmal in Ansätzen möglich.
Wenn der Vorsitzende des Haushaltsausschusses die Hektik der Etatberatungen beklagt, dann gilt es erst recht, hellhörig zu werden und zu prüfen, ob die Exekutive nicht schon längst diejenigen, die sie kontrollieren sollen, zu Statisten auf parlamentarischer Bühne degradiert hat.

(Ina Albowitz [FDP]: Wo wart ihr eigentlich die ganze Zeit?)

Wer profitiert von der Senkung der Vermögensteuer und vom Wegfall der Gewerbekapitalsteuer? Wem wird durch das Steueränderungsgesetz Geld aus der Tasche gezogen, und wem wird es geschenkt? Was hält die Bundesregierung von der Steuergerechtigkeit?
Die Erhöhung des Freibetrags für Betriebsvermögen kostet die Länder jährlich 265 Millionen DM. Die Erhöhung des Bewertungsabschlags für Betriebsvermögen beschert den Ländern jährliche Mindereinnahmen in Höhe von 1,42 Milliarden DM. Wer profitiert von dieser Entlastung des Betriebsvermögens?
Schaut man sich die Etatansätze an, so stellt man fest, daß es eine Reihe falscher sachlicher Zuordnungen gibt. Ich möchte Ihnen nur ein Beispiel dafür nennen: Der Verteidigungshaushalt, den die Bundesregierung ursprünglich um 1,5 Milliarden DM kürzen wollte, wird mit 52,1 Milliarden DM nur um 400 Millionen DM unter dem Ansatz von 1991 bleiben.
Was auf den ersten Blick das Ergebnis einer Sparoperation zu sein scheint, ist in Wirklichkeit eine Mogelpackung, denn im Einzelplan 60, der unverdächtigen „Allgemeinen Finanzverwaltung", finden sich unter der Kapitelüberschrift „Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Golfkrieg" 514 Millionen DM für die Ersatzbeschaffung zur Erhaltung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr und Verpflichtungsermächtigungen in einer Gesamthöhe von rund 1,5 Milliarden DM. Entspricht die Auslagerung dieses Haushaltstitels den Grundsätzen einer klaren Haushaltsführung?
In ihrer Antwort auf die Stellungnahme des Bundesrats zum Haushaltsgesetz 1992 gibt die Bundesregierung einen tiefen Einblick in ihre Trickkiste: „Eine Verlagerung der Ausgaben für Ersatzbeschaffungen im Zusammenhang mit dem Golfkrieg in den Einzelplan 14 würde eine entsprechende Plafonderhöhung des Einzelplans 14 erforderlich machen."
Herr Bundesfinanzminister, das sind mehr Fragen als Antworten.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1205902000
Als nächster spricht der Abgeordnete Werner Schulz.

Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205902100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Beratung des Bundeshaushalts 1992 findet in einer Zeit großer Umbrüche und Veränderungen statt.
Der Zerfall des osteuropäischen sozialistischen Staatensystems, der die deutsche Einheit ermöglichte, ist eine große Herausforderung für die Stabilität und den Frieden in Europa. Die westeuropäische Staatengemeinschaft war nicht in der Lage, die jugoslawische Tragödie zu verhindern. Sie ist — so scheint es zumindest — genauso hilflos angesichts der dramatischen Entwicklung in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion.



Werner Schulz (Berlin)

Einige Tage vor dem Gipfel in Maastricht zeichnen sich auch für den europäischen Integrationsprozeß nicht zu übersehende Risiken und Konflikte ab. Ein Jahr nach der Vereinigung von Ost- und Westdeutschland ist die neue Bundesrepublik ein Land der zwei Geschwindigkeiten: im Westen ein relativ hohes, wenngleich sich abschwächendes Wirtschaftswachstum, im Osten dagegen ein zunehmender Verlust an Industriesubstanz und ein dramatischer Anstieg der Arbeitlosigkeit.
Die Menschen in Ost und West sind noch weit von einer Gleichheit der Lebensverhältnisse — wie sie das Grundgesetz postuliert — entfernt. Das gilt nicht nur in ökonomischer Hinsicht; zu weit haben sich die beiden Gesellschaften in den vergangenen Jahrzehnten auseinanderentwickelt. Die wirtschaftlichen, sozialen, auch psychosozialen Differenzen werden noch lange anhalten und nachwirken. Gewiß, die Lebensbedingungen werden sich auch dank der keineswegs geringen Unterstützungsleistungen aus dem Westen nach und nach verbessern. Zunächst aber sind die wirtschaftlichen Gewinner des Einigungsprozesses vor allem im Westen zu finden. Dazu gehört auch der Vermögenszuwachs, der aus der Rückgabe von Grundstücken und Firmen an die ursprünglichen Eigentümer im Westen resultiert.
Die Bundesregierung hat mit ihren Gesetzen zur Regelung der Eigentumsverhältnisse zu dieser Entwicklung beigetragen. In Art. 14 des Grundgesetzes heißt es: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. " Die geltenden Regelungen der ungeklärten Eigentumsverhältnisse sprechen diesem Verfassungsprinzip Hohn. Nicht ein „Schnäppchen DDR" wurde gemacht, wie Günter Grass es nannte, sondern tagtäglich finden Enteignungen statt. Vom Einfamilienhäuschen bis zur Altenburger Spielkartenfabrik reicht der westliche Zugriff. Das sogenannte Enthemmungsgesetz vom Frühjahr dieses Jahres, das Vorfahrt für Investitionen in den neuen Bundesländern vorsah, hat offensichtlich nur die Hemmungslosigkeit von Grundstücksspekulanten angeregt. Was sich hier zur Zeit ereignet, ist ein Skandal ersten Ranges.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

Besonders im Umfeld von Berlin sehen sich die Gemeinden einem wahren Sturm auf ihre Häuser und Höfe ausgesetzt. Der Justizminister von Brandenburg hat es klipp und klar gesagt: In der Eigentumsfrage ist der Rechtsfriede tief gestört. — Die im Einigungsvertrag und im Vermögensgesetz getroffenen Regelungen weisen erhebliche Mängel auf. Sie werden den sozialen Verhältnissen in den neuen Bundesländern nicht gerecht. Die jetzige Anwendung des Prinzips „Rückgabe vor Entschädigung" führt zu einer erneuten Entrechtung der Bürgerinnen und Bürger der neuen Bundesländer. Hier muß ein neues Verfahren gefunden werden, das die Besitzstände der neuen Bundesbürger angemessen berücksichtigt.

(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste — Zurufe von der CDU/CSU: Warum klatscht denn von Ihrer Gruppe niemand? — Wo ist denn die Gruppe der GRÜNEN?)

Die Bundesregierung hat sich den Herausforderungen nicht voll gestellt. Die Vorlage des Haushaltsentwurfs bestätigt dies erneut. Sie demonstriert Selbstzufriedenheit, wo Kritik angemessen ist, sie unterschätzt oder verschleiert die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Probleme. Es rächt sich nun, daß der Glaube an den schnellen Aufschwung im Osten die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung so lange bestimmt hat. Ich übersehe nicht, daß auch ein Teil der Wirtschaftsexperten in diesem Land von einer schnellen ökonomischen Transformation ausgegangen war. Die Bundesregierung konnte sich die ihr genehmen Ratgeber also aussuchen. Vor allem zu nennen sind die Gefälligkeitsgutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft, die besonders in der CDU so nachhaltig Einfluß erlangt haben

(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!) und auch den Bundeskanzler in die Irre führten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

Auch die Expertise der fünf führenden Forschungsinstitute war nicht frei von überoptimistischen Erwartungen. Ein Vorwurf bleibt aber bestehen: Der Bundeskanzler hat die Warnungen, die ebenfalls unüberhörbar waren, nicht ernst genommen. Er hat sich vielmehr an das Diktum Machiavellis gehalten:

(Zuruf von der CDU/CSU: Ein böser Kanzler!)

Ein Fürst soll sich beraten lassen, aber nur dann, wenn er es will, und nicht, wenn es ein anderer will. Er soll auch jedem den Mut nehmen, ihm ungefragt Rat zu erteilen.
Einigen ist wahrlich der Mut abhanden gekommen, unbequeme Wahrheiten deutlich auszusprechen. Dennoch, der Sachverständigenrat hatte schon im Frühjahr 1990 vor den Folgen einer schnellen ökonomischen Integration gewarnt. Die Bundesregierung hatte damals die Risiken bewußt übersehen; sie hat sie auch später nicht wahrnehmen wollen. Darin bleibt sie beständig; auch Ende des Jahres 1991 werden die Warnungen noch immer nicht ernst genommen.
Ich frage den Finanzminister: Warum gelang es Ihnen nicht, eine gemeinsame Stellungnahme — mit dem Wirtschaftsminister — zum Gutachten des Sachverständigenrates abzugeben? War die Kritik des Rates an Ihrer Finanzpolitik zu deutlich ausgefallen, oder war Herr Möllemann nicht davon abzubringen, diese Kritik des Rates auch noch hervorzuheben?
Sie verdrehen die Tatsachen, wenn Sie in Ihrer Erklärung zum Jahresgutachten behaupten, daß sich die Finanzpolitik klar an der vom Sachverständigenrat bevorzugten wachstumsorientierten Konzeption ausrichtet. Das Gegenteil ist richtig. Darauf haben die Kommentatoren in den Medien zu Recht verwiesen. Die Bundesregierung muß zur Kenntnis nehmen, daß der Boom der letzten Jahre zu Ende ist. Die Belastungen des deutschen Einigungsprozesses können nur noch in geringem Maße durch die Gewinne des wirtschaftlichen Wachstums finanziert werden. Dabei hat die Bundesrepublik schon in den vergangenen zwei Jahren über ihre Verhältnisse gelebt. Die im Haushalt



Werner Schulz (Berlin)

ausgewiesene Verschuldung wird sich weiter dramatisch erhöhen.
Der Strukturumbruch in den neuen Bundesländern wird noch für viele Jahre finanzielle Transfers von West nach Ost benötigen. Der Aufschwung Ost kommt nur sehr langsam in Schwung. Er benötigt erheblich mehr Zeit, als die Bundesregierung in ihren Wirtschaftsprojektionen veranschlagt. Die im Haushaltsentwurf vorgesehenen finanziellen Mittel werden nicht ausreichen, den Finanzbedarf der neuen Bundesländer hinreichend zu decken.
Es liegt nach wie vor kein finanzpolitisches Konzept für die Finanzierung der deutschen Einheit vor. Nur eine Strategie ist sichtbar: das Verdrängen und Vertagen der Probleme. Die Bundesregierung weigert sich beharrlich, die Treuhandanstalt mit einem wirksamen strukturpolitischen Mandat auszustatten.
Wir fordern seit März dieses Jahres, der Treuhandanstalt einen gesetzlichen Sanierungsauftrag zu geben. Nun ist auch in der CDU der Widerstand gegen die Politik der Treuhandanstalt gewachsen. Die CDU-Abgeordneten aus den neuen Bundesländern fordern jetzt zu Recht: Strukturpolitik statt Kaputtsanieren. Angesichts zunehmenden Drucks wird die Bundesregierung nun hoffentlich ihre Scheuklappen abnehmen. Wir fordern Sie auf: Greifen Sie unsere Vorschläge zum Treuhandgesetz auf. Geben Sie der Treuhandanstalt endlich den notwendigen, klar umrissenen Sanierungsauftrag.
Die Kosten für den Aufbau in den neuen Bundesländern werden von der Bundesregierung nach wie vor verharmlost. Hinzu kommt: Die Regierung versucht auch weiterhin, mit den bekannten Methoden die finanzpolitische Situation zu verschleiern.

(Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Eine Böse Regierung!)

Sie vernachlässigt die Haushaltsgrundsätze der Wahrheit und Klarheit. Dies fängt schon bei der Einnahmeseite an. Die Zahlen aus der jüngsten Steuerschätzung werden einfach übernommen, ohne die Probleme der Steuererhebung in den neuen Bundesländern zu berücksichtigen. Nebenbei: Die Steuerschätzung belegt, daß die Arbeitnehmer einen immer höheren Anteil der Staatseinnahmen tragen. Mit der zunehmenden Inflation wird dieser Trend noch verschärft.
Dieses Bild paßt auch dazu, daß nach den Angaben der deutschen Steuergewerkschaft dem Staat jährlich mehr als 100 Milliarden DM durch Steuerhinterziehung entgehen. Die Leidtragenden sind die Lohnsteuerzahler, deren Abgaben direkt an der Quelle erhoben werden.

(V o r s i t z: Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg)

Die Verschleierung der tatsächlichen Lage der Staatsfinanzen findet auch auf der Ausgabenseite statt. Ein erheblicher Teil der Belastungen wird einfach in Neben- und Schattenhaushalte verlagert. Die tatsächlichen Schuldenposten werden dadurch der öffentlichen Kontrolle und Beurteilung entzogen. Dabei ist jetzt schon abzusehen, daß gerade im Bereich dieser Nebenhaushalte zusätzliche Lasten entstehen, die in solcher Höhe nicht erwartet worden sind.
Das betrifft nicht nur den Fonds Deutsche Einheit, dessen Volumen jetzt erneut erweitert werden mußte. Auch die Absicht der Bundesregierung, Teile der Verkehrsinvestitionen durch Banken oder Leasinggesellschaften privat finanzieren zu lassen, ist ein Versuch, die tatsächliche Belastung des öffentlichen Sektors zu verschleiern. Die Bundesregierung verschweigt die schwerwiegenden Haushaltsrisiken, die für die zukünftige Finanzpolitik große Belastungen bringen werden. Zu nennen ist der Kreditabwicklungsfonds, der bisher ein Defizit von knapp 30 Milliarden DM aufweist. Zu nennen ist wiederum die Treuhandanstalt, die in der Sicht des Finanzministers überhaupt kein Teil der öffentlichen Finanzwirtschaft ist. Sie wird dem Bundeshaushalt in den kommenden Jahren ebenfalls gewaltige Defizite bescheren.
Im Bundeswirtschaftsministerium wird ein künftiger Schuldenstand von mindestens 300 Milliarden DM erwartet. Der Bundesrechnungshof hat jüngst darauf verwiesen, daß die Finanzrisiken, die aus der Tätigkeit der Treuhandanstalt resultieren, von der Bundesregierung nur unzureichend berücksichtigt worden sind. Es ist also höchste Zeit, die Finanzströme der Treuhandanstalt in die Buchhaltung der öffentlichen Finanzwirtschaft aufzunehmen. Die Schulden der Treuhandanstalt kommen ohnehin früher oder später auf den Steuerzahler zu.
Die Bundesregierung hat in ihrer Finanzplanung eine Reihe weiterer absehbarer Risiken unberücksichtigt gelassen: die außenwirtschaftlichen Gewährleistungen mit Ausfallrisiko, die Defizite bei Bundesbahn und Reichsbahn, nicht zuletzt aber auch die zusätzlichen Anforderungen an den Haushalt auf Grund des zu regelnden Familienlastenausgleichs. Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte ist binnen Jahresfrist von rund 928 Milliarden DM auf 1 052 Milliarden DM im Jahre 1990 emporgeschnellt. In diesem Jahr wird der Fehlbetrag nach der Schätzung des Sachverständigenrates eine Größenordnung von 135 Milliarden DM erreichen. Die Verschuldung erreicht somit eine Größenordnung von 5 % des gesamtdeutschen Bruttosozialprodukts.
Die Bundesbank fordert völlig zu Recht, daß die Verschuldung baldmöglichst wieder auf ein normales Maß begrenzt wird. Sie verweist auch darauf, daß die Rückführung der Verschuldung aus außenwirtschaftlichen Gründen geboten ist.
Die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik wird weltweit kritisch daraufhin beobachtet, ob sie die mit der Vereinigung gestellten Aufgaben mit den richtigen Maßnahmen und auch in angemessener Frist bewältigen kann. Sogar der Internationale Währungsfonds empfiehlt der Bundesregierung, mit einem ehrlichen Bericht über die wahren Kosten der deutschen Vereinigung an die Öffentlichkeit zu treten. Es zeichnet sich ab: Die Stabilitätspolitik der Bundesregierung wird weltweit zunehmend in Zweifel gezogen.
Auch der Bundesrechnungshof hat die Schuldenpolitik der Bundesregierung gerügt. Er verweist in seinen Bemerkungen zur Haushalts- und Wirtschaftsführung auf die dramatisch ansteigende Zinslastquote.



Werner Schulz (Berlin)

Das Verhältnis der Zinsausgaben zu den Gesamtausgaben wird nach der derzeitigen Finanzplanung des Finanzministeriums im Zeitraum von 1991 bis 1995 von 10,3 To auf 13,3 % steigen. Ebenso deutlich wird die Zinssteuerquote ansteigen. Das Verhältnis der Zinsausgaben zu den Steuereinnahmen wird im selben Zeitraum von 13,6 % auf 15 % steigen. Eine Folge ist: Die Schulden des Bundes können überhaupt nicht mehr getilgt werden. Die fälligen Zahlungen müssen im wesentlichen durch neu aufgenommene Kredite finanziert werden.
Inzwischen ist selbst der Bundesregierung klargeworden, daß die Politik des leichten Geldes nicht beliebig fortgesetzt werden kann. Nach dem Versprechen, die Steuern nicht zu erhöhen, fiel es ihr allerdings zunächst schwer, auf das einfachste Mittel der Einnahmepolitik zurückzugreifen. Die Schamfrist scheint nun aber endgültig vorüber zu sein. Das vorliegende Steuerpaket spekuliert wieder einmal auf die Vergeßlichkeit der Bürgerinnen und Bürger.
Nicht nur, daß die Mehrwertsteuer erhöht werden soll — eine schon an sich besonders unsoziale Absicht — , die Mehrwertsteuererhöhung soll, was man kaum glauben kann, mit einer gleichzeitigen Senkung von Unternehmensteuern verknüpft werden. Dies ist sogar vielen Abgeordneten aus den Reihen der Regierungskoalition zuviel. Sie sehen es wie Reiner Geißler, der schon frühzeitig vor einer Verbindung von Mehrwertsteuererhöhung und Senkung von Unternehmensteuern gewarnt hatte.
In deutlichem Kontrast zu dieser schnellen Einnahmeerhöhung steht die zögerliche Haltung der Regierung bei der Besteuerung von Kapitaleinkünften. Der vorgelegte Vorschlag der Zinsbesteuerung löst das Problem nur zum Teil. Mit einer faktischen Abgeltungssteuer von 25 % läßt sich keine Steuergerechtigkeit herstellen.
Nach dem Steueränderungsgesetz 1991 wird schon jetzt der zweite Gesetzentwurf vorgestellt, mit dem diese Regierung ihre Finanzmisere durch eine Erhöhung der Steuern beheben möchte. Ich betone: Das Steueränderungsgesetz 1992 wird den Anforderungen an die ökonomische Vernunft und soziale Ausgewogenheit nicht gerecht. Eine Reform der Unternehmensbesteuerung ist sicherlich notwendig. Ökonomen und Juristen sind zu Recht der Meinung, daß die deutsche Unternehmensbesteuerung in ihrer Struktur verfehlt ist. Die Bundesregierung ist aber offenbar mit den Unternehmerverbänden der Meinung, daß es sich weniger um ein Strukturproblem handele als vielmehr um eine zu hohe steuerliche Belastung der Unternehmen. Dies ist aber, wie internationale Vergleiche zeigen, keineswegs der Fall.
Zu befürworten ist dagegen eine aufkommensneutrale Steuerstrukturreform der Unternehmensbesteuerung, wie sie auch in anderen Ländern erfolgt ist. Die wesentlichen Elemente einer solchen Reform sind: Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bei gleichzeitiger Senkung der Steuersätze,

(Michael Glos [CDU/CSU]: Sie müssen sagen, was Bemessungsgrundlage ist!)

Steuervereinfachung und -vergünstigung für wieder
investierte Gewinne im Verhältnis zu den ausgeschütteten Gewinnen. Dabei sind gleichzeitig ökologische Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
Bei der Gegenbuchung war die Bundesregierung nicht besonders erfolgreich. Die Steuermindereinnahmen sollten durch den Abbau von Steuervergünstigungen und durch Subventionsabbau ausgeglichen werden. Der Subventionsabbau hat sich als Flop erwiesen. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Subventionsabbau vorwiegend um Subventionen, die ohnehin auslaufen sollten, um den Verzicht auf die Erhöhung von Subventionen und um die erneute Einbeziehung bereits beschlossener Maßnahmen.
Die Anhebung der Umsatzsteuer steht bei der Bundesregierung nicht zur Disposition, obwohl ebenfalls von vielen Experten erhebliche Kritik geäußert worden ist. Der mit der Mehrwertsteuererhöhung verbundene Preisschub kann leicht eine Inflationsdynamik auslösen, welche die Bundesbank zu noch schärferen Stabilitätsmaßnahmen zwingen würde. Hinzu kommt: Die Einnahmeverbesserung über die Erhöhung der Mehrwertsteuer ist sozial unausgewogen. Sie trifft die sowieso schon stark belasteten Durchschnittshaushalte besonders stark.
Wir fordern deshalb von der Bundesregierung, auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer zu verzichten. Es gibt Alternativen zur Erhöhung der Mehrwertsteuer: Die Beibehaltung einer Ergänzungsabgabe für relativ hohe Einkommen, der Verzicht auf die Nettoentlastung der Unternehmen und die Einführung einer verfassungskonformen Kapitalertragsteuer erbringen zusätzliche Steuereinnahmen, die den Verzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung kompensieren würden.

(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und der SPD)

Hauptsächlich im Verteidigungshaushalt sind weitere Kürzungen zu erzielen.
Das Konzept der Bundesregierung ist aber Umverteilung zu Lasten der unteren Einkommen. Die Verbesserung des Famlienlastenausgleichs wurde erst durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts möglich. Das Gericht fordert aber, das Existenzminimum von der Besteuerung freizustellen. Die Anhebung des Kinderfreibetrages ist also erst ein Schritt in die richtige Richtung. Der Auftrag der Verfassungshüter wird damit nur ungenügend umgesetzt. Die Freibeträge müssen noch weiter erhöht werden.
Auch das sozialpolitische Ziel, die Familien zu entlasten, ist noch längst nicht erreicht. Familien mit niedrigen Einkommen werden durch steuerliche Entlastungen nicht angemessen erfaßt. Dies gilt in besonderem Maße für die Menschen in den neuen Bundesländern. Deshalb bleibt die Bundesregierung auch hier in der sozialpolitischen Pflicht.
Wie gesagt, die Finanzpolitik der Bundesregierung bedarf erheblicher Korrekturen. Ich möchte die wesentlichen Punkte zusammenfassen:
Erstens muß der Verteidigungsetat stärker in die Konsolidierung des Staatshaushaltes einbezogen werden. Wir verlangen neben einer stärkeren Kürzung des Ansatzes eine mittelfristige Planung mit dem Ziel einer Halbierung des Rüstungsetats bis 1995.



Werner Schulz (Berlin)

Zweitens muß die Steuerpolitik der Bundesregierung wieder stärker dem Prinzip der Gerechtigkeit unterstellt werden. Es darf nicht sein, daß die Bundesregierung erst durch das Verfassungsgericht zur Beseitigung von Ungerechtigkeiten gezwungen wird. Die Korrekturen beim Familienlastenausgleich, bei der Zinsbesteuerung, beim Finanzausgleich sind allein verfassungsrechtlichem Zwang zu verdanken.
Drittens muß eine zukünftige Reform des Steuersystems auch ökologische Gesichtspunkte berücksichtigen. Die steuerpolitischen Instrumente sind auf eine Reduzierung der Umweltbelastung auszurichten. Durch Ökosteuern und -abgaben soll ein Anreiz für umweltschonende Produktion und Konsumption geschaffen werden.
Viertens müssen endlich Subventionen auf allen Ebenen abgebaut werden. Hier ist die Bundesregierung bisher fast alles schuldig geblieben. Die Ausgabenpolitik muß wieder stärker durch Sparsamkeit bestimmt werden.
Fünftens ist es notwendig, dem wirtschaftlichen Umbau in den neuen Bundesländern ein klares finanzpolitisches Fundament zu geben. Die zusammenhanglosen und widersprüchlichen Maßnahmen der Bundesregierung bieten bis jetzt keine geeignete Grundlage für einen wirtschaftlichen Aufschwung.
Sechstens ist eine schnelle Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern unabdingbar. Die Finanzausstattung der Länder und Gemeinden muß der finanzpolitischen Situation von Bund, Ländern und Gemeinden nach der Vereinigung angepaßt werden. Es muß eine Lösung gefunden werden, die den noch lange bestehenden Strukturunterschieden zwischen den Bundesländern gerecht wird und die Lasten angemessen auf Bund und Länder überträgt. Die jetzt hoffentlich in Gang kommende Verfassungsdebatte muß dieses Problem aufgreifen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/GRÜNE, bei der SPD und der PDS/Linke Liste)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205902200
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel.

Dr. Theodor Waigel (CSU):
Rede ID: ID1205902300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die zweite Lesung des Bundeshaushalts 1992 ist noch jung, aber das meiste von dem, was die Opposition, auch der Kollege Schulz, jetzt geboten hat, hört sich schon sehr alt an, ist weder neu noch originell.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich wäre dankbar, Herr Kollege Schulz, wenn Sie wenigstens einige Zusammenhänge zur Kenntnis nähmen. Zum Beispiel ist die Unternehmensteuerreform genauso aufkommensneutral, wie Sie es gefordert haben. Das, was den Betrieben und Unternehmen an Entlastung gegeben wird, wird bereits ein Jahr zuvor durch Kürzung der Steuersubventionen finanziert. Genau diese aufkommensneutrale Finanzierung mit einer Strukturänderung, mit einer Wachstumsförderung, mit einer neuen Struktur im Steuersystem, um den Wettbewerb zum 1. Januar 1993 für unsere Betriebe im europäischen Bereich erträglicher zu machen, das ist die Konzeption. Und es ist schlichtweg falsch, wenn Sie das in Zusammenhang bringen mit der Mehrwertsteuererhöhung. Außerdem: Wer sagt Ihnen denn, daß eine Mehrwertsteuererhöhung mit einem gleichbleibenden, ermäßigten Steuersatz unsozial sei? Es ist die erste geplante Mehrwertsteuererhöhung, bei der der ermäßigte Steuersatz bleibt und genau damit die soziale Komponente zum Ausdruck kommt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Weder Sie noch ein anderer Kollege kann doch bestreiten, daß die 15 % das sind, was auf europäischer Ebene sozusagen das Unterste ist, was an Harmonisierung insgesamt denkbar ist. Die Länder, die in Europa lange Zeit und auch jetzt noch sozialdemokratisch oder sozialistisch regiert werden, haben wesentlich höhere Mehrwertsteuersätze, und sie verlangen von uns, daß wir eher mit der Mehrwertsteuer nach oben gehen, um die notwendige Harmonisierung im europäischen Bereich herzustellen. Wenn Sie sich auch noch mit Steuerstruktur beschäftigen, dann können Sie doch nicht leugnen, daß sich das Verhältnis von etwa 50 zu 50 zwischen direkten und indirekten Steuern in den 50er Jahren zuungunsten der direkten Steuern laufend verschlechtert hat und wir heute bei fast 60 % direkten und etwa 40, 42 % indirekten Steuern sind und daß eine Ausgewogenheit auch ein vernünftiges, leistungsfreundliches und investitionsfreundliches Steuerrecht bedeuten würde.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Darüber, meine Damen und Herren, sollten wir doch endlich einmal in ein konstruktives Gespräch eintreten, anstatt die alten Rituale fortzusetzen und die alten Platten abzuspielen. Bei der SPD spüre ich doch, daß da auch Bewegung ist. Wenn sie aufnehmen, was Oskar Lafontaine damals in seinem Steuerprogramm entwickelt hat, wären ja Elemente darin. Sie müssen sich nur daran erinnern. Auch andere von Ihnen haben auf die Notwendigkeit einer Unternehmenssteuerreform hingewiesen und darauf verwiesen, daß wir die deutschen Unternehmen hier nicht im Regen stehenlassen dürfen. Es nützt uns überhaupt nichts, hier eine Polemik zwischen Groß- und Kleinoder zwischen Groß- und Mittelbetrieben aufzurichten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Denn, meine Damen und Herren, die vielleicht nicht so häufigen, wenigen Großbetriebe beschäftigen Millionen von Arbeitern. Um deren Sicherheit, um deren Arbeitsplatz in Europa geht es uns. Unsere Politik, unsere Steuerpolitik muß so aussehen, daß wegen der Steuerpolitik, wegen der Steuerhöhe, wegen der Steuersätze nicht ein Arbeitsplatz bei uns verlorengeht und daß nicht deswegen Kapital woanders hingeht, anstatt bei uns für Arbeitsplätze zu sorgen. Das ist die Grundphilosophie unserer Steuerpolitik

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und nichts anderes.

Es geht jetzt einfach darum: Wir wollen und wir müssen in den nächsten Wochen zu einem vernünftigen Konsens kommen, um die steuerpolitischen Grundlagen für den Rest dieser Legislaturperiode miteinander zu vereinbaren. Dazu ist es notwendig, daß



Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Regierung und Opposition aufeinander zugehen, sonst kommt es nicht zu den Dingen. Der Bundeshaushalt wird verabschiedet. Wenn der Bundeshaushalt nicht verabschiedet würde, könnte der Finanzminister eine Zeitlang auch mit der vorläufigen Haushaltsführung ganz gut leben.

(Zurufe von der SPD)

Nur, man muß genau wissen, was dann nicht kommt. Wer sich diesem gemeinsamen Vermittlungsbegehren verweigert, würde die Verantwortung dafür übernehmen, daß zum 1. Januar 1992 der Familienlastenausgleich nicht in Kraft gesetzt werden könnte,

(Zuruf von der CDU/CSU: Zum Beispiel!)

und er wäre auch für manches andere verantwortlich.
Meine Damen und Herren, wenn wir zu einem Zeitpunkt, wo die Finanzpolitik keine einfache Angelegenheit ist, den Familienlastenausgleich um 7 Milliarden DM verbessern, wenn wir einen Ressourcentransfer von West nach Ost in einer Größenordnung von etwa 100 Milliarden DM durchführen, wenn wir in diesem Zeitraum mehr als 10 Milliarden DM — 15 bis 18 Milliarden DM — für unsere Solidarität am Golf zur Verfügung stellen, wenn wir den entscheidenden Beitrag für den Aufbau von Freiheit, Demokratie, Menschenwürde und Sozialer Marktwirtschaft in Mittel- und Osteuropa und auch für die Völker der Sowjetunion erbringen, dann, meine Damen und Herren, muß es auch erlaubt sein, über ein Stück Einnahmeverbesserung von einem Punkt Mehrwertsteuer ab 1. Januar 1993 nachzudenken. Ich glaube, das ist die Solidarität, die wirklich allen zumutbar ist, zumal sicher ist, daß der Solidaritätszuschlag im nächsten Jahr wieder wegfällt, und mit dieser Solidarität auch eine Verbreiterung der Einnahmebasis für die Länder verbunden ist. Ich will diejenigen Länder — auch die sozialdemokratisch regierten — , die den einen Punkt Mehrwertsteuer schon in ihrer mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen haben, allerdings unter anderem Etikett, gar nicht aufzählen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich kann mit der Kritik, die Sie vorgetragen haben, gut leben. Nur, meine Damen und Herren, eines ist nicht legitim — wer immer das nun äußert, komme es von der Opposition, komme es von Finanzkreisen oder von wem auch immer, das lasse ich so nicht stehen — : so zu tun, als ob wir uns jetzt in der Situation von 1975 oder von 1981 oder 1982 befänden.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Schlimmer!)

— Entschuldigung, haben Sie die deutsche Einheit verschlafen?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Finanzziffern von heute sind besser als die ökonomischen Daten des Jahres 1975, und sie sind besser als die ökonomischen Daten von 1981 und 1982. Nur, wir bewältigen die deutsche Einheit und tragen zum Aufbau von Demokratie in ganz Europa bei. Wegen dieser Schulden und dieser Investitionen brauchen wir uns
nicht zu schämen, und wir lassen sie uns von Ihnen auch nicht vorhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

1981 und 1982 sind die Weltökonomen Schmidt und Lahnstein mit einem ausgebliebenen Ressourcentransfer der erdölexportierenden Länder von 20 Milliarden DM nicht fertig geworden. Das hat damals zur größten Wirtschaftskrise der Bundesrepublik Deutschland geführt. In den Jahren 1991 und 1992 bewältigen wir einen Ressourcentransfer von über 100 Milliarden DM von West nach Ost und finanzieren die anderen Dinge auch noch. Die Geld- und Kreislaufwirtschaft ist stabil; wir haben eine Preissteigerungsrate von 3,5 %, was noch zu hoch ist, aber sich angesichts der Anspannung trotzdem noch sehen lassen kann. Wir sind Wachstumslokomotive Nummer eins in Europa und in der Welt. Wir haben die höchste Ersparnisquote aller Industrieländer überhaupt. Meine Damen und Herren, da haben wir doch eine fünfmal so große Anforderung anders bewältigt, als Sie die Minianforderungen der Jahre 1981 und 1982 bewältigt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie schaffen es ja nicht einmal, Ihre Kritik ohne Widersprüche zu formulieren. Während Frau Kollegin Matthäus-Maier den verbalen Kreuzzug für mehr Ausgabendisziplin führt, versuchen Sie über die Mehrheit der SPD-Länder im Bundesrat dem Bundeshaushalt zusätzliche Lasten aufzubürden. Damit müssen Sie erst einmal fertig werden. Der Kollege Roth beklagt das Scheitern des Subventionsabbaus, während sein Kollege von Larcher am 12. November 1991 im Sozialdemokratischen Pressedienst Wirtschaft über den Wegfall der Sonderabschreibungen für die Land- und Forstwirtschaft lamentiert. Ignaz Kiechle wird sich freuen. Aber trotzdem frage ich: Was ist das für eine Finanz- und Subventionsabbaupolitik, die in sich so widersprüchlich ist? Während die SPD beklagt, wir würden noch zuwenig finanzielle Hilfen für die jungen Bundesländer bereitstellen, spricht Ministerpräsident Scharping davon, daß die vorgesehene Umleitung der Strukturhilfe an die jungen Bundesländer ein Diebstahl sei. Ist das auch ein Beitrag zum Thema Überwindung der Teilung durch Teilen?
Hier zeigt sich das ganze finanzpolitische Dilemma der SPD. Sie sind damals mit zwei Ölpreiskrisen in einer Größenordnung von 20 bis 30 Milliarden DM nicht fertig geworden. Man stelle sich einmal vor, Sie hätten Ihre Politik 1981 oder 1982 fortgesetzt. Ihr öffentliches Defizit hätte doch die Größenordnung — ich will hier jetzt kein anderes Land in Europa nennen — von immerhin etwa 10 % des Bruttosozialprodukts erreicht. Das wäre doch eingetreten, wenn Sie die Probleme — deutsche Einheit, 450 000 Pendler von Ost nach West und weitere Probleme, die wir in den letzten Jahren bewältigt haben — hätten lösen müssen. Sie wissen doch ganz genau: Wenn die deutsche Einheit nicht gekommen wäre — Gott sei Dank ist sie gekommen — , dann hätten wir heute eine Situation, in der seit dem Jahre 1969 wahrscheinlich zum erstenmal Überschüsse der öffentlichen Kassen insgesamt vorhanden wären. Das ist die Folge davon, daß wir in der Zeit von 1982 bis 1989 konsequent eine solide Politik gemacht haben. Mit dem Ergebnis die-



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ser Politik, mit den aufgelaufenen Ressourcen können wir jetzt die Probleme bewältigen, ohne die Volkswirtschaft, ohne die Geld- und Kreditmärkte überfordern zu müssen.

(Zuruf von der FDP: Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, Sie brauchen mir keinen Nachhilfeunterricht über den Umgang im internationalen Bereich zu geben. Lesen Sie einmal nach, was die OECD zu unserer Finanz- und Wirtschaftspolitik gesagt hat. Der Managing Director des IWF, Michel Camdessus, hat uns ausdrücklich eine ausgezeichnete Arbeit bestätigt. Der IWF sagt in dem Zusammenhang: Verdeutlicht eure mittelfristige Finanzplanung noch stärker! Wenn wir unser Konsolidierungsprogramm bis 1995 innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und auch international vorstellen, dann, meine Damen und Herren, werden wir genau dem gerecht, und ich bin dankbar dafür.
Ich will auch etwas zur Treuhandanstalt sagen: Natürlich, meine Damen und Herren, steht die Treuhandanstalt in der Diskussion. Natürlich werden wir uns immer wieder mit diesem oder jenem Fall zu beschäftigen haben, wird es auch Anlaß zur Kritik geben. International — vom IWF über die Weltbank bis hin zu Jelzin und anderen Persönlichkeiten in der Sowjetunion, bis hin zu Attali, dem Präsidenten der Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London — sagt jeder: Das ist die größte und erfolgreichste Privatisierungsaktion in der Wirtschaftsgeschichte. Wenn es in eineinhalb Jahren gelungen ist, 16 000 bis 17 000 Kleinbetriebe zu privatisieren, wenn es im gleichen Zeitraum gelungen ist, über 3 500 Großbetriebe und Beteiligungen zu privatisieren, dann ist das insgesamt ein großartiger Erfolg. Und, meine Damen und Herren: Wir werden an dem Prinzip „privatisieren, sanieren — wo Privatisierung langfristig möglich ist — und behutsam stillegen" festhalten. Man kann nicht — wie Sie, Herr Schulz — auf der einen Seite das Ausufern von Defiziten beklagen und auf der anderen Seite Strukturpolitik für die Treuhandanstalt fordern. Das steht im Widerspruch zueinander.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie fordern, es müsse mittelfristig alles genau festgelegt werden. Ich weiß, auch in den neuen Bundesländern besteht — verständlicherweise — die Forderung, sozusagen einen mittelfristigen Einnahmekorridor bis 1995 festzulegen. Meine Damen und Herren, am Ende des letzten Jahres waren es 20 Milliarden DM weniger, die wir insgesamt ausgegeben haben. Ende dieses Jahres werden es 6 bis 7 Milliarden DM sein. Wenn ich die 5 Milliarden DM, die wir der Bundesanstalt zur Verfügung stellen, noch einrechne, wären es über 10 Milliarden DM. Und die Defizite der jungen Bundesländer werden in diesem Jahr nicht, wie ursprünglich gerechnet, 16 Milliarden DM betragen, sondern wahrscheinlich wesentlich unter 10 Milliarden DM liegen.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr erfreulich!)

Also kann ich doch nicht im Jahre 1991 aufs I-Tüpfelchen sagen, was im Jahre 1995 möglich, notwendig und unabdingbar sein wird; vielmehr müssen wir auf Sicht fahren.
Wir haben für 1991 und 1992 — das bestätigen mir die Länder und auch die Kommunen im Osten Deutschlands — einen ausreichenden Standard geschaffen. Was wir dann 1993/94 tun, tun müssen — ich sehe auch Handlungsbedarf — , können wir doch frühestens im Frühjahr oder Mitte nächsten Jahres feststellen, wenn wir die Abschlußzahlen, wenn wir die neuen Daten vorliegen haben und die angemeldeten Bedürfnisse in den neuen Bundesländern kennen. Ich kann das doch nicht auf drei Jahre festlegen.
Das, Herr Schulz, ist halt der Unterschied bei einer Marktwirtschaft. Wenn man die nämlich richtig anpackt, wird man mitunter von der Entwicklung positiv überholt. Das ist mir allzumal lieber, als mich in ein starres Schema zu begeben und mich dann möglicherweise negativ überholen lassen zu müssen, wie es bei Planwirtschaften der Fall ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Für den öffentlichen Gesamthaushalt hatten wir in den Eckwertbeschlüssen vom November 1990 für das öffentliche Defizit 140 Milliarden DM als Ziel und Obergrenze festgelegt. Das haben viele als illusionär bezeichnet. In einem Wettlauf der Schwarzmalerei — typisch deutsch — wurden dann Prognosen bis zur Grenze von 200 Milliarden DM angeboten. Im Ergebnis wird das Defizit der öffentlichen Haushalte allenfalls 135 Milliarden DM, 4,5 To des Bruttosozialprodukts, ausmachen. Auch hier geistert, selbst international, noch die Zahl umher: Es werden 5,5 % sein. Nein! Es werden 4,5 % sein, vielleicht sogar etwas weniger. Und die tatsächliche Inanspruchnahme der Kreditmärkte wird deutlich darunter bleiben. Der Bund hat jetzt, dank der Vorratskredite vom vorigen Jahr, bisher nur rund 27 Milliarden DM aufgenommen. Bei den öffentlichen Haushalten insgesamt waren es bis Ende Oktober 70 Milliarden DM, davon 0,2 Milliarden DM bei den neuen Bundesländern.
Mit 4,5 % Defizit liegen wir um 2,5 bis 3 % über dem Durchschnitt in der zweiten Hälfte der 80er Jahre. Das ist kein Anlaß zur Selbstzufriedenheit. Aber ich halte es für bemerkenswert, wenn sich ein Jahr nach der Herstellung der Einheit nur rund die Hälfte des Transferbedarfs der jungen Bundesländer in der öffentlichen Kreditaufnahme wiederfindet.
Es wird ja völlig vergessen, daß wir von 1990 bis 1992 in den Nachtragshaushalten und in den ordentlichen Haushalten ein Konsolidierungsprogramm mit einem Aufwand von etwa 60 Milliarden DM durchgesetzt haben. Vielleicht haben wir das zuwenig verkauft;

(Dr. Alfred Dregger [CDU/CSU]: So ist es!)

vielleicht haben wir das zuwenig spektakulär gemacht. Aber wir haben es systematisch in jeden Haushalt, in jeden Nachtragshaushalt eingearbeitet. Das ist die Summe von Einsparungen und Umschichtungen, die damit erreicht ist.
Ein Ausgabenanstieg von nur 2,9 % beim nominalen Zuwachs des Bruttosozialprodukts, der wesentlich höher ist, zeigt doch den Konsolidierungsspielraum,



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den wir auch jetzt und vor allem in den nächsten Jahren wieder schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Daß es dem Haushaltsausschuß gelungen ist, den Anstieg nochmals zu reduzieren und unter 3 % zu bringen, ist eine großartige Leistung.
Ich bin selber Haushälter und bin stolz darauf, mit diesen hervorragenden Kameraden von links bis rechts, eher von rechts bis links,

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Von rechts bis zur Mitte!)

gut zusammengearbeitet zu haben. Aber ein bißchen, lieber Kollege Weng, haben Sie sich um die Früchte Ihrer Arbeit gebracht. Wenn man nämlich 5 Milliarden DM einsparen will und es dann nur 4,9 Milliarden DM sind, dann würde ich das als einen großen Erfolg darstellen, statt zu sagen: Wir sind unter der Zielvorstellung geblieben. Also von der Semantik und der Darstellung her hat dieser Haushaltsausschuß, vor allem die Koalition,

(Zuruf des Abg. Joachim Poß [SPD])

— Sie waren nicht so toll beteiligt, aber immerhin auch —

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

eine großartige Arbeit geleistet. Darauf darf der Haushaltsausschuß stolz sein. Ich danke Ihnen dafür.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Daß in den letzten Wochen Kapital nach Deutschland zugeflossen und nicht abgeflossen ist, hängt damit zusammen, daß wir und nicht Sie die Finanzpolitik gestalten.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ja, so ist es, genau so!)

Denn am 27. Juni dieses Jahres, als das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Zinsbesteuerung erging, hat mancher gesagt: Mönchlein, Mönchlein, du gehst einen schweren Gang.

(Zuruf von der SPD: Vergleichen Sie sich mit Luther?)

—Nein, mit Luther vergleiche ich mich nicht, weder in der Sprache noch in manch anderen Dingen, obwohl der sehr aufrüttelnd war und Deutschland gutgetan hat. Das sage ich auch als Katholik.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Jedem seinen Ratzinger!)

— So fromm bin ich nicht. Aber im Rahmen der sozialdemokratischen Finanzminister kann ich mich sehen lassen. Da habe ich keine Sorge.
Es gab da eine Karikatur. Es wurden zwei Räuber
— nicht ganz gut aussehend — dargestellt. Der eine sollte ich sein, der andere der Bundeskanzler, was eine Gemeinheit ist; mit dem Finanzminister darf man vielleicht noch so umgehen. Diese beiden Personen räubern jemanden aus. Ich habe eine Pistole in der Hand, und das arme Opfer sagt: Hör auf zu zittern,
Theo! — Das war die Angst vor der Zinsbesteuerung.
Meine Damen und Herren, wir haben das so gelöst, daß alle Welt zufrieden ist. Die Banken machen mit und haben die Lösung positiv gewürdigt. Es fließt Kapital zu. Der Freibetrag wurde um das Zehnfache erhöht. Sie von der SPD wollten nur auf das Fünffache gehen. Wir wollen daran nicht profitieren. Der Kapitalmarkt hat sich entspannt, die Menschen sind zufrieden. Wir haben das wirklich gut gemacht!

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das ist Rabulistik in Vollendung!)

— Immerhin etwas in Vollendung. Sie wären ja froh, wenn Sie wenigstens ein Rabulist wären!
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zu den besonderen Finanzierungsinstrumenten sagen. Auch hier werden immer wieder Katastrophenszenarien entworfen.
Die Kreditaufnahme des öffentlichen Gesamthaushalts von voraussichtlich höchstens 135 Milliarden DM enthält auch die Neuverschuldung des Fonds Deutsche Einheit und des Kreditabwicklungsfonds. Es ist schlichtweg unwahr, uns die Verschleierung von Finanzierungsaufgaben zu unterstellen. Das kann nur jemand tun, der Haushalte nicht lesen kann.
In jeder Debatte und bei jeder öffentlichen Veranstaltung weisen wir auf die Zahlen hin, die die Gesamtfinanzierungslasten beschreiben. Ich halte es auch für meine Pflicht, ein realistisches Bild zu zeichnen. Es hat überhaupt keinen Sinn, die Dinge zu schönen.
Unsere Bücher liegen offen. Wir haben keinen Grund, die traurige Hinterlassenschaft des Kommunismus zu verbergen. Den Fonds Deutsche Einheit zu den angeblich geheimen Schattenhaushalten zu rechnen ist abwegig. Bund und Länder stehen gemeinsam für dieses Finanzierungsinstrument ein, das auf Wunsch der Länder geschaffen wurde.
Ich hätte mir auch eine andere Lösung vorstellen können. Damals hatten Sie von der SPD die Mehrheit im Bundesrat. Eine andere Lösung habe ich aber nicht bekommen.
Der Kreditabwicklungsfonds hat die Aufgabe, die verschiedenen öffentlichen Schulden der früheren DDR zusammenzufassen und zu ordnen. Sobald diese Aufgabe gelöst ist, wird er auf die Gebietskörperschaften übertragen. Bereits heute zahlen Bund und Treuhandanstalt die Zinsen für die im Kreditabwicklungsfonds zusammengefaßten Verpflichtungen. Wir haben in der mittelfristigen Finanzplanung dafür Vorsorge getroffen; wir haben hierfür Zahlen eingesetzt.
Der Entschädigungsfonds wird den Bundeshaushalt in der Endabrechnung nicht belasten. Was an Liquiditätshilfen in den ersten Jahren notwendig ist, fließt später aus der Vermögensabgabe wieder zurück.
Zur Treuhandanstalt. Sie werfen mir vor, daß ich sie dem privaten Sektor zurechne. Das tut das Statistische Bundesamt, und zwar ohne jede Weisung der Bundesregierung. Denn es ist doch ganz klar: Wenn eine hun-



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dertprozentige Staatswirtschaft in eine Privatwirtschaft übergeführt werden soll, dann kann ich sie während dieser Zeit nicht dem Staat zuordnen. Im Grunde ist die Treuhandanstalt nichts anderes als eine große private Industrieholding, für die allerdings der Bund — und dazu stehe ich — die Verantwortung tragen muß. Wir tun dies auch deswegen, damit bei der Kreditaufnahme kein teureres Geld aufgenommen werden muß, sondern der Bund als eine erstklassige Adresse zur Verfügung steht.
Meine Damen und Herren, bis zum Jahresende ist bei der Treuhandanstalt ein Defizit von 25 Milliarden DM entstanden. In den kommenden Jahren wird sich der Kreditbedarf der Treuhandanstalt auf jährlich rund 30 Milliarden DM belaufen. Diese Kredite sind als Investitionen in die wirtschaftliche Zukunft des Beitrittsgebiets volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich gut begründet. Was die Treuhandanstalt leistet, zahlt sich vor allem außerhalb ihres Unternehmensbereichs aus: in steigendem Wachstum, zunehmender Beschäftigung und zunehmender Nachfrage.
Demgegenüber ist ein betriebswirtschaftlicher Gewinn oder auch nur ein Ausgleich von Kosten und Erträgen nicht zu erwarten. Dafür waren die Zerstörungen an der betrieblichen Substanz und die Verschwendung menschlicher und ökologischer Ressourcen zu groß.
Für die Verpflichtungen, die am Ende in der Schlußbilanz der Treuhandanstalt stehen werden, werden die öffentlichen Haushalte aufkommen. Aber wenn wir der Treuhandanstalt die Chance geben, ihre Aufgaben wirksam zu erfüllen, werden uns diese Verpflichtungen bei künftig wesentlich gestärkter Wirtschaftskraft nicht überfordern. Schließlich stehen auch Vermögens- und Grundstückswerte dagegen, die bei der Belastungs- und Beleihungsfähigkeit betriebswirtschaftlich und volkswirtschaftlich ebenfalls gegengerechnet werden müssen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zu einem Thema sagen, das uns natürlich alle unglaublich berührt und beschäftigt, zum Thema Sowjetunion und der Entwicklung der Republiken in der Sowjetunion. Zu den zentralen Aufgaben der kommenden Jahre gehören auch die Unterstützung und Begleitung der Reformprozesse in Mittel-, Ostund Südosteuropa. Es geht um die Sicherung der Liquidität und des Zugangs zu den internationalen Finanzmärkten sowie um umfassende marktwirtschaftliche Reformen und um die Sanierung der Staatshaushalte. Das sind die zentralen Ansatzelemente einer erfolgreichen Neuorientierung im ehemals kommunistischen Machtbereich.
Es war interessant, daß der erste frei gewählte russische Präsident, Jelzin, in seiner Tischrede im Palais Schaumburg davon sprach, das erste Buch, das er gelesen habe, um sich auf Wirtschaftsreformen vorzubereiten, sei das Buch von Ludwig Erhard gewesen. Ich habe mir gedacht: Der Mann ist weiter als ein Teil der Sozialdemokratie in Deutschland.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben beim Gipfel in London, bei der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds, beim G-7-
Treffen in Bangkok und durch bilaterale Gespräche die westöstliche Zusammenarbeit auf den richtigen Weg gebracht.
Meine Damen und Herren, es hat sich gelohnt und es war richtig, daß ich während des ganzen Jahres immer wieder darauf hingewiesen habe: Das größer gewordene, vereinte Deutschland ist bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen. Niemand wird uns sagen können, daß unsere internationale Solidarität, sei es am Golf, sei es in der Entwicklungshilfe, sei es in anderen Bereichen, gelitten habe. Nur mußte unseren Freunden, unseren Partnern und den anderen Weltwirtschaftsmächten ebenfalls eines gesagt werden: Dem entspricht natürlich auch eine internationale Lastenteilung, d. h. ein „burden sharing" , das nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in Europa und gegenüber der Sowjetunion Platz greifen muß.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich freue mich, daß wir uns darüber einig sind: Was wir in Deutschland für die Wiedervereinigung, für den Aufbau von Marktwirtschaften und Demokratie in Osteuropa und auch für die Republiken und Völker der Sowjetunion tun, geht über unser nationales Interesse hinaus. Die Vereinigten Staaten und andere hätten ihre richtige und notwendige Politik, die UNO hätte die Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion in einer entscheidenden Krise des letzten Jahres nicht leisten können, wenn wir nicht unseren ökonomischen und finanziellen Beitrag geleistet hätten. Wir haben ihn in unserem Interesse, aber auch im Interesse anderer geleistet. Jetzt ist es endlich gelungen, die Hilfen für die Sowjetunion, die Nahrungsmittelhilfe, die technische Hilfe und die humanitäre Hilfe, aber auch die Maßnahmen zur Beseitigung der Liquiditätsprobleme und die Anpassungsprogramme auf eine breitere Basis zu stellen und eine Europäisierung und eine Internationalisierung dieser Frage zu erreichen. Das ist der Erfolg unserer Bemühungen in den letzten Monaten; und das war wichtig für uns.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich darf in diesem Zusammenhang — ich hoffe, Sie sehen mir das nach — auch einmal meinem Staatssekretär Köhler für die unglaubliche, erfolgreiche Arbeit auf diesem Gebiet danken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Immerhin ist ein Übereinkommen erzielt worden. Acht Republiken, darunter die großen Devisenverdiener Rußland und Kasachstan, haben ihre gesamtschuldnerische Haftung für 100 % der Altschulden der Sowjetunion erklärt. Das war und ist für uns die Basis jeder weiteren Hilfsmaßnahme.
Durch Tilgungsaufschub bei öffentlich garantierten Krediten sowie durch eine liquiditätssichernde Goldfazilität von bis zu einer Milliarde Dollar wird die Zahlungsfähigkeit der sowjetischen Außenwirtschaftsbank flankiert.
Unsere Strategie der Hilfeleistung unter genau definierten Voraussetzungen erweist sich trotz des vielfach unüberlegten Krisengeredes als erfolgreich. Die



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Unterzeichnung der Haftungserklärung hat gezeigt: Es gibt bei den Republiken ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft. Hierauf müssen wir bauen.
Wir müssen auch die zusätzlichen Leistungen und die Szenarien sehen, unter denen wir in Anspruch genommen werden. Die zusätzlichen Belastungen für den Bundeshaushalt 1992 aus den vereinbarten Liquiditätshilfen bleiben begrenzt. Sie werden sich auf etwa eine Milliarde DM für die Inanspruchnahme aus Gewährleistungen belaufen. Wir wollen diesen Betrag unter Berücksichtigung der Schadensentwicklung 1991 aus dem vorhandenen Verfügungsrahmen finanzieren.
Der unkontrollierte Zusammenbruch der Finanzbeziehungen hätte demgegenüber für die Sowjetrepubliken und für uns wesentlich gravierendere Folgen.
Meine Damen und Herren, das größte Risiko für unser Land und für unsere öffentlichen Haushalte würde sich ergeben, wenn wir im Osten oder im Westen von unserem wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs abweichen würden. Dann wären Wachstum, Beschäftigung und Stabilität tatsächlich ernsthaft gefährdet.
Professor Karl Jürgensen vom Hamburger Institut für Integrationsforschung hat in der letzten Ausgabe der „Welt am Sonntag" überzeugend die guten Voraussetzungen für die ökonomische Bewältigung der Einheit beschrieben. Vor allem der hohe Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen in den letzten Jahren, der erhebliche Leistungsbilanzüberschuß bis 1990 und die überdurchschnittliche Sparquote ermöglichen es unserer Volkswirtschaft, mit den zusätzlichen Anforderungen ohne Verspannungen fertig zu werden.
Darüber hinaus hat die Nachfragesteigerung durch die Einheit die Konjunkturentwicklung verstetigt und so den Start in den Binnenmarkt 1993 erleichtert. Bei der höheren staatlichen Kreditaufnahme sei — so die Ausführungen von Jürgensen — die zukunftsgerichtete, wachstumsfördernde Verwendung in Rechnung zu stellen. Und darin unterscheidet sich die Situation Deutschlands von der anderer Länder.
Nach neun Jahren ununterbrochenen Aufschwungs rechnen die in- und ausländischen Experten im nächsten Jahr mit einem realen Wachstum der deutschen Volkswirtschaft von 2 bis 2,5 %.
Meine Damen und Herren, wenn man die Verlangsamung beklagt, dann muß man ja immer sehen, auf welchem Sockel das stattfindet: nämlich auf einem Sockel, der in diesem Jahr doch eine ungeheure Dynamik hatte und in der ersten Hälfte auf weit über 4 % lag und fast an die 5 % gelangt ist. Wenn es uns hier auch im nächsten Jahr gelingt, noch 2 bis 2,5 % zuzulegen, dann ist das ein großartiger Erfolg.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Eine vorübergehende Wachstumsverlangsamung ist keine Konjunkturschwäche. Nach dem Urteil der Fachleute bleiben wir auf Wachstumskurs.
Aber wir dürfen unsere Volkswirtschaft nicht überfordern.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: So ist es!)

Bisher ist es trotz der gewaltigen Zusatzaufgaben gelungen, den gesamtwirtschaftlichen Rahmen einzuhalten. Preissteigerungsraten und Zinsen sind heute etwas höher als vor der Vereinigung. Dennoch sind 1991 die langfristigen Zinsen in Deutschland niedriger als in allen anderen EG-Staaten. Auch beim Preisanstieg liegen wir mit einer Steigerungsrate von zur Zeit 3,5 % deutlich unter dem EG-Durchschnitt.
Meine Damen und Herren, gerade die Stabilität ist natürlich Ausfluß einer sehr stringenten Stabilitätspolitik der Bundesbank. Aber daß die langfristigen Zinsen gesunken sind — trotz zweimaliger Leitzinserhöhungen — , spiegelt das Vertrauen in die Finanzpolitik dieser Regierung wider. Und das sollte man sehen: Das Ausland traut uns zu, die Dinge zu lösen — trotz des Krisengeredes inner- und außerhalb Deutschlands.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es wird allerdings eine harte Arbeit sein, den Ausgabenanstieg des Bundes im Jahresdurchschnitt um nur 2,3 % wachsen zu lassen. Darin steckt mehr Konsolidierung als in der einen oder anderen spektakulären Aktion.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Darauf werden sich wohl erst alle Ressorts und auch alle Politiker in diesem Hause einstellen müssen.

(Hans H. Gattermann [FDP]: Sehr gut!)

Meine Damen und Herren, ich sehe schon die Herrschaften, die auf der einen Seite sagen, der Finanzminister müsse ein Herz aus Stein haben, und auf der anderen Seite läßt sich der Charme der Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen gar nicht unterschätzen, mit dem sie dann doch versuchen, den Stein wieder zu erweichen. Aber ich gebe dem Bundesvorsitzenden der FDP recht: Es muß ein Herz aus Stein bleiben, vor allen Dingen gegenüber den Wünschen der eigenen Kabinettskollegen, aber natürlich auch gegenüber denen der CDU und der CSU.

(Beifall des Abg. Dr. Klaus Rose [CDU/CSU] — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wo ist denn der Mümmelmann?)

Ein Schlüssel zum Erfolg liegt in der Tarif entwicklung dieses und des nächsten Jahres.

(Hans H. Gattermann [FDP]: Das ist wohl wahr!)

Das ist ein entscheidender Faktor. In den Verhandlungen der Tarifpartner liegt der Schlüssel für die Stabilität und das Wachstum in den kommenden Jahren.
Ich werde den Tarifpartnern in Ost und West keine Empfehlungen oder Richtlinien vorgeben.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist sehr klug!)

Aber ich sage auch ganz klar: Wenn hier gesamtwirtschaftlich falsche Entscheidungen getroffen werden, kann das weder die Geld- noch die Finanzpolitik ausgleichen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wer die Ansprüche an das Sozialprodukt zu hoch
schraubt, wer die notwendigen Beiträge zur Finanzierung der Einheit verweigert oder wer vom Anpas-



Bundesminister Dr. Theodor Waigel
sungsprozeß zwischen Ost und West mehr als möglich fordert, muß sich vor seinen arbeitslosen Mitbürgern verantworten. Jedes Prozent zuviel zahlen die Bürger entweder über erhöhte Arbeitslosigkeit oder über höhere Zinsen. Beides sollen und dürfen wir nicht wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, der Bundeshaushalt 1992 ist ebenso wie der Haushalt 1991 vor allem ein Haushalt der Deutschen Einheit. Aber gleichzeitig verwirklichen wir weitere vordringliche Aufgaben innerhalb des selbstgesteckten Finanzierungsrahmens. Das betrifft die Wohnungsbauinitiative und einen so wichtigen Bereich wie den Ausbau der Hilfen zur Flankierung der Neuregelung des § 218, des Schutzes des ungeborenen Lebens.
Dabei haben wir uns der Aufgabe nicht verschlossen, zusätzliche Maßnahmen, die meine Fraktion für richtig gehalten hat, an anderer Stelle durch Einsparungen auszugleichen. Meine Damen und Herren, das kann der einzige Weg sein, Prioritäten neu festzulegen, wenn wir gleichzeitig den Mut haben, an anderer Stelle zu streichen und zurückzuführen. Nur in dem Rahmen eines solchen Moratoriums kann in absehbarer Zeit verantwortungsbewußte Politik betrieben werden.
Meine Damen und Herren, der Nachtragshaushalt 1991 wird vor allem dadurch gestaltet, daß wir 4,9 Milliarden DM für die Bundesanstalt für Arbeit zur Verfügung stellen. Mit diesem Betrag kann die Bundesanstalt das absehbare Defizit 1992, das vor allem wegen des immer noch hohen Bedarfes an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet entstehen wird, decken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir entscheiden in diesen Wochen über wichtige Gesetzesvorlagen. Das Haushaltsgesetz 1992, das Steueränderungsgesetz 1992 und die Änderung des Strukturhilfegesetzes sind wichtige Etappen auf dem Weg zur finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Integration unseres Landes. Bei unterschiedlichen Rollen tragen wir gemeinsam die Verantwortung: Regierung und Opposition, Bund, Länder und Gemeinden, Verbände, Interessengruppen und Gewerkschaften. Es geht um die Zukunft unseres Staates. Es geht um eine neue Identität und die Rolle Deutschlands in der Welt.
Nach den Worten des russischen Sozialphilosophen und Anarchisten Bakunin ist „der Staat eine historische Übergangserscheinung, eine vergängliche Form der Gesellschaft". Dem stehen die Worte Immanuel Kants gegenüber: „Der Staat ist ein Volk, das sich selbst beherrscht. " Vernunft und Demokratie haben über Anarchie und Kommunismus gesiegt. Wir können uns jedoch nur selbst beherrschen, wir können unsere Angelegenheiten nur regeln, wenn am Ende der Auseinandersetzung die Lösung der Aufgabe steht. Gemeinsamkeit in den übergeordneten Zielen heißt auch, eigene Interessen nicht zu Lasten anderer Gruppen durchzusetzen.
Das entscheidende Problem der kommenden Jahre ist nicht, genügend moderne Maschinen und Anlagen in den jungen Bundesländern bereitzustellen, das entscheidende Problem besteht auch nicht in Infrastrukturinvestitionen; mit alldem können wir fertig werden. Worauf es wirklich ankommt, ist die Herstellung der inneren Einheit, die Übereinstimmung in den Grundlinien von Denken und Handeln. Nur wenn wir die deutsche Einheit als eine gemeinsame Aufgabe aller Bürger verstehen, werden wir erfolgreich sein.
Der berühmte Philosoph Karl Raimund Popper, der, wie ich glaube, als 89jähriger vor einigen Monaten die Ehrendoktorwürde der Katholischen Universität Eichstätt erhalten hat, sagt:
Was morgen sein wird, wissen wir nicht. Es gibt Milliarden von Möglichkeiten — gute und schlechte — , die niemand voraussehen kann. Aber es gibt auch große Hoffnung. Es gibt unzählige Möglichkeiten für eine Zukunft, die noch weit besser ist als die Gegenwart.
Darum ist das ganze pessimistische Kulturgemälde, das viele an die Wand werfen, uns nicht gemäß.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Meine Damen und Herren, wenn es je eine Politik gegeben hat, die Angst genommen und der jungen Generation neue Zukunftsaspekte ermöglicht hat, war es die Politik, die wir in den letzten Jahren miteinander betrieben haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

Die politische Freiheit — so Popper —
ist der wichtigste aller politischen Werte. Wir müssen bereit sein, für die politische Freiheit zu kämpfen. Die Freiheit kann immer verloren werden. Wir dürfen nie die Hände in den Schoß legen in dem Bewußtsein, daß sie gesichert ist.
Daran sollten wir denken, auch wenn wir über Finanzplanung und Konjunkturdaten sprechen; denn unsere Politik muß den Menschen dienen — in Deutschland, in Europa und in der Welt.
Ich danke Ihnen.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205902400
Das Wort hat der Abgeordnete Joachim Poß.

Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1205902500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute Herrn Waigel erlebt, wie wir ihn schon öfters erlebt haben:

(Zurufe von der CDU/CSU: Gut!) selbstzufrieden und schönfärberisch.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Es ist anzunehmen, Herr Waigel, daß Ihre Selbstzufriedenheit Ausdruck des guten Ergebnisses bei Ihrer Wiederwahl als CSU-Vorsitzender war.

(Beifall bei der CDU/CSU)




Joachim Poß
Gemessen an Ihren ungenügenden Leistungen als Finanzminister ist sie allerdings völlig unangemessen.

(Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU — Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Das haben die Delegierten in München Gott sei Dank bisher besser gewußt als Sie!)

Herr Bundesfinanzminister, Sie haben heute, wie Sie es gelegentlich tun, auch falsche Behauptungen frisch und fröhlich vorgetragen.

(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das ist doch besser als umgekehrt!)

Ein steinernes Herz kann man Ihnen wirklich nicht vorwerfen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ich halte einen Finanzminister, der derart schönfärbt, für die Staatsfinanzen aber schon für ein wenig gefährlich.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Das ist ein Angriff mit Wattebäuschchen — „ein wenig gefährlich" !)

Ein Finanzminister muß realistisch sein, er darf kein Pessimist sein, er darf aber auch kein Schönfärber sein. Aber dies ist eigentlich Ihre stärkste Rolle: der plaudernde, schönfärberische Bundesfinanzminister Dr. Waigel. Dazu sind Sie sich auch nicht zu schade, Nebelkerzen zu werfen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Beispiel Schulden: Sie sprechen von 135 Milliarden DM, vergessen dabei aber zu erwähnen die 20,8 Milliarden DM für die Treuhand, 7 Milliarden DM für die Wohnungswirtschaft Ost, 23 Milliarden DM für Bahn und Post, 5 Milliarden DM für den Kreditabwicklungsfonds. Das ergibt summa summarum 190 Milliarden DM. Damit sind wir schon bei der Größenordnung, die Sie vorhin kritisiert haben, Herr Dr. Waigel. Sie als Bundesfinanzminister sollten insofern die deutsche Öffentlichkeit vollständig aufklären, wenn Sie über solche Dinge sprechen.

(Beifall bei der SPD)

Aber, wie gesagt, im Werfen von Nebelkerzen sind Sie gut. Darauf komme ich an anderer Stelle noch zu sprechen.
Ich muß noch ganz kurz auf Herrn Kollegen Borchert zu sprechen kommen. Wo ist der Herr Kollege Borchert? — Er hat Herrn Lafontaine zum wiederholten mal mit einem falschen Zitat angesprochen.

(Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: Das nie dementiert worden ist!)

— Es ist immer dementiert worden. Denn Oskar Lafontaine hat ausweislich einer Gesprächsnotiz dem Generalsekretär Gorbatschow für die unterstützende Hilfe der Sowjetunion zur Herstellung der deutschen Einheit ausdrücklich gedankt, nicht das Gegenteil, wie es hier behauptet wurde.

(Beifall bei der SPD)

Wir erwarten jetzt, daß sich der Herr Kollege Borchert für den Ausrutscher, den er sich hier geleistet hat, entschuldigt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Entgegen den Behauptungen von Herrn Waigel ist es der Bundesregierung nicht gelungen, meine Damen und Herren, auf die veränderte Situation richtig zu reagieren. Hier fehlte die Kraft zu einer den neuen Aufgaben entsprechenden Umgestaltung in der Finanz- und Steuerpolitik. Der Sachverständigenrat stellt hierzu in seinem neuen Jahresgutachten in außergewöhnlich kritischer Weise fest:
Die Finanzpolitik versteifte sich auf die Behauptung, daß es Steuererhöhungen zur Finanzierung der Einheit nicht geben werde. Da die politische Gestaltungskraft nicht ausreichte, die Vielfalt der staatlichen Aufgaben und der damit verbundenen Ausgaben zu überprüfen und die Prioritäten neu zu setzen, war der Ausweg über höhere Steuern unumgänglich. Damit geriet die Finanzpolitik in eine schwere Glaubwürdigkeitskrise, die keineswegs unausweichlich war.
Was hat diese Feststellung noch mit der Rede von Herrn Dr. Waigel von vorhin zu tun?
Was war der eigentliche Grund für die Steuerlüge? Zum einen hatte die Bundesregierung jahrelang ihr Steuersenkungspaket angekündigt und im Jahre 1990 nicht den Mut, vor die Öffentlichkeit zu treten und es zurückzunehmen, nachdem die Steuersenkung gerade wirksam geworden war.

(Beifall bei der SPD)

Das war fehlender Mut im letzten Jahr. Zum anderen hatte die Bundesregierung — auch darüber kann niemand hinwegtäuschen — die Kosten der Vereinigung grundlegend falsch eingeschätzt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie hatte darauf verzichtet, im ersten Staatsvertrag für eine soziale und wirtschaftliche Abfederung auch nur eine einzige Hilfsmaßnahme vorzusehen. Daß die Bundesregierung mit ihrem Steuererhöhungspaket vom Mai dieses Jahres die Glaubwürdigkeit der Finanzpolitik vollends und nachhaltig erschüttert hat, wissen inzwischen alle. Das weiß auch die Bundesregierung selbst. Um so erstaunlicher ist, daß die Bundesregierung nicht versucht, das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen, höchstens mit solchen Reden, wie wir sie vorhin gehört haben, aber nicht de facto. Die Bundesregierung hat diese Gelegenheit nicht genutzt.
Das Steueränderungsgesetz 1992 übertrifft in mehrfacher Hinsicht das, was die Bundesregierung den Bürgern in unserem Lande mit ihrer Steuerpolitik bereits in der Vergangenheit zugemutet hat. Die Arbeitnehmer, die Rentner, die Arbeitslosen und die Familien mit Kindern sollen jetzt Steuerentlastungen für wenige Großunternehmen und Besitzer großer Vermögen bezahlen. Denn mit der vorgesehenen Erhöhung der Mehrwertsteuer will die Regierung die Sen-



Joachim Poß
kung der Vermögensteuer und die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer finanzieren.

(Beifall bei der SPD — Hans H. Gattermann [FDP]: Das sehen einige Ihrer Kollegen ganz anders!)

Die Bundesregierung hat damit endgültig jedes Augenmaß für steuerliche Gerechtigkeit verloren. Da Sie unsere Mahnungen, aber auch die einiger anderer, z. B. von Herrn Geißler, immer wieder in den Wind geschlagen haben, darf ich Ihnen hierzu die Auffassung des Sachverständigenrates vorlesen, der kurz und bündig feststellt:
Vor allem wird es politisch schwer zu verstehen sein, auf der einen Seite die Mehrwertsteuer zu erhöhen und gleichzeitig die Unternehmensteuern zu senken.
Mit Ihrer Steuerpolitik haben Sie aber nicht nur die Ungerechtigkeit auf die Spitze getrieben, sondern Sie haben sich zugleich auch finanzpolitisch in eine Sackgasse manövriert und Ihre ökonomische Kompetenz endgültig verspielt.
Die von Ihnen vorgesehene Erhöhung der Mehrwertsteuer sowie das Festhalten an der Senkung der Vermögensteuer und der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer sind auch hierfür die deutlichsten Beispiele. Die Anhebung der Mehrwertsteuer ist ökonomisch falsch. Darüber besteht bei allen Experten Einigkeit. Auf die ökonomische Problematik der Mehrwertsteuererhöhung haben die Deutsche Bundesbank, die wirtschaftlichen Forschungsinstitute, die Verbände der Wirtschaft und jetzt auch der Sachverständigenrat nachdrücklich hingewiesen.
Die Erhöhung der Mehrwertsteuer führt zu einem weiteren Anstieg des Preisniveaus und der Inflationsrate und damit auch zu einer realen Entwertung der Geldvermögen der Sparer. Die höhere Inflationsrate führt zugleich selbstverständlich zu höheren Lohnforderungen und damit zur Gefahr der Entstehung einer Preis-Lohn-Spirale.
Die zu erwartende geldpolitische Gegenreaktion der Bundesbank führt zu einer weiteren Erhöhung des Zinsniveaus bzw. zu einer Beibehaltung des hohen Zinsniveaus, während weltweit die Zinsen gesenkt werden. Die höheren Zinsen belasten die investierende Wirtschaft mit zusätzlichen Kosten, die ihre Wettbewerbssituation verschlechtern. Die zinsbedingte Verteuerung von Investitionen verhindert die notwendige Schaffung von Arbeitsplätzen und behindert den Aufbau in den neuen Ländern.
Und da kommt Herr Waigel, stellt sich hin und sagt, das sei ökonomische oder finanzpolitische Kompetenz. Ich glaube, daß es einen deutlicheren Gegensatz zwischen ökonomischer Kompetenz und der hier vorgetragenen Meinung und Verteidigungsrede von Herrn Waigel wirklich nicht geben kann.

(Beifall bei der SPD)

Im übrigen lehnt der Sachverständigenrat die Anhebung der Mehrwertsteuer auch aus verteilungspolitischen Gründen ab. Er führt aus: Gegen jede Anhebung sprechen verteilungspolitische Gründe, denn die Mehrwertsteuer belastet die Bezieher niedriger Einkommen vergleichsweise stark.
Ökonomisch falsch sind auch die von der Bundesregierung vorgesehenen steuerpolitischen Maßnahmen im Unternehmensbereich; sie entlasten lediglich den Vermögensbesitz, fördern aber keineswegs Investitionen und Arbeitsplätze.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Exakt!)

Der Steuervorteil kann sogar kassiert werden, ohne daß eine einzige D-Mark investiert wird.
Durch die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und die Senkung der Vermögensteuer werden vor allem die kapitalstarken Großunternehmen kräftig entlastet, während die mittleren und kleinen Unternehmen durch die zur Finanzierung vorgesehene Anhebung der Mehrwertsteuer, durch die Minderung der degressiven Abschreibung — das ist übrigens nur eine Teilfinanzierung, Herr Dr. Waigel, nicht die gesamte Finanzierung — und die Zinskosten höher belastet werden. Damit wird die Wettbewerbssituation der kleinen und mittleren Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Großunternehmen weiter verschlechtert.
Mit dieser Steuerpolitik versucht die Bundesregierung, ihre Ideologie der Umverteilung von unten nach oben jetzt auch innerhalb der Wirtschaft durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, ich sage es Ihnen in aller Deutlichkeit: Auch für den Unternehmensbereich gilt, daß wir Sozialdemokraten nicht bereit sind, eine solche Umverteilungspolitik zu Lasten der kleinen und mittleren Firmen mitzumachen.

(Beifall bei der SPD)

Genauso deutlich füge ich aber hinzu: Auch wir Sozialdemokraten sind für eine Reform der Unternehmensbesteuerung; sie setzt aber eine fundierte Analyse der tatsächlichen Probleme der deutschen Wirtschaft und der zu erwartenden Entwicklung voraus. Nur so kann sie zu ökonomisch vernünftigen Ergebnissen führen.
Mit pauschalen Behauptungen über einen angeblich schlechten Produktionsstandort Bundesrepublik, über einen angeblichen internationalen Steuersenkungswettlauf, über die angeblich schlechte Eigenkapitalausstattung der deutschen Wirtschaft, über angeblich zu geringe Direktinvestitionen ausländischer Unternehmen in Deutschland schürt die Bundesregierung bei unseren und bei den ausländischen Investoren lediglich Unsicherheiten, die durch keinerlei Fakten begründet sind.
Das hätten Sie übrigens aus den Debatten des Jahres 1988 lernen können, als hier ein Wirtschaftsminister namens Bangemann tätig war. Er hat diese Diskussion auch sehr „qualifiziert" geführt.
Tatsache ist, daß sich das Investieren in Deutschland lohnt, gerade auch deshalb, weil die Unternehmen in Deutschland für ihre Steuern mehr und bessere Leistungen erhalten als in anderen Ländern. Unser hervorragendes Ausbildungssystem, unsere leistungsstarke öffentliche Verwaltung — wie wird sie neuerdings gelobt! — und nicht zuletzt auch der soziale Frieden in Deutschland sind Vorteile, die den Unternehmen hohe Kosten sparen.



Joachim Poll
Schauen Sie sich doch einmal die Diskussion in den USA an! Das Ende der Ich-Politik — das wird neuerdings proklamiert — , das Ende von Reagonomics und von Thatcherismus haben doch Gründe: sie haben erkannt, daß sie auf einem falschen Weg sind. Sie wollen die Kehrtwende vollziehen.

(Beifall bei der SPD)

Die Deutsche Bundesbank hat gerade vor einer Woche in ihrem neuesten Monatsbericht festgestellt, daß die Eigenkapitalsituation unserer Wirtschaft noch nie so gut war wie heute und sich die Erträge der deutschen Unternehmen weiter kräftig verbessert haben.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Aber nicht gut genug; sie könnte besser sein!)

Wenn Auslandsinvestitionen in einigen traditionellen Bereichen wie etwa in der Stahl- oder der Autoindustrie, im Maschinenbau oder in der Chemie mittlerweile seltener geworden sind, dann ist das kein Indiz für eine Verschlechterung des Standorts Bundesrepublik, sondern im Gegenteil gerade das Ergebnis einer hochentwickelten Volkswirtschaft mit vielen gesättigten Märkten und dominierenden eigenen Unternehmen. Gerade der Zuzug der internationalen Finanz- und Versicherungswirtschaft zeigt doch vielmehr, daß auch Auslandsinvestitionen einem Strukturwandel unterliegen. Wer mit falschen Argumenten, Herr Dr. Waigel, falsche Steuersenkungen rechtfertigt, der hilft der deutschen Wirtschaft nicht, selbst wenn sie das fordert,

(Beifall bei der SPD)

und wer den Produktionsstandort Deutschland miesmacht, der schadet der Wirtschaft und der handelt unverantwortlich, weil er die Vorteile dieses Standorts damit letztlich aufs Spiel setzt.
Jede gründliche Analyse zeigt, daß kleine und mittlere Unternehmen im Wettbewerb mit den Großunternehmen in zunehmendem Maße an Boden verlieren. Deshalb bleiben wir bei unserem Konzept, einer Investitionsrücklage für kleine und mittlere Unternehmen.
Die Bundesregierung erreicht mit ihrer Steuerpolitik das Gegenteil. Einschränkungen bei den Abschreibungsbedingungen für Gebäude belasten das Investieren; der bloße Kapitalbesitz wird steuerlich erleichtert. Das ist ökonomisch widersinnig. Angesichts der enormen Staatsverschuldung und der Tatsache, daß der Anteil der Unternehmensteuern am gesamten Steueraufkommen rückläufig ist, muß eine solche Reform durch Umschichtungen innerhalb der Unternehmensteuern aufkommensneutral gestaltet werden.
Die Steuer- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung, meine Damen und Herren, ist ungerecht und wirtschaftspolitisch verfehlt. Sie ist ein Beleg dafür, daß die Bundesregierung in der Steuer- und Finanzpolitik immer mehr ins Trudeln gerät und keine Gestaltungskraft besitzt.
Was aber noch schlimmer ist: In einigen ganz wichtigen Bereichen, in denen es um die Belange der Mehrzahl der Bürger und der Familien mit Kindern
geht, besitzt diese Regierung auch keinen Gestaltungswillen mehr.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Leider!)

In fataler Weise begreift die Bundesregierung die Herstellung einer verfassungskonformen Besteuerung nämlich ganz offensichtlich nicht mehr als ihre eigene politisch gestaltende Aufgabe, sondern hat diese grundlegende Aufgabe inzwischen auf das Bundesverfassungsgericht verlagert.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Statt von sich aus für eine verfassungskonforme Besteuerung zu sorgen, hält die Bundesregierung verfassungswidrige Zustände so lange aufrecht, bis sie vom Bundesverfassungsgericht zu einer Korrektur gezwungen wird.

(Zurufe von der SPD: Unglaublich!)

So haben Sie — dies ist das erste Beispiel — Jahr für Jahr den Familien verfassungswidrig eine viel zu niedrige Entlastung für ihre Kinder gegeben. Nachdem Sie im Juni 1990 vom Bundesverfassungsgericht verurteilt wurden, endlich für eine verfassungskonforme Besteuerung der Familien zu sorgen, haben Sie immer noch nicht reagiert, mit der Folge, daß auch in diesem Jahr für die Familien mit Kindern immer noch nichts getan wird. Erst ab 1992 soll jetzt das Kindergeld um lächerliche 20 DM für das erste Kind angehoben und der ungerechte Kinderfreibetrag weiter aufgestockt werden.
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, das ist keine familienpolitische Wohltat; im Gegenteil, es reicht immer noch nicht aus, um die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Freistellung des Existenzminimums für ein Kind zu gewährleisten. Ist es nicht beschämend, daß Familien unter einer Regierung, die nicht müde wird, sich ihrer familienpolitischen Leistungen zu rühmen,

(Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU] : Wie war es denn bis 1982?)

für das ihnen zustehende Recht Gerichte bemühen müssen, damit ihnen überhaupt erst das verfassungsrechtliche Minimum gewährt wird?

(Beifall bei der SPD)

Können Sie es nicht nachempfinden, wenn sich Familien erbost und enttäuscht von dieser Politik abwenden, weil sie nicht verstehen können, daß sie nicht einmal das bekommen, was ihnen verfassungsrechtlich zusteht, während Großunternehmen und reiche Vermögensbesitzer mit großzügigen Steuerentlastungen bedacht werden?

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sehr wohl!)

Ich will heute nicht mehr ausschließen, daß Sie es tatsächlich nicht verstehen, denn beim Grundfreibetrag — dies ist das zweite Beispiel — zeichnet sich eine ganz ähnliche Entwicklung ab. Sie kassieren jährlich mindestens 500 DM von Ledigen und mindestens 1 000 DM von Verheirateten zuviel an Lohn- und Einkommensteuer. Auch die FAZ — wahrlich



Joachim Poß
keine Zeitung, die der Politik der Bundesregierung besonders fernsteht —

(Michael Glos [CDU/CSU]: Gute Zeitung! Hervorragende Zeitung! Seriöse Zeitung!)

fragt in ihrer Ausgabe vom 16. November 1991 besorgt: „Wäre es nicht besser", Herr Glos, „sofort die Freibeträge zu erhöhen, um damit ein Signal zu setzen?" — Ja, meine Damen und Herren, es wäre in der Tat besser, sofort zu handeln, im Interesse der Bürger, aber auch im Interesse einer soliden Finanzpolitik.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sehr gut!)

Denn das haushaltsmäßige Risiko, das der Finanzminister durch seine Untätigkeit vor sich herschiebt, steigt immer weiter an.
Das gilt auch für die Besteuerung der Kapitalerträge als drittes Beispiel. Mit einer steuerpolitischen Rolle rückwärts, vom Bundesverfassungsgericht erzwungen, führt jetzt der Bundesfinanzminister die Quellensteuer unter anderem Namen wieder ein, die er bei seinem Amtsantritt 1989 mit viel Brimborium erst abgeschafft hat.
Mit dem jetzt vorliegenden Vorschlag der Bundesregierung zur Zinsbesteuerung dürfte das Chaos aber immer noch nicht beendet sein. Auch in Zukunft sind die ehrlichen Steuerzahler die Dummen.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist es!) Das ist das Ergebnis Ihres Vorschlages.


(Hans Peter Schmitz [Baesweiler] [CDU/ CSU]: Sind Sie also für Kontrollmitteilungen?)

Die deutliche Anhebung der Sparerfreibeträge wird von uns begrüßt. Wir haben schon vor Jahren die Anhebung der Sparerfreibeträge von damals 300 DM für Ledige bzw. 600 DM für Verheiratete auf 3 000 bzw. 6 000 DM gefordert, Herr Dr. Waigel.
Leider hat der Bundesfinanzminister unsere Forderung immer wieder abgelehnt.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!)

Am 12. Mai 1989 vertrat Herr Waigel von diesem Pult aus noch die Auffassung, die von der Opposition geforderte Verzehnfachung des Sparerfreibetrages sei haushaltspolitisch völlig unseriös.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das haben Sie gesagt!)

Das ist ihm entfallen. Deswegen hat er unsere Forderung heute ja auch falsch wiedergegeben, indem er von der Verfünffachung sprach.

(Beifall bei der SPD)

Das zeigt seine Faktenkenntnis und seine Faktentreue.
So manchen hat es sehr erstaunt, daß der Finanzminister angesichts der heutigen Haushaltslage

(Michael Glos [CDU/CSU]: Deutschland hat sich wiedervereinigt!)

— er plaudert lieber, als sich an den Fakten zu orientieren — jetzt die Sparerfreibeträge auf das Zwanzigfache des damaligen Betrages erhöhen will. Ich betone noch einmal: Wir begrüßen ausdrücklich, daß
Bundesfinanzminister Waigel seine Haltung aufgegeben hat.
Allerdings wird er keinem mehr verständlich machen können, warum er sich weiterhin einer Verbesserung des steuerlichen Grundfreibetrages für alle widersetzt, der mit 5 600 DM in Zukunft eben unterhalb des Sparerfreibetrages bleiben wird. Seien Sie doch jetzt konsequent und schließen sich auch hier unserem Vorschlag an, Herr Dr. Waigel, den Grundfreibetrag auf 8 000 DM für Ledige und 16 000 DM für Verheiratete zu erhöhen!

(Beifall bei der SPD) Das wäre ein notwendiger Schritt.

Ich habe von der unzureichenden fachlichen Kompetenz dieser Bundesregierung gesprochen, von der mangelnden Gestaltungskraft und — in wichtigen Bereichen — von dem mangelnden Gestaltungswillen. Im Zusammenhang mit dem Subventionsabbau nach Art des Herrn Möllemann läßt sich nun feststellen, daß es auch bei mangelnder Kompetenz noch Abstufungen gibt. Zugleich haben wir ein treffliches Beispiel dafür, daß — ich unterstelle Herrn Möllemann dies einmal in positiver Absicht — ein durchaus vorhandener Wille sich trotz kräftigster verbaler Gestaltung nicht in Gestaltungskraft umgesetzt hat. Wir haben die Theater-Nummer im Frühjahr erlebt, im Sommer die Lach-Nummer, und wir erleben zur Zeit die NullNummer des Herrn Möllemann.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Das sind Sie!)

Es wäre nicht weiter schlimm, wenn er seinen eigenen Ruf in diesem Jahr endgültig ruiniert hat, der Herr Möllemann.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205902600
Herr Abgeordneter Poß, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß ich das rote Licht deutlich blinken lasse. Sie müssen darauf Rücksicht nehmen.

Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1205902700
Leider hat damit aber auch ein Mitglied dieser Bundesregierung der Glaubwürdigkeit der Politik erneut schweren Schaden zugefügt. Das, was sich Herr Möllemann in diesem Zusammenhang in diesem Jahr erlaubt hat, ist aber bezeichnend für die Gesamtleistung dieser Bundesregierung.
Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD — Michael Glos [CDU/CSU]: Das geht zu weit!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205902800
Das Wort hat der Ministerpräsident des Landes Thüringen, Josef Duchac.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1205902900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aussprache über den Bundeshaushalt 1992 wird in den neuen Ländern — davon bin ich fest überzeugt — mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Ich glaube, man hat auch mit großer Aufmerksamkeit registriert, daß z. B.



Ministerpräsident Josef Duchac (Thüringen)

mein Vorredner nichts zu den neuen Bundesländern zu sagen hatte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Hans H. Gattermann [FDP]: Das ist typisch!)

Die Entscheidungen, die hier und heute debattiert werden, werden — davon bin ich überzeugt — die Entwicklungsbedingungen in Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern, in Sachsen, in Sachsen-Anhalt und auch in Thüringen wesentlich bestimmen. Es werden viele Menschen im Lande zuhören, was heute und hier von diesem Plenum aus gesagt wird.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wir hoffen das sehr!)

— Ich bin davon überzeugt.
Auch vom Bundeshaushalt 1992 wird nämlich abhängen, wie schnell in Deutschland einheitliche Lebensverhältnisse erreicht werden und wie schnell der Aufschwung in den neuen Bundesländern vor sich geht. Dieser Prozeß hat — überall spürbar — bereits begonnen.
Wenn der Sachverständigenrat recht hat — was ich natürlich hoffe — , dann werden in den nächsten Jahren in den neuen Bundesländern etwa 87 Milliarden DM in Ausrüstungen und in Bauten investiert. Das ist ein Viertel mehr als in diesem Jahr.
Der Sachverständigenrat erwartet weiter, daß die ostdeutsche Wirtschaft im kommenden Jahr um etwa 10 % expandieren wird und daß sich die Lebensverhältnisse weiter deutlich verbessern. Das bestätigen schon jetzt unsere Erfahrungen.
Verbessert haben sich die Verkehrsverbindungen. Hierin wurden bedeutende Summen investiert. Die meisten ertragen geduldig die Behinderungen, die mit dem Baugeschehen auf der Schiene und auf der Straße verbunden sind.
Man spricht nicht mehr darüber; deswegen scheint es in Ordnung zu sein oder es hat sich wesentlich verbessert: Das Telefonieren zwischen Ost und West ist kein wesentliches Problem mehr.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sehr gut!)

Besonders deutlich zeigen sich die Zeichen im Handel und im Dienstleistungsgewerbe. Allein in Thüringen sind in diesem Jahr 41 000 Gewerbeanmeldungen bereits vollzogen. Überall werden zügig Gewerbeflächen geschaffen. Leistungsfähige mittelständische Betriebe mit stabilen, zukunftssicheren Arbeitsplätzen sind im Entstehen. Die Bauindustrie hat volle Auftragsbücher. Einzelne, vielversprechende Ansiedlungen von Großunternehmen geben Anlaß zu Hoffnungen.
Meine Damen und Herren, der schmerzhafte, aber unumgängliche Prozeß der Umstrukturierung der uneffektiven Großbetriebe ist noch nicht abgeschlossen. Aber wenn in diesem Zusammenhang von Desindustrialisierung gesprochen wird, wie heute hier geschehen, dann ist das in meinen Augen schlicht verantwortungslos.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir wissen natürlich, daß sich auf dem Arbeitsmarkt voraussichtlich erst in der zweiten Hälfte 1992 Freisetzungen und Neueinstellungen ausbalancieren werden. Um diese Zwischenzeit zu überbrücken, ist es notwendig, die außerordentlichen Anstrengungen im Bereich der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und die Anstrengungen bei Umschulungen und Qualifizierungen fortzuführen. Deshalb, meine ich, sollte noch einmal überlegt werden, die bisherige Kurzarbeiterregelung in den neuen Bundesländern bis zum 30. Juni 1992 beizubehalten. Auch wäre zu prüfen, ob die bestehende Regelung beim Altersübergangsgeld verlängert werden kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der SPD — Horst Kubatschka [SPD]: Sagen Sie das einmal dem Blüm!)

— Das tun wir. Da sind wir ganz nüchtern. Wir haben einen ganz guten Draht. Ich glaube, wir haben schon ganz gute Verbindungen, die uns sagen, daß man darüber nachdenken kann. Es besteht also kein Anlaß, die Lage zu dramatisieren.

(Wolfgang Roth [SPD]: Was heißt „überlegen" ? In vier Wochen läuft das doch aus! Heute brauchen Sie eine Zusage!)

— Es besteht kein Anlaß, die Lage zu dramatisieren. Vielmehr meine ich: Es müssen notwendige Schlußfolgerungen gezogen werden.

(Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Das ist wahr! — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Beschlüsse, nicht Folgerungen!)

Die kann man natürlich nur hier im Hause ziehen.
Ich meine, wir können uns auf die Zuverlässigkeit der Menschen in den neuen Ländern verlassen. Wir können auch auf die Menschen bauen, die die neue Chance entschlossen ergriffen haben.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Auf die Menschen ja, aber nicht auf die Bundesregierung!)

Den Arbeitswillen dieser Menschen können wir ohne Zweifel feststellen. Die meisten krempeln die Ärmel hoch, und die meisten Menschen haben begriffen, daß man, wenn Leistung sich wieder lohnt, auch leistungsorientiert arbeiten kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deshalb bauen wir auf die entschlossene Politik der Bundesregierung, die aus unserer Sicht in Thüringen die Weichen richtig gestellt hat. Das Programm Aufschwung Ost hat seinen Namen verdient.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Investitionspauschale in Höhe von 5 Milliarden DM, die direkt in die Kommunen gegangen ist, hat der Wirtschaft einen unmittelbaren starken Impuls gegeben. Ich denke noch gerne daran, wie die Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler ganz unkonventionell die vertraglichen Vereinbarungen getroffen haben, daß das Geld kurzfristig und schnell geflossen und der Impuls in das Land gekommen ist. Auch die weiteren Programme für Wirtschaftsförderung, für



Ministerpräsident Josef Duchac (Thüringen)

Umweltschutz, für Hochschulbau und für Straßenbau zeigen bereits ihre Wirkung.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Dank dieser wichtigen und richtigen Weichenstellungen sind wir ein gutes Stück vorangekommen. Das berechtigt uns in den neuen Ländern, mit Zuversicht in die Zukunft zu blicken. Ich wünschte, auch die professionellen Pessimisten würden das zugeben.

(Zuruf von der SPD: Es gibt hier gar keine!)

— Leider gibt es in Thüringen welche, die — gewollt oder ungewollt — im Gleichklang mit der PDS auf die Verunsicherung der Menschen und das Schüren von Ängsten setzen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die haben wir hier auch!)

— Ich hoffe, daß es solche in Bonn nicht gibt, aber ich nenne ein paar Beispiele aus Thüringen:
Als wir in Thüringen entschlossen die zentralistischen Verwaltungsstrukturen auflösten, wurde uns das Chaos vorausgesagt. Dank der umfangreichen Unterstützung des Bundes und der Länder — ich meine hier ganz besonders die Länder, die Thüringen unterstützen, nämlich Bayern, Hessen und RheinlandPfalz — ist es gelungen, daß die Verwaltung schnell gewachsen ist. Die Verwaltung hat ihre erste Bewährungsprobe bestanden.
Ein zweites Beispiel: Der Weg vom staatlich gelenkten ambulanten Gesundheitswesen zur privatärztlichen Versorgung war bei uns ganz fürchterlich von Kassandrarufen begleitet. Heute bereits ist sichtbar, daß durch die niedergelassenen Ärzte die ambulante medizinische Betreuung entscheidend verbessert wird.
Oder es wurde die Sorge um eine ausreichende Zahl an Lehrstellen benutzt, um Unsicherheit zu erzeugen. Dank der gemeinsamen Anstrengung von Wirtschaft und Politik, auch durch zusätzliche Starthilfe des Bundes, konnten in Thüringen genügend Ausbildungsplätze angeboten werden. Wir haben mit dem gestrigen Tage noch 980 Ausbildungsstellen frei.
Die Sorgen der Menschen infolge der notwendigen Erhöhung der Mieten wurden genutzt, um Zweifel an der Fähigkeit der Verwaltung zu wecken, das neue Wohngeld auszuzahlen. Jetzt ist auch dieses Problem im wesentlichen gelöst.
Es gibt also guten Grund, den Menschen in den neuen Ländern Mut zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich warne vor neuen Versuchen, zweifellos vorhandene Probleme aufzubauschen und Panik zu erzeugen. Der Weg, auf dem wir uns befinden, muß von einer breiten Mehrheit getragen werden, und er muß konsequent weiterbeschritten werden.

(Zuruf von der SPD: Haben Sie die?)

— Ja, wir haben sie Gott sei Dank. — Deshalb warne ich vor Krämergeist, der abenteuerliche Rechnungen über die Transferleistungen an die neuen Länder aufmacht und weitere finanzielle Hilfen verweigern will.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ein Blick auf die Finanzsituation der östlichen Länder läßt natürlich noch Handlungsbedarf erkennen. Die Steuereinnahmen sind zu gering; darum gibt es doch kein Gerede. Zusammen mit den Leistungen aus dem Fonds Deutsche Einheit decken sie 1991 nur etwa 60 To der Ausgaben; in den alten Bundesländern sind das 72 %. Die Nettokreditaufnahmen in den neuen Ländern betragen durchschnittlich 19 %; in den alten Ländern betragen sie 7 %.
Optimistische Schätzungen gehen davon aus, daß sich die Steuereinnahmen in den nächsten vier Jahren verdoppeln. Dieses Wachstum reicht unserer Meinung nach aber nicht aus, um das bisher vorgesehene Absinken der Leistungen aus dem Fonds Deutsche Einheit zu kompensieren. Damit sinkt die Steuerdekkungsquote weiter unter 60 To ab. Wenn man bedenkt, daß die vorgesehene Übernahme von DDR-Altschulden dazukommt, haben wir schon eine komplizierte Situation. Da reden wir doch nicht drum herum.
Natürlich sind diese Prognosen mit Unsicherheiten behaftet. Natürlich erwarten wir auch günstigere Entwicklungen, so wie sie in dem letzten Jahr auch günstiger eingetreten sind, als es uns die Prognosen vorausgesagt haben. Doch wenn die investiven und arbeitsplatzschaffenden Ausgaben in den kommenden Jahren nicht weiter erhöht werden können, wäre der bereits begonnene Aufschwung in Gefahr. Das darf nicht eintreten.
Deshalb ist es z. B. unerläßlich, die Leistungen aus dem Fonds Deutsche Einheit in der Höhe von 1991 — so meinen wir jedenfalls — konstant zu halten und in der bisher vorgesehenen Weise nicht absinken zu lassen. Das Ziel bleibt jedoch eine möglichst schnelle Einbeziehung der neuen Länder in den Finanzausgleich zwischen den Ländern einerseits sowie dem Bund und den Ländern andererseits.
Mich beunruhigt in diesem Zusammenhang, daß bereits der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Aufhebung der Strukturhilfe und die Einbringung der dafür vorgesehenen Mittel in den Fonds Deutsche Einheit auf hinhaltenden Widerstand stoßen.

(Deltlev von Larcher [SPD]: Es gab ja alternative Vorschläge!)

Wir haben es heute wieder gehört. Gleichzeitig wird aber Solidarität mit den neuen Bundesländern angemahnt. Das ist ein frappierender Widerspruch in sich.

(Detlev von Larcher [SPD]: Nein! — Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Meine Damen und Herren, besonders auch von der Opposition, ich bitte Sie: Unterstützen Sie meinen Appell — vor allem an die SPD-geführten Länder —, sich diesem Schritt anzuschließen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Detlev von Larcher [SPD]: Wir haben doch einen besseren Vorschlag!)

Sie wissen wie ich, meine Damen und Herren: Instabilität in Deutschland und Europa wäre die Folge,



Ministerpräsident Josef Duchac (Thüringen)

wenn die neuen Länder zu Notstandsgebieten würden. Die Investitionen im östlichen Teil unseres Vaterlandes können nicht nach buchhalterischen Gesichtspunkten beurteilt werden. Es sind Investitionen in die Zukunft eines neuen Deutschlands, das wir gemeinsam schaffen wollen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205903000
Das Wort hat der Abgeordnete Helmut Esters.

Helmut Esters (SPD):
Rede ID: ID1205903100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hoffe sehr, daß die Koalitionsfraktionen und der Bundesfinanzminister den Worten des Ministerpräsidenten von Thüringen aufmerksam zugehört haben. Hier gibt es anscheinend doch in einer Reihe von Punkten noch Handlungsbedarf.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das wird noch lange so bleiben!)

Auf vieles von dem haben wir übrigens im Haushaltsausschuß nachhaltig hingewiesen, sind aber dann von Ihnen abgeschmiert worden.

(Beifall bei der SPD)

Sicherlich, Herr Ministerpräsident, haben die neuen Länder die volle Unterstützung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion

(Oh!-Rufe bei der CDU/CSU und der FDP)

in all den Fragen, wo es darum geht, daß die neuen Länder und ihre Wirtschaftsstruktur so aussehen, daß die Unternehmensbereiche nicht zu verlängerten Werkbänken westdeutscher, europäischer oder internationaler Konzerne werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Machen Sie doch einmal etwas!)

Dies darf nicht passieren. Wir müssen alles tun, um diese Situation nicht eintreten zu lassen.
Ich will Ihnen eines sagen: Auch die vielen Investitionen im kommunalen und im Landesbereich in den neuen Ländern werden auf Grund der verschiedenen Fonds oder Schattenhaushalte, die die Bundesregierung geschaffen hat, auf uns zukommen und zu Maßnahmen führen.
Ist es denn nicht denkbar, daß die Unternehmen, wenn es schon keine aus den neuen Ländern sind, wenn es welche aus der Bundesrepublik oder aus dem europäischen Bereich sind, einen Bonus bekommen, soweit sie erhebliche Teile ihres Materials bei Unternehmen in den neuen Ländern kaufen? Wir haben so etwas in den 70er Jahren einmal gemacht, nämlich einen Bonus gegeben für Unternehmen, die einen hohen Ausbildungsteil hatten. Die sind dann bevorzugt behandelt worden.
Ich wäre dankbar, wenn auch Sie diesen Weg beschreiten würden. Damit würden Sie auf der einen
Seite den Unternehmen helfen; auf der anderen Seite würde auch der ganze Treuhandbereich entlastet.

(Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist in den 70er Jahren voll daneben gegangen!)

— Von wegen!
Hier wurden immer wieder Vergleiche zwischen der heutigen Situation und den Jahren 1975/76 und 1979 bis 1982 gezogen. Gehen wir doch einmal davon aus, daß wir, Herr Kollege Borchert, damals eine völlig andere weltwirtschaftliche Situation hatten, als das jetzt der Fall ist.

(Beifall bei der SPD)

Es ist doch heute so, daß sich die Transferleistungen zugunsten der neuen Länder, die wir ja begrüßen und mittragen

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Jochen Borchert [CDU/CSU]: Endlich!)

— ja, natürlich — , bisher in Wirklichkeit als ein enormes Konjunkturprogramm in der Hauptsache für die alte Bundesrepublik Deutschland erwiesen haben. Dies müssen wir doch einmal zur Kenntnis nehmen. Damals gab es ganz andere Eckdaten. Ich könnte natürlich auch ein anderes Beispiel dafür nennen. Nur, es bringt nichts, immer wieder in dem alten Kram herumzurühren, ohne die weltwirtschaftlichen Verflechtungen aufzuzeigen.
Nehmen Sie folgendes zur Kenntnis: Wir haben in den siebziger Jahren mit den Freien Demokraten wesentlich dazu beigetragen,

(Jochen Borchert [CDU/CSU]: Daß die Schulden immer höher wurden!)

daß durch vertragliche Vereinbarungen Veränderungen in den osteuropäischen Ländern möglich waren und daß sich diese Länder öffnen konnten.

(Beifall bei der SPD und der FDP.)

Damals waren doch die Christdemokraten — mit den italienischen Faschisten und mit den albanischen Kommunisten — die einzigen, die den KSZE-Prozeß nicht mitgetragen haben.

(Beifall bei der SPD — Jochen Borchert [CDU/CSU]: Nun wird es aber zuviel!)

Es bringt doch nichts, Herr Kollege Borchert, wenn wir dies alles immer und immer wieder aufrühren, so schön dies auch sein mag.
Zuruf von der CDU/CSU: Dafür haben wir
jetzt die Wiedervereinigung gemacht!)

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205903200
Dies, Herr Abgeordneter Esters, veranlaßt den Abgeordneten Gerster, Ihnen eine Frage zu stellen, und ich nehme an, Sie beantworten sie auch. — Bitte.

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1205903300
Lieber Herr Kollege Esters, da wir damals ja gemeinsam im Haushaltsausschuß saßen, darf ich Sie daran erinnern — offenbar ist das Gedächtnis unterschiedlich ausgeprägt —,

(Helmut Esters [SPD]: Mein Gedächtnis ist ganz gut!)




Johannes Gerster (Mainz)

daß der Konjunkturmaßnahmenfetischismus der damaligen Regierung — in den siebziger Jahren wurde ein Konjunkturprogramm nach dem anderen aufgelegt — nicht nur zu einer Riesenverschuldung der Bundesrepublik Deutschland, sondern schließlich auch zum Fall in die Massenarbeitslosigkeit Ende der siebziger Jahre, Anfang der achtziger Jahre geführt hat, und wollen Sie dieses gescheiterte Modell den neuen Bundesländern jetzt wirklich andienen?

(Widerspruch bei der SPD)


Helmut Esters (SPD):
Rede ID: ID1205903400
Herr Kollege Gerster, ich habe soeben schon darauf hingewiesen, daß wir damals angesichts der internationalen Konjunkturentwicklung — einschließlich der Ölpreisexplosion 1973 und noch einmal 1979 — eine ganz andere Situation hatten; dieser Situation sahen sich alle Industriestaaten gegenüber. Wir befinden uns heute in einer Art Insellage, weil unser Konjunkturprogramm mit Transferleistungen in Richtung der neuen Länder bei uns voll durchschlägt. Von daher ist eine völlig andere Situation gegeben, als es damals der Fall war.
Lassen Sie mich ein anderes Beispiel nennen: Ich hätte mir allerdings gewünscht, wenn man etwa im Zuge der Verbesserung der Trinkwasserversorgung auf die guten Erfahrungen bei der Abwicklung des Rhein-Bodensee-Programms zurückgegriffen und wenn man die Durchführung dieser Aufgabe der Kreditanstalt übertragen hätte. Das wäre wesentlich effektiver gewesen als das, was heute gemacht wird. Heute wird nämlich alles mögliche in allen möglichen Haushalten einzeln verkleckert.

(Beifall bei der SPD)

Hier ist viel von den verschiedenen Sondervermögen die Rede gewesen. Ich will die Namen derjenigen nennen, die in den siebziger Jahren zu den Chefabbauern gehörten — Sie als Opposition haben uns damals getrieben, aus Gründen der Haushaltswahrheit und der Haushaltsklarheit alle möglichen Sondervermögen abzubauen — : Hans Peter Schmitz, Rudolf Seiters

(Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Althammer!)

— Walter Althammer; ich will nur diejenigen nennen, die noch hier sind — , Erich Riedl, Johannes Gerster.

(Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Gute Leute!)

Als Theo Waigel kam, hatten wir die letzten Sondervermögen bereits abgebaut. Jetzt regieren Sie, nun werden die ganzen Sondervermögen wieder neu aufgebaut.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Schuldentöpfe werden aufgemacht! — Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Die Geschichte wiederholt sich doch!)

Die klassischen Sondervermögen wie ERP, Bundesbahn, Bundespost werden in diesem Jahr mit etwa 30 Milliarden DM an den Kapitalmarkt gehen müssen. Bei den neuen, im Zuge der deutschen Einheit geschaffenen Sondervermögen wird sich das Defizit des Fonds Deutsche Einheit auf rund 24 Milliarden DM belaufen. Bis Ende 1994 wird sich dieser Fonds
mit 95 Milliarden DM verschulden. Zins- und Tilgungsleistungen teilen sich der Bund und die alten Länder.
Der Kreditabwicklungsfonds wiederum, dem die Verschuldung aus dem DDR-Haushalt und die Verbindlichkeiten aus der Währungsumstellung zugeordnet sind, ist nach Schätzungen des Bundesfinanzministeriums — ich nehme jetzt die vorsichtiger geschätzte Zahl — schon heute mit rund 120 Milliarden DM belastet; es war sogar schon einmal von 160 Milliarden DM die Rede.
Wie im laufenden Jahr wird die Treuhand auch 1992 mit einem Defizit in zweistelliger Milliardenhöhe, nämlich rund 30 Milliarden DM, aufwarten. Während man im Rahmen der Vertragsverhandlungen über die Herstellung der deutschen Einheit noch davon ausgegangen ist, daß die Treuhandanstalt nach Erfüllung ihrer Aufgaben mit einem Plus rechnen könne, müssen wir jetzt davon ausgehen, daß die Treuhand am Ende mit einem Volumen von rund 300 Milliarden DM in der Kreide steht. Dieser Betrag wird irgendwann auf den Bundeshaushalt zukommen, der dann diese Schulden, Herr Finanzminister, bedienen muß.

(Gerd Andres [SPD]: Leider wahr!)

Es ist richtig, daß dieser Haushalt — ich kenne sehr wohl die schwierige Lage, in der wir insgesamt sind — neuen Demokratien, neu entstehenden Marktwirtschaften im Osten und im Süden auf die Beine hilft und hierzu enorme Anstrengungen unternimmt. Richtig ist auch, daß die Bundesrepublik Deutschland das weiß Gott nicht allein schaffen kann. Wir brauchen hier ständig internationale Partner. Ich bin daher für all die Bemühungen dankbar, die unternommen worden sind, um das zustande zu bringen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Hier muß ein stärkerer Druck auf Japan und die Vereinigten Staaten ausgeübt und deutlich ausgesprochen werden, daß wir eine stärkere Mitwirkung dieser beiden Länder erwarten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Die können sich nicht abseits stellen, wiewohl wir als Bundesrepublik Deutschland angesichts der großen Zahl der Nachbarn, die wir haben, sicherlich in ganz anderer Weise gefordert sind als andere Staaten.
Für uns ist — Herr Finanzminister, nehmen Sie das bitte ernst — ganz wichtig: Wenn wir — —

(Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Ich nehme alles ernst!)

— Bitte?

(Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Ich nehme alles ernst von dir!)

— Um so dankbarer bin ich dafür, Theo.
Was uns auch im Zuge der Haushaltsberatungen verschiedentlich gestört hat — hier scheint die Bündelungsfunktion des Finanzministers im Laufe der Zeit verlorengegangen zu sein — , ist: Selbst die gewieftesten Haushälter wissen angesichts der Fülle von Maßnahmen nicht mehr genau, wo was — wenn es nicht



Helmut Esters
gerade im Einzelplan 60 ist — etatisiert ist. Hier gibt es dann Reibungsverluste.
Ein wichtiger Punkt ist für mich dabei, daß der Durchführungsteil der verschiedenartigen Maßnahmen nach Möglichkeit so konzentriert wird, daß man durchfindet, und zwar dort, wo die entsprechenden Durchführungsorganisationen vorhanden sind. Dann brauchen wir nicht immer den zu allen Zeiten benutzten Trampelpfaden zu folgen. Gehen wir dabei doch einmal neue Wege.
Hier gibt es Modelle — wir haben sie im Haushaltsausschuß erwähnt — in der Richtung, daß wir gemeinsam mit Polen und meinetwegen auch mit der Tschechoslowakei, worauf Klaus Rose großen Wert legt, Investitions- und Infrastrukturmaßnahmen auf beiden Seiten der Grenze fördern, und zwar auch wegen der Wanderungsbewegungen der Bevölkerung, die wir dort nicht ausschließen können. Wir müssen einen Beitrag leisten, um annähernd gleiche Lebensverhältnisse in diesen Bereichen herzustellen.
Nur, hier hängen sich die Ressorts und die Bürokratien — wahrscheinlich aus Gründen von Zuständigkeiten oder der Vorliebe für Bewilligungsbescheide — furchtbar schnell fest und wollen dies alles in eigener Regie machen. Ich wäre dankbar, wenn der Finanzminister diese Bündelungsfunktion übernähme und demnächst ein Haushalt in anderer Form vorgelegt werden könnte.
Doch denken wir bitte auch einmal daran: Wenn es bei den Belastungen im Haushalt und bei der Übernahme aus den Bereichen des Sondervermögens zu konjunkturellen Abschwächungen bei uns und anderswo kommt, dann stoßen wir sehr schnell an Grenzen, die wir dann durch öffentliche Hilfe nur noch ganz, ganz schwer wegbekommen. Wir müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, daß für Notfälle vorgesorgt ist und wir einen Kreditrahmen der öffentlichen Hand dann nicht bereits so weit ausgedehnt haben, daß wir nicht mehr weiterkommen. Das ist der wichtigste Punkt. Wir alle wissen nicht — Prognosen hin, Prognosen her — , wie sich die wirtschaftliche Situation in den nächsten Jahren national und international entwickeln wird.

(Hans H. Gattermann [FDP]: Deswegen müssen wir aktiv etwas tun!)

Deswegen ist es richtig, daß man, wenn neue Aufgaben kommen, prüft, ob alte Ausgaben noch erforderlich sind. Das gilt auch für den Stellenplan. Wenn es dringend erforderlich ist, z. B. die Gauck-Behörde personell so auszustatten, daß die Auskunftsersuchen erfüllt werden können, dann wäre ich der Koalition für die Bereitschaft dankbar — darauf habe ich sie angesprochen — , an anderen Stellen, wo der Abbau fällig ist, z. B. in der Bundeswehrverwaltung oder im Beschaffungsamt der Bundeswehr in Koblenz, die Instrumente einzusetzen, die Theo Waigel noch aus vielen Jahren im Haushaltsausschuß kennt, nämlich die berühmten nackten kw-Vermerke. Und „nackte kwVermerke" heißt nicht „künftig wichtig", sondern „künftig wegfallend" .
Danke schön.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205903500
Das Wort hat der Abgeordnete Roth (Gießen).

Adolf Roth (CDU):
Rede ID: ID1205903600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der geschätzte Kollege Helmut Esters hat seinen Beitrag in verbindlicher Form beendet.

(Rudi Walther [SPD]: Nimm dir ein Beispiel!)

Das hat sich sehr positiv von Reden anderer seiner Fraktionskollegen abgehoben. Das drückt auch ein Stück der Gemeinsamkeit aus, die uns im Haushaltsausschuß geprägt hat. Ich möchte sagen: Es ist vielleicht auch ein Hinweis darauf, daß wir die Härte des haushaltspolitischen Entscheidungsdrucks selten so wie gerade in diesem Jahr zu spüren bekommen haben. Denn haushalten heißt ja einteilen und nicht verstärkt zuteilen oder umverteilen.
Dieses Einteilen wird dem Haushaltsgesetzgeber oft genug schwer gemacht; schon dem Finanzminister, der häufig Mühe hat, seine Kabinettskollegen zu bändigen.

(Rudi Walther [SPD]: Oh, das ist wahr, ja!)

Aber es wird uns auch aus dem parlamentarischen Bereich heraus schwer gemacht. Denn im täglichen Meinungskampf verengt sich gelegentlich der eine oder andere Blickwinkel. Es ist für uns schon sehr wichtig, daß wir am Ende unsere Politik in einer klaren und faßbaren Haushaltsbotschaft formulieren können.
Ich meine, insbesondere in einer Zeit, in der zehnstellige Zahlen Nachrichtenkonjunktur haben, in der die Milliarde gelegentlich zur kleinsten Recheneinheit geworden ist, hat der Haushaltsausschuß eine solche Botschaft mit dem wirklich maßvollen Ausgabenzuwachs von nur 2,9 % und der Absenkung der Nettokreditaufnahme im Jahr 1992 auf 45 Milliarden DM überbracht. Dieses Leistungsergebnis lassen wir uns durch die Kritik der Opposition nicht schmälern. Dies ist die Grundlage für eine erfolgreiche Politik im nächsten Jahr.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dies gilt um so mehr, als die SPD ja schon in normalen Zeiten den Beweis schuldig geblieben ist, mit Geld überhaupt vernünftig umgehen zu können.

(Gerd Andres [SPD]: Es ist das allerletzte, was Sie da erzählen!)

Ich möchte gerade mit Blick auf das eine oder andere, was heute vormittag gesagt worden ist, hinzufügen: Mit Untergangsbeschwörungen und Krisenszenarien können Sie die schwierige Phase der deutschen Politik inhaltlich sicher nicht bereichern. Wir stehen vor der Frage, wie wir den Anschub in den östlichen Bundesländern erfolgreich meistern können. Der Ministerpräsident von Thüringen hat soeben noch einmal eindrucksvoll darauf hingewiesen. Dazu brauchen wir auch die Gemeinsamkeit im Parlament.



Adolf Roth (Gießen)

Die Chancen für dieses Einigungswerk sind günstiger, als viele gedacht haben. Das deutsche Wirtschaftswachstum, international ohnehin herausragend, ist ja ein Stück weit Fusionsgewinn aus der erreichten deutschen Einheit. Erstmals werden wir 1992 rund 3 Billionen DM — anders und genauer ausgedrückt: 3 010 Milliarden DM — als gesamtdeutsches Sozialprodukt erwirtschaften. Ich glaube, das ist eine stolze Zahl. Es ist genau doppelt so hoch wie das letzte Sozialprodukt unter der Verantwortung der SPD im Jahr 1982.
Damit wächst natürlich auch die Bemessungsgrundlage für alle ökonomischen Größen, auch für die Steuereinnahmen und damit auch für die Finanzsituation des Staates. Das reale Wachstum des Sozialprodukts bringt zusätzliche Steuern in die Kassen, und dies, obwohl wir pünktlich zum 1. Juli nächsten Jahres den befristeten Solidaritätszuschlag wieder beseitigen werden.
Graf Lambsdorff hat dessen Einführung heute kritisiert. Das war ein bißchen spät. Ich denke, die FDP-Kollegen wissen, daß auch hier der alte Satz gilt: Die ersten neun Jahre einer gemeinsamen Koalition sind immer die schwersten.
Meine Damen und Herren, seien wir froh darüber, daß die Dinge besser laufen als erwartet. Nach der jüngsten Steuerschätzung werden wir im nächsten Jahr immerhin 4 Milliarden DM Steuermehreinnahmen haben. Diese zusätzlichen Einnahmen werden voll zur Absenkung der Nettoneuverschuldung eingesetzt. Dies gilt auch für den allseits erwarteten höheren Gewinn der Deutschen Bundesbank, der an den Bundeshaushalt abgeführt werden muß.
Ich wage an dieser Stelle die Prognose — ich will nicht zu weit gehen — , daß unter Einrechnung dieser Gewinnabführung die Neuverschuldung des Bundes im kommenden Jahr unter 40 Milliarden DM liegen könnte.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Sei vorsichtig!)

Das sind dann 1,3 % des gesamtdeutschen Bruttosozialprodukts. Das ist nur halb so viel wie 1982. Dies ist ein großartiger Erfolg.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205903700
Herr Abgeordneter Roth, würden Sie eine Frage des Abgeordneten Wieczorek (Duisburg) beantworten?

Adolf Roth (CDU):
Rede ID: ID1205903800
Bitte.

Helmut Wieczorek (SPD):
Rede ID: ID1205903900
Herr Kollege, meine Frage kommt genau zur richtigen Zeit, denn ich möchte bei Ihrem Zahlensalat gern etwas Klarheit bekommen. 1982, so hat uns der Kollege Borchert vorgetragen, sei die Verschuldungsquote doppelt so hoch wie heute gewesen. Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß 1982 die Verschuldungsquote 2,7 % des Bruttosozialprodukts betrug, während sie heute bei 4,5 % liegt, wenn ich einrechne, was der Finanzminister eben als seine Schulden betrachtet hat, nämlich auch die der Schattenhaushalte insgesamt?

Adolf Roth (CDU):
Rede ID: ID1205904000
Herr Kollege Wieczorek, das ist jetzt peinlich für Sie; denn den Zahlensalat haben Sie nun angerichtet. Der Kollege Borchert hat die Verschuldungsquote des Bundeshaushalts, gemessen am Bruttosozialprodukt, mit 2,2 % angegeben.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Sie können sich nicht alles aussuchen, Herr Kollege!)

Das ist die Zahl von 1982. Die andere Zahl, die der Finanzminister vorhin erwähnt hat, nämlich die 4,5 %, sind das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit unter Einrechnung aller öffentlichen Haushalte von 1992.

(Jochen Borchert [CDU/CSU]: Auch der Länder und Gemeinden! — Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Aller Schattenhaushalte! Die Kurve kriegst du nie!)

Das ist der große Unterschied.

(Anhaltende Zurufe von der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205904100
Darf ich das Haus darauf aufmerksam machen, daß ich dem Abgeordneten Roth (Gießen) das Wort erteilt habe. Ich bitte, die allgemeine Unterhaltung zwischen den Fraktionen einzustellen.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Er muß sich durchsetzen!)

— Aber ich muß ihm dabei helfen, und das tue ich auch gerne.
Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Adolf Roth (CDU):
Rede ID: ID1205904200
Herzlichen Dank, Herr Präsident.
Die Neuverschuldung wird im nächsten Jahr, wenn sie die 40 Milliarden DM — was ich erwarte — unterschreiten wird, 1,3 To des gesamtdeutschen Bruttosozialprodukts ausmachen.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)

— Dann können Sie nicht rechnen. Die 40 Milliarden DM sind auf ein Bruttosozialprodukt von 3 Billionen DM bezogen. Die Zahl, die ich eben angegeben habe, ist daraus dann hoffentlich richtig errechnet.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Sie haben doch 135 Milliarden DM Schulden und nicht 40 Milliarden DM!)

Meine Damen und Herren, die Haushaltspolitik der Koalition bleibt — übrigens ganz im Sinne der Empfehlungen des Sachverständigenrates — konsequent auf dem Weg eines mittelfristig durchzuhaltenden Stabilisierungs- und Konsolidierungskurses. Der Sachverständigenrat hat in seinen Bemerkungen zur Ausgabendisziplin ja ausdrücklich anerkannt, daß die Finanzplanung des Bundes durch die Begrenzung und die Rückführung der Ausgabensteigerung auf durchschnittlich 2,3 % bis 1995 prinzipiell dem gebotenen Konsolidierungskurs folgt. Die fünf Professoren haben aber auch hinzugefügt — das hat die SPD überhaupt nicht aufgenommen — , daß diese positive Entwicklung leider nicht für die westdeutschen Länder



Adolf Roth (Gießen)

und ihre Gemeinden gilt, wo die Steigerungsraten nach wie vor viel zu hoch sind.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Weil ihr ihnen das Geld wegnehmt!)

Herr Kollege Jungmann, die SPD täte gut daran, ihr Tribunal in Richtung Kiel, Saarbrücken, Bremen, Hannover oder Wiesbaden zu verlegen. Sie können von mir aus auch Düsseldorf herausgreifen.

(Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Oder Stuttgart oder München! Vergeßt doch nicht die Hälfte!)

Dort hat vor wenigen Wochen der SPD-Fraktionsvorsitzende Farthmann seine eigene Landesregierung vorgeführt; er hat ihr eine „grauenhafte Verschuldung" vorgeworfen. Er hat gesagt, daß diese grauenhafte Verschuldung zu einer depressiven Phase, zu einem Formtief geführt habe. Er hat gesagt, es müsse zu einem Generationswechsel kommen. Das halbe Kabinett solle in den Ruhestand, und er selber hat sich gleich mit angeboten.

(Jochen Borchert [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich! Das sind die sozialdemokratischen Konzepte, von denen sie immer reden!)

Das ist der Unterschied zwischen einer wirklich ehrgeizigen Politik des Bundes und des Bundesgesetzgebers und den Bemühungen auf Landesebene.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Du lenkst doch ab von dem Problem! Das sind doch Nebenkriegsschauplätze!)

Das sage ich auch deshalb so betont, weil wir jetzt einen Wechsel in den Fraktionsführungen hatten. Die beiden großen Fraktionen treten im Gewand einer neuen Führung in dieser Haushaltsdebatte auf. Die neun Jahre unter dem Vorsitz von Dr. Alfred Dregger waren nicht nur gute Jahre für die CDU/CSU als Fraktion; sie waren auch gute Jahre für die Stabilität der deutschen Mark, für die deutschen Finanzen und für den wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU — Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Was hat das mit Dregger zu tun? Lassen Sie doch mal die Tassen im Schrank!)

— Lieber Kollege Walther. Ich erlaube Ihnen ausdrücklich, an dieser Stelle neidisch auf die CDU/CSU zu sein. Neid ist schon immer die Stärke der SPD gewesen.

(Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Auf Dregger sind wir ganz gewiß nicht neidisch!)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205904300
Es geht das Gerücht um, die Auseinandersetzungen im Haushaltsausschuß seien immer sehr fair und ruhig.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]: Was heißt hier „Gerücht"?)

Sie vermitteln im Moment einen etwas anderen Eindruck, meine Herren. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zu Ihren gewohnten Verhaltensweisen zurückkehrten.

Adolf Roth (CDU):
Rede ID: ID1205904400
Herr Präsident, das ist kein Gerücht, sondern das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit für uns.
Herr Kollege Borchert hat heute morgen darauf hingewiesen, daß wir nach der Bewältigung der ersten Herausforderung im Zusammenhang mit der deutschen Einheit nun wieder konsequent zur Sparstrategie der 80er Jahre zurückkommen werden. Ich finde, dies ist auch objektiv geboten. Denn kein Weg führt daran vorbei, daß wir in Zukunft die Steuerfinanzierungsquote des Bundeshaushalts bei gleichzeitiger Absenkung der Kreditaufnahme deutlich steigern. Dies geht aber nur über eine strikte Ausgabenbegrenzung. Denn Steuererhöhungen scheiden, wenn wir an den Industriestandort Deutschland denken, aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit völlig aus. Das heißt aber auch, daß wir die steigenden Zinsbelastungen — einschließlich der anteiligen Bundesverpflichtungen aus dem Kreditabwicklungsfonds, aus dem Fonds Deutsche Einheit und aus dem Treuhandbereich — aus regulären Einnahmen werden bedienen müssen. Dies wiederum, meine Damen und Herren, geht nur, wenn die allgemeinen Ausgabenzuwächse deutlich hinter der Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zurückbleiben, und zwar auf Jahre hinaus. Deshalb lautet ja die Devise, daß wir die Sparstiefel anbehalten müssen, daß wir streichen müssen und nicht draufsatteln können.
Meine Damen und Herren, nun kritisiert die SPD — der Kollege Esters hat das vorhin indirekt auch getan — die ungewöhnlich hohen und teilweise auch kurzfristig eingebrachten Umschichtungsanträge der Koalition während der diesjährigen Haushaltsberatungen. Ich muß sagen, ich habe dafür zu einem guten Teil durchaus Verständnis. Aber ich denke, es wird dabei übersehen, daß der Löwenanteil des veranschlagten Mehrbedarfs von 6 Milliarden DM in einem sehr engen Zusammenhang mit den nationalen Veränderungen und mit den veränderten internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland steht.

( V o r s i t z : Vizepräsident Helmuth Becker)

Deshalb ist es für uns entscheidend gewesen, daß wir alles das, was haushaltsmäßig bewältigt werden mußte, streng dem Gebot der Deckung durch entsprechende Ausgabenkürzungen an anderer Stelle unterworfen haben. Das Beratungsergebnis beweist, daß wir dies auch geschafft haben, aber es reflektiert nicht einmal ansatzweise, wie wir in mehr als 200 wesentlichen Veränderungen gravierende Umschichtungen vorgenommen haben — immerhin bei den Ausgaben 10,4 Milliarden DM Erhöhungen, aber 10,9 Milliarden DM Absenkungen und damit eine Einsparung von einer halben Milliarde DM!
Meine Damen und Herren, mit dieser Fähigkeit, die Dinge zu bündeln und zusammenzuhalten, hat der Haushaltsausschuß seine Entscheidungsfähigkeit unter Beweis gestellt und damit auch ein wichtiges Signal gesetzt. Im Interesse der Menschen in den jungen Bundesländern hätten wir hier nicht vertagen und verschieben dürfen; denn die brauchen klare Vorgaben durch den Haushaltsgesetzgeber.
Der Nachtragshaushalt 1991 steht hier jetzt ebenfalls zur endgültigen Verabschiedung an. Mit ihm



Adolf Roth (Gießen)

werden zum Jahresende die Finanzrücklagen der Bundesanstalt für Arbeit um bis zu 4,9 Milliarden DM aufgestockt. Die Bundesanstalt kann damit im Jahre 1992 ihren Haushaltsverpflichtungen aus eigenen Mitteln und Beitragseinnahmen gerecht werden, und sie wird insbesondere in der Lage sein, die nach wie vor notwendigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den neuen Bundesländern durchzufinanzieren.
Aus der Sicht meiner Fraktion ist dies politisch auch gerechtfertigt; denn wir brauchen das ABM-Instrumentarium, bei dem wir ja im August dieses Jahres schon die ursprüngliche Zielgröße von 250 000 erreicht und überschritten hatten und bei dem wir inzwischen auf eine Größe von 400 000 ausweiten konnten, in den Bereichen, in denen wir eine Ausnahmesituation meistern müssen, um damit einen dauerhaften Beitrag zur Stabilisierung der Beschäftigung zu leisten und um eine tragfähige Brücke in den regulären Arbeitsmarkt zu bauen.
Ich sage ganz klar: Was wir nicht wollen, sind unerwünschte Nebeneffekte. Die darf es nicht geben. Aus Transferzahlungen dürfen wir nicht einen zweiten Arbeitsmarkt dauerhaft alimentieren — womöglich noch zu Lasten der gewerblichen mittelständischen Wirtschaft. Das wollen wir nicht.
Die Finanzierung dieser Sonderzuweisung ist kapitalmarktunschädlich. Wie der gesamte Nachtragshaushalt wird auch diese Rücklagenzuführung aus im laufenden Haushaltsjahr 1991 erbrachten Minderausgaben finanziert.
Meine Damen und Herren, es wird auch sichergestellt sein, daß im kommenden Jahr die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung — wie das gesetzlich festgelegt ist — von heute 6,8 % wieder auf 6,3 % zurückgeführt werden können. Dies ist übrigens eine Größenordnung, die auf Dauer so keinen Bestand haben kann. Sie muß wieder auf ein erträgliches Maß zurückgeführt werden.
Meine Damen und Herren, ich will gar nicht im einzelnen auf die etwas verwirrende Diskussion in den letzten Wochen über die Lage der Sozialkassen zu sprechen kommen, aber auf einen Punkt darf man wohl einemal hinweisen, Kollege Esters:

(Helmut Esters [SPD]: Was wird denn erhöht?)

Die Wirtschaft und die Arbeitnehmer in Deutschland werden im Jahre 1992 über die Arbeitslosenversicherung 80 Milliarden DM an Beiträgen abführen. Hinter diesen 80 Milliarden DM steckt ein gewaltiger Solidaritätsbeitrag.

(Helmut Esters [SPD]: Richtig!)

Denn während die Ausgaben der Arbeitsverwaltung in den alten Bundesländern um etwa 30 Milliarden DM unter den hier erbrachten Beitragsabführungen bleiben, werden die Leistungen der Arbeitsverwaltung in den neuen Bundesländern um genau diese 30 Milliarden DM und zusätzlich 5 Milliarden DM Bundeszuschuß über die dort erzielten Einnahmen hinausgreifen. Ich denke, das ist ein herausragender Solidaritätstransfer, der auch in der deutschen Öffentlichkeit Anerkennung finden sollte. Er beträgt immerhin 1 % unseres gesamtdeutschen Bruttosozialprodukts.
Lassen Sie mich die anderen Schwerpunkte im Nachtragshaushalt nur kurz erwähnen. Da geht es um 600 Millionen DM einmalige Überbrückungshilfe für die alten Bundesländer im Zusammenhang mit der notwendigen und hoffentlich von allen unterstützten Aufhebung des Strukturhilfegesetzes. Es geht um 180 Millionen DM für zusätzliche Kulturförderung in den neuen Bundesländern, um eine Aufstockung des kommunalen Straßenbaus in den jungen Bundesländern nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz in Höhe von 200 Millionen DM und schließlich um 250 Millionen DM, die wir in die jetzt gegründete Stiftung „Deutsch-Polnische Aussöhnung" stecken, mit der — wie wir es sicher alle anerkennen und wünschen — ein wichtiger Schlußstrich unter die Entschädigungsansprüche gezogen wird.
Insgesamt ist — trotz dieses Nachtrags von 6,4 Milliarden DM — sichergestellt, daß die Nettoneuverschuldung um mindestens 10 Milliarden DM unter den Eckwerten bleiben wird, die die Bundesregierung am 14. November 1990, also vor der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl, veröffentlicht hat. Dies unterstreicht die Robustheit unserer ökonomischen Gesamtverfassung und ist insofern auch ein Signal für unseren Konsolidierungswillen.
Meine Damen und Herren, zurück zum Haushalt 1992. Die großen Ausgabenblöcke sind schwerpunktmäßig geprägt von der Verantwortung für die neuen Bundesländer. Insbesondere gilt dies für die Deutschlandkapitel im ressortübergreifenden Einzelplan 60, der Allgemeinen Finanzverwaltung. Dies ist, bildlich gesprochen, das Umspannwerk für die Energien, die wir im Zusammenhang mit der Aufbauarbeit in den neuen Bundesländern zum Einsatz bringen wollen. Sicher ist es nicht zu hoch gegriffen — ich will mich gar nicht in den Streit einmischen — , wenn der Nettotransfer aller öffentlichen Haushalte und der Sozialkassen im kommenden Jahr mit rund 100 Milliarden DM veranschlagt wird. Da sind die Steuermehreinnahmen aus dem Einigungsschub und auch die eingesparten früheren Teilungskosten bereits gegengerechnet.
Realwirtschaftlich gesehen ist die Leistung durchaus aus dem Wirtschaftswachstum der alten Bundesländer zu erbringen. Ich denke, es wird niemand in diesem Hause ernsthaft behaupten wollen, daß wir diesem Auftrag mit einer vorübergehenden Belastung in der Größenordnung von 3 bis 4 % des Bruttosozialprodukts nicht gewachsen wären. Die positiven Erfahrungen mit dem Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost — auf zwei Jahre befristet, dann in den normalen Einzelplänen des Bundeshaushalts weiterzuführen — wie auch mit dem Fonds Deutsche Einheit, der auf Jahre hinaus eine beträchtliche Mittelaufstockung von jährlich 5,9 Milliarden DM erfahren wird, unterstreichen, daß wir es mit dem Infrastrukturaufschwung und mit einer soliden Finanzausstattung der neuen Bundesländer ernst meinen.
Meine Damen und Herren, der Rest — unser Finanzminister hat vorhin davon gesprochen — ist natürlich in möglichst naher Zukunft zu regeln. Es geht um die Solidaritäts- und Kooperationsbereitschaft al-



Adolf Roth (Gießen)

ler Bundesländer, wenn der bundesstaatliche Finanzausgleich auf eine neue Basis gestellt werden soll.
Ein letztes Wort zu den mittelfristigen Haushaltsrisiken; die Stichworte hierfür sind heute oft genug gefallen, von den internationalen Liquiditätshilfen bis hin zum Kreditabwicklungsfonds oder den Treuhandschulden. Ich habe nichts gegen die Thematisierung dieser Fragen. Aber an einer falschen Dramatisierung habe ich sehr viel Kritik zu üben. Was wir jetzt nicht brauchen können, ist eine vordergründige Risikobeschwörung. Wo wir uns in den nächsten Jahren zu profilieren haben — gerade auch als Haushaltsgesetzgeber —, ist die Risikobewältigung. Das heißt natürlich, daß wir, auch im Blick auf die vorhandene Finanzplanung, die Spielräume nutzen müssen, die dort vorsorglich gebildet worden sind, daß wir die Ausgabendisziplin als Richtschnur unserer künftigen Politik aufrechterhalten und daß wir aus den neuen Handlungsspielräumen durch die Zurückführung in großen Bereichen — nicht nur beim Verteidigungshaushalt oder der Bundeshilfe für Berlin, sondern auch noch bei vielen anderen Blöcken — in den nächsten Jahren die Möglichkeiten ableiten, in Deutschland Politik verantwortlich weiter zu gestalten. Beim Bundeshaushalt 1992 hat die Koalition diese Statur bewiesen.
Wir stimmen dem Nachtragshaushalt 1991 zu. Wir stimmen den hier diskutierten Einzelplänen für 1992 zu und versichern, daß wir entsprechend den Forderungen aller Experten auch in Zukunft eine verantwortungsbewußte, auf strenge Sparsamkeit und Konsolidierung ausgerichtete und damit wachstumsfördernde Politik in Deutschland betreiben wollen. — Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205904500
Ich erteile jetzt unserem Kollegen Dr. Nils Diederich (Berlin) das Wort.

Dr. Nils Diederich (SPD):
Rede ID: ID1205904600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Waigel, nachdem wir nun die große Finanzpolitik abgehandelt haben, möchte ich daran erinnern, daß Sie auch einem Ministerium mit einer Reihe von Fachaufgaben vorstehen. Als Berichterstatter darf ich mich einigen Aspekten hierzu zuwenden, damit Sie nicht den Eindruck gewinnen, daß nicht auch Ihre fachliche Arbeit unter den scharfen Augen des Haushaltsausschusses steht.
Bereits anläßlich der Beratung zum Haushalt 1991 haben wir uns an dieser Stelle über die Modernisierung der Grenzabfertigungsanlagen zur CSFR und zu Polen unterhalten. Ich hatte angemahnt, daß dort etwas geschehen sollte. Unter dem 26. Juni haben Sie mir freundlicherweise einen Brief geschrieben, der mit dem Satz endete, Sie hätten angewiesen, daß dort etwas geschehe und daß Mittel umgeschichtet würden.
Ich muß allerdings feststellen, daß es auch im zweiten Jahr der deutschen Einigung de facto weder an den Grenzabfertigungsanlagen noch in den neuen Ländern selbst große baureife Projekte gibt. Wie aus der langen Liste im Haushaltsplan — vordergründig ansehnlich — hervorgeht, liegen von 17 neuen Vorhaben zehn in Ostdeutschland. Von den zehn Projekten sind allerdings neun mit einem Vorbehalt versehen, was heißt, daß es sich — jedenfalls was das Jahr 1992 betrifft — lediglich um Absichtserklärungen handelt, nicht, wie es bei der Mehrzahl der westdeutschen Projekte der Fall ist, um durchführungsreife Planungen. Ich höre in Berlin täglich auf verschiedenen Wellen im Radio die Meldung: in Pommellen Wartezeiten für Lkw bis zu zehn Stunden. Das ist kein Einzelfall; das haben wir, wie ich weiß, an vielen Übergängen.
Herr Minister, ich denke, es ist dringlich, daß dort etwas geschieht. Trotz aller großen finanzpolitischen Aufgaben muß ich Sie eindringlich auffordern, dort sehr schnell zu handeln, denn der Verkehr ist die erste Grundlage für einen internationalen Austausch in der Wirtschaft und für deren Wachstum.
Es gibt aber auch im Lande eine ganze Reihe von Aufgaben: die Schaffung von Unterkünften, der Neubau von Wohnungen für Verstärkungskräfte in Ballungsgebieten, der Umbau von Dienstgebäuden, z. B. der Hauptzollämter in Dresden und Pirna. Die Baumaßnahmen für die Oberfinanzdirektionen z. B. in Cottbus, Erfurt und Magdeburg sind zwar angekündigt, für 1992 ist dafür aber keine Mark eingestellt. Ich denke, diese Maßnahmen könnten konsequenter und schneller vorangetrieben werden, und erwarte, daß Sie zusagen, für eine Beschleunigung der Planungsverfahren zu sorgen, damit wir bereits 1992 einige Investitionen vornehmen können, und daß Sie bereit sind, auch Mittel umzuschichten, wenn das möglich ist.
Als zweites möchte ich die Vermögenszuordnung und die Verwertung der dem Bund zugefallenen Liegenschaften ansprechen. Die Koalitionsfraktionen haben leider die Personalwünsche des Finanzministers nur sehr zögerlich und nach großem Drängen erfüllt.

(Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: Vollständig erfüllt!)

Wir wissen, daß Zehntausende von Grundstücken in den neuen Ländern zugeordnet werden müssen und daß Eigentumsansprüche geklärt werden müssen. Wenn das nicht sehr schnell geschieht, heißt das, daß der Aufschwung in den neuen Ländern weiter gehemmt wird.
Ich kann aus der Sicht meines Wahlkreises, der Region Berlin/Brandenburg, sagen, daß eines der größten Investitionshemmnisse immer noch die Grundstücksfrage ist. Hier ist es nicht die Treuhand, es sind auch nicht nur die ungeklärten privaten Eigentumsverhältnisse, sondern es sind die noch nicht funktionierende Bundesvermögensverwaltung und die noch nicht funktionierende Vermögenszuordnung. Auch hier erwarten wir, Herr Finanzminister, daß sehr schnell etwas passiert. Wir brauchen das für die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Ländern.
Wir hatten im Frühjahr während der Beratungen des Haushalts 1991 beantragt, daß Grundstücke aus Bundesvermögen verbilligt abgegeben werden sollten. Die Koalition hatte das im Ausschuß noch vehement abgelehnt. Sie haben dann von diesem Pult aus im Frühjahr angekündigt, daß sich dort einiges tun werde. Ich denke, man kann sagen, inzwischen sind



Dr. Nils Diederich (Berlin)

einige Schritte getan worden. Wir sind dankbar, daß Sie unserem Drängen nachgegeben haben.

(Zuruf von der SPD: Er ist lernfähig!)

— Richtig, aber das Lernen ist ein immerwährender Prozeß. Uns genügt das, was wir erreicht haben, nicht. Wir haben gefordert, daß in begründeten Ausnahmefällen Grundstücke für Wohnzwecke, zur Schaffung von Studentenwohnungen, zum Ausbau von Infrastruktur und zur Schaffung von Arbeitsplätzen auch für ökologisch wertvolle Flächen zu Zwecken des Gemeinbedarfs bis zu 80 % ermäßigt abgegeben werden sollen und abgegeben werden dürfen. Dem ist die Koalition nicht gefolgt. Wir halten das insbesondere für die neuen Länder für dringlich; für ebenso dringlich halten wir es aber für die Regionen, in denen Militärstandorte aufgehoben werden und in denen es zu erheblichen ökonomischen und sozialen Strukturveränderungen kommt. Der Bund wird nicht ärmer, wenn er diese Grundstücke so billig abgibt; denn sie sind uns schließlich durch die Veränderungen der Weltlage als Geschenk zugefallen und nicht mühselig erworben. Wir sollten die Regionen, die von diesen Veränderungen betroffen sind, als allererste an den Vorteilen partizipieren lassen.

(Beifall hei der SPD)

Wir werden diese Forderung also weiter auf den Tisch legen.
Lassen Sie mich, da die Zeit knapp ist, nur noch auf einen Bereich hinweisen, der uns allen große Sorge macht. Täglich werden wir durch die Treuhandanstalt mit neuen Milliardenskandalen, mit neuen Personalproblemen konfrontiert. Es wird immer häufiger klar, daß der Finanzminister offenbar nicht in der Lage ist, diese Einrichtung so zu steuern, daß sie ihre Aufgabe wirklich positiv erfüllen kann. Es ist eben nicht eine private Holding. Herr Minister, Sie haben das vorhin auch eingeräumt. Es ist nicht nur die Staatshaftung, die dahintersteht, es ist auch die politische Verantwortung, die wir alle gemeinsam haben, um den Umbau in den neuen Ländern erfolgreich voranzubringen.
Meines Erachtens zeigt sich jetzt sehr deutlich, daß die Treuhand hoffnungslos überfordert ist - und offenkundig das aufsichtsführende Ministerium auch. Ich halte die Treuhand — ich kann das im einzelnen jetzt leider nicht ausführen — in der jetzigen Form für eine gigantische Fehlkonstruktion. Ich räume ein, daß die Treuhand in sehr kurzer Zeit wirksam arbeiten muß. Ich räume auch ein, daß es schwierig ist, ausreichend qualifizierte Kräfte für diesen Riesenapparat bereitzustellen. Aber ich denke, daß sich die Grundphilosophie der ganzen Einrichtung inzwischen als fehlerhaft erwiesen hat. Es kommt nicht darauf an, um jeden Preis zu verscherbeln, zu privatisieren.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!)

Denn was nützt es uns, wenn die Stahlwerke in Hennigsdorf an einen internationalen Konzern abgegeben werden, wenn dabei praktisch nur noch die fast leere Hülle, die Immobilie, übernommen wird und die 5 000 his 6 000 Arbeitnehmer dem Bund präsentiert werden, der sie dann in Beschäftigungsgesellschaften finanzieren darf? Wäre es nicht besser, die Unternehmen, wie es nach dem Kriege in Westdeutschland geschehen ist, für eine Übergangszeit als Staatsbetriebe weiterzuführen und zu sanieren — ich nenne die Beispiele DIAG und Salzgitter — und dann, wenn sie saniert sind, auf den Markt zu bringen? Ich glaube, hier ist auch der Finanzminister gefordert. Wir fordern ihn auf, die Politik, die er mit und gegenüber der Treuhand betreibt, gründlich zu überdenken und zu verändern.
Sehr geehrter Herr Finanzminister, wir können Ihrem Haushalt nach aller Kritik, die wir heute angebracht haben, natürlich nicht zustimmen.

(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Warum nicht?)

Ich räume ein, daß wir in hervorragender Weise in einzelnen Punkten mit dem Ministerium haben zusammenarbeiten können. Ich freue mich, daß es uns gelungen ist, punktuelle Erfolge zu erzielen; aber wir wunschen uns, daß Sie sich noch mehr bewegen, bis wir eines Tages einmal zustimmen können, weil Sie die sozialdemokratischen Wünsche erfüllt haben.
Danke.

(Beifall bei der SPD)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205904700
Meine Damen und Herren, das Wort hat nun unser Kollege Hans-Werner Müller (Wadern).

Hans-Werner Müller (CDU):
Rede ID: ID1205904800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Abschluß dieser finanzpolitischen Debatte habe ich noch einige Bemerkungen zu dem, was wir heute morgen hier gehört haben, sowie zu einigen Aspekten, die ich auch als Berichterstatter zu diesem Einzelplan ansprechen möchte, zu machen.
Die Entscheidung für die deutsche Einheit war eine Entscheidung für die Soziale Marktwirtschaft. Wir alle wissen, daß die Soziale Marktwirtschaft vom Staat nicht gegängelt werden darf, daß aber eine funktionierende Verwaltung unabdingbar ist. Ich möchte hier über das sprechen, was gerade die Verwaltung des Bundesfinanzministers zur Funktionstüchtigkeit dieser Sozialen Marktwirtschaft leisten muß, und dies insbesondere im Vereinigungsprozeß. Ohne diese funktionierende Verwaltung ist der Aufschwung Ost nämlich nicht zu realisieren.
Abrunden will ich meinen Beitrag mit wenigen Hinweisen auf politische Entscheidungen, die zwar in der Relation nicht so viel Geld kosten, die aber wichtig sind, um dieses System der Sozialen Marktwirtschaft bei uns aufrechtzuerhalten und es auch in den Nachbarstaaten, den Reformstaaten, während der Einführung zu flankieren. Ich spreche vom Aufbau der Bundesvermögensverwaltung in den neuen Ländern. Ich will das aufgreifen, was Herr Kollege Nils Diederich zur verbilligten Abgabe von Grundstücken gesagt hat; ich werde da andere Akzente setzen. Ich spreche die Gutachten, die wir in Begleitung der Arbeit der Treuhand erstellen, und einiges andere mehr an.
Wir haben 500 000 ha Fläche hinzugewonnen; 5 000 km2. Das ist die doppelte Fläche meines Bundeslandes. Es sind insgesamt 5 % der Fläche der ehemaligen DDR. 66 000 Wohnungen, 700 Großliegen-



Hans-Werner Müller (Wadern)

schaften und 36 000 Gebäude werden uns von den sowjetischen Streitkräften zurückgegeben.
In verstärktem Maße läßt sich dieser ungeheure Wohnungsbestand jetzt für eine Unterbringung sonstiger Bundesbediensteter nutzen; oder, was vorzuziehen ist, dieser Bestand kann nach und nach veräußert werden.
Meine Damen und Herren, deswegen haben wir trotz der Maßstäbe, die wir sonst im Haushaltsausschuß anlegen, wenn es um Personalvermehrung geht, dieses Mal — anders, als Sie es eben ausgedrückt haben — die Anforderungen des Bundesfinanzministers hinsichtlich der Stellenerhöhung voll erfüllt.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Nur sehr zögernd!)

Es sind 742 neue Stellen,

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Da haben wir ganz schön drängeln müssen!)

die wir nur deswegen genehmigt haben, weil eine rasche Abwicklung dieser Grundstücksfragen unabdingbar ist und weil wir uns auf keinen Fall den Vorwurf gefallen lassen wollen, daß wir private Investitionen verzögern wollten, da die Grundstücksverwaltungen ihre Hausaufgaben nicht machen können.
Meine Damen und Herren, wir als Parlament erwarten aber — und das haben wir bei anderer Gelegenheit auch schon gesagt — , daß öffentlich Bedienstete, deren andere Aufgaben wegfallen, hier vordringlich eingesetzt werden. Wenn z. B. der Bundesfinanzminister 1 200 Stellen von Zollbeamten freisetzen muß, weil — Gott sei Dank — die innerdeutsche Grenze wegfällt bzw. weil der europäische Binnenmarkt jetzt eingeführt wird, dann sollte man, bevor man neue Leute anwirbt, natürlich auf die Kräfte zurückgreifen, die vorhanden sind.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!)

Ich glaube, das sind wir dem Steuerzahler schuldig.

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU — Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!)

Kollege Esters — er ist jetzt nicht da — , ich möchte Ihnen sagen: Wir haben diese Sperre, die wir bei der Gauck-Behörde eingebracht haben — wir werden im Laufe dieser Tage noch Gelegenheit haben, darüber zu sprechen — , nicht als ein Hindernis verstanden, durch das die Gauck-Behörde ihre Arbeit nicht bewältigen kann; sondern es ist ein klarer Fingerzeig an die Regierung, freiwerdendes Personal auch für diese Aufgaben einzusetzen, was ja ohne weiteres möglich ist.
Die Grundstücke, die dem Bund zugewachsen sind — sie liegen ja nicht nur im Osten, sondern durch den Wegfall der Liegenschaften der Bundeswehr zunehmend auch im Westen — , müssen sinnvoll verwertet werden. Deswegen haben wir eine Reihe von Vermerken in diesen Haushaltsplan eingebracht, die die Länder und Kommunen nachhaltig unterstützen.
Ein Teil der Probleme der Truppenreduzierung kann damit gelöst werden. Nicht mehr militärisch genutzte Grundstücke werden mit erheblichem Preisnachlaß zur Erfüllung einer Vielzahl von Aufgaben preisgünstig verkauft.
Meine Damen und Herren, es handelt sich hierbei — das ist kein zu großes Wort — um die größte Verbilligungsaktion bundeseigener Grundstücke für öffentliche und soziale Aufgaben. Dies muß deutlich gesagt werden. Die Gemeinden und Städte, die bisher auf Grund der Stationierung von Streitkräften und ihrer Liegenschaften besondere Belastungen tragen mußten, können jetzt von diesen Maßnahmen besonders profitieren.
In den neuen — oder jungen — Bundesländern wird der Aufbau der Gebietskörperschaften dadurch weiter gefördert. Ich will nicht zu sehr in die Einzelheiten gehen, aber dadurch ist die Schaffung von neuem Wohnraum im Rahmen des Sozialwohnungsbaus möglich, die Schaffung von Studentenwohnraum, für Verwaltungszwecke, für Hochschulen, Alten- und Pflegeheime und vieles andere mehr. Der Bund verzichtet auf Sanierungsgewinne, wenn sich Gemeinden dazu entschließen, diese Liegenschaften für die Sanierung vorzusehen. Schließlich räumt der Bund auch großzügigste Zahlungskonditionen ein, wobei auch das Instrument des Erbbaurechts weiter zur Anwendung kommen kann. Ich darf wiederholen: Es ist die größte Verbilligungsaktion bundeseigener Grundstücke, die wir bisher erlebt haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Punkte ansprechen, bei denen sich der Finanzminister mit Geld engagiert, um den gesamten Prozeß der Einführung der Sozialen Marktwirtschaft zu begleiten, und dies nicht nur bei uns, insbesondere in den neuen Bundesländern, sondern auch in den benachbarten östlichen Reformstaaten. Hier sind zu nennen: die Kosten für Sachverständige, die Finanzierung von Symposien zur Frage der Privatisierungspolitik sowie ein Beitrag, den wir zum Aufbau von Kapitalmärkten und Wertpapierbörsen in mittel- und osteuropäischen Staaten leisten. Es ist wichtig, daß dies auch einmal in einer Haushaltsdebatte erwähnt wird.
Wir bringen 55 Millionen DM für Experten aus, die die Strukturpolitik, die in den neuen Ländern zu betreiben ist, begleiten sollen. Das sind Aufgaben, die der Finanzminister und auch die Treuhandanstalt nicht allein bewältigen können. Es geht um Gutachten, die von externen Experten gefertigt werden, die vornehmlich prüfen, wie sich die Durchführung der Konzepte auf die betroffenen Regionen oder auch auf die entsprechenden Branchen auswirkt. Die notwendigen Untersuchungen, die dabei anfallen, können — wie ich schon sagte — weder von der Treuhandanstalt noch vom Finanzminister geleistet werden. Sie sind aber wichtig, um die regional- und strukturpolitischen Entscheidungen vorzubereiten.
Meine Damen und Herren, wir haben im Haushaltsausschuß auch Wert darauf gelegt, daß nicht immer dieselben Experten als Sachverständige zum Zuge kommen, sondern daß die Beauftragung der Gutachter breit gestreut wird. Der Privatisierungsprozeß schreitet ja erfreulicherweise rasch voran — wie hier auch Herr Ministerpräsident Duchac vorgetragen hat — , aber mit dieser wachsenden Geschwindigkeit ändern sich die Strukturen in den neuen Bundeslän-



Hans-Werner Müller (Wadern)

dern. Deswegen ist die regelmäßige Überprüfung von Organisation und Aufgaben der Treuhandanstalt notwendig.
Meine Damen und Herren, wir müssen auch einen Betrag für Gutachten und Symposien zu Fragen der Privatisierungspolitik ausbringen. In zunehmendem Maße wird von den östlichen Reformstaaten der Wunsch an uns herangetragen, man möge doch einmal ganz einfach zum Ausdruck bringen, wie eine durchdachte Privatisierungspolitik betrieben werden müsse. Der Sachverstand — unser Sachverstand — muß also in diese Länder hineingebracht, ihnen zur Verfügung gestellt werden. Das ist aus diesem Titel zu zahlen.
Nun darf ich ein letztes Beispiel, das mir wichtig erscheint, ansprechen. Eine Million DM geben wir — wir haben sie allerdings noch gesperrt — für privatwirtschaftliche Initiativen beim Aufbau von Börsen und Kapitalmärkten in Osteuropa aus. Vorgesehen ist neben der Zurverfügungstellung des Know-hows aus den Banken- und Börsenkreisen die Weitergabe dieses Wissens in Aus- und Fortbildungsmaßnahmen und auch die Beteiligung am Aufbau entsprechender Datenverarbeitungsverfahren. Selbstverständlich wird der Hauptteil dieser Aufgabe zukünftig von den Börsen und Banken auf Grund der dort vorhandenen Interessenlage wahrzunehmen sein. Es geht hier lediglich um eine ganz bescheidene Anschubfinanzierung, die den Reformprozeß in den Staaten Mittel- und Osteuropas zum Aufbau marktwirtschaftlicher Ordnungen durch die Schaffung funktionierender Kapitalmärkte — insbesondere die Einrichtung von Wertpapierbörsen — fördert. Die Fördermaßnahme ist ein Baustein für einen sich selbst tragenden Entwicklungsprozeß.
Neben den wirtschaftlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Herausbildung entsprechender Märkte sind Beratung und technische Hilfe von größter Bedeutung. Mit wenig Mitteln kann hier eine beträchtliche Wirkung erzielt werden. Die deutsche Wertpapierbörse, ja, der Finanzplatz Deutschland bieten eine gute Chance für eine Drehscheibenfunktion für die östlichen Staaten.
Lassen Sie mich zum Abschluß dieser Debatte ganz persönlich einen Dank an den Finanzminister, vor allen Dingen aber auch an die Beamten des Finanzministers richten. Wir, die wir als Berichterstatter näher dran sind, erleben seit Monaten, wie dieses Ministerium beansprucht wird, um die Jahrhundertaufgabe deutsche Einheit und alles, was damit zusammenhängt, zu leisten und zu schultern. Wir verfügen — wir haben das festgestellt — über qualifizierte Beamte, von denen wir wissen, daß sie diese Aufgabe meistern werden. Es ist richtig, das auch an dieser Stelle einmal auszudrücken. Nicht zuletzt auch aus diesem Grunde stimmen wir dem Haushaltsplan zu.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205904900
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Einzelplan 08 — Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Wer stimmt für den Einzelplan 08 in der Ausschußfassung? — Die Gegenprobe! — Dieser Einzelplan ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD und der PDS angenommen.
Wir stimmen jetzt über Einzelplan 32 — Bundesschuld — in der Ausschußfassung ab. — Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Einzelplan 32 ist bei den gleichen Stimmenverhältnissen angenommen.
Wir stimmen jetzt über Einzelplan 60 — Allgemeine Finanzverwaltung — in der Ausschußfassung ab. — Wer stimmt für diesen Einzelplan? — Die Gegenprobe! — Auch hier haben wir die gleichen Stimmenverhältnisse. Der Einzelplan 60 ist angenommen.
Wer stimmt für Einzelplan 20 — Bundesrechnungshof — in der Ausschußfassung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einzelplan 20 ist bei einer Stimmenthaltung aus der Gruppe der PDS/Linke Liste und einer Gegenstimme mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion angenommen.
Wir stimmen jetzt noch über den Entwurf eines Nachtragshaushaltsgesetzes 1991 auf den Drucksachen 12/1300, 12/1587 und 12/1599 ab, und zwar zunächst über die Nachträge zu den Einzelplänen.
Ich rufe die Nachträge zu den Einzelplänen 06, 09, 11, 23, 32 und 60 auf. Dabei handelt es sich um die Geschäftsbereiche des Bundesministers des Innern, des Bundesministers für Wirtschaft, des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, des Bundesministers für Wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie Bundesschuld und Allgemeine Finanzverwaltung, jeweils in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? — Die Gegenprobe! — Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD und PDS/Linke Liste angenommen.
Ich rufe jetzt den Entwurf des Nachtragshaushalts 1991 mit seinen Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Der Nachtragshaushalt 1991 ist bei gleichem Stimmenverhältnis angenommen. — Ich danke Ihnen.
Ich rufe auf: Einzelplan 12
Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr
— Drucksachen 12/1412, 12/1600 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst Waltemathe Wilfried Bohlsen
Werner Zywietz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort unserem Kollegen Ernst Waltemathe.




Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1205905000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Haushaltsberatungen haben bekanntlich ihre Rituale. Wir treten jetzt eigentlich in die richtige Einzelberatung ein. Als Sprecher der Opposition werde ich natürlich behaupten, daß die Regierung alles verkehrt macht. Die Vertreter der Regierungskoalition werden dagegenhalten, indem sie sagen werden, ihre Politik sei ohnehin ohne jegliche Alternative. Bei der Beurteilung des Verkehrsetats wird das Rollenspiel wahrscheinlich nicht anders sein. Krause fährt verkehrt, sage ich, und empört werden die Koalitionsvertreter antworten, einen besseren Verkehrsminister gebe es überhaupt nicht.

(Jochen Borchert [CDU/CSU]: Richtig!)

Ich hätte krause Gedanken, Krause aber sei Ernst.

(Helmut Esters [SPD]: Herr Waltemathe, das sagt keiner!)

Bevor ich Krauses Zeug behandle, möchte ich — wo bleibt denn sonst das Positive? — einen Dank voranstellen. Die Zusammenarbeit mit dem Ministerium war gut. Die Berichterstatter des Haushaltsausschusses haben jederzeit die Auskünfte und Unterlagen erhalten, die für die Feinarbeit an den umfang- und zahlreichen Etatpositionen benötigt werden. Ich bitte den Minister Krause — falls er zuhört — , den Damen und Herren des Ministeriums den Respekt für diese Zusammenarbeit auszurichten.
Ich möchte mich gleichzeitig bei meinen Kollegen Bohlsen und Zywietz, den ich zur Zeit noch nicht sehe, für die sachliche und faire Art und Weise bedanken, mit der wir die Arbeit am Etat geleistet haben.
Nun aber, meine Damen und Herren, zur Sache. Der Verkehrsetat ist auf rund 40 Milliarden DM angestiegen. Zusammen mit weiteren Mitteln von annähernd 5 Milliarden DM aus dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost macht er so viel aus, daß mehr als jede zehnte Mark des Bundeshaushalts für Verkehrspolitik ausgegeben wird. Rund 57 % der Gesamtmittel des Verkehrsetats, einschließlich Aufschwung Ost, sind Investitionsmittel. Damit erweist sich der Verkehrsetat als der Einzelhaushalt, der am meisten bewegt, für die Konjunktur eine entscheidende Bedeutung hat und — wenn Sie es nicht mißverstehen - eine Investitionslenkung betreibt.
Es gäbe also die Chance, die Verkehrspolitik grundlegend umzuorientieren. Es gäbe die Möglichkeit, die Wettbewerbsverhältnisse unter den unterschiedlichen Verkehrsträgern Straße, Schiene, Wasser und Luft so zu gestalten, daß auf umweltverträglichere, auf weniger belastende und auf zukunftsweisende Verkehrsverhältnisse umgesteuert wird, die die Mobilität von Waren, Dienstleistungen und Menschen keineswegs unzumutbar einschränken, aber doch so lenken, daß sowohl Verkehrsinfarkte als auch irreparable Schäden an der Natur vermieden werden.
Aber dazu, meine Damen und Herren, bedarf es des politischen Wollens.

(Helmut Esters [SPD]: Richtig!)

Dazu bedarf es der klaren Änderung der Rahmenbedingungen.

(Helmut Esters [SPD]: Richtig!)

Dazu muß mit marktwirtschaftlichen Mitteln dafür gesorgt werden, daß alle Wegekosten, also auch die volkswirtschaftlichen, in die Betriebsrechnungen aller Verkehrsträger Eingang finden und der Wettbewerb nicht verzerrt ist.

(Beifall bei der SPD)

Sieht man sich unter diesen Kriterien den Verkehrsetat an, so fällt das Mißverhältnis der Investitionsarten auf. Insgesamt steigt der Verkehrsetat um 12,8 % an. Das ist der Durchschnitt. Aber Vorsicht! Die Mittel für Straßen- und Autobahnbau steigen um 18 %, die für Bahnprojekte lediglich um 6 %. Anders ausgedrückt: Die Koalition wird wahrscheinlich darlegen, daß die Reichsbahn und die Bundesbahn 1992 8,227 Milliarden DM für Investitionen erhalten, für Autobahnen und Bundesstraßen dagegen „nur" 8,1 Milliarden DM ausgewiesen sind, also weniger.
Ja, das stimmt. Aber auch Zahlen können lügen; denn die 8,1 Milliarden DM für Straßenbau werden wirklich für den Bau von Strecken ausgegeben werden. Von den Bahninvestitionen werden nicht einmal die Hälfte, nämlich nur 3,85 Milliarden DM, dem Streckenausbau zugute kommen, während der größere Rest von 5,5 Milliarden DM für Wagenpark, Signaltechnik, Betriebsverluste usw. Verwendung findet.
Das hat Tradition: Seit 1960 hat die deutsche Verkehrspolitik kräftig in den Straßenbau investiert, rund 450 Milliarden DM für neue Betonpisten ausgegeben und das Fernstraßennetz um mehr als ein Drittel erweitert. Zugleich wurden Bahnstrecken stillgelegt und lediglich 52 Milliarden DM in Gleisanlagen investiert — also nur ein Neuntel von dem, was uns die Straßen wert gewesen sind.
Von Umsteuerung kann auch jetzt keine Rede sein. Zu befürchten ist vielmehr, daß die Reichsbahn das gleiche Schicksal erleiden wird wie die Deutsche Bundesbahn. Die Bahnen werden in immer höhere Verschuldung getrieben. Sie sollen weiterhin Streckennetz, Streckenunterhaltung und die Verkehrsregelung auf ihren Strecken selber finanzieren, ohne kostendeckende Einnahmen erzielen zu können. Dagegen werden der Straßenbau, die Unterhaltung von Straßen und die Verkehrsregelung auf ihnen aus dem Steuertopf finanziert.
Wohin die Reise gehen soll, zeigt die mittelfristige Finanzplanung: 17 Milliarden DM bis 1994 für die Verbesserung des Reichsbahnnetzes, aber 30 Milliarden DM für Fernstraßen, die überwiegend in den neuen Ländern verbaut werden.
Damit die Verkehrsprojekte „deutsche Einheit" in den neuen Bundesländern akzeptiert werden, will nun Minister Krause 8 Millionen DM zur, wie es heißt: Information der Bürger, also vermutlich für Propaganda ausgeben. Wir meinen, wenn schon solche Gelder bereitgestellt werden, dann sollte diese Informationsarbeit wenigstens von den extra gegründeten Planungsgesellschaften geleistet werden, die ja für die Ausgestaltung dieser Projekte zuständig sind, und nicht vom Verkehrsministerium.

(Beifall bei der SPD)




Ernst Waltemathe
Unser diesbezüglicher Antrag im Haushaltsausschuß wurde von der Koalition abgelehnt. Es ist also klar, wofür die Mittel eingesetzt werden sollen: Statt Bürgerbeteiligung lieber etwas Propaganda! Also sind diese 8 Millionen DM wirklich überflüssig.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Daß die FDP so etwas mitmacht, das begreift man nicht!)

Für Verkehrserziehung und Verkehrsaufklärung stehen 40 Millionen DM unstreitig und unbestritten bereit, und zwar mehrheitlich für Ostdeutschland. Das ist angesichts der hohen Unfallzahlen auch wichtig; dafür werden solche Mittel durchaus benötigt.
Sie nützen aber nichts, wenn keine dem Verkehr angepaßten Verkehrsregeln — d. h. beispielsweise auch die Einführung bzw. Beibehaltung von Tempolimits —

(Zuruf von der CDU/CSU: Ach du liebe Zeit!)

und entsprechende Verkehrskontrollen geschaffen werden. — Wenn Sie sagen: „Ach du liebe Zeit! " möchte ich nur auf folgendes hinweisen: Ein Bundesminister, der der CDU angehört, nämlich Herr Töpfer, hat sich am 14. November — das ist noch nicht so furchtbar lange her — auch anhand von Daten des Umweltbundesamtes in einer Pressekonferenz für ein Tempolimit ausgesprochen. Der eine pro, der andere kontra — was will die Bundesregierung denn nun?

(Birgit Homburger [FDP]: Kontra!)

In der Binnen-, in der Küsten- und in der Seeschiffahrt sieht es ebenfalls nicht rosig aus. Obwohl gerade die Erweiterung Deutschlands eine Verlängerung der deutschen Ostseeküste mit sich bringt und sich somit günstige Perspektiven für Ost-West-Güterverkehre zu Wasser bieten, werden solche Optionen im Bundeshaushalt vernachlässigt. Für Investitionen, für Betrieb und Unterhaltung von BundeswasserstraBen stehen gerade einmal 2,2 Milliarden DM zur Verfügung.
Die deutsche Seeschiffahrt ist praktisch zum Stiefkind bundesdeutscher Verkehrspolitik geworden. Direkte Beihilfen in Form von Finanzbeiträgen zu den Betriebskosten von Seeschiffen werden auslaufen. Gegenüber der Finanzplanung der Bundesregierung sind sie ohnehin schon erheblich reduziert worden und sind im Etat 1992 letztmalig mit noch 50 Millionen DM veranschlagt. Die Stop-and-go-Politik in der Seeschiffahrt hat zur Folge: Wir haben schon jetzt wieder eine verstärkte Ausflaggung von deutschen Seeschiffen zu verzeichnen, und dieser Trend wird zunehmen.
Nun will ich keine Mißverständnisse aufkommen lassen. Wir Sozialdemokraten befürworten keineswegs die Direktsubventionen, schon gar keine dauerhaften Direktsubventionen. Aber die Bundesregierung muß endlich der Aufforderung des Parlaments nachkommen, spätestens mit Wirkung vom 1. Januar 1993 die Rahmenbedingungen der Steuergesetzgebung so zu verändern, daß die deutsche Seeschiffahrt, die deutsche Flagge wettbewerbsfähig ist.
Wir brauchen als Außenhandelsnation Handelsschiffe unter deutscher Flagge. Wir brauchen gut ausgebildete Seeleute, die zu Billig- oder Hungerlöhnen nicht zu haben sind.

(Abg. Dr. Peter Struck [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Was ist? (Heiterkeit)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205905100
Kollege Waltemathe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Struck?

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1205905200
Ja. Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte sehr.

Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1205905300
Herr Kollege Waltemathe, vorwegnehmend, daß ich Ihre Ausführungen in allen Punkten teilen kann,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das überrascht uns aber!)

möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, daß wir dem Kollegen Hans Georg Wagner, der heute Geburtstag hat, herzlich gratulieren sollten

(Heiterkeit bei der SPD)


Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1205905400
Aber selbstverständlich. Ich gratuliere von dieser Stelle aus ganz herzlich: Alles Gute!

(Beifall im ganzen Hause)

Das ist natürlich ein wichtiger Hinweis.
Nun kehre ich wieder von der Saar zurück zur Seeschiffahrt.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Denken Sie an den Saarkanal, Herr Kollege!)

— Ja, aber der ist schon finanziert worden.
Die steuerlichen Rahmenbedingungen für die Seeschiffahrt müssen abgeändert werden. Darüber sind wir uns eigentlich einig, jedenfalls die Fachpolitiker, Kollege Fischer.
Das Steuerrecht tut so, als wenn unsere Seeleute, als wenn unsere Schiffahrt die Wertschöpfung unserer Transportleistungen im Inland erzielten. Das ist aber nicht der Fall. Mindestens die Hälfte wird auf internationalen Gewässern erzielt. Deshalb ist es ungerecht, die Heuern der Seeleute und die sonstigen Einkommen, die erzielt werden, so zu besteuern, als sei dies alles im Inland erzielt worden. Die ungerechte Besteuerung erhöht gleichzeitig die Betriebskosten der Reeder, die um so mehr nach fremder Flagge und Billigstseeleuten Ausschau halten.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Jetzt ist der Finanzminister wieder nicht da!)

— Ja, der ist leider weg. Es wird ihm aber sicherlich noch erzählt werden.
Meine Damen und Herren, es fehlt auch an einem übergreifenden Konzept für den innerdeutschen und den europäischen Flugverkehr. Die Spatzen pfeifen es längst von den Dächern: Auch der Luftraum wird eng, auch der Flugverkehr belastet durch Lärm, durch



Ernst Waltemathe
Kohlendioxidemissionen und durch Betonierung immer größerer Flächen für Flughäfen die Umwelt. Dabei nimmt aber die Mobilitätsgeschwindigkeit der Benutzer durch lange Anfahrtswege, durch Wartezeiten auf den Flughäfen und durch Sicherheitschecks, die leider notwendig sind, gleichzeitig ab.
Die Zubringerverkehre zu den internationalen Airports müssen umgesteuert werden. Wir brauchen im Prinzip nicht mehr Start- und Landebahnen für Kurzstreckenflüge bis 500 Kilometern, sondern eine schnelle, spurgebundene Verbindung zwischen den Verkehrsflughäfen.

(Beifall bei der SPD)

Dazu, meine Damen und Herren, könnte auch der Transrapid einen eigenen Marktanteil finden und einen Beitrag leisten, ohne der Bahn Konkurrenz zu machen. Damit ist allerdings, Herr Minister, noch kein Wort darüber gesagt, wo gegebenenfalls mit einer Transrapidstrecke begonnen werden sollte. Das muß sicherlich noch sehr sorgfältig beraten werden.
Nun zu dem Finanzierungsteil. Da scheint es ein neues Zauberwort zu geben: private Finanzierung öffentlicher Leistungen oder Privatisierung hoheitlicher Aufgaben.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Neuer Schuldentopf ! )

So falsch es ist, dem Staat zuzutrauen, nur er allein sei in der Lage, öffentliche Nachfragebedürfnisse richtig zu befriedigen, so verkehrt liegt man auch, wenn man glaubt, privat ginge alles besser und vor allen Dingen billiger.
Erster Punkt: Jeder, meine Damen und Herren, kann verstehen, daß insbesondere diejenigen Menschen, auch diejenigen Mitglieder dieses Hauses, die 40 Jahre Planwirtschaft hinter sich haben, beim Stichwort „Planung" zunächst einmal zusammenzucken. Das mag, abgesehen von den miesen Ergebnissen kommunistischer Staatskunst, auch daran liegen, daß Planung unter einem obrigkeitsstaatlichen Regime ein höchst geheimer Vorgang ist, bei dem über Interessen der Bürgerinnen und Bürger einfach hinweggerollt wird.

(Zuruf von der SPD: Sehr wahr!)

In einer freiheitlichen Demokratie aber muß Planung bedeuten: sich kümmern um die öffentliche Sache, um die res publica, um die Republik; abwägen zwischen unterschiedlichen Interessen; überlegen von Alternativen und Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger am Abwägungsprozeß und schließlich Herstellung von Akzeptanz der öffentlich diskutierten Lösungsvorschläge. Ein noch klügerer Mensch als ich hat einmal gesagt

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: Gibt es den?)

— den gibt es, denn ich bin ja erst halbklug — : Planung ist die Ablösung des Zufalls durch den Irrtum. — Das kurzentschlossene Durchpeitschen von Planungsentscheidungen kann irreparable Folgen haben. Zufälligkeiten sind Tür und Tor geöffnet. Sorgfältige Planung hingegen bewahrt zwar nicht immer
vor Irrtümern, hat aber insgesamt bessere Ergebnisse.
Bürgerbeteiligung ist ein Grundprinzip des demokratischen Planungsrechts. Sie wurde vor 20 Jahren eingeführt, als es hieß: Rettet unsere Städte jetzt! Das Streben nach der sogenannten verkehrsgerechten Stadt hatte zuvor intakte Wohn- und Geschäftsviertel zerschlagen und dem Verfall ausgesetzt. Erst das neue Städtebauförderungsgesetz mit neuen Planungsbestimmungen schuf die Voraussetzungen zu umfassender Sanierung, zu humanem Städtebau und lebenswertem Wohnumfeld.

(Zuruf von der SPD: Das ist ein gutes Gesetz!)

Weil sich dieses Recht bewährt hat, wurde es in die allgemeine Gesetzgebung zum Bauplanungsrecht eingeführt, erst im Bundesbaugesetz, dann im Bundesfernstraßenrecht, bei der Immisionsschutzgesetzgebung usw. Wir sind sehr gut damit gefahren, nicht alles dem Zufall zu überlassen, sondern Sorgfalt anzuwenden. Gerade weil wir es eilig haben, dürfen wir nicht auf bewährte Grundsätze verzichten.

(Beifall bei der SPD)

Im übrigen ist es entweder ein Irrtum oder eine polemisch-ideologische Verleumdung, so zu tun, als sei das Planungsrecht dafür verantwortlich, daß 20 Jahre nach dem ersten Entwurf noch kein Spatenstich erfolgt ist. Soweit dies der Fall war, lag es fast immer an mangelndem politischem Entscheidungswillen im Vorfeld förmlicher Planungsverfahren, in Ausnahmefällen auch einmal an Einsprüchen betroffener Bürger oder an mangelnder Finanzierung, wenn sich Bauvorhaben über Gebühr verzögerten.
Der Antrag der SPD zum Beschleunigungsgesetz hat gangbare Wege für eine bundesweite effektive Planungsbeschleunigung ohne Einschnitte in Bürgerrechte und Umweltbelange aufgezeigt.

(Beifall bei der SPD)

Daran hat Herr Minister Krause aber leider kein Interesse. Im Osten soll exemplarisch durchgepeitscht werden, was ihm auf Dauer für ganz Deutschland vorschwebt: eine Planung nach Gutsherrenart, ohne auf die lästigen Burger- und Umweltinteressen mehr als unbedingt nötig Rücksicht zu nehmen. Beschleunigungsgesetzgebung ist fehl am Platze. Vernünftige Planung ist notwendige Vorsorge gegen Fehlinvestitionen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, nun zum Stichwort „privat". Es wurden drei private Planungsgesellschaften gegründet, um die Projekte zur deutschen Einheit zu beschleunigen und der noch fehlenden Verwaltungskapazität der neuen Länder zu begegnen. So weit, so gut. Es ist zwar noch ungewiß, ob tatsächlich eine Zeitersparnis eintreten wird, sicher ist nur, daß sich die Planung verteuern wird, nämlich von 3 % auf 5 der Investitionskosten. Die neuen Länder werden trotzdem die Verantwortung für Planung und Bauüberwachung behalten.
Nun hat sich Bundesminister Krause vom Bundeskabinett aber den Auftrag geben lassen, private Fi-



Ernst Waltemathe
nanzierung öffentlicher Großvorhaben auszuprobieren. „Nichts Genaues weiß man nicht" könnte das Parlament jetzt sagen. Aber wir sind jetzt im Parlament in den Budgetberatungen, und das Budgetrecht ist ein Königsrecht des Parlaments. Wir müßten eigentlich wissen, worauf wir uns einlassen sollen oder auch nicht. In den Zeitungen war zu lesen, daß womöglich Verkehrsinvestitionen in Höhe von etwa 50 Milliarden DM aus privaten Schatullen finanziert werden sollen — am Bundesverkehrswegeplan vorbei, am öffentlichen Haushalt vorbei. Wird das billiger oder teurer? Straßen- und Schienenwege auf LeasingBasis: Das wird mit Sicherheit teurer. Wann darf dann Herr Waigel die Kosten abtragen?

(Zuruf von der SPD: Das erlebt Waigel nicht mehr!)

Oder gehen Sie davon aus, daß es private Unternehmer gibt, die Straßen oder Schienenstrecken verschenken? — Das tun sie natürlich nicht! Also tut sich hier erneut ein großer Schattenhaushalt auf.

(Jochen Borchert [CDU/CSU]: Unglaublich!)

Also werden künftige Generationen die Kosten dafür abtragen müssen, oder die heutige Generation wird mit Gebühren zur Kasse gebeten werden müssen.

(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Van der Falk!)

Die einzige Privatfinanzierung, die ich mir vorstellen könnte, wäre die im Zusammenhang mit der Einführung des Transrapid. Alle anderen Verkehrswege dürften für Private kein Geschäft sein, bei dem Erträge erwirtschaftet werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber nicht logisch!)

Die ganz schlaue Idee „private Initiative" ist gerade noch einmal zurechtgebogen worden. Da sollten mal soeben 41 Raststätten in Ostdeutschland aus dem Boden gestampft werden, und zwar mit Verträgen, die noch bis zum 2. Oktober 1990 abgeschlossen wurden und die nach Feststellung des Rechnungshofs samt und sonders sittenwidrig, unwirksam, nichtig waren.
Allzulange hat das Verkehrsministerium den Eindruck erweckt, als halte es sich an die unkeuschen Verträge, die keine waren. Nur deshalb hat der Rechnungshof — in Würdigung der Rechtslage nach dem 3. Oktober 1990 — empfohlen, keine Schadensersatzrisiken auf den Bund zu ziehen und mit den sogenannten Vertragspartnern neu zu verhandeln.
Ich hoffe, daß auch die parlamentarischen Gremien einen Beitrag dazu leisten konnten, daß die Sache in Ordnung gebracht wird. Aber von einer vollständigen Rehabilitierung kann gar keine Rede sein.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Wir lehnen den Haushalt des Verkehrsministers ab, weil: erstens eine Verkehrspolitik nach den Grundsätzen Verkehrsvermeidung, Vollkostenrechnung der Verkehrswege und ökologische Umorientierung nicht stattfindet;
zweitens die „Freie Fahrt für freie Bürger" den Verkehrsinfarkt nicht verhindert, aber Gesundheit und
Leben der Verkehrsteilnehmer gefährdet und die Umweltschäden vermehrt;
drittens unseriösen Wegen der Planung und der Finanzierung nicht unser Placet gegeben werden darf;
viertens die Bahn bei der „Raserei im Straßenbau" ins Hintertreffen geraten wird — Bahnreform muß mit einem seriösen Finanzierungskonzept beginnen, das der Bahn die Kosten auferlegt, die auch bei anderen Verkehrsträgern Eingang in die Betriebskostenrechnung finden —;
fünftens die deutsche Seeschiffahrt in Ausflaggungen großen Stils getrieben wird;
sechstens die Chancen der Gütertransporte durch Binnen- und Küstenschiffe nicht forciert werden, um erdgebundenen Verkehr zu entlasten;
siebtens eine Entdemokratisierung von öffentlichen Planungsvorgängen mit obrigkeitlicher Propaganda gekoppelt wird, die als Öffentlichkeitsarbeit getarnt wird;
achtens die Verkehrsforschung nicht auf Zukunft, sondern auf technische Effizienzsteigerung gerichtet ist, ohne Rücksichtnahme auf Verkehrsvermeidung, Kombinierung von unterschiedlichen Verkehrsträgern und ökologische Notwendigkeiten.
Krause verkehrt verkehrt. Dabei wollen wir ihm nicht auch noch helfen.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205905500
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Kollege Ernst Waltemathe — erfahren genug in diesem Parlament — hat die Redezeit um zweieinhalb Minuten überschritten. Ich bitte die SPD-Fraktion, das bei den nächsten Rednern zu berücksichtigen.

(Heiterkeit)

Nun erteile ich das Wort unserem Kollegen Wilfried Bohlsen.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Der Geburtstag geht also zu Lasten des ganzen Parlaments! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Der Geburtstag war hier ausgeblendet.

Wilfried Bohlsen (CDU):
Rede ID: ID1205905600
Dennoch schließe ich mich den Geburtstagswünschen, Herr Kollege aus dem Haushaltsausschuß, an und wünsche Ihnen alles Gute.

(Beifall)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Waltemathe hat die Problematik der Verkehrspolitik ein wenig angerissen. Das Paket, das mein lieber Kollege Ernst Waltemathe vorgestellt hat, war in der Berichterstatterrunde nicht so kontrovers, wie es hier den Anschein hätte haben können.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Du brauchst ihm ja nur zuzustimmen!)

Die Verkehrspolitik, meine Damen und Herren, steht — da gebe ich vielen Debattenrednern in vorhergehenden Beratungen recht — vor einer riesigen Her-



Wilfried Bohlsen
ausforderung. Die Entwicklung in Deutschland, der Freiheitsprozeß in Osteuropa, das Zusammenwachsen von EG und EFTA sowie die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes stellen hohe Ansprüche an das Transitland Bundesrepublik Deutschland.

(Dr. Klaus-Dieter Feige [Bündnis 90/ GRÜNE]: Fehlt noch die Klimakatastrophe!)

Erst vor einigen Monaten haben wir den 91er Haushalt hier im Plenum beraten und verabschiedet, und heute steht schon ein neues Zahlenwerk zur Beratung an. Wenn wir die beiden Haushalte miteinander vergleichen, stellen wir fest: Selbst der gute 91er Haushalt wird in der Verkehrspolitik durch den 92er Haushalt deutlich übertroffen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Dem ersten gesamtdeutschen Verkehrshaushalt folgt nun der zweite. Ich glaube, wir haben eine richtige Dosierung der Ausgaben erreicht.
Bemerkenswert und überaus erfreulich ist der Aufschwung im Bauhauptgewerbe im Osten Deutschlands, besonders bei den Verkehrsinvestitionen. Mit dem bekannten enormen Investitionsbedarf, besonders dem Nachholbedarf, müssen bei den festzulegenden Ausgaben die verfügbaren Baukapazitäten in Einklang stehen. Dies hat, meine ich, der Verkehrsminister mit dem 91er Haushalt richtig beurteilt. Der 92er Haushalt scheint mir auch hinsichtlich dieses Gleichgewichts der Möglichkeiten der Bauwirtschaft ein idealer Etat geworden zu sein.
Dank will ich der Bundesregierung, besonders dem Verkehrsminister, für diesen Haushaltsentwurf sagen. Denn mit diesem Haushalt 1992 wird nach der Vereinigung konsequent und erfolgreich Politik zum Aufbau der neuen Bundesländer, aber auch zum weiteren Ausbau der Infrastruktur in den alten Bundesländern fortgesetzt.
Insgesamt zeigt das Volumen des Verkehrshaushalts ganz deutlich Schwerpunkte im Investitionsbereich. Der Kollege Waltemathe hat einige Zahlen vorgelegt. Ich kann dieses Zahlenspiel nur unterstützen, weise aber darauf hin, Kollege Waltemathe, daß die von Ihnen genannte Rate von 57 % vor einem Jahr noch bei 48 % lag und daß wir, was wir an diesem Bereich sehen, hier eine deutliche Verbesserung erreicht haben.
Neben dem Verkehrshaushalt stehen — das sei hier angemerkt — im Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost fast 5 Milliarden DM zur Verfügung, davon allein 1,8 Milliarden DM für den öffentlichen Personennahverkehr, den kommunalen Straßenbau und die Reichsbahn. Für den Bundesfernstraßenbau sind 1,5 Milliarden DM vorgesehen. Insgesamt stehen somit für den Verkehrsbereich, wenn wir beides zusammennehmen, 45 Milliarden DM zur Verfügung.
Das Bemühen dieses Verkehrshaushalts dient daneben der Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen und -grundlagen. Die Verkehrspolitik muß dazu beitragen, daß diese Gleichwertigkeit Wirklichkeit wird. Es ist unser Bemühen, für die Bevölkerung und die Wirtschaft dieses Ziel zu erreichen. Somit
trägt, gestaltet und unterstützt der Verkehrshaushalt die verkehrspolitischen Maßnahmen von der finanziellen Seite her.
In den neuen Bundesländern haben wir unvorstellbare verkehrspolitische Gestaltungsmöglichkeiten. Dabei können wir — das will ich anmerken — sicher aus Fehlern lernen, die wir bei uns in 40 Jahren gemacht haben. In den neuen Bundesländern finden wir eine einzigartige Landschaft vor. Diese Landschaft verkehrspolitisch zu erschließen und zugleich ihre Reize, z. B. die wunderschönen Alleen, zu erhalten, ist eine der großen Herausforderungen für die Verkehrspolitik.

(Siegfried Scheffler [SPD]: Sehr richtig!)

Ich will auf die Zahlen nicht eingehen, weil der Kollege sie schon aufgelistet hat. Sie machen deutlich, daß wir bei den Bundesfernstraßen, dem öffentlichen Personennahverkehr, dem kommunalen Straßenbau, dem Bereich Rad/Schiene wie auch bei den Bundeswasserstraßen und der Luftfahrt ein erhebliches Volumen erreicht haben.
Lassen Sie mich über ein küstennahes Thema sprechen: die Finanzbeiträge für die Seeschiffahrt. Ich verbinde das mit dem Bereich der Werften. Der Kollege Rossmanith wird mir verzeihen, daß ich ein bißchen in sein Revier eingreife. Aber der Zusammenhang ist gegeben. Wir haben im 91er Haushalt noch einmal 80 Millionen DM für diese Finanzbeiträge eingesetzt und beschlossen, sie im Haushalt 1992 auf 50 Millionen DM zu senken. Wir haben dem Gewerbe signalisiert, daß wir daran denken, 1993 keine Beiträge mehr zu leisten. Damit unterstützen wir das Bemühen der Bundesregierung, Subventionen abzubauen. Nur: Wir müssen dafür sorgen, daß für unsere Seeschiffahrt im europäischen Wettbewerb Chancengleichheit besteht. Wir müssen versuchen, wenn nicht über die Bezuschussung, dann über andere Wege dieses Gewerbe zu unterstützen. Der Gesprächskreis Küste der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird sich am Donnerstag dieser Woche noch einmal eingehend mit diesem Thema befassen, um nach Möglichkeiten zu suchen, wie gegebenenfalls im steuerlichen Bereich Lösungsmöglichkeiten gefunden werden können.
Wir unterstützen nachdrücklich das Bemühen der Bundesregierung die Subventionen im Bereich des Schiffbaus abzubauen. Die Rate der Schiffbauförderung, die einmal 20 % betrug, haben wir über 16 %, 14,5 % und 12,5 % auf nunmehr 9,5 % zurückgeführt. Das ist der Weg, den wir beschreiten wollen. Aber die Förderungsrate liegt in Europa insgesamt noch bei 14,9 %. Wir können unserer Schiffbauindustrie nicht zumuten, unter diesen Bedingungen in den Wettbewerb einzusteigen. Daher unser Bemühen, die Quote der europäischen Förderung zu senken und diese dann in ganz Europa gelten zu lassen. Diesen Weg sollten wir gehen.
Ich möchte die Binnenschiffahrt nicht unerwähnt lassen, denn sie gewinnt an Bedeutung. In der Öffentlichkeit steigt die Akzeptanz einer verkehrspolitischen Korrektur zugunsten der Binnenschiffahrt. Dieses Verkehrssystem Binnenschiffahrt/Wasserstraßen ist ein sehr kostengünstiger Verkehrsträger und



Wilfried Bohlsen
nimmt hinsichtlich Umweltverträglichkeit und Sicherheit eine Spitzenstellung ein.
Für die Binnenschiffahrt zeichnet sich für die kommenden Jahre ein positives Bild ab. Die Rahmenbedingungen wie die Vollendung des europäischen Binnenmarkts, der wirtschaftliche Aufbau der fünf neuen Bundesländer, die fortschreitende Öffnung und die wirtschaftliche Belebung in den osteuropäischen Ländern sowie — das möchte ich nicht unerwähnt lassen — die Öffnung des Main-Donau-Kanals lassen außergewöhnliche Wachstumsimpulse erwarten. Für die neuen Bundesländer ist auf Grund der Verkehrsbedeutung der Ausbau der Wasserstraßenverbindung über den Mittellandkanal und über den Elbe-HavelKanal von Hannover über Magdeburg nach Berlin für moderne Güterschiffe vorrangig, um möglichst schnell die Standortbedingungen der Region um Magdeburg und Berlin zu verbessern.
Im Zusammenhang mit den Ost-West-Verbindungen lasse ich nicht unerwähnt den Ausbau des nordwestdeutschen Kanalnetzes vom Rhein bis nach Hannover, der dringend der Verwirklichung bedarf. Für den Bereich der Unterhaltung und der Investitionen sind im Bundeshaushalt immerhin 2,3 Milliarden DM vorgesehen.
Ich komme zu einem anderen Punkt. Der Kollege Waltemathe hat die Finanzierung durch Private angesprochen. Die Verkehrspolitik muß nun einmal neue Wege beschreiten, wenn etwas schnell umgesetzt werden muß. Ich habe die Bitte, Herr Minister, daß wir die Einbindung des Parlaments rechtzeitig vornehmen, damit wir das Gespräch über den gerechten Ausbau miteinander führen können.
Ein weiterer Punkt, den Herr Waltemathe kurz gestreift hat: Die Verkehrspolitik muß den Schienenverkehr und den Aufbau umweltfreundlicher Verkehrssysteme sowie die Kooperation der Verkehrsträger untereinander fördern. Der Haushalt 1992 enthält bereits Ansätze in dieser Richtung. So erhalten die Deutsche Bundesbahn und die Reichsbahn nach dem Haushalt 1992 insgesamt 23 Milliarden DM.
Dieser Vorrang der Eisenbahn im Verkehrshaushalt belegt eindeutig, daß eine so dramatische Benachteiligung des Schienenverkehrs, wie sie hier geschildert wurde, nicht vorliegt.
Wir stehen zu dem Ziel, die Eisenbahn als Verkehrsmittel der Zukunft zu stärken und ihr auch, sobald der Bericht der Regierungskommission Bundesbahn vorliegt, die marktgerechte Struktur und Organisation zu geben, die den Eisenbahnen eine gesicherte und starke Stellung im Wettbewerb verschaffen könnten.
Von meinem Vorredner wurde kurz — ich will es ein wenig vertiefen — die Magnetschwebebahn Transrapid angesprochen. Sie könnte in wenigen Jahren ein weltweit anerkanntes Verkehrsmittel sein. Diese moderne, diese hochentwickelte Technik braucht aber eine Anwendungsstrecke in Deutschland. Danach kann ihr der weltweite Durchbruch gelingen.
Der Transrapid ist sehr viel schneller als das Auto, schneller als die Rad-Schiene-Technik und im innerdeutschen Verkehr fast so schnell wie das Flugzeug. Dies ist das Ergebnis deutscher Forschung und Entwicklung in der Magnetschwebebahntechnik. Daher — das wäre meine Bitte, Herr Minister — muß der Transrapid 1992 in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen werden, damit wir zu einer Umsetzung dieser Technik kommen, die uns in der Verkehrspolitik sicherlich eine größere Öffnung bringt.
Wir brauchen die Bereitschaft der Bürger — das will ich noch einmal zu den Forderungen nach stärkerer Berücksichtigung der Schiene und anderen verkehrspolitischen Forderungen sagen — , Trassen für neue Verkehrsadern zuzulassen. Denn mehr Verkehrswege bedeuten eine kürzere Fahrzeit, eine geringere Verkehrsdichte und mehr Sicherheit. Genau dies wollen wir in der Verkehrspolitik erreichen.
Ich wäre gern noch einmal auf die arbeitsmarktpolitischen Dinge eingegangen; denn immerhin haben wir in den Haushalt für 1992 zusätzlich Mittel für Ausbildungsplätze bei der Deutschen Reichsbahn eingebracht. Damit haben wir zu einer Entlastung auf dem Ausbildungsmarkt in den neuen Bundesländern beigetragen. Von uns sind immerhin 2 200 nicht betriebsnotwendige Ausbildungsplätze bei der Deutschen Reichsbahn mit auf den Weg gebracht worden. Mir fehlt leider die Zeit, um dies zu vertiefen.
Die Beschleunigung der Planungen ist in der Debatte schon angesprochen worden. Ich wiederhole meine Bitte um Zusammenarbeit bei den Beratungen zu den jetzt vorliegenden entsprechenden Gesetzentwürfen.
Die Bundesregierung hat bereits organisatorische Voraussetzungen für die beschleunigte Umsetzung dieser Projekte in den neuen Bundesländern geschaffen. Am 7. Oktober dieses Jahres wurde bekanntlich die Planungsgesellschaft zur Verwirklichung von Bundesverkehrsstraßen deutsche Einheit, die sogenannte DEGES, gegründet. Dies ist der Weg, den man zur Beschleunigung beschritten hat.
Ich möchte noch einmal kurz das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz streifen. Wir haben hier einen Plafond erreicht, der deutlich macht, daß wir Bereiche anstreben, die wirklich sinnvoll sind.
Lassen Sie mich schließen. Ich meine, daß uns heute ein besonders gelungener Verkehrshaushalt zur Abstimmung vorliegt. Die finanzielle Bewältigung der deutschen Einheit, der Aufbau der neuen Bundesländer und der Infrastruktur in den alten Bundesländern und die Realisierung des europäischen Binnenmarktes finden — so meine ich — in diesem Haushalt eine solide Grundlage. Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, stimmen dem Verkehrshaushalt in der vorgeschlagenen Form gerne zu.
Wir sagen dem Bundesminister für Verkehr und den Mitarbeitern seines Hauses Dank für die hervorragende Arbeit und schließen auch den Bundesminister der Finanzen in diesen Dank mit ein. Denn wir haben als Haushälter beobachtet, daß in den letzten zwei Jahren in diesen beiden Häusern infolge der Zusammenführung der Haushalte von Ost und West eine unvorstellbare Arbeitsleistung vollbracht worden ist.



Wilfried Bohlsen
Diese erfährt durch diesen Dank, glaube ich, eine besondere Wertschätzung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Kollege Waltemathe hat die gute Zusammenarbeit der Berichterstatter gewürdigt. Ich blicke auch einmal in Richtung Werner Zywietz und kann meinerseits sehr wohl bestätigen, daß die Zusammenarbeit harmonisch und kameradschaftlich war.
Ich darf Ihnen sagen: Mit dem Haushalt für 1992 erreichen wir eine weitere deutliche Verbesserung in der Verkehrspolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205905700
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Werner Zywietz das Wort.

Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1205905800
Vielen Dank, Herr Präsident.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der ansonsten geschätzte Kollege Wieczorek hat heute morgen die Haushaltsdebatte begonnen, indem er behauptet hat, die Koalition trete das Grundgesetz mit Füßen.

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Richtig!)

Ich kann das in der Kürze der Zeit nicht in allen Facetten überprüfen. Aber für die FDP kann ich sagen, daß wir dieses edle Werk keineswegs mit Füßen treten.

(Ernst Waltemathe [SPD]: Art. 110!)

Wir begnügen uns auch nicht damit, es unter dem Arm zu tragen. Wir haben die Kerninhalte des Grundgesetzes, wie es sich gehört, selbstverständlich im Kopf, und wir beherzigen sie auch.

(Beifall bei der FDP)

Der vorliegende Verkehrsetat ist ein deutlicher Ausweis dafür, daß wir uns bemühen, die Lebensverhältnisse für alle Bundesbürger, für die aus der ehemaligen DDR, aus den neuen Bundesländern, und für die hier, in möglichst kurzer Zeit vergleichbar und angemessen zu gestalten. Genau das ist die Quintessenz dieses edlen Grundgesetzes.

(Zuruf von der SPD: Für alle!)

Diese Lebensverhältnisse kann man dadurch schnell und zweckmäßig angleichen, indem man die Verkehrsinfrastruktur — das Angebot an die Bürger, das Angebot an die Wirtschaft im Verkehrsbereich — gut ausbaut. Dieser Haushaltsplan ist ein deutlicher Beleg dafür. Er gehört mit seinen 40 Milliarden DM zu den großen Einzelplänen, und er gehört zu den Einzelplänen, die einen hohen Investitionsanteil haben. Er hat einen Investitionsanteil, der über 50 % seines Volumens ausmacht. Das ist das, was wir auch brauchen. Wenn die Lebensverhältnisse angeglichen werden sollen, dann müssen wir sehen, daß wir von dem konsumtiven, von dem sozial aufgewandten Teil langsam herunterkommen und den investiven Teil dieses Haushaltes stabilisieren, weil er eine andauernde verbessernde Wirkung für die Bevölkerung hat.
In diesem Haushalt spiegelt sich das im Bereich der Aufwendungen für die Straße, für die Schiene, für die
Wasserstraßen und auch für die Flugsicherheit wider.
Lieber Ernst Waltemathe, ich glaube, es war ein wiederholter Versuch, der aber etwas leiser geworden ist, eine Scheinkonkurrenzsituation bei Schiene und Straße zu konstruieren. Du hast es noch einmal mit findig herausgesuchten Prozentsätzen gemacht. Aber ich muß sagen, es gibt hier kein Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-Als-auch. Wir bauen die Straßen dort aus, wo dies im Sinne der Planung erforderlich ist, und wir werden auch das Erforderliche für den Ausbau der Schienenverbindungen tun.
Aber in der Tat gilt für den Bereich der Schiene folgendes. — Ich hätte beinahe gesagt: Denke ich an die Bundesbahn bei Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht. Ganz so schlimm ist es aber nicht. Es handelt sich hier in der Tat — Herr Minister und alle, die daran mitwirken; wir wissen um die Arbeiten der Kommission, deren Ergebnisse bald vorgelegt werden sollen — um eine Herkulesarbeit; denn wenn von den 40 Milliarden DM dieses Einzelplans etwa 20 Milliarden DM für Reichsbahn und Bundesbahn aufgewendet werden, dann ist das ein Betrag, der zu hoch ist und der in der Zukunft der Änderung bedarf. Insofern sind wir sehr daran interessiert, daß die Vorschläge der Kommission rasch vorgelegt werden und daß dann die Weichen für eine ökonomische, marktwirtschaftliche Besserung im Bereich der Bahn gestellt werden.
Diese Besserung wird sicherlich auch mit dem einhergehen, was mit dem Stichwort Änderung des Grundgesetzes beschrieben wird. Denn es wird damit zusammenhängen, inwieweit öffentliche Aufgaben von der öffentlichen Hand oder in anderen Organisationsformen privatisiert durchgeführt werden sollen. Wir sind für einen weitestmöglichen Teil an Privatisierung auch in diesem Bereich. Veränderungen bei der Bundesbahn oder bei der Reichsbahn — da muß man kein Hellseher sein — werden auch etwas mit der Trennung des investiven Teils, des Anlagevermögens, der Schiene und des Nutzerteils zu tun haben; das heißt, daß der Nutzer ein Entgelt zu zahlen hat und daß es nicht nur der öffentliche Nutzer sein muß, der diesen Investitionsteils benutzt. Auch das ist ein Weg, um die Ökonomie zu verbessern. Weiter wird das auch etwas damit zu tun haben, ein kostenstellenorientiertes Rechnungswesen aufzubauen, damit man weiß, welche Bereiche profitabel oder ausgeglichen sind und welche nicht, und damit man sozusagen die Steuerung des ökonomischen Ausgleichs marktgerecht nach den Kundenwünschen und in Kenntnis der Kostenstrukturen effizienter angehen kann, als dies jetzt der Fall ist.
Aber das ist heute sicherlich nicht in acht oder zwölf Minuten zu diskutieren. Wir warten den Bericht mit Interesse ab. Wir sind für eine Bahnpolitik in der angedeuteten Richtung.
Wir möchten auch die Verbesserung der Verhältnisse im Bereich der Bahn, aber vor allem im Bereich der Straße in Richtung Ausbau nicht irgendwann, sondern wir wollen sie am liebsten zu Lebzeiten der meisten Bürger in den neuen Bundesländern erreicht wissen. Zur Erreichung dieses Zieles hat eben auch ein Beschleunigungsgesetz seinen Sinn, weil dies nicht



Werner Zywietz
irgendwann der Fall sein soll, sondern bald, in überschaubaren Zeiträumen. Die Politik, die hier zielgerichteter vorgeht, die Politik, die hier Tempo macht, ohne zu übertreiben, können wir aus voller Überzeugung unterstützen.
Gewiß geht damit auch ein Stück mehr Verantwortungsübernahme durch das Parlament einher, wenn Fristen kürzer werden und wenn Mitwirkungsmöglichkeiten der Bevölkerung an der einen oder anderen Stelle etwas kleiner geschrieben werden. Aber wir leben in einer repräsentativen Demokratie, und hier hat dann das Parlament einen Teil dieser Verantwortung wahrzunehmen.

(Dr. Klaus-Dieter Feige [Bündnis 90/ GRÜNE]: Möglichst alle!)

— Ja, dazu haben wir alle unseren Teil beizutragen. Aber man kann nicht einfach sagen, Verkürzung von Fristen oder ein anderes Vorgehen bedeute einen Abbau von Demokratie. Mit solchen Schlagworten, so glaube ich, sollten wir nicht miteinander umgehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es liegt im Interesse der Bevölkerung, hier rascher, zügiger vorzugehen, ohne große Fehler zu machen und Benachteiligungen anderer Art zu produzieren. Im menschlichen Leben ist das sehr wohl möglich, wenn man sich anstrengt. Solche Anstrengungen verdienen Unterstützung. Wir sind dazu gern bereit.
Nicht unerwähnt bleiben sollte auch, daß von den 40 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt 20 Milliarden DM für die Bundesbahn und die Reichsbahn und ca. 10 Milliarden DM für den Bundesstraßenbau, d. h. für Autobahnen und Bundesfernstraßen, verwendet werden. Ich möchte in der Kürze der Zeit auch erwähnen, daß wir auch aus dem Bundeshaushalt eine Menge Geld zur Verfügung stellen, um die Verkehrsverhältnisse der Gemeinden zu verbessern und den öffentlichen Personennahverkehr zu fördern. Dies geschieht mit einer Quote von 50 zu 50. Rund 2,5 Milliarden DM werden für die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs und rund 2,5 Milliarden DM werden für die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden aufgewendet.
Auch dies darf einmal im Rahmen einer Bundeshaushaltsdebatte gesagt werden. Es geht nämlich nicht nur um die einzelnen Maßnahmen, die „Bundesautobahn" oder „Bundesstraße" heißen, sondern auch um die Maßnahmen, die in den Kommunen, insbesondere in den Ballungsgebieten, anfallen, die zwar eine andere Bezeichnung haben, die aber mit einem erheblichen Anteil an Steuermitteln, die wir zu verantworten haben und hier gerne verantworten, gefördert werden. In diesen Bereich — das sei noch hinzugefügt — verzeichnen wir für das Jahr 1992 und in der Planung für 1993 außerordentliche Steigerungsraten. Das ist auch gut so.
Was die Situation der Flughäfen und der Flugsicherheit anbelangt, dazu in der Kürze vielleicht nur zwei Aspekte: Wir von der FDP sind heilfroh — weil wir das immer angemahnt haben und auch konstruktiv mitgearbeitet haben — , daß die Vorarbeiten für eine koordinierte Privatisierung im Bereich der Flugsicherheit jetzt offensichtlich so weit gediehen sind,
daß dieser Weg zu Ende gegangen werden kann; denn es wurde Einverständnis darüber erzielt, den militärischen Flugsicherheitsbedarf mit dem der Privatwirtschaft zu koordinieren und ihn von der öffentlichen Verantwortung in die private Verantwortung überzuleiten. Hier, liebe Kollegen von der SPD, waren wir uns in der Sache einig. Ich hoffe, wir bleiben uns auch einig, wenn es darum geht, eine Grundgesetzänderung zu erreichen, um das auf den Weg bringen zu können.
Was die Flughäfen anbelangt, so ist bei allen guten Vorarbeiten noch etwas mehr konzeptionelle Arbeit hinsichtlich des weiteren Ausbaus vonnöten. Insbesondere erwünschen wir uns eine bessere Gleichbehandlung der Flughafenunterstützung und ein stärkeres Augenmerk darauf, daß auch Teile privatisiert werden können.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Die Unterschiedlichkeit der Kreditvergabe und die Unterschiedlichkeit der Anteile, die der Bund an verschiedenen Flughäfen hält, sind nicht gottgegeben. Da steckt auch viel Regionalpolitik drin. Eine Überprüfung der Anteile der Privatisierung und die Gleichbehandlung der Flughafengesellschaften sind schon Zielpunkte, die wir aus liberaler, marktwirtschaftlicher Sicht für die Zukunft gerne unterstützen.
Obwohl von der Küste kommend kann ich mich sowohl bei dem, was zum Ausbau der Binnenwasserstraßen gesagt wurde, als auch bei dem, was zu den Schiffahrtshilfen gesagt wurde, meinen Vorrednern anschließen, die noch kenntnisreicher als ich sind.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Noch kenntnisreicher?)

Ernst, ich nehme Deine Anleitung zum Selbstlob gerne auf; denn einen klügeren Parlamentarier als Dich könnte es — Deiner eigenen Definition zufolge — kaum geben. Ich folge also hier den klugen Ausführungen der Vorredner, schließe mich ihnen in diesem Teil an und möchte nur noch sagen, daß auch beim Transrapid die Strecke des Forschens und die Strecke des Diskutierens bald zu Ende kommen mögen. Ich hoffe, daß die Einsatzreife gesichert sein wird und wir nun möglichst bald im Inland — wenn es möglich ist, auch im Ausland; auch solche Projekte gibt es — zur Anwendung kommen.
Ich möchte abschließend sagen: Wir müssen uns nicht gleich die kompliziertesten und längsten Strekken beispielsweise die von Berlin nach Bonn, aussuchen — über Tal und Hügel — , sondern wir können uns die sympathische Strecke Hamburg—Berlin durchaus als eine gute Erststrecke für den Transrapid vorstellen.

(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU — Jochen Borchert [CDU/CSU]: Das ist liberale Marktwirtschaft!)

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205905900
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der nächste Redner ist jetzt unser Kollege Dr. Klaus-Dieter Feige.




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1205906000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist mir schon fast unangenehm, immer über „Idealhaushalte" und „Idealgesetze" reden zu müssen. Aber dieser Einzelplan 12 ist immerhin gut zwanzigmal so groß wie der, den das Umweltministerium zur Verfügung hat. Wenn man da hineinschaut, dann ist man schon erstaunt, was für Ideale manche Menschen haben. Ich habe vielleicht andere. Daraus ergeben sich möglicherweise auch unterschiedliche Interpretationen der einzelnen Positionen.
Es gibt im Osten, in Mecklenburg-Vorpommern, die Insel Hiddensee, wo, von wenigen Versorgungsfahrzeugen abgesehen, kein Autoverkehr herrscht. Das Leben auf der Insel ist trotzdem nicht zusammengebrochen. Die dort lebenden Menschen sind mit der Situation, so glaube ich, weitestgehend zufrieden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das gibt es auch woanders!)

— Ich habe bisher nicht so viel Zeit gehabt, herumzufliegen und mir das alles anzugucken.
Die Bundesrepublik Deutschland ist sicherlich keine Insel. Ich glaube aber, viele unserer Verkehrsplaner würden sich glücklich schätzen, wenn sie auf einer dieser Inseln einmal Urlaub machen könnten. Die Luft ist von ungeahnter Klarheit, man kann wandern und klettern, und man steht nicht in irgendwelchen Staus.

(Zuruf von der FDP: Nur Geld verdienen kann man nicht!)

Ich frage mich also: Warum streben wir ein solches Wohlgefühl während der Urlaubszeit nicht als Dauerzustand in unserem alltäglichen Leben an?

(Zuruf von der FDP: Die Arbeitsplätze fehlen!)

— Das Leben soll schön sein! Hier eine Differenz hereinzubringen erscheint mir doch bemerkenswert einseitig. Aber das ist vielleicht Ihre Politik.
Der Einzelplan 12 des Verkehrsministeriums für das Jahr 1992 gönnt den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes eine solche Perspektive nicht. Ganz im Gegenteil wird durch diverse Maßnahmen, die meines Erachtens sogar extrem beschleunigt durch die Instanzen gepeitscht werden sollen, alles mögliche in die Wege geleitet, um das Atmen in Deutschland zur Unerträglichkeit werden zu lassen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Dann müssen Sie auswandern!)

Die Verkehrswegeplanung ignoriert dabei nahezu alle Proteste der Betroffenen. Sie ignoriert die steigenden Unfallzahlen oder interpretiert sie sich zurecht, sie verdrängt die toten Kinder, die u. a. durch eine seit Jahren unqualifizierte Verkehrsentwicklung in den Städten sterben mußten.
Anstatt die Realität auf den Straßen in unserem Land wahrzunehmen, werden selbst durch den Verkehrsminister Horrorbilder einer künftigen Verkehrsentwicklung in der Bundesrepublik skizziert, die uns noch schrecklicher erscheinen sollen als das, was wir jetzt schon erleben. Da wird von einer Verachtfachung der Verkehrsströme gesprochen, es wird ein weiterhin ungehemmt steigender individueller Autoverkehr prognostiziert, aber nicht ein Wort ist von Ihnen, Dr. Krause, darüber zu hören, wie man diese Entwicklung bremsen oder gar umkehren kann.
Ich weiß nicht, wer Ihnen eingeredet hat, daß Verkehrsminister zu sein gleichbedeutend mit Verkehrsbegünstigung ist. Ihre Tätigkeit muß nicht dem Wohl der deutschen und internationalen Autoproduktion dienen, sondern sollte im ganzheitlichen Sinne Schaden vom ganzen deutschen Volk — nicht nur von der Autofahrernation — abhalten.
Nun sagen Sie mir bitte, wo sich im Haushalt diese Positionen verstecken. Ich glaube, Sie selbst würden gar nicht erst nachschauen, weil Sie wissen, daß nahezu nichts zu finden ist, oder Sie würden wieder beteuern, daß Maßnahmengesetze vorgesehen sind, die im Osten zu einer Entwicklung des Wohlstandes führen sollen. Das habe ich heute schon mehrfach gehört. Diese führten Sie schon bei der Begründung zum Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz als für das Erreichen dieses Ziels unumgänglich auf. Diese Argumentation erinnert aber doch zu deutlich an Baron Münchhausen, der vorgab, sich schon einmal an den eigenen Haaren aus einem Sumpf gezogen zu haben. So ist auch die von Ihnen vorgelegte Begründung zu verstehen. Sie suggerieren, daß der Straßenverkehr ins Unermeßliche steigen wird, und schlußfolgern, daß man weitere Straßen bauen muß. Haben die Bürger das erst einmal verdaut, kommt das Argument, daß ja die Bevölkerung dieses Landes neue Straßen haben will, weil doch der Verkehr ansteigt. Dieser Zirkelschluß ist unzulässig.
Bei dieser Strategie der Verdummung glaube ich nicht mehr an einen Zufall, sondern werde immer sicherer, daß der Verkehrsminister nicht tatsächlich im Interesse der Menschen dieses Landes handelt. So hat mir auch die öffentliche — nicht unsere interne — Diskussion zum Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz gezeigt, daß die Bevölkerung unseres Landes den demokratieeinschränkenden Charakter dieses Gesetzes schon erkannt hat. Nun frage ich Sie, besonders Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, die Sie auch diese Erkenntnis haben: Wird Ihre doch wohl mehr auf die Meinung der Menschen achtende Partei im Bundesrat dieses unsinnige Gesetz verhindern? Der Umweltausschuß des Bundesrates hat — im Gegensatz zu seinem Verkehrsausschuß — aus guten Gründen mehrheitlich gegen das Gesetz votiert. Ist den SPD-regierten Ländern der Verkehr auf den Straßen eventuell auch mehr wert als eine lebenswerte Umwelt?
Wenn ich mich an Ihre Habilitationsschrift erinnere, Herr Dr. Krause, so war ich ja schon einmal geneigt, Ihnen Lernfähigkeit in bezug auf die Ergebnisse der wissenschaftlichen Leistung von Experten zuzubilligen. Wie kann ich dann aber Ihre Argumentation gegen eine aus ökologischen Gründen von nahezu allen Fachleuten — nicht von Politikern — geforderte Geschwindigkeitsbegrenzung verstehen? Sie widerspricht jeglicher Logik

(Dr. Dionys Jobst [CDU/CSU]: Sie dürfen heute schon langsamer fahren!)




Dr. Klaus-Dieter Feige
und scheint mir lediglich einer reinen Autofahrlustbefriedigung zu gehorchen. Vernunft neben der reinen Triebbefriedigung ist doch das, was die Menschen von den Tieren unterscheidet. Das hat wohl auch der CSU-Arbeitskreis „Umweltsicherung" so gesehen, aber dieser steht in der CSU wohl allein. Wenn also die Koalitionsfraktionen schon keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Autobahnen haben wollen, frage ich Sie: warum nicht eine sinnvolle Geschwindigkeitseinschränkung wenigstens in den Städten, wo es permanent Gefährdungsbereiche gibt?

(Dr. Dionys Jobst [CDU/CSU]: Da gibt es doch ein Tempolimit!)

— Es gibt zwar ein Limit; es verhindert aber nicht, daß immer noch viele Menschen dort sterben. Ich glaube, daß Sie die öffentlichen Proteste in diesen Bereichen einfach ignorieren. Das Ergebnis wird in einer ganz anderen Form kommen. Sehen Sie sich die verkehrskranken Menschen in Hamburg, Lübeck oder sonstwo an! Ich garantiere Ihnen, daß, wenn die Politiker in unserem Lande die Städte nicht weitgehend verkehrsfrei bekommen, diese Städte durch das demokratische Aufbegehren der Bevölkerung verkehrsfrei werden. Ich glaube, die Menschen haben ein Recht darauf, solche Proteste durchzuführen. Die Protestwelle wird von Unfalltotem zu Unfalltotem in den Städten zunehmen. Die Innenstädte werden dann nicht nur an Wochenenden verkehrsfrei sein. Sie werden sich, wenn Sie den Widerstand durch die selbstorganisierte Verkehrspolitik erleben, noch sehnsüchtig an die dann harmlos erscheinenden Anti-AKW-Demonstrationen der letzten Jahre zurückerinnern.

(Dr. Dionys Jobst [CDU/CSU]: Die Verkehrssicherheit in den alten Bundesländern ist trotz steigenden Verkehrs besser geworden!)

— Die Verkehrssicherheit ist sicher in irgendeiner Form gestiegen. Aber gehen Sie davon aus, welches Ziel wir in der Zeit hätten erreichen können, wo wir in vielen Fällen einfach nur gewartet haben!
Noch haben sich nicht einmal alle Kritiker der Verkehrspolitik der Bundesregierung verbündet. Denken Sie an die Freunde in Ihrer eigenen Partei. Ich habe z. B. die Mitglieder der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" im Auge, die noch heute verzweifelt nach einem ökologischen Umbau der Verkehrspolitik suchen. Sie haben längst erkannt, daß es nicht allein darum gehen kann, sogenannte intelligente Verkehrsleitsysteme zu bauen, sondern daß es um eine grundsätzlich neue Entwicklung, um eine „ökologisch intelligente" Verkehrsstrategie geht.
Es ist schon nahezu schizophren, wenn das Koalitionspapier als Ziel bis zum Jahre 2005 eine Senkung der CO2-Emission von 25 % bis 30 % vorsieht, aber der Wirtschaftsminister in seinen Prognosen von nur 11 % auszugehen gedenkt. Auch im Verkehrsministerium — zumindest sind diese Zahlen so veröffentlicht worden — denkt man an 10 %. Wenn Sie selbst mit Ihrer Arithmetik diese Zahlen zusammenzählen, kommen Sie niemals auf 25 % oder gar 30 %. Ich glaube, daß Sie hier den Mund zu voll genommen haben. Die aktuellen Entwicklungen sind anders. Die Bundesregierung sollte sich einmal der Erkenntnisse ihrer eigenen Abgeordneten bedienen und nicht immer nur nach der finanzstarken Wirtschaftslobby schielen.
Ich erinnere Sie auch an die Proteste der Naturschutzverbände gegen den Raubbau an unversiegelten Flächen durch neue Straßen. Hat nicht der Bundesverkehrsminister selbst unlängst zigtausend Unterschriften gegen das Fällen von Alleebäumen entlang ostdeutscher Bundesstraßen entgegengenommen und Abhilfe versprochen? Seine Erklärung, daß zum Schutz dieser Alleen neue Autobahnen gebaut werden sollen, wirkt für einen engagierten Naturfreund wie ein Hohn. Sind es neben den Sägen der Flurbereiniger nicht gerade die Autoabgase, die die Bäume in unserem Land schädigen und auch die Menschen krank machen?
Ich bezweifle nicht, daß es für eine Übergangszeit auch in der Bundesrepublik individuellen Autoverkehr geben wird. Ich akzeptiere auch, daß es Ansätze für die Entwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs gibt. Aber sie sind zu langsam. Angesichts steigender Tarife im Personen- und Güterverkehr ist das auch kein Wunder. Ich sehe daneben die Preise für einen Liter Benzin oder Diesel. Mir wird dann klar, warum sich viele Unternehmer keine Lagerhäuser mehr leisten wollen und mit einem Just-in-timeTransport die Straßen für rollende Lager mißbrauchen. Allein die sofort machbare Verlagerung von Gütertransporten auf die Schiene würde mancher kollabierenden Stadtdurchfahrt die notwendige Entlastung geben. Übrigens ist in Japan, einem Land, in dem man gar nicht so sensibel mit Umweltfragen umgeht, der Ausstieg längst vorgenommen und auf diese Form der Transportlagerwirtschaft verzichtet worden. Müssen wir die Fehler, die andere schon gemacht haben, auch machen, um klug zu werden?
Die Länge der Übergangszeit zu einem integrierten öffentlichen Personennahverkehr wird durch den Verkehrsminister und sein Team entscheidend mitbestimmt. Nach den gegenwärtigen Ergebnissen und Ihrem „Idealhaushalt" gehe ich von einem tausendjährigen Planungszeitraum aus, bis wir das schaffen werden.
Erlauben Sie mir zum Abschluß einen kleinen Seitensprung zu dem berühmten grünen Pfeil.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was? — Dr. Dionys Jobst [CDU/CSU]: Ein Seitensprung ist hier im Plenum nicht erlaubt!)

— Die sind hier nicht erlaubt? Das ist wunderbar, dann bin ich der erste, der so etwas macht. Da es ein grüner Pfeil ist, kann ich mir diesen Seitensprung schon erlauben.

(Ernst Waltemathe [SPD]: Sie sind doch für Verkehrsvermeidung!)

Dieser grüne Pfeil hat in unsere Diskussionen schon Eingang gefunden. Meine Erfahrungen mit diesen verkehrsregelnden Einrichtungen sind gut. Deshalb habe ich auch nichts gegen eine diesbezügliche bundesweite Ausdehnung. Andererseits erscheint mir jedoch die Begründung des Verkehrsministers für diese Ausweitung des Geltungsbereichs sehr skurril. Wer, wie Herr Krause, lediglich glaubt, daß es darauf ankommt, die Autos nur besser hin- und herzuschieben,



Dr. Klaus-Dieter Feige
hat das Grundproblem, nämlich die Gesamtmenge des Autoverkehrs, nicht durchschaut.
Herr Krause, wenn es wirklich so ist, wie Sie sagen, daß man durch den Rechtsabbiegepfeil eine um 50 % gesteigerte Durchlaßfähigkeit auf den Straßen bekommt, dann sollten alle Autofahrer permanent immer nur rechts abbiegen und im Kreis fahren — das würde dann immer mehr Einsparungen bringen —, bis die Straßen autoleer sind.

(Heiterkeit bei der SPD und der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

Ich werde — das muß ich hier sagen; selbst bei einer Zustimmung für eine an sich sinnvolle Verkehrsmaßnahme — unsicher, weil ich dann damit rechne, daß Sie der deutschen Öffentlichkeit bei Gelegenheit diesen grünen Pfeil gegen eine oder zwei Autobahnen aufrechnen werden. In dieser Hinsicht schwant mir Krausenvolles.
Schönen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205906100
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort dem Bundesminister für Verkehr, Dr. Günther Krause.

Dr. Günther Krause (CDU):
Rede ID: ID1205906200
Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Kollege Feige! Ich komme auf den Rechtsabbiegepfeil zurück. Glücklicherweise zeigt die Richtung nach rechts, und wir hoffen, daß die Linksabbieger in Deutschland immer weniger werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben, denke ich, in den neuen Bundesländern eine gewisse Vorbildwirkung erreicht.
Ich möchte einige Zahlen, die hier zur Diskussion stehen, belegen.

(Zuruf des Abg. Ernst Waltemathe [SPD])

— Lieber Kollege Waltemathe, wir haben die Zahlen natürlich auch in den Berichterstattergesprächen diskutiert. Insofern bin ich etwas überrascht, daß Sie nicht die realen und richtigen Zahlen dargestellt haben.

(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Die kennen sie noch nicht!)

— Der kennt sie noch nicht? — Das ist vielleicht mein Problem. Er ist vergeßlich, das kommt noch dazu. Das hat vielleicht etwas mit dem Linksabbiegen zu tun. Das wäre eine Möglichkeit.
Wir haben bei der Deutschen Bundesbahn, gemessen am Jahre 1991, eine Steigerung der Investitionen um 27 % erreicht. Wir haben bei der Deutschen Reichsbahn, gemessen am Haushalt 1991, einen Investitionszuwachs von 52 % erreicht. Den Straßenbau haben wir nur um 22 % erhöht. Ich denke, es ist schon wichtig, die Tendenz einer Verkehrspolitik daran zu messen, inwieweit die Veränderung hin zu umweltfreundlichen Verkehrsträgern im Zuwachsanteil deutlich wird. Insofern haben wir genau die umweltfreundliche Verkehrspolitik getätigt, die wir haben
wollen. Ich denke, Herr Feige, auch darüber sind wir uns einig: Glücklicherweise ist es ein grüner Rechtsabbiegepfeil, der auch eine ordentliche Umweltpolitik in die richtige politische Richtung zeigt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es sind schon häufig Zahlen genannt worden. Für mich ist vor allem der Bezug auf 1990 wichtig.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205906300
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Waltemathe

Dr. Günther Krause (CDU):
Rede ID: ID1205906400
Mit Sicherheit. Sie belebt die Diskussion und die Freundschaft.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205906500
Bitte, Herr Waltemathe.

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1205906600
Herr Minister, bevor Sie dabei bleiben, daß ich möglicherweise vergeßlich bin: Vielleicht können Sie sich daran erinnern, daß ich während der Rede vor etwa 40 Minuten dargelegt habe, daß sich die Investitionen für die Bahnen, also auch für die Reichsbahn, nicht nur auf den Streckenausbau — weniger als die Hälfte betrifft den Streckenausbau —, sondern auch auf andere Investitionen — Waggons, Signaltechnik und Betriebsverluste — erstrecken und daß es deshalb nicht zulässig ist, zu sagen: Diese Kostensteigerung mußt du doch sehen. Ich habe die Zahlen ja vorgelesen. Ich habe gesagt, daß die Investitionen für die Bahnen höher sind als die für die Straßen. Wenn ich aber den reinen Streckenausbau betrachte, dann ist der Anteil niedriger. Sollten Sie das schon so schnell vergessen haben?

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205906700
Herr Kollege Waltemathe, das war also eine Frage an das Erinnerungsvermögen? —

(Heiterkeit — Ernst Waltemathe [SPD]: Ich nehme an, daß der Minister meine Rede gehört hat!)

Herr Minister, bitte sehr!

Dr. Günther Krause (CDU):
Rede ID: ID1205906800
Lieber Kollege Waltemathe, wenn Sie sprechen, versuche ich, möglichst wenig zu vergessen. Insofern zwei Bemerkungen:
Erstens. Es ist nicht ganz richtig, rein von der Aufgabe des Verkehrsträgers Straße und seiner Erreichbarkeit her, die Straße direkt mit den Eisenbahninvestitionen zu vergleichen; denn dann würden Sie meinen, wir wollten vor jeder Haustür in Deutschland eine Schiene verlegen, damit jeder von seiner Haustür mit der Lokomotive letztendlich zum Arbeitsplatz gefahren werden kann.

(Heiterkeit)

Insofern ist dieser Vergleich nicht ganz richtig. Ich bin dankbar, daß der Kollege der CDU darauf hingewiesen hat, daß das Verhältnis, vor allem von der Erreichbarkeit her, über die Verkehrsträger berechnet werden muß.
Zum Zweiten. Wir sind uns durchaus bewußt — vor allen Dingen in der Koalition — , daß wir in dieser



Bundesminister Dr. Günther Krause
Legislaturperiode mit der Organisations- und Strukturreform der Eisenbahn endlich das angehen müssen, was in 40 Jahren nicht geleistet worden ist — ein Stück Verantwortung hatten ja auch Sie in dieser Zeit, in diesen 40 Jahren —, daß wir zu Unternehmen kommen wollen, die gegen eine entsprechende Gebührenleistung die vorhandene Schieneninfrastruktur wirklich benutzen. Ich möchte deutlich auf die Bemerkung des Kollegen von der FDP Bezug nehmen, daß es uns natürlich darauf ankommt, daß der 20-MilliardenDM-Anteil, der ja immerhin etwa 50 % des Verkehrshaushalts ausmacht, mehr investiven Charakter haben wird und insofern die Verkehrspolitik der jetzigen Regierung in dieser Legislaturperiode umschreibt.
Wenn Sie, lieber Kollege Feige, geäußert haben, von uns noch nie etwas darüber gehört zu haben, wie wir die Verkehre verlagern oder wie wir Verkehre vermeiden wollen, dann muß ich Ihnen — wenn Sie das gestatten — ein Stück Nachhilfeunterricht geben.

(Dr. Klaus-Dieter Feige [Bündnis 90/ GRÜNE]: Das hat Herr Töpfer auch schon angekündigt!)

Wir haben in dieser Legislaturperiode die Verkehrspolitik unter die Überschrift gestellt, daß das Wachstum bei der Eisenbahn wesentlich größer sein müsse als das allgemeine Verkehrswachstum. Das ist der eine entscheidende Teil. Ich denke, der beste Beweis dafür, daß auch ein beschleunigtes Planungsverfahren und Privatfinanzierung unbedingt dazu gehören, ist die Einführung des ICE, die jetzt ja glücklicherweise nach 20 Jahren gelungen ist und der als umweltfreundlicher Verkehrsträger unter anderem an den bisherigen Planungsbedingungen der Bundesrepublik (alt) über mehrere Jahre hinweg gescheitert ist. Ich denke, daß es deshalb zu einer vernünftigen Verkehrspolitik gehört, das Planungsrecht zu novellieren, Privatfinanzierungsmodelle einzuführen und die Organisations- und Strukturreform bei der Bahn durchzuführen. Da wir ja die Forderung, die vor allem auch die Opposition an uns herangetragen hat — und das ist natürlich auch der Wunsch der Koalition — , hinsichtlich der Privatisierung der Flugsicherung erfüllt haben, werden wir ja in absehbarer Zeit die Probe aufs Exempel machen und hier im Parlament sehen können, ob sich die Opposition wirklich an der Gestaltung einer Verkehrspolitik konstruktiv beteiligt und die Zweidrittelmehrheit für die Änderung bei der Flugsicherung herbeiführen wird. Ich hoffe natürlich, daß diese Angelegenheit ebenso positiv ausgehen wird wie eine Änderung des Grundgesetzes im Blick auf eine Eisenbahnreform.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wäre nicht angepaßt und entspräche auch überhaupt nicht der Akzeptanz dieses Hohen Hauses, bei dieser Haushaltsdebatte nicht auch auf die Probleme in Ost- und Mitteleuropa hinzuweisen. Der Wohlstand in der Europäischen Gemeinschaft ist letztlich durch die Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft entstanden. Dadurch ist es gelungen, zu erreichen, daß sich vor allem auch Länder, die von ihrem Lebensniveau her, vom Lebensstandard her zurückgeblieben waren, in der Europäischen Gemeinschaft weiterentwickeln konnten.
Wenn vorgebracht wurde — vor allem von dem Kollegen Feige — , daß wir Verkehrsszenarien herrechneten, die wir im Jahre 2010 erwarteten, dann muß ich sagen: Wir gehen davon aus, daß sich in der Sowjetunion ebenso wie in Ungarn oder in der Tschechoslowakei eine positive wirtschaftliche Entwicklung ergeben wird und daß die politische Teilung Europas durch eine wirtschaftliche Zusammenarbeit überwunden wird. Wir — jedenfalls die Koalitionsfraktionen — sind dankbar, daß Deutschland dann im Herzen Europas auch die Aufgabe haben wird, herzlich gern Litauer, Esten in unserer Mitte als Touristen zu begrüßen. Natürlich wird der Verkehr dann entsprechend zunehmen, und ich hoffe, daß nicht alle Touristen nur auf die eine, von meinem Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern genannte Insel fahren. Denn einen wichtigen Punkt hat er vergessen: Auf diese Insel fährt nur morgens und nachmittags ein Schiff mit einer begrenzten Kapazität. So viele Urlauber, wie er sie heute eingeladen hat — und wie sie bei dieser Parlamentsdebatte auch anwesend sind — , würde dieses Schiff und damit die Insel gar nicht aufnehmen. Mit diesem Beispiel kann also die wirtschaftliche Zukunft gar nicht umschrieben sein.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205906900
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Feige?

Dr. Günther Krause (CDU):
Rede ID: ID1205907000
Wenn das nicht von meiner Redezeit abgeht, immer!

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205907100
Bitte, Herr Kollege Feige.

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205907200
Herr Bundesverkehrsminister, welche Vorteile werden die Menschen in den fünf neuen Ländern davon haben, daß ihr Land zum Transitland wird und dort viele Autos mit sehr vielen Abgasen und sehr viele sogenannte Brummis durchfahren werden? Wo liegt der Vorteil für die Menschen in den fünf neuen Ländern — außer in den Abgasen?

Dr. Günther Krause (CDU):
Rede ID: ID1205907300
Lieber Kollege Feige, da wir ja in den Bürgerbewegungen einmal zusammen gekämpft und gemeinsam eine friedliche Revolution organisiert haben, enttäuscht mich diese Frage wirklich erheblich. Die Kriegsbedrohung ist in Europa vorbei. Europa kann als Kontinent endlich gemeinsam und friedlich zusammenleben.
Wir müssen doch letztendlich den Menschen in den Ländern, die heute noch um ihre Existenz bangen müssen, zugestehen, von uns zu verlangen, daß wir als Deutsche, wenn wir die deutsche Einheit richtig verstanden haben, bereit sind, umfangreich wirtschaftlich zusammenzuarbeiten und nicht kleinkariert hochzurechnen, vielleicht noch vorschreiben, die Sowjetunion brauche beispielsweise keine Autos für ihre Arbeitnehmer. So können wir, die Koalition, politisch nicht argumentieren; so machen wir das auch nicht. Hier unterscheiden wir uns politisch grundlegend.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205907400
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Feige?




Dr. Günther Krause (CDU):
Rede ID: ID1205907500
Aber natürlich, unter den genannten Bedingungen.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205907600
Nein, das wird nicht angerechnet.

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205907700
Meine zweite Frage lautet: Hätten Sie sich als OstWest-Verbindung nicht ausschließlich Schienenverbindungen vorstellen können, die das von mir genannte Problem bei all den Dingen, die auch ich mir für die Entwicklung in den Unionsrepubliken wünsche, nicht gebracht hätte?

Dr. Günther Krause (CDU):
Rede ID: ID1205907800
Herr Kollege Feige, ich habe mir die Mühe gemacht und jedem Abgeordneten Informationsmaterial in die Schublade gelegt, welches außerhalb der 8 Millionen DM für die Informationsmaterialien zur besseren Bürgerbeteiligung gedruckt worden ist. Ich hoffe, daß es im nächsten Jahr noch besser sein wird. Wir sehen ja, daß es Informationsbedarf gibt.
In diesem Projekt deutsche Einheit sind 17 Verkehrsmaßnahmen dargestellt. Davon sind neun Maßnahmen für die Schiene im Wertumfang von 29 Milliarden DM dargestellt, eine Maßnahme für die Binnenschiffahrt im Wert von 4 Milliarden DM und nur sieben Autobahnprojekte als Trassen durch Europa, um die West-Ost-Probleme in der ehemaligen DDR zu lösen. Wenn man den Investitionsansatz sieht, stehen 33 Milliarden DM für sogenannte umweltfreundliche Verkehrsträger 23 Milliarden DM für sogenannte umweltunfreundliche Verkehrsträger gegenüber.
Um auf die wichtige Formel des Kollegen Waltemathe zurückzukommen: Ja, wir haben die Beträge der SPD-Regierung und der CDU-Regierung genannt. Dieses Verhältnis ist nicht 1 DM in die Eisenbahn und 9 DM in die Autobahn, sondern das Verhältnis ist etwa 1,40 DM in die Eisenbahn und in die Binnenschiffahrt und nur 1 DM in den Straßenbau. Ich hoffe, daß wir die sachliche Diskussion endlich zur Grundlage nehmen und mit dieser Polemik aufhören.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich möchte noch einen weiteren Punkt bringen. Bitte mißverstehen Sie mich nicht, Herr Kollege Feige, aber es hat nicht in meiner Habilitationsschrift gestanden, weshalb Ihnen diese Information vielleicht fehlt: Mit 1 PS können wir auf der Straße heute etwa 150 kg bewegen. Wir können auf der Schiene mit 1 PS etwa 700 bis 800 kg bewegen. Wir können auf den Binnenschiffahrtswegen mit 1 PS etwa 4 000 kg bewegen.

(Ernst Waltemathe [SPD]: 1 PS ist 1 PS!)

— 1 PS ist letztendlich auch eine Maßeinheit für Kohlendioxidverbrauch, Kollege Waltemathe. Das ist etwa linear in der Naturwissenschaft.
Ich meine, daß die Kohlendioxideinsparungen der Bundesregierung, beispielsweise durch den politischen Grundsatz in Form der Organisations- und Strukturreform der Eisenbahn, dafür sorgen, daß der überwiegende Anteil am Verkehrswachstum durch die Eisenbahn und auch durch die Binnenschiffahrt erreicht wird, was natürlich automatisch zu einer drastischen Reduzierung des Kohlendioxidanteils in der Luft führt.
Es ist etwas einseitig gedacht, wenn man den Verkehrsträger Straße einfach herausschneidet und das so darstellt, als müsse es dann prozentual entsprechend wesentlich weniger Verkehrsteilnehmer auf der Straße geben. Das ist nicht korrekt. Richtig ist, eine Verkehrspolitik zu machen, die integrierte Verkehrspolitik ist, die kombinierte Verkehrsformen nutzt, weil dann die Ergebnisse kommen.
Sie haben natürlich verschwiegen, daß mit dem deutschen Veto beim letzten Transitvertrag genau dieser Punkt berücksichtigt worden ist. Wir haben nämlich nachverhandelt, daß alle Transitverkehre, die alpenquerend die Schiene benutzen werden, schon in Deutschland die Schiene benutzen müssen. Aber so etwas ignorieren Sie einfach in der politischen Diskussion, oder Sie wissen es nicht. Deshalb habe ich Ihnen das eben gesagt.
Ein wichtiger Punkt, auf den ich noch hinweisen möchte, sind die Erfolge und, aus meiner Sicht, die wichtigen Ergebnisse, die wir auch dank der guten Zusammenarbeit mit den drei Berichterstattern, vor allen Dingen auch unter Federführung des Kollegen Waltemathe, im GVFG erreicht haben. Ich denke, daß die Finanzausstattung im nächsten und im übernächsten Jahr mit einem Anstieg der GVFG-Mittel um 50 % bzw. im Jahre 1993 um 100 % die Investitionssituation für die Länder und Kommunen wesentlich verbessern wird.
Es sind noch andere Fakten zu nennen: Die Stadtstaaten, die über den Kfz-Schlüssel bisher entscheidend benachteiligt worden sind, werden mit einem Faktor versehen, um so die ÖPNV-Aufgaben besser zu realisieren.
Es gibt eine dritte wesentliche Neuerung: 80 % der Finanzmittel stehen den Kommunen und Ländern selbst zu Verfügung. Es können also beispielsweise die längst überfälligen Ergänzungen des rollenden Materials dort, wo eine Überalterung erfolgt ist, durchgeführt werden.
Ich denke, daß wir mit dieser Verkehrspolitik durchaus den Nachweis erbracht haben, daß wir gemeinsam in der Lage sind, wichtige Aufgaben in dieser Legislaturperiode in Angriff zu nehmen. Ich hoffe, daß vor allen Dingen die neue, zukunftsweisende Bahnpolitik, die wir noch in dieser Legislaturperiode angehen werden, unter Beteiligung der Opposition durchführbar sein wird. Ich freue mich schon auf unsere gemeinsame Grundgesetzänderung.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1205907900
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Beratungen zum Verkehrshaushalt. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Einzelplan 12 in der Ausschußfassung? — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Einzelplan 12 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD und der Gruppe PDS/Linke Liste angenommen.



Vizepräsident Helmuth Becker
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich rufe nun auf:
Einzelplan 25
Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
— Drucksachen 12/1422, 12/1600 —
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Conrad Schroeder (Freiburg)

Carl-Ludwig Thiele
Dr. Nils Diederich (Berlin)

Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor, über den im Anschluß an diese Aussprache namentlich abgestimmt werden soll. Das wird in etwa einer Stunde, also kurz vor 4 Uhr sein.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erster Redner der Kollege Dr. Nils Diederich.

Dr. Nils Diederich (SPD):
Rede ID: ID1205908000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben hier heute schon einmal eine Gratulation anläßlich eines Geburtstages gehört. Ich möchte mit einer weiteren Gratulation beginnen. Frau Ministerin, ich wollte Ihnen nachträglich zu Ihrer Eheschließung gratulieren, Ihnen alles Gute und ein glückliches weiteres Leben wünschen.

(Beifall im ganzen Hause)

In der Berliner Presse ist übrigens ein Photo mit der Unterschrift, Sie seien wieder unter die Haube gekommen, veröffentlicht worden. Aber ich finde, Sie hatten einen wunderbaren, schicken Hut auf. Es wäre eine Schande, ihn als Haube zu bezeichnen.

(Heiterkeit)

Es ist natürlich nicht so, daß wir anläßlich Ihrer Flitterwochen nur Mildtätigkeit walten lassen. In dem Geschäft, das wir hier zu tun haben, ist auch Kritik angebracht. Ich möchte mich daher meinem sehr ernsten Thema zuwenden.
Über die Tatsache, daß in der Bundesrepublik mehrere Millionen Wohnungen fehlen, besteht unter allen Experten aus allen Fraktionen, aus allen Ländern und unter den Fachleuten verschiedener Richtungen mittlerweile Einigkeit. Der Kollege Achim Großmann hat von dieser Stelle aus bereits einige CDU-Kollegen zitiert. Der Kollege Kansy hat sogar wohl eine soziale Katastrophe bei der Wohnraumversorgung vorhergesehen. Der Kollege Hans Raidel äußert sich in der „Zeit" :
Wer jetzt wohnungspolitische Maßnahmen hinauszögert, riskiert einen Sturzflug in der Wohnungsversorgung.
Wenn ich richtig unterrichtet bin, klagt der bayerische Innenminister Stoiber, daß in Bayern 200 000 preiswerte Wohnungen fehlen. Die Beamtenverbände fordern inzwischen Mietzuschüsse für Beamte in den Ballungsgebieten.
Als Sozialdemokrat brauche ich hier also nur festzustellen, daß unsere Diagnose, die wir seit längerem gestellt haben, nämlich daß wir es mit dem Tatbestand der Wohnungsnot zu tun haben, inzwischen von allen ernst zu nehmenden Fachleuten bestätigt wird.
Dieser eklatante Mangel an Wohnungen, diese Wohnungsnot, ist kein plötzlich auftretendes Ereignis. Sie ist vielmehr von der jetzigen Regierung seit 1983 systematisch durch eine verfehlte Wohnungs- und Wohnungsbaupolitik herbeigeführt worden.

(Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Bleiben Sie doch auch jetzt bei den Fachleuten!)

— Ja, das ist das Urteil der Fachleute.
Die Vorgänger der jetzigen Ministerin haben den sozialen Wohnungsbau nicht nur gezielt vernachlässigt, sondern gezielt abgebaut; das muß man zur Kenntnis nehmen.

(Hans H. Gattermann [FDP]: Das war der Wunsch der Länder, Herr Kollege!)

Sie haben bewußt ein bewährtes und hervorragendes Instrument veröden lassen und vernachlässigt.

(Zuruf von der SPD: Das ist der Punkt!)

Ich erinnere daran, daß sogar einmal die Rede davon gewesen ist, das Bauministerium ganz aufzulösen. Die Illusion, ein funktionierender Wohnungsmarkt sei dadurch herzustellen, daß sich der Staat einfach zurückzieht, ist aber jetzt endgültig und eindeutig zerstoben. Der Präsident des Gesamtverbandes der Wohnungswirtschaft in Köln, Herr Steinert, kommt zu der ernüchternden Ansicht: Das Angebot- und Nachfragespiel der Marktwirtschaft funktioniert nicht, jedenfalls soweit es den Wohnungsmarkt betrifft.

(Zuruf von der SPD: Das Ministerium ist ja auch durch vier Staatssekretäre aufgewertet worden!)

— Ja.
Den Preis für diese Entwicklung zahlen hunderttausende Familien, die vor allem in den Ballungsgebieten zunehmende Probleme haben, angemessenen Wohnraum zu finden. Dies gilt nicht nur für die sozial Schwächeren, sondern das gilt durchaus auch für Menschen mit besseren Einkommen.
Wir reden immer davon, daß wir unsere Wirtschaft beleben wollen, daß wir wirtschaftliche Leistung belohnen. Wirtschaftliche Leistung lohnt aber nicht mehr, wenn die Wohnungskosten selbst für mittlere oder höhere Angestellte zu hoch werden und wenn bei jeder Lebenschance, die sich einem Arbeitnehmer bietet und die er auch wahrnehmen will, die Kosten bei einem Umzug so sprunghaft steigen, daß der Vorteil aus der Veränderung mehr als aufgezehrt wird.
Die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft beruht auf der Mobilität der aufsteigenden und auch mittleren Kader- und Führungskräfte. Wenn sogar diese keine Wohnungen mehr finden — wie gerade in den letzten Tagen in einem Pressebericht zu lesen war —, dann ist wirklich Aufmerksamkeit angesagt. Die Politik der Bundesregierung im Bereich der Wohnungswirtschaft bedeutet heute einen Zwang zum Immobilismus. Sie erwürgt Initiative.



Dr. Nils Diederich (Berlin)

Nebenbei bemerkt: Wenn es uns nicht mehr gelingt, preiswerte Familienwohnungen zur Verfügung zu stellen, wird auch die Bereitschaft, Kinder in unserem Land großzuziehen, weiter zurückgehen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß wir schrittweise zu einer Nation der Wohngeldempfänger werden wollen. Wenn das so ist, kann irgend etwas an den Grundvoraussetzungen nicht mehr stimmen.

(Beifall bei der SPD)

Ich räume ja ein, Frau Ministerin, daß Sie ein Konzept vorgelegt haben. Nur, ich bin hier in der Situation, dies für nicht zu Ende gedacht und für nicht wirkungsvoll zu erklären.
Die Bundesregierung muß endlich erkennen, daß fehlende Wohnungen einen politischen und sozialen Sprengstoff darstellen. Der Weg, den Sie gefunden haben, geht meines Erachtens in die falsche Richtung. Sie zielen darauf ab, den Wohnungsbau im privaten Sektor zu beleben. Dies muß aber in einer Weise geschehen, daß die Wohnungen bezahlbar bleiben.
Heute wissen wir, daß bis zur Jahrtausendwende von den etwa vier Millionen Sozialwohnungen drei Millionen aus der Mietpreisbindung herausfallen werden, also drei Viertel der heutigen Sozialwohnungen.
Wir Sozialdemokraten fordern daher ein massives soziales Wohnungsbauprogramm und haben deshalb heute einen entsprechenden Antrag gestellt. Wo der Markt versagt, muß die soziale Verantwortung des Staates eintreten.
Ich erinnere an unsere Nachkriegszeit: Die schrittweise Aufhebung der Mietpreisbindung in der alten Bundesrepublik war letztlich das Ergebnis einer massiven Wohnungsbauförderung und erst danach möglich. Diese ist aber nicht von heute auf morgen erreicht worden, sondern in Jahrzehnten gewachsen.
Vor der gleichen Situation stehen wir heute in den neuen Bundesländern. Die deutsche Vereinigung hat die Mobilität innerhalb unseres Landes noch einmal erhöht. Hinzu kommt auch noch die massive Zuwanderung. Ökonomische Zwänge werden auch in den nächsten Jahren große Bevölkerungsbewegungen erforderlich machen. Wenn wir den Aufbau in den neuen Ländern ehrlich wollen, dann müssen wir den Menschen die Möglichkeit geben, dort, wo ihnen ein Arbeitsplatz geboten werden kann, auch eine angemessene, attraktive Wohnung zu finden.
Schließlich sollte man nicht vergessen, daß die Unterschiede in bezug auf die Flächeninanspruchnahme zwischen neuen und alten Bundesländern noch sehr groß ist. Ich erwähne hier die Zahlen: Die durchschnittliche Wohnfläche je Person beträgt im Westen etwa 37 Quadratmeter, in den neuen Ländern aber erst 26 Quadratmeter. Wenn wir davon ausgehen, daß die Bürger in den neuen Bundesländern Anspruch darauf haben, in einigen Jahren das Niveau des Westens zu erreichen, und wenn wir davon ausgehen, daß zu erwarten ist, daß in den Wanderungsbewegungen auch qualifizierte Kräfte vom Westen in den Osten gehen, daß eine Durchmischung stattfindet und daß die Arbeitskräfte dort eingesetzt werden können, wo sie optimal einsetzbar sind, dann erkennen wir, daß auch schon aus diesem Grunde ein massiver Wohnungsneubau, und zwar zu preiswerten Bedingungen, erforderlich ist.
Der Impuls hierzu wird gewiß nicht vom freien Wohnungsbau ausgehen. Experten freier Wohnungsunternehmen in Berlin haben mir versichert, daß frei finanzierter Wohnungsneubau in Berlin und im weiteren Umland heute für den Durchschnittsbürger nicht zu zumutbaren Preisen angeboten werden kann.
Was also geschieht nach dem Herausfallen der Sozialwohnungen aus der Mietpreisbindung, was tagtäglich stattfindet? Tagtäglich werden Teile der Bestände aus der Mietpreisbindung entlassen. Es setzt ein Verdrängungswettbewerb ein, der die schwächeren Gruppen unserer Gesellschaft am härtesten trifft und der schon heute spürbar ist.
Ich wiederhole: Es bleibt eine Illusion, der Wohnungsmarkt könne sich selbst herstellen. Die Schlangen vor den Zeitungskiosken, z. B. am Berliner Bahnhof Zoo, brauchen wohl nicht kommentiert zu werden. Das ist aber kein Berliner Problem. Ich erinnere an München, Hamburg und Stuttgart.

(Wolfgang Roth [SPD]: Köln!)

— Ich erinnere an Köln. Jeder kann im Rahmen der Großstädte in den Ballungsgebieten ähnliches berichten. Horrende Vermittlungsprovisionen werden unter der Hand gezahlt, um eine halbwegs vernünftige Wohnung zu bekommen.
Ich behaupte: Es gibt eigentlich noch gar keinen richtig funktionierenden Wohnungsmarkt. Die Wohnungsmärkte in Deutschland sind heute überwiegend Beziehungsmärkte. Die sozial Schwächeren fallen für die preiswerten und für die guten Wohnungen aus diesem Beziehungssystem einfach heraus.

(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Dies stimmt leider!)

— Das stimmt leider.

(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Dann dürfen Sie nicht solche Sperenzchen wie in Berlin machen wollen: Mieten deckeln auf ganz niedrigem Niveau!)

— Aber Herr Kansy, genau dies ist der richtige Weg; denn der zersplitterte und verdeckte Wohnungsmarkt gilt interessanterweise gerade für die freien Valenzen auf dem Wohnungsmarkt, trifft also gar nicht die mietpreisgebundenen Wohnungen.
Die Wohnungsnot wird — das wiederhole ich auch hier — das Thema der 90er Jahre sein. Wir brauchen daher eine konsequente und logische Rahmensetzung. Insofern halte ich die Politik der Bundesregierung, insgesamt betrachtet, für verheerend.
Was wir in den neuen Ländern brauchen, ist eine konsequente Entschuldung der Wohnungsbaugesellschaften. Dies würde die organisatorische und finanzielle Kraft zum Neubau freisetzen. Ich gebe zu, das würde auch unsere Haushalte strapazieren. Aber wir sind bereit und in der Lage — das tun wir ja beispielsweise morgen beim Verteidigungshaushalt — , Alternativen für die Finanzierung vorzuschlagen.

(Beifall bei der SPD)




Dr. Nils Diederich (Berlin)

Ich stimme durchaus mit der Bundesregierung überein — ich glaube, darüber gibt es Konsens im Hause — , daß Wohnungseigentum im Einzelfall und auch in einer großen Breite ein für alle Bevölkerungsschichten erstrebenswertes Ziel sein kann und sein muß und daß es entsprechende Förderung geben muß. Aber das von der Bundesregierung in den neuen Ländern angebotene System der Finanzierungshilfe zur Entschuldung von Wohnungen, die für die Privatisierung vorgesehen sind, das jetzt im Haushalt enthalten ist, wird sich eher als Investitionshemmnis erweisen. Die Bundesregierung zwingt damit nämlich die Wohnungsbaugesellschaften, um jeden Preis zu verkaufen, damit die Schuldenlast vermindert wird. Ich fürchte, daß viele Wohnungsbaugesellschaften in den neuen Ländern den Versuch machen werden, vor allen Dingen die schlechteren Substanzen mit geringer Überlebensfähigkeit an den Mann oder an die Frau zu bringen.
Ich frage mich andererseits, Frau Ministerin, welcher Bürger in den neuen Bundesländern eigentlich in Zeiten sozialer Unsicherheit, in Zeiten bedrohter Arbeitsplätze, in Zeiten unklarer Zukunftsperspektiven
— bei allem Optimismus — , bei eventuell ins Haus stehender erzwungener Mobilität die eigenen vier Plattenbauwände kaufen soll und woher er das Geld dafür nehmen soll.

(Zuruf von der FDP: Die Nachfrage ist riesengroß! Lassen Sie die Leute doch kaufen!)

— Ja, gut; wir haben unsere individuellen Erfahrungen. Ich sage Ihnen: Dies kann immer nur ein kleiner Teil sein. Damit kann das Problem zum jetzigen Zeitpunkt nicht gelöst werden. Die Leute können ja nur auf ihre Ersparnisse zurückgreifen, die im Verhältnis von 1:2 abgewertet wurden. Die steuerliche Abschreibung ist für die große Mehrzahl der Bürger in den neuen Ländern heute noch uninteressant.
Ich würde gerne einmal mit Ihnen, Frau Ministerin, in die sogenannten Gettos nach Marzahn oder nach Hohenstücken in Brandenburg an der Havel oder auch nach Lichtenberg zu unserem Kollegen Scheffler oder meinetwegen auch zu den Hochhäusern am Lenin-Platz in Berlin, jetzt: Platz der Vereinten Nationen, in meinem Wahlkreis gehen und einmal sehen, ob es Ihnen gelingt, die Wohnungen den Bewohnern zum Kauf anzudrehen. Ich glaube, die Voraussetzungen dafür sind überhaupt noch nicht gegeben. Ich bin der Meinung, daß der Anreiz zur Privatisierung, den Sie mit Ihrem Programm erzeugen wollen, in die falsche Richtung geht und zum falschen Zeitpunkt ansetzt. Das ist vielleicht in einigen Jahren angemessen, aber zum heutigen Zeitpunkt müssen wir andere Schwerpunkte setzen.
Leider haben Ihre Vorgänger im Amt — ich habe es eingangs gesagt, Frau Ministerin — die schrittweise Reduktion der Verfügungsmasse zugelassen. Leider
— muß ich sagen — haben Sie sich auch nicht als stark genug erwiesen, um sich in der Bundesregierung durchzusetzen; denn was dabei herausgekommen ist, ist ja nur Stückwerk. Es ist weiter abgebaut worden. Die Verfügungsmasse im Einzelplan 25 ist eher noch geringer geworden, als sie bisher war.
Ich will das an einigen Beispielen erläutern, und zwar zunächst einmal am Beispiel der Städtebauförderung. In den neuen Ländern liegen Städte und Kommunen darnieder. Auch in den alten Ländern muß übrigens gleichermaßen die Städtebauförderung weiter konzentriert betrieben werden. Die Bundesregierung aber stockt nicht auf. In diesem Haushaltsjahr ist bei der Städtebauförderung noch einmal gekürzt worden.
Ich nenne ein zweites Beispiel. Nach der einseitigen Baupolitik der DDR, die allein auf die industrielle Plattenbauweise mit den bekannten Ergebnissen abzielte und die mit einer Abtötung schöpferischer und differenzierter Bauweise und mit der Verödung der Architekturlandschaft einhergegangen ist, ist jetzt Ermunterung und Förderung differenzierten Bauens mit der Entwicklung neuer Bauweisen und der Beherrschung neuer Baumethoden nötig. Was macht die Bundesregierung?

(Zuruf von der SPD: Nichts!)

Sie legt nicht etwa drauf. Sie tut schon etwas: Sie reduziert vielmehr die Mittel für Modellvorhaben, für experimentellen Städtebau, für die Forschung auf den Gebieten der Raumordnung, des Städtebaus und des Bau- und Wohnungswesens.

(Wolfgang Roth [SPD]: Abscheulich!)

— Ich kann hier nur den Zuruf des Kollegen Roth aufnehmen: Eine abscheuliche Politik, die nicht darauf hindeutet, daß die Bundesregierung gewillt ist, die Instrumente, die uns zur Verfügung stehen, konzentriert einzusetzen, um dem Wohnen und dem Städtebau in unserem Land Geltung zu verschaffen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste])

Angesichts der Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung haben wir Ihnen einen Antrag zur namentlichen Abstimmung vorgelegt. Die namentliche Abstimmung haben wir beantragt, weil wir deutlich machen müssen, daß dieser Bereich, dieser Punkt für uns ein Kernpunkt sozialer Regierungspolitik zu sein hat. Wir wollen ein Zeichen gegen den Trend setzen. Wir haben ein umfassendes Wohnungsprogramm vorgelegt, das die bisherige, allein auf die Kräfte des freien Marktes setzende Politik beenden soll. Wir wollen eine entschiedene Wende in der Wohnungspolitik. Wir wollen im nächsten Jahrzehnt Voraussetzungen dafür schaffen, daß endlich ein funktionierender Markt möglich wird, der unter Rahmenbedingungen verläuft, die dem Recht auf Wohnung unter sozialen Gesichtspunkten nachhaltig Geltung verschaffen.

(Helmut Esters [SPD]: Jawohl!)

Unser Antrag greift einen ersten, nämlich den dringendsten Aspekt auf. Wir brauchen klare, langfristig zu kalkulierende Rahmenbedingungen für den Bau neuer Wohnungen. Wir wollen nicht befristete Programme, sondern wir wollen die langfristige Perspektive, die wir in diesem Antrag aufzeigen. Langfristigkeit und Verläßlichkeit sind auch für die Stabilisierung der Bauwirtschaft wichtig.
Wir wollen eine Revision der Förderinstrumentarien und sind bereit, bei ineffektiven Instrumenten zu sparen. Ich erinnere etwa an den nach unserer Auffassung zur Zeit unsozial und ineffizient ausgestalteten § 10e des Einkommensteuergesetzes.



Dr. Nils Diederich (Berlin)

Mit unserem Antrag wollen wir die Bundesfinanzhilfe für den sozialen Wohnungsbau mittelfristig auf insgesamt 5 bis 6 Milliarden DM bringen, um preiswerten Wohnungsbau zu schaffen, der die Zahl der mietpreisgebundenen Wohnungen ja nicht erhöht, sondern, wie ich vorhin ausgeführt habe, allenfalls die Gesamtzahl der in der Mietpreisbindung befindlichen Wohnungen stabilisiert, die herausfallende Zahl kompensiert. Wir wollen dabei den ersten und den zweiten Förderweg bevorzugt bedienen, weil preiswerter Wohnraum nach unserer Auffassung so am besten geschaffen werden kann.
Meine Damen und Herren, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe auf eine breite Zustimmung zu unserem Antrag in der namentlichen Abstimmung.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205908100
Herr Abgeordneter Hans-Wilhelm Pesch, Sie haben das Wort.

Hans-Wilhelm Pesch (CDU):
Rede ID: ID1205908200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Probleme im Wohnungsbau sind sicherlich nach wie vor groß.

(Helmut Esters [SPD]: Erste Einsicht!)

Die Forderungen der neuen Bundesländer, die Lebensverhältnisse möglichst schnell an die in den alten Ländern anzugleichen, stellen haushaltspolitisch eine große Herausforderung dar.

(Helmut Esters [SPD]: Auch richtig!)

Daß wir uns den Sorgen und Nöten in den neuen Bundesländern verstärkt zuwenden, muß eine Selbstverständlichkeit sein. Solidarisches Verhalten darf sich eben nicht nur in Worten ausdrücken, sondern muß — wie im vorliegenden Haushalt 1992 — auch materiell Niederschlag finden.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste]: Schön wär's ja!)

Das erfordert besondere Anstrengungen von allen Beteiligten: von Bund, Ländern und Gemeinden zusammen.
Ich möchte mich in meinen Ausführungen mit der Situation in den Altländern befassen, weil mein Kollege Rau auf die Gegebenheiten in den neuen Bundesländern ausführlich eingehen wird.
Bei Einbringung des Etats habe ich die Probleme der Altländer geschildert, deren Haushaltsansätze im sozialen Wohnungsbau und bei der Städtebauförderung, um zwei Hauptproblemkreise zu nennen, gekürzt worden waren. Das konnte die Wohnungsbaupolitiker sicherlich nicht zufriedenstellen, und es konnte sie nicht ruhen lassen, da sich bekanntlich die Wohnungsprobleme in den alten Bundesländern nicht entschärft hatten, sondern der Lösungsbedarf eher zugenommen hat.

(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Sehr richtig!)

Hier war und ist die Situation in den Ballungsräumen besonders gravierend.

(Zuruf von der SPD: Sehr wahr!)

Wir haben deshalb besondere finanzielle Anstrengungen gefordert, um Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt in ein für alle Seiten erträgliches Gleichmaß zu bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich kann hier und heute mit großer Genugtuung feststellen, daß sich der Finanzminister einen gewaltigen Schritt nach vorn bewegt und realistische Finanzierungsmöglichkeiten im Wohnungsbau eröffnet hat, die sich, weil umsetzbar, wohltuend von den oft utopischen Forderungen der SPD abheben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Widerspruch bei der SPD)

Nach wie vor wird von der SPD die unrealistische und deshalb nicht durchführbare Methode zum Dogma erhoben, einerseits zu hohe Staatsverschuldung anzuprangern und andererseits sich den betroffenen Wohnungsuchenden und der Wohnungswirtschaft als die großen milliardenspendenden Problemlöser anzubiedern.

(Wolfgang Roth [SPD]: Den Satz muß ich im Protokoll lesen! Der ist so blöd!)

Das bezieht sich, Herr Roth,

(Wolfgang Roth [SPD]: Verb stimmt nicht; Substantiv stimmt nicht; nichts stimmt in dem Satz! Der Stenographische Dienst ist wieder die einzige Rettung!)

ausdrücklich auch auf den heute von Ihnen eingebrachten Änderungsantrag. Was uns jetzt an Änderungen im Wohnungsbauetat im positiven Sinn vorliegt, verdient Dank und Anerkennung, weil es im Gegensatz zu maßlosen und deshalb nicht realisierbaren Forderungen der Opposition steht, die ja oft von Ihren eigenen Vertretern, meine Damen und Herren von der SPD, im Haushaltsausschuß nicht mitgetragen wurden.

(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Unsere Anregungen während der Beratung des Einzelplans 25 sind zu großen Teilen realisiert.

(Helmut Esters [SPD]: Na klar! Das habt ihr euch vorher aufgeschrieben!)

Sie sind den Bedürfnissen angepaßt und gefährden in keiner Weise die Stabilität dieses Haushalts und zukünftiger Haushalte.
Einen entscheidenden Schritt im sozialen Wohnungsbau stellt die Erhöhung des Verpflichtungsrahmens auf 2 Milliarden DM für die alten Bundesländer dar. Dies war die Forderung der Koalition und deren Wohnungsbaupolitiker. Diese Forderung ist damit erfüllt. Weitere 700 Millionen DM sind für den Wohnungsbau in Ballungsräumen zur Verfügung gestellt worden.

(Achim Großmann [SPD]: Das wollten Sie zunächst gar nicht!)

Dies war eine weitere Forderung der Wohnungsbaupolitiker der Koalition. Diese Forderung ist damit erfüllt.

(Norbert Formanski [SPD]: Auf unser Drängen ist nachgebessert worden!)




Hans-Wilhelm Pesch
Dies bedeutet gerade für die alten Bundesländer eine breit angelegte zukünftige Entlastung auf dem Wohnungsmarkt.
Ich wiederhole unser Anliegen, daß neben der Förderung des sozialen Wohnungsbaus eine möglichst breite Streuung des privaten Eigentums erreicht werden muß.
Ich möchte mich aber gerade heute noch einmal verstärkt der Bereitstellung von Mietwohnungen zuwenden. Dabei möchte ich allerdings im Hinblick auf das Wohnungsbausonderprogramm für Regionen mit erhöhtem Wohnbedarf noch einmal mit Nachdruck darauf hinweisen, daß für die Einbeziehung in eine solche Maßnahme nicht nur, wie vorgesehen, die Höhe der jeweiligen Mietenstufe, sondern auch die Gesamtzahl der Bevölkerung und die jeweiligen Zuwanderungen Berücksichtigung finden müssen.
Unser großes, vielleicht etwas zu hoch gestecktes Ziel, in drei Jahren rund 1 Million Wohnungen zu erstellen,

(Norbert Formanski [SPD]: Ja!)

ist aus verschiedensten Gründen, die in der Mehrzahl nicht beim Bund liegen, nicht erreicht worden. Für das laufende Jahr 1991 wird aber immerhin mit der Fertigstellung von ca. 295 000 Wohnungen gerechnet.

(Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste]: Das ist viel zuwenig! )

Ich fordere hier noch einmal mit allem Nachdruck, daß die Fehlbelegungen im sozialen Wohnungsbau weiter abgebaut werden müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Abbau der Fehlbelegungen, verstärkter sozialer bzw. frei finanzierter Wohnungsbau in den Ballungsräumen, Förderung des Aus- und Umbaus von vorhandenen Gebäuden sind wesentliche Faktoren, den Mietwohnungsbau in den nächsten Jahren wesentlich zu steigern, wenn die Länder in allen genannten Bereichen mitziehen. Das Mittun der Länder war und bleibt leider die große Unbekannte bei dieser gemeinsamen Kraftanstrengung.
Bei allen Förderprogrammen, meine Damen und Herren, bleibt der dritte Förderweg eigentlich d e r Weg, mit dem geringstmöglichen Einsatz größtmöglichen Nutzen zu erzielen.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)

Darüber hinaus brauchen wir — dies wird nicht immer mit Wohlwollen aufgenommen — , die möglichst marktnahe Miete. Die Subjektförderung in Form von Wohngeld ist dabei der sicherste Weg zu marktgerechten Mieten, die dann auch von den jeweiligen Mietern eben mit der Hilfe des Wohngelds gezahlt werden können und die vor allem — das ist doch wohl das Entscheidende — zu mehr Wohnungen führen.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Genau so!)

Ausweisungen von Bauland in den Gemeinden, Bereitstellung verbilligter bundeseigener Grundstücke im Rahmen der Konversion bisher militärisch genutzter Grundstücke, das Wohnungsbauerleichterungsgesetz vom 17. Mai 1990 zur Beschleunigung von Bauleitverfahren, Wiederbelebung auch des Werkswohnungsbaus sind u. a. Maßnahmen, den Wohnungsbau wieder nach dem Bedarf auszurichten. Die finanziellen Grundvoraussetzungen sind mit dem vorliegenden Etat vom Bund geschaffen.
Im Eigenheimbau und bei der Errichtung von Eigentumswohnungen sind entscheidende Grundlagen zur Ankurbelung gelegt worden. Ich erinnere an erhöhte Abschreibungsmöglichkeiten — in vier Jahren von 5 auf 6 % —, an die Ausdehnung des § 10e auf Aus- und Umbauten für Familienangehörige, an die Verbesserung des Baukindergelds, an den Schuldzinsenabzug. Alles das geschieht per Stichtag 15. Oktober 1991. Das, meine Damen und Herren, ist im Gegensatz zu den Forderungen der SPD handfeste Wohnungsbaupolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Für Reiche!)

Was die Wohnungsbaupolitiker nicht zufriedenstellt, sind die nicht ausreichenden Mittel in der Städtebauförderung. Hier handelt es sich nicht nur — wie oft falsch dargestellt wird — darum, schön und rot gepflasterte Radwege zu finanzieren, sondern um ganz konkrete Sanierungsmaßnahmen, die für erforderliche strukturelle Veränderungen in den Gemeinden außerordentlich notwendig sind. Hier dürfen wir in Zukunft nicht lockerlassen, den entsprechenden Haushaltstitel aufzustocken.
Meine Damen und Herren, ich möchte den Mitgliedern des Haushaltsausschusses und natürlich auch dem im Augenblick nicht anwesenden Finanzminister

(Wolfgang Roth [SPD]: Der ist während Ihrer Rede gegangen! Außerordentlich unhöflich!)

dafür danken, daß so viel Verständnis für die Anliegen der Wohnungsbaupolitiker gezeigt worden ist. Nun gilt es, dieses Verständnis über Jahre hinweg zu konservieren.
Der vorliegende geänderte Einzelplan 25 entspricht den Zielvorstellungen der CDU/CSU-Fraktion, was die Bewältigung der wohnungspolitischen Probleme angeht. Er ist ein Etat, der unsere soliden Forderungen berücksichtigt, die den wirklichen Bedürfnissen angepaßt sind und in keiner Weise die Stabilität zukünftiger Haushalte belasten.
Wir müssen das Machbare auf den Weg bringen. Das tun wir mit diesem Haushalt. Politisches Taktieren und daraus resultierende utopische Forderungen der SPD müssen wir zurückweisen und unbeirrt unseren jetzt eingeschlagenen Weg weitergehen.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Halten Sie die Forderung nach einer angepaßten Wohnung für utopisch?)

Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem vorliegenden geänderten Einzelplan 25 zu.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205908300
Das Wort hat der Abgeordnete Carl-Ludwig Thiele.




Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1205908400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In kaum einem Einzelplan eines Ministeriums zeigen sich die Probleme, die sich im wiedervereinten Deutschland derzeit innenpolitisch stellen, so plastisch wie in dem hier zu behandelnden Einzelplan des Wohnungsbauministeriums.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Die Probleme, die alle ungelöst sind!)

— Ich habe ja erst einmal nur auf die Probleme hingewiesen.
Im Bereich der alten Bundesländer gibt es derzeit eine unbestreitbare Wohnungsmisere, die vor allem die sozial Schwächeren trifft.

(Zustimmung bei der SPD)

Dieser Punkt ist nach meiner Auffassung einer der wesentlichen Gründe, die dazu führen, daß teilweise eine ungute Diskussion über Personen geführt wird, die sich in der Bundesrepublik Deutschland eine neue Heimat schaffen wollen. Dies bezieht sich z. B. auf Aussiedler, aber auch auf Ausländer, Asylbewerber und Asylanten. In dem von der Wohnungsnot betroffenen Personenkreis wird die eigene Situation mit einer vermeintlich besseren Situation der genannten Personen verglichen, und hierbei wird vordergründig das Resümee gezogen, daß diese Personen teilweise bessergestellt seien, obwohl sie bisher noch keinen wirtschaftlichen Beitrag für die Bundesrepublik Deutschland geleistet hätten. Auf Grund dieser Situation muß das Problem der Wohnungsnot vorrangig angegangen werden. In diesem Punkt scheint eine große Übereinstimmung zwischen den Parteien, auch eine mit der Opposition, zu bestehen.

(Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Da haben wir allerdings eine große Koalition, Herr Thiele!)

— Das habe ich gerade erwähnt, Herr Diederich.
Es stellt sich allerdings die Frage, wie dieses Problem einer Lösung zugeführt werden kann und welche Wege konkret beschritten werden sollen.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP]: Da wird die Opposition hilflos!)

— Auch das ist richtig, Herr Kollege Weng. — Langfristig läßt sich dieses Problem nach meiner Auffassung nicht mit staatlichen Eingriffen in den Markt, sondern nur durch den Versuch der Herstellung eines Marktes lösen. Dies bedeutet, daß langfristig verstärkt von der Objektförderung hin zu einer Subjektförderung übergegangen werden muß.

(Achim Großmann [SPD]: Ein völlig untaugliches Instrument!)

Dies ist die Langfristperspektive.
Es ist allerdings auch erforderlich, daß unter den gegebenen Umständen kurzfristig konkret politisch gehandelt wird. In diesem Zusammenhang möchte ich mich ausdrücklich bei der Wohnungsbauministerin Schwaetzer für ihren Einsatz in diesem Bereich bedanken.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich finde es natürlich ausgesprochen nett, daß der Herr Kollege Pesch diesen Dank auch dem Finanzminister abgestattet hat, dem ich ebenfalls für seine Flankierung dieses sinnvollen Programms meinen Dank an dieser Stelle abstatten möchte. Ich sehe allerdings auf der anderen Seite auch, wo dieses Programm eigentlich seinen Ursprung hatte. Dieser liegt bei der verehrten Bauministerin. Sie hat hier mehr bewegt als einige ihrer Vorgänger.

(Beifall bei der FDP)

Das von der Ministerin vorgelegte wohnungspolitische Konzept stellt insgesamt in den nächsten Jahren durch Bund, Länder und Gemeinden einen Betrag in Höhe von mehr als 6,5 Milliarden DM zur Verfügung. Das ist ein richtiges Signal zum jetzigen Zeitpunkt.
Eines der Haupthindernisse für Investitionen im Bereich des Wohnungsbaus stellt allerdings die derzeit hohe Zinsbelastung dar. Diese hohen Zinsen resultieren im wesentlichen aus der Inanspruchnahme des Kapitalmarkts durch die öffentliche Hand.

(Beifall bei der SPD)

Hier muß auch der Bund seine Verantwortung erkennen und — dies kann ich zumindest für die Haushaltspolitiker der Koalition, aber wohl auch für einen Großteil der Haushaltskollegen der SPD feststellen — entsprechend handeln. Auch angesichts der ungeheuren Aufgaben, die in den neuen Bundesländern vor uns liegen und die bewältigt werden müssen, sieht der Finanzrahmen des Bundes ein Absenken der Nettoneuverschuldung auf zunächst 45 Milliarden DM und langfristig auf 25 Milliarden DM vor. Ich glaube, daß dies richtige und wichtige Signale für eine Entlastung des Kapitalmarktes und für weitere Zinssenkungen sind.

(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [FDP])

Die Situation in den neuen Bundesländern ist vollkommen anders. Der dortige Zustand der Baulichkeiten ist ein Kronzeuge für die von mir schon zuvor aufgestellte These, daß das Nichtvorhandensein eines Marktes und ein Festschreiben der Miete auf minimale Größen dazu führt, daß vorhandene Wohnungen verrotten und verfallen. In den neuen Bundesländern ist für jedermann augenfällig, daß dieses System nicht funktionieren kann und nicht funktioniert hat. Diese Erkenntnis ist auch bei den Bürgern der neuen Bundesländer vorhanden.
Die vorgenommenen Mieterhöhungen waren notwendig. Sie waren allerdings nach meiner Überzeugung zu niedrig, da diese Mieterhöhungen auch die verbrauchsabhängigen Nebenkosten beinhalten. Die tatsächliche Erhöhung der Kaltmieten ist weit entfernt vom Markt. Die hierdurch erworbenen Beträge reichen manchmal nicht einmal dazu aus, die vorhandenen Kredite zu bedienen; vor allem aber reichen sie nicht aus, um notwendige Modernisierungsmaßnahmen voranzutreiben.
Damit ich hier richtig verstanden werde: Ich bin für eine Unterstützung der Mieter, die aus ihren eigenen finanziellen Möglichkeiten heraus nicht in der Lage sind, eine entsprechend hohe Miete zu zahlen. Dafür gibt es ja das Instrument des Wohngeldes, um gerade



Carl-Ludwig Thiele
die Betroffenheit des einzelnen Mieters sozial zu flankieren. Was wir benötigen, ist zum einen eine breite Privatisierungswelle für vorhandene Wohnungen und zum anderen der Anreiz für private Investoren, im Bereich des Wohnungsbaus auch in den neuen Bundesländern zu investieren.

(Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste]: Privatisieren bringt keine einzige neue Wohnung!)

— Stimmt doch gar nicht! Ihr System hat sich doch nun als total falsch erwiesen. Das können Sie sich doch heute noch jederzeit angucken, wenn Sie wieder einmal nach Hause fahren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie uns doch endlich gemeinsam versuchen
— in diesem Zusammenhang spreche ich insbesondere die Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion an —, eine breite Eigentumsbildung in den neuen Bundesländern zu erreichen.
Das, was mir in diesem Zusammenhang allerdings bis zum heutigen Tage fehlt, ist eine allgemein verständliche Darlegung der finanziellen Folgen eines Kaufs einer Eigentumswohnung in den neuen Bundesländern durch den Mieter.

(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

In dieser „Privatisierungsbroschüre" sollten unter Berücksichtigung bisheriger Modellversuche Modellrechnungen enthalten sein, aus denen für jeden erwerbswilligen Mieter ersichtlich ist, welchen Zuschuß er zum Kauf einer Wohnung erhält, ob und wenn ja, welchen Lastenzuschuß er beantragen kann und wie sich die Finanzierung einer solchen Wohnung über einen Zeitraum von fünf bis sieben Jahren darstellt.
Diese Möglichkeit, breiteren Bevölkerungsschichten selbstgenutztes Wohneigentum zu verschaffen, sollte trotz aller Schwierigkeiten noch intensiver betrieben werden, als es bisher der Fall war.

(Beifall bei der FDP)

Wenn man gebrauchte Eigentumswohnungen in den neuen Bundesländern, in denen natürlich ein Modernisierungsstau steckt, den Mietern zur Verfügung stellt, haben sie die Möglichkeit, Eigentum zu erwerben, und dann sind sie auch bereit, selbst Modernisierungsmaßnahmen voranzutreiben. Und damit haben wir eine ganz andere Eigentumsstruktur in breiten Kreisen der Bevölkerung. Das müßte eigentlich auch das Ziel der SPD sein.

(Achim Großmann [SPD]: Das ist leider nur Theorie!)

Der durch den Haushaltsausschuß gegenüber dem Regierungsentwurf erhöhte Ansatz für Öffentlichkeitsarbeit läßt eine solche Broschüre durchaus zu. Ich würde mich freuen, Frau Ministerin, wenn eine solche Broschüre auf den Weg gebracht werden könnte.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205908500
Herr Abgeordneter Rolf Rau, Sie haben das Wort.

Rolf Rau (CDU):
Rede ID: ID1205908600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man über einen neuen Haushaltsentwurf spricht und ihn verabschieden will, dann muß man sich mit dem vergangenen Jahr auseinandersetzen. Deshalb ist es gerade für uns, die wir aus den neuen Bundesländern kommen, wichtig, daß der Mittelabfluß im „Gemeinschaftswerk Ost" auch beleuchtet wird und daß das, was wir beschlossen haben, auf einem realen Boden steht. So kann aus heutiger Sicht eingeschätzt werden, daß von den im laufenden Jahr zur Verfügung stehenden 11,6 Milliarden DM Barmitteln 8,2 Milliarden DM kassenmäßig abgeflossen sind. Das ist etwa der Stand von Ende Oktober 1991.
Ein großer Teil der restlichen Gelder ist durch Aufträge belegt und durch eine nahezu vollständige Inanspruchnahme der Mittel gesichert. Eine Umschichtung im Rahmen des Gemeinschaftswerkes wird daher nur in sehr geringem Maße erforderlich sein, zumal der Kassenschluß für alle Programme des Gemeinschaftswerkes durch Einflußnahme von uns sinnvollerweise bis zum 31. Januar 1992 verlängert wurde.
Beim kommunalen Investitionsprogramm, das für die Bundesrepublik ja erstmalig aufgelegt wurde — d. h. Einsatz von 5 Milliarden DM über die Länder den einzelnen Städten und Kreisen zugeordnet — , ist der Stand bei den einzelnen Ländern noch unterschiedlich.
Die durchschnittliche Mittelbelegung hat sich hier auf 80 % erhöht mit einer stark steigenden Tendenz. Ich bin davon überzeugt, daß die letzten zwei Monate gut genutzt werden, um die Mittel auch hier vollständig abfließen zu lassen. Sie sind ja so angelegt, daß jede Kommune, daß jedes Landratsamt im Aufbaubereich direkt über diese Mittel verfügen kann.
Beim Abfluß der 700 Millionen DM im Bereich Wohnungs- und Städtebau, die für die Modernisierung und Instandsetzung von Wohnungen zur Verfügung standen, ergibt sich ein uneinheitliches Bild. Einzelne Gemeinden im Gebiet der jungen Bundesländer haben die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel bereits komplett ausgegeben. Bei anderen wird es wohl zu Umschichtungen zugunsten der kommunalen Investitionspauschale kommen. So gut wie gar nicht in Anspruch genommen wurden bisher die 200 Millionen DM, die zur Privatisierung kommunalen Wohnraums zur Verfügung stehen.

(Zuruf von der SPD: Warum wohl?)

Dagegen sind die 200 Millionen DM für den Bereich der Städtebauförderung bereits komplett belegt; sie werden abfließen. Die Mittel könnten hier noch erhöht werden.
Ich denke, daß wir uns im kommenden Haushalt gerade mit der Privatisierung von Wohnungen noch intensiver beschäftigen müssen — das betrifft besonders das Ministerium für Bauwesen in Verbindung mit uns Abgeordneten — , damit tatsächlich die avisierten Modellvorhaben der Bundesregierung zum Greifen kommen, so daß die Bürger zu den Kaufmaßnahmen Vertrauen finden und daß sie sich nicht von Wirtschaftshaien über den Tisch gezogen fühlen, wie es ja leider hier und da zu berichten gibt.



Rolf Rau
Die Wohnungsfrage ist für die Bürger in den neuen Bundesländern — und ich meine, für die Deutschen insgesamt — eine Gretchenfrage, die sehr gut vorbereitet und mit den Menschen auch sehr sensibel einer Lösung zugeführt werden muß. Insofern müssen die Hemmnisse, die im Bereich der Sanierung, der Restitutionsansprüche, der Ausstattung der Wohnungen und im Bereich der Grundbücher, der Aufteilung der Wohnungen und der Gebrauchswerteinschätzungen und bei vielem anderen mehr liegen, vor Ort beseitigt werden.
Zu beachten ist auch — das stellt man fest, wenn man das vergangene Jahr ansieht — , daß Großprojekte, die über mehrere Jahre laufen, in einem noch zu geringen Umfang vorhanden sind und somit eine bestimmte Planungssicherheit zum Mittelabfluß noch nicht gewährleistet ist. Auch daran muß man weiter arbeiten.
Ich möchte aber auch noch einen Punkt aufgreifen, dem man aus der Sicht der Bauleute Beachtung schenken muß; dies betrifft die Arbeitsproduktivität und die Geschwindigkeit der Privatisierung der Baubetriebe in den neuen Bundesländern. Wenn ich Planungssicherheit erreichen will, wenn ich Produktivitätserhöhung erreichen möchte, dann muß die Privatisierung der Baubetriebe beschleunigt werden. Hier spreche ich die Treuhand an, die angibt, daß nur 65 % — die Zahl stammt aus Sachsen — der Baubetriebe im Moment privatisiert sind und die restlichen 35 % investitionsgehemmt und mit Unsicherheiten im Raum stehen. Das sollte so bald als möglich — von mir aus bis zum Jahresende — der Vergangenheit angehören, weil — wie jedem bekannt ist — dort, wo privatisiert wird, die Investitionstätigkeit angekurbelt wird und auch die Arbeitsproduktivität sofort steigt. Arbeitsproduktivitätserhöhung bedeutet gleichzeitig Konkurrenzfähigkeit für die Baubetriebe und ein angemessenes Anheben der Einkünfte für die Bauarbeiter.
Nicht aus den Augen verlieren darf man, wenn man die großen Aufgaben bewältigen will, die Fragen der Verwaltungsarbeit, wo die Bundesgesetze übernommen und umgesetzt werden müssen. Dabei ist die Flut der Bauanträge zu bearbeiten. Es sind Bebauungs-
und Flächennutzungspläne aufzustellen. Hier ist in den neuen Ländern vieles gefordert.
Es darf kein Planungsloch entstehen. Vielmehr sind die nächsten Monate zu nutzen, um hier optimale Voraussetzungen mit einem Höchstmaß an Flexibilität zu schaffen, damit der für 1992 zu erwartende Baudrang realisiert werden kann. Dabei sollte man grundsätzlich davon ausgehen, daß dort, wo noch verwaltungstechnische Hemmnisse gegeben sind, Hilfe angesagt ist, aber auch Hilfe in der Form erforderlich ist, daß die Mittel über die Jahresscheibe hinweg in Anspruch genommen werden können.
Es sind nicht nur finanzielle Fragen anzusprechen. In den neuen Bundesländern wird sichtbar, daß besonders im Bereich der Baustoffindustrie eine schnellere Produktivitätserhöhung erfolgen muß, um Engpässe, die bereits jetzt, beispielsweise im Bereich Split, auftauchen, zu minimieren und um die Preise — das ist mein Anliegen — durch Transportkosten nicht in die Höhe zu treiben. Denn dann kann mit den uns zur Verfügung gestellten Mitteln weniger gebaut
werden, als uns lieb ist. Der Bedarf ist riesengroß. Gerade wenn Mittel aus der öffentlichen Hand ausgegeben werden, sollte man die Kostenseite nicht vernachlässigen.
Die Christdemokraten unterstützen auch die Vorschläge der Bundesregierung, im Rahmen ihres auf drei Jahre angelegten wohnungspolitischen Sonderprogramms den Verpflichtungsrahmen für den sozialen Wohnungsbau der alten Bundesländer auf 2 Milliarden DM anzuheben und 700 Millionen DM für ein Wohnungsbausonderprogramm für Regionen mit erhöhtem Wohnbedarf bereitzustellen sowie das Programm der Kreditanstalt für Wiederaufbau für Baumaßnahmen bei unveränderten Konditionen um 1 Milliarde DM aufzustocken.
Die sozialen Fördermittel für den Wohnungsbau in den neuen Bundesländern sind mit 1 Milliarde DM angesetzt. Diese Summe ist — am Bedarf gemessen — noch nicht ausreichend, entspricht aber den Realitäten der Finanzierungsmöglichkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Walter Hitschler [FDP])

Ich sprach schon vorhin über die Fragen der Privatisierung von Wohnungen. Hier möchte ich besonders unterstreichen, daß in der nächsten Zeit im Bereich des Moratoriums für das Auflaufen der Zinsen Überlegungen anzustellen sind, um einen weiteren Schritt voranzukommen. Für einen guten Ansatz für die Zukunft — und für noch ausbaufähig — halte ich die Übernahme eines Teils der Altschulden beim Verkauf von Wohnungen. Dabei ist die Mitwirkung der Länder gefragt. Auch dies sollte bald einer Lösung zugeführt werden.

(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Bezüglich der Überleitung der Bauakademie erkennt unsere Fraktion an, daß die Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau innerhalb ihres Verantwortungsbereichs die Evaluierungsempfehlung des Wissenschaftsrates soweit als möglich umsetzt und die Gründung der vier Institute in ihrem Zuständigkeitsbereich für die neuen Forschungseinrichtungen auf den Weg gebracht hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Lassen Sie mich noch zwei Positionen unterstreichen. Die Fortführung der Wohnraummodernisierung, besonders im Bereich Heizung und Wärmedämmung, über die Programme der Kreditanstalt für Wiederaufbau erfordert, daß die Förderungsmittel ungekürzt weiterlaufen, um hier den Nachholbedarf zu realisieren.
Ich möchte einfügen, daß es sich meiner Meinung nach auf die Entwicklung auch der neuen Bundesländer positiv auswirken wird, wenn die Förderung zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur — nach dem neuesten Stand auf über 3 Milliarden DM — wächst. Was das Verkehrsministerium angeht, so sind auch die 8,4 Milliarden DM für die Reichsbahn ein Investitionsschub.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit den vorgetragenen Möglichkeiten ist gewährleistet, daß der Aufschwung Ost — besonders nach den Winter-



Rolf Rau
monaten — auch im Jahr 1992 auf dem begonnenen Weg fortgeführt werden kann. Wir bleiben selbstkritisch und zuversichtlich.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205908700
Ich erteile das Wort der Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, unserer Kollegin Schwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1205908800
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte an dieser Stelle den Kolleginnen und Kollegen im Bauausschuß und im Haushaltsausschuß einen sehr herzlichen Dank abstatten. Sie haben bei den Beratungen erhebliche Veränderungen am Regierungsentwurf vorgenommen, dies aber im weitgehenden Einvernehmen mit der Bundesregierung. Ich bedanke mich dafür, daß sie uns — —

(Unruhe)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205908900
Frau Ministerin, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. — Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Szene ist Ihnen allen nicht neu: Kurz vor einer namentlichen Abstimmung strömen die Kolleginnen und Kollegen in den Saal; das ist ja in Ordnung. Aber bitte setzen Sie Ihre privaten Gespräche nicht im Saal fort, sondern hören Sie dem Redner oder der Rednerin zu!

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1205909000
Sie haben uns in die Lage versetzt, die Entscheidung des Deutschen Bundestages für die Verlagerung des Regierungssitzes nach Berlin sofort in Angriff zu nehmen und entscheidend weiterzubringen. Sie haben uns in die Lage versetzt, den riesigen Informationsbedarf der Bürger vor allen Dingen in den neuen Bundesländern in bezug auf die Wohnungsbauförderung und die Privatisierung tatsächlich zu befriedigen; ich greife die Anregung des Kollegen Thiele natürlich gern auf. Sie haben aber vor allen Dingen dafür gesorgt, daß das wohnungspolitische Programm der Bundesregierung in den Etat aufgenommen werden konnte. Insofern, Herr Kollege Diederich, verstehe ich nicht ganz, wenn Sie unterstellen, die Bundesregierung erkenne nicht, welcher soziale Sprengstoff in der sich verschärfenden Wohnungssituation liege.

(Zurufe von der SPD)

Ich verstehe auch nicht die Polemik einer Anzeige, die die SPD am Wochenende in vielen Tageszeitungen veröffentlicht hat und in der das gleiche unterstellt wird.
Meine Damen und Herren, ein Wohnungsprogramm, das in drei Jahren etwa 6 Milliarden DM für den Wohnungsbau zusätzlich mobilisiert, kann wirklich nicht als ein Tropfen auf den heißen Stein bezeichnet werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Insofern, Herr Kollege Diederich, hätte ich mich gefreut, wenn Sie die Tradition, die unsere ostdeutschen
Kollegen in den letzten Monaten — wie ich finde, förderlich für die Atmosphäre im Hause — angefangen haben, fortgesetzt hätten, nämlich weniger Polemik zu bringen. Wir können uns über den Weg der Wohnungsbaupolitik streiten, aber im Ziel sind wir uns sicherlich einig.
Die SPD hat einen Änderungsantrag zum sozialen Wohnungsbau vorgelegt. Mit diesem möchte ich mich kurz beschäftigen.
Ein entscheidender Teil des wohnungspolitischen Programms der Bundesregierung ist in der Tat die Aufstockung der Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau. Wir erkennen selbstverständlich ganz klar, daß sich ein Wohnungsmarkt nicht von allein herstellt, sondern daß er gefördert werden muß. Wir erkennen, daß sich vor allen Dingen die sozial Schwächeren nur dann mit einer angemessenen Wohnung am Wohnungsmarkt versorgen können, wenn wir einen angemessenen Teil an belegungsgebundenen Sozialwohnungen zur Verfügung stellen. Deswegen haben wir ein 700-Millionen-DM-Sonderprogramm für Ballungszentren über drei Jahre aufgelegt, das über das, was wir ohnehin vorgesehen hatten, hinaus 100 000 Wohnungen fördert.
Dies geht aber nur dann, wenn die Länder mitmachen, d. h. wenn die Länder ihren eigenen Teil dazu beitragen. Dazu sehe ich bisher aber keine Vorkehrungen in den Länderhaushalten. Das, meine Damen und Herren, bedeutet nichts anderes, als daß die Länder versuchen, die Bundesregierung die Probleme der sozial Schwachen am Wohnungsmarkt allein lösen zu lassen.

(Zurufe von der SPD)

Das werden wir nicht akzeptieren können. Deswegen, meine Damen und Herren von der SPD, werden wir Ihren Antrag ablehnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Denn eine weitere Aufstockung — so wie die SPD sie hier fordert — bedeutet nichts anderes, als daß sich die Länder weiter aus ihrer Verantwortung stehlen. Das werden wir nicht zulassen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Im übrigen wird an einer ganzen Reihe von Zahlen, die die Kollegen hier präsentiert haben, klar, daß der Bundeshaushalt 1992 eine gute Grundlage ist, um die Schere zwischen Angebot und Nachfrage am Wohnungsmarkt, die in den vergangenen Jahren stärker aufgegangen ist, wieder zusammenzuführen. Die Fertigstellungszahlen in den alten Bundesländern sind weiter im Steigen begriffen: nach 256 000 Wohnungen im vergangenen Jahr etwa 300 000 Wohnungen in diesem Jahr. Wir rechnen damit, daß die Fertigstellungszahlen im nächsten Jahr weiter nach oben gehen. Das ist allerdings auch notwendig.

(Unruhe)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205909100
Frau Bundesministerin, darf ich Sie nochmals unterbrechen. Meine Damen und Herren, wenn Sie schon nicht genügend Höflichkeit gegenüber der Rednerin aufbringen, dann denken Sie bitte an den Eindruck nach außen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)




Vizepräsident Hans Klein
Wenn Sie Gespräche führen wollen, hindert Sie niemand daran, das vor dem Saal zu tun, aber bitte nicht im Saal. Wenn Sie hierbleiben, können Sie der Rednerin zuhören und auch Zurufe machen. Aber dann geht es um die Rede.
Ich bitte Sie sehr herzlich in unser aller Interesse, diese paar Minuten Geduld aufzubringen.
Bitte fahren Sie fort, Frau Bundesministerin.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1205909200
Herr Präsident, wir wissen doch alle, daß die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt in den Saal strömen, nicht von so drängender Wohnungsnot geplagt sind wie viele andere und daß deshalb ihr Interesse an diesem Einzelplan nicht ganz so groß ist.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause — Dr. Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Die wollten vielleicht Sie sehen, Frau Minister!)

Zurück zu den Fertigungszahlen. Voraussetzung dafür, daß im nächsten Jahr noch mehr Wohnungen gebaut werden können, ist allerdings auch, daß die Tarifabschlüsse des nächsten Jahres ein Maß an Vernunft aufweisen; wir hoffen darauf. Ich bin voller Vertrauen in die Vernunft der Tarifpartner und wünsche mir, daß die Tarifabschlüsse tatsächlich dazu beitragen, daß die Baupreise in etwa stabil bleiben können.
Mit Ihrer Anzeige, meine Damen und Herren von der SPD, haben Sie mir die Vorbereitung auf diese Rede richtig leicht gemacht. Ich darf vorlesen: „Das SPD-Konzept: Mehr sozialer Wohnungsbau" . Das tun wir. Stimmen Sie zu! Sie fordern: „Stärkere Förderung für Eigenheime". Genau das tun wir. Also bitte ich Sie: Stimmen Sie diesem Haushalt zu! Dann erfüllen wir genau das, was Sie möchten.
Aber ich sehe schon, daß Ihre Anzeige etwas zu kurz gegriffen hat. Sie wollen die Wohnungsbauförderung verändern. Hier appelliere ich herzlich an Sie: Überlegen Sie es sich noch einmal! 100 000 Baugenehmigungen für Eigenheime werden im Moment wegen der hohen Zinsen nicht umgesetzt. Mit dem, was Sie verlangen, tun Sie nichts, um die Zinslast für Eigenheimbauer zu erleichtern. Das tut nur die Bundesregierung.

(Widerspruch bei der SPD)

Deswegen bitte ich Sie noch einmal, sich nicht länger zu versagen, sondern dazu beizutragen, daß die Maßnahmen aus dem Steueränderungsgesetz, die jetzt haushaltsmäßig verankert werden, tatsächlich greifen können. Es wäre unsozial, wegen eines Prinzipienstreits über die Eigenheimförderung zu einer Verunsicherung beizutragen, die verhindert, daß 100 000 Baugenehmigungen in Bauten umgesetzt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

Wir wissen, daß die allermeisten Eigenheimer eine Mietwohnung freimachen, die am Wohnungsmarkt weitervermietet werden kann.
Ein letztes Wort zur Privatisierung, weil Sie sich damit so ausführlich beschäftigt haben, Herr Kollege Diederich. Selbstverständlich kennt die Bauministerin
Hellersdorf und Marzahn. Es wäre ganz schlimm, wenn wir dort noch nicht gewesen wären. Sie kennt selbstverständlich auch andere Plattenbausiedlungen in den neuen Bundesländern. Ich kann mir zwar schwer, aber immerhin vorstellen, wie es sich in diesen Häusern lebt. Daß wir über Städtebauförderungsmittel zur Wohnumfeldverbesserung beitragen müssen, ist überhaupt keine Frage. Das werden wir auch tun. Ich möchte an dieser Stelle nachdrücklich zum Ausdruck bringen, daß es nach unserer Auffassung für eine Städtebauförderung auf hohem Niveau über viele Jahre einen langen Atem braucht, um die Wohnbedingungen der Menschen in den neuen Ländern so zu gestalten, daß man wirklich von menschenwürdigem Wohnen in allen Städten sprechen kann.
Aber eines finde ich im Zusammenhang mit der Privatisierung bedauerlich: Alle Maßnahmen zur Privatisierung, die von Ihnen nicht mitgetragen werden, zeigen nur, daß Ihr Bekenntnis zum privaten Eigentum im Moment mehr einem Lippenbekenntnis ähnelt denn einer tatsächlich aktiv verfolgten Politik.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD)

Dies finde ich bedauerlich. Wir werden uns bemühen, auch im Gespräch mit Ihnen in den nächsten Monaten, unsere eigenen Ansichten darüber noch weiter anzunähern.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, den Antrag der SPD abzulehnen und dem Haushalt zuzustimmen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205909300
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/1642 ab. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung.
Ich eröffne die Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung der Stimmen zu beginnen.
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen nach der Beratung des Einzelplans 16 bekanntgegeben werden; *) das heißt, erst nach Feststellung dieses Ergebnisses können wir dann auch über den Einzelplan 25 abstimmen.
Ich rufe auf: Einzelplan 16
Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
— Drucksachen 12/1416 (neu), 12/1600 — Berichterstattung:
Abgeordnete Ina Albowitz
Hans Georg Wagner
Michael von Schmude
*) Seite 4967A



Vizepräsident Hans Klein
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. — Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat — mit 53 Jahren ist man zwar kein Kind mehr, aber er ist heute ein Geburtstagskind —

(Beifall im ganzen Hause) der Kollege Hans Georg Wagner.


Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1205909400
Herr Präsident! Herzlichen Dank für diesen Glückwunsch. In der Tat arbeiten Abgeordnete — das sollte man bei den Diskussionen um die Diäten bedenken — auch an ihrem Geburtstag. Sie sagen nicht einfach: Jetzt feiern wir einmal ein bißchen in unserem Betrieb.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205909500
Herr Kollege Wagner, das müssen natürlich andere Beschäftigte auch.

Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1205909600
Natürlich, obwohl dort möglicherweise andere Regelungen bestehen.
Meine Damen und Herren, wenn unser Präsident eben mehrfach gesagt hat, daß man die Dialoge im Raume einstellen und die Gespräche draußen vor der Türe führen solle, dann hätte ich einen Dialog gerne hier geführt, nämlich den Dialog mit dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, der sich, wie ich einer Pressemitteilung von heute morgen entnehmen konnte, zur Zeit in Indonesien, Singapur, Australien und sonst noch irgendwo aufhält, nur nicht dort, wo die Entscheidung über das fällt, was er mit dem Geld, das der Bundestag zur Verfügung stellt, im nächsten Jahr zu machen hat. Ich finde, es ist eine Verhohnepipelung des Parlamentes, wenn der Minister an den Haushaltsberatungen nicht teilnimmt. Dies ist nicht zu akzeptieren.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

Wenn Sie den Minister in Deutschland suchen, empfehle ich Ihnen die kleine Broschüre des Umweltministeriums „Mach mit bei der Mülldiät". Dort finden Sie den Minister nämlich zwischen Styropor und Tragetasche. Da steht drin: „Töpfer, Prof. Dr. Klaus, Minister, Vater der Verpackungsverordnung". Dort ist er also zu finden. Ich meine —, das muß man ansprechen — daß es die Achtung vor dem Parlament gebietet, im Deutschen Bundestag bei der Beratung seines Haushaltes anwesend zu sein und seine Reisen so zu planen, daß man auch hier sein kann.

(Beifall bei der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205909700
Herr Kollege Wagner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1205909800
Ja, bitte sehr, Herr Kollege.

Dr. Klaus Dieter Uelhoff (CDU):
Rede ID: ID1205909900
Herr Kollege Wagner, ist Ihnen bekannt, daß auch der Ministerpräsident des Saarlandes bei den letzten Haushaltsberatungen im saarländischen Landtag nicht anwesend war?

Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1205910000
Das ist mir deshalb bekannt, weil ich dabei war. Er war da.

(Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: Aber nicht die ganze Zeit!)

— Nicht die ganze Zeit?

(Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: Er war 20 Minuten da!)

— Ja, aber das hat doch für die CDU gereicht. Für die Argumente, die dort gekommen sind, haben 20 Minuten dicke ausgereicht. Es war schon eine besondere Ehre für die CDU, daß er so lange ausgeharrt hat. Aber hier haben wir ja den Deutschen Bundestag.
Vielleicht hat der Minister einen guten Grund, nicht hier zu sein. Denn er muß ja befürchten, daß man ihm seine Serie der Ankündigungen vorhält, die in aller Welt verbreitet werden. Ich habe mir schon überlegt, ob ich ihm zu Weihnachten nicht einen Globus schenken sollte. Auf diesem Globus könnte er mit kleinen Fähnchen die Länder markieren, mit denen er noch keine bilateralen Abkommen geschlossen hat. Dann weiß er wirklich, wie die nächsten Reisen trotz Haushaltsberatungen zu planen sind.
Wenn ich mir die Serie der bilateralen Abkommen und ihre Realisierung in den Ländern selber ansehe, dann sind Anspruch und Wirklichkeit sehr weit auseinander. Die Berichterstatter, den Kollegen von Schmude und Frau Albowitz, rufe ich als Zeugen auf. Als wir im August in Kanada waren, wurde uns ein bilaterales Abkommen im Bereich der Umwelt vorgestellt, das wir zwar gekannt haben, das aber — wurde dort gesagt — bis dahin mit Leben nicht erfüllt worden sei. Das gilt für andere Länder genauso.
Da vorhin viel von den neuen Ländern und von den osteuropäischen Staaten die Rede war, muß man daran erinnern, daß Herr Töpfer auch ein Abkommen mit der Republik Polen abgeschlossen hat. Neulich haben die Abgeordneten des Sejm darüber diskutiert
— es waren auch ein paar bei uns im Deutschen Bundestag — , und sie haben protestiert, daß alle Zusagen, die etwa für den Kläranlagenbau in Polen von Herrn Töpfer gemacht worden waren, nicht eingehalten worden sind. Ich bitte, daß er, wenn er Auslandsaktivitäten für notwendig erachtet, dann auch für die Umsetzung sorgt und nicht nur Versprechungen in aller Welt abgibt.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Haushalt des Bundesumweltministers ist sehr klein. Sie wissen, daß er nur einen Anteil von 0,31 % am Gesamtbundeshaushalt hat. Aber wenn ich die Ankündigungen und Versprechungen dieses Ministers einmal addiere, dann komme ich auf ein Ausgabenvolumen von über 20 Milliarden DM. Sein kärglicher Haushalt hat exakt 1,5 Milliarden DM. Also muß er doch wissen, daß entweder andere diese Ankündigungen finanzieren oder er nicht nur lose Versprechungen abgeben kann. Diese Versprechungen sind nicht einfach zu akzeptieren, vor allen Dingen



Hans Georg Wagner
nicht von den Betroffenen vor Ort, die den Zusagen eines deutschen Bundesministers glauben.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE — Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: Man muß sich ja schämen für diese Rede! — Weiterer Zuruf der CDU/CSU: Schwach, schwach! Sehr schwach!)

Anderen Ländern, dem Iran, der Sowjetunion und dem vorhin genannten Australien und Indonesien, überall wird der Einsatz deutscher Steuergelder versprochen. Diese Versprechungen werden zwar Gott sei Dank nicht umgesetzt, sonst würde der Steuerzahler noch mehr löhnen müssen. Wir müssen uns jedoch langsam, aber sicher einmal überlegen, ob wir es als Bundesrepublik Deutschland unseren Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern zumuten können, ständig irgendwo etwas zu finanzieren.
Ich denke etwa an die Schulung der Kräfte des Kernkraftwerks in Greifswald. Warum ist das keine europäische Aufgabe? Wenn das Kernkraftwerk in Tschernobyl erneut oder ein anderes hochgehen sollte, dann sind nicht nur wir Deutsche allein betroffen, sondern Europa ist mit betroffen. Ich sehe nicht ein, daß die anderen Staaten der Europäischen Gemeinschaft, die USA, Japan und Kanada beim Aufbau der osteuropäischen Staaten und insbesondere bei der Sicherung der Energieversorgung dort nicht mithelfen.

(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sollen sie dort einmarschieren?)

— Das ist der Eindruck, lieber Herr Kollege, den man mittlerweile haben kann, wenn ich etwa höre, was der Herr Staatssekretär Waffenschmidt und andere erzählt haben. Sie erwecken den Eindruck, als wären die Deutschen wirklich diejenigen, an deren Wesen die ganze Welt genesen könnte. So viel Geld haben wir nicht, so gut es uns auch geht. Wir haben sehr große Aufgaben bei uns zu Hause und in Europa zu erfüllen.

(Dr. Walter Hitschler [FDP]: Das widerspricht dem, was Sie zuerst gesagt haben!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1205910100
Herr Kollege Wagner, Sie sagen etwas Falsches; denn bei der aktuellen Aussprache über Tschernobyl haben Ihre Kollegen Schäfer und Kübler das genaue Gegenteil gesagt. Sie haben nämlich in der aktuellen Aussprache gefordert, daß man mehr Alleingänge machen müsse. Ich habe geantwortet: Ich kann mir das nicht vorstellen. Ich habe die Reden der beiden nachgelesen. Der Bundesminister hat im Haushaltsausschuß schlichtweg die Unwahrheit gesagt; denn beide Kollegen haben in völliger Übereinstimmung mit mir die europäische Finanzierung dieser Dinge angesprochen.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage, daß noch so wieselige Öffentlichkeitsarbeit nicht das konkrete Handeln ersetzt. Zugegeben, der Bundesminister ist jeden Tag in den Medien präsent. Das ist wohl wahr. Nur, was in den Medien steht, was er ankündigt und was nachher umgesetzt wird, ist
völlig konträr zu dem, was der öffentliche Wirbel, den er veranstaltet, eigentlich bewirken soll.
Der Haushalt — ich habe es gesagt — ist bei 0,31 des Gesamthaushalts angesiedelt. Das ist der Beweis, daß hier einer gehalten wird, der verkünden und ankündigen, aber der nichts umsetzen darf. Das müssen andere machen. Ein kleines Beispiel — die Beispiele vom Juni dieses Jahres könnten wir ja wiederholen — : Die Mittel für die Atomenergieforschung steigen bei Herrn Riesenhuber auf 586 Millionen DM.

(Zuruf der Abg. Brigitte Baumeister [CDU/ CSU])

Die Mittel für die Erforschung erneuerbarer Energien sinken um 30 Millionen DM auf 323,3 Millionen DM, Frau Kollegin. Das heißt, es ist kein Spielraum mehr für die Erforschung alternativer Energiearten. Das steht im Gegensatz zu dem, was Herr Möllemann in seiner Energieexpertise als Option im Hinblick auf den weiteren Ausbau der Kernenergie nennt. Mit uns Sozialdemokraten ist dies nicht zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will ein anderes Thema ansprechen. Herr Minister Töpfer hat in der „Zeit" in einem Interview folgendes gesagt — ich zitiere — :
Ich glaube, daß wir auch auf den Teilen der Autobahn, auf denen heute noch freie Fahrt gewährt wird, zu einer weiterreichenden Geschwindigkeitsregelung und -begrenzung kommen müssen.
Ich sage dazu: So weit, so wahr. Nur, am nächsten Tag fiel Herr Töpfer wieder einmal um. Herr Krause sagte: Nein, mit mir nicht; das wird nicht gemacht. Herr Möllemann sagte ebenfalls: Das geht nicht. Das heißt also, es gibt kein Tempolimit.
Dabei ist die Diskussion in der CDU und in der CSU ganz interessant und nähert sich ja weitgehend dem an, was wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seit Jahren sagen. So hat ein Herr Kurt-Dieter Grill, der Vorsitzende des Bundesfachausschusses Umwelt der CDU, gesagt — das ging offenbar in Richtung von Herrn Töpfer — : Wer als Umweltschützer nicht für ein Tempolimit ist, hat den Beruf verfehlt. Also haben einige den Beruf verfehlt, insbesondere der Bundesminister selber.
Nun hat auch die CSU am Wochenende ihren Parteitag absolviert.

(Helmut Esters [SPD]: Die haben einen neuen Schatzmeister!)

Interessanterweise hat der Vorsitzende der CSU-Arbeitsgemeinschaft Umwelt, Herr Josef Göppel, noch am Freitag verkündet, daß auch die CSU für ein Tempolimit sei. Dann muß wohl Herr von Kuenheim noch einmal an sein Schreiben an den bayerischen Ministerpräsidenten vom Juli dieses Jahres, als der erste Entwurf dieses Papiers vorgelegt wurde, erinnert und gesagt haben: Kameraden, paßt auf, daß ihr dort nicht etwas falsch macht.

(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Wir sind hier nicht im Landtag, sondern im Bundestag!)




Hans Georg Wagner
Des Rätsels Lösung des Umfalls der CSU bei der Ablehnung des Antrages stand in der Zeitung zwei Seiten weiter. Dort waren die Spenden aufgeführt, die die CSU bekommen hat. An der Spitze standen Daimler-Benz, Stuttgart, 400 000 DM, BMW, München, 315 000 DM. Das sagt eigentlich alles, warum sie umgefallen sind und nur noch ein einziger in der Endabstimmung zu dem Papier stand.
Ich wollte damit sagen: Es sind doch auch innerhalb der Unionsfraktion Diskussionen im Gange, was eigentlich gut ist; denn am Ende wird man über dieses Tempolimit sicherlich gemeinsam reden müssen. Ich meine, daß Herr Töpfer in dieser Frage falsch agiert oder völlig isoliert ist.
Alles deutet darauf hin, daß auch die CO2-Abgabe auf Eis liegt. Herr Möllemann hat gesagt: Nein, das machen wir nicht; wir werden warten, bis auf EG-Ebene entschieden wird. Nun weiß man natürlich, die Werte, die innerhalb der EG diskutiert werden, sind lange nicht die Werte, die wir in Deutschland erreichen wollen und die wir zum Teil schon erreicht haben. Deshalb ist das Warten auf eine EG-Lösung nach meiner Einschätzung eine Verschleppung und Verzögerung der Lösung des CO2-Problems.
Sie wissen, daß die weltweite CO2-Belastung sehr problematisch ist und uns allen Kummer bereitet. Es wird niemanden im Saal geben, den das nicht verunsichert. Deshalb meine ich, daß man hier einen dringenden Bedarf befriedigen muß. Daß darum gekämpft werden muß, in Europa einen möglichst hohen Wert zu haben, ist selbstverständlich. Die Bundesregierung ist ja dafür gewählt, mit den Partnerländern auf europäischer Ebene entsprechend gute Regelungen zu finden.
Die wohl dringendste Aufgabe unserer hochindustrialisierten Gesellschaft ist, so meine ich, der Aufbau einer effizienten umweltverträglichen Abfallwirtschaft, die schon die Entstehung von Abfällen vermeiden hilft, die eine konsequente Rückgewinnung von Werkstoffen beinhaltet und die den verbleibenden Rest in unschädliche Formen überführt.
Die Versorgung der Verbraucher mit Konsumgütern und deren Produktion erfolgen auf dem neuesten Stand der Technik. Die Entsorgung der Reste vollzieht sich auf dem Niveau der Steinzeit. Noch immer wird der weitaus größte Teil unseres Abfalls vergraben. 1977 bis 1987 ist die Abfallmenge bei uns um 56 % gestiegen. Hauptursache ist dabei — auch das sollte man wissen — der starke Anstieg des Bodenaushubs, Bauschutts und Straßenaufbruchs von 44 % im Jahre 1977 auf 57 % und mehr im Jahre 1987. Der weitaus größte Teil der Abfallmenge wird auf Deponien abgelagert, nämlich 85,7 %. 0,7 % wird kompostiert. 5,1 % des Mülls verschwinden in sonstigen Anlagen. 8,5 % landen in der Müllverbrennung.
Heute wäre in der Bundesrepublik Deutschland schon der Entsorgungsnotstand erreicht, wenn es uns nicht gelänge, den Müll zu exportieren und andere damit zu belasten. Wenn ich die Diskussion im benachbarten und befreundeten Frankreich richtig mitbekomme, ist man jetzt allerdings auch dort der Auffassung, daß nicht mehr einfach importiert werden darf, weil es einige gute Gelder bringt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat den Export gebremst?)

— Der Müllexport kommt aus allen Bundesländern: Baden-Württemberg exportiert beispielsweise nach Frankreich, auch das Saarland und Rheinland-Pfalz. Das geben wir gerne zu. Es ist ja nicht so, als ob wir die Lieblingskinder der Müllentsorgung wären; das ist anders.
Das Problem dabei ist, so meine ich: Bisher sorgte sich bei der Herstellung und dem Verbrauch von Gütern kaum jemand darum, was damit am Ende ihrer Lebensdauer geschieht. Noch nie hat eine Gesellschaft so große Stoffmengen mit so gefährlichen Bestandteilen in so kurzen Zeiträumen in Abfall verwandelt wie heute.
Deshalb die alte Forderung der Sozialdemokraten, die Sie sich auch zu eigen machen können: Die Produktionstechnik muß um eine gleichwertige Abfalltechnik ergänzt werden. Alle Konzentrationen im Forschungsbereich müssen darauf ausgerichtet werden, daß eine verbesserte Abfalltechnik entsteht, die all die Probleme vermeiden hilft, die jetzt noch vorhanden sind. Wir halten die Abfallvermeidung und die -verwertung für die wichtigste, zukunftsweisendste Option, die dringend realisiert werden muß.
Im Koalitionsvertrag von Anfang 1991 haben Sie — nicht im Wortlaut — den Programmpunkt 23 aus dem SPD-Regierungsprogramm übernommen, der die Einführung von Umweltabgaben und Lenkungsabgaben auf Sondermüll beinhaltet. Die Koalition formuliert daraus eine Abfallabgabe.
Herr Töpfer hat dann in die Zukunft gerichtet versprochen, daß er eine Abfallabgabe einführen werde, während Möllemann und Kinkel sofort erklärten, sie sei verfassungswidrig, mit dem Ergebnis, daß noch im Oktober der Bundesminister für Umwelt in Erfurt verkündete, daß den neuen Ländern 40 % dieser Abgabe, das seien 2 Milliarden DM, zustünden, wohl wissend, daß der Termin für die erste Zahlung weder 1991 noch 1992, sondern bestenfalls 1994 zu erwarten ist. Auch dabei ist in den neuen Bundesländern Hoffnung erweckt worden, die er einfach nicht erfüllen kann. Sein Staatssekretär Stroetmann hat am 30. Oktober im Umweltausschuß auch zugegeben, daß terminliche Festlegungen zur Zeit nicht zu treffen sind.
Das heißt, wir müssen versuchen, endlich zur Wahrhaftigkeit in der Umweltpolitik zu kommen und nicht nur durch große Ankündigungen zu glänzen.

(Beifall bei der SPD)

Unsere Umwelt hat es nicht verdient, zum Spielball des Streites zwischen Wirtschafts- und Umweltminister zu werden und zu bleiben. Es hilft der Umwelt auch nicht, wenn nur allgemeine Spannung in Deutschland erzeugt wird, wer denn dieses Mal obsiegen wird, ob Töpfer oder Möllemann. Das dient und hilft unserer Umwelt überhaupt nicht. Im Interesse unserer Umwelt sind schnellste Entscheidungen dringendst geboten.
Die SPD unterstützt die baldige Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes — dafür ist Herr Mölle-



Hans Georg Wagner
mann bekanntlich zuständig — , damit endlich ökologische Gesichtspunkte berücksichtigt werden.
Die SPD will auch weiterhin — das ist unser Programm, und dabei bleiben wir — auf den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft setzen. Oberstes Gebot ist dabei die Ressourcenschonung. Wenn im nächsten Jahr, 1992, die Weltklimakonferenz in Rio stattfinden wird — aus diesem Grunde ist Herr Töpfer ja ständig unterwegs — , muß man auch unser eigenes Engagement sehen, was etwa die Abholzung der Regen- und Tropenwälder angeht.
Der Bundeskanzler war ja in Brasilien, und das, was er in Richtung auf Hilfe für diese Länder bezüglich der Tropen- und Regenwälder gesagt hat, war richtig. Das hat er gut gesagt; das akzeptiere ich ausdrücklich.

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das haben Sie gut gesagt!)

Nur muß ich hinzufügen: Er hätte zu Hause auch einmal etwas sagen können; denn der größte Verbraucher dieser Hölzer ist die deutsche Industrie. Wir müssen uns auf die eigene Brust klopfen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

Der Hauptnutznießer des Waldschlachtens ist die deutsche Industrie; das muß man auch deutlich sagen. Es hätte dem Bundeskanzler gut angestanden, auch einmal zu betonen — vielleicht macht er das noch diese Woche — , daß wir uns auch vor Ort bemühen müssen, damit eine andere Umweltpolitik auch hinsichtlich der Regen- und Tropenwälder betrieben wird.

(Zustimmung der Abg. Thea Bock [SPD])

Ich meine, daß die Dritte-Welt-Länder — Ansätze sind in dem Haushalt vorhanden — wirtschaftlich so gestellt und gestärkt werden müssen, daß sie nicht mehr auf den Holzexport angewiesen sind. Dies gilt auch für die Energiepolitik generell.
Ich will jetzt nicht die Diskussion wiederholen, die hier neulich über die Kohle geführt worden ist. Ich sage nur: Selbst wenn der Anteil der Atomenergie weltweit erhöht weren sollte, trüge das mit Sicherheit nicht zu einer Klimaverbesserung bei, weil das Klima in zehn Jahren dermaßen geschunden sein wird, daß es nichts mehr nutzen würde. Deshalb muß man versuchen, die vorhandenen Kraftwerke so umzurüsten — das geschieht in der Kohletechnik — , daß der Ausstoß wesentlich verringert werden und fast auf den Nullpunkt gebracht werden kann, was umweltfreundliche Kraftwerke auszeichnet. Herr Kollege Müller, Sie wissen ja, daß wir im Saarland sogar eines ohne Schornstein haben; da kommt bestimmt nichts heraus.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Der Haushalt des Bundesumweltministers ist ein reiner Alibihaushalt. Reisen darf er, versprechen darf er, ankündigen darf er, nur umsetzen darf er nichts. Das müssen dann andere besorgen oder verhindern. Schade um die Umwelt. Sie bedarf keiner Verkündigungen, sondern konkreter Taten.
Ich will ein Fazit ziehen, indem ich aus dem „Sonntagsblatt" vom 23.August 1991 zitiere. Thomas Bastar hat folgendes geschrieben — ich zitiere —:
Es ist also wie so oft, seit Kanzler Kohl vor fünf Jahren das Umweltministerium in Bonn einrichtete. Sobald der Umweltschutz in Konflikt mit anderen Ressorts gerät, haben die widerstreitenden Interessen Vorrang — oder die Sache wird auf die lange Bank geschoben. Nach wie vor krankt die Umweltpolitik der Regierung an der mangelnden Hausmacht des Ressorts. Zwar darf der Umweltminister überall mitreden, doch — anders als dem Finanzminister, der den Geldhahn zudrehen kann — fehlt Töpfer der entscheidende Hebel. Weil eben der Verweis auf die zukünftig drohenden Umweltkatastrophen im kurzatmigen Bonn noch immer nicht ausreicht.
Die SPD lehnt den Haushalt des Umweltministers ab. Ich möchte einen Hinweis geben, warum wir das tun. Im 2. Buch Mose Kapitel 23 Vers 2 heißt es — das ist der Grund unserer Ablehnung — : „Schließe dich nicht der Mehrheit an, wenn sie auf der Seite des Unrechts steht. "
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205910200
Das Wort hat der Abgeordnete Michael von Schmude.

Michael von Schmude (CDU):
Rede ID: ID1205910300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich dem Kollegen Wagner ganz persönlich und ganz herzlich zu seinem Geburtstag gratulieren. Ich wünsche uns beiden weiterhin eine so gute, faire Zusammenarbeit, wie wir sie nun schon seit geraumer Zeit im Haushaltsausschuß pflegen.

(Dr. Walter Hitschler [FDP]: Aber damit hat es sich!)

Ich komme gerne seinem Geburtstagswunsch nach und trete hier für unsere Umweltpolitik in den Zeugenstand.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Das kann den Töpfer aber auch nicht ersetzen!)

Ich wünsche uns beiden — das darf ich vorweg sagen — noch viele gemeinsame Auslandsreisen; denn auf diesen Auslandsreisen, lieber Hans Georg, ist uns von unseren Gesprächspartnern immer wieder bescheinigt worden, wie vorbildlich unsere Umweltpolitik weltweit ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Ich möchte Minister Töpfer in diesem Zusammenhang ganz herzlich dafür danken, daß er — im Gegensatz zu anderen, die über Umweltprobleme und Umweltschäden nur lamentiert und philosophiert haben — angepackt hat und daß er schon frühzeitig erkannt hat, daß Umweltschutz keine Grenzen kennt. Er hat mit seiner Politik neue Maßstäbe für die internationale Zusammenarbeit gesetzt und hat die grenzübergreifenden Probleme angepackt und Projekte



Michael von Schmude
vorangetrieben. Dafür danke ich ihm an dieser Stelle sehr herzlich.
Der zweite gesamtdeutsche Haushalt des Bundesumweltministers weist erneut eine ganz erfreuliche Entwicklung auf. Das Etatvolumen steigt 1992 um 11,9 % — gleich 143 Millionen DM — auf insgesamt 1,422 Milliarden DM. Diese Steigerungsrate liegt deutlich über der durchschnittlichen Steigerungsrate des Bundeshaushalts von 2,9 %. Wir haben darüber hinaus weitere 400 Millionen DM für Sofortmaßnahmen auf dem Gebiet des Umweltschutzes bereitgestellt.
Ich begrüße aber auch mit großem Nachdruck, daß vor allem die Investitionen im Rahmen des Einzelplans 16 stark angestiegen sind, nämlich um 17 gleich 123 Millionen DM. Diese Zukunftsinvestitionen schaffen neue Arbeitsplätze, vor allem in den neuen Bundesländern. Insgesamt entfällt aus dem Einzelplan 16 ein Anteil von 43 % gleich 785 Millionen DM auf die neuen Bundesländer. Diese eindrucksvollen Zahlen unterstreichen, welche Bedeutung wir der Umweltpolitik beimessen.
Bei viel Übereinstimmung — jedenfalls was die Zielsetzung im groben angeht — gibt es leider auch diesmal einige strittige Bereiche zwischen Koalition und Opposition. So haben die Sozialdemokraten bei den Haushaltsberatungen Mehrausgaben von rund 570 Millionen DM gefordert und dafür ein Deckungspotential von nur 25 Millionen DM vorgeschlagen. Natürlich gibt es einen enormen Bedarf an Umweltmaßnahmen in den neuen Bundesländern; er geht sicher in die Zigmilliarden. Eine möglichst schnelle Umweltsanierung ist für die Schaffung attraktiver Lebensbedingungen und Investitionen notwendig.
Wir alle wissen aber auch, daß das frühere SED-Regime in geradezu verbrecherischer Weise Umweltlasten verursacht hat, deren Aufarbeitung nicht kurzfristig zu gewährleisten ist. Gemeinsam sollten wir gegenüber der betroffenen Öffentlichkeit nicht leichtfertig und verantwortungslos den Eindruck erwecken, diese Erblast könne von heute auf morgen beseitigt werden, wenn man es nur wolle.
Für die Maßnahmen zur Sanierung grenzüberschreitender Flüsse und zur Rettung von Nord- und Ostsee haben wir umfangreiche Mittel im Haushalt vorgesehen; 345 Millionen DM für die Verringerung von Umweltbelastungen. Diesen Ansatz haben wir in den Beratungen auf Vorschlag der CDU/CSU einvernehmlich um 15 Millionen DM aufgestockt. Für das Chloridabkommen Rhein stehen 3,4 Millionen DM und für die Verminderung grenzüberschreitender Umweltbelastungen weitere 40 Millionen DM bereit. Hinzu kommen noch 40 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen. Für die Werra-Sanierung haben wir insgesamt, einschließlich Verpflichtungsermächtigungen, fast 80 Millionen DM vorgesehen.
Auch für die Meßprogramme zur Überwachung grenzüberschreitender Flüsse sowie der Oder haben wir den Ansatz beträchtlich erhöht, ja auf nunmehr 6 Millionen DM verdoppelt. Wer hier mehr fordert, muß wissen, daß auch noch aus anderen Töpfen ganz erhebliche Summen zur Verfügung stehen. Ich weise nur auf die nennenswerten Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe zur „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" hin.
Wenn in diesem Zusammenhang in SPD-Anträgen wieder die altbekannte Forderung erhoben wird, der Bund möge sich an den Kosten für die Mosel- und Saarsanierung beteiligen, dann kann man das schon, lieber Herr Kollege Wagner, als kaiserliche Werft der SPD bezeichnen. Zum wiederholten Mal ist darauf hingewiesen worden, daß hier — bei klarer Abgrenzung der Bund-Länder-Kompetenz — vor allem das Saarland gefordert ist, die 112 Millionen DM Strukturhilfemittel, die es vom Bund bekommt, dort zu verwenden, wo es sinnvoll ist, und nicht in teure Prestigeobjekte zu stecken,

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Hans Georg Wagner [SPD]: Wo denn? Nennen Sie doch einmal eines!)

insbesondere etwa in die Ausstattung der Marktplätze in saarländischen Städten und Gemeinden, von denen man anderswo in Deutschland von „Piazza Prozza" und „Palazzo Prozzo" spricht; so werden die im Saarland hergerichtet.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Na, nun werden Sie nicht polemisch, Herr Kollege von Schmude!)

Für die SPD-Forderung, die Ausgaben für Umweltschutz im Rahmen des Gemeinschaftswerks Aufschwung Ost zu erhöhen, gilt ähnliches. Auch hier wird übersehen, daß gerade für die Sanierung der Trinkwasserversorgung Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" zur Verfügung stehen. Im übrigen haben wir bei dieser Gemeinschaftsaufgabe nicht nur 400 Millionen DM als Baransatz, sondern weitere 400 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen.
Wir alle wissen auch, daß der Mittelabfluß im laufenden Jahr im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zurückgeblieben ist. Wir haben von 412 Millionen DM bisher nur 200 Millionen DM ausgegeben. Das heißt: Kapazitätsengpässe bestimmen schon jetzt das Abwicklungstempo.
Alles in allem, meine Damen und Herren, hat der Bund bereits ganz erhebliche Mittel für Umweltschutzmaßnahmen in den neuen Ländern bereitgestellt. Allein im zweiten Halbjahr 1990 waren es 500 Millionen DM für mehr als 600 Projekte. In beiden Jahren zusammen, 1991 und 1992, werden aus dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost 1 120 Projekte gefördert.
Darüber hinaus kommen aus dem Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, auch im Bereich des Umweltschutzes. Durch die Schaffung von Aufbau- und Sanierungsgesellschaften werden die Belegschaften von Betrieben, die von Stillegungen bedroht sind, für die dringend notwendigen Sanierungsarbeiten auf ihrem Betriebsgelände und für die Erschließung neuer Gewerbeflächen eingesetzt. Mehr als 100 000 Menschen sind durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bereits im Umweltschutz tätig. Unsere Kreditprogramme im Umweltbereich gehen inzwischen in die Milliarden. Auch hier werden in nennenswertem Umfang Infra-



Michael von Schmude
strukturmaßnahmen zugunsten der Umwelt finanziert.
Undurchdacht sind auch die Kürzungsvorschläge der Sozialdemokraten. So wird z. B. gefordert, die Position „Ausbau des Endlagers Morsleben" ersatzlos zu streichen. Die Einsparung beträgt nach Meinung der SPD 22 Millionen DM. Vergessen wird bei diesem Vorschlag, daß dann auch die entsprechenden Einnahmen entfallen, so daß am Ende überhaupt keine Einsparung unter dem Strich übrig bleibt.

(Zuruf von der CDU/CSU: So rechnen die Sozialdemokraten!)

Aber wer das Endlager Morsleben aufgeben will, gleichzeitig Gorleben eine Absage erteilt und dann 30,4 Millionen DM zusätzlich fordert, um neue Standorte zur Sicherstellung und Lagerung von radioaktiven Abfällen zu erkunden, der sucht das Ziel — ich zitiere eine bekannte Dichterin — im Lande Nirgendwo im Reiche Nimmermehr. Dann stehen wir vor dem absoluten Nichts.
Wenn nach Auffassung der SPD alle bisher genannten Standorte unbrauchbar sind, muß man sich die Frage stellen, welche Standorte denn wohl tauglicher wären und wie die SPD diesbezügliche Entscheidungen durchzusetzen gedenkt. Berechtigte Zweifel am Stehvermögen der Sozialdemokraten sind also auch in diesem Punkt angebracht.
Wenn es ums Geld geht, schiebt allerdings manch
einer seine Prinzipien zur Seite. Als wir im Haushaltsausschuß über die Aufhebung der qualifizierten Sperre für die 30 Millionen DM Pauschalzahlungen an das Land Niedersachsen für die geplante Nuklearentsorgung in Gorleben, Salzgitter und Wolfenbüttel zu entscheiden hatten, haben uns niedersächsische Sozialdemokraten sehr, sehr eindringlich an den bestehenden Vertrag erinnert. Wir haben die Sperre aufgehoben und stehen zu unserem Wort. Das heißt, daß auch 1992 erneut die 30 Millionen DM gezahlt werden. Wir erwarten jetzt aber, daß die niedersächsische Landesregierung endlich ihre Blockadepolitik aufgibt; denn im Vertrag steht, daß als Gegenleistung die Standorte zu realisieren sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Der niedersächsische Ministerpräsident setzt sich zunehmend dem Verdacht aus, eine Art Heiratsschwindler zu sein, der erst der Braut das Jawort gibt, ihr dann das Geld abnimmt und sie schließlich sitzenläßt. Und dies, meine Damen und Herren, werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Schröder Macho!)

Übereinstimmung gab es im Haushaltsausschuß am Ende doch noch in einem Punkt, bei dem man eigentlich wirklich keine Differenzen vermutet hätte. Für die internationale Zusammenarbeit auf den Gebieten Strahlenschutz und Reaktorsicherheit stellen wir neu 2,5 Millionen DM für die Aus- und Fortbildung von Personal aus osteuropäischen Kernkraftwerken zur Verfügung. Im Wege der Simulatorschulung werden Techniker im Kernkraftwerk Lubmin geschult. Die
anfänglichen Widerstände der SPD gegen dieses Projekt waren vor allem deshalb unverständlich, weil Sozialdemokraten andererseits immer wieder unsere Mithilfe bei der Sanierung östlicher Kernkraftwerke fordern. Mit der Verbesserung der Ausbildung des Personals wird von uns ein ganz entscheidender Beitrag zur Reaktorsicherheit in den östlichen Nachbarländern geleistet. Der Haushalt des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit setzt auch in diesem Bereich ein deutliches Zeichen für internationale Zusammenarbeit, ohne die — ich sage es nochmals — der Schutz unserer Umwelt nicht mehr zu gewährleisten ist.
Wir von der CDU/CSU-Fraktion stimmen dem Haushalt des Bundesumweltministers gern zu.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205910400
Frau Abgeordnete Braband, Sie haben das Wort.

Jutta Braband (PDS/LL):
Rede ID: ID1205910500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde die einmalige Gelegenheit, 15 zusammenhängende Minuten Redezeit in diesem Haus zu haben, benutzen, um den Versuch zu machen, den Zusammenhang zwischen Verkehr, Raumordnung und ökologischer Politik aus der Sicht der PDS/Linke Liste darzustellen und, davon ausgehend, den Haushalt 1992 zu kritisieren; denn Umweltpolitik kann, wenn sie denn etwas anderes als Reparaturpolitik sein soll, nur ressortübergreifend gedacht und praktiziert werden.
Ziel einer ökologischen Politik kann es nicht sein, zuzulassen, daß mit hohem Aufwand Landschaft zubetoniert wird, Natur zerstört wird und Gifte produziert werden, um mit noch höherem Aufwand Natur zu reparieren und mit ganz vielen Filtern Gifte aus der Umwelt fernzuhalten. Es kommt auf eine Änderung der Entwicklungslogik an, auf eine Änderung der Produktion und Konsumtion.
Erst recht darf ökologische Politik nicht auf undifferenzierter Fortschrittsgläubigkeit basieren. Wir sollten uns ständig vergegenwärtigen, daß es in der Entwicklung von Technologie und Wissenschaft einen Punkt gibt, an dem Produktivkräfte in Destruktivkräfte umschlagen können. Atomenergie, Gentechnik und Chemieproduktion, die Lieblingskinder der Forschungsförderung dieser Regierung, seien hier nur als Beispiele genannt.
Ökologische Politik heißt auch Gesellschaftspolitik. Es hat sich in den letzten Jahren in der Tat ein schärferes Bewußtsein der Menschen für ökologische Zusammenhänge entwickelt. Hierbei geht es aber nicht nur um individuelles Verhalten. Zunehmend wird klar, daß die Art der gesellschaftlichen Produktion und Konsumtion die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen bewirkt. Hier muß in erster Linie angesetzt werden. Es kann nicht darum gehen, vor allem den Menschen in diesem Lande zu sagen, wie sie sich ökologisch besser verhalten können und wie sie Einfluß darauf nehmen, sondern zuerst einmal muß es die Politik des Staates sein, die dem vorausgeht.
In diesem Sinne gehört auch die soziale Frage in umfassendem Sinn in diesen Politikansatz. Unterpri-



Jutta Braband
vilegierung und Armut bringen hier und in der Dritten Welt Umweltzerstörung hervor.
Ökologische Politik heißt aber auch Wirtschaftspolitik und internationale Politik. Es hat sich als Holzweg erwiesen, unser Lebensmodell auf die Länder der sogenannten Dritten Welt zu übertragen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das will ja auch keiner!)

die durch die weltwirtschaftlichen Verflechtungen und die internationale Arbeitsteilung zum Raubbau an ihren natürlichen Ressourcen gezwungen werden. Was wir brauchen, ist eine gerechte Weltwirtschaftsordnung und als ersten Schritt eine umfassende Schuldenstreichung.
Wir verstehen Ökologiepolitik als umfassende Daseinsfürsorge. Daran messen wir auch den Bundeshaushalt.
Beginnen möchte ich mit der traurigen Realität im Verkehrswesen: täglich neue Schreckensmeldungen über das Waldsterben, über die Bedrohung der Erdatmosphäre, über Verkehrstote, insbesondere auf ostdeutschen Straßen. Die Verkehrsexperten, so ist zu lesen, sind sich einig: Mehr Straßen erzeugen immer mehr Verkehr, und bereits heute fühlen sich in Städten wie Frankfurt am Main 93 °A, der Einwohnerinnen und Einwohner durch den Verkehr belästigt.
Betrachtet man den Haushalt des Verkehrsministeriums, so könnte man glauben, dies alles sei nicht wahr. Offensichtlich unbeeindruckt von den Erkenntnissen mittlerweile nicht nur alternativer Verkehrswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler schreibt Minister Krause seine Betonpolitik — besser gesagt: seine Asphaltpolitik — fort. Die Erhöhung des Etats um knappe 13 % kommt im wesentlichen dem Straßenbau zugute. Die Erhöhung der Mittel für die Bundesbahn und die Reichsbahn beträgt gerade lächerliche 6 % . Ein brauchbares Konzept zur Sanierung der Bahn ist weiterhin nicht in Sicht, geschweige denn ein ökologisch und sozial verträgliches integriertes Gesamtverkehrskonzept.
Die Diskrepanzen zwischen den Interessen der Bürgerinnen und Bürger und deren sogenannter Vertretung werden von Tag zu Tag deutlicher.

(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Sprechen wir über die Umwelt oder nicht? Wieso redet die Dame denn zum Verkehr?)

— Ich spreche zur Umwelt, ich spreche zur Raumordnung, und ich spreche zum Verkehr. Ich habe vorhin ausgeführt, daß ich denke, daß das zusammengehört. Sie haben wahrscheinlich nicht zugehört.
Die Adressaten der herrschenden Verkehrspolitik sind zwischen 20 und 59 Jahre alt und männlich. In der Tat besitzen von 1 000 Frauen etwa 300 ein eigenes Auto, während von 1 000 Männern etwa 800 Männer ein Auto besitzen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Männer besitzen es, und die Frauen fahren damit!)

Auch wenn die oben skizzierte Spezies der Autofahrer gerade einmal ein Viertel der Bevölkerung ausmacht, so hat sich dieser Bevölkerungsgruppe im öffentlichen Raum Straße alles andere unterzuordnen.
Ich frage mich, warum wir es weiterhin zulassen, daß unser aller Alltagsleben in diesem Maße von den vermeintlichen Erfordernissen des Verkehrs dominiert wird.
Gerade an den Interessen von Frauen, deren Realität es häufig immer noch ist, mit der Doppelbelastung von Beruf und Haushalt zurechtkommen zu müssen, geht die Verkehrspolitik dieser Regierung schlichtweg vorbei. Die männliche Form der Mobilität ist die Fortbewegung von A nach B, also z. B. von zu Hause zur Arbeit. Dann bleibt das Auto dort den ganzen Tag über stehen, und abends geht es wieder zurück.
Für Frauen ist der öffentliche Raum Straße aber ein Ort der täglichen Arbeit und des täglichen Aufenthalts. Die 60 % Frauen, alten Menschen und Kinder, die kein eigenes Auto besitzen, haben erhebliche Beeinträchtigungen ihrer Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheiten in Kauf zu nehmen. Dies gilt insbesondere für den ländlichen Raum. Unsere Städte sind nicht menschengerecht, sondern verkehrs-, sprich: autogerecht. Die Betonbebauung, große Verwaltungszentren, Parkhäuser usw. und der innerstädtische Verkehr zwingen die Menschen unter die Erde.
Wir fordern daher eine Stadtplanung, die nicht nur den subjektiven Sicherheitsbedürfnissen von Frauen und Kindern Rechnung trägt, sondern insgesamt eine neue Lebensqualität für alle Menschen hervorbringt. Wir brauchen also einen wirklichen Umbau in den Städten. Eine Stadt der kurzen Wege, in der die Straßen und Plätze wieder Kommunikationsräume sind, ist aber wahrscheinlich wirklich noch Utopie. Doch ich denke, wir müssen uns die Städte zurückholen und sie uns wieder aneignen. Ein erster Schritt hierzu wäre, die Innenstädte wieder zu Wohnstädten werden zu lassen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Es hindert Sie ja keiner! Die meisten sind nämlich autofrei!)

Hierzu gehört das Recht auf Wohnen ebenso wie bezahlbare Mieten. Dazu gehört auch die Entkommerzialisierung der Innenstädte. Das bedeutet, daß es ein verträgliches Maß zwischen Gewerberäumen und Wohnraum geben muß. Ebenso gehört in diesen Bereich, daß Menschen, die einfach ein anderes Lebenskonzept verfolgen, die Möglichkeit erhalten, das auch unabhängig von einem vorhandenen dicken Geldbeutel verwirklichen zu können.
Ich möchte nur daran erinnern, daß es nach der Wende 1989 eine große Bewegung von jungen Leuten in der DDR gegeben hat, die versucht haben, mit Hilfe von Hausbesetzungen Häuser, die bereits auf der Abrißliste standen, zu retten. Ich finde es skandalös, daß es durch die politische Linie dieser Bundesregierung bis heute verhindert worden ist, daß diese Menschen, die sich um die Häuser kümmern, wirkliche Verträge bekommen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU — Dr. Wolfgang von Geldern [CDU/CSU]: Wer hat denn die Häuser überhaupt erst auf die Abrißliste gebracht? — Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: Sie kamen doch durch die SED-Politik erst auf die Abrißliste!)




Jutta Braband
— Ja, richtig. Finden Sie nicht, daß Sie dann mit den Leuten, die den Abriß verhindert haben, anders umgehen könnten und nicht einen Krieg wie in der Mainzer Straße in Berlin vor einem Jahr anzuzetteln brauchen?
Ich finde auch, daß das innerstädtische Wohnen nicht das Privileg gut verdienender Singles sein kann. Es muß vielmehr eine Sozialstruktur geschaffen werden, die die Verwirklichung verschiedener Lebensstile ermöglicht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ihr habt doch die Städte erst kaputtgemacht!)

Im ländlichen Raum gibt es noch weniger Lebensqualität, sprich: Zugang zum gesellschaftlichen Leben. Dies gilt insbesondere wiederum für Frauen. Durch die Ausdünnung des öffentlichen Personennahverkehrs, besonders auf der Schiene, ist die Mobilität im ländlichen Raum fast ausschließlich an das Auto gebunden. Die Dorfstrukturen sind kaputt; die Straße ist auf dem Lande nicht mehr Kommunikationsort, sondern Nadelöhr für den Durchgangsverkehr. Durch die Auflösung des traditionellen Zusammenhangs von Wohnen, Arbeiten und Zugang zu Versorgungsmöglichkeiten wird Mobilität erzwungen. Das ist eines der wesentlichsten Probleme in der Verkehrspolitik. Wenn es hier eine wirkliche Umsteuerung geben soll, dann kann es nur darum gehen, genau diese Mobilität zu verhindern.

(Dr. Rudolf Karl [Bonese] [CDU/ CSU]: 18 Jahre auf ein Auto warten, dann ist sie verhindert!)

Ich komme jetzt zum Haushalt des BMU. Ich möchte mich hier auf zwei Themenbereiche beschränken, auf die Energie- und die Abfallpolitik. Ich denke, daß in diesem Haushalt vor allem Mittel für eine ökologische Energiepolitik bereitzustellen wären, weil nur sie Vorrangpolitik für Energieeinsparung, effiziente Energienutzung und die Nutzung erneuerbarer Energieträger wie Wind, Wasser und Sonne ist, und zwar natürlich in einer kommunalen Energiewirtschaft, nicht in Großunternehmen.
Grundvoraussetzung dafür ist der Ausstieg aus der Atomenergie, weil hier die Mittel gebunden sind, die wir für eine andere Energiepolitik dringend brauchen.

(Beifall des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige [Bündnis 90/GRÜNE])

Durch erhebliche Überkapazitäten im konventionellen Kraftwerksbereich ist dieser Ausstieg auch sofort zu realisieren, ohne daß es zu Versorgungsengpässen kommt.
Der vorliegende Einzelplan 16, auch Umwelthaushalt genannt, erscheint jedoch bei näherem Hinsehen eher als ein Atomförderungshaushalt. Zwar übertragen das Atomgesetz und die Strahlenschutzverordnung dem BMU Aufgaben zum Schutz der Menschen vor radioaktiven Strahlen — das ist richtig —; dies begründet jedoch nicht den erheblichen Umfang der vorgesehenen Mittel für den Bereich Forschung für Reaktorsicherheit und Strahlenschutz.

(Zuruf von der FDP: Wollen Sie keine Sicherheit?)

— Ich will sie auch; ich habe aber gesagt, das Verhältnis stimmt nicht.
Die Gesamthöhe der Ansätze aller Titel für Atomtechnologie, Endlagerung und Strahlenschutz beläuft sich auf über 700 Millionen DM im Bundeshaushalt, ohne die Ausgaben für die Atomforschungsanlagen. Zum Vergleich: D as BMU-Gesamthaushaltsvolumen für 1992 beträgt einschließlich Gemeinschaftswerk 1 830,8 Millionen DM. Für Beschäftigungsmaßnahmen im Bereich Umweltschutz sieht das Gemeinschaftswerk Ost gerade 400 Millionen DM vor.
Ich denke, daß die enormen Mittel, die hier ausgegeben werden, unter dem Titel Strahlenschutz gerade sehr gut für Problemlösungen im Bereich der Energieeinsparung und der regenerativen Energienutzung verwendet werden könnten. Ich meine, daß hier aus politischem Grund ganz wesentliche Möglichkeiten verschenkt werden.
Auch bei dem Ziel der Reduzierung der CO2-Immissionen ist das Festhalten an der Atomenergie ein Holzweg. Nur in Vergleichen, in denen ein hoher Energieverbrauch unterstellt wird und die sich auf die Angebotsseite beschränken, jedoch ein Energiesystem nicht im Zusammenhang betrachten, kann die Atomenergie scheinbar einen Beitrag zur Reduzierung der CO2-Immissionen leisten.
Eine Erhöhung der Nutzungseffizienz und Energieeinsparungen sind dagegen die wirksamsten Maßnahmen zur CO2-Reduzierung. Dies gilt übrigens auch für das Gebiet der ehemaligen DDR. Intensive Braunkohlennutzung in veralteter Großkraftwerkstechnologie sowie mangelnde Effizienz der Energienutzung verursachen eine erhebliche Umweltbelastung. Es gilt hier aber, besonders den Kommunen in der ehemaligen DDR eine eigenständige Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen. Mit der Übernahme der gesamten Energieversorgung durch einige Großunternehmen ist dieser Weg wirklich verbaut. Ich denke, daß hier besonders Mittel aus dem Bundeshaushalt für die Gründung von Stadtwerken zur Verfügung gestellt werden müssen, um eben diese Kommunen zu unterstützen.
Bevor ich nun auf den Bereich der Abfallpolitik zu sprechen komme, gestatten Sie mir eine grundsätzliche Vorbemerkung. Wenn wir über die Umweltpolitik der Regierung reden, dann reden wir fast ausschließlich über nachsorgende Umweltpolitik. Eine vorsorgende Umweltpolitik, die die Entgiftung der Produktion und der Produkte zum Ziel hat, würde einige der Probleme, auf die ich jetzt zu sprechen komme, gar nicht erst entstehen lassen.
Die Abfallpolitik der Bundesregierung ist an den Interessen der Wirtschaft orientiert,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das sieht die Wirtschaft aber ganz anders! Ich könnte Ihnen meinen Schriftverkehr zur Verfügung stellen!)

die mit großem Aufwand und Gewinn Abfall — also Verpackungen — produziert und andererseits an der Abfallbeseitigung in Form der Müllverbrennung verdient. Jedes Bekenntnis der Bundesregierung zu Müllvermeidung und -verwertung wird hierdurch ad absurdum geführt.



Jutta Braband
Nur die Umstellung der industriellen Güterproduktion auf abfallarme und in den Naturkreislauf rückführbare Produkte bietet einen Ausweg aus dem drohenden flächendeckenden Müllnotstand.

(Zuruf von der CDU/CSU: Verpackungsverordnung, Elektronikschrott-Verordnung usw. ! )

Wichtig wären hierzu eine gesetzliche Verankerung des Vermeidungsgebotes als oberste Priorität, der Vorrang der stofflichen Verwertung vor der Müllverbrennung und ein Verbot von nicht schadlos zu beseitigenden Stoffen und Produkten.
Eine ökologische Abfallpolitik erfordert eben ein konsequentes Abfallvermeidungs-und Abfallverwertungsgebot. Ein Großteil des industriellen Giftmülls kann nach Untersuchungen des Umweltbundesamtes allein durch die Umstellung der Produktionsverfahren vermieden werden. Ich meine, daß dem auch Rechnung getragen werden sollte.
Im Haushaltsbereich ist durch gesetzliche Maßnahmen und Abgaben der Anteil der Mehrwegverpakkungen zu erhöhen. Getrenntmüllsammelsysteme sollen flächendeckend eingeführt werden, um die Wiederverwertung zu erleichtern. Anstatt die Mogelpackung des Grünen Punktes als Erfolg zu feiern, hätte die Bundesregierung besser das Sero-System erhalten und schrittweise in ein modernes Entsorgungs-und Verwertungssystem in kommunaler Hand überführen sollen. Dies hätte zudem Arbeitsplätze gesichert.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205910600
Frau Kollegin, seit einiger Zeit leuchtet das rote Licht. Das heißt, daß Ihre 15 Minuten Redezeit schon überschritten sind.

Jutta Braband (PDS/LL):
Rede ID: ID1205910700
Ja, ich bin sofort fertig. — Statt dessen wurde die westliche Produktionsweise mit ihrer Wegwerf- und Verschwendungsmentalität der ehemaligen DDR übergestülpt und produziert so den katastrophalen Zustand in der Abfallwirtschaft dort. Die Abfallwirtschaft gehört in die Hand der Kommunen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205910800
Frau Kollegin, das geht nicht. Wenn ich Sie ermahne, zum Schluß zu kommen, gibt es nur noch einen Satz.

Jutta Braband (PDS/LL):
Rede ID: ID1205910900
Okay, wirklich nur noch einen Satz. — Die Abfallwirtschaft gehört in die Hand der Kommunen, das muß auch von der Bundesregierung unterstützt werden; denn die Kommunen können dafür nicht alleine aufkommen. Ich finde, daß grün angestrichene AKWs — —

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205911000
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist weit überschritten.

Jutta Braband (PDS/LL):
Rede ID: ID1205911100
Wir stimmen dem Haushalt jedenfalls nicht zu.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste — Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Das hätten Sie auch gleich sagen können!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205911200
Das Wort hat der Abgeordnete Gerhart Baum.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1205911300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stimmen dem Haushalt zu, und ich will Ihnen auch darlegen, warum.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der Haushalt entspricht unseren Vorstellungen; er entspricht dem Koalitionsprogramm. Es ist völlig falsch, den Haushalt des Umweltministers zum Indikator für die Umweltaufwendungen im Bundeshaushalt zu machen. Meine Kollegin Frau Albowitz, die im Haushaltsausschuß diesen Etat betreut, hat mich eben noch einmal auf die Zahl hingewiesen: Im gesamten Haushalt betragen die Ausgaben 8,16 Milliarden DM, die Aufwendungen der Treuhand und anderes mehr nicht eingerechnet.
Es ist doch gerade unser Ziel, daß Umweltschutz nicht allein vom Umweltminister gemacht wird, sondern immer stärker in die Fachpolitiken integriert wird, damit irgendwann einmal — zu einem Zeitpunkt, zu dem diese Politik weiter erfolgreich ist — der Umweltminister den Rahmen setzt und koordiniert, aber die eigentliche Umweltpolitik in den Fachbereichen stattfindet.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das ist auch immer stärker der Fall. Das haben wir in den letzten Jahren geschafft.
Ich bin der Meinung, daß die fundamentalen Veränderungen in Osteuropa, die die ganze Welt ergriffen haben, auch auf unser Fachgebiet einen erheblichen Einfluß haben.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205911400
Herr Kollege Baum, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Feige?

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1205911500
Nein, ich möchte das im Zusammenhang darstellen.

(Dr. Klaus-Dieter Feige [Bündnis 90/ GRÜNE]: Aber es wäre eine schöne Frage! — Heiterkeit)

— Eine schöne Frage? — Na, dann bin ich einmal gespannt.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205911600
Also bitte, Herr Kollege Feige!

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205911700
Herr Kollege Baum, kann ich Ihre Bemerkung zur Treuhand so verstehen, daß auch Sie jetzt der Meinung sind, daß sich die Treuhandanstalt um die Sanierung der Betriebe, die sie verkauft, ein bißchen mit kümmern muß?

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1205911800
Herr Kollege, ich bin der Meinung, daß sie das tut. Beispielsweise übernimmt sie Freistellungen für Altlasten.

(Lachen bei der SPD)

— Natürlich tut sie das; ich habe mehrere Verträge gesehen, die das belegen.

(Otto Schily [SPD]: Das war vielleicht eine schöne Frage, aber keine schöne Antwort!)

— Na, Herr Schily, dann antworten Sie. Ich bin der Meinung, daß die Treuhandanstalt die Umweltgesichtspunkte mit beachtet und daß diese Beträge des-



Gerhart Rudolf Baum
halb in die Bilanz, die hier aufzumachen ist, mit aufgenommen werden müssen.
Die fundamentalen Veränderungen in Osteuropa, von denen ich sprach, haben also auch Auswirkungen auf unser Gebiet. Ich meine, vor der Situation in den neuen Bundesländern und in Osteuropa sind viele Defizite, die wir noch haben, verblaßt. Priorität Nummer eins muß also die Sanierung und Modernisierung in den neuen Bundesländern sein.
Zweitens müssen wir eine intensive Zusammenarbeit mit Osteuropa anstreben. Mit dem dort eingesetzten Kapital lassen sich zum Teil wesentlich größere Fortschritte erzielen — etwa bei der CO2-Reduzierung — als hier. Wir brauchen Kompensationsregelungen zwischen West- und Osteuropa.
Wir müssen drittens den Umweltschutz immer stärker auf die internationale Ebene heben, nicht nur im zukünftigen Binnenmarkt, sondern unter Einschluß Osteuropas. Wir brauchen eine Umweltaußenpolitik als Teil einer Weltinnenpolitik; wir brauchen ein Umweltvölkerrecht. Das, was zu der Konferenz in Brasilien jetzt vorbereitet wird, macht ja deutlich, daß globale Herausforderungen globale Strategien erfordern. Die wesentliche Änderung gegenüber früher ist, daß die Umweltpolitik stärker internationale Bezüge braucht.
Wir müssen viertens das Vermeidungs- und Vorsorgeprinzip stärker in die anderen Politikbereiche integrieren.
Wir müssen fünftens neben dem Ordnungsrecht die marktwirtschaftlichen Kräfte aktivieren. Die Belastungskosten müssen noch stärker den Nutzern von knappen Umweltgütern angerechnet werden. Umweltpolitik hat die Aufgabe, den Marktteilnehmern die Umweltknappheit zu signalisieren. Bei der Durchsetzung des Umweltschutzes setzen wir, die FDP, auf die Fähigkeit der Wirtschaft. Die Wirtschaft hat in einem Rahmen zu arbeiten, den wir ihr setzen; aber die Kräfte, die in der Wirtschaft stecken, müssen gerade in einer Zeit der knappen Mittel aktiviert werden, um die Ziele zu erreichen.
Der Wirtschaftsaufschwung Ost ist nur mit gleichzeitiger umfassender Umweltmodernisierung möglich. Hier gibt es einen deutlichen Schwerpunkt im Haushalt. — Über Altlastensanierung habe ich schon gesprochen.
Die Haftungsfreistellung ist insgesamt noch unbefriedigend. Von über 2 000 Anträgen sind nur wenige entschieden; meine Kollegin Sehn hat hierzu eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet.
Wir müssen alles unternehmen, um in den neuen Bundesländern eine stärkere Heranziehung des privaten Sektors bei Planung, Bau und Betrieb von Ver- und Entsorgungseinrichtungen und anderen öffentlichen Einrichtungen zu erreichen. Die öffentlichen Haushalte müssen entlastet werden. Es muß privates Kapitel mobilisiert werden. Wir brauchen eine bessere Wirtschaftlichkeit. Die Managementvorteile nichtstaatlicher Unternehmensführung müssen genutzt werden. Wir müssen die Gemeinden in Ostdeutschland davor bewahren, dem Rat mancher Gemeinden aus dem westlichen Teil der Republik, alles in
staatlicher Regie zu machen, zu folgen. Hier muß ein neuer Weg für privates Kapital und privates Unternehmertum eröffnet werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es geht um die Zusammenarbeit mit Osteuropa. Unsere Zukunft ist mit der Osteuropas eng verbunden. Wir erleben eine Zeit tiefgreifenden Umbruchs, Ansätze zu chaotischen Entwicklungen, aber auch deutliche Signale für einen Aufbruch.
Ein Problem von besonderer Bedeutung, das andere Probleme in den Schatten stellt, ist die Situation der Reaktorsicherheit in Osteuropa; wir haben hier darüber diskutiert. Dies ist eine der wirklich schwerwiegenden Bedrohungen dieses Planeten und deshalb eine Aufgabe der gesamten Völkergemeinschaft. Die Bundesregierung hat unsere Unterstützung bei den Maßnahmen, die sie eingeleitet hat. Die Koalition wird in Kürze dazu einen Antrag vorlegen.
Die Umweltpolitik wird immer mehr zu einer internationalen Politik, auch zu einer europäischen Politik. So muß z. B. die Europäische Umweltagentur dazu beitragen, die Umweltdefizite abzubauen. Wir setzen uns für eine deutliche Vorreiterrolle Deutschlands in der Umweltpolitik ein, wollen die Umweltpolitk aber in die europäische Entwicklung integrieren. Wir warten nicht auf die EG, wollen aber, daß sie nachvollzieht, was wir auf einer ganzen Reihe von Gebieten vorbildlich tun.
Wir wollen eine europäische Energiesteuer, und wir wollen schließlich ein europäisches Abfallrecht, aber nicht das, was die Kommission jetzt in einer Richtlinie vorbereitet, die im Grunde die Rückkehr zur Wegwerfgesellschaft bedeutet. Die Bundesregierung wird ermutigt, diesen Angriff auf unser Abfallrecht abzuwehren. Wir erwarten von der Konferenz in Brasilien präzise Festlegungen in präzisen Fristen.
Ein weiterer Schwerpunkt sind für uns die Klimaschutzstrategien. Über das Energieprogramm der Bundesregierung und die europäische Energiecharta wird jetzt beraten. Wir fordern die Opposition erneut dringend auf, zum Energiekonsens zurückzukehren. Das heißt: Wir sollten die Gespräche fortführen, um in Deutschland zu einer Gemeinsamkeit in der Energiepolitik zu kommen.
Wir brauchen ein Naturschutzgesetz, das diesen Namen verdient. Wir brauchen ein Bodenschutzgesetz und eine Novellierung des Atomgesetzes.
Wir sind der Meinung, daß umweltpolitische Belange stärker in die Verkehrspolitik eingebracht werden müssen. Wir sichern dem Umweltminister unsere Unterstützung bei der Umsetzung der Koalitionsvereinbarungen zu. Das bedeutet: Verbesserung der Umweltverträglichkeit der Fahrzeuge, Bevorzugung der Schiene gegenüber der Straße und anderes mehr.
Meine Damen und Herren, ich möchte eine Bemerkung zu uns selbst, zum Parlament, machen. Ich trete dafür ein, daß wichtige Festlegungen künftig nur noch in Gesetzesform erfolgen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)




Gerhart Rudolf Baum
Wir haben es zugelassen, daß wichtige Bereiche in Verordnungen geregelt wurden, für die der Bürger uns, das Parlament, verantwortlich macht.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

Letzlich ist dies durch Beamte und Minister auf Bundes- und Landesebene geschehen. Wir müssen die Kompetenz in dieses Parlament zurückholen!
Zum Abschluß möchte ich den Vorsitzenden des Club of Rome zitieren:
Die Verantwortlichen müssen begreifen, daß alles zusammenhängt: das Energieproblem, das Nahrungsmittel-, das Bevölkerungs- und das Klimaproblem. Keines dieser Probleme kann isoliert betrachtet und gelöst werden. Es bedarf einer großen gemeinsamen Anstrengung der gesamten Welt.
Wir sollten also unsere nationale Umweltpolitik fortführen. Wir sollten möglichst viele Pflöcke einsetzen, aber nicht vergessen, daß durchgreifende Veränderungen nur in einem Miteinander der gesamten Industriestaaten und darüber hinaus der Völkergemeinschaft zu erzielen sind. Die UNO muß eine neue Rolle bekommen. UNEP, die Umweltorganisation der UNO, muß mehr Kompetenzen bekommen. Es ist eine Aufgabe, die gleichberechtigt neben die Aufgabe der Friedenssicherung treten muß. Dafür treten wir ein.
Wir unterstützen mit Nachdruck diesen Haushalt und die Politik des Umweltministers und stimmen dem Haushalt zu.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1205911900
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Feige.

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205912000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe vorhin bei dem etwas größeren Haushaltsbrocken von Herrn Krause so viel Zeit gebraucht, daß mir jetzt nur noch wenig bleibt, um etwa dem, was Herr Baum eben gesagt hat, dem Wiederhereinholen von grundsätzlichen Problemen in das Parlament, zustimmen zu können. Auch das, was mein Kollege von der SPD gesagt hat, war für mich sehr beeindruckend. Ich kann vielem folgen. Ich denke, daß es z. B. bei der Novellierung des Naturschutzgesetzes, die Sie, Herr Baum, gerade angesprochen haben, durchaus eine interessante und auch spannende Zusammenarabeit geben kann.
Ich habe nur drei Minuten Zeit. Ich hatte vorhin gedacht, daß es bei dem Etat des Herrn Töpfer, wenn ich ihn in Proportion zum Krause-Etat stelle, nur Sekunden sind. Sie haben mich auf die 8 Milliarden DM in anderen Töpfen hingewiesen, die zusammenkommen. Dann haut das mit den drei Minuten vielleicht wieder hin.
Ich muß aber sagen: Die anderen Töpfe sind auch hier mehrfach verkauft worden. Das ist das, was mich an der ganzen Sache ein bißchen stört: daß ein und dieselben Mittel als Hilfe gerade für die neuen Länder insgesamt doppelt verkauft werden. Wir dürfen es uns als Parlament nicht leisten, zu suggerieren, daß wir etwas tun, wofür wir die Mittel gar nicht haben.
Ich habe das Wort „lamentieren" gehört. Vielleicht waren die GRÜNEN damit gemeint. Vielleicht hätte Herr Töpfer aber gar nicht so eine große Wirksamkeit erreicht — wenn er sie denn hat, zumindest in den Ankündigungen — , wenn er nicht die Chance gehabt hätte, auf die Probleme hingewiesen zu werden. Wenn die, die draußen lamentieren, wirklich Sorgen nennen, sollte man das als Hilfe für die Arbeit des Umweltministeriums akzeptieren.

(Michael von Schmude [CDU/CSU]: Es ist meistens Hilflosigkeit!)

Es wurde das Bild vom Anpacken gebracht. Gut, man kann anpacken. Aber man muß auch hochheben. Und beim Hochheben kommt es darauf an, auf welchem Untergrund man steht, welche Partei das ist. Wenn der Untergrund zu weich ist, kann man auch einsacken.
Ich möchte doch noch auf das Naturschutzgesetz hinweisen, dessen Novellierung lange genug angekündigt ist. Wenn die Eckwerte so sind, wie man hört — ab und zu dringt etwas durch — , dann bin ich wirklich zu einer Zusammenarbeit bereit. Ich vermisse dieses Thema hier im Bundestag. Daß wir überhaupt über Naturschutz sprechen, ist schon beachtlich. Der Ausschuß und auch das Ministerium führen den Naturschutz im Namen. Aber praktisch ist außer dem Angehen von ein paar Alibi-EG-Problemen auf diesem Gebiet nichts passiert.

(V o r s i t z : Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg)

Ich freue mich auf die neue Entwicklung. Ich sehe jedoch ein ganz wichtiges Problem. Die entscheidende Frage betrifft die Landwirtschaftsklausel, die vielleicht die bisherigen Schwierigkeiten erst gebracht hat. Wenn aber das Gesetz irgend etwas bewegen soll, muß das jetzt im Haushalt erscheinen. Wo sind die etwa 300 Millionen DM, die notwendig wären, um die Befreiung von der Klausel durchzusetzen und garantieren zu können? Ich habe die böse Ahnung, daß wir das beschließen, aber wann es wirksam wird, kann lange dauern. — Was soll die rote Lampe? Heißt das, es ist Schluß?

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205912100
Die rote Lampe deutet an, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1205912200
Meine drei Minuten sind also abgelaufen. Ich dachte, ich hätte noch etwas Zeit, aber gut.
Ich glaube, daß es insgesamt ganz spannend wird. Ich hatte mich heute eigentlich auf Herrn Töpfer gefreut. Denn er hat mir letztens gesagt, daß er mir da und dort noch etwas beibringen will. Ich habe damit gerechnet, daß er das heute macht. Nun steht er auf der anderen Seite, in Australien, mit dem Kopf nach unten. Hoffentlich schadet es ihm nichts, und er bleibt mit beiden Beinen auf dem Boden. Vielleicht kann das, war er mir zu sagen hat, auch Herr Schmidbauer sagen.
Schönen Dank.

(Beifall bei der FDP und der PDS/Linke Liste)





Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205912300
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1205912400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Feige, ich will Ihr Naturbild nicht verändern. Wenn Sie aber der Meinung sind, daß sich die Antipoden entsprechend bewegen, rate ich Ihnen, dort hinzufahren. Reisen bildet.
Ich denke, daß wir uns erst einmal für die gute Kooperation mit den Berichterstattern und für die konstruktive Zusammenarbeit bei Herrn von Schmude, Herrn Wagner und Frau Albowitz bedanken müssen. Das soll in diesem Bereich im Vordergrund stehen.
Das zweite ist, daß wir uns in der Realisierung unserer umweltpolitischen Gesamtkonzeption hin zu einer ökologisch verträglichen Sozialen Marktwirtschaft nicht beirren lassen. Dieser Pfad war in der Vergangenheit sehr gut. Wer sich heute darüber Rechenschaft ablegt, der muß sagen, daß wir eine gute Bilanz ziehen können. Aber nichts ist so gut, als daß es nicht noch verbessert werden kann. Das ist die Arbeit, die wir uns hier vorgenommen haben. Dies soll auf insgesamt drei Handlungsfeldern geschehen:
Erstens im nationalen Bereich, und hier vorwiegend natürlich im Rahmen der Arbeit und der Aufgaben in den fünf neuen Bundesländern. Hier gehe ich davon aus, daß wir vom Parlament intensivst unterstützt werden.
Das zweite Feld ist, daß die europäische Umweltpolitik als zentraler Punkt immer stärker in den Mittelpunkt gerückt werden muß. Ich bin dem Kollegen Baum sehr dankbar. Er hat die Felder aufgezeigt. Er hat auch deutlich gemacht, daß wir, wenn wir über nationale Politik sprechen, im nationalen Bereich Bilanz ziehen und sehen müssen, daß wir die Umweltpolitik im europäischen Bereich Schritt halten lassen und mitgehen lassen und daß Standards und Normen sowie die Realisierung und der Stand der Technik nur dann insgesamt in Europa wirken, wenn alle europäischen Partner dies in gleicher Weise sehen. Das wird sicher eine der Aufgaben in der Zukunft sein.
Herr Kollege Baum, ich erinnere nur an den Beschluß aus dem Jahr 1988, eine europäische Umweltagentur einzurichten. Wir haben diesen Beschluß noch nicht umgesetzt. Das heißt, wir haben noch viel zu tun und sollten uns voll auf diesen Punkt konzentrieren.
Der dritte Punkt ist der internationale Bereich. Auch hier haben wir eine Menge von Aufgaben; aber sicher nicht die, Herr Kollege Wagner, die Sie hier soeben angesprochen haben, nämlich daß wir nur Zahlmeister seien. Wir tragen Verantwortung. Aber in diese Verantwortung müssen alle anderen Partner integriert werden. Wir würden uns übernehmen, wenn wir das Heil oder das Unheil allein finanziell verantworten wollten.
In diesem Zusammenhang will ich Ihnen, Herr Kollege Wagner, sagen — ich habe Ihre Ausführungen vorhin auch nicht als eine böse Äußerung gegenüber Minister Töpfer verstanden — , daß er heute genau das tut. Er sucht Freunde, Verbündete und Partner für
eine Umweltpartnerschaft. Dazu gehört eben das Gespräch vor Ort. Sie können davon ausgehen, daß Klaus Töpfer bei seiner derzeitigen Reise den Mittelpunkt seiner Gespräche darin sieht, daß wir bei der UNCED-Konferenz 1992, von der sehr viel abhängt, Erfolg haben werden. Dieser Erfolg, den wir alle wollen, spiegelt sich auch in der Vorbereitung dieser bilateralen Gespräche wider.
Herr Kollege Wagner, ich fand es gut, daß Sie die kleine Broschüre gelesen haben. Das ist ein Zeichen dafür, daß unsere Informationspolitik bis in Ihre Kreise reicht und daß Sie inzwischen unsere Verpackungsverordnung bei sich tragen. Es ist wichtig, daß Sie das gut lesen. Ich bin für diesen Punkt sehr dankbar.
Klaus Töpfer ist der Minister, der im Rahmen dieser neuen Produktverantwortung dafür sorgt, daß wir den Weg einer hochmodernen Abfallwirtschaft gehen. Wir gehen schonend und nicht schrankenlos mit unseren beschränkten Ressourcen um. Das bedeutet, daß man die Verpackungsverordnung als Prototyp begreifen muß.
Mir ist natürlich klar, daß Sie, Herr Wagner, als Haushälter dies bei 3,4 %o als verbale Rhetorik benutzen. Im Grunde wissen Sie genau, daß diese Verpakkungsverordnung allein für Investitionen in Höhe von sieben Milliarden DM bei uns gut ist. Das ist doch viel entscheidender, als irgendwo in einem Haushalt ein paar Milliarden DM einzusetzen. Dafür gibt es auch einen Verursacher. Wir wollen mit dem Prototyp der Verpackungsverordnung gemeinsam mit der Wirtschaft die marktwirtschaftlichen Instrumente erproben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich sage Ihnen: Dies wird ein politischer Renner. Die Produzenten werden sich entsprechend umstellen. Wir werden zum erstenmal eine vernünftige Vermeidungsstrategie auf den Weg bringen. Wer da noch Beispiele braucht, der sollte sich in anderen Ländern umsehen.

(Zurufe von der SPD)

— Ich will Ihnen ein gutes Beispiel nennen: Schauen Sie sich die Verpackungsverordnung Österreichs an, die z. Z. beraten und umgesetzt wird.

(Weitere Zurufe von der SPD)

— Schauen Sie sich an, was Frankreich macht. Schauen Sie sich die Niederlande an. Schauen Sie sich Dänemark an.

(Erneute Zurufe von der SPD)

— Schauen Sie sich Dänemark an. Liebe Kollegen, lassen Sie sich doch nicht gleich beirren, wenn andere Länder dafür ein Stück länger brauchen. Das haben wir in der Vergangenheit gerade erlebt. Wir waren doch diejenigen, die durch diese Vorreiterrolle ein Beispiel gegeben haben.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch keine Vorreiterrolle! — Weitere Zurufe von der SPD)

Nur, die Vorreiterrolle darf natürlich nicht dahin führen, daß Sie uns am Ende sagen, wir hätten Arbeits-



Parl. Staatssekretär Bernd Schmidbauer
plätze gefährdet, für den Fall, daß wir — und nur wir — nationale Alleingänge unternehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205912500
Herr Abgeordneter, vielleicht ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß Sie im Augenblick nicht das Wort haben.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1205912600
Dies ist doch der entscheidende Punkt, und ich sage Ihnen voraus: Dieser Prototyp „ Verpakkungsverordnung " als marktwirtschaftliches Instrument — das betrifft auch das duale System — wird Erfolg haben. Hier haben wir Pfähle eingeschlagen, von denen wir sagen können: Hier wird Kontrolle stattfinden, aber die Wirtschaft kann beweisen, ob sie in der Lage ist, mit solchen Instrumenten umzugehen.
Wie gesagt, Sie werden den Beweis bekommen; wir werden Erfolg damit haben. Wir werden Verpakkungsmengen reduzieren, wir werden verwerten, wir werden es in Zukunft mit intelligenteren Verpackungen zu tun haben,

(Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Sehr gut!)

wir werden Innovationsschübe in der Wirtschaft erleben, wir werden die Kreativität der Wirtschaft erleben, und ich garantiere Ihnen: Dies wird auch ein Erfolg von Klaus Töpfer im Zusammenhang mit diesen Aufgaben sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Hervorragend!)

Dies ist ein Mosaikstein. Auch wenn ich gegenwärtig in der Zeitung lese, was wir alles an Belastungen vorhätten, will ich Ihnen einmal folgendes sagen. Die Realität sieht anders aus. Das ist die Diskussion, die draußen geführt wird.
Wir haben vor, systematisch Mosaikstein an Mosaikstein zu legen. Ich erwähne nur die ElektronikSchrott-Verordnung: Wollen wir eigentlich, daß unser Markt von irgendwelchen Märkten her in Zukunft mit Gütern überschwemmt wird, die wir nicht entsorgen können, oder wollen wir nicht vielmehr den internationalen Konsens über recyclingfähige Produkte haben? Sie werden als zweiten Schritt von uns die Elektronik-Schrott-Verordnung erleben, die wir brauchen und die umgesetzt wird. Sie werden auch sehen, daß Auto-Recycling funktioniert. Während Sie noch Klaus Töpfer angreifen, produzieren die Automobilhersteller bereits entsprechende Automobile, die recycelbar sind. Vielleicht ist nicht einmal mehr eine Verordnung nötig, wenn wir sehen, wie die Industrie in vorauseilendem Gehorsam diesen Prinzipien nacheifert.
Der zweite Punkt, Herr Kollege Wagner, war die Forderung, bilaterale Abkommen mit Leben zu erfüllen. Sie haben Recht. Dazu sind auch finanzielle Hilfen notwendig, aber es muß auch einmal deutlich gemacht werden, was geschehen ist: Wissen Sie, ohne
diese bilateralen und trilateralen Abkommen hätten wir keine Elbe-Schutz-Konvention. Sie führen dies ja aus und diskutieren es auch im Haushaltsausschuß. Wir sind deshalb sehr dankbar, daß wir zum erstenmal Mittel haben, um diese grenzüberschreitende Problematik gemeinsam angehen zu können. Die Elbe wird Fortschritte machen; wir werden in diesen Wochen ein „Aktionsprogramm Elbe" auf den Tisch legen. Das kostet natürlich Geld, aber nur dann kann dort Umweltschutz praktiziert werden.
Damit bin ich wieder bei einem Beispiel. Umweltpolitische Regelungen wie zum Beispiel das Wasserhaushaltsgesetz mit seinen Verordnungen bewirken einen Investitionsschub von mehreren Milliarden DM für den Bau von Kläranlagen. Das steht natürlich nicht in unserem Haushalt, aber es ist ein Erfolg dieser Politik, daß die Kläranlagen bei uns nach dem Stand der Technik gebaut werden, und es ist ein Glück, daß wir auch in den neuen Bundesländern diesen Stand der Technik jetzt realisieren, um damit auch den Bürgern in den neuen Bundesländern in den nächsten Jahren dieselbe Wasserqualität bieten zu können.
Es gäbe kein Ostsee-Schutz-Programm, gäbe es nicht bilaterale Abkommen; es gäbe kein Nordseeschutzprogramm, gäbe es keine bilateralen Abkommen, und es gäbe keinen Fortschritt in der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion im Hinblick auf kerntechnische Sicherheit.
Ich verstehe das Argument nicht, daß wir kein Geld für die Schulung von Fachkräften in Greifswald am Simulator einsetzen sollen.

(Zuruf von der SPD: Das habe ich nicht gesagt!)

— Ich habe Sie im Augenblick gar nicht gemeint, aber Sie haben Greifswald angesprochen und in dem Zusammenhang gesagt: „Hier ist auch europäische Hilfe notwendig" . Recht haben Sie; 13 Millionen ECU der EG für Bulgarien sind dafür ein guter Anfang. Es ist nicht so, daß die Bundesrepublik Deutschland allein bezahlt. Die Sicherheit der Kernreaktoren unserer östlichen Nachbarn ist auch ein Problem Frankreichs, ist auch ein Problem Dänemarks, ist auch ein Problem Österreichs. Nur, wenn wir hier die Chance haben, allein noch einen funktionierenden Simulator zur Verfügung zu haben, an dem Fachkräfte ausgebildet werden sollten, dann sollten wir uns da nicht verweigern; wir sollten das eine tun und das andere nicht lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Wer war es eigentlich, wenn nicht Klaus Töpfer, der jetzt den Bericht über die Sicherheit der Kernreaktoren bei unseren östlichen Nachbarn vorgelegt hat? — Übrigens haben wir, diese Bundesregierung, selbst zum erstenmal Kernreaktoren abgeschaltet — aus Sicherheitsgründen — : Kein Rabatt für Sicherheit! Hierüber, über diese Probleme, wird auf der Straße diskutiert. Wir haben gehandelt und machen damit deutlich, daß wir diese Verantwortung sehen.
Aber meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Bundesrepublik Deutschland allein kann nicht die Reaktoren in der Sowjetunion sicherer machen. Wir



Parl. Staatssekretär Bernd Schmidbauer
können nur darauf hinweisen, daß dies eine allgemeine internationale Aufgabe ist, bei der wir bereit sind, unseren Beitrag zu leisten. Ich will sehen, wenn es dort Probleme gibt, wer uns dann als erster vorwirft, daß wir dies nicht insgesamt finanziert haben, wenn Sie heute hingehen und sagen: Wir brauchen die internationale Gemeinschaft.
Ich meine überhaupt: Mit Partnern zu reden heißt nicht, sie zu verteufeln, sondern heißt, in einem zähen Ringen letztendlich seine Meinung überzubringen und um Freunde und Partner zu werben. Das gilt insbesondere dann, wenn wir über Reaktorsicherheit bei unseren Nachbarn reden.
Dazu gehört dann aber auch, ja zu der Verantwortung zu dem Notwendigen an Kernenergie in unserem Land zu sagen und sich nicht vor der Verantwortung zu drücken, wenn es um die Entsorgung in Niedersachsen oder um die Versorgung in Hessen geht. Beides gehört zusammen. Wer über Sicherheit mitreden will, kann sich hier nicht abmelden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich komme zu weiteren Themen, z. B. zum Tempolimit. Ich will ein für alle Mal — auch für Klaus Töpfer — mit diesen Dingen aufräumen. Es gibt in der Bundesregierung keinen Dissens über Blechschilder. Wir haben überhaupt nicht vor, mit Blechschildern Verkehrsregelung zu machen. Blechschilder bedeuten ein einheitliches Verbot auf allen Strecken mit einer Geschwindigkeitsangabe. Erklären Sie einmal den Bürgern Ihr Programm, das auf Grund von Schildern Geschwindigkeiten von 100, 120 und 130 km/h vorsieht. Wir erklären den Bürgern: Für uns gibt es kein Tempolimit mit Blechschildern. Wir wollen intelligentere Verkehrslenkung. Wir wissen, daß der Stau trotz Blechschildern entsteht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Genau! Wie der CSU-Parteitag!)

Es wird sich nicht lange aufrechterhalten lassen, daß mit einem solch primitiven Ansatz die Verkehrsprobleme der 90er Jahre zu regeln sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Genau! Hervorragend! Wie auf dem CSU-Parteitag!)

Wenn es Massenunfälle gibt und davor das Blechschild steht, weil kein Indikator für ein angepaßtes Geschwindigkeitsniveau vorhanden war, hat dieses Schild auch nicht geholfen.
Ich will Ihnen etwas zu Zahlen sagen. Schauen Sie sich auch einmal die Untersuchungen an, die Ihnen Auskunft über die Reduzierungsmöglichkeit geben, und rechnen Sie sich bei diesen Dingen nicht insgesamt gesund!
Ich will noch eine Anmerkung zur Frage der tropischen Hölzer machen. Ich finde es richtig, daß hier registriert wurde, daß der Bundeskanzler bei seiner Reise — wenn ich Sie richtig verstanden habe, auch in Ihrem Sinne — auf die wichtigen Punkte dieses Problems hingewiesen habe. Da gehört eben mehr dazu, als nur mit Patentrezepten und falschen Argumenten zu operieren.
Ein falsches Argument ist, daß die Bundesrepublik Deutschland der Hauptnutzer von tropischem Holz ist. Ich will Ihnen eine Zahl nennen: Ein großer asiatischer Handelspartner verwendet das Dreifache an tropischen Hölzern im Verhältnis zur gesamten Europäischen Gemeinschaft.

(Zuruf von der CDU/CSU: Schlimm genug!)

Wenn das so ist, ist zumindest die Aussage von vorhin falsch gewesen. Eines aber ist richtig: Man kann nicht einerseits nur auf tropische Wälder hinweisen und bei sich selber die Hausaufgaben nicht machen. Ich finde, wir haben unsere Hausaufgaben gut gemacht.
Damit dies nicht nur so stehenbleibt und damit nicht immer nur davon gesprochen wird, daß da einiges nicht funktioniere, will ich Ihnen zum Schluß nur noch zwei Beispiele nennen: Wir haben im Rahmen der internationalen Vereinbarungen in den letzten Jahren — 1984, 1988 und 1991 — drei wichtige Abkommen unterzeichnet. Es fällt auf, daß ich hier 1970 und die 70er Jahre insgesamt auslassen muß. Das liegt nun nicht an der Regierung, sondern hängt einfach damit zusammen, daß wir international in den letzten Jahren ein Stück weitergekommen sind.
Wir haben in der vergangenen Woche im Rahmen der ECE das Dritte Protokoll für flüchtige organische Verbindungen unterzeichnet, die wir zusammen mit Kanada und den USA um 30 % reduzieren. Das war das Folgeprogramm für Stickoxidreduktionen um 30 %; das war das Folgeprogramm für S02-Reduzierungen. Das wirkt wesentlich mehr als alle nationalen Anstrengungen, wie etwa die Übernahme in den nationalen Bereich.
Aber ich will auch noch das zweite Beispiel nennen. Das ist der Bereich Automobil und technische Maßnahmen, der für Pkw und Lkw gleichermaßen gilt. Das Dreistufenkonzept hat die Technik europaweit voll ausgereizt. Es hat niemand registriert, daß bei uns im Benzin Scavenger verboten und die Gaspendlungsverordnung eingeführt worden ist, und zwar mit all den Schwierigkeiten, wenn es darum geht, auch den Tankstellenbesitzern klarzumachen, was eigentlich unser Ziel ist. Wir müssen ein Stück weit Rücksicht auf die Arbeitsplätze in einer solchen Branche nehmen, die die Versorgung mit Kraftstoffen übernimmt.
Wir haben für das Umsetzen dieser Maßnahmen Partner gefunden. Wir werden — so hoffe ich trotz aller Presseerklärungen der letzten Tage — auch dann Partner finden, wenn wir sinnvolle Lenkungsabgaben auf den Weg bringen. Es wird keine Häufung geben. Lenkungsabgaben werden bei uns im Bereich des Abfalls diskutiert. Wir werden uns hier nicht festlegen. Wir werden uns aber dann festlegen, wenn es eine Kompensation, eine wirkliche Lenkung, Härtefallregelungen gibt und wenn die Zeitachse beachtet wird. Dann bin ich überzeugt, daß wir mit unserer erfolgreichen Umweltpolitik fortfahren können.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1205912700
Meine Damen und Herren, wir können nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 16 kommen. Wer stimmt



Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
dem Einzelplan 16 in der Ausschußfassung zu? — Wer stimmt dagegen? — Dann ist der Einzelplan 16 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die vereinigte Opposition angenommen worden.
Ich gebe Ihnen nunmehr das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/1642 zum Einzelplan 25 — es handelt sich um den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — bekannt.*) Abgegebene Stimmen: 558, ungültig: keine. Mit Ja haben gestimmt: 213. Mit Nein haben gestimmt: 345. Enthaltungen: ebenfalls keine.
*) Vgl. Seite 4952D
Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 558;
davon
ja: 213
nein: 345
Ja
SPD
Frau Adler
Andres
Frau Barbe
Bartsch
Becker (Nienberge) Frau Becker-Inglau Beucher
Bindig
Frau Bock
Dr. Böhme (Unna) Brandt
Frau Brandt-Elsweier Dr. Brecht
Büchner (Speyer)

Dr. von Bülow
Büttner (Ingolstadt) Frau Bulmahn
Bury
Frau Caspers-Merk Catenhusen
Conradi
Daubertshäuser
Dr. Diederich (Berlin) Diller
Frau Dr. Dobberthien Dreßler
Duve
Ebert
Dr. Eckardt
Dr. Ehmke (Bonn) Dr. Elmer
Erler
Esters
Ewen
Frau Ferner
Frau Fischer

(Gräfenhainichen) Fischer (Homburg) Formanski

Frau Fuchs (Köln)

Frau Fuchs (Verl) Fuhrmann
Frau Ganseforth
Gansel
Dr. Gautier
Gilges
Frau Gleicke Graf
Großmann
Haack (Extertal) Habermann Hacker
Frau Hämmerle Frau Hanewinckel
Frau Dr. Hartenstein Heistermann
Heyenn
Hiller (Lübeck) Hilsberg
Dr. Holtz
Horn
Ibrügger
Frau Iwersen Frau Jäger
Frau Janz
Dr. Janzen
Dr. Jens
Jung (Düsseldorf) Jungmann (Wittmoldt) Frau Kastner Kastning
Kirschner
Frau Klappert Frau Klemmer Klose
Dr. sc. Knaape Körper
Frau Kolbe
Kolbow
Koltzsch
Kubatschka Dr. Kübler
Kuessner
Dr. Küster
Kuhlwein
Lambinus
Frau Lange von Larcher Leidinger
Frau Dr. Leonhard-Schmid Frau Dr. Lucyga
Maaß (Herne) Frau Marx
Frau Mascher Matschie
Dr. Matterne
Frau Matthäus-Maier
Frau Mattischeck
Meckel
Frau Mehl
Dr. Mertens (Bottrop) Mosdorf
Müller (Schweinfurt)

Frau Müller (Völklingen) Müller (Zittau) Müntefering
Neumann (Bramsche) Neumann (Gotha)
Frau Dr. Niehuis
Dr. Niese
Frau Odendahl Oesinghaus Opel
Ostertag
Frau Dr. Otto Dr. Penner Peter (Kassel) Pfuhl
Dr. Pick
Poß
Purps
Reimann
Frau von Renesse Reschke
Reuschenbach
Reuter
Roth
Schäfer (Offenburg)

Frau Schaich-Walch Scheffler
Schily
Schloten
Schluckebier Schmidbauer (Nürnberg) Frau Schmidt (Aachen) Schmidt (Salzgitter)
Frau Schmidt-Zadel
Dr. Schmude Dr. Schnell
Dr. Schöfberger Schreiner
Frau Schröter Schröter
Schütz
Dr. Schuster Schwanitz Frau Seuster Sielaff
Frau Simm Singer
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Dr. Sonntag-Wolgast Sorge
Dr. Sperling Frau Steen Steiner
Stiegler
Dr. Struck Tappe
Frau Terborg Dr. Thalheim Thierse
Tietjen
Frau Titze Toetemeyer Urbaniak
Vergin
Verheugen Dr. Vogel
Wagner
Wallow
Waltemathe Walter (Cochem)

Walther (Zierenberg) Wartenberg (Berlin)
Frau Dr. Wegner Weiermann
Frau Weiler Weis (Stendal) Weißgerber
Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Wernitz
Frau Wester Frau Westrich
Frau Wettig-Danielmeier Frau Dr. Wetzel
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Wieczorek (Duisburg)

Frau Wieczorek-Zeul Wiefelspütz
Wimmer (Neuötting)

Dr. de With Frau Wolf Frau Zapf
PDS/LL
Frau Braband
Dr. Briefs
Frau Dr. Enkelmann
Dr. Gysi
Dr. Heuer Frau Jelpke Dr. Keller Frau Lederer
Dr. Modrow Dr. Riege
Dr. Schumann (Kroppenstedt) Dr. Seifert
Frau Stachowa
Bündnis 90/GRÜNE
Dr. Feige
Poppe
Frau Schenk Schulz (Berlin) Weiß (Berlin)
Fraktionslos Henn
Nein
CDU/CSU
Frau Dr. Ackermann
Adam
Dr. Altherr Frau Augustin
Augustinowitz
Austermann Bargfrede Dr. Bauer
Frau Baumeister
Bayha
Belle
Bierling
Dr. Blank Frau Blank Dr. Blens Bleser
Dr. Blüm
Frau Dr. Böhmer
Börnsen (Bönstrup)

Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen
Borchert
Brähmig
Breuer
Frau Brudlewsky
Brunnhuber
Büttner (Schönebeck)

Buwitt
Carstens (Emstek)

Carstensen (Nordstrand) Dehnel
Frau Dempwolf
Deres
Deß
Frau Diemers
Dörflinger



Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Doss
Dr. Dregger Echternach Ehlers
Ehrbar
Frau Eichhorn
Engelmann Eppelmann Eylmann
Frau Eymer Frau Falk
Feilcke
Dr. Fell
Fischer (Hamburg)

Frau Fischer (Unna) Fockenberg Frankenhauser
Dr. Friedrich Fritz
Fuchtel
Ganz (St. Wendel)

Frau Geiger Geis
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Gerster (Mainz)

Gibtner
Glos
Götz
Dr. Götzer Gres
Frau Grochtmann
Gröbl
Grotz
Dr. Grünewald
Günther (Duisburg) Harries
Haschke (Großhennersdorf) Haschke (Jena-Ost)
Frau Hasselfeldt
Haungs
Hauser (Esslingen)

Hauser (Rednitzhembach) Hedrich
Heise
Frau Dr. Hellwig
Dr. Hennig
Dr. h. c. Herkenrath Hinsken
Hintze
Hörsken
Hörster
Dr. Hoffacker Hollerith
Dr. Hornhues Hornung
Hüppe
Jäger
Frau Jaffke Jagoda
Dr. Jahn (Münster) Janovsky
Frau Jeltsch Dr.-Ing. Jork Dr. Jüttner Junghanns Dr. Kahl
Kalb
Kampeter Dr.-Ing. Kansy
Dr. Kappes Frau Karwatzki
Kauder
Keller
Kiechle
Kittelmann Klein (Bremen)

Klein (München)

Klinkert
Köhler (Hainspitz)

Dr. Köhler (Wolfsburg)

Kolbe
Frau Kors Koschyk
Kossendey Kraus
Dr. Krause (Börgerende) Dr. Krause (Bonese) Krause (Dessau)
Krey
Kriedner
Kronberg Dr.-Ing. Krüger Krziskewitz Lamers
Dr. Lammert Lattmann
Dr. Laufs Laumann Lenzer
Dr. Lieberoth
Frau Limbach
Link (Diepholz)

Dr. Lippold (Offenbach) Dr. sc. Lischewski
Frau Löwisch
Lohmann (Lüdenscheid) Louven
Lummer
Dr. Luther
Maaß (Wilhelmshaven) Frau Männle
Magin
Dr. Mahlo
Frau Marienfeld Marschewski
Marten
Dr. Mayer (Siegertsbrunn) Meckelburg
Meinl
Frau Dr. Merkel
Frau Dr. Meseke
Dr. Meyer zu Bentrup Frau Michalk
Michels
Dr. Mildner Dr. Möller Dr. Müller
Müller (Kirchheim) Müller (Wadern)
Nelle
Neumann (Bremen) Nitsch
Ost
Oswald
Otto (Erfurt) Dr. Päselt Pesch
Petzold
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pfennig Dr. Pflüger Dr. Pinger Pofalla
Dr. Pohler Frau Priebus Dr. Protzner Pützhofen
Frau Rahardt-Vahldieck Raidel
Rau
Rauen
Rawe
Reichenbach
Frau Reinhardt
Repnik
Dr. Rieder
Dr. Riesenhuber
Rode (Wietzen)

Frau Rönsch (Wiesbaden) Frau Roitzsch (Quickborn) Romer
Dr. Rose
Rossmanith
Roth (Gießen) Dr. Ruck
Dr. Rüttgers Sauer (Salzgitter) Sauer (Stuttgart) Scharrenbroich Frau Schätzle Schemken
Scheu
Schmalz
Schmidbauer Schmidt (Fürth)

Dr. Schmidt (Halsbrücke)

Frau Schmidt (Spiesen)

von Schmude
Dr. Schockenhoff
Graf von Schönburg-GlauchauScholz
Frhr. von Schorlemer Schulhoff
Dr. Schulte

(Schwäbisch Gmünd) Schwalbe

Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seibel
Skowron
Dr. Sopart
Frau Sothmann Spilker
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stavenhagen
Frau Steinbach-Hermann
Dr. Stercken
Dr. Frhr. von Stetten Stockhausen
Dr. Stoltenberg Strube
Stübgen
Susset
Tillmann
Dr. Uelhoff
Uldall
Frau Verhülsdonk
Vogel (Ennepetal)

Vogt (Düren) Dr. Vondran Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil
Dr. Warnke Dr. Warrikoff Werner (Ulm) Wetzel
Frau Wiechatzek
Dr. Wieczorek (Auerbach) Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer (Neuss) Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Wittmann (Tännesberg) Wonneberger
Frau Wülfing Frau Yzer
Zeitlmann
Zöller
FDP
Frau Albowitz Frau Dr. Babel Baum
Beckmann
Bredehorn
Cronenberg (Arnsberg) Eimer (Fürth)
Engelhard van Essen Dr. Feldmann
Friedhoff Friedrich Funke
Frau Dr. Funke-Schmitt-Rink Gallus
Ganschow Gattermann Gries
Grünbeck Grüner
u Günther (Plauen)

Dr. Guttmacher
Hackel
Hansen
Dr. Haussmann
Heinrich
Dr. Hirsch Dr. Hitschler
Frau Homburger
Frau Dr. Hoth
Dr. Hoyer Hübner
Irmer
Kleinert (Hannover)

Kohn
Dr. Kolb
Koppelin
Dr.-Ing. Laermann
Frau LeutheusserSchnarrenberger
Lüder
Lühr
Dr. Menzel Nolting
Dr. Ortleb
Otto (Frankfurt)

Paintner
Frau Peters Frau Dr. Pohl
Richter (Bremerhaven)

Rind
Dr. Röhl
Schäfer (Mainz)

Frau Schmalz-Jacobsen Schmidt (Dresden)

Dr. Schmieder
Schüßler
Frau Dr. Schwaetzer
Frau Seim
Frau Seiler-Albring
Frau Dr. Semper
Dr. Sohns Dr. Starnick
Frau Dr. von Teichman Thiele
Dr. Thomae Timm
Türk
Frau Walz
Dr. Weng (Gerlingen) Wolfgramm (Göttingen) Frau Würfel
Zurheide Zywietz
Fraktionslos Lowack



Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Damit ist der Antrag abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich kann damit über den Einzelplan 25 in der Ausschußfassung abstimmen lassen und frage: Wer stimmt für den Einzelplan 25 in der Ausschußfassung? — Wer stimmt dagegen? — Damit ist der Einzelplan 25 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Weitere Wortmeldungen liegen mir für die heutige Sitzung nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 27. November, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen einen vergnüglichen Abend.