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ID1205902200

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    Plenarprotokoll 12/59 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 59. Sitzung Bonn, Dienstag, den 26. November 1991 Inhalt: Tagesordnungspunkt I: Eidesleistung eines Ministers Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 4885 A Friedrich Bohl, Bundesminister (ChefBK) 4885 B Tagesordnungspunkt II: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992 (Haushaltsgesetz 1992) (Drucksachen 12/1000, 12/1329) Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt (Drucksachen 12/1401, 12/1600) 4885D Einzelplan 02 Deutscher Bundestag (Drucksachen 12/1402, 12/1600) 4885 D Einzelplan 03 Bundesrat (Drucksachen 12/1403, 12/1600) 4886A Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen (Drucksachen 12/1408, 12/1600) in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld (Drucksachen 12/1426, 12/1600) in Verbindung mit Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung (Drucksachen 12/1430, 12/1600) in Verbindung mit Einzelplan 20 Bundesrechnungshof (Drucksachen 12/1420, 12/1600) in Verbindung mit Tagesordnungspunkt III: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1991 (Nachtragshaushaltsgesetz 1991) (Drucksachen 12/1300, 12/1587, 12/1599) Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD 4886 C Jochen Borchert CDU/CSU 4892 B Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD 4892D, 4923 B Helmut Esters SPD 4893 A Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) FDP 4897 A Dr. Willfried Penner SPD 4899 C Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste 4900 C Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 4903 D Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 4907 B Joachim Poß SPD 4913 D Josef Duchac, Ministerpräsident des Landes Thüringen 4917 D Helmut Esters SPD 4920 A Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU 4920 D II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1991 Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 4922 C Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD 4926 B Hans-Werner Müller (Wadern) CDU/CSU 4927C Einzelplan 12 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr (Drucksachen 12/1412, 12/1600) Ernst Waltemathe SPD 4930 A Dr. Peter Struck SPD 4931 C Wilfried Bohlsen CDU/CSU 4933D Werner Zywietz FDP 4936 A Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/GRÜNE 4938 A Dr. Günther Krause, Bundesminister BMV 4940 A Ernst Waltemathe SPD 4940 C Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/ GRÜNE 4941 D Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Drucksachen 12/1422, 12/1600) Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD 4943 A Hans-Wilhelm Pesch CDU/CSU 4946 A Carl-Ludwig Thiele FDP 4948 A Rolf Rau CDU/CSU 4949 C Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin BMBau 4951A Namentliche Abstimmung 4952 D Ergebnis 4967 A Einzelplan 16 Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Drucksachen 12/1416 [neu], 12/1600) Hans Georg Wagner SPD 4953 A Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU 4953 B Michael von Schmude CDU/CSU 4956 D Jutta Braband PDS/Linke Liste 4958 C Gerhart Rudolf Baum FDP 4961 C Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/ GRÜNE 4961 D Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/GRÜNE 4963 B Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär BMU 4964 A Nächste Sitzung 4969 C Berichtigung 4969 Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 4971 * A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1991 4885 59. Sitzung Bonn, den 26. November 1991 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 57. Sitzung, Seite 4676A: Die unter ZP 2 und ZP 3 abgedruckten Texte sind zu streichen. Folgende Fassung ist einzufügen: ZP2 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Verhältnisses von Kriegsfolgengesetzen zum Einigungsvertrag — Drucksache 12/1504 — Überweisungsvorschlag: Innenausschuß (federführend) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß ZP3 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung und weiterer Bundesgesetze für Heilberufe — Drucksache 12/1524 — Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 26. 11. 91 * Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 26. 11. 91 Bernrath, Hans Gottfried SPD 26. 11. 91 Blunck, Lieselott SPD 26. 11. 91 ** Börnsen (Ritterhude), SPD 26. 11. 91 Arne Büchler (Hof), Hans SPD 26. 11. 91 Clemens, Joachim CDU/CSU 26. 11. 91 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 26. 11. 91 Herta Doppmeier, Hubert CDU/CSU 26. 11. 91 Genscher, Hans-Dietrich FDP 26. 11. 91 Dr. Glotz, Peter SPD 26. 11. 91 Helmrich, Herbert CDU/CSU 26. 11. 91 Jaunich, Horst SPD 26. 11. 91 Koschnick, Hans SPD 26. 11. 91 Kretkowski, Volkmar SPD 26. 11. 91 Kubicki, Wolfgang FDP 26. 11. 91 Dr. Lehr, Ursula CDU/CSU 26. 11. 91 Meißner, Herbert SPD 26. 11. 91 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 26. 11. 91 ** Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 26. 11. 91 Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Nolte, Claudia CDU/CSU 26. 11. 91 Dr. Paziorek, Peter Paul CDU/CSU 26. 11. 91 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 26. 11. 91 * Rempe, Walter SPD 26. 11. 91 Rennebach, Renate SPD 26. 11. 91 Rixe, Günter SPD 26. 11. 91 Dr. Scheer, Hermann SPD 26. 11. 91 Schmidt (Mülheim), CDU/CSU 26. 11. 91 Andreas Schuster, Hans Paul FDP 26. 11. 91 Hermann Seidenthal, Bodo SPD 26. 11. 91 Dr. Soell, Hartmut SPD 26. 11. 91 ** Stübgen, Michael CDU/CSU 26. 11. 91 Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 26. 11. 91 Dr. Ullmann, Wolfgang Bündnis 26. 11. 91 90/GRÜNE Voigt (Frankfurt), SPD 26. 11. 91 Karsten D. Dr. Voigt (Northeim), CDU/CSU 26. 11. 91 Hans-Peter Vosen, Josef SPD 26. 11. 91 Wollenberger, Vera Bündnis 26. 11. 91 90/GRÜNE Zierer, Benno CDU/CSU 26. 11. 91 ** * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Werner Schulz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Beratung des Bundeshaushalts 1992 findet in einer Zeit großer Umbrüche und Veränderungen statt.
    Der Zerfall des osteuropäischen sozialistischen Staatensystems, der die deutsche Einheit ermöglichte, ist eine große Herausforderung für die Stabilität und den Frieden in Europa. Die westeuropäische Staatengemeinschaft war nicht in der Lage, die jugoslawische Tragödie zu verhindern. Sie ist — so scheint es zumindest — genauso hilflos angesichts der dramatischen Entwicklung in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion.



    Werner Schulz (Berlin)

    Einige Tage vor dem Gipfel in Maastricht zeichnen sich auch für den europäischen Integrationsprozeß nicht zu übersehende Risiken und Konflikte ab. Ein Jahr nach der Vereinigung von Ost- und Westdeutschland ist die neue Bundesrepublik ein Land der zwei Geschwindigkeiten: im Westen ein relativ hohes, wenngleich sich abschwächendes Wirtschaftswachstum, im Osten dagegen ein zunehmender Verlust an Industriesubstanz und ein dramatischer Anstieg der Arbeitlosigkeit.
    Die Menschen in Ost und West sind noch weit von einer Gleichheit der Lebensverhältnisse — wie sie das Grundgesetz postuliert — entfernt. Das gilt nicht nur in ökonomischer Hinsicht; zu weit haben sich die beiden Gesellschaften in den vergangenen Jahrzehnten auseinanderentwickelt. Die wirtschaftlichen, sozialen, auch psychosozialen Differenzen werden noch lange anhalten und nachwirken. Gewiß, die Lebensbedingungen werden sich auch dank der keineswegs geringen Unterstützungsleistungen aus dem Westen nach und nach verbessern. Zunächst aber sind die wirtschaftlichen Gewinner des Einigungsprozesses vor allem im Westen zu finden. Dazu gehört auch der Vermögenszuwachs, der aus der Rückgabe von Grundstücken und Firmen an die ursprünglichen Eigentümer im Westen resultiert.
    Die Bundesregierung hat mit ihren Gesetzen zur Regelung der Eigentumsverhältnisse zu dieser Entwicklung beigetragen. In Art. 14 des Grundgesetzes heißt es: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. " Die geltenden Regelungen der ungeklärten Eigentumsverhältnisse sprechen diesem Verfassungsprinzip Hohn. Nicht ein „Schnäppchen DDR" wurde gemacht, wie Günter Grass es nannte, sondern tagtäglich finden Enteignungen statt. Vom Einfamilienhäuschen bis zur Altenburger Spielkartenfabrik reicht der westliche Zugriff. Das sogenannte Enthemmungsgesetz vom Frühjahr dieses Jahres, das Vorfahrt für Investitionen in den neuen Bundesländern vorsah, hat offensichtlich nur die Hemmungslosigkeit von Grundstücksspekulanten angeregt. Was sich hier zur Zeit ereignet, ist ein Skandal ersten Ranges.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Besonders im Umfeld von Berlin sehen sich die Gemeinden einem wahren Sturm auf ihre Häuser und Höfe ausgesetzt. Der Justizminister von Brandenburg hat es klipp und klar gesagt: In der Eigentumsfrage ist der Rechtsfriede tief gestört. — Die im Einigungsvertrag und im Vermögensgesetz getroffenen Regelungen weisen erhebliche Mängel auf. Sie werden den sozialen Verhältnissen in den neuen Bundesländern nicht gerecht. Die jetzige Anwendung des Prinzips „Rückgabe vor Entschädigung" führt zu einer erneuten Entrechtung der Bürgerinnen und Bürger der neuen Bundesländer. Hier muß ein neues Verfahren gefunden werden, das die Besitzstände der neuen Bundesbürger angemessen berücksichtigt.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste — Zurufe von der CDU/CSU: Warum klatscht denn von Ihrer Gruppe niemand? — Wo ist denn die Gruppe der GRÜNEN?)

    Die Bundesregierung hat sich den Herausforderungen nicht voll gestellt. Die Vorlage des Haushaltsentwurfs bestätigt dies erneut. Sie demonstriert Selbstzufriedenheit, wo Kritik angemessen ist, sie unterschätzt oder verschleiert die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Probleme. Es rächt sich nun, daß der Glaube an den schnellen Aufschwung im Osten die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung so lange bestimmt hat. Ich übersehe nicht, daß auch ein Teil der Wirtschaftsexperten in diesem Land von einer schnellen ökonomischen Transformation ausgegangen war. Die Bundesregierung konnte sich die ihr genehmen Ratgeber also aussuchen. Vor allem zu nennen sind die Gefälligkeitsgutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft, die besonders in der CDU so nachhaltig Einfluß erlangt haben

    (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!) und auch den Bundeskanzler in die Irre führten.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

    Auch die Expertise der fünf führenden Forschungsinstitute war nicht frei von überoptimistischen Erwartungen. Ein Vorwurf bleibt aber bestehen: Der Bundeskanzler hat die Warnungen, die ebenfalls unüberhörbar waren, nicht ernst genommen. Er hat sich vielmehr an das Diktum Machiavellis gehalten:

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ein böser Kanzler!)

    Ein Fürst soll sich beraten lassen, aber nur dann, wenn er es will, und nicht, wenn es ein anderer will. Er soll auch jedem den Mut nehmen, ihm ungefragt Rat zu erteilen.
    Einigen ist wahrlich der Mut abhanden gekommen, unbequeme Wahrheiten deutlich auszusprechen. Dennoch, der Sachverständigenrat hatte schon im Frühjahr 1990 vor den Folgen einer schnellen ökonomischen Integration gewarnt. Die Bundesregierung hatte damals die Risiken bewußt übersehen; sie hat sie auch später nicht wahrnehmen wollen. Darin bleibt sie beständig; auch Ende des Jahres 1991 werden die Warnungen noch immer nicht ernst genommen.
    Ich frage den Finanzminister: Warum gelang es Ihnen nicht, eine gemeinsame Stellungnahme — mit dem Wirtschaftsminister — zum Gutachten des Sachverständigenrates abzugeben? War die Kritik des Rates an Ihrer Finanzpolitik zu deutlich ausgefallen, oder war Herr Möllemann nicht davon abzubringen, diese Kritik des Rates auch noch hervorzuheben?
    Sie verdrehen die Tatsachen, wenn Sie in Ihrer Erklärung zum Jahresgutachten behaupten, daß sich die Finanzpolitik klar an der vom Sachverständigenrat bevorzugten wachstumsorientierten Konzeption ausrichtet. Das Gegenteil ist richtig. Darauf haben die Kommentatoren in den Medien zu Recht verwiesen. Die Bundesregierung muß zur Kenntnis nehmen, daß der Boom der letzten Jahre zu Ende ist. Die Belastungen des deutschen Einigungsprozesses können nur noch in geringem Maße durch die Gewinne des wirtschaftlichen Wachstums finanziert werden. Dabei hat die Bundesrepublik schon in den vergangenen zwei Jahren über ihre Verhältnisse gelebt. Die im Haushalt



    Werner Schulz (Berlin)

    ausgewiesene Verschuldung wird sich weiter dramatisch erhöhen.
    Der Strukturumbruch in den neuen Bundesländern wird noch für viele Jahre finanzielle Transfers von West nach Ost benötigen. Der Aufschwung Ost kommt nur sehr langsam in Schwung. Er benötigt erheblich mehr Zeit, als die Bundesregierung in ihren Wirtschaftsprojektionen veranschlagt. Die im Haushaltsentwurf vorgesehenen finanziellen Mittel werden nicht ausreichen, den Finanzbedarf der neuen Bundesländer hinreichend zu decken.
    Es liegt nach wie vor kein finanzpolitisches Konzept für die Finanzierung der deutschen Einheit vor. Nur eine Strategie ist sichtbar: das Verdrängen und Vertagen der Probleme. Die Bundesregierung weigert sich beharrlich, die Treuhandanstalt mit einem wirksamen strukturpolitischen Mandat auszustatten.
    Wir fordern seit März dieses Jahres, der Treuhandanstalt einen gesetzlichen Sanierungsauftrag zu geben. Nun ist auch in der CDU der Widerstand gegen die Politik der Treuhandanstalt gewachsen. Die CDU-Abgeordneten aus den neuen Bundesländern fordern jetzt zu Recht: Strukturpolitik statt Kaputtsanieren. Angesichts zunehmenden Drucks wird die Bundesregierung nun hoffentlich ihre Scheuklappen abnehmen. Wir fordern Sie auf: Greifen Sie unsere Vorschläge zum Treuhandgesetz auf. Geben Sie der Treuhandanstalt endlich den notwendigen, klar umrissenen Sanierungsauftrag.
    Die Kosten für den Aufbau in den neuen Bundesländern werden von der Bundesregierung nach wie vor verharmlost. Hinzu kommt: Die Regierung versucht auch weiterhin, mit den bekannten Methoden die finanzpolitische Situation zu verschleiern.

    (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Eine Böse Regierung!)

    Sie vernachlässigt die Haushaltsgrundsätze der Wahrheit und Klarheit. Dies fängt schon bei der Einnahmeseite an. Die Zahlen aus der jüngsten Steuerschätzung werden einfach übernommen, ohne die Probleme der Steuererhebung in den neuen Bundesländern zu berücksichtigen. Nebenbei: Die Steuerschätzung belegt, daß die Arbeitnehmer einen immer höheren Anteil der Staatseinnahmen tragen. Mit der zunehmenden Inflation wird dieser Trend noch verschärft.
    Dieses Bild paßt auch dazu, daß nach den Angaben der deutschen Steuergewerkschaft dem Staat jährlich mehr als 100 Milliarden DM durch Steuerhinterziehung entgehen. Die Leidtragenden sind die Lohnsteuerzahler, deren Abgaben direkt an der Quelle erhoben werden.

    (V o r s i t z: Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg)

    Die Verschleierung der tatsächlichen Lage der Staatsfinanzen findet auch auf der Ausgabenseite statt. Ein erheblicher Teil der Belastungen wird einfach in Neben- und Schattenhaushalte verlagert. Die tatsächlichen Schuldenposten werden dadurch der öffentlichen Kontrolle und Beurteilung entzogen. Dabei ist jetzt schon abzusehen, daß gerade im Bereich dieser Nebenhaushalte zusätzliche Lasten entstehen, die in solcher Höhe nicht erwartet worden sind.
    Das betrifft nicht nur den Fonds Deutsche Einheit, dessen Volumen jetzt erneut erweitert werden mußte. Auch die Absicht der Bundesregierung, Teile der Verkehrsinvestitionen durch Banken oder Leasinggesellschaften privat finanzieren zu lassen, ist ein Versuch, die tatsächliche Belastung des öffentlichen Sektors zu verschleiern. Die Bundesregierung verschweigt die schwerwiegenden Haushaltsrisiken, die für die zukünftige Finanzpolitik große Belastungen bringen werden. Zu nennen ist der Kreditabwicklungsfonds, der bisher ein Defizit von knapp 30 Milliarden DM aufweist. Zu nennen ist wiederum die Treuhandanstalt, die in der Sicht des Finanzministers überhaupt kein Teil der öffentlichen Finanzwirtschaft ist. Sie wird dem Bundeshaushalt in den kommenden Jahren ebenfalls gewaltige Defizite bescheren.
    Im Bundeswirtschaftsministerium wird ein künftiger Schuldenstand von mindestens 300 Milliarden DM erwartet. Der Bundesrechnungshof hat jüngst darauf verwiesen, daß die Finanzrisiken, die aus der Tätigkeit der Treuhandanstalt resultieren, von der Bundesregierung nur unzureichend berücksichtigt worden sind. Es ist also höchste Zeit, die Finanzströme der Treuhandanstalt in die Buchhaltung der öffentlichen Finanzwirtschaft aufzunehmen. Die Schulden der Treuhandanstalt kommen ohnehin früher oder später auf den Steuerzahler zu.
    Die Bundesregierung hat in ihrer Finanzplanung eine Reihe weiterer absehbarer Risiken unberücksichtigt gelassen: die außenwirtschaftlichen Gewährleistungen mit Ausfallrisiko, die Defizite bei Bundesbahn und Reichsbahn, nicht zuletzt aber auch die zusätzlichen Anforderungen an den Haushalt auf Grund des zu regelnden Familienlastenausgleichs. Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte ist binnen Jahresfrist von rund 928 Milliarden DM auf 1 052 Milliarden DM im Jahre 1990 emporgeschnellt. In diesem Jahr wird der Fehlbetrag nach der Schätzung des Sachverständigenrates eine Größenordnung von 135 Milliarden DM erreichen. Die Verschuldung erreicht somit eine Größenordnung von 5 % des gesamtdeutschen Bruttosozialprodukts.
    Die Bundesbank fordert völlig zu Recht, daß die Verschuldung baldmöglichst wieder auf ein normales Maß begrenzt wird. Sie verweist auch darauf, daß die Rückführung der Verschuldung aus außenwirtschaftlichen Gründen geboten ist.
    Die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik wird weltweit kritisch daraufhin beobachtet, ob sie die mit der Vereinigung gestellten Aufgaben mit den richtigen Maßnahmen und auch in angemessener Frist bewältigen kann. Sogar der Internationale Währungsfonds empfiehlt der Bundesregierung, mit einem ehrlichen Bericht über die wahren Kosten der deutschen Vereinigung an die Öffentlichkeit zu treten. Es zeichnet sich ab: Die Stabilitätspolitik der Bundesregierung wird weltweit zunehmend in Zweifel gezogen.
    Auch der Bundesrechnungshof hat die Schuldenpolitik der Bundesregierung gerügt. Er verweist in seinen Bemerkungen zur Haushalts- und Wirtschaftsführung auf die dramatisch ansteigende Zinslastquote.



    Werner Schulz (Berlin)

    Das Verhältnis der Zinsausgaben zu den Gesamtausgaben wird nach der derzeitigen Finanzplanung des Finanzministeriums im Zeitraum von 1991 bis 1995 von 10,3 To auf 13,3 % steigen. Ebenso deutlich wird die Zinssteuerquote ansteigen. Das Verhältnis der Zinsausgaben zu den Steuereinnahmen wird im selben Zeitraum von 13,6 % auf 15 % steigen. Eine Folge ist: Die Schulden des Bundes können überhaupt nicht mehr getilgt werden. Die fälligen Zahlungen müssen im wesentlichen durch neu aufgenommene Kredite finanziert werden.
    Inzwischen ist selbst der Bundesregierung klargeworden, daß die Politik des leichten Geldes nicht beliebig fortgesetzt werden kann. Nach dem Versprechen, die Steuern nicht zu erhöhen, fiel es ihr allerdings zunächst schwer, auf das einfachste Mittel der Einnahmepolitik zurückzugreifen. Die Schamfrist scheint nun aber endgültig vorüber zu sein. Das vorliegende Steuerpaket spekuliert wieder einmal auf die Vergeßlichkeit der Bürgerinnen und Bürger.
    Nicht nur, daß die Mehrwertsteuer erhöht werden soll — eine schon an sich besonders unsoziale Absicht — , die Mehrwertsteuererhöhung soll, was man kaum glauben kann, mit einer gleichzeitigen Senkung von Unternehmensteuern verknüpft werden. Dies ist sogar vielen Abgeordneten aus den Reihen der Regierungskoalition zuviel. Sie sehen es wie Reiner Geißler, der schon frühzeitig vor einer Verbindung von Mehrwertsteuererhöhung und Senkung von Unternehmensteuern gewarnt hatte.
    In deutlichem Kontrast zu dieser schnellen Einnahmeerhöhung steht die zögerliche Haltung der Regierung bei der Besteuerung von Kapitaleinkünften. Der vorgelegte Vorschlag der Zinsbesteuerung löst das Problem nur zum Teil. Mit einer faktischen Abgeltungssteuer von 25 % läßt sich keine Steuergerechtigkeit herstellen.
    Nach dem Steueränderungsgesetz 1991 wird schon jetzt der zweite Gesetzentwurf vorgestellt, mit dem diese Regierung ihre Finanzmisere durch eine Erhöhung der Steuern beheben möchte. Ich betone: Das Steueränderungsgesetz 1992 wird den Anforderungen an die ökonomische Vernunft und soziale Ausgewogenheit nicht gerecht. Eine Reform der Unternehmensbesteuerung ist sicherlich notwendig. Ökonomen und Juristen sind zu Recht der Meinung, daß die deutsche Unternehmensbesteuerung in ihrer Struktur verfehlt ist. Die Bundesregierung ist aber offenbar mit den Unternehmerverbänden der Meinung, daß es sich weniger um ein Strukturproblem handele als vielmehr um eine zu hohe steuerliche Belastung der Unternehmen. Dies ist aber, wie internationale Vergleiche zeigen, keineswegs der Fall.
    Zu befürworten ist dagegen eine aufkommensneutrale Steuerstrukturreform der Unternehmensbesteuerung, wie sie auch in anderen Ländern erfolgt ist. Die wesentlichen Elemente einer solchen Reform sind: Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bei gleichzeitiger Senkung der Steuersätze,

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Sie müssen sagen, was Bemessungsgrundlage ist!)

    Steuervereinfachung und -vergünstigung für wieder
    investierte Gewinne im Verhältnis zu den ausgeschütteten Gewinnen. Dabei sind gleichzeitig ökologische Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
    Bei der Gegenbuchung war die Bundesregierung nicht besonders erfolgreich. Die Steuermindereinnahmen sollten durch den Abbau von Steuervergünstigungen und durch Subventionsabbau ausgeglichen werden. Der Subventionsabbau hat sich als Flop erwiesen. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Subventionsabbau vorwiegend um Subventionen, die ohnehin auslaufen sollten, um den Verzicht auf die Erhöhung von Subventionen und um die erneute Einbeziehung bereits beschlossener Maßnahmen.
    Die Anhebung der Umsatzsteuer steht bei der Bundesregierung nicht zur Disposition, obwohl ebenfalls von vielen Experten erhebliche Kritik geäußert worden ist. Der mit der Mehrwertsteuererhöhung verbundene Preisschub kann leicht eine Inflationsdynamik auslösen, welche die Bundesbank zu noch schärferen Stabilitätsmaßnahmen zwingen würde. Hinzu kommt: Die Einnahmeverbesserung über die Erhöhung der Mehrwertsteuer ist sozial unausgewogen. Sie trifft die sowieso schon stark belasteten Durchschnittshaushalte besonders stark.
    Wir fordern deshalb von der Bundesregierung, auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer zu verzichten. Es gibt Alternativen zur Erhöhung der Mehrwertsteuer: Die Beibehaltung einer Ergänzungsabgabe für relativ hohe Einkommen, der Verzicht auf die Nettoentlastung der Unternehmen und die Einführung einer verfassungskonformen Kapitalertragsteuer erbringen zusätzliche Steuereinnahmen, die den Verzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung kompensieren würden.

    (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und der SPD)

    Hauptsächlich im Verteidigungshaushalt sind weitere Kürzungen zu erzielen.
    Das Konzept der Bundesregierung ist aber Umverteilung zu Lasten der unteren Einkommen. Die Verbesserung des Famlienlastenausgleichs wurde erst durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts möglich. Das Gericht fordert aber, das Existenzminimum von der Besteuerung freizustellen. Die Anhebung des Kinderfreibetrages ist also erst ein Schritt in die richtige Richtung. Der Auftrag der Verfassungshüter wird damit nur ungenügend umgesetzt. Die Freibeträge müssen noch weiter erhöht werden.
    Auch das sozialpolitische Ziel, die Familien zu entlasten, ist noch längst nicht erreicht. Familien mit niedrigen Einkommen werden durch steuerliche Entlastungen nicht angemessen erfaßt. Dies gilt in besonderem Maße für die Menschen in den neuen Bundesländern. Deshalb bleibt die Bundesregierung auch hier in der sozialpolitischen Pflicht.
    Wie gesagt, die Finanzpolitik der Bundesregierung bedarf erheblicher Korrekturen. Ich möchte die wesentlichen Punkte zusammenfassen:
    Erstens muß der Verteidigungsetat stärker in die Konsolidierung des Staatshaushaltes einbezogen werden. Wir verlangen neben einer stärkeren Kürzung des Ansatzes eine mittelfristige Planung mit dem Ziel einer Halbierung des Rüstungsetats bis 1995.



    Werner Schulz (Berlin)

    Zweitens muß die Steuerpolitik der Bundesregierung wieder stärker dem Prinzip der Gerechtigkeit unterstellt werden. Es darf nicht sein, daß die Bundesregierung erst durch das Verfassungsgericht zur Beseitigung von Ungerechtigkeiten gezwungen wird. Die Korrekturen beim Familienlastenausgleich, bei der Zinsbesteuerung, beim Finanzausgleich sind allein verfassungsrechtlichem Zwang zu verdanken.
    Drittens muß eine zukünftige Reform des Steuersystems auch ökologische Gesichtspunkte berücksichtigen. Die steuerpolitischen Instrumente sind auf eine Reduzierung der Umweltbelastung auszurichten. Durch Ökosteuern und -abgaben soll ein Anreiz für umweltschonende Produktion und Konsumption geschaffen werden.
    Viertens müssen endlich Subventionen auf allen Ebenen abgebaut werden. Hier ist die Bundesregierung bisher fast alles schuldig geblieben. Die Ausgabenpolitik muß wieder stärker durch Sparsamkeit bestimmt werden.
    Fünftens ist es notwendig, dem wirtschaftlichen Umbau in den neuen Bundesländern ein klares finanzpolitisches Fundament zu geben. Die zusammenhanglosen und widersprüchlichen Maßnahmen der Bundesregierung bieten bis jetzt keine geeignete Grundlage für einen wirtschaftlichen Aufschwung.
    Sechstens ist eine schnelle Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern unabdingbar. Die Finanzausstattung der Länder und Gemeinden muß der finanzpolitischen Situation von Bund, Ländern und Gemeinden nach der Vereinigung angepaßt werden. Es muß eine Lösung gefunden werden, die den noch lange bestehenden Strukturunterschieden zwischen den Bundesländern gerecht wird und die Lasten angemessen auf Bund und Länder überträgt. Die jetzt hoffentlich in Gang kommende Verfassungsdebatte muß dieses Problem aufgreifen.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/GRÜNE, bei der SPD und der PDS/Linke Liste)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Theodor Waigel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die zweite Lesung des Bundeshaushalts 1992 ist noch jung, aber das meiste von dem, was die Opposition, auch der Kollege Schulz, jetzt geboten hat, hört sich schon sehr alt an, ist weder neu noch originell.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich wäre dankbar, Herr Kollege Schulz, wenn Sie wenigstens einige Zusammenhänge zur Kenntnis nähmen. Zum Beispiel ist die Unternehmensteuerreform genauso aufkommensneutral, wie Sie es gefordert haben. Das, was den Betrieben und Unternehmen an Entlastung gegeben wird, wird bereits ein Jahr zuvor durch Kürzung der Steuersubventionen finanziert. Genau diese aufkommensneutrale Finanzierung mit einer Strukturänderung, mit einer Wachstumsförderung, mit einer neuen Struktur im Steuersystem, um den Wettbewerb zum 1. Januar 1993 für unsere Betriebe im europäischen Bereich erträglicher zu machen, das ist die Konzeption. Und es ist schlichtweg falsch, wenn Sie das in Zusammenhang bringen mit der Mehrwertsteuererhöhung. Außerdem: Wer sagt Ihnen denn, daß eine Mehrwertsteuererhöhung mit einem gleichbleibenden, ermäßigten Steuersatz unsozial sei? Es ist die erste geplante Mehrwertsteuererhöhung, bei der der ermäßigte Steuersatz bleibt und genau damit die soziale Komponente zum Ausdruck kommt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Weder Sie noch ein anderer Kollege kann doch bestreiten, daß die 15 % das sind, was auf europäischer Ebene sozusagen das Unterste ist, was an Harmonisierung insgesamt denkbar ist. Die Länder, die in Europa lange Zeit und auch jetzt noch sozialdemokratisch oder sozialistisch regiert werden, haben wesentlich höhere Mehrwertsteuersätze, und sie verlangen von uns, daß wir eher mit der Mehrwertsteuer nach oben gehen, um die notwendige Harmonisierung im europäischen Bereich herzustellen. Wenn Sie sich auch noch mit Steuerstruktur beschäftigen, dann können Sie doch nicht leugnen, daß sich das Verhältnis von etwa 50 zu 50 zwischen direkten und indirekten Steuern in den 50er Jahren zuungunsten der direkten Steuern laufend verschlechtert hat und wir heute bei fast 60 % direkten und etwa 40, 42 % indirekten Steuern sind und daß eine Ausgewogenheit auch ein vernünftiges, leistungsfreundliches und investitionsfreundliches Steuerrecht bedeuten würde.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Darüber, meine Damen und Herren, sollten wir doch endlich einmal in ein konstruktives Gespräch eintreten, anstatt die alten Rituale fortzusetzen und die alten Platten abzuspielen. Bei der SPD spüre ich doch, daß da auch Bewegung ist. Wenn sie aufnehmen, was Oskar Lafontaine damals in seinem Steuerprogramm entwickelt hat, wären ja Elemente darin. Sie müssen sich nur daran erinnern. Auch andere von Ihnen haben auf die Notwendigkeit einer Unternehmenssteuerreform hingewiesen und darauf verwiesen, daß wir die deutschen Unternehmen hier nicht im Regen stehenlassen dürfen. Es nützt uns überhaupt nichts, hier eine Polemik zwischen Groß- und Kleinoder zwischen Groß- und Mittelbetrieben aufzurichten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Denn, meine Damen und Herren, die vielleicht nicht so häufigen, wenigen Großbetriebe beschäftigen Millionen von Arbeitern. Um deren Sicherheit, um deren Arbeitsplatz in Europa geht es uns. Unsere Politik, unsere Steuerpolitik muß so aussehen, daß wegen der Steuerpolitik, wegen der Steuerhöhe, wegen der Steuersätze nicht ein Arbeitsplatz bei uns verlorengeht und daß nicht deswegen Kapital woanders hingeht, anstatt bei uns für Arbeitsplätze zu sorgen. Das ist die Grundphilosophie unserer Steuerpolitik

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und nichts anderes.

    Es geht jetzt einfach darum: Wir wollen und wir müssen in den nächsten Wochen zu einem vernünftigen Konsens kommen, um die steuerpolitischen Grundlagen für den Rest dieser Legislaturperiode miteinander zu vereinbaren. Dazu ist es notwendig, daß



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Regierung und Opposition aufeinander zugehen, sonst kommt es nicht zu den Dingen. Der Bundeshaushalt wird verabschiedet. Wenn der Bundeshaushalt nicht verabschiedet würde, könnte der Finanzminister eine Zeitlang auch mit der vorläufigen Haushaltsführung ganz gut leben.

    (Zurufe von der SPD)

    Nur, man muß genau wissen, was dann nicht kommt. Wer sich diesem gemeinsamen Vermittlungsbegehren verweigert, würde die Verantwortung dafür übernehmen, daß zum 1. Januar 1992 der Familienlastenausgleich nicht in Kraft gesetzt werden könnte,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Zum Beispiel!)

    und er wäre auch für manches andere verantwortlich.
    Meine Damen und Herren, wenn wir zu einem Zeitpunkt, wo die Finanzpolitik keine einfache Angelegenheit ist, den Familienlastenausgleich um 7 Milliarden DM verbessern, wenn wir einen Ressourcentransfer von West nach Ost in einer Größenordnung von etwa 100 Milliarden DM durchführen, wenn wir in diesem Zeitraum mehr als 10 Milliarden DM — 15 bis 18 Milliarden DM — für unsere Solidarität am Golf zur Verfügung stellen, wenn wir den entscheidenden Beitrag für den Aufbau von Freiheit, Demokratie, Menschenwürde und Sozialer Marktwirtschaft in Mittel- und Osteuropa und auch für die Völker der Sowjetunion erbringen, dann, meine Damen und Herren, muß es auch erlaubt sein, über ein Stück Einnahmeverbesserung von einem Punkt Mehrwertsteuer ab 1. Januar 1993 nachzudenken. Ich glaube, das ist die Solidarität, die wirklich allen zumutbar ist, zumal sicher ist, daß der Solidaritätszuschlag im nächsten Jahr wieder wegfällt, und mit dieser Solidarität auch eine Verbreiterung der Einnahmebasis für die Länder verbunden ist. Ich will diejenigen Länder — auch die sozialdemokratisch regierten — , die den einen Punkt Mehrwertsteuer schon in ihrer mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen haben, allerdings unter anderem Etikett, gar nicht aufzählen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich kann mit der Kritik, die Sie vorgetragen haben, gut leben. Nur, meine Damen und Herren, eines ist nicht legitim — wer immer das nun äußert, komme es von der Opposition, komme es von Finanzkreisen oder von wem auch immer, das lasse ich so nicht stehen — : so zu tun, als ob wir uns jetzt in der Situation von 1975 oder von 1981 oder 1982 befänden.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Schlimmer!)

    — Entschuldigung, haben Sie die deutsche Einheit verschlafen?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Finanzziffern von heute sind besser als die ökonomischen Daten des Jahres 1975, und sie sind besser als die ökonomischen Daten von 1981 und 1982. Nur, wir bewältigen die deutsche Einheit und tragen zum Aufbau von Demokratie in ganz Europa bei. Wegen dieser Schulden und dieser Investitionen brauchen wir uns
    nicht zu schämen, und wir lassen sie uns von Ihnen auch nicht vorhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    1981 und 1982 sind die Weltökonomen Schmidt und Lahnstein mit einem ausgebliebenen Ressourcentransfer der erdölexportierenden Länder von 20 Milliarden DM nicht fertig geworden. Das hat damals zur größten Wirtschaftskrise der Bundesrepublik Deutschland geführt. In den Jahren 1991 und 1992 bewältigen wir einen Ressourcentransfer von über 100 Milliarden DM von West nach Ost und finanzieren die anderen Dinge auch noch. Die Geld- und Kreislaufwirtschaft ist stabil; wir haben eine Preissteigerungsrate von 3,5 %, was noch zu hoch ist, aber sich angesichts der Anspannung trotzdem noch sehen lassen kann. Wir sind Wachstumslokomotive Nummer eins in Europa und in der Welt. Wir haben die höchste Ersparnisquote aller Industrieländer überhaupt. Meine Damen und Herren, da haben wir doch eine fünfmal so große Anforderung anders bewältigt, als Sie die Minianforderungen der Jahre 1981 und 1982 bewältigt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie schaffen es ja nicht einmal, Ihre Kritik ohne Widersprüche zu formulieren. Während Frau Kollegin Matthäus-Maier den verbalen Kreuzzug für mehr Ausgabendisziplin führt, versuchen Sie über die Mehrheit der SPD-Länder im Bundesrat dem Bundeshaushalt zusätzliche Lasten aufzubürden. Damit müssen Sie erst einmal fertig werden. Der Kollege Roth beklagt das Scheitern des Subventionsabbaus, während sein Kollege von Larcher am 12. November 1991 im Sozialdemokratischen Pressedienst Wirtschaft über den Wegfall der Sonderabschreibungen für die Land- und Forstwirtschaft lamentiert. Ignaz Kiechle wird sich freuen. Aber trotzdem frage ich: Was ist das für eine Finanz- und Subventionsabbaupolitik, die in sich so widersprüchlich ist? Während die SPD beklagt, wir würden noch zuwenig finanzielle Hilfen für die jungen Bundesländer bereitstellen, spricht Ministerpräsident Scharping davon, daß die vorgesehene Umleitung der Strukturhilfe an die jungen Bundesländer ein Diebstahl sei. Ist das auch ein Beitrag zum Thema Überwindung der Teilung durch Teilen?
    Hier zeigt sich das ganze finanzpolitische Dilemma der SPD. Sie sind damals mit zwei Ölpreiskrisen in einer Größenordnung von 20 bis 30 Milliarden DM nicht fertig geworden. Man stelle sich einmal vor, Sie hätten Ihre Politik 1981 oder 1982 fortgesetzt. Ihr öffentliches Defizit hätte doch die Größenordnung — ich will hier jetzt kein anderes Land in Europa nennen — von immerhin etwa 10 % des Bruttosozialprodukts erreicht. Das wäre doch eingetreten, wenn Sie die Probleme — deutsche Einheit, 450 000 Pendler von Ost nach West und weitere Probleme, die wir in den letzten Jahren bewältigt haben — hätten lösen müssen. Sie wissen doch ganz genau: Wenn die deutsche Einheit nicht gekommen wäre — Gott sei Dank ist sie gekommen — , dann hätten wir heute eine Situation, in der seit dem Jahre 1969 wahrscheinlich zum erstenmal Überschüsse der öffentlichen Kassen insgesamt vorhanden wären. Das ist die Folge davon, daß wir in der Zeit von 1982 bis 1989 konsequent eine solide Politik gemacht haben. Mit dem Ergebnis die-



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    ser Politik, mit den aufgelaufenen Ressourcen können wir jetzt die Probleme bewältigen, ohne die Volkswirtschaft, ohne die Geld- und Kreditmärkte überfordern zu müssen.

    (Zuruf von der FDP: Sehr richtig!)

    Meine Damen und Herren, Sie brauchen mir keinen Nachhilfeunterricht über den Umgang im internationalen Bereich zu geben. Lesen Sie einmal nach, was die OECD zu unserer Finanz- und Wirtschaftspolitik gesagt hat. Der Managing Director des IWF, Michel Camdessus, hat uns ausdrücklich eine ausgezeichnete Arbeit bestätigt. Der IWF sagt in dem Zusammenhang: Verdeutlicht eure mittelfristige Finanzplanung noch stärker! Wenn wir unser Konsolidierungsprogramm bis 1995 innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und auch international vorstellen, dann, meine Damen und Herren, werden wir genau dem gerecht, und ich bin dankbar dafür.
    Ich will auch etwas zur Treuhandanstalt sagen: Natürlich, meine Damen und Herren, steht die Treuhandanstalt in der Diskussion. Natürlich werden wir uns immer wieder mit diesem oder jenem Fall zu beschäftigen haben, wird es auch Anlaß zur Kritik geben. International — vom IWF über die Weltbank bis hin zu Jelzin und anderen Persönlichkeiten in der Sowjetunion, bis hin zu Attali, dem Präsidenten der Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London — sagt jeder: Das ist die größte und erfolgreichste Privatisierungsaktion in der Wirtschaftsgeschichte. Wenn es in eineinhalb Jahren gelungen ist, 16 000 bis 17 000 Kleinbetriebe zu privatisieren, wenn es im gleichen Zeitraum gelungen ist, über 3 500 Großbetriebe und Beteiligungen zu privatisieren, dann ist das insgesamt ein großartiger Erfolg. Und, meine Damen und Herren: Wir werden an dem Prinzip „privatisieren, sanieren — wo Privatisierung langfristig möglich ist — und behutsam stillegen" festhalten. Man kann nicht — wie Sie, Herr Schulz — auf der einen Seite das Ausufern von Defiziten beklagen und auf der anderen Seite Strukturpolitik für die Treuhandanstalt fordern. Das steht im Widerspruch zueinander.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie fordern, es müsse mittelfristig alles genau festgelegt werden. Ich weiß, auch in den neuen Bundesländern besteht — verständlicherweise — die Forderung, sozusagen einen mittelfristigen Einnahmekorridor bis 1995 festzulegen. Meine Damen und Herren, am Ende des letzten Jahres waren es 20 Milliarden DM weniger, die wir insgesamt ausgegeben haben. Ende dieses Jahres werden es 6 bis 7 Milliarden DM sein. Wenn ich die 5 Milliarden DM, die wir der Bundesanstalt zur Verfügung stellen, noch einrechne, wären es über 10 Milliarden DM. Und die Defizite der jungen Bundesländer werden in diesem Jahr nicht, wie ursprünglich gerechnet, 16 Milliarden DM betragen, sondern wahrscheinlich wesentlich unter 10 Milliarden DM liegen.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr erfreulich!)

    Also kann ich doch nicht im Jahre 1991 aufs I-Tüpfelchen sagen, was im Jahre 1995 möglich, notwendig und unabdingbar sein wird; vielmehr müssen wir auf Sicht fahren.
    Wir haben für 1991 und 1992 — das bestätigen mir die Länder und auch die Kommunen im Osten Deutschlands — einen ausreichenden Standard geschaffen. Was wir dann 1993/94 tun, tun müssen — ich sehe auch Handlungsbedarf — , können wir doch frühestens im Frühjahr oder Mitte nächsten Jahres feststellen, wenn wir die Abschlußzahlen, wenn wir die neuen Daten vorliegen haben und die angemeldeten Bedürfnisse in den neuen Bundesländern kennen. Ich kann das doch nicht auf drei Jahre festlegen.
    Das, Herr Schulz, ist halt der Unterschied bei einer Marktwirtschaft. Wenn man die nämlich richtig anpackt, wird man mitunter von der Entwicklung positiv überholt. Das ist mir allzumal lieber, als mich in ein starres Schema zu begeben und mich dann möglicherweise negativ überholen lassen zu müssen, wie es bei Planwirtschaften der Fall ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Für den öffentlichen Gesamthaushalt hatten wir in den Eckwertbeschlüssen vom November 1990 für das öffentliche Defizit 140 Milliarden DM als Ziel und Obergrenze festgelegt. Das haben viele als illusionär bezeichnet. In einem Wettlauf der Schwarzmalerei — typisch deutsch — wurden dann Prognosen bis zur Grenze von 200 Milliarden DM angeboten. Im Ergebnis wird das Defizit der öffentlichen Haushalte allenfalls 135 Milliarden DM, 4,5 To des Bruttosozialprodukts, ausmachen. Auch hier geistert, selbst international, noch die Zahl umher: Es werden 5,5 % sein. Nein! Es werden 4,5 % sein, vielleicht sogar etwas weniger. Und die tatsächliche Inanspruchnahme der Kreditmärkte wird deutlich darunter bleiben. Der Bund hat jetzt, dank der Vorratskredite vom vorigen Jahr, bisher nur rund 27 Milliarden DM aufgenommen. Bei den öffentlichen Haushalten insgesamt waren es bis Ende Oktober 70 Milliarden DM, davon 0,2 Milliarden DM bei den neuen Bundesländern.
    Mit 4,5 % Defizit liegen wir um 2,5 bis 3 % über dem Durchschnitt in der zweiten Hälfte der 80er Jahre. Das ist kein Anlaß zur Selbstzufriedenheit. Aber ich halte es für bemerkenswert, wenn sich ein Jahr nach der Herstellung der Einheit nur rund die Hälfte des Transferbedarfs der jungen Bundesländer in der öffentlichen Kreditaufnahme wiederfindet.
    Es wird ja völlig vergessen, daß wir von 1990 bis 1992 in den Nachtragshaushalten und in den ordentlichen Haushalten ein Konsolidierungsprogramm mit einem Aufwand von etwa 60 Milliarden DM durchgesetzt haben. Vielleicht haben wir das zuwenig verkauft;

    (Dr. Alfred Dregger [CDU/CSU]: So ist es!)

    vielleicht haben wir das zuwenig spektakulär gemacht. Aber wir haben es systematisch in jeden Haushalt, in jeden Nachtragshaushalt eingearbeitet. Das ist die Summe von Einsparungen und Umschichtungen, die damit erreicht ist.
    Ein Ausgabenanstieg von nur 2,9 % beim nominalen Zuwachs des Bruttosozialprodukts, der wesentlich höher ist, zeigt doch den Konsolidierungsspielraum,



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    den wir auch jetzt und vor allem in den nächsten Jahren wieder schaffen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Daß es dem Haushaltsausschuß gelungen ist, den Anstieg nochmals zu reduzieren und unter 3 % zu bringen, ist eine großartige Leistung.
    Ich bin selber Haushälter und bin stolz darauf, mit diesen hervorragenden Kameraden von links bis rechts, eher von rechts bis links,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Von rechts bis zur Mitte!)

    gut zusammengearbeitet zu haben. Aber ein bißchen, lieber Kollege Weng, haben Sie sich um die Früchte Ihrer Arbeit gebracht. Wenn man nämlich 5 Milliarden DM einsparen will und es dann nur 4,9 Milliarden DM sind, dann würde ich das als einen großen Erfolg darstellen, statt zu sagen: Wir sind unter der Zielvorstellung geblieben. Also von der Semantik und der Darstellung her hat dieser Haushaltsausschuß, vor allem die Koalition,

    (Zuruf des Abg. Joachim Poß [SPD])

    — Sie waren nicht so toll beteiligt, aber immerhin auch —

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

    eine großartige Arbeit geleistet. Darauf darf der Haushaltsausschuß stolz sein. Ich danke Ihnen dafür.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Daß in den letzten Wochen Kapital nach Deutschland zugeflossen und nicht abgeflossen ist, hängt damit zusammen, daß wir und nicht Sie die Finanzpolitik gestalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ja, so ist es, genau so!)

    Denn am 27. Juni dieses Jahres, als das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Zinsbesteuerung erging, hat mancher gesagt: Mönchlein, Mönchlein, du gehst einen schweren Gang.

    (Zuruf von der SPD: Vergleichen Sie sich mit Luther?)

    —Nein, mit Luther vergleiche ich mich nicht, weder in der Sprache noch in manch anderen Dingen, obwohl der sehr aufrüttelnd war und Deutschland gutgetan hat. Das sage ich auch als Katholik.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Jedem seinen Ratzinger!)

    — So fromm bin ich nicht. Aber im Rahmen der sozialdemokratischen Finanzminister kann ich mich sehen lassen. Da habe ich keine Sorge.
    Es gab da eine Karikatur. Es wurden zwei Räuber
    — nicht ganz gut aussehend — dargestellt. Der eine sollte ich sein, der andere der Bundeskanzler, was eine Gemeinheit ist; mit dem Finanzminister darf man vielleicht noch so umgehen. Diese beiden Personen räubern jemanden aus. Ich habe eine Pistole in der Hand, und das arme Opfer sagt: Hör auf zu zittern,
    Theo! — Das war die Angst vor der Zinsbesteuerung.
    Meine Damen und Herren, wir haben das so gelöst, daß alle Welt zufrieden ist. Die Banken machen mit und haben die Lösung positiv gewürdigt. Es fließt Kapital zu. Der Freibetrag wurde um das Zehnfache erhöht. Sie von der SPD wollten nur auf das Fünffache gehen. Wir wollen daran nicht profitieren. Der Kapitalmarkt hat sich entspannt, die Menschen sind zufrieden. Wir haben das wirklich gut gemacht!

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das ist Rabulistik in Vollendung!)

    — Immerhin etwas in Vollendung. Sie wären ja froh, wenn Sie wenigstens ein Rabulist wären!
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zu den besonderen Finanzierungsinstrumenten sagen. Auch hier werden immer wieder Katastrophenszenarien entworfen.
    Die Kreditaufnahme des öffentlichen Gesamthaushalts von voraussichtlich höchstens 135 Milliarden DM enthält auch die Neuverschuldung des Fonds Deutsche Einheit und des Kreditabwicklungsfonds. Es ist schlichtweg unwahr, uns die Verschleierung von Finanzierungsaufgaben zu unterstellen. Das kann nur jemand tun, der Haushalte nicht lesen kann.
    In jeder Debatte und bei jeder öffentlichen Veranstaltung weisen wir auf die Zahlen hin, die die Gesamtfinanzierungslasten beschreiben. Ich halte es auch für meine Pflicht, ein realistisches Bild zu zeichnen. Es hat überhaupt keinen Sinn, die Dinge zu schönen.
    Unsere Bücher liegen offen. Wir haben keinen Grund, die traurige Hinterlassenschaft des Kommunismus zu verbergen. Den Fonds Deutsche Einheit zu den angeblich geheimen Schattenhaushalten zu rechnen ist abwegig. Bund und Länder stehen gemeinsam für dieses Finanzierungsinstrument ein, das auf Wunsch der Länder geschaffen wurde.
    Ich hätte mir auch eine andere Lösung vorstellen können. Damals hatten Sie von der SPD die Mehrheit im Bundesrat. Eine andere Lösung habe ich aber nicht bekommen.
    Der Kreditabwicklungsfonds hat die Aufgabe, die verschiedenen öffentlichen Schulden der früheren DDR zusammenzufassen und zu ordnen. Sobald diese Aufgabe gelöst ist, wird er auf die Gebietskörperschaften übertragen. Bereits heute zahlen Bund und Treuhandanstalt die Zinsen für die im Kreditabwicklungsfonds zusammengefaßten Verpflichtungen. Wir haben in der mittelfristigen Finanzplanung dafür Vorsorge getroffen; wir haben hierfür Zahlen eingesetzt.
    Der Entschädigungsfonds wird den Bundeshaushalt in der Endabrechnung nicht belasten. Was an Liquiditätshilfen in den ersten Jahren notwendig ist, fließt später aus der Vermögensabgabe wieder zurück.
    Zur Treuhandanstalt. Sie werfen mir vor, daß ich sie dem privaten Sektor zurechne. Das tut das Statistische Bundesamt, und zwar ohne jede Weisung der Bundesregierung. Denn es ist doch ganz klar: Wenn eine hun-



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    dertprozentige Staatswirtschaft in eine Privatwirtschaft übergeführt werden soll, dann kann ich sie während dieser Zeit nicht dem Staat zuordnen. Im Grunde ist die Treuhandanstalt nichts anderes als eine große private Industrieholding, für die allerdings der Bund — und dazu stehe ich — die Verantwortung tragen muß. Wir tun dies auch deswegen, damit bei der Kreditaufnahme kein teureres Geld aufgenommen werden muß, sondern der Bund als eine erstklassige Adresse zur Verfügung steht.
    Meine Damen und Herren, bis zum Jahresende ist bei der Treuhandanstalt ein Defizit von 25 Milliarden DM entstanden. In den kommenden Jahren wird sich der Kreditbedarf der Treuhandanstalt auf jährlich rund 30 Milliarden DM belaufen. Diese Kredite sind als Investitionen in die wirtschaftliche Zukunft des Beitrittsgebiets volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich gut begründet. Was die Treuhandanstalt leistet, zahlt sich vor allem außerhalb ihres Unternehmensbereichs aus: in steigendem Wachstum, zunehmender Beschäftigung und zunehmender Nachfrage.
    Demgegenüber ist ein betriebswirtschaftlicher Gewinn oder auch nur ein Ausgleich von Kosten und Erträgen nicht zu erwarten. Dafür waren die Zerstörungen an der betrieblichen Substanz und die Verschwendung menschlicher und ökologischer Ressourcen zu groß.
    Für die Verpflichtungen, die am Ende in der Schlußbilanz der Treuhandanstalt stehen werden, werden die öffentlichen Haushalte aufkommen. Aber wenn wir der Treuhandanstalt die Chance geben, ihre Aufgaben wirksam zu erfüllen, werden uns diese Verpflichtungen bei künftig wesentlich gestärkter Wirtschaftskraft nicht überfordern. Schließlich stehen auch Vermögens- und Grundstückswerte dagegen, die bei der Belastungs- und Beleihungsfähigkeit betriebswirtschaftlich und volkswirtschaftlich ebenfalls gegengerechnet werden müssen.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zu einem Thema sagen, das uns natürlich alle unglaublich berührt und beschäftigt, zum Thema Sowjetunion und der Entwicklung der Republiken in der Sowjetunion. Zu den zentralen Aufgaben der kommenden Jahre gehören auch die Unterstützung und Begleitung der Reformprozesse in Mittel-, Ostund Südosteuropa. Es geht um die Sicherung der Liquidität und des Zugangs zu den internationalen Finanzmärkten sowie um umfassende marktwirtschaftliche Reformen und um die Sanierung der Staatshaushalte. Das sind die zentralen Ansatzelemente einer erfolgreichen Neuorientierung im ehemals kommunistischen Machtbereich.
    Es war interessant, daß der erste frei gewählte russische Präsident, Jelzin, in seiner Tischrede im Palais Schaumburg davon sprach, das erste Buch, das er gelesen habe, um sich auf Wirtschaftsreformen vorzubereiten, sei das Buch von Ludwig Erhard gewesen. Ich habe mir gedacht: Der Mann ist weiter als ein Teil der Sozialdemokratie in Deutschland.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir haben beim Gipfel in London, bei der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds, beim G-7-
    Treffen in Bangkok und durch bilaterale Gespräche die westöstliche Zusammenarbeit auf den richtigen Weg gebracht.
    Meine Damen und Herren, es hat sich gelohnt und es war richtig, daß ich während des ganzen Jahres immer wieder darauf hingewiesen habe: Das größer gewordene, vereinte Deutschland ist bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen. Niemand wird uns sagen können, daß unsere internationale Solidarität, sei es am Golf, sei es in der Entwicklungshilfe, sei es in anderen Bereichen, gelitten habe. Nur mußte unseren Freunden, unseren Partnern und den anderen Weltwirtschaftsmächten ebenfalls eines gesagt werden: Dem entspricht natürlich auch eine internationale Lastenteilung, d. h. ein „burden sharing" , das nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in Europa und gegenüber der Sowjetunion Platz greifen muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Ich freue mich, daß wir uns darüber einig sind: Was wir in Deutschland für die Wiedervereinigung, für den Aufbau von Marktwirtschaften und Demokratie in Osteuropa und auch für die Republiken und Völker der Sowjetunion tun, geht über unser nationales Interesse hinaus. Die Vereinigten Staaten und andere hätten ihre richtige und notwendige Politik, die UNO hätte die Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion in einer entscheidenden Krise des letzten Jahres nicht leisten können, wenn wir nicht unseren ökonomischen und finanziellen Beitrag geleistet hätten. Wir haben ihn in unserem Interesse, aber auch im Interesse anderer geleistet. Jetzt ist es endlich gelungen, die Hilfen für die Sowjetunion, die Nahrungsmittelhilfe, die technische Hilfe und die humanitäre Hilfe, aber auch die Maßnahmen zur Beseitigung der Liquiditätsprobleme und die Anpassungsprogramme auf eine breitere Basis zu stellen und eine Europäisierung und eine Internationalisierung dieser Frage zu erreichen. Das ist der Erfolg unserer Bemühungen in den letzten Monaten; und das war wichtig für uns.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich darf in diesem Zusammenhang — ich hoffe, Sie sehen mir das nach — auch einmal meinem Staatssekretär Köhler für die unglaubliche, erfolgreiche Arbeit auf diesem Gebiet danken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Immerhin ist ein Übereinkommen erzielt worden. Acht Republiken, darunter die großen Devisenverdiener Rußland und Kasachstan, haben ihre gesamtschuldnerische Haftung für 100 % der Altschulden der Sowjetunion erklärt. Das war und ist für uns die Basis jeder weiteren Hilfsmaßnahme.
    Durch Tilgungsaufschub bei öffentlich garantierten Krediten sowie durch eine liquiditätssichernde Goldfazilität von bis zu einer Milliarde Dollar wird die Zahlungsfähigkeit der sowjetischen Außenwirtschaftsbank flankiert.
    Unsere Strategie der Hilfeleistung unter genau definierten Voraussetzungen erweist sich trotz des vielfach unüberlegten Krisengeredes als erfolgreich. Die



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Unterzeichnung der Haftungserklärung hat gezeigt: Es gibt bei den Republiken ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft. Hierauf müssen wir bauen.
    Wir müssen auch die zusätzlichen Leistungen und die Szenarien sehen, unter denen wir in Anspruch genommen werden. Die zusätzlichen Belastungen für den Bundeshaushalt 1992 aus den vereinbarten Liquiditätshilfen bleiben begrenzt. Sie werden sich auf etwa eine Milliarde DM für die Inanspruchnahme aus Gewährleistungen belaufen. Wir wollen diesen Betrag unter Berücksichtigung der Schadensentwicklung 1991 aus dem vorhandenen Verfügungsrahmen finanzieren.
    Der unkontrollierte Zusammenbruch der Finanzbeziehungen hätte demgegenüber für die Sowjetrepubliken und für uns wesentlich gravierendere Folgen.
    Meine Damen und Herren, das größte Risiko für unser Land und für unsere öffentlichen Haushalte würde sich ergeben, wenn wir im Osten oder im Westen von unserem wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs abweichen würden. Dann wären Wachstum, Beschäftigung und Stabilität tatsächlich ernsthaft gefährdet.
    Professor Karl Jürgensen vom Hamburger Institut für Integrationsforschung hat in der letzten Ausgabe der „Welt am Sonntag" überzeugend die guten Voraussetzungen für die ökonomische Bewältigung der Einheit beschrieben. Vor allem der hohe Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen in den letzten Jahren, der erhebliche Leistungsbilanzüberschuß bis 1990 und die überdurchschnittliche Sparquote ermöglichen es unserer Volkswirtschaft, mit den zusätzlichen Anforderungen ohne Verspannungen fertig zu werden.
    Darüber hinaus hat die Nachfragesteigerung durch die Einheit die Konjunkturentwicklung verstetigt und so den Start in den Binnenmarkt 1993 erleichtert. Bei der höheren staatlichen Kreditaufnahme sei — so die Ausführungen von Jürgensen — die zukunftsgerichtete, wachstumsfördernde Verwendung in Rechnung zu stellen. Und darin unterscheidet sich die Situation Deutschlands von der anderer Länder.
    Nach neun Jahren ununterbrochenen Aufschwungs rechnen die in- und ausländischen Experten im nächsten Jahr mit einem realen Wachstum der deutschen Volkswirtschaft von 2 bis 2,5 %.
    Meine Damen und Herren, wenn man die Verlangsamung beklagt, dann muß man ja immer sehen, auf welchem Sockel das stattfindet: nämlich auf einem Sockel, der in diesem Jahr doch eine ungeheure Dynamik hatte und in der ersten Hälfte auf weit über 4 % lag und fast an die 5 % gelangt ist. Wenn es uns hier auch im nächsten Jahr gelingt, noch 2 bis 2,5 % zuzulegen, dann ist das ein großartiger Erfolg.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Eine vorübergehende Wachstumsverlangsamung ist keine Konjunkturschwäche. Nach dem Urteil der Fachleute bleiben wir auf Wachstumskurs.
    Aber wir dürfen unsere Volkswirtschaft nicht überfordern.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: So ist es!)

    Bisher ist es trotz der gewaltigen Zusatzaufgaben gelungen, den gesamtwirtschaftlichen Rahmen einzuhalten. Preissteigerungsraten und Zinsen sind heute etwas höher als vor der Vereinigung. Dennoch sind 1991 die langfristigen Zinsen in Deutschland niedriger als in allen anderen EG-Staaten. Auch beim Preisanstieg liegen wir mit einer Steigerungsrate von zur Zeit 3,5 % deutlich unter dem EG-Durchschnitt.
    Meine Damen und Herren, gerade die Stabilität ist natürlich Ausfluß einer sehr stringenten Stabilitätspolitik der Bundesbank. Aber daß die langfristigen Zinsen gesunken sind — trotz zweimaliger Leitzinserhöhungen — , spiegelt das Vertrauen in die Finanzpolitik dieser Regierung wider. Und das sollte man sehen: Das Ausland traut uns zu, die Dinge zu lösen — trotz des Krisengeredes inner- und außerhalb Deutschlands.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es wird allerdings eine harte Arbeit sein, den Ausgabenanstieg des Bundes im Jahresdurchschnitt um nur 2,3 % wachsen zu lassen. Darin steckt mehr Konsolidierung als in der einen oder anderen spektakulären Aktion.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Darauf werden sich wohl erst alle Ressorts und auch alle Politiker in diesem Hause einstellen müssen.

    (Hans H. Gattermann [FDP]: Sehr gut!)

    Meine Damen und Herren, ich sehe schon die Herrschaften, die auf der einen Seite sagen, der Finanzminister müsse ein Herz aus Stein haben, und auf der anderen Seite läßt sich der Charme der Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen gar nicht unterschätzen, mit dem sie dann doch versuchen, den Stein wieder zu erweichen. Aber ich gebe dem Bundesvorsitzenden der FDP recht: Es muß ein Herz aus Stein bleiben, vor allen Dingen gegenüber den Wünschen der eigenen Kabinettskollegen, aber natürlich auch gegenüber denen der CDU und der CSU.

    (Beifall des Abg. Dr. Klaus Rose [CDU/CSU] — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wo ist denn der Mümmelmann?)

    Ein Schlüssel zum Erfolg liegt in der Tarif entwicklung dieses und des nächsten Jahres.

    (Hans H. Gattermann [FDP]: Das ist wohl wahr!)

    Das ist ein entscheidender Faktor. In den Verhandlungen der Tarifpartner liegt der Schlüssel für die Stabilität und das Wachstum in den kommenden Jahren.
    Ich werde den Tarifpartnern in Ost und West keine Empfehlungen oder Richtlinien vorgeben.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist sehr klug!)

    Aber ich sage auch ganz klar: Wenn hier gesamtwirtschaftlich falsche Entscheidungen getroffen werden, kann das weder die Geld- noch die Finanzpolitik ausgleichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wer die Ansprüche an das Sozialprodukt zu hoch
    schraubt, wer die notwendigen Beiträge zur Finanzierung der Einheit verweigert oder wer vom Anpas-



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    sungsprozeß zwischen Ost und West mehr als möglich fordert, muß sich vor seinen arbeitslosen Mitbürgern verantworten. Jedes Prozent zuviel zahlen die Bürger entweder über erhöhte Arbeitslosigkeit oder über höhere Zinsen. Beides sollen und dürfen wir nicht wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, der Bundeshaushalt 1992 ist ebenso wie der Haushalt 1991 vor allem ein Haushalt der Deutschen Einheit. Aber gleichzeitig verwirklichen wir weitere vordringliche Aufgaben innerhalb des selbstgesteckten Finanzierungsrahmens. Das betrifft die Wohnungsbauinitiative und einen so wichtigen Bereich wie den Ausbau der Hilfen zur Flankierung der Neuregelung des § 218, des Schutzes des ungeborenen Lebens.
    Dabei haben wir uns der Aufgabe nicht verschlossen, zusätzliche Maßnahmen, die meine Fraktion für richtig gehalten hat, an anderer Stelle durch Einsparungen auszugleichen. Meine Damen und Herren, das kann der einzige Weg sein, Prioritäten neu festzulegen, wenn wir gleichzeitig den Mut haben, an anderer Stelle zu streichen und zurückzuführen. Nur in dem Rahmen eines solchen Moratoriums kann in absehbarer Zeit verantwortungsbewußte Politik betrieben werden.
    Meine Damen und Herren, der Nachtragshaushalt 1991 wird vor allem dadurch gestaltet, daß wir 4,9 Milliarden DM für die Bundesanstalt für Arbeit zur Verfügung stellen. Mit diesem Betrag kann die Bundesanstalt das absehbare Defizit 1992, das vor allem wegen des immer noch hohen Bedarfes an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet entstehen wird, decken.
    Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir entscheiden in diesen Wochen über wichtige Gesetzesvorlagen. Das Haushaltsgesetz 1992, das Steueränderungsgesetz 1992 und die Änderung des Strukturhilfegesetzes sind wichtige Etappen auf dem Weg zur finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Integration unseres Landes. Bei unterschiedlichen Rollen tragen wir gemeinsam die Verantwortung: Regierung und Opposition, Bund, Länder und Gemeinden, Verbände, Interessengruppen und Gewerkschaften. Es geht um die Zukunft unseres Staates. Es geht um eine neue Identität und die Rolle Deutschlands in der Welt.
    Nach den Worten des russischen Sozialphilosophen und Anarchisten Bakunin ist „der Staat eine historische Übergangserscheinung, eine vergängliche Form der Gesellschaft". Dem stehen die Worte Immanuel Kants gegenüber: „Der Staat ist ein Volk, das sich selbst beherrscht. " Vernunft und Demokratie haben über Anarchie und Kommunismus gesiegt. Wir können uns jedoch nur selbst beherrschen, wir können unsere Angelegenheiten nur regeln, wenn am Ende der Auseinandersetzung die Lösung der Aufgabe steht. Gemeinsamkeit in den übergeordneten Zielen heißt auch, eigene Interessen nicht zu Lasten anderer Gruppen durchzusetzen.
    Das entscheidende Problem der kommenden Jahre ist nicht, genügend moderne Maschinen und Anlagen in den jungen Bundesländern bereitzustellen, das entscheidende Problem besteht auch nicht in Infrastrukturinvestitionen; mit alldem können wir fertig werden. Worauf es wirklich ankommt, ist die Herstellung der inneren Einheit, die Übereinstimmung in den Grundlinien von Denken und Handeln. Nur wenn wir die deutsche Einheit als eine gemeinsame Aufgabe aller Bürger verstehen, werden wir erfolgreich sein.
    Der berühmte Philosoph Karl Raimund Popper, der, wie ich glaube, als 89jähriger vor einigen Monaten die Ehrendoktorwürde der Katholischen Universität Eichstätt erhalten hat, sagt:
    Was morgen sein wird, wissen wir nicht. Es gibt Milliarden von Möglichkeiten — gute und schlechte — , die niemand voraussehen kann. Aber es gibt auch große Hoffnung. Es gibt unzählige Möglichkeiten für eine Zukunft, die noch weit besser ist als die Gegenwart.
    Darum ist das ganze pessimistische Kulturgemälde, das viele an die Wand werfen, uns nicht gemäß.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Meine Damen und Herren, wenn es je eine Politik gegeben hat, die Angst genommen und der jungen Generation neue Zukunftsaspekte ermöglicht hat, war es die Politik, die wir in den letzten Jahren miteinander betrieben haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Die politische Freiheit — so Popper —
    ist der wichtigste aller politischen Werte. Wir müssen bereit sein, für die politische Freiheit zu kämpfen. Die Freiheit kann immer verloren werden. Wir dürfen nie die Hände in den Schoß legen in dem Bewußtsein, daß sie gesichert ist.
    Daran sollten wir denken, auch wenn wir über Finanzplanung und Konjunkturdaten sprechen; denn unsere Politik muß den Menschen dienen — in Deutschland, in Europa und in der Welt.
    Ich danke Ihnen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU und der FDP)