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ID1205902000

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    Plenarprotokoll 12/59 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 59. Sitzung Bonn, Dienstag, den 26. November 1991 Inhalt: Tagesordnungspunkt I: Eidesleistung eines Ministers Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 4885 A Friedrich Bohl, Bundesminister (ChefBK) 4885 B Tagesordnungspunkt II: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992 (Haushaltsgesetz 1992) (Drucksachen 12/1000, 12/1329) Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt (Drucksachen 12/1401, 12/1600) 4885D Einzelplan 02 Deutscher Bundestag (Drucksachen 12/1402, 12/1600) 4885 D Einzelplan 03 Bundesrat (Drucksachen 12/1403, 12/1600) 4886A Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen (Drucksachen 12/1408, 12/1600) in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld (Drucksachen 12/1426, 12/1600) in Verbindung mit Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung (Drucksachen 12/1430, 12/1600) in Verbindung mit Einzelplan 20 Bundesrechnungshof (Drucksachen 12/1420, 12/1600) in Verbindung mit Tagesordnungspunkt III: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1991 (Nachtragshaushaltsgesetz 1991) (Drucksachen 12/1300, 12/1587, 12/1599) Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD 4886 C Jochen Borchert CDU/CSU 4892 B Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD 4892D, 4923 B Helmut Esters SPD 4893 A Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) FDP 4897 A Dr. Willfried Penner SPD 4899 C Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste 4900 C Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 4903 D Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 4907 B Joachim Poß SPD 4913 D Josef Duchac, Ministerpräsident des Landes Thüringen 4917 D Helmut Esters SPD 4920 A Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU 4920 D II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1991 Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 4922 C Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD 4926 B Hans-Werner Müller (Wadern) CDU/CSU 4927C Einzelplan 12 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr (Drucksachen 12/1412, 12/1600) Ernst Waltemathe SPD 4930 A Dr. Peter Struck SPD 4931 C Wilfried Bohlsen CDU/CSU 4933D Werner Zywietz FDP 4936 A Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/GRÜNE 4938 A Dr. Günther Krause, Bundesminister BMV 4940 A Ernst Waltemathe SPD 4940 C Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/ GRÜNE 4941 D Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Drucksachen 12/1422, 12/1600) Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD 4943 A Hans-Wilhelm Pesch CDU/CSU 4946 A Carl-Ludwig Thiele FDP 4948 A Rolf Rau CDU/CSU 4949 C Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin BMBau 4951A Namentliche Abstimmung 4952 D Ergebnis 4967 A Einzelplan 16 Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Drucksachen 12/1416 [neu], 12/1600) Hans Georg Wagner SPD 4953 A Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU 4953 B Michael von Schmude CDU/CSU 4956 D Jutta Braband PDS/Linke Liste 4958 C Gerhart Rudolf Baum FDP 4961 C Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/ GRÜNE 4961 D Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/GRÜNE 4963 B Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär BMU 4964 A Nächste Sitzung 4969 C Berichtigung 4969 Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 4971 * A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1991 4885 59. Sitzung Bonn, den 26. November 1991 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 57. Sitzung, Seite 4676A: Die unter ZP 2 und ZP 3 abgedruckten Texte sind zu streichen. Folgende Fassung ist einzufügen: ZP2 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Verhältnisses von Kriegsfolgengesetzen zum Einigungsvertrag — Drucksache 12/1504 — Überweisungsvorschlag: Innenausschuß (federführend) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß ZP3 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung und weiterer Bundesgesetze für Heilberufe — Drucksache 12/1524 — Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 26. 11. 91 * Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 26. 11. 91 Bernrath, Hans Gottfried SPD 26. 11. 91 Blunck, Lieselott SPD 26. 11. 91 ** Börnsen (Ritterhude), SPD 26. 11. 91 Arne Büchler (Hof), Hans SPD 26. 11. 91 Clemens, Joachim CDU/CSU 26. 11. 91 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 26. 11. 91 Herta Doppmeier, Hubert CDU/CSU 26. 11. 91 Genscher, Hans-Dietrich FDP 26. 11. 91 Dr. Glotz, Peter SPD 26. 11. 91 Helmrich, Herbert CDU/CSU 26. 11. 91 Jaunich, Horst SPD 26. 11. 91 Koschnick, Hans SPD 26. 11. 91 Kretkowski, Volkmar SPD 26. 11. 91 Kubicki, Wolfgang FDP 26. 11. 91 Dr. Lehr, Ursula CDU/CSU 26. 11. 91 Meißner, Herbert SPD 26. 11. 91 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 26. 11. 91 ** Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 26. 11. 91 Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Nolte, Claudia CDU/CSU 26. 11. 91 Dr. Paziorek, Peter Paul CDU/CSU 26. 11. 91 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 26. 11. 91 * Rempe, Walter SPD 26. 11. 91 Rennebach, Renate SPD 26. 11. 91 Rixe, Günter SPD 26. 11. 91 Dr. Scheer, Hermann SPD 26. 11. 91 Schmidt (Mülheim), CDU/CSU 26. 11. 91 Andreas Schuster, Hans Paul FDP 26. 11. 91 Hermann Seidenthal, Bodo SPD 26. 11. 91 Dr. Soell, Hartmut SPD 26. 11. 91 ** Stübgen, Michael CDU/CSU 26. 11. 91 Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 26. 11. 91 Dr. Ullmann, Wolfgang Bündnis 26. 11. 91 90/GRÜNE Voigt (Frankfurt), SPD 26. 11. 91 Karsten D. Dr. Voigt (Northeim), CDU/CSU 26. 11. 91 Hans-Peter Vosen, Josef SPD 26. 11. 91 Wollenberger, Vera Bündnis 26. 11. 91 90/GRÜNE Zierer, Benno CDU/CSU 26. 11. 91 ** * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rita Süssmuth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dietmar Keller.
    Dr. Dietmar Keller [PDS/Linke Liste]: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundeshaushalt 1992 legt die Axt an die politische Gestaltungsfähigkeit des Bundes. Selbst der Bundesrechnungshof ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die ständig steigende Staatsverschuldung den Handlungsspielraum des Bundes bei der Haushalts- und Wirtschaftsführung immer stärker verengt.
    Die Bundesregierung ist offensichtlich nicht in der Lage, ihren eigenen vollmundig verkündeten Zielvorgaben gerecht zu werden. Im Haushalt 1992 wollte sie durch den Abbau von Finanzhilfen insgesamt 5 Milliarden DM einsparen. Dieser Subventionsabbau ist nicht zustande gekommen. Mittlerweile kann die Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregierung auch als organisiertes Chaos bezeichnet werden.
    Der Wirtschaftsminister ließ z. B. verkünden, er werde zurücktreten, sollte es nicht möglich sein, einen Subventionsabbau in der Größenordnung von 10 Milliarden DM zu beschließen. Sollte er es doch tun!
    Vielleicht kann uns die Bundesregierung mit Hilfe von Herrn Möllemann auch mitteilen, ob es tatsächlich zutrifft, daß 70 % der von 1988 bis 1990 für Luftfahrt, Werften und Stahl gewährten Subventionen in die Kassen eines einzigen Unternehmens geflossen sind.
    Es ist doch einfach nicht nachvollziehbar, daß über die Treuhand Milliardenbeträge eingesetzt werden, um damit den Abbau von Arbeitsplätzen zu finanzieren. Über die Bundesanstalt für Arbeit wird ja nicht nur Kurzarbeit finanziert, sondern viele der durch das segensreiche Wirken der Treuhand um ihre Arbeitsplätze gebrachten Menschen werden in ABM-Stellen untergebracht.
    In diesem Jahr standen der Treuhand für Sanierungszwecke rund 12 Milliarden DM zur Verfügung. 50 % dieser Mittel konnten für die Erarbeitung und Finanzierung von Sozialplänen ausgegeben werden. 7 Milliarden DM standen für die Ausstattung der Unternehmen mit Eigenkapital bereit. Das heißt, 1991 konnten für die Erhaltung eines Arbeitsplatzes in einem der Verwaltung der Treuhand unterstellten Be-



    Dr. Dietmar Keller
    trieb im Durchschnitt 10 000 DM ausgegeben werden — eine Summe, die nicht einmal 5 % des Betrages ausmacht, den seriöse volkswirtschaftliche Berechnungen für den Erhalt eines Arbeitsplatzes veranschlagen.
    Für die Zeiss-Werke in Jena wurde pro Arbeitsplatz zwar das 40fache dieser Summe bereitgestellt. Aber diese, objektiv betrachtet, positive Entscheidung hat natürlich nichts mit der Person des Chefsanierers zu tun. Oder wohl doch?
    1992 wird die Bundesanstalt rund 46 Milliarden DM in die ostdeutschen Länder pumpen, um den totalen Kollaps des Arbeitsmarktes abzuwenden. Hier und da werden zwar Stimmen aus dem Regierungslager laut, die fordern, der Treuhand endlich einen gesetzlichen Sanierungsauftrag zu erteilen. Aber ich habe wenig Hoffnung, daß es gelingen könnte, die Borniertheit, den Starrsinn und die Ignoranz, die im Regierungsdeutsch Verläßlichkeit, Stetigkeit und Berechenbarkeit heißen, zugunsten einer Politik aufzubrechen, die die Wettbewerbsfähigkeit möglichst vieler ostdeutscher Betriebe gewährleistet und sichert, die Arbeitsplätze erhält und schafft und damit das in den neuen Ländern vorhandene Produktionspotential fördert.
    Durch das Steueränderungsgesetz 1992 werden vor allem Unternehmen in den Genuß zusätzlicher Steuervergünstigungen kommen. Der Wegfall der Gewerbekapitalsteuer wird die Unternehmen netto um 3,36 Milliarden DM entlasten. Durch die Senkung der Gewerbeertragsteuer werden den steuerlich erfaßten Gewerbebetrieben netto weitere 1,2 Milliarden DM geschenkt. Die Senkung der Vermögensteuer wird den Unternehmen weitere Entlastungen in einer Größenordnung von rund 2,7 Milliarden DM bescheren.
    Die Gemeinden werden im Rechnungsjahr 1993 durch den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer einen Steuerausfall in Höhe von rund 3,9 Milliarden DM verkraften müssen, fast 1,1 Milliarden DM mehr, als von der Bundesregierung zunächst veranschlagt. Übrigens wird der Wegfall der Gewerbekapitalsteuer dazu führen, daß den sogenannten strukturschwachen Städten und Gemeinden mit einer Senkung der Gewerbesteuerumlage nicht geholfen werden kann. Sie werden durch das Steueränderungsgesetz doppelt bestraft: Zum einen verlieren sie die Einnahmen aus der Gewerbekapitalsteuer, zum anderen bringt die verringerte Umlage deshalb kein Einnahmeplus, weil sich die Strukturschwäche dieser Kommunen im Vorhandensein ertragsarmer Betriebe niederschlägt, die sowieso kaum gewerbeertragsteuerpflichtig sind.
    Diese durch das Steueränderungsgesetz erhöhten indirekten Subventionen werden jedoch nicht, wie die Bundesregierung behauptet, durch steuerlichen Subventionsabbau und die Einschränkung von Abschreibungsmöglichkeiten gegenfinanziert, sondern durch die Anhebung der Mehrwertsteuer. Die Erhöhung um einen weiteren Prozentpunkt lehnt der Finanzminister gegenwärtig zwar noch ab — ich erinnere an dieser Stelle nur an den heldenhaften Kampf der Bundesregierung für und gegen die Quellensteuer — , aber er schließt die Anhebung der Mehrwertsteuer auf 16 To nicht grundsätzlich aus. Das „Handelsblatt" bescheinigt:
    Mit der Ablehnung, Einführung, Abschaffung und Wiedereinführung der Zinsbesteuerung an der Quelle hat sie den Bürgern eine atemberaubende Achterbahnfahrt zugemutet. Für die verantwortlichen Koalitionspolitiker gilt Helmpflicht und die Warnung: ,Achtung: Bumerang!'
    Finanzminister Waigel hatte im Frühjahr 1989 die Förderung und Pflege von Feuchtbiotopen als seine Herzensaufgabe entdeckt und verkündet: Quellen soll man nicht abschöpfen. Man soll sie sprudeln, sich über die Wiesen ergießen lassen.
    Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juni dieses Jahres verlangt der Gleichheitsgrundsatz, „daß die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden". Das Bundesverfassungsgericht verpaßte der Bundesregierung damit eine schallende Ohrfeige; denn es stufte die bisherige Praxis der Besteuerung von Zinserträgen als verfassungswidrig ein, weil diese nach Ansicht der Richter zu ungleichmäßig vollzogen wurde.
    Bereits 1990 hatten die obersten Verfassungshüter die Kinderfreibeträge als verfassungswidrig, weil zu niedrig, eingestuft. 1992 will das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, ob der Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer nicht zu niedrig angesetzt ist. Würde die Bundesregierung die Kinderfreibeträge nur um 100 DM anheben, bedeutete das einen Einnahmeverlust von 440 Millionen DM. Die rückwirkende Anhebung des Grundfreibetrags für alle Steuerpflichtigen würde 300 Milliarden DM kosten.
    Hat der Finanzminister die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zwingend ergebenden Konsequenzen gezogen? Hat die Bundesregierung ihrer mittelfristigen Finanzplanung überhaupt Zahlenmaterial zugrunde gelegt, das wenigstens den Anschein einer seriösen Haushalts- und Finanzpolitik wahren hilft? Eine Mischung aus Starrköpfigkeit und Gesundbeterei kennzeichnet die Reaktion der Bundesregierung auf diese Urteile der obersten Verfassungshüter.
    Herr Bundesfinanzminister, Sie verhalten sich wie ein Anhänger des ptolemäischen Systems, der noch immer glaubt, daß sich die Sonne um die Erde dreht, und sich weigert, durch das Fernrohr zu schauen und den Zusammenbruch seines Weltbildes mit eigenen Augen zu sehen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Für so was seid ihr Spezialisten!)

    Würden Sie sich den Tatsachen stellen, müßten Sie zugeben, daß eine Verdoppelung des Grundfreibetrags bei einem dieser Berechnung zugrunde gelegten Existenzminimum von 11 000 DM für Ledige bzw. 22 000 DM für Verheiratete Einnahmeausfälle bei der Einkommensteuer in Höhe von 40 Milliarden DM bedeutet.
    Fast 2,7 Millionen unerledigte Einsprüche lagen 1990 bei den Finanzämtern. Das sind nach Auskunft der Deutschen Steuergewerkschaft mehr als doppelt so viele wie 1989. Über 40 000 Beamte fehlen in den Finanzämtern. Experten schätzen, daß Bund, Ländern und Gemeinden dadurch jährlich rund 120 Milliarden DM an Steuereinnahmen verlorengehen. Jeder



    Dr. Dietmar Keller
    Steuerfahnder schafft im Durchschnitt 1,2 Millionen DM pro Jahr heran. Allein in den neuen Bundesländern entgehen den Gebietskörperschaften Steuereinnahmen in einer Größenordnung von 16 Milliarden DM.
    Was tun Sie, Herr Bundesfinanzminister, und was tut die Bundesregierung, um diese Finanzquellen zu erschließen? Würde die Bundesregierung nicht nur die Steuergeschenke an die Unternehmer zurücknehmen, sondern auch die Möglichkeiten der Steuerhinterziehung beschneiden, könnte eine Steuerreform finanziert werden, die dem Gleichheitsgrundsatz verpflichtet ist, ja es würde sogar noch Geld für sogenannte soziale Wohltaten in der Kasse sein.
    Die Quellensteuer oder kleine Kapitalertragsteuer oder der Zinsabschlag läßt Steuerhinterziehungen auch weiterhin zu. Ich bin versucht zu sagen: Steuerhinterziehungen werden attraktiver, zumal nicht einmal der Hauch einer Strafandrohung zu spüren sein wird, da der Sparerfreibetrag von den Kreditinstituten verwaltet wird und die Finanzbehörden noch nicht einmal Stichproben durchführen dürfen.
    Die mehrfache Inanspruchnahme des Sparerfreibetrags ist bei der anonymen Abführung der Quellensteuer überhaupt nicht auszuschließen. Die Einhaltung des Freibetrags muß vom Bankkunden nur schriftlich versichert werden. Der der Bank erteilte Freistellungsauftrag wird den Finanzbehörden nicht vorgelegt. Der Anleihenmarkt reagierte prompt auf die Nachricht, daß weder Kontrollmitteilungen noch Stichprobenverfahren zu erwarten sind.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was verstehen Sie denn vom Anleihenmarkt?)

    Es gab Kursgewinne bis zu 60 Pfennigen, und die Bundesbank mußte 770 Millionen DM in den Markt einschleusen. Es herrschte eine Riesenstimmung. Die „Wirtschaftswoche" erinnert in ihrer Ausgabe vom 15. November 1991 daran,
    ... daß sich die Regierung bei ihrer Entscheidung die Feder von Banken hat führen lassen, deren Abwehrschlacht gegen die Stichproben an Doppelmoral kaum zu überbieten war.
    Die Bundesregierung mißachtet die Gebote der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit. Sie richtet Schattenhaushalte ein, die sie als Sondervermögen deklariert und aus dem Haushaltsplan ausgliedert. Der Erfindungsreichtum der Bundesregierung zeigte sich vor allem bei der Interpretation des Art. 115 Abs. 2 des Grundgesetzes: Immer mehr Kredite werden vom Bund über sogenannte Sondervermögen aufgenommen, die nicht im Haushalt ausgewiesen sind.
    Der Begriff „Sondervermögen" gaukelt den Bürgerinnen und Bürgern vor, die Bonität des Bundes als Kreditnehmer sei gesichert. Von welchem Vermögen sprechen Sie? Wessen Vermögen wird durch diese Politik gemehrt, und wessen Vermögen wird gemindert? Die sogenannten Sondervermögen sind doch die Instrumente, mit deren Hilfe die Bundesregierung das im wahrsten Sinne des Wortes öffentliche Vermögen
    verschleudert. Was laut Verfassung lediglich eine Ausnahme sein sollte, nämlich eine Kreditaufnahme, die über den Ausgaben für Investitionen liegt, hat die Bundesregierung einfach zum Normalfall erklärt. Da Sondervermögen aus den Regelungen herausgenommen werden können, die die Kreditaufnahme begrenzen, ist die Bundesregierung in der für sie glücklichen Lage, einer Aufbringung der Mittel für den Fonds Deutsche Einheit, den Kreditabwicklungsfonds und die Treuhandanstalt über die öffentlichen Haushalte aus dem Weg zu gehen. Dient etwa der Fonds Deutsche Einheit der Erhaltung eines Vermögensbestandes oder nicht vielmehr der Finanzierung zusätzlicher, eben nicht im Haushaltsplan ausgewiesener Kredite? Wie ernst nimmt die Bundesregierung den Grundgesetzartikel 115? Sie weiß doch, daß aus dem Fonds Deutsche Einheit laufende Ausgaben finanziert werden, aber eben nicht Investitionen.
    Dabei schaltet und waltet die Bundesregierung mit diesem Sondervermögen, wie es ihr gefällt. Ein Beispiel: Die Zinsverpflichtungen des Kreditabwicklungsfonds werden nach offizieller Lesart nur zu 50 % vom Bund getragen. Die andere Hälfte belastet den Haushalt der Treuhand. Der Haushalt der Treuhand wird durch Kredite finanziert, für die der Bund bürgt und deren Tilgung er aus seinen Einnahmen erwirtschaften muß. Von 1992 bis 1994 darf die Treuhand, also mittelbar der Bund, bis zu 90 Milliarden DM als Kredit aufnehmen. Im Haushalt 1992 findet man die 30 Milliarden DM, die im kommenden Jahr kreditfinanziert werden sollen, allerdings nicht. Es ist übrigens zu erwarten, daß diese Kredite nicht zur Sicherung oder Schaffung von Arbeitsplätzen eingesetzt, sondern für Zins- und Tilgungsleistungen beansprucht werden. Die Präsidentin der Treuhand schätzt, daß im kommenden Haushaltsjahr mindestens 25 Milliarden DM für Zinsleistungen benötigt werden. Bis 1995 wird bei der Treuhand ein Nettokreditbedarf von rund 160 Milliarden DM entstanden sein. Die Abwicklung der Treuhand wird dem Bund unter Einbeziehung der Altschulden zusätzliche Schulden in Höhe von rund 265 Milliarden DM bescheren, für die im Haushalt Zins- und Tilgungsleistungen veranschlagt werden müssen.
    Der Fonds Deutsche Einheit hat 1991 rund 20 Milliarden DM an Schulden aufgenommen. Dieser Betrag taucht im Haushaltsplan des Bundes allerdings ebenfalls nicht auf. Statt, wie es haushaltsrechtlich geboten wäre, z. B. in der mittelfristigen Finanzplanung die mit Auflösung des Kreditabwicklungsfonds auf den Bund übergehende Zinsbelastung in Höhe von 5 Milliarden DM als Zinsausgaben des Bundes auszuweisen, behauptet die Bundesregierung, es handle sich auch über das Jahr 1993 hinaus wie in den Jahren zuvor um die Erstattung von Zinsleistungen. Die gegenüber dem Ausgleichsfonds „Währungsumstellung" bestehende Höhe der Verbindlichkeiten des Kreditabwicklungsfonds steht immer noch nicht fest. 1991 war die Bundesregierung bei einem Zinsansatz von 3,94 Milliarden DM von Forderungen in Höhe von 35 Milliarden DM gegenüber dem Kreditabwicklungsfonds ausgegangen. 1992 sollen im Wirtschaftsplan des Fonds 6 Milliarden DM veranschlagt werden, 1 Milliarde DM mehr, als ursprünglich geplant.



    Dr. Dietmar Keller
    Da die D-Mark-Eröffnungsbilanzen der Geldinstitute und Außenhandelsbetriebe immer noch nicht vorliegen — die Bilanzen der anderen Unternehmen wurden erst „zum größten Teil" eingereicht —, ist dieser Zinsansatz mit großen Risiken behaftet. Sind die Auswirkungen der von den ostdeutschen Geldinstituten vorgenommenen Bewertungsabschläge überhaupt schon näher quantifizierbar? Was geschieht mit den Transferrubelguthaben? Ist die Regelung des Rubelsaldos mit den sogenannten Ostblockstaaten immer noch offen? In welcher Höhe wird die Umbewertung der aufgelaufenen Guthaben und die Schuldenregelung Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber dem Kreditabwicklungsfonds begründen? Trifft es zu, Herr Bundesfinanzminister, daß Ihr Haus das Gesamtvolumen des Fonds nicht mehr auf 65 Milliarden DM schätzt, sondern mittlerweile 160 Milliarden DM im Gespräch sind?
    Die neuen Bundesländer werden Ende 1993, wenn der Kreditabwicklungsfonds aufgelöst wird und sie 50 % der aufgelaufenen Gesamtverschuldung übernehmen, ihre Haushalts- und Wirtschaftsführung ganz in den Dienst der Finanzierung dieser Schuldenübernahme stellen müssen. Nach einer Finanzplanungsprojektion des Bundesfinanzministers werden die ostdeutschen Länder 1995 eine Gesamtverschuldung von rund 130 Milliarden DM aufweisen. Die Schuldenübernahme aus dem Kreditabwicklungsfonds wird diesen Schuldenberg noch weiter anwachsen lassen. Wie soll unter diesen Bedingungen eine geordnete Haushalts- und Wirtschaftsführung möglich sein? Kann von einer mittelfristigen Finanzplanung, die diesen Namen verdient, überhaupt noch die Rede sein? Ist die Bundesregierung überhaupt an einer seriösen und soliden Finanzplanung interessiert? Ich finde, die Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregierung hat keinen Schwerpunkt, keine Achse, sondern besteht aus Reflexen.
    Aufgabe der regierungsamtlichen Schönwetterpropheten ist es nun, den jeweils neuesten Schwenk argumentativ so zu begründen, daß der Eindruck entsteht, Bonn weiche seit Jahren nicht vom gleichen Kurs ab. Wer gar Schuldenberge zu sehen glaubt, die zur Kursänderung zwingen könnten, dem wird vom Bundesfinanzminister eine rosarote Dienstbrille verschrieben, die Herr Waigel bereits seit Jahren erfolgreich im Selbstversuch getestet hat.
    Das Budgetrecht, das jedes Jahr anläßlich der Lesung des Haushaltsentwurfs Rednerinnen und Redner sämtlicher Parteien als die Krone des demokratischen Parlamentarismus preisen, wird ausgehöhlt. Hinzu kommt, daß die Sondervermögen jeder wirksamen parlamentarischen Kontrolle entzogen sind.
    Mit einem Unterausschuß „Treuhand" ist — wie wir erst jüngst feststellen mußten — die Kontrolle dieser Mammutbehörde nicht einmal in Ansätzen möglich.
    Wenn der Vorsitzende des Haushaltsausschusses die Hektik der Etatberatungen beklagt, dann gilt es erst recht, hellhörig zu werden und zu prüfen, ob die Exekutive nicht schon längst diejenigen, die sie kontrollieren sollen, zu Statisten auf parlamentarischer Bühne degradiert hat.

    (Ina Albowitz [FDP]: Wo wart ihr eigentlich die ganze Zeit?)

    Wer profitiert von der Senkung der Vermögensteuer und vom Wegfall der Gewerbekapitalsteuer? Wem wird durch das Steueränderungsgesetz Geld aus der Tasche gezogen, und wem wird es geschenkt? Was hält die Bundesregierung von der Steuergerechtigkeit?
    Die Erhöhung des Freibetrags für Betriebsvermögen kostet die Länder jährlich 265 Millionen DM. Die Erhöhung des Bewertungsabschlags für Betriebsvermögen beschert den Ländern jährliche Mindereinnahmen in Höhe von 1,42 Milliarden DM. Wer profitiert von dieser Entlastung des Betriebsvermögens?
    Schaut man sich die Etatansätze an, so stellt man fest, daß es eine Reihe falscher sachlicher Zuordnungen gibt. Ich möchte Ihnen nur ein Beispiel dafür nennen: Der Verteidigungshaushalt, den die Bundesregierung ursprünglich um 1,5 Milliarden DM kürzen wollte, wird mit 52,1 Milliarden DM nur um 400 Millionen DM unter dem Ansatz von 1991 bleiben.
    Was auf den ersten Blick das Ergebnis einer Sparoperation zu sein scheint, ist in Wirklichkeit eine Mogelpackung, denn im Einzelplan 60, der unverdächtigen „Allgemeinen Finanzverwaltung", finden sich unter der Kapitelüberschrift „Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Golfkrieg" 514 Millionen DM für die Ersatzbeschaffung zur Erhaltung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr und Verpflichtungsermächtigungen in einer Gesamthöhe von rund 1,5 Milliarden DM. Entspricht die Auslagerung dieses Haushaltstitels den Grundsätzen einer klaren Haushaltsführung?
    In ihrer Antwort auf die Stellungnahme des Bundesrats zum Haushaltsgesetz 1992 gibt die Bundesregierung einen tiefen Einblick in ihre Trickkiste: „Eine Verlagerung der Ausgaben für Ersatzbeschaffungen im Zusammenhang mit dem Golfkrieg in den Einzelplan 14 würde eine entsprechende Plafonderhöhung des Einzelplans 14 erforderlich machen."
    Herr Bundesfinanzminister, das sind mehr Fragen als Antworten.

    (Beifall bei der PDS/Linke Liste)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Als nächster spricht der Abgeordnete Werner Schulz.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Werner Schulz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Beratung des Bundeshaushalts 1992 findet in einer Zeit großer Umbrüche und Veränderungen statt.
    Der Zerfall des osteuropäischen sozialistischen Staatensystems, der die deutsche Einheit ermöglichte, ist eine große Herausforderung für die Stabilität und den Frieden in Europa. Die westeuropäische Staatengemeinschaft war nicht in der Lage, die jugoslawische Tragödie zu verhindern. Sie ist — so scheint es zumindest — genauso hilflos angesichts der dramatischen Entwicklung in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion.



    Werner Schulz (Berlin)

    Einige Tage vor dem Gipfel in Maastricht zeichnen sich auch für den europäischen Integrationsprozeß nicht zu übersehende Risiken und Konflikte ab. Ein Jahr nach der Vereinigung von Ost- und Westdeutschland ist die neue Bundesrepublik ein Land der zwei Geschwindigkeiten: im Westen ein relativ hohes, wenngleich sich abschwächendes Wirtschaftswachstum, im Osten dagegen ein zunehmender Verlust an Industriesubstanz und ein dramatischer Anstieg der Arbeitlosigkeit.
    Die Menschen in Ost und West sind noch weit von einer Gleichheit der Lebensverhältnisse — wie sie das Grundgesetz postuliert — entfernt. Das gilt nicht nur in ökonomischer Hinsicht; zu weit haben sich die beiden Gesellschaften in den vergangenen Jahrzehnten auseinanderentwickelt. Die wirtschaftlichen, sozialen, auch psychosozialen Differenzen werden noch lange anhalten und nachwirken. Gewiß, die Lebensbedingungen werden sich auch dank der keineswegs geringen Unterstützungsleistungen aus dem Westen nach und nach verbessern. Zunächst aber sind die wirtschaftlichen Gewinner des Einigungsprozesses vor allem im Westen zu finden. Dazu gehört auch der Vermögenszuwachs, der aus der Rückgabe von Grundstücken und Firmen an die ursprünglichen Eigentümer im Westen resultiert.
    Die Bundesregierung hat mit ihren Gesetzen zur Regelung der Eigentumsverhältnisse zu dieser Entwicklung beigetragen. In Art. 14 des Grundgesetzes heißt es: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. " Die geltenden Regelungen der ungeklärten Eigentumsverhältnisse sprechen diesem Verfassungsprinzip Hohn. Nicht ein „Schnäppchen DDR" wurde gemacht, wie Günter Grass es nannte, sondern tagtäglich finden Enteignungen statt. Vom Einfamilienhäuschen bis zur Altenburger Spielkartenfabrik reicht der westliche Zugriff. Das sogenannte Enthemmungsgesetz vom Frühjahr dieses Jahres, das Vorfahrt für Investitionen in den neuen Bundesländern vorsah, hat offensichtlich nur die Hemmungslosigkeit von Grundstücksspekulanten angeregt. Was sich hier zur Zeit ereignet, ist ein Skandal ersten Ranges.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Besonders im Umfeld von Berlin sehen sich die Gemeinden einem wahren Sturm auf ihre Häuser und Höfe ausgesetzt. Der Justizminister von Brandenburg hat es klipp und klar gesagt: In der Eigentumsfrage ist der Rechtsfriede tief gestört. — Die im Einigungsvertrag und im Vermögensgesetz getroffenen Regelungen weisen erhebliche Mängel auf. Sie werden den sozialen Verhältnissen in den neuen Bundesländern nicht gerecht. Die jetzige Anwendung des Prinzips „Rückgabe vor Entschädigung" führt zu einer erneuten Entrechtung der Bürgerinnen und Bürger der neuen Bundesländer. Hier muß ein neues Verfahren gefunden werden, das die Besitzstände der neuen Bundesbürger angemessen berücksichtigt.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste — Zurufe von der CDU/CSU: Warum klatscht denn von Ihrer Gruppe niemand? — Wo ist denn die Gruppe der GRÜNEN?)

    Die Bundesregierung hat sich den Herausforderungen nicht voll gestellt. Die Vorlage des Haushaltsentwurfs bestätigt dies erneut. Sie demonstriert Selbstzufriedenheit, wo Kritik angemessen ist, sie unterschätzt oder verschleiert die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Probleme. Es rächt sich nun, daß der Glaube an den schnellen Aufschwung im Osten die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung so lange bestimmt hat. Ich übersehe nicht, daß auch ein Teil der Wirtschaftsexperten in diesem Land von einer schnellen ökonomischen Transformation ausgegangen war. Die Bundesregierung konnte sich die ihr genehmen Ratgeber also aussuchen. Vor allem zu nennen sind die Gefälligkeitsgutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft, die besonders in der CDU so nachhaltig Einfluß erlangt haben

    (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!) und auch den Bundeskanzler in die Irre führten.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

    Auch die Expertise der fünf führenden Forschungsinstitute war nicht frei von überoptimistischen Erwartungen. Ein Vorwurf bleibt aber bestehen: Der Bundeskanzler hat die Warnungen, die ebenfalls unüberhörbar waren, nicht ernst genommen. Er hat sich vielmehr an das Diktum Machiavellis gehalten:

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ein böser Kanzler!)

    Ein Fürst soll sich beraten lassen, aber nur dann, wenn er es will, und nicht, wenn es ein anderer will. Er soll auch jedem den Mut nehmen, ihm ungefragt Rat zu erteilen.
    Einigen ist wahrlich der Mut abhanden gekommen, unbequeme Wahrheiten deutlich auszusprechen. Dennoch, der Sachverständigenrat hatte schon im Frühjahr 1990 vor den Folgen einer schnellen ökonomischen Integration gewarnt. Die Bundesregierung hatte damals die Risiken bewußt übersehen; sie hat sie auch später nicht wahrnehmen wollen. Darin bleibt sie beständig; auch Ende des Jahres 1991 werden die Warnungen noch immer nicht ernst genommen.
    Ich frage den Finanzminister: Warum gelang es Ihnen nicht, eine gemeinsame Stellungnahme — mit dem Wirtschaftsminister — zum Gutachten des Sachverständigenrates abzugeben? War die Kritik des Rates an Ihrer Finanzpolitik zu deutlich ausgefallen, oder war Herr Möllemann nicht davon abzubringen, diese Kritik des Rates auch noch hervorzuheben?
    Sie verdrehen die Tatsachen, wenn Sie in Ihrer Erklärung zum Jahresgutachten behaupten, daß sich die Finanzpolitik klar an der vom Sachverständigenrat bevorzugten wachstumsorientierten Konzeption ausrichtet. Das Gegenteil ist richtig. Darauf haben die Kommentatoren in den Medien zu Recht verwiesen. Die Bundesregierung muß zur Kenntnis nehmen, daß der Boom der letzten Jahre zu Ende ist. Die Belastungen des deutschen Einigungsprozesses können nur noch in geringem Maße durch die Gewinne des wirtschaftlichen Wachstums finanziert werden. Dabei hat die Bundesrepublik schon in den vergangenen zwei Jahren über ihre Verhältnisse gelebt. Die im Haushalt



    Werner Schulz (Berlin)

    ausgewiesene Verschuldung wird sich weiter dramatisch erhöhen.
    Der Strukturumbruch in den neuen Bundesländern wird noch für viele Jahre finanzielle Transfers von West nach Ost benötigen. Der Aufschwung Ost kommt nur sehr langsam in Schwung. Er benötigt erheblich mehr Zeit, als die Bundesregierung in ihren Wirtschaftsprojektionen veranschlagt. Die im Haushaltsentwurf vorgesehenen finanziellen Mittel werden nicht ausreichen, den Finanzbedarf der neuen Bundesländer hinreichend zu decken.
    Es liegt nach wie vor kein finanzpolitisches Konzept für die Finanzierung der deutschen Einheit vor. Nur eine Strategie ist sichtbar: das Verdrängen und Vertagen der Probleme. Die Bundesregierung weigert sich beharrlich, die Treuhandanstalt mit einem wirksamen strukturpolitischen Mandat auszustatten.
    Wir fordern seit März dieses Jahres, der Treuhandanstalt einen gesetzlichen Sanierungsauftrag zu geben. Nun ist auch in der CDU der Widerstand gegen die Politik der Treuhandanstalt gewachsen. Die CDU-Abgeordneten aus den neuen Bundesländern fordern jetzt zu Recht: Strukturpolitik statt Kaputtsanieren. Angesichts zunehmenden Drucks wird die Bundesregierung nun hoffentlich ihre Scheuklappen abnehmen. Wir fordern Sie auf: Greifen Sie unsere Vorschläge zum Treuhandgesetz auf. Geben Sie der Treuhandanstalt endlich den notwendigen, klar umrissenen Sanierungsauftrag.
    Die Kosten für den Aufbau in den neuen Bundesländern werden von der Bundesregierung nach wie vor verharmlost. Hinzu kommt: Die Regierung versucht auch weiterhin, mit den bekannten Methoden die finanzpolitische Situation zu verschleiern.

    (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Eine Böse Regierung!)

    Sie vernachlässigt die Haushaltsgrundsätze der Wahrheit und Klarheit. Dies fängt schon bei der Einnahmeseite an. Die Zahlen aus der jüngsten Steuerschätzung werden einfach übernommen, ohne die Probleme der Steuererhebung in den neuen Bundesländern zu berücksichtigen. Nebenbei: Die Steuerschätzung belegt, daß die Arbeitnehmer einen immer höheren Anteil der Staatseinnahmen tragen. Mit der zunehmenden Inflation wird dieser Trend noch verschärft.
    Dieses Bild paßt auch dazu, daß nach den Angaben der deutschen Steuergewerkschaft dem Staat jährlich mehr als 100 Milliarden DM durch Steuerhinterziehung entgehen. Die Leidtragenden sind die Lohnsteuerzahler, deren Abgaben direkt an der Quelle erhoben werden.

    (V o r s i t z: Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg)

    Die Verschleierung der tatsächlichen Lage der Staatsfinanzen findet auch auf der Ausgabenseite statt. Ein erheblicher Teil der Belastungen wird einfach in Neben- und Schattenhaushalte verlagert. Die tatsächlichen Schuldenposten werden dadurch der öffentlichen Kontrolle und Beurteilung entzogen. Dabei ist jetzt schon abzusehen, daß gerade im Bereich dieser Nebenhaushalte zusätzliche Lasten entstehen, die in solcher Höhe nicht erwartet worden sind.
    Das betrifft nicht nur den Fonds Deutsche Einheit, dessen Volumen jetzt erneut erweitert werden mußte. Auch die Absicht der Bundesregierung, Teile der Verkehrsinvestitionen durch Banken oder Leasinggesellschaften privat finanzieren zu lassen, ist ein Versuch, die tatsächliche Belastung des öffentlichen Sektors zu verschleiern. Die Bundesregierung verschweigt die schwerwiegenden Haushaltsrisiken, die für die zukünftige Finanzpolitik große Belastungen bringen werden. Zu nennen ist der Kreditabwicklungsfonds, der bisher ein Defizit von knapp 30 Milliarden DM aufweist. Zu nennen ist wiederum die Treuhandanstalt, die in der Sicht des Finanzministers überhaupt kein Teil der öffentlichen Finanzwirtschaft ist. Sie wird dem Bundeshaushalt in den kommenden Jahren ebenfalls gewaltige Defizite bescheren.
    Im Bundeswirtschaftsministerium wird ein künftiger Schuldenstand von mindestens 300 Milliarden DM erwartet. Der Bundesrechnungshof hat jüngst darauf verwiesen, daß die Finanzrisiken, die aus der Tätigkeit der Treuhandanstalt resultieren, von der Bundesregierung nur unzureichend berücksichtigt worden sind. Es ist also höchste Zeit, die Finanzströme der Treuhandanstalt in die Buchhaltung der öffentlichen Finanzwirtschaft aufzunehmen. Die Schulden der Treuhandanstalt kommen ohnehin früher oder später auf den Steuerzahler zu.
    Die Bundesregierung hat in ihrer Finanzplanung eine Reihe weiterer absehbarer Risiken unberücksichtigt gelassen: die außenwirtschaftlichen Gewährleistungen mit Ausfallrisiko, die Defizite bei Bundesbahn und Reichsbahn, nicht zuletzt aber auch die zusätzlichen Anforderungen an den Haushalt auf Grund des zu regelnden Familienlastenausgleichs. Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte ist binnen Jahresfrist von rund 928 Milliarden DM auf 1 052 Milliarden DM im Jahre 1990 emporgeschnellt. In diesem Jahr wird der Fehlbetrag nach der Schätzung des Sachverständigenrates eine Größenordnung von 135 Milliarden DM erreichen. Die Verschuldung erreicht somit eine Größenordnung von 5 % des gesamtdeutschen Bruttosozialprodukts.
    Die Bundesbank fordert völlig zu Recht, daß die Verschuldung baldmöglichst wieder auf ein normales Maß begrenzt wird. Sie verweist auch darauf, daß die Rückführung der Verschuldung aus außenwirtschaftlichen Gründen geboten ist.
    Die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik wird weltweit kritisch daraufhin beobachtet, ob sie die mit der Vereinigung gestellten Aufgaben mit den richtigen Maßnahmen und auch in angemessener Frist bewältigen kann. Sogar der Internationale Währungsfonds empfiehlt der Bundesregierung, mit einem ehrlichen Bericht über die wahren Kosten der deutschen Vereinigung an die Öffentlichkeit zu treten. Es zeichnet sich ab: Die Stabilitätspolitik der Bundesregierung wird weltweit zunehmend in Zweifel gezogen.
    Auch der Bundesrechnungshof hat die Schuldenpolitik der Bundesregierung gerügt. Er verweist in seinen Bemerkungen zur Haushalts- und Wirtschaftsführung auf die dramatisch ansteigende Zinslastquote.



    Werner Schulz (Berlin)

    Das Verhältnis der Zinsausgaben zu den Gesamtausgaben wird nach der derzeitigen Finanzplanung des Finanzministeriums im Zeitraum von 1991 bis 1995 von 10,3 To auf 13,3 % steigen. Ebenso deutlich wird die Zinssteuerquote ansteigen. Das Verhältnis der Zinsausgaben zu den Steuereinnahmen wird im selben Zeitraum von 13,6 % auf 15 % steigen. Eine Folge ist: Die Schulden des Bundes können überhaupt nicht mehr getilgt werden. Die fälligen Zahlungen müssen im wesentlichen durch neu aufgenommene Kredite finanziert werden.
    Inzwischen ist selbst der Bundesregierung klargeworden, daß die Politik des leichten Geldes nicht beliebig fortgesetzt werden kann. Nach dem Versprechen, die Steuern nicht zu erhöhen, fiel es ihr allerdings zunächst schwer, auf das einfachste Mittel der Einnahmepolitik zurückzugreifen. Die Schamfrist scheint nun aber endgültig vorüber zu sein. Das vorliegende Steuerpaket spekuliert wieder einmal auf die Vergeßlichkeit der Bürgerinnen und Bürger.
    Nicht nur, daß die Mehrwertsteuer erhöht werden soll — eine schon an sich besonders unsoziale Absicht — , die Mehrwertsteuererhöhung soll, was man kaum glauben kann, mit einer gleichzeitigen Senkung von Unternehmensteuern verknüpft werden. Dies ist sogar vielen Abgeordneten aus den Reihen der Regierungskoalition zuviel. Sie sehen es wie Reiner Geißler, der schon frühzeitig vor einer Verbindung von Mehrwertsteuererhöhung und Senkung von Unternehmensteuern gewarnt hatte.
    In deutlichem Kontrast zu dieser schnellen Einnahmeerhöhung steht die zögerliche Haltung der Regierung bei der Besteuerung von Kapitaleinkünften. Der vorgelegte Vorschlag der Zinsbesteuerung löst das Problem nur zum Teil. Mit einer faktischen Abgeltungssteuer von 25 % läßt sich keine Steuergerechtigkeit herstellen.
    Nach dem Steueränderungsgesetz 1991 wird schon jetzt der zweite Gesetzentwurf vorgestellt, mit dem diese Regierung ihre Finanzmisere durch eine Erhöhung der Steuern beheben möchte. Ich betone: Das Steueränderungsgesetz 1992 wird den Anforderungen an die ökonomische Vernunft und soziale Ausgewogenheit nicht gerecht. Eine Reform der Unternehmensbesteuerung ist sicherlich notwendig. Ökonomen und Juristen sind zu Recht der Meinung, daß die deutsche Unternehmensbesteuerung in ihrer Struktur verfehlt ist. Die Bundesregierung ist aber offenbar mit den Unternehmerverbänden der Meinung, daß es sich weniger um ein Strukturproblem handele als vielmehr um eine zu hohe steuerliche Belastung der Unternehmen. Dies ist aber, wie internationale Vergleiche zeigen, keineswegs der Fall.
    Zu befürworten ist dagegen eine aufkommensneutrale Steuerstrukturreform der Unternehmensbesteuerung, wie sie auch in anderen Ländern erfolgt ist. Die wesentlichen Elemente einer solchen Reform sind: Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bei gleichzeitiger Senkung der Steuersätze,

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Sie müssen sagen, was Bemessungsgrundlage ist!)

    Steuervereinfachung und -vergünstigung für wieder
    investierte Gewinne im Verhältnis zu den ausgeschütteten Gewinnen. Dabei sind gleichzeitig ökologische Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
    Bei der Gegenbuchung war die Bundesregierung nicht besonders erfolgreich. Die Steuermindereinnahmen sollten durch den Abbau von Steuervergünstigungen und durch Subventionsabbau ausgeglichen werden. Der Subventionsabbau hat sich als Flop erwiesen. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Subventionsabbau vorwiegend um Subventionen, die ohnehin auslaufen sollten, um den Verzicht auf die Erhöhung von Subventionen und um die erneute Einbeziehung bereits beschlossener Maßnahmen.
    Die Anhebung der Umsatzsteuer steht bei der Bundesregierung nicht zur Disposition, obwohl ebenfalls von vielen Experten erhebliche Kritik geäußert worden ist. Der mit der Mehrwertsteuererhöhung verbundene Preisschub kann leicht eine Inflationsdynamik auslösen, welche die Bundesbank zu noch schärferen Stabilitätsmaßnahmen zwingen würde. Hinzu kommt: Die Einnahmeverbesserung über die Erhöhung der Mehrwertsteuer ist sozial unausgewogen. Sie trifft die sowieso schon stark belasteten Durchschnittshaushalte besonders stark.
    Wir fordern deshalb von der Bundesregierung, auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer zu verzichten. Es gibt Alternativen zur Erhöhung der Mehrwertsteuer: Die Beibehaltung einer Ergänzungsabgabe für relativ hohe Einkommen, der Verzicht auf die Nettoentlastung der Unternehmen und die Einführung einer verfassungskonformen Kapitalertragsteuer erbringen zusätzliche Steuereinnahmen, die den Verzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung kompensieren würden.

    (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und der SPD)

    Hauptsächlich im Verteidigungshaushalt sind weitere Kürzungen zu erzielen.
    Das Konzept der Bundesregierung ist aber Umverteilung zu Lasten der unteren Einkommen. Die Verbesserung des Famlienlastenausgleichs wurde erst durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts möglich. Das Gericht fordert aber, das Existenzminimum von der Besteuerung freizustellen. Die Anhebung des Kinderfreibetrages ist also erst ein Schritt in die richtige Richtung. Der Auftrag der Verfassungshüter wird damit nur ungenügend umgesetzt. Die Freibeträge müssen noch weiter erhöht werden.
    Auch das sozialpolitische Ziel, die Familien zu entlasten, ist noch längst nicht erreicht. Familien mit niedrigen Einkommen werden durch steuerliche Entlastungen nicht angemessen erfaßt. Dies gilt in besonderem Maße für die Menschen in den neuen Bundesländern. Deshalb bleibt die Bundesregierung auch hier in der sozialpolitischen Pflicht.
    Wie gesagt, die Finanzpolitik der Bundesregierung bedarf erheblicher Korrekturen. Ich möchte die wesentlichen Punkte zusammenfassen:
    Erstens muß der Verteidigungsetat stärker in die Konsolidierung des Staatshaushaltes einbezogen werden. Wir verlangen neben einer stärkeren Kürzung des Ansatzes eine mittelfristige Planung mit dem Ziel einer Halbierung des Rüstungsetats bis 1995.



    Werner Schulz (Berlin)

    Zweitens muß die Steuerpolitik der Bundesregierung wieder stärker dem Prinzip der Gerechtigkeit unterstellt werden. Es darf nicht sein, daß die Bundesregierung erst durch das Verfassungsgericht zur Beseitigung von Ungerechtigkeiten gezwungen wird. Die Korrekturen beim Familienlastenausgleich, bei der Zinsbesteuerung, beim Finanzausgleich sind allein verfassungsrechtlichem Zwang zu verdanken.
    Drittens muß eine zukünftige Reform des Steuersystems auch ökologische Gesichtspunkte berücksichtigen. Die steuerpolitischen Instrumente sind auf eine Reduzierung der Umweltbelastung auszurichten. Durch Ökosteuern und -abgaben soll ein Anreiz für umweltschonende Produktion und Konsumption geschaffen werden.
    Viertens müssen endlich Subventionen auf allen Ebenen abgebaut werden. Hier ist die Bundesregierung bisher fast alles schuldig geblieben. Die Ausgabenpolitik muß wieder stärker durch Sparsamkeit bestimmt werden.
    Fünftens ist es notwendig, dem wirtschaftlichen Umbau in den neuen Bundesländern ein klares finanzpolitisches Fundament zu geben. Die zusammenhanglosen und widersprüchlichen Maßnahmen der Bundesregierung bieten bis jetzt keine geeignete Grundlage für einen wirtschaftlichen Aufschwung.
    Sechstens ist eine schnelle Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern unabdingbar. Die Finanzausstattung der Länder und Gemeinden muß der finanzpolitischen Situation von Bund, Ländern und Gemeinden nach der Vereinigung angepaßt werden. Es muß eine Lösung gefunden werden, die den noch lange bestehenden Strukturunterschieden zwischen den Bundesländern gerecht wird und die Lasten angemessen auf Bund und Länder überträgt. Die jetzt hoffentlich in Gang kommende Verfassungsdebatte muß dieses Problem aufgreifen.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/GRÜNE, bei der SPD und der PDS/Linke Liste)