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ID1205902400

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    Plenarprotokoll 12/59 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 59. Sitzung Bonn, Dienstag, den 26. November 1991 Inhalt: Tagesordnungspunkt I: Eidesleistung eines Ministers Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 4885 A Friedrich Bohl, Bundesminister (ChefBK) 4885 B Tagesordnungspunkt II: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1992 (Haushaltsgesetz 1992) (Drucksachen 12/1000, 12/1329) Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt (Drucksachen 12/1401, 12/1600) 4885D Einzelplan 02 Deutscher Bundestag (Drucksachen 12/1402, 12/1600) 4885 D Einzelplan 03 Bundesrat (Drucksachen 12/1403, 12/1600) 4886A Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen (Drucksachen 12/1408, 12/1600) in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld (Drucksachen 12/1426, 12/1600) in Verbindung mit Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung (Drucksachen 12/1430, 12/1600) in Verbindung mit Einzelplan 20 Bundesrechnungshof (Drucksachen 12/1420, 12/1600) in Verbindung mit Tagesordnungspunkt III: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1991 (Nachtragshaushaltsgesetz 1991) (Drucksachen 12/1300, 12/1587, 12/1599) Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD 4886 C Jochen Borchert CDU/CSU 4892 B Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD 4892D, 4923 B Helmut Esters SPD 4893 A Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) FDP 4897 A Dr. Willfried Penner SPD 4899 C Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste 4900 C Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 4903 D Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 4907 B Joachim Poß SPD 4913 D Josef Duchac, Ministerpräsident des Landes Thüringen 4917 D Helmut Esters SPD 4920 A Johannes Gerster (Mainz) CDU/CSU 4920 D II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1991 Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 4922 C Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD 4926 B Hans-Werner Müller (Wadern) CDU/CSU 4927C Einzelplan 12 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr (Drucksachen 12/1412, 12/1600) Ernst Waltemathe SPD 4930 A Dr. Peter Struck SPD 4931 C Wilfried Bohlsen CDU/CSU 4933D Werner Zywietz FDP 4936 A Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/GRÜNE 4938 A Dr. Günther Krause, Bundesminister BMV 4940 A Ernst Waltemathe SPD 4940 C Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/ GRÜNE 4941 D Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Drucksachen 12/1422, 12/1600) Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD 4943 A Hans-Wilhelm Pesch CDU/CSU 4946 A Carl-Ludwig Thiele FDP 4948 A Rolf Rau CDU/CSU 4949 C Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin BMBau 4951A Namentliche Abstimmung 4952 D Ergebnis 4967 A Einzelplan 16 Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Drucksachen 12/1416 [neu], 12/1600) Hans Georg Wagner SPD 4953 A Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU 4953 B Michael von Schmude CDU/CSU 4956 D Jutta Braband PDS/Linke Liste 4958 C Gerhart Rudolf Baum FDP 4961 C Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/ GRÜNE 4961 D Dr. Klaus-Dieter Feige Bündnis 90/GRÜNE 4963 B Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär BMU 4964 A Nächste Sitzung 4969 C Berichtigung 4969 Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 4971 * A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 26. November 1991 4885 59. Sitzung Bonn, den 26. November 1991 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 57. Sitzung, Seite 4676A: Die unter ZP 2 und ZP 3 abgedruckten Texte sind zu streichen. Folgende Fassung ist einzufügen: ZP2 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Verhältnisses von Kriegsfolgengesetzen zum Einigungsvertrag — Drucksache 12/1504 — Überweisungsvorschlag: Innenausschuß (federführend) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß ZP3 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung und weiterer Bundesgesetze für Heilberufe — Drucksache 12/1524 — Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 26. 11. 91 * Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 26. 11. 91 Bernrath, Hans Gottfried SPD 26. 11. 91 Blunck, Lieselott SPD 26. 11. 91 ** Börnsen (Ritterhude), SPD 26. 11. 91 Arne Büchler (Hof), Hans SPD 26. 11. 91 Clemens, Joachim CDU/CSU 26. 11. 91 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 26. 11. 91 Herta Doppmeier, Hubert CDU/CSU 26. 11. 91 Genscher, Hans-Dietrich FDP 26. 11. 91 Dr. Glotz, Peter SPD 26. 11. 91 Helmrich, Herbert CDU/CSU 26. 11. 91 Jaunich, Horst SPD 26. 11. 91 Koschnick, Hans SPD 26. 11. 91 Kretkowski, Volkmar SPD 26. 11. 91 Kubicki, Wolfgang FDP 26. 11. 91 Dr. Lehr, Ursula CDU/CSU 26. 11. 91 Meißner, Herbert SPD 26. 11. 91 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 26. 11. 91 ** Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 26. 11. 91 Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Nolte, Claudia CDU/CSU 26. 11. 91 Dr. Paziorek, Peter Paul CDU/CSU 26. 11. 91 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 26. 11. 91 * Rempe, Walter SPD 26. 11. 91 Rennebach, Renate SPD 26. 11. 91 Rixe, Günter SPD 26. 11. 91 Dr. Scheer, Hermann SPD 26. 11. 91 Schmidt (Mülheim), CDU/CSU 26. 11. 91 Andreas Schuster, Hans Paul FDP 26. 11. 91 Hermann Seidenthal, Bodo SPD 26. 11. 91 Dr. Soell, Hartmut SPD 26. 11. 91 ** Stübgen, Michael CDU/CSU 26. 11. 91 Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 26. 11. 91 Dr. Ullmann, Wolfgang Bündnis 26. 11. 91 90/GRÜNE Voigt (Frankfurt), SPD 26. 11. 91 Karsten D. Dr. Voigt (Northeim), CDU/CSU 26. 11. 91 Hans-Peter Vosen, Josef SPD 26. 11. 91 Wollenberger, Vera Bündnis 26. 11. 91 90/GRÜNE Zierer, Benno CDU/CSU 26. 11. 91 ** * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
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    Rede von Dr. Theodor Waigel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die zweite Lesung des Bundeshaushalts 1992 ist noch jung, aber das meiste von dem, was die Opposition, auch der Kollege Schulz, jetzt geboten hat, hört sich schon sehr alt an, ist weder neu noch originell.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich wäre dankbar, Herr Kollege Schulz, wenn Sie wenigstens einige Zusammenhänge zur Kenntnis nähmen. Zum Beispiel ist die Unternehmensteuerreform genauso aufkommensneutral, wie Sie es gefordert haben. Das, was den Betrieben und Unternehmen an Entlastung gegeben wird, wird bereits ein Jahr zuvor durch Kürzung der Steuersubventionen finanziert. Genau diese aufkommensneutrale Finanzierung mit einer Strukturänderung, mit einer Wachstumsförderung, mit einer neuen Struktur im Steuersystem, um den Wettbewerb zum 1. Januar 1993 für unsere Betriebe im europäischen Bereich erträglicher zu machen, das ist die Konzeption. Und es ist schlichtweg falsch, wenn Sie das in Zusammenhang bringen mit der Mehrwertsteuererhöhung. Außerdem: Wer sagt Ihnen denn, daß eine Mehrwertsteuererhöhung mit einem gleichbleibenden, ermäßigten Steuersatz unsozial sei? Es ist die erste geplante Mehrwertsteuererhöhung, bei der der ermäßigte Steuersatz bleibt und genau damit die soziale Komponente zum Ausdruck kommt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Weder Sie noch ein anderer Kollege kann doch bestreiten, daß die 15 % das sind, was auf europäischer Ebene sozusagen das Unterste ist, was an Harmonisierung insgesamt denkbar ist. Die Länder, die in Europa lange Zeit und auch jetzt noch sozialdemokratisch oder sozialistisch regiert werden, haben wesentlich höhere Mehrwertsteuersätze, und sie verlangen von uns, daß wir eher mit der Mehrwertsteuer nach oben gehen, um die notwendige Harmonisierung im europäischen Bereich herzustellen. Wenn Sie sich auch noch mit Steuerstruktur beschäftigen, dann können Sie doch nicht leugnen, daß sich das Verhältnis von etwa 50 zu 50 zwischen direkten und indirekten Steuern in den 50er Jahren zuungunsten der direkten Steuern laufend verschlechtert hat und wir heute bei fast 60 % direkten und etwa 40, 42 % indirekten Steuern sind und daß eine Ausgewogenheit auch ein vernünftiges, leistungsfreundliches und investitionsfreundliches Steuerrecht bedeuten würde.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Darüber, meine Damen und Herren, sollten wir doch endlich einmal in ein konstruktives Gespräch eintreten, anstatt die alten Rituale fortzusetzen und die alten Platten abzuspielen. Bei der SPD spüre ich doch, daß da auch Bewegung ist. Wenn sie aufnehmen, was Oskar Lafontaine damals in seinem Steuerprogramm entwickelt hat, wären ja Elemente darin. Sie müssen sich nur daran erinnern. Auch andere von Ihnen haben auf die Notwendigkeit einer Unternehmenssteuerreform hingewiesen und darauf verwiesen, daß wir die deutschen Unternehmen hier nicht im Regen stehenlassen dürfen. Es nützt uns überhaupt nichts, hier eine Polemik zwischen Groß- und Kleinoder zwischen Groß- und Mittelbetrieben aufzurichten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Denn, meine Damen und Herren, die vielleicht nicht so häufigen, wenigen Großbetriebe beschäftigen Millionen von Arbeitern. Um deren Sicherheit, um deren Arbeitsplatz in Europa geht es uns. Unsere Politik, unsere Steuerpolitik muß so aussehen, daß wegen der Steuerpolitik, wegen der Steuerhöhe, wegen der Steuersätze nicht ein Arbeitsplatz bei uns verlorengeht und daß nicht deswegen Kapital woanders hingeht, anstatt bei uns für Arbeitsplätze zu sorgen. Das ist die Grundphilosophie unserer Steuerpolitik

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und nichts anderes.

    Es geht jetzt einfach darum: Wir wollen und wir müssen in den nächsten Wochen zu einem vernünftigen Konsens kommen, um die steuerpolitischen Grundlagen für den Rest dieser Legislaturperiode miteinander zu vereinbaren. Dazu ist es notwendig, daß



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Regierung und Opposition aufeinander zugehen, sonst kommt es nicht zu den Dingen. Der Bundeshaushalt wird verabschiedet. Wenn der Bundeshaushalt nicht verabschiedet würde, könnte der Finanzminister eine Zeitlang auch mit der vorläufigen Haushaltsführung ganz gut leben.

    (Zurufe von der SPD)

    Nur, man muß genau wissen, was dann nicht kommt. Wer sich diesem gemeinsamen Vermittlungsbegehren verweigert, würde die Verantwortung dafür übernehmen, daß zum 1. Januar 1992 der Familienlastenausgleich nicht in Kraft gesetzt werden könnte,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Zum Beispiel!)

    und er wäre auch für manches andere verantwortlich.
    Meine Damen und Herren, wenn wir zu einem Zeitpunkt, wo die Finanzpolitik keine einfache Angelegenheit ist, den Familienlastenausgleich um 7 Milliarden DM verbessern, wenn wir einen Ressourcentransfer von West nach Ost in einer Größenordnung von etwa 100 Milliarden DM durchführen, wenn wir in diesem Zeitraum mehr als 10 Milliarden DM — 15 bis 18 Milliarden DM — für unsere Solidarität am Golf zur Verfügung stellen, wenn wir den entscheidenden Beitrag für den Aufbau von Freiheit, Demokratie, Menschenwürde und Sozialer Marktwirtschaft in Mittel- und Osteuropa und auch für die Völker der Sowjetunion erbringen, dann, meine Damen und Herren, muß es auch erlaubt sein, über ein Stück Einnahmeverbesserung von einem Punkt Mehrwertsteuer ab 1. Januar 1993 nachzudenken. Ich glaube, das ist die Solidarität, die wirklich allen zumutbar ist, zumal sicher ist, daß der Solidaritätszuschlag im nächsten Jahr wieder wegfällt, und mit dieser Solidarität auch eine Verbreiterung der Einnahmebasis für die Länder verbunden ist. Ich will diejenigen Länder — auch die sozialdemokratisch regierten — , die den einen Punkt Mehrwertsteuer schon in ihrer mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen haben, allerdings unter anderem Etikett, gar nicht aufzählen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich kann mit der Kritik, die Sie vorgetragen haben, gut leben. Nur, meine Damen und Herren, eines ist nicht legitim — wer immer das nun äußert, komme es von der Opposition, komme es von Finanzkreisen oder von wem auch immer, das lasse ich so nicht stehen — : so zu tun, als ob wir uns jetzt in der Situation von 1975 oder von 1981 oder 1982 befänden.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Schlimmer!)

    — Entschuldigung, haben Sie die deutsche Einheit verschlafen?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Finanzziffern von heute sind besser als die ökonomischen Daten des Jahres 1975, und sie sind besser als die ökonomischen Daten von 1981 und 1982. Nur, wir bewältigen die deutsche Einheit und tragen zum Aufbau von Demokratie in ganz Europa bei. Wegen dieser Schulden und dieser Investitionen brauchen wir uns
    nicht zu schämen, und wir lassen sie uns von Ihnen auch nicht vorhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    1981 und 1982 sind die Weltökonomen Schmidt und Lahnstein mit einem ausgebliebenen Ressourcentransfer der erdölexportierenden Länder von 20 Milliarden DM nicht fertig geworden. Das hat damals zur größten Wirtschaftskrise der Bundesrepublik Deutschland geführt. In den Jahren 1991 und 1992 bewältigen wir einen Ressourcentransfer von über 100 Milliarden DM von West nach Ost und finanzieren die anderen Dinge auch noch. Die Geld- und Kreislaufwirtschaft ist stabil; wir haben eine Preissteigerungsrate von 3,5 %, was noch zu hoch ist, aber sich angesichts der Anspannung trotzdem noch sehen lassen kann. Wir sind Wachstumslokomotive Nummer eins in Europa und in der Welt. Wir haben die höchste Ersparnisquote aller Industrieländer überhaupt. Meine Damen und Herren, da haben wir doch eine fünfmal so große Anforderung anders bewältigt, als Sie die Minianforderungen der Jahre 1981 und 1982 bewältigt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie schaffen es ja nicht einmal, Ihre Kritik ohne Widersprüche zu formulieren. Während Frau Kollegin Matthäus-Maier den verbalen Kreuzzug für mehr Ausgabendisziplin führt, versuchen Sie über die Mehrheit der SPD-Länder im Bundesrat dem Bundeshaushalt zusätzliche Lasten aufzubürden. Damit müssen Sie erst einmal fertig werden. Der Kollege Roth beklagt das Scheitern des Subventionsabbaus, während sein Kollege von Larcher am 12. November 1991 im Sozialdemokratischen Pressedienst Wirtschaft über den Wegfall der Sonderabschreibungen für die Land- und Forstwirtschaft lamentiert. Ignaz Kiechle wird sich freuen. Aber trotzdem frage ich: Was ist das für eine Finanz- und Subventionsabbaupolitik, die in sich so widersprüchlich ist? Während die SPD beklagt, wir würden noch zuwenig finanzielle Hilfen für die jungen Bundesländer bereitstellen, spricht Ministerpräsident Scharping davon, daß die vorgesehene Umleitung der Strukturhilfe an die jungen Bundesländer ein Diebstahl sei. Ist das auch ein Beitrag zum Thema Überwindung der Teilung durch Teilen?
    Hier zeigt sich das ganze finanzpolitische Dilemma der SPD. Sie sind damals mit zwei Ölpreiskrisen in einer Größenordnung von 20 bis 30 Milliarden DM nicht fertig geworden. Man stelle sich einmal vor, Sie hätten Ihre Politik 1981 oder 1982 fortgesetzt. Ihr öffentliches Defizit hätte doch die Größenordnung — ich will hier jetzt kein anderes Land in Europa nennen — von immerhin etwa 10 % des Bruttosozialprodukts erreicht. Das wäre doch eingetreten, wenn Sie die Probleme — deutsche Einheit, 450 000 Pendler von Ost nach West und weitere Probleme, die wir in den letzten Jahren bewältigt haben — hätten lösen müssen. Sie wissen doch ganz genau: Wenn die deutsche Einheit nicht gekommen wäre — Gott sei Dank ist sie gekommen — , dann hätten wir heute eine Situation, in der seit dem Jahre 1969 wahrscheinlich zum erstenmal Überschüsse der öffentlichen Kassen insgesamt vorhanden wären. Das ist die Folge davon, daß wir in der Zeit von 1982 bis 1989 konsequent eine solide Politik gemacht haben. Mit dem Ergebnis die-



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    ser Politik, mit den aufgelaufenen Ressourcen können wir jetzt die Probleme bewältigen, ohne die Volkswirtschaft, ohne die Geld- und Kreditmärkte überfordern zu müssen.

    (Zuruf von der FDP: Sehr richtig!)

    Meine Damen und Herren, Sie brauchen mir keinen Nachhilfeunterricht über den Umgang im internationalen Bereich zu geben. Lesen Sie einmal nach, was die OECD zu unserer Finanz- und Wirtschaftspolitik gesagt hat. Der Managing Director des IWF, Michel Camdessus, hat uns ausdrücklich eine ausgezeichnete Arbeit bestätigt. Der IWF sagt in dem Zusammenhang: Verdeutlicht eure mittelfristige Finanzplanung noch stärker! Wenn wir unser Konsolidierungsprogramm bis 1995 innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und auch international vorstellen, dann, meine Damen und Herren, werden wir genau dem gerecht, und ich bin dankbar dafür.
    Ich will auch etwas zur Treuhandanstalt sagen: Natürlich, meine Damen und Herren, steht die Treuhandanstalt in der Diskussion. Natürlich werden wir uns immer wieder mit diesem oder jenem Fall zu beschäftigen haben, wird es auch Anlaß zur Kritik geben. International — vom IWF über die Weltbank bis hin zu Jelzin und anderen Persönlichkeiten in der Sowjetunion, bis hin zu Attali, dem Präsidenten der Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London — sagt jeder: Das ist die größte und erfolgreichste Privatisierungsaktion in der Wirtschaftsgeschichte. Wenn es in eineinhalb Jahren gelungen ist, 16 000 bis 17 000 Kleinbetriebe zu privatisieren, wenn es im gleichen Zeitraum gelungen ist, über 3 500 Großbetriebe und Beteiligungen zu privatisieren, dann ist das insgesamt ein großartiger Erfolg. Und, meine Damen und Herren: Wir werden an dem Prinzip „privatisieren, sanieren — wo Privatisierung langfristig möglich ist — und behutsam stillegen" festhalten. Man kann nicht — wie Sie, Herr Schulz — auf der einen Seite das Ausufern von Defiziten beklagen und auf der anderen Seite Strukturpolitik für die Treuhandanstalt fordern. Das steht im Widerspruch zueinander.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie fordern, es müsse mittelfristig alles genau festgelegt werden. Ich weiß, auch in den neuen Bundesländern besteht — verständlicherweise — die Forderung, sozusagen einen mittelfristigen Einnahmekorridor bis 1995 festzulegen. Meine Damen und Herren, am Ende des letzten Jahres waren es 20 Milliarden DM weniger, die wir insgesamt ausgegeben haben. Ende dieses Jahres werden es 6 bis 7 Milliarden DM sein. Wenn ich die 5 Milliarden DM, die wir der Bundesanstalt zur Verfügung stellen, noch einrechne, wären es über 10 Milliarden DM. Und die Defizite der jungen Bundesländer werden in diesem Jahr nicht, wie ursprünglich gerechnet, 16 Milliarden DM betragen, sondern wahrscheinlich wesentlich unter 10 Milliarden DM liegen.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr erfreulich!)

    Also kann ich doch nicht im Jahre 1991 aufs I-Tüpfelchen sagen, was im Jahre 1995 möglich, notwendig und unabdingbar sein wird; vielmehr müssen wir auf Sicht fahren.
    Wir haben für 1991 und 1992 — das bestätigen mir die Länder und auch die Kommunen im Osten Deutschlands — einen ausreichenden Standard geschaffen. Was wir dann 1993/94 tun, tun müssen — ich sehe auch Handlungsbedarf — , können wir doch frühestens im Frühjahr oder Mitte nächsten Jahres feststellen, wenn wir die Abschlußzahlen, wenn wir die neuen Daten vorliegen haben und die angemeldeten Bedürfnisse in den neuen Bundesländern kennen. Ich kann das doch nicht auf drei Jahre festlegen.
    Das, Herr Schulz, ist halt der Unterschied bei einer Marktwirtschaft. Wenn man die nämlich richtig anpackt, wird man mitunter von der Entwicklung positiv überholt. Das ist mir allzumal lieber, als mich in ein starres Schema zu begeben und mich dann möglicherweise negativ überholen lassen zu müssen, wie es bei Planwirtschaften der Fall ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Für den öffentlichen Gesamthaushalt hatten wir in den Eckwertbeschlüssen vom November 1990 für das öffentliche Defizit 140 Milliarden DM als Ziel und Obergrenze festgelegt. Das haben viele als illusionär bezeichnet. In einem Wettlauf der Schwarzmalerei — typisch deutsch — wurden dann Prognosen bis zur Grenze von 200 Milliarden DM angeboten. Im Ergebnis wird das Defizit der öffentlichen Haushalte allenfalls 135 Milliarden DM, 4,5 To des Bruttosozialprodukts, ausmachen. Auch hier geistert, selbst international, noch die Zahl umher: Es werden 5,5 % sein. Nein! Es werden 4,5 % sein, vielleicht sogar etwas weniger. Und die tatsächliche Inanspruchnahme der Kreditmärkte wird deutlich darunter bleiben. Der Bund hat jetzt, dank der Vorratskredite vom vorigen Jahr, bisher nur rund 27 Milliarden DM aufgenommen. Bei den öffentlichen Haushalten insgesamt waren es bis Ende Oktober 70 Milliarden DM, davon 0,2 Milliarden DM bei den neuen Bundesländern.
    Mit 4,5 % Defizit liegen wir um 2,5 bis 3 % über dem Durchschnitt in der zweiten Hälfte der 80er Jahre. Das ist kein Anlaß zur Selbstzufriedenheit. Aber ich halte es für bemerkenswert, wenn sich ein Jahr nach der Herstellung der Einheit nur rund die Hälfte des Transferbedarfs der jungen Bundesländer in der öffentlichen Kreditaufnahme wiederfindet.
    Es wird ja völlig vergessen, daß wir von 1990 bis 1992 in den Nachtragshaushalten und in den ordentlichen Haushalten ein Konsolidierungsprogramm mit einem Aufwand von etwa 60 Milliarden DM durchgesetzt haben. Vielleicht haben wir das zuwenig verkauft;

    (Dr. Alfred Dregger [CDU/CSU]: So ist es!)

    vielleicht haben wir das zuwenig spektakulär gemacht. Aber wir haben es systematisch in jeden Haushalt, in jeden Nachtragshaushalt eingearbeitet. Das ist die Summe von Einsparungen und Umschichtungen, die damit erreicht ist.
    Ein Ausgabenanstieg von nur 2,9 % beim nominalen Zuwachs des Bruttosozialprodukts, der wesentlich höher ist, zeigt doch den Konsolidierungsspielraum,



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    den wir auch jetzt und vor allem in den nächsten Jahren wieder schaffen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Daß es dem Haushaltsausschuß gelungen ist, den Anstieg nochmals zu reduzieren und unter 3 % zu bringen, ist eine großartige Leistung.
    Ich bin selber Haushälter und bin stolz darauf, mit diesen hervorragenden Kameraden von links bis rechts, eher von rechts bis links,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Von rechts bis zur Mitte!)

    gut zusammengearbeitet zu haben. Aber ein bißchen, lieber Kollege Weng, haben Sie sich um die Früchte Ihrer Arbeit gebracht. Wenn man nämlich 5 Milliarden DM einsparen will und es dann nur 4,9 Milliarden DM sind, dann würde ich das als einen großen Erfolg darstellen, statt zu sagen: Wir sind unter der Zielvorstellung geblieben. Also von der Semantik und der Darstellung her hat dieser Haushaltsausschuß, vor allem die Koalition,

    (Zuruf des Abg. Joachim Poß [SPD])

    — Sie waren nicht so toll beteiligt, aber immerhin auch —

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

    eine großartige Arbeit geleistet. Darauf darf der Haushaltsausschuß stolz sein. Ich danke Ihnen dafür.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Daß in den letzten Wochen Kapital nach Deutschland zugeflossen und nicht abgeflossen ist, hängt damit zusammen, daß wir und nicht Sie die Finanzpolitik gestalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ja, so ist es, genau so!)

    Denn am 27. Juni dieses Jahres, als das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Zinsbesteuerung erging, hat mancher gesagt: Mönchlein, Mönchlein, du gehst einen schweren Gang.

    (Zuruf von der SPD: Vergleichen Sie sich mit Luther?)

    —Nein, mit Luther vergleiche ich mich nicht, weder in der Sprache noch in manch anderen Dingen, obwohl der sehr aufrüttelnd war und Deutschland gutgetan hat. Das sage ich auch als Katholik.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Jedem seinen Ratzinger!)

    — So fromm bin ich nicht. Aber im Rahmen der sozialdemokratischen Finanzminister kann ich mich sehen lassen. Da habe ich keine Sorge.
    Es gab da eine Karikatur. Es wurden zwei Räuber
    — nicht ganz gut aussehend — dargestellt. Der eine sollte ich sein, der andere der Bundeskanzler, was eine Gemeinheit ist; mit dem Finanzminister darf man vielleicht noch so umgehen. Diese beiden Personen räubern jemanden aus. Ich habe eine Pistole in der Hand, und das arme Opfer sagt: Hör auf zu zittern,
    Theo! — Das war die Angst vor der Zinsbesteuerung.
    Meine Damen und Herren, wir haben das so gelöst, daß alle Welt zufrieden ist. Die Banken machen mit und haben die Lösung positiv gewürdigt. Es fließt Kapital zu. Der Freibetrag wurde um das Zehnfache erhöht. Sie von der SPD wollten nur auf das Fünffache gehen. Wir wollen daran nicht profitieren. Der Kapitalmarkt hat sich entspannt, die Menschen sind zufrieden. Wir haben das wirklich gut gemacht!

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das ist Rabulistik in Vollendung!)

    — Immerhin etwas in Vollendung. Sie wären ja froh, wenn Sie wenigstens ein Rabulist wären!
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zu den besonderen Finanzierungsinstrumenten sagen. Auch hier werden immer wieder Katastrophenszenarien entworfen.
    Die Kreditaufnahme des öffentlichen Gesamthaushalts von voraussichtlich höchstens 135 Milliarden DM enthält auch die Neuverschuldung des Fonds Deutsche Einheit und des Kreditabwicklungsfonds. Es ist schlichtweg unwahr, uns die Verschleierung von Finanzierungsaufgaben zu unterstellen. Das kann nur jemand tun, der Haushalte nicht lesen kann.
    In jeder Debatte und bei jeder öffentlichen Veranstaltung weisen wir auf die Zahlen hin, die die Gesamtfinanzierungslasten beschreiben. Ich halte es auch für meine Pflicht, ein realistisches Bild zu zeichnen. Es hat überhaupt keinen Sinn, die Dinge zu schönen.
    Unsere Bücher liegen offen. Wir haben keinen Grund, die traurige Hinterlassenschaft des Kommunismus zu verbergen. Den Fonds Deutsche Einheit zu den angeblich geheimen Schattenhaushalten zu rechnen ist abwegig. Bund und Länder stehen gemeinsam für dieses Finanzierungsinstrument ein, das auf Wunsch der Länder geschaffen wurde.
    Ich hätte mir auch eine andere Lösung vorstellen können. Damals hatten Sie von der SPD die Mehrheit im Bundesrat. Eine andere Lösung habe ich aber nicht bekommen.
    Der Kreditabwicklungsfonds hat die Aufgabe, die verschiedenen öffentlichen Schulden der früheren DDR zusammenzufassen und zu ordnen. Sobald diese Aufgabe gelöst ist, wird er auf die Gebietskörperschaften übertragen. Bereits heute zahlen Bund und Treuhandanstalt die Zinsen für die im Kreditabwicklungsfonds zusammengefaßten Verpflichtungen. Wir haben in der mittelfristigen Finanzplanung dafür Vorsorge getroffen; wir haben hierfür Zahlen eingesetzt.
    Der Entschädigungsfonds wird den Bundeshaushalt in der Endabrechnung nicht belasten. Was an Liquiditätshilfen in den ersten Jahren notwendig ist, fließt später aus der Vermögensabgabe wieder zurück.
    Zur Treuhandanstalt. Sie werfen mir vor, daß ich sie dem privaten Sektor zurechne. Das tut das Statistische Bundesamt, und zwar ohne jede Weisung der Bundesregierung. Denn es ist doch ganz klar: Wenn eine hun-



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    dertprozentige Staatswirtschaft in eine Privatwirtschaft übergeführt werden soll, dann kann ich sie während dieser Zeit nicht dem Staat zuordnen. Im Grunde ist die Treuhandanstalt nichts anderes als eine große private Industrieholding, für die allerdings der Bund — und dazu stehe ich — die Verantwortung tragen muß. Wir tun dies auch deswegen, damit bei der Kreditaufnahme kein teureres Geld aufgenommen werden muß, sondern der Bund als eine erstklassige Adresse zur Verfügung steht.
    Meine Damen und Herren, bis zum Jahresende ist bei der Treuhandanstalt ein Defizit von 25 Milliarden DM entstanden. In den kommenden Jahren wird sich der Kreditbedarf der Treuhandanstalt auf jährlich rund 30 Milliarden DM belaufen. Diese Kredite sind als Investitionen in die wirtschaftliche Zukunft des Beitrittsgebiets volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich gut begründet. Was die Treuhandanstalt leistet, zahlt sich vor allem außerhalb ihres Unternehmensbereichs aus: in steigendem Wachstum, zunehmender Beschäftigung und zunehmender Nachfrage.
    Demgegenüber ist ein betriebswirtschaftlicher Gewinn oder auch nur ein Ausgleich von Kosten und Erträgen nicht zu erwarten. Dafür waren die Zerstörungen an der betrieblichen Substanz und die Verschwendung menschlicher und ökologischer Ressourcen zu groß.
    Für die Verpflichtungen, die am Ende in der Schlußbilanz der Treuhandanstalt stehen werden, werden die öffentlichen Haushalte aufkommen. Aber wenn wir der Treuhandanstalt die Chance geben, ihre Aufgaben wirksam zu erfüllen, werden uns diese Verpflichtungen bei künftig wesentlich gestärkter Wirtschaftskraft nicht überfordern. Schließlich stehen auch Vermögens- und Grundstückswerte dagegen, die bei der Belastungs- und Beleihungsfähigkeit betriebswirtschaftlich und volkswirtschaftlich ebenfalls gegengerechnet werden müssen.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zu einem Thema sagen, das uns natürlich alle unglaublich berührt und beschäftigt, zum Thema Sowjetunion und der Entwicklung der Republiken in der Sowjetunion. Zu den zentralen Aufgaben der kommenden Jahre gehören auch die Unterstützung und Begleitung der Reformprozesse in Mittel-, Ostund Südosteuropa. Es geht um die Sicherung der Liquidität und des Zugangs zu den internationalen Finanzmärkten sowie um umfassende marktwirtschaftliche Reformen und um die Sanierung der Staatshaushalte. Das sind die zentralen Ansatzelemente einer erfolgreichen Neuorientierung im ehemals kommunistischen Machtbereich.
    Es war interessant, daß der erste frei gewählte russische Präsident, Jelzin, in seiner Tischrede im Palais Schaumburg davon sprach, das erste Buch, das er gelesen habe, um sich auf Wirtschaftsreformen vorzubereiten, sei das Buch von Ludwig Erhard gewesen. Ich habe mir gedacht: Der Mann ist weiter als ein Teil der Sozialdemokratie in Deutschland.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir haben beim Gipfel in London, bei der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds, beim G-7-
    Treffen in Bangkok und durch bilaterale Gespräche die westöstliche Zusammenarbeit auf den richtigen Weg gebracht.
    Meine Damen und Herren, es hat sich gelohnt und es war richtig, daß ich während des ganzen Jahres immer wieder darauf hingewiesen habe: Das größer gewordene, vereinte Deutschland ist bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen. Niemand wird uns sagen können, daß unsere internationale Solidarität, sei es am Golf, sei es in der Entwicklungshilfe, sei es in anderen Bereichen, gelitten habe. Nur mußte unseren Freunden, unseren Partnern und den anderen Weltwirtschaftsmächten ebenfalls eines gesagt werden: Dem entspricht natürlich auch eine internationale Lastenteilung, d. h. ein „burden sharing" , das nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in Europa und gegenüber der Sowjetunion Platz greifen muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Ich freue mich, daß wir uns darüber einig sind: Was wir in Deutschland für die Wiedervereinigung, für den Aufbau von Marktwirtschaften und Demokratie in Osteuropa und auch für die Republiken und Völker der Sowjetunion tun, geht über unser nationales Interesse hinaus. Die Vereinigten Staaten und andere hätten ihre richtige und notwendige Politik, die UNO hätte die Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion in einer entscheidenden Krise des letzten Jahres nicht leisten können, wenn wir nicht unseren ökonomischen und finanziellen Beitrag geleistet hätten. Wir haben ihn in unserem Interesse, aber auch im Interesse anderer geleistet. Jetzt ist es endlich gelungen, die Hilfen für die Sowjetunion, die Nahrungsmittelhilfe, die technische Hilfe und die humanitäre Hilfe, aber auch die Maßnahmen zur Beseitigung der Liquiditätsprobleme und die Anpassungsprogramme auf eine breitere Basis zu stellen und eine Europäisierung und eine Internationalisierung dieser Frage zu erreichen. Das ist der Erfolg unserer Bemühungen in den letzten Monaten; und das war wichtig für uns.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich darf in diesem Zusammenhang — ich hoffe, Sie sehen mir das nach — auch einmal meinem Staatssekretär Köhler für die unglaubliche, erfolgreiche Arbeit auf diesem Gebiet danken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Immerhin ist ein Übereinkommen erzielt worden. Acht Republiken, darunter die großen Devisenverdiener Rußland und Kasachstan, haben ihre gesamtschuldnerische Haftung für 100 % der Altschulden der Sowjetunion erklärt. Das war und ist für uns die Basis jeder weiteren Hilfsmaßnahme.
    Durch Tilgungsaufschub bei öffentlich garantierten Krediten sowie durch eine liquiditätssichernde Goldfazilität von bis zu einer Milliarde Dollar wird die Zahlungsfähigkeit der sowjetischen Außenwirtschaftsbank flankiert.
    Unsere Strategie der Hilfeleistung unter genau definierten Voraussetzungen erweist sich trotz des vielfach unüberlegten Krisengeredes als erfolgreich. Die



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Unterzeichnung der Haftungserklärung hat gezeigt: Es gibt bei den Republiken ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft. Hierauf müssen wir bauen.
    Wir müssen auch die zusätzlichen Leistungen und die Szenarien sehen, unter denen wir in Anspruch genommen werden. Die zusätzlichen Belastungen für den Bundeshaushalt 1992 aus den vereinbarten Liquiditätshilfen bleiben begrenzt. Sie werden sich auf etwa eine Milliarde DM für die Inanspruchnahme aus Gewährleistungen belaufen. Wir wollen diesen Betrag unter Berücksichtigung der Schadensentwicklung 1991 aus dem vorhandenen Verfügungsrahmen finanzieren.
    Der unkontrollierte Zusammenbruch der Finanzbeziehungen hätte demgegenüber für die Sowjetrepubliken und für uns wesentlich gravierendere Folgen.
    Meine Damen und Herren, das größte Risiko für unser Land und für unsere öffentlichen Haushalte würde sich ergeben, wenn wir im Osten oder im Westen von unserem wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs abweichen würden. Dann wären Wachstum, Beschäftigung und Stabilität tatsächlich ernsthaft gefährdet.
    Professor Karl Jürgensen vom Hamburger Institut für Integrationsforschung hat in der letzten Ausgabe der „Welt am Sonntag" überzeugend die guten Voraussetzungen für die ökonomische Bewältigung der Einheit beschrieben. Vor allem der hohe Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen in den letzten Jahren, der erhebliche Leistungsbilanzüberschuß bis 1990 und die überdurchschnittliche Sparquote ermöglichen es unserer Volkswirtschaft, mit den zusätzlichen Anforderungen ohne Verspannungen fertig zu werden.
    Darüber hinaus hat die Nachfragesteigerung durch die Einheit die Konjunkturentwicklung verstetigt und so den Start in den Binnenmarkt 1993 erleichtert. Bei der höheren staatlichen Kreditaufnahme sei — so die Ausführungen von Jürgensen — die zukunftsgerichtete, wachstumsfördernde Verwendung in Rechnung zu stellen. Und darin unterscheidet sich die Situation Deutschlands von der anderer Länder.
    Nach neun Jahren ununterbrochenen Aufschwungs rechnen die in- und ausländischen Experten im nächsten Jahr mit einem realen Wachstum der deutschen Volkswirtschaft von 2 bis 2,5 %.
    Meine Damen und Herren, wenn man die Verlangsamung beklagt, dann muß man ja immer sehen, auf welchem Sockel das stattfindet: nämlich auf einem Sockel, der in diesem Jahr doch eine ungeheure Dynamik hatte und in der ersten Hälfte auf weit über 4 % lag und fast an die 5 % gelangt ist. Wenn es uns hier auch im nächsten Jahr gelingt, noch 2 bis 2,5 % zuzulegen, dann ist das ein großartiger Erfolg.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Eine vorübergehende Wachstumsverlangsamung ist keine Konjunkturschwäche. Nach dem Urteil der Fachleute bleiben wir auf Wachstumskurs.
    Aber wir dürfen unsere Volkswirtschaft nicht überfordern.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: So ist es!)

    Bisher ist es trotz der gewaltigen Zusatzaufgaben gelungen, den gesamtwirtschaftlichen Rahmen einzuhalten. Preissteigerungsraten und Zinsen sind heute etwas höher als vor der Vereinigung. Dennoch sind 1991 die langfristigen Zinsen in Deutschland niedriger als in allen anderen EG-Staaten. Auch beim Preisanstieg liegen wir mit einer Steigerungsrate von zur Zeit 3,5 % deutlich unter dem EG-Durchschnitt.
    Meine Damen und Herren, gerade die Stabilität ist natürlich Ausfluß einer sehr stringenten Stabilitätspolitik der Bundesbank. Aber daß die langfristigen Zinsen gesunken sind — trotz zweimaliger Leitzinserhöhungen — , spiegelt das Vertrauen in die Finanzpolitik dieser Regierung wider. Und das sollte man sehen: Das Ausland traut uns zu, die Dinge zu lösen — trotz des Krisengeredes inner- und außerhalb Deutschlands.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es wird allerdings eine harte Arbeit sein, den Ausgabenanstieg des Bundes im Jahresdurchschnitt um nur 2,3 % wachsen zu lassen. Darin steckt mehr Konsolidierung als in der einen oder anderen spektakulären Aktion.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Darauf werden sich wohl erst alle Ressorts und auch alle Politiker in diesem Hause einstellen müssen.

    (Hans H. Gattermann [FDP]: Sehr gut!)

    Meine Damen und Herren, ich sehe schon die Herrschaften, die auf der einen Seite sagen, der Finanzminister müsse ein Herz aus Stein haben, und auf der anderen Seite läßt sich der Charme der Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen gar nicht unterschätzen, mit dem sie dann doch versuchen, den Stein wieder zu erweichen. Aber ich gebe dem Bundesvorsitzenden der FDP recht: Es muß ein Herz aus Stein bleiben, vor allen Dingen gegenüber den Wünschen der eigenen Kabinettskollegen, aber natürlich auch gegenüber denen der CDU und der CSU.

    (Beifall des Abg. Dr. Klaus Rose [CDU/CSU] — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wo ist denn der Mümmelmann?)

    Ein Schlüssel zum Erfolg liegt in der Tarif entwicklung dieses und des nächsten Jahres.

    (Hans H. Gattermann [FDP]: Das ist wohl wahr!)

    Das ist ein entscheidender Faktor. In den Verhandlungen der Tarifpartner liegt der Schlüssel für die Stabilität und das Wachstum in den kommenden Jahren.
    Ich werde den Tarifpartnern in Ost und West keine Empfehlungen oder Richtlinien vorgeben.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist sehr klug!)

    Aber ich sage auch ganz klar: Wenn hier gesamtwirtschaftlich falsche Entscheidungen getroffen werden, kann das weder die Geld- noch die Finanzpolitik ausgleichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wer die Ansprüche an das Sozialprodukt zu hoch
    schraubt, wer die notwendigen Beiträge zur Finanzierung der Einheit verweigert oder wer vom Anpas-



    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    sungsprozeß zwischen Ost und West mehr als möglich fordert, muß sich vor seinen arbeitslosen Mitbürgern verantworten. Jedes Prozent zuviel zahlen die Bürger entweder über erhöhte Arbeitslosigkeit oder über höhere Zinsen. Beides sollen und dürfen wir nicht wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, der Bundeshaushalt 1992 ist ebenso wie der Haushalt 1991 vor allem ein Haushalt der Deutschen Einheit. Aber gleichzeitig verwirklichen wir weitere vordringliche Aufgaben innerhalb des selbstgesteckten Finanzierungsrahmens. Das betrifft die Wohnungsbauinitiative und einen so wichtigen Bereich wie den Ausbau der Hilfen zur Flankierung der Neuregelung des § 218, des Schutzes des ungeborenen Lebens.
    Dabei haben wir uns der Aufgabe nicht verschlossen, zusätzliche Maßnahmen, die meine Fraktion für richtig gehalten hat, an anderer Stelle durch Einsparungen auszugleichen. Meine Damen und Herren, das kann der einzige Weg sein, Prioritäten neu festzulegen, wenn wir gleichzeitig den Mut haben, an anderer Stelle zu streichen und zurückzuführen. Nur in dem Rahmen eines solchen Moratoriums kann in absehbarer Zeit verantwortungsbewußte Politik betrieben werden.
    Meine Damen und Herren, der Nachtragshaushalt 1991 wird vor allem dadurch gestaltet, daß wir 4,9 Milliarden DM für die Bundesanstalt für Arbeit zur Verfügung stellen. Mit diesem Betrag kann die Bundesanstalt das absehbare Defizit 1992, das vor allem wegen des immer noch hohen Bedarfes an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet entstehen wird, decken.
    Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir entscheiden in diesen Wochen über wichtige Gesetzesvorlagen. Das Haushaltsgesetz 1992, das Steueränderungsgesetz 1992 und die Änderung des Strukturhilfegesetzes sind wichtige Etappen auf dem Weg zur finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Integration unseres Landes. Bei unterschiedlichen Rollen tragen wir gemeinsam die Verantwortung: Regierung und Opposition, Bund, Länder und Gemeinden, Verbände, Interessengruppen und Gewerkschaften. Es geht um die Zukunft unseres Staates. Es geht um eine neue Identität und die Rolle Deutschlands in der Welt.
    Nach den Worten des russischen Sozialphilosophen und Anarchisten Bakunin ist „der Staat eine historische Übergangserscheinung, eine vergängliche Form der Gesellschaft". Dem stehen die Worte Immanuel Kants gegenüber: „Der Staat ist ein Volk, das sich selbst beherrscht. " Vernunft und Demokratie haben über Anarchie und Kommunismus gesiegt. Wir können uns jedoch nur selbst beherrschen, wir können unsere Angelegenheiten nur regeln, wenn am Ende der Auseinandersetzung die Lösung der Aufgabe steht. Gemeinsamkeit in den übergeordneten Zielen heißt auch, eigene Interessen nicht zu Lasten anderer Gruppen durchzusetzen.
    Das entscheidende Problem der kommenden Jahre ist nicht, genügend moderne Maschinen und Anlagen in den jungen Bundesländern bereitzustellen, das entscheidende Problem besteht auch nicht in Infrastrukturinvestitionen; mit alldem können wir fertig werden. Worauf es wirklich ankommt, ist die Herstellung der inneren Einheit, die Übereinstimmung in den Grundlinien von Denken und Handeln. Nur wenn wir die deutsche Einheit als eine gemeinsame Aufgabe aller Bürger verstehen, werden wir erfolgreich sein.
    Der berühmte Philosoph Karl Raimund Popper, der, wie ich glaube, als 89jähriger vor einigen Monaten die Ehrendoktorwürde der Katholischen Universität Eichstätt erhalten hat, sagt:
    Was morgen sein wird, wissen wir nicht. Es gibt Milliarden von Möglichkeiten — gute und schlechte — , die niemand voraussehen kann. Aber es gibt auch große Hoffnung. Es gibt unzählige Möglichkeiten für eine Zukunft, die noch weit besser ist als die Gegenwart.
    Darum ist das ganze pessimistische Kulturgemälde, das viele an die Wand werfen, uns nicht gemäß.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Meine Damen und Herren, wenn es je eine Politik gegeben hat, die Angst genommen und der jungen Generation neue Zukunftsaspekte ermöglicht hat, war es die Politik, die wir in den letzten Jahren miteinander betrieben haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Die politische Freiheit — so Popper —
    ist der wichtigste aller politischen Werte. Wir müssen bereit sein, für die politische Freiheit zu kämpfen. Die Freiheit kann immer verloren werden. Wir dürfen nie die Hände in den Schoß legen in dem Bewußtsein, daß sie gesichert ist.
    Daran sollten wir denken, auch wenn wir über Finanzplanung und Konjunkturdaten sprechen; denn unsere Politik muß den Menschen dienen — in Deutschland, in Europa und in der Welt.
    Ich danke Ihnen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU und der FDP)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Joachim Poß.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Joachim Poß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute Herrn Waigel erlebt, wie wir ihn schon öfters erlebt haben:

    (Zurufe von der CDU/CSU: Gut!) selbstzufrieden und schönfärberisch.


    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Es ist anzunehmen, Herr Waigel, daß Ihre Selbstzufriedenheit Ausdruck des guten Ergebnisses bei Ihrer Wiederwahl als CSU-Vorsitzender war.

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Joachim Poß
    Gemessen an Ihren ungenügenden Leistungen als Finanzminister ist sie allerdings völlig unangemessen.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU — Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Das haben die Delegierten in München Gott sei Dank bisher besser gewußt als Sie!)

    Herr Bundesfinanzminister, Sie haben heute, wie Sie es gelegentlich tun, auch falsche Behauptungen frisch und fröhlich vorgetragen.

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das ist doch besser als umgekehrt!)

    Ein steinernes Herz kann man Ihnen wirklich nicht vorwerfen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich halte einen Finanzminister, der derart schönfärbt, für die Staatsfinanzen aber schon für ein wenig gefährlich.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Das ist ein Angriff mit Wattebäuschchen — „ein wenig gefährlich" !)

    Ein Finanzminister muß realistisch sein, er darf kein Pessimist sein, er darf aber auch kein Schönfärber sein. Aber dies ist eigentlich Ihre stärkste Rolle: der plaudernde, schönfärberische Bundesfinanzminister Dr. Waigel. Dazu sind Sie sich auch nicht zu schade, Nebelkerzen zu werfen.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Beispiel Schulden: Sie sprechen von 135 Milliarden DM, vergessen dabei aber zu erwähnen die 20,8 Milliarden DM für die Treuhand, 7 Milliarden DM für die Wohnungswirtschaft Ost, 23 Milliarden DM für Bahn und Post, 5 Milliarden DM für den Kreditabwicklungsfonds. Das ergibt summa summarum 190 Milliarden DM. Damit sind wir schon bei der Größenordnung, die Sie vorhin kritisiert haben, Herr Dr. Waigel. Sie als Bundesfinanzminister sollten insofern die deutsche Öffentlichkeit vollständig aufklären, wenn Sie über solche Dinge sprechen.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber, wie gesagt, im Werfen von Nebelkerzen sind Sie gut. Darauf komme ich an anderer Stelle noch zu sprechen.
    Ich muß noch ganz kurz auf Herrn Kollegen Borchert zu sprechen kommen. Wo ist der Herr Kollege Borchert? — Er hat Herrn Lafontaine zum wiederholten mal mit einem falschen Zitat angesprochen.

    (Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: Das nie dementiert worden ist!)

    — Es ist immer dementiert worden. Denn Oskar Lafontaine hat ausweislich einer Gesprächsnotiz dem Generalsekretär Gorbatschow für die unterstützende Hilfe der Sowjetunion zur Herstellung der deutschen Einheit ausdrücklich gedankt, nicht das Gegenteil, wie es hier behauptet wurde.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir erwarten jetzt, daß sich der Herr Kollege Borchert für den Ausrutscher, den er sich hier geleistet hat, entschuldigt.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Entgegen den Behauptungen von Herrn Waigel ist es der Bundesregierung nicht gelungen, meine Damen und Herren, auf die veränderte Situation richtig zu reagieren. Hier fehlte die Kraft zu einer den neuen Aufgaben entsprechenden Umgestaltung in der Finanz- und Steuerpolitik. Der Sachverständigenrat stellt hierzu in seinem neuen Jahresgutachten in außergewöhnlich kritischer Weise fest:
    Die Finanzpolitik versteifte sich auf die Behauptung, daß es Steuererhöhungen zur Finanzierung der Einheit nicht geben werde. Da die politische Gestaltungskraft nicht ausreichte, die Vielfalt der staatlichen Aufgaben und der damit verbundenen Ausgaben zu überprüfen und die Prioritäten neu zu setzen, war der Ausweg über höhere Steuern unumgänglich. Damit geriet die Finanzpolitik in eine schwere Glaubwürdigkeitskrise, die keineswegs unausweichlich war.
    Was hat diese Feststellung noch mit der Rede von Herrn Dr. Waigel von vorhin zu tun?
    Was war der eigentliche Grund für die Steuerlüge? Zum einen hatte die Bundesregierung jahrelang ihr Steuersenkungspaket angekündigt und im Jahre 1990 nicht den Mut, vor die Öffentlichkeit zu treten und es zurückzunehmen, nachdem die Steuersenkung gerade wirksam geworden war.

    (Beifall bei der SPD)

    Das war fehlender Mut im letzten Jahr. Zum anderen hatte die Bundesregierung — auch darüber kann niemand hinwegtäuschen — die Kosten der Vereinigung grundlegend falsch eingeschätzt.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Sie hatte darauf verzichtet, im ersten Staatsvertrag für eine soziale und wirtschaftliche Abfederung auch nur eine einzige Hilfsmaßnahme vorzusehen. Daß die Bundesregierung mit ihrem Steuererhöhungspaket vom Mai dieses Jahres die Glaubwürdigkeit der Finanzpolitik vollends und nachhaltig erschüttert hat, wissen inzwischen alle. Das weiß auch die Bundesregierung selbst. Um so erstaunlicher ist, daß die Bundesregierung nicht versucht, das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen, höchstens mit solchen Reden, wie wir sie vorhin gehört haben, aber nicht de facto. Die Bundesregierung hat diese Gelegenheit nicht genutzt.
    Das Steueränderungsgesetz 1992 übertrifft in mehrfacher Hinsicht das, was die Bundesregierung den Bürgern in unserem Lande mit ihrer Steuerpolitik bereits in der Vergangenheit zugemutet hat. Die Arbeitnehmer, die Rentner, die Arbeitslosen und die Familien mit Kindern sollen jetzt Steuerentlastungen für wenige Großunternehmen und Besitzer großer Vermögen bezahlen. Denn mit der vorgesehenen Erhöhung der Mehrwertsteuer will die Regierung die Sen-



    Joachim Poß
    kung der Vermögensteuer und die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer finanzieren.

    (Beifall bei der SPD — Hans H. Gattermann [FDP]: Das sehen einige Ihrer Kollegen ganz anders!)

    Die Bundesregierung hat damit endgültig jedes Augenmaß für steuerliche Gerechtigkeit verloren. Da Sie unsere Mahnungen, aber auch die einiger anderer, z. B. von Herrn Geißler, immer wieder in den Wind geschlagen haben, darf ich Ihnen hierzu die Auffassung des Sachverständigenrates vorlesen, der kurz und bündig feststellt:
    Vor allem wird es politisch schwer zu verstehen sein, auf der einen Seite die Mehrwertsteuer zu erhöhen und gleichzeitig die Unternehmensteuern zu senken.
    Mit Ihrer Steuerpolitik haben Sie aber nicht nur die Ungerechtigkeit auf die Spitze getrieben, sondern Sie haben sich zugleich auch finanzpolitisch in eine Sackgasse manövriert und Ihre ökonomische Kompetenz endgültig verspielt.
    Die von Ihnen vorgesehene Erhöhung der Mehrwertsteuer sowie das Festhalten an der Senkung der Vermögensteuer und der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer sind auch hierfür die deutlichsten Beispiele. Die Anhebung der Mehrwertsteuer ist ökonomisch falsch. Darüber besteht bei allen Experten Einigkeit. Auf die ökonomische Problematik der Mehrwertsteuererhöhung haben die Deutsche Bundesbank, die wirtschaftlichen Forschungsinstitute, die Verbände der Wirtschaft und jetzt auch der Sachverständigenrat nachdrücklich hingewiesen.
    Die Erhöhung der Mehrwertsteuer führt zu einem weiteren Anstieg des Preisniveaus und der Inflationsrate und damit auch zu einer realen Entwertung der Geldvermögen der Sparer. Die höhere Inflationsrate führt zugleich selbstverständlich zu höheren Lohnforderungen und damit zur Gefahr der Entstehung einer Preis-Lohn-Spirale.
    Die zu erwartende geldpolitische Gegenreaktion der Bundesbank führt zu einer weiteren Erhöhung des Zinsniveaus bzw. zu einer Beibehaltung des hohen Zinsniveaus, während weltweit die Zinsen gesenkt werden. Die höheren Zinsen belasten die investierende Wirtschaft mit zusätzlichen Kosten, die ihre Wettbewerbssituation verschlechtern. Die zinsbedingte Verteuerung von Investitionen verhindert die notwendige Schaffung von Arbeitsplätzen und behindert den Aufbau in den neuen Ländern.
    Und da kommt Herr Waigel, stellt sich hin und sagt, das sei ökonomische oder finanzpolitische Kompetenz. Ich glaube, daß es einen deutlicheren Gegensatz zwischen ökonomischer Kompetenz und der hier vorgetragenen Meinung und Verteidigungsrede von Herrn Waigel wirklich nicht geben kann.

    (Beifall bei der SPD)

    Im übrigen lehnt der Sachverständigenrat die Anhebung der Mehrwertsteuer auch aus verteilungspolitischen Gründen ab. Er führt aus: Gegen jede Anhebung sprechen verteilungspolitische Gründe, denn die Mehrwertsteuer belastet die Bezieher niedriger Einkommen vergleichsweise stark.
    Ökonomisch falsch sind auch die von der Bundesregierung vorgesehenen steuerpolitischen Maßnahmen im Unternehmensbereich; sie entlasten lediglich den Vermögensbesitz, fördern aber keineswegs Investitionen und Arbeitsplätze.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Exakt!)

    Der Steuervorteil kann sogar kassiert werden, ohne daß eine einzige D-Mark investiert wird.
    Durch die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und die Senkung der Vermögensteuer werden vor allem die kapitalstarken Großunternehmen kräftig entlastet, während die mittleren und kleinen Unternehmen durch die zur Finanzierung vorgesehene Anhebung der Mehrwertsteuer, durch die Minderung der degressiven Abschreibung — das ist übrigens nur eine Teilfinanzierung, Herr Dr. Waigel, nicht die gesamte Finanzierung — und die Zinskosten höher belastet werden. Damit wird die Wettbewerbssituation der kleinen und mittleren Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Großunternehmen weiter verschlechtert.
    Mit dieser Steuerpolitik versucht die Bundesregierung, ihre Ideologie der Umverteilung von unten nach oben jetzt auch innerhalb der Wirtschaft durchzusetzen.
    Meine Damen und Herren, ich sage es Ihnen in aller Deutlichkeit: Auch für den Unternehmensbereich gilt, daß wir Sozialdemokraten nicht bereit sind, eine solche Umverteilungspolitik zu Lasten der kleinen und mittleren Firmen mitzumachen.

    (Beifall bei der SPD)

    Genauso deutlich füge ich aber hinzu: Auch wir Sozialdemokraten sind für eine Reform der Unternehmensbesteuerung; sie setzt aber eine fundierte Analyse der tatsächlichen Probleme der deutschen Wirtschaft und der zu erwartenden Entwicklung voraus. Nur so kann sie zu ökonomisch vernünftigen Ergebnissen führen.
    Mit pauschalen Behauptungen über einen angeblich schlechten Produktionsstandort Bundesrepublik, über einen angeblichen internationalen Steuersenkungswettlauf, über die angeblich schlechte Eigenkapitalausstattung der deutschen Wirtschaft, über angeblich zu geringe Direktinvestitionen ausländischer Unternehmen in Deutschland schürt die Bundesregierung bei unseren und bei den ausländischen Investoren lediglich Unsicherheiten, die durch keinerlei Fakten begründet sind.
    Das hätten Sie übrigens aus den Debatten des Jahres 1988 lernen können, als hier ein Wirtschaftsminister namens Bangemann tätig war. Er hat diese Diskussion auch sehr „qualifiziert" geführt.
    Tatsache ist, daß sich das Investieren in Deutschland lohnt, gerade auch deshalb, weil die Unternehmen in Deutschland für ihre Steuern mehr und bessere Leistungen erhalten als in anderen Ländern. Unser hervorragendes Ausbildungssystem, unsere leistungsstarke öffentliche Verwaltung — wie wird sie neuerdings gelobt! — und nicht zuletzt auch der soziale Frieden in Deutschland sind Vorteile, die den Unternehmen hohe Kosten sparen.



    Joachim Poll
    Schauen Sie sich doch einmal die Diskussion in den USA an! Das Ende der Ich-Politik — das wird neuerdings proklamiert — , das Ende von Reagonomics und von Thatcherismus haben doch Gründe: sie haben erkannt, daß sie auf einem falschen Weg sind. Sie wollen die Kehrtwende vollziehen.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Deutsche Bundesbank hat gerade vor einer Woche in ihrem neuesten Monatsbericht festgestellt, daß die Eigenkapitalsituation unserer Wirtschaft noch nie so gut war wie heute und sich die Erträge der deutschen Unternehmen weiter kräftig verbessert haben.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Aber nicht gut genug; sie könnte besser sein!)

    Wenn Auslandsinvestitionen in einigen traditionellen Bereichen wie etwa in der Stahl- oder der Autoindustrie, im Maschinenbau oder in der Chemie mittlerweile seltener geworden sind, dann ist das kein Indiz für eine Verschlechterung des Standorts Bundesrepublik, sondern im Gegenteil gerade das Ergebnis einer hochentwickelten Volkswirtschaft mit vielen gesättigten Märkten und dominierenden eigenen Unternehmen. Gerade der Zuzug der internationalen Finanz- und Versicherungswirtschaft zeigt doch vielmehr, daß auch Auslandsinvestitionen einem Strukturwandel unterliegen. Wer mit falschen Argumenten, Herr Dr. Waigel, falsche Steuersenkungen rechtfertigt, der hilft der deutschen Wirtschaft nicht, selbst wenn sie das fordert,

    (Beifall bei der SPD)

    und wer den Produktionsstandort Deutschland miesmacht, der schadet der Wirtschaft und der handelt unverantwortlich, weil er die Vorteile dieses Standorts damit letztlich aufs Spiel setzt.
    Jede gründliche Analyse zeigt, daß kleine und mittlere Unternehmen im Wettbewerb mit den Großunternehmen in zunehmendem Maße an Boden verlieren. Deshalb bleiben wir bei unserem Konzept, einer Investitionsrücklage für kleine und mittlere Unternehmen.
    Die Bundesregierung erreicht mit ihrer Steuerpolitik das Gegenteil. Einschränkungen bei den Abschreibungsbedingungen für Gebäude belasten das Investieren; der bloße Kapitalbesitz wird steuerlich erleichtert. Das ist ökonomisch widersinnig. Angesichts der enormen Staatsverschuldung und der Tatsache, daß der Anteil der Unternehmensteuern am gesamten Steueraufkommen rückläufig ist, muß eine solche Reform durch Umschichtungen innerhalb der Unternehmensteuern aufkommensneutral gestaltet werden.
    Die Steuer- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung, meine Damen und Herren, ist ungerecht und wirtschaftspolitisch verfehlt. Sie ist ein Beleg dafür, daß die Bundesregierung in der Steuer- und Finanzpolitik immer mehr ins Trudeln gerät und keine Gestaltungskraft besitzt.
    Was aber noch schlimmer ist: In einigen ganz wichtigen Bereichen, in denen es um die Belange der Mehrzahl der Bürger und der Familien mit Kindern
    geht, besitzt diese Regierung auch keinen Gestaltungswillen mehr.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Leider!)

    In fataler Weise begreift die Bundesregierung die Herstellung einer verfassungskonformen Besteuerung nämlich ganz offensichtlich nicht mehr als ihre eigene politisch gestaltende Aufgabe, sondern hat diese grundlegende Aufgabe inzwischen auf das Bundesverfassungsgericht verlagert.

    (Zuruf von der SPD: So ist es!)

    Statt von sich aus für eine verfassungskonforme Besteuerung zu sorgen, hält die Bundesregierung verfassungswidrige Zustände so lange aufrecht, bis sie vom Bundesverfassungsgericht zu einer Korrektur gezwungen wird.

    (Zurufe von der SPD: Unglaublich!)

    So haben Sie — dies ist das erste Beispiel — Jahr für Jahr den Familien verfassungswidrig eine viel zu niedrige Entlastung für ihre Kinder gegeben. Nachdem Sie im Juni 1990 vom Bundesverfassungsgericht verurteilt wurden, endlich für eine verfassungskonforme Besteuerung der Familien zu sorgen, haben Sie immer noch nicht reagiert, mit der Folge, daß auch in diesem Jahr für die Familien mit Kindern immer noch nichts getan wird. Erst ab 1992 soll jetzt das Kindergeld um lächerliche 20 DM für das erste Kind angehoben und der ungerechte Kinderfreibetrag weiter aufgestockt werden.
    Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, das ist keine familienpolitische Wohltat; im Gegenteil, es reicht immer noch nicht aus, um die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Freistellung des Existenzminimums für ein Kind zu gewährleisten. Ist es nicht beschämend, daß Familien unter einer Regierung, die nicht müde wird, sich ihrer familienpolitischen Leistungen zu rühmen,

    (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU] : Wie war es denn bis 1982?)

    für das ihnen zustehende Recht Gerichte bemühen müssen, damit ihnen überhaupt erst das verfassungsrechtliche Minimum gewährt wird?

    (Beifall bei der SPD)

    Können Sie es nicht nachempfinden, wenn sich Familien erbost und enttäuscht von dieser Politik abwenden, weil sie nicht verstehen können, daß sie nicht einmal das bekommen, was ihnen verfassungsrechtlich zusteht, während Großunternehmen und reiche Vermögensbesitzer mit großzügigen Steuerentlastungen bedacht werden?

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sehr wohl!)

    Ich will heute nicht mehr ausschließen, daß Sie es tatsächlich nicht verstehen, denn beim Grundfreibetrag — dies ist das zweite Beispiel — zeichnet sich eine ganz ähnliche Entwicklung ab. Sie kassieren jährlich mindestens 500 DM von Ledigen und mindestens 1 000 DM von Verheirateten zuviel an Lohn- und Einkommensteuer. Auch die FAZ — wahrlich



    Joachim Poß
    keine Zeitung, die der Politik der Bundesregierung besonders fernsteht —

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Gute Zeitung! Hervorragende Zeitung! Seriöse Zeitung!)

    fragt in ihrer Ausgabe vom 16. November 1991 besorgt: „Wäre es nicht besser", Herr Glos, „sofort die Freibeträge zu erhöhen, um damit ein Signal zu setzen?" — Ja, meine Damen und Herren, es wäre in der Tat besser, sofort zu handeln, im Interesse der Bürger, aber auch im Interesse einer soliden Finanzpolitik.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sehr gut!)

    Denn das haushaltsmäßige Risiko, das der Finanzminister durch seine Untätigkeit vor sich herschiebt, steigt immer weiter an.
    Das gilt auch für die Besteuerung der Kapitalerträge als drittes Beispiel. Mit einer steuerpolitischen Rolle rückwärts, vom Bundesverfassungsgericht erzwungen, führt jetzt der Bundesfinanzminister die Quellensteuer unter anderem Namen wieder ein, die er bei seinem Amtsantritt 1989 mit viel Brimborium erst abgeschafft hat.
    Mit dem jetzt vorliegenden Vorschlag der Bundesregierung zur Zinsbesteuerung dürfte das Chaos aber immer noch nicht beendet sein. Auch in Zukunft sind die ehrlichen Steuerzahler die Dummen.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist es!) Das ist das Ergebnis Ihres Vorschlages.


    (Hans Peter Schmitz [Baesweiler] [CDU/ CSU]: Sind Sie also für Kontrollmitteilungen?)

    Die deutliche Anhebung der Sparerfreibeträge wird von uns begrüßt. Wir haben schon vor Jahren die Anhebung der Sparerfreibeträge von damals 300 DM für Ledige bzw. 600 DM für Verheiratete auf 3 000 bzw. 6 000 DM gefordert, Herr Dr. Waigel.
    Leider hat der Bundesfinanzminister unsere Forderung immer wieder abgelehnt.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!)

    Am 12. Mai 1989 vertrat Herr Waigel von diesem Pult aus noch die Auffassung, die von der Opposition geforderte Verzehnfachung des Sparerfreibetrages sei haushaltspolitisch völlig unseriös.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das haben Sie gesagt!)

    Das ist ihm entfallen. Deswegen hat er unsere Forderung heute ja auch falsch wiedergegeben, indem er von der Verfünffachung sprach.

    (Beifall bei der SPD)

    Das zeigt seine Faktenkenntnis und seine Faktentreue.
    So manchen hat es sehr erstaunt, daß der Finanzminister angesichts der heutigen Haushaltslage

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Deutschland hat sich wiedervereinigt!)

    — er plaudert lieber, als sich an den Fakten zu orientieren — jetzt die Sparerfreibeträge auf das Zwanzigfache des damaligen Betrages erhöhen will. Ich betone noch einmal: Wir begrüßen ausdrücklich, daß
    Bundesfinanzminister Waigel seine Haltung aufgegeben hat.
    Allerdings wird er keinem mehr verständlich machen können, warum er sich weiterhin einer Verbesserung des steuerlichen Grundfreibetrages für alle widersetzt, der mit 5 600 DM in Zukunft eben unterhalb des Sparerfreibetrages bleiben wird. Seien Sie doch jetzt konsequent und schließen sich auch hier unserem Vorschlag an, Herr Dr. Waigel, den Grundfreibetrag auf 8 000 DM für Ledige und 16 000 DM für Verheiratete zu erhöhen!

    (Beifall bei der SPD) Das wäre ein notwendiger Schritt.

    Ich habe von der unzureichenden fachlichen Kompetenz dieser Bundesregierung gesprochen, von der mangelnden Gestaltungskraft und — in wichtigen Bereichen — von dem mangelnden Gestaltungswillen. Im Zusammenhang mit dem Subventionsabbau nach Art des Herrn Möllemann läßt sich nun feststellen, daß es auch bei mangelnder Kompetenz noch Abstufungen gibt. Zugleich haben wir ein treffliches Beispiel dafür, daß — ich unterstelle Herrn Möllemann dies einmal in positiver Absicht — ein durchaus vorhandener Wille sich trotz kräftigster verbaler Gestaltung nicht in Gestaltungskraft umgesetzt hat. Wir haben die Theater-Nummer im Frühjahr erlebt, im Sommer die Lach-Nummer, und wir erleben zur Zeit die NullNummer des Herrn Möllemann.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Das sind Sie!)

    Es wäre nicht weiter schlimm, wenn er seinen eigenen Ruf in diesem Jahr endgültig ruiniert hat, der Herr Möllemann.