Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung wind die heutige Tagesordnung wie folgt erweitert:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche .des ehem. Flugplatzes Hamburg-Bahrenfeld an die Firma P. Beiersdorf & Co. AG in Hamburg 20
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche des ehem. Standortübungsplatzes BoyeKl. Hehlen an die Stadt Celle
Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über die von der Bundesregierung beschlossene Fünfundzwanzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksachen IV/3506, IV/3553).
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist die Ergänzung der Tagesordnungspunkte so beschlossen. Ich schlage vor, diese Punkte gleich nach der Fragestunde zu behandeln. — Auch hier erhebt sich kein Widerspruch.
Die folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der .Bundesminister für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung hat unter dem 14. Juni die Kleine Anfrage der Abgeordneten Baier , Dr. Götz, Adorno, Dr. Wuermeling, Stiller und Genossen betr. öffentlich geförderte Eigentumsmaßnahmen im Wohnungsbau — Drucksache 1V/3409 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/3557 verteilt.
Damit kommen wir zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Fragestunde
Ich rufe zuerst die dringliche Frage des Abgeordneten Dr. Mommer an den Herrn Bundesminister des Auswärtigen — Drucksache IV/3538 — auf:
Wird die Bundesregierung bei den Verhandlungen im Ministerrat in Brüssel den Vorschlag der EWG-Kommission unterstützen, daß die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik an die Schaffung von Eigenmitteln der Gemeinschaft und von Haushalts-Kontrollrechten des Europäischen Parlaments gebunden bleibt?
Bitte sehr!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antwort 'auf diese Frage lautet wie folgt.
Die Bundesregierung hat gestern in Brüssel — wie Sie ,den Morgenzeitungen entnehmen werden — die Auffassung vertreten, daß die 'Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik mit eigenen Einnahmen der Gemeinschaft und mit Verstärkung der Haushaltsbefugnisse des Europäischen Parlaments verbunden sein soll.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Verstehe ich also richtig, Herr Minister, daß sich die Bundesregierung da z. B. mit der holländischen Regierung einig weiß?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Mommer, ich würde jetzt unseren Standpunkt nicht allzusehr zu dem anderer in Beziehung setzen. Ich habe unseren Standpunkt hier dargelegt.
Keine Zusatzfrage? — Dann kommen wir gleich zu den übrigen Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts, und zwar zunächst zur Frage VII/1 — der Abgeordneten Frau Freyh —:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um den in einem Schreiben des Erziehungsministeriums von Costarica vom 6. Mai 1965 angedrohten Schritten zu begegnen, angesichts des baulichen Zustandes der Humboldt-Schule in San José die Erlaubnis zur Weiterführung des Schulunterrichts zu entziehen?
Herr Bundesminister, ich darf bitten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort auf diese Frage lautet wie folgt.Das Auswärtige Amt bemüht sich bereits seit längerer Zeit um eine Zwischenlösung zur Behebung der Raumnot der Humboldt-Schule in San José, bis die Mittel zur Errichtung eines Neubaus zur Verfügung stehen. Die Versuche, eine geeignete zusätz-
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9512 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Bundesminister Dr. Schröderliche Unterkunft anzumieten, blieben indessen bisher erfolglos. Das Auswärtige Amt prüft daher die Möglichkeit eines früheren Baubeginns, als bisher beabsichtigt, wobei in erster Linie die haushaltsmäßigen Voraussetzungen zu sichern sind.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete, Freyh.
Herr Minister, wird die Auskunft, die Sie soeben gegeben haben, dazu führen, daß die Schule ihren Unterricht vorübergehend unterbrechen muß?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, daß das nicht der Fall sein wird. Was allerdings den Baubeginn angeht, so dürfte dieser kaum vor dem Rechnungsjahr 1967 möglich sein.
Keine Zusatzfrage. — Dann kommen wir zur Frage VII/2 — des Abgeordneten Dr. Dr. Oberländer —:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der US-Präsident auf Grund der Resolution des amerikanischen Kongresses über die „Woche der unterjochten Völker" das amerikanische Volk auffordert, diesen Gedenktag mit angemessenen Feierlichkeiten zu begehen, und daß der Präsident vom Kongreß bevollmächtigt wurde, jedes Jahr am 4. Juli eine ähnliche Proklamation zu erlassen, bis Freiheit und Unabhängigkeit für alle unterjochten Völker erreicht worden sind?
Herr Bundesminister, ich darf bitten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich darf vielleicht mit Ihrer Erlaubnis die drei Fragen zusammen beantworten.
Bitte sehr! — Dann rufe ich noch die Fragen VII/3 und VII/4 — des Abgeordneten Dr. Dr. Oberländer — auf:
Ist der Bundesregierung der Wortlaut der Proklamation des US-Präsidenten, ergangen auf Grund der in Frage VII/2 erwähnten Kongreßresolution, bekannt, wodurch auch der Freiheitskampf der Deutschen in der sowjetisch besetzten Zone bzw. die Bestrebungen des deutschen Volkes nach Wiedervereinigung in Freiheit unterstützt und seitens des US-Kongresses als rechtmäßiges Anliegen gesetzlich verankert werden?
Erachtet es die Bundesregierung nicht für notwendig, dem Bundestag eine entsprechende Gesetzesvorlage zuzuleiten, um die Solidarität des deutschen Volkes mit dem Freiheitskampf aller vom Bolschewismus unterjochten Völker, insbesondere in der Sowjetunion und den sogenannten Satelliten, zu bekunden und somit das Recht auf Selbstbestimmung, d. h. nationale Unabhängigkeit, in dem gleichen Sinne anzuerkennen, in dem dieses Recht heute ein Anliegen des deutschen Volkes für die sowjetische Besatzungszone ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bundesregierung sind sowohl die Resolution des amerikanischen Kongresses vom 17. Juli 1959 wie auch die Proklamationen bekannt, die von den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika auf Grund dieser Resolution verkündet worden sind.
Die Bundesregierung hält es nicht für erforderlich, dem Bundestag eine der erwähnten Resolution des amerikanischen Kongresses entsprechende Gesetzesvorlage zuzuleiten. Das deutsche Volk ist sich angesichts der ihm aufgezwungenen Teilung und angesichts der 17 Millionen Deutschen, die unter sowjetischer Herrschaft leben müssen, in besonderem Maße bewußt, daß Freiheit und Selbstbestimmung
unabdingbare Rechte sind. Es fühlt sich daher mit jedem Volk aufs engste verbunden, das nach nationaler Unabhängigkeit und nach Freiheit strebt. Um dieses Bewußtsein und um dieses Gefühl der Verbundenheit wachzuhalten und zu bekunden, bedarf es nach Auffassung der Bundesregierung in Deutschland keines Gesetzes und keines gesetzlich vorgeschriebenen Gedenktages.
Eine Zusatzfrage!
Herr Minister, sind Sie nicht der Auffassung, daß, wenn andere für den 17. Juni demonstrieren — eben die Amerikaner —, wir etwas sichtbarer machen sollten, daß auch wir für die unterdrückten Nationen etwas tun?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es geht um die Frage, ob das irgendeiner weiteren gesetzgeberischen Nachhilfe — wenn ich mich so ausdrücken darf — bedarf, und diese Frage möchte ich verneinen. Was die Bundesregierung selbst angeht, hat sie oft genug erklärt und durch ihre Politik auch immer wieder bewiesen, daß sie das Recht auf Freiheit, Selbstbestimmung und nationale Unabhängigkeit nicht nur für das deutsche Volk, sondern auch für alle Völker der Welt fordert und zu verwirklichen sucht.
Keine Zusatzfragen? — Dann rufe ich auf die Frage VII/5 — des Herrn Abgeordneten Kahn-Ackermann —:
Was hat die Bundesregierung seit ihrer am 10. März 1965 gegebenen Zusage, die wirtschaftlichen Verhältnisse der deutschen nach Argentinien entsandten Lehrer sorgfältig zu überprüfen, getan, um die Bezüge der durch die fortschreitenden inflationistischen Verhältnisse in Argentinien in Bedrängnis geratenen Lehrer aufzubessern?
Bitte sehr, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Die Antwort auf diese Frage lautet wie folgt:Bei der Festsetzung der Bezüge der Auslandslehrer in Argentinien kommt bis zum Inkrafttreten der beabsichtigten Neuregelung ihrer Ausgleichszulagen gegenwärtig mit 35 % ein höherer Kaufkraftzuschlag zur Anwendung, als er den Auslandsbeamten des Bundes zusteht. Diese erhalten ab 1. April 1964 15 %. Eine Prüfung, ob die jetzige Preisentwicklung in Argentinien eine Erhöhung dieses Satzes nötig macht, ist noch nicht abgeschlossen. Wie sich aus dem gegenüber den Auslandsbeamten des Bundes höheren Kaufkraftausgleich für die Auslandslehrer ergibt, ist die Tatsache, daß die Bezüge der Auslandslehrer in Argentinien noch nicht als voll befriedigend angesehen werden können, nicht auf einen zu niedrigen Kaufkraftausgleich zurückzuführen. Es liegt dies vielmehr vor allem daran, daß die den Lehrern nach den jetzt gültigen Bestimmungen vom Bund gezahlten Ausgleichszulagen keine nach geographischen Zonenstufen gestaffelte Auslandszulage von der Art berücksichtigen, wie sie den Auslandsbeamten des Bundes zusteht. Verhandlungen zwischen den beteiligten Bundesressorts
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9513
Bundesminister Dr. Schröderüber eine entsprechende Neuregelung stehen vor dem Abschluß.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann!
Herr Minister, finden Sie nicht, daß es angesichts der am 10. März gegebenen Zusage, diese Frage sorgfältig prüfen zu lassen, und angesichts der Tatsache, daß in der Zwischenzeit nichts geschehen ist, obwohl sich die Lage der in Argentinien tätigen Lehrer von Monat zu Monat verschlechtert hat, ein wenig unbefriedigend ist, daß die Bundesregierung in der Frage der Kaufkraftausgleichszulagen nicht eine vorläufige Übergangsregelung getroffen hat, die den Schwierigkeiten Rechnung trägt und vor allem der Tatsache, daß die Lehrer bei weitem nicht die übrigen Auslandszulagen bekommen, die etwa andere im Dienst des Bundes im Ausland tätigen Kräfte erhalten? Finden Sie nicht, daß angesichts der zahlreichen Schreiben und Mahnungen an die Botschaft die Lage langsam unerträglich geworden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Kahn-Ackermann, ich stimme Ihnen darin zu, daß der derzeitige Zustand unerfreulich ist. Ich habe gerade gesagt, daß darüber zwischen den beteiligten Bundesressorts verhandelt wird und daß diese Sache nicht allein in unserer Hand liegt. Ich kann das nur bedauern. Aber bei Schwierigkeiten der hier genannten Art sind die drei Monate, die inzwischen seit unserer letzten Unterhaltung vergangen sind, ein relativ kurzer Zeitraum. Ich bedaure, das sagen zu müssen; aber das liegt an der Schwierigkeit der Materie und an der Kompliziertheit der Bestimmungen, die wir nicht einfach kurzerhand ändern können.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kahn-Ackermann!
Herr Minister, werden Sie sich dafür einsetzen, daß in Kürze, wenn auch keine endgültige Regelung erfolgen kann, wenigstens eine Übergangsregelung erfolgt, die der Lage dieser immerhin für die Bundesrepublik tätigen Beamten Rechnung trägt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will das gern, Herr Kollege Kahn-Ackermann, noch einmal prüfen. Aber ich würde, glaube ich, unrecht handeln, wenn ich hier Erklärungen abgeben wollte, die über meine gesetzlichen Möglichkeiten hinausgehen. Prüfen will ich es sehr gern.
Keine Zusatzfrage. — Dann rufe ich auf die Frage VII/6 — des Abgeordneten Jacobs —:
Hat die Deutsche Botschaft in Paris oder einer ihrer Angehörigen oder Mitarbeiter offiziell oder inoffiziell versucht, die Entscheidung zu beeinflussen, den als deutschen Festspielbeitrag in Cannes vorgeschlagenen Film „Das Haus in der Karpfengasse" abzulehnen?
Herr Bundesminister, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort auf diese Frage lautet zunächst einmal kurzerhand nein. Das Auswärtige Amt hat im Gegenteil, als bekannt wurde, daß der betreffende Film von der Leitung der Filmfestspiele in Cannes zurückgewiesen werden sollte, die deutsche Botschaft in Paris angewiesen, mit Nachdruck für die Annahme des Films „Das Haus in der Karpfengasse" bei den zuständigen französischen Stellen einzutreten. Anderslautende Gerüchte, die in der letzten Zeit auch Eingang in die Presse gefunden haben, sind falsch.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jacobs!
Herr Minister, können Sie bestätigen, daß die deutsche Botschaft in Paris ein Dementi in der Form eines Telegramms an die Wochenzeitung „Die Zeit" herausgegeben hat, in der die Vorwürfe erhoben worden waren? Wenn ja, wären Sie in der Lage, mitzuteilen, warum „Die Zeit" dieses Dementi nicht gebracht hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Leider kenne ich den Vorfall nicht und schon gar nicht die Politik oder die Redaktionspolitik in diesen Fragen.
Ich möchte nur noch ergänzend hinzufügen, daß die deutsche Botschaft in Paris wiederholt bei der Festspielleitung und im französischen Außenministerium interveniert hat, um eine Änderung der ablehnenden Haltung der französischen Stellen dem Film gegenüber zu erreichen. Dabei hat die französische Seite versichert, daß bei der Ablehnung des Films keine politischen Gründe mitgespielt haben. Das Recht zur Ablehnung von Filmen steht dem Verwaltungsrat der Festspielleitung laut Satzung zu und ist in diesem Jahr übrigens gegenüber mehreren Nationen angewandt worden.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jacobs!
Herr Minister, wenn ich mir eine zweite Zusatzfrage erlauben darf, obwohl ich mich dabei im Gegensatz zu der offiziellen Mitteilung französischer Behörden befinde: Sind Sie nicht auch der Meinung, daß dieses Zusammenspiel zwischen offenbar nazistisch-antisemitischen Kreisen in Deutschland und kommunistischen in Cannes — denn die haben letztlich in der Rolle als Erfüllungsgehilfen dieser Kreise die Entscheidung gefällt — dem Ansehen Deutschlands sehr geschadet hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bedauere, daß die Sache so gelaufen ist. Aber ich habe gerade gesagt, daß die amtlichen Stellen alles dazu getan haben, ein befriedigendes Ergebnis zu erreichen.
Keine Zusatzfrage mehr.
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9514 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Vizepräsident Dr. JaegerJetzt kommen wir zur Frage VII/7 — des Abgeordneten Biechele —:Befinden sich unter den europäischen Opfern, die nach Meldungen von dpa und kna von kongolesischen Regierungstruppen bei der Stadt Likati im nördlichen Kongo aufgefunden worden sind, und unter den 100 Europäern, die in Buta im nördlichen Kongo als Geiseln in den Händen der Aufständischen vermutet werden, auch Deutsche?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort auf diese Frage lautet: Nach den dem Auswärtigen Amt vorliegenden Berichten der Botschaft Léopoldville befinden sich unter den europäischen Opfern, die bei der Stadt Likati im nördlichen Kongo aufgefunden worden sind, keine deutschen Staatsangehörigen. Auch unter den in Buta als Geiseln in den Händen der Aufständischen vermuteten Europäern sollen sich nach diesen Informationen keine deutschen Staatsangehörigen befinden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Biechele!
Herr Bundesminister, darf ich davon ausgehen, daß Sie auch in Zukunft bestrebt sein werden, weitere Informationen über unter Umständen an Leib und Leben bedrohte Deutsche im Gebiet des nördlichen Kongo zu erhalten, und unter Umständen erwägen werden, wie ihnen geholfen werden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich stimme Ihrer Auffassung zu.
Wir kommen zur Frage VII/8 — der Abgeordneten Frau Dr. Flitz —:
Was gedenkt die Bundesregierung für das „UN-CooperationYear" zu unternehmen?
Bitte, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort auf diese Frage ist leider etwas länger, Herr Präsident. Die XVIII. Vollversammlung der Vereinten Nationen hat das Jahr 1965, in dem die Weltorganisation auf ihr zwanzigjähriges Bestehen zurückblicken kann, zum „Jahr der internationalen Zusammenarbeit" proklamiert und in der diesbezüglichen Entschließung Nr. 1907 vom 12. Dezember 1963 alle Mitgliedstaaten aufgerufen, diesem Umstande durch angemessene Veranstaltungen Rechnung zu tragen.
Der Aufruf ist nicht an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet, da diese den Vereinten Nationen nicht als Mitglied angehört. Aus diesem Grunde hält es die Bundesregierung nicht für tunlich, das „Jahr der internationalen Zusammenarbeit" in der gleichen Weise offiziell zu begehen, wie eine Reihe von Mitgliedstaaten es geplant haben. Trotzdem hat die Bundesregierung angesichts des bedeutsamen deutschen Anteils an der internationalen Zusammenarbeit Schritte unternommen, um sowohl die deutsche als auch eine breitere ausländische Öffentlichkeit mit Art und Ausmaß dieser Zusammenarbeit vertraut zu machen.
Im Einvernehmen mit dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung sind u. a. geplant: die Herausgabe einer Broschüre über die Rolle der Bundesrepublik Deutschland in der internationalen Zusammenarbeit; ein ausführlicher illustrierter Artikel über Deutschlands Kooperation innerhalb der Vereinten Nationen in der Zeitschrift „international scala"; ein entsprechender Artikel im Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung bei der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen angeregt, daß diese ihre Arbeit im Jahre 1965 insbesondere unter den Gesichtspunkt der internationalen Zusammenarbeit stellt. Die Bundesregierung hat ihre Mithilfe bei diesem Vorhaben angeboten.
Zu einer Zusatzfrage Frau Abgeordnete Flitz.
Herr Minister, die Bundesrepublik ist doch Mitglied sehr vieler Sonderorganisationen der Vereinten Nationen, z. B. der UNICEF. Würde die Bundesregierung überlegen, als Beitrag zum Jahr der internationalen Zusammenarbeit unter Umständen die Kultusministerkonferenz zu bitten, anzuregen, daß Schulkinder am Weltkindertag im September für die Kinder in der Welt sammeln, so wie es in anderen Ländern seit Jahren geschieht? Würde die Bundesregierung also unter Umständen bereit sein, der Kultusministerkonferenz eine solche Anregung zu geben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, ich halte das für eine sehr überlegenswerte Anregung, die wir gern an die Konferenz der Kultusminister weitergeben wollen.
Keine Zusatzfragen mehr. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Ich rufe auf die Frage XI/1 — des Abgeordneten Börner —:
Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung aus dem Meinungsaustausch über den Erlaß des Bundesverteidigungsministeriums betreffend „Briefzensur von Arrestanten" im Bundestagsausschuß für Verteidigung zu ziehen?
Das Wort zur Beantwortung der Frage hat der Bundesminister der Verteidigung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, die Frage des Herrn Abgeordneten Börner ist schriftlich beantwortet worden.
Herrn Abgeordneten Börner scheint die schriftliche Antwort nicht bekannt zu sein.von Hassel, Bundesminister der Verteidigung. Dann darf ich hier die Antwort vorlesen, Herr Präsident.Die Bundesregierung steht auf dem Standpunkt, daß die Kontrolle der Post der Disziplinar-Arrestan-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9515
Bundesminister von Hasselten nicht gegen Art. 10 des Grundgesetzes verstößt, weil das besondere Gewaltverhältnis, in dem sich der Soldat während der Verbüßung des Arrestes befindet, diesen Eingriff in das als Grundrecht geschützte Briefgeheimnis rechtfertigt. Zum Erlaß eines die Briefkontrolle ausdrücklich zulassenden Gesetzes bestände danach nach Auffassung der Bundesregierung vom Rechtlichen her gesehen kein Anlaß. Trotzdem hält es die Bundesregierung zur Beseitigung etwaiger rechtlicher Zweifel für zweckmäßig, daß die Frage der Zulässigkeit der Briefkontrolle, die sich nicht nur bei Disziplinar-Arrestanten, sondern bei allen Arten von Zwangsinhaftierten stellt, durch Gesetz geregelt wird. Die Bundesregierung hat bereits Erwägungen über die Art und Weise angestellt, in der eine solche Regelung am zweckmäßigsten getroffen wird. In dieser Legislaturperiode, Herr Abgeordneter, wird es allerdings nicht mehr möglich sein, ein entsprechendes Bundesgesetz einzubringen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Börner.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß diese eben von Ihnen geäußerte Ansicht im Widerspruch zu einer einstimmigen Meinungsäußerung steht, die der Verteidigungsausschuß unter Vorsitz des Herrn Vizepräsidenten Jaeger in seiner Besprechung gefaßt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf darauf hinweisen, Herr Abgeordneter, daß das eben Dargelegte nicht nur eine Frage der Arrestanten, also der Soldaten ist, die einsitzen, sondern eine Frage, die alle Inhaftierten angeht und die zunächst das Justizministerium und erst sekundär das Verteidigungsministerium betrifft.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Börner.
Herr Minister, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß Sie der Meinung sind, der Arrestant in der Bundeswehr sei in seiner Behandlung mit einem kriminellen Strafgefangenen gleichzusetzen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich wehre mich gegen eine Gleichsetzung mit dem Komplex, den Sie eben nannten. Bei der Frage des Briefgeheimnisses oder der Briefzensur, scheint mir, sollte man jedoch gleiche Grundsätze anwenden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Cramer.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß auch der Wehrbeauftragte der Meinung ist, für die Überwachung der Briefe der Arrestanten fehle die gesetzliche Grundlage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe darauf aufmerksam gemacht, daß wir der Meinung sind, die Frage müsse geprüft werden, obwohl .wir sie für rechtlich einwandfrei geklärt halten. Um alle Zweifel auszuschalten, will man die Rechtsfrage noch einmal klären. Dafür ist aber der Justizminister federführend.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schwabe.
Würden Sie, Herr Minister, es nicht angesichts der Sachlage und der Willensäußerungen, die Sie jetzt gehört haben, für gut halten, wenn Sie bis zum Erlaß einer gesetzlichen Regelung diese militärischen Arrestanten nicht so behandelten wie die kriminellen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung mit den beteiligten Ressorts prüft, ob die Rechtsgrundlage klargestellt werden sollte. Ich glaube, Sie werden mit mir darin übereinstimmen, daß das in dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich ist; und ich habe nicht die Absicht, für eine Zwischenzeit eine Lösung zu finden, die uns vielleicht für später präjudiziert.
Herr Abgeordneter Zoglmann.
Herr Minister, würden Sie mit mir der Meinung sein, daß diese Fragestellung der Kollegen der SPD nur die Schlußfolgerung zuläßt, daß die Sozialdemokratische Partei für eine eigene Militärgerichtsbarkeit eintritt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin überzeugt, daß sie für eine eigene Militärgerichtsbarkeit eintreten wird, wenn sie alle Details der gegenwärtigen Regelung kennen würde.
Herr Abgeordneter Dröscher.
Herr Bundesminister, darf ich fragen, ob das Verteidigungsministerium, nachdem die Stellungnahme des Verteidigungsausschusses ja bekannt war, bereits etwas in Richtung auf die Prüfung durch das Justizministerium hin unternommen hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jawohl. Wir haben ein Interesse daran, daß der Komplex so geklärt wird, daß nicht der Verteidigungsminister in Zukunft wieder hier interpelliert wird.
Herr Abgeordneter Dr. Heinemann.
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9516 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Herr von Hassel, was ist der sachliche, insbesondere der disziplinarische Grund für eine solche Postkontrolle?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann Ihnen den gesamten Komplex im Zusammenhang nicht darlegen. Es ist seit eh und je auch in der Bundeswehr seit zehn Jahren in dieser Form unangefochten gehandhabt worden. Wenn es geändert werden soll, muß man es mit allen Konsequenzen überlegen. Ich bin also nicht bereit, hier heute eine Zusage zu geben, daß ich das im Sinne der Interpellation ändern werde. Es muß eine grundlegende Klärung für alle beteiligten Ressorts erfolgen und nicht nur für das Verteidigungsressort.
Eine zweite Zusatzfrage!
Darf ich meine Frage wiederholen, was der sachliche, insbesondere der disziplinarische Grund für die Kontrolle ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Man müßte Ihnen dann den gesamten Komplex der Disziplinarordnung in der Bundeswehr darlegen; man müßte Ihnen die Disziplinarstrafen erläutern, die vom Einheitsführer bzw. vom Gericht verhängt werden, so wie die Gründe aufzeigen, aus denen Disziplinarstrafen verhängt werden. Dazu wäre ich gern bereit, auch in einem anderen als dem Verteidigungsausschuß, beispielsweise im Rechtsausschuß, der sich zur gegebenen Zeit mit dieser Frage beschäftigen wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jahn.
Herr Minister, beabsichtigt die Bundesregierung, dem Bundestag ein Gesetz zur Änderung des Artikels 96 a des Grundgesetzes vorzulegen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf darauf aufmerksam machen, Herr Abgeordneter, daß das nicht Sache des Verteidigungsressorts ist, sondern des Justizressorts. Mit diesem als federführendem Ressort wird das behandelt.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jahn.
Wie kommen Sie dann zu Ihrer Vermutung, auch die Sozialdemokraten würden bei Kenntnis der Sachlage für eine Wehrstrafgerichtsbarkeit eintreten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weil in den Gesprächen des Bundesjustizministers, zu denen Vertreter aller drei Fraktionen des Bundestages mehrfach hinzugezogen worden sind, am Ende herauskam, daß eine „kleine Lösung" unzweckmäßig wäre und daß im neuen Bundestag alle
Fraktionen gemeinsam mit der Bundesregierung eine gemeinsame „große Lösung" anstreben sollten. Die Vertreter Ihrer Fraktion haben diese Auffassung dort in der Sitzung einheitlich vertreten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel.
Herr Bundesverteidigungsminister, welchen Effekt hatte denn in all den Jahren, die verflossen sind, diese Briefzensur?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Frage kann ich Ihnen hier aus dem Handgelenk nicht beantworten. Ich glaube aber, daß, wenn jemand wegen einer Disziplinarstrafe einsitzt, es schon notwendig ist zu wissen, was der einsitzende Soldat unternimmt. Um das zu erreichen, wird die Briefzensur ausgeübt.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ritzel.
Sind Sie, Herr Minister, nicht mit mir der Auffassung, daß, wenn eine solche Regelung seit zehn Jahren quasi zu Gewohnheitsrecht ohne ausreichende Begründung geworden ist, Anlaß besteht, sich Rechenschaft darüber abzulegen, daß der Effekt auch wirklich den Einsatz und den Eingriff rechtfertigen muß?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin davon überzeugt, daß die Vorgesetzten, die die Briefzensur durchführen, den Verteidigungsminister mit Sicherheit darüber unterrichtet hätten, wenn man es ändern sollte.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Berkhan. — Das Thema scheint unerschöpflich zu sein.
Herr Minister, ist es ganz ernsthaft Ihre Auffassung, daß man einen disziplinar bestraften Soldaten, der eine Arreststrafe von drei, fünf, sechs oder zehn Tagen absitzt, genauso behandeln muß wie einen Arrestanten, der wegen eines kriminellen Delikts einsitzt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf klarstellen, daß ich weit davon entfernt bin, beide generell miteinander zu vergleichen. Hier handelt es sich nur um die Frage der Briefzensur, der Überprüfung der aus- und eingehenden Post. Daraus läßt sich, glaube ich, nicht auf den gesamten Komplex vergleichbarer Tatbestände schließen.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Berkhan.
Herr Minister, teilen Sie mit mir die Auffassung, daß ein Soldat, der sich disziplinar vergangen hat und bestraft wird, es nicht verdient hat, daß man z. B. in die Briefe, die ihm seine Braut schreibt, Einsicht nimmt?
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9517
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, daß Sie bei dieser Frage einen besonderen Fall im Auge haben. Ich bin der Meinung, daß man über die Briefe einer Braut mit der nötigen Diskretion hinweglesen sollte.
Wir kommen zur Frage XI/2 — des Abgeordneten Ritzel —:
Soll der Grundstückserwerb für Zwecke des Bundesverteidigungsministeriums in der Zukunft durch das Bundesverteidigungsministerium oder durch das Bundesschatzministerium erfolgen?
Bitte, Herr Minister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich beantworte die Frage wie folgt: Die Landbeschaffung für Zwecke der Bundeswehr erfolgt durch die Dienststellen der Bundesvermögensverwaltung, nämlich durch die Oberfinanzdirektionen, Bundesvermögensabteilungen und deren nachgeordnete Bundesvermögensstellen. Eine Änderung dieser Zuständigkeit ist nicht beabsichtigt.
Herr Abgeordneter Ritzel zu einer Zusatzfrage.
Wer erteilt diesen untergeordneten Stellen die Weisungen in bezug auf die Grundstückspolitik, die das Verteidigungsministerium zu betreiben wünscht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Verteidigungsministerium erteilt unmittelbar den Oberfinanzdirektionen einen Auftrag zur Landbeschaffung bei bestimmten Objekten, in einer bestimmten Stadt, in einer bestimmten Gemarkung und in einer bestimmten Größe. Der Auftrag dazu geht vom Verteidigungsministerium direkt an die Oberfinanzdirektionen.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Ritzel.
Welche Maßnahmen sind getroffen, Herr Minister, um in diesen Fällen eine echte Zusammenarbeit zwischen dem Verteidigungsministerium und beispielsweise dem Schatzministerium herbeizuführen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Bundesvermögensabteilungen, die für das Verteidigungsressort die Grundstückserwerbe durchführen, leisten die gleiche Aufgabe beispielsweise für das Innenministerium — für den Bundesgrenzschutz — und für eine ganze Reihe anderer Dienststellen, z. B. für das Bundesschatzministerium selber, in gewissen Fällen auch für das Bundeswohnungsbauministerium. Sie behandeln die gesamten Beschaffungsvorgänge und damit auch die Beschaffungspolitik nach einheitlichen Gesichtspunkten, die in der Spitze zwischen den Ministern nur vom Grundsatz her erörtert werden, nicht aber im Detail. Ich darf hinzufügen, Herr Abgeordneter: Es handelt sich um rund 15 000 derartige Grundstückserwerbsvorgänge mit etwa 35 000 ha. Die kann man in der Spitze nur generell erörtern und nicht im Einzelfall.
Zu einer Zusatzfrage Frau Abgeordnete Pitz-Savelsberg.
Herr Minister, darf ich in diesem Zusammenhang eine Frage stellen: Was hat das Land Hessen getan in bezug auf Ersatzbeschaffung für militärisches Gelände in Griesheim, das schon lange von den Siedlern genutzt ist und in deren Eigentum übergehen sollte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, diese Frage kann ich aus dem Handgelenk nicht beantworten. Ich bin bereit, auf Grund des Stenogramms Ihnen eine schriftliche Antwort zu geben.
Ich glaube auch, daß diese Frage nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Hauptfrage steht.
Ich komme dann zur Frage XI/3 — des Abgeordneten Cramer —:
Wann wird die geplante Panzerstraße von den Kasernen in Varel zum Bahnhof Langendamm in Angriff genommen?
Bitte, Herr Bundesminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich beantworte die Frage wie folgt: Mit dem Bau der Panzerstraße kann erst begonnen werden, wenn die mit dem Grunderwerb beauftragte Oberfinanzdirektion Hannover die hierfür benötigten Grundstücke erworben hat. In Vorverhandlungen mit den neun betroffenen Grundeigentümern ist festgestellt worden, daß von einem Grundeigentümer Schwierigkeiten zu erwarten sind. Falls dieser das benötigte Grundstück nicht verkauft oder überhöhte Forderungen stellt, muß ein Enteignungsverfahren eingeleitet werden, das aber den Grunderwerb verzögern würde. Die Planungsunterlagen für die Panzerstraße sind fertiggestellt, so daß sofort mit dem Bau begonnen werden könnte. Gleichzeitig soll ein Wirtschaftsweg mit entsprechenden Zuwegen für die Anlieger gebaut werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Cramer.
Herr Minister, Ihnen ist doch sicher bekannt, daß durch die Panzerfahrzeuge in den engen Straßen von Varel sehr oft Beschädigungen der Bürgersteige entstehen und Fußgänger und Radfahrer in Gefahr kommen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist ja der Ausgangspunkt für die Überlegungen, eine Panzerstraße zu bauen.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Cramer.
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9518 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Was glauben Sie tun zu können, Herr Minister, um ohne dieses langwierige Enteignungsverfahren den einen Grundstückseigentümer zu veranlassen, sein Grundstück herzugeben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann ihm lediglich gut zureden. Wenn das nicht hilft, hilft nicht anderes, als dieses Verfahren durchzuführen.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Wir kommen zu der Frage des Abgeordneten Ertl aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. — Das Ministerium ist, wie ich feststelle, nicht vertreten.
Meine Damen und Herren, dann kommen wir zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr.
Ich rufe auf die Fragen XII/1 und XII/2 — des Abgeordneten Dr. Müller-Emmert —:
Wird der Bundesverkehrsminister prüfen, ob eine dringende Notwendigkeit zum Bau einer weiteren Abfahrt von der B 40 a in der Nähe des Flugplatzes Ramstein, Landkreis Kaiserslautern, zur Landstuhler Straße in Richtung der Gemeinde Ramstein besteht, damit der sehr starke Verkehr vom und zum Flugplatz Ramstein nicht mehr durch die Gemeinde Ramstein hindurch geführt zu werden braucht?
Bis wann ist mit der Fertigstellung des Teilstücks der B 408 zwischen Landstuhl und Glan-Münchweiler zu rechnen, das — wie auf der Besichtigungsfahrt des Bundesverkehrsministers vom 15. Juli 1964 bekanntgegeben wurde — bis Frühjahr dieses Jahres befahrbar sein soll?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 16. Juni 1965 lautet:
Zu Frage XII/1:
Der Bundesminister für Verkehr wird mit der Auftragsverwaltung des Landes Rheinland-Pfalz die Frage prüfen, ob eine dringende Notwendigkeit zum Bau einer weiteren Abfahrt von der B 40 a besteht und wer ggf. Baulastträger für diese Abfahrt sein wird, da beabsichtigt ist, die B 40 a abzustufen. Im engen Zusammenhang mit der Anlegung einer weiteren Abfahrt steht die Planung des Landes für eine Umgehungsstraße Ramstein im Zuge der Landesstraße 363, durch die die Ortsdurchfahrt vom Durchgangsverkehr entlastet werden soll. Diese Planung ist jedoch noch nicht abgeschlossen.
Zu Frage XII/2:
Die im Bau befindliche Brücke über den Glan und die Landesstraße 358 bei Glan-Münchweiler bestimmt den Fertigstellungstermin für das Teilstück der B 408 zwischen Landstuhl und Glan-Münchweiler. Die Erdarbeiten sind fast abgeschlossen. Die Deckenbauarbeiten werden z. Z. ausgeschrieben. Mit der Fertigstellung des Teilstücks kann voraussichtlich erst im Sommer des nächsten Jahres gerechnet werden.
Dann rufe ich die Frage XII/3 — des Abgeordneten Cramer — auf:
Wer ist für den Zustand der Schleuse bei der ersten Hafeneinfahrt in Wilhelmshaven verantwortlich?
Herr Bundesminister, ich darf bitten.
Herr 'Präsident, ich bitte, die beiden Fragen des Herrn Kollegen Cramer gemeinsam beantworten zu dürfen, falls Herr Kollege Cramer einverstanden ist.
Bitte sehr. Ich rufe dann noch auf die Frage XII/4 — des Herrn Abgeordneten Cramer —:
Wenn der Bund für den Zustand der in Frage XII/3 genannten Schleuse verantwortlich ist: Was gedenkt der Bundesverkehrsminister zu tun, um die bei der Deichschau festgestellten Mängel, die zu einer Bedrohung der Landessicherheit führen können, zu beseitigen?
Zur ersten Frage: Für den Zustand der Schleuse bei der ersten Hafeneinfahrt in Wilhelmshaven, die bekanntlich aus dem Jahre 1883 stammt, ist der Bund verantwortlich.
Es trifft jedoch nicht zu, daß bei der Deichschau im Mai dieses Jahres bei der ersten Einfahrt solche Mängel festgestellt wurden, die zu einer Bedrohung der Landessicherheit führen könnten. Die Pressemitteilungen haben offenbar den Sachverhalt irreführend dargestellt. In .den mir vorliegenden Protokollen der Deichschau wurde lediglich festgestellt, daß die Verhältnisse an der ersten Einfahrt im Benehmen mit dem Wasser- und .Schiffahrtsamt Wilhelmshaven untersucht werden sollen. Die Deichsicherheit im Bereich der ersten Einfahrt ist im jetzigen Zustand nach den mir gemachten Mitteilungen meiner 'zuständigen Stellen voll gewährleistet. Die Pläne, die Kammer der ersten Einfahrt vollzuspülen, um die laufenden Kosten der Bewachung einzusparen, werden zur Zeit geprüft. Sie bedürfen aber zur Durchführung des Einverständnisses des Landes Niedersachsen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Cramer.
Herr Minister, würde das bedeuten, daß die erste Einfahrt überhaupt stillgelegt wird?
Wenn die Schleuse zugespült wird, wird die erste Einfahrt stillgelegt. Das ist auch durchaus denkbar — falls Niedersachsen nicht einspricht —, weil die Unterhaltung und Bewachung der ersten Einfahrt unnötige Kosten verursachen, wenn sie nicht mehr benutzt wird.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Cramer.
Herr Minister, steht das im richtigen Verhältnis 2u den Kosten, die dann ,entstehen, wenn auch kleinere Fahrzeuge durch die große vierte Einfahrt einfahren müssen?
Ja.
Sie haben vier Zusatzfragen. Bitte sehr!
Herr Minister, meinen Sie nicht, daß der Baurat Kern vom Wasser- und Schiffahrtsamt zuständig ist, der gesagt hat, daß die Landessicherheit an diesem Punkt, nämlich an der ersten Einfahrt, nicht mehr gewährleistet sei?
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9519
Her Kollege Cramer, ich kann Ihnen nur das sagen, was ich in der Antwort auf Ihre Frage gesagt habe. Das beruht auf den mir gemachten Mitteilungen des Wasser- und Schiffahrtsamtes Wilhelmshaven, und zwar in einem Brief vom 26. Mai 1965, unterschrieben von dem Leiter dieses Amtes.
Eine letzte Zusatzfrage.
Meinen Sie auch, daß der Oberkreisdirektor des Kreises Friesland unzuständig ist, der gesagt hat, daß die Gefahr bestehe, daß der Binnenhafen zu einem Fluthafen werde und daß unter Umständen die Marinefahrzeuge zweimal am Tage auf dem Schlick säßen?
Herr Kollege, die Herren übertreiben manchmal verhältnismäßig. Ich schätze den Oberkreisdirektor sehr, muß ihm aber eine spezielle Kenntnis in diesen Fragen absprechen.
Ich komme damit zu der Frage XII/5 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing —:
Ist der Bundesverkehrsminister bereit, nachdem auf seine Veranlassung die Deutsche Bundesbahn mit der Stadt Bonn einen Vorvertrag über die Tieferlegung der Bahn-Trasse im Stadtgebiet Bonn abgeschlossen hat, zur beschleunigten Verwirklichung dieses Projekts beizutragen?
Herr Bundesminister, bitte!
Die Frage XII/5 — des Herrn Abgeordneten Kliesing — möchte ich wie folgt beantworten. Herr Kollege, wie Sie wissen, bemühe ich mich seit Jahren um eine für alle Beteiligten optimale Verbesserung der durch die Bahnanlagen der Deutschen Bundesbahn nicht unwesentlich beeinträchtigten Verkehrsverhältnisse in der Stadt Bonn. Nachdem es nun möglich gewesen ist, die technischen Untersuchungen soweit abzuschließen, daß Einvernehmen zwischen der Stadt Bonn und auch der Bundesbahn über die technische Durchführung besteht, handelt es sich jetzt im wesentlichen nur noch um die Frage der Finanzierung, die einer Klärung zwischen den Beteiligten bedarf. Die Verhandlungen darüber sind zur Zeit noch im Gange. Ich hoffe aber, daß sie in den nächsten Wochen abgeschlossen werden können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kliesing.
Herr Minister, wären Sie bereit, im Rahmen der Bundesregierung den Standpunkt zu vertreten, daß dieses Problem ebenso wie andere Verkehrsprobleme im Raum Bonn namentlich in der letzten Zeit außerordentlich dringlich geworden ist und daher schnellstens gelöst werden sollte?
Herr Kollege, ich bin völlig Ihrer Auffassung. Je stärker der Autoverkehr in der Stadt Bonn wird und je mehr dadurch die schienengleichen Bahnübergänge belastet werden, desto dringlicher wird die Lösung des Problems. Nachdem ,sich Stadt und Bundesbahn auf die Tieferlegung geeinigt haben, müssen wir mit größtmöglicher Beschleunigung dafür sorgen, daß diese sehr umfangreichen, mehrere Jahre erfordernden Arbeit endlich beginnen können. Dazu ist aber eine Finanzierungsvereinbarung zwischen dem Bund, der Stadt und dem Lande notwendig.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kliesing.
Herr Minister, würden Sie diesen positiven Standpunkt auch hinsichtlich anderer dringlicher Verkehrsprobleme im Raum Bonn vertreten?
Herr Kollege Kliesing, es ist ja so, daß die Lösung dieses Problems die Lösung einer ganzen Reihe damit zusammenhängender Verkehrsprobleme immer wieder zurückgedrückt hat, sehr zu meinem Bedauern und zum Bedauern aller Bewohner dieser Stadt. Deswegen bin ich gerade der Meinung, daß die endgültige Entscheidung über dieses Problem uns den Weg frei macht, eine Reihe von anderen dringenden Problemen endlich in Angriff nehmen zu können.
Wir kommen dann zu Frage XII/6 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing —:
Kann, nachdem mit dem in Frage XII/5 erwähnten Vorvertrag eine wichtige Voraussetzung für die Planung der Südbrücke in Bonn erfüllt wurde, mit einem schnellen Fortgang der Planung und Verwirklichung dieses Bauvorhabens gerechnet werden?
Bitte, Herr Minister!
Herr Kollege, die Bonner Südbrücke wird mit ihrer westlichen Brückenrampe vorsorglich ,die Planung der Stadtautobahn höhenmäßig berücksichtigen, so daß eine stufenweise Verwirklichung der beiden Verkehrsstraßen jederzeit möglich ist. Hinsichtlich der Terminplanung habe ich in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 11. Dezember 1963 ausgeführt, daß beabsichtigt ist, die Südbrücke 1967 zu beginnen und 1969 fertigzustellen. Die Vorbereitung dieser Maßnahmen bleibt auch weiterhin auf diesen von mir damals genannten Termin abgestellt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, würden Sie meine Auffassung teilen, daß durch den Bau der Nordbrücke, so begrüßenswert er an sich ist, noch keine entscheidende Entlastung des Verkehrs im Raum Bonn eintritt, sondern daß das erst nach Vollendung der Südbrücke geschehen kann?
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9520 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Herr Kollege, wir haben die Nordbrücke und die Südbrücke immer als eine Einheit angesehen. Beide Projekte sollen miteinander — allerdings nicht gleichzeitig — verwirklicht werden. Dabei hat die Nordbrücke die Aufgabe, den Fernverkehr, der aus Norden und Nordwesten zuströmt, um die Stadt Bonn herumzuleiten und in direkter Form der Autobahn bzw. der Bundesstraße 8 zuzuführen. Die Südbrücke dagegen hat die Aufgabe, die jenseits des Rheins liegenden Teile der verschiedenen Gemeinden und Städte eng mit dem südlichen Teil der Städte Bonn und Bad Godesberg zu verbinden, hier eine feste Verbindung zu schaffen, zugleich aber eine Verlängerung zu erlauben, die auf der einen Seite nach Süden zu bis auf die Höhen führt und dort den Anschluß an das Straßensystem westlich der Stadt gewinnt, auf der anderen Seite über Ramersdorf hinausführt und den Anschluß an die Autobahn gewinnen soll. Diese Straßenzüge sind aber Landesstraßenzüge. Sie können erst nach Erstellung der Südbrücke ausgebaut werden. Die Festlegung der Südbrücke hat sich mit Rücksicht auf die Bahnverlegungsfrage verzögert, weil eben, wie gesagt, von der Bahnverlegungsfrage abhängt, an welcher Stelle diese an Stelle des Bahndamms quer durch Bonn verlaufende Verkehrsstraße von Norden nach Süden von der Verlängerung der Südbrücke geschnitten werden kann. Ursprünglich hatten wir die Auffassung vertreten, daß an dieser Stelle ein Bahnhof entstehen sollte und daß wir die Bahn nicht tiefer legen, sondern um die Stadt herumführen sollten; dann hätten sich andere Verhältnisse ergeben als jetzt. Damit ist also, wie Sie vorhin schon richtig bemerkten, die Tieferlegung der Bahn der entscheidende Punkt auch für die endgültige Lösung dieser Fragen. So kann der Brückenbau als solcher davon unbabhängig in der von mir angegebenen Zeit durchgeführt werden.
Eine weitere Frage.
Herr Minister, Sie haben vorhin freundlicherweise noch einmal Ihre Zeitangaben vom Jahre 1963 bestätigt. Darf ich fragen, ob auch gewährleistet ist, daß die mit der Südbrücke zusammenhängenden Straßenbauwerke — durch deren Vollendung die Südbrücke erst sinnvoll würde — etwa zur gleichen Zeit wie der Bau der Südbrücke ausgeführt werden?
Herr Kollege, wir haben das mit dem Landschaftsverband Rheinland so abgesprochen. Da der Landschaftsverband Rheinland selber die bauüberwachende Stelle für die Südbrücke ist, nehme ich an, daß die entsprechenden Planungen für die anschließenden Landesstraßen auch von dem Landschaftsverband so durchgeführt werden. Ich werde diese Frage aber ausdrücklich am 5. Juli, wenn ich mit den Herren des Landschaftsverbandes hier in diesem Raum zusammen bin, noch einmal zur Diskussion stellen und mich überzeugen, daß das Land — wie bisher vereinbart und fest zugesagt — an diesen Dingen auch festhält, so daß Sie darüber beruhigt sein können.
Frage XII/7 — des Abgeordneten Dr. Kliesing —:
Wann kann nach nunmehriger Überwindung der örtlichen Schwierigkeiten mit dem Beginn des Baus der EB 42 im Amt Oberkassel gerechnet werden?
Herr Kollege, ich rechne mit einem Baubeginn für die EB 42 im Amtsbereich Oberkassel spätestens im Frühjahr 1967. Ich hoffe, daß wir noch in diesem Herbst das Planfeststellungsverfahren einleiten können, das voraussichtlich in einem Jahr abgewickelt werden kann. Bis zum Baubeginn ist dann noch der restliche Grunderwerb durchzuführen, der, wie ich hoffe, keine entscheidenden Schwierigkeiten mehr bereitet, so daß die Straße 1967 voll im Bau sein wird.
Eine Zusatzfrage!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, darf ich aus dieser Antwort entnehmen, daß die ursprünglichen Bedenken des Verwaltungsrats der Siebengebirgsbahn gegen eine Tieferlegung der Bahn im Zuge des Straßenbaus ausgeräumt sind?
Leider sind die noch nicht völlig ausgeräumt. Es finden zur Zeit noch Besprechungen zwischen dem Landschaftsverband und der Siebengebirgsbahn statt. Ich habe aber die Hoffnung, daß die Herren der Siebengebirgsbahn sich den Notwendigkeiten doch nicht entziehen werden, zumal nach meiner Auffassung für die Siebengebirgsbahn nicht etwa Nachteile, sondern sogar noch Vorteile bei dieser Lösung der Verkehrsprobleme auf dem rechten Rheinufer entstehen.
Herr Minister, kann nach den Erfahrungen, die wir mit der EB 42 gemacht haben, sichergestellt werden, daß ähnliche Schwierigkeiten, wie sie dort leider aufgetreten sind, bei dem geplanten Ausbau der B 9 im Raume Bad Godesberg vermieden werden?
Ja, das hoffe ich. Aber Sie wissen, daß hier natürlich immer die Haltung der städtischen Körperschaften mit eine Rolle spielt. Ich hoffe, daß die städtischen Körperschaften an der nunmehr geplanten Lösung festhalten und daß sie durchgeführt werden kann.
Wir kommen zur Frage XII/8 — des Abgeordneten Schmidt —:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß zwischen der Antwort von Staatssekretär Dr. Seiermann zur Frage der Einschränkung des Sonntagsfahrverbotes für den Güterkraftverkehr und etwaiger Ausnahmegenehmigungen in der Fragestunde vom 21. Januar 1965 und der dieser Tage durch Rundschreiben den Ländern zugestellten Bitte, für bestimmte Zeiten in der Hauptreisezeit keine Ausnahmegenehmigungen zu erteilen, ein klarer Widerspruch besteht, der umgehend im Interesse der Betroffenen aufgeklärt werden sollte?
Ist der Herr Abgeordnete im Saal? — Dann wird die Frage schriftlich beantwortet.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9521
Wir kommen zur Frage XII/9 — des Abgeordneten Fritsch —:
Wann ist mit der Umgehung von Schönberg, Landkreis Grafenau, durch die Verlegung der B 85 zu rechnen?
Für die Aufstellung des Bebauungsplanes der Gemeinde Schönberg wurde von dem zuständigen Straßenbauamt in einem Vorentwurf die Linienführung der an sich nicht sehr einfachen Ortsumgehung Schönberg grundsätzlich festgelegt. Wann dieses Bauvorhaben weiter bearbeitet und zur Ausführung gebracht werden kann, muß noch abgestimmt werden, da die neue Trasse infolge der ungünstigen Geländeverhältnisse besonders hohe Kosten erfordert. Ich habe vor wenigen Tagen diese Frage noch einmal mit den Vertretern der Obersten Baubehörde in diesem Raum besprochen und habe mit der Obersten Baubehörde abgestimmt, daß wir zunächst den Abschnitt zwischen Schönberg und Eppenschlag mit Zwischenausbau, also mit einer neuen schweren Decke, versehen werden, um die Zeit bis zur Baureifmachung der Ortsumgehung Schönberg zu überbrücken und weitere Verkehrsverbesserungen in dieser Zeit durchführen zu können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneten Fritsch.
Herr Minister, wären Sie bereit, diesem Bereich Ihre besondere Förderung zuteil werden zu lassen, da ja bekannt ist, daß diese Strecke im Zusammenhang mit der Industrieansiedlung von besonderer Bedeutung ist?
Herr Kollege Fritsch, Sie kennen die Verhältnisse dort sehr genau. Die von mir angegebene Verbesserung der Strecke ist vor allen Dingen auch für den Raum Grafenau, der sehr industrieträchtig ist, und für den Anschluß mit Spiegelau und den ganzen Glasfabriken wichtig. Unabhängig davon wollen wir auch die Umgehungsstraße Schönberg weiter fördern. Nach Lage der Dinge und Studium der Pläne — in Verbindung mit den örtlichen Sachbearbeitern — scheint es mir aber, daß die Schönbergfrage wirklich nicht so einfach gelöst werden kann. Man muß also damit rechnen, daß eine gewisse Zeit vergeht — trotz allen Drucks, den ich darauf ausüben werde —, bis die Angelegenheit tatsächlich baureif sein wird.
Eine zweite Zusatzfrage!
Herr Minister, wäre es möglich, einen ungefähren Zeitpunkt anzugeben, bis zu dem die Sache verwirklicht sein wird?
Nein, das kann man im Augenblick noch nicht sagen, weil jetzt erst diese Vorplanung mit dem Bebauungsplan abgestimmt werden muß und weil die Gemeinden noch bestimmte Wünsche geäußert haben und wir versuchen müssen, diese bei der Planung zu berücksichtigen.
Wir kommen zur Frage XII/10 — des Abgeordneten Dr. Roesch —:
Hält es die Bundesregierung für richtig, daß die als Schnellverkehrsstraße ausgebaute Bundesstraße 29, auf der am Sonntag, dem 23. Mai 1965, drei Fußgänger ums Leben kamen, auf einer Entfernung von ca. 30 km zwischen Geradstetten und Schwäbisch Gmünd nicht einen einzigen geschützten Fußgängerübergang hat?
Herr Präsident, ich bitte, die beiden Fragen des Herrn Kollegen Roesch zusammen beantworten zu dürfen, da sie in einem engen Zusammenhang stehen.
Einverstanden. Ich rufe also auch die Frage XII/11 — des Abgeordneten Dr. Roesch — auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die als Schnellverkehrsstraße ausgebaute B 29 zum Schutze der Fußgänger mit Unterführungen oder Brücken zu versehen?
Wie mir berichtet wird, hat sich am 23. Mai 1965 auf der Bundesstraße 29 bei Hebsack ein Unfall ereignet, bei dem bedauerlicherweise drei Fußgänger getötet worden sind. Diese Fußgänger waren auf dem Wege zum Bahnhaltepunkt Geradstetten und kreuzten dabei im Zuge des sogenannten Remsweges die ausgebaute Bundesstraße 29. Ohne wesentlichen Umweg hätten die Fußgänger jedoch eine vorhandene Unterführung bei Geradstetten benutzen können, so daß bei diesem Unfall eine geschützte Fahrwegkreuzung zwar vorhanden war, aber nicht benutzt wurde.
Zu Ihrer zweiten Frage, Herr Kollege Roesch, darf ich sagen, daß die Bundesstraßenverwaltung sehr darum bemüht ist, die vorhandenen höhengleichen Kreuzungen mit anderen Verkehrswegen auf dem Abschnitt Geradstetten—Schwäbisch Gmünd auszuschalten. Wie Sie sicherlich wissen, sind gegenwärtig schon die Untersuchungen und Vorplanungen für den zweibahnigen Ausbau der Bundesstraße 29 zwischen Waiblingen und Schwäbisch Gmünd im Gange. Im Zuge dieses Ausbaues, der abschnittsweise vorgenommen werden wird, werden selbstverständlich alle jetzt noch vorhandenen höhengleichen Kreuzungen beseitigt oder ausgeschaltet.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Roesch.
Herr Minister, wäre es nicht möglich, bis zum Ausbau dieser neuen Straße behelfsmäßige Brücken — vielleicht aus Holz — an den Übergängen in Geradstetten, Winterbach, Schorndorf, Urbach, Plüderhausen und Lorch anzubringen? Das sind die am meisten frequentierten Übergänge.
Herr Kollege, das müßten die örtlichen Stellen mit der badisch-württembergischen Straßenbauverwaltung abstimmen. Es handelt sich um Zwischenanlagen, die im Rahmen der Zuständigkeit der Auftragsverwaltung liegen. Möglich ist die Anbringung
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9522 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Bundesminister Dr.-Ing. Seebohmnatürlich. Ob sie von den zuständigen Stellen aber als notwendig anerkannt wird, kann ich von hier aus nicht ohne weiteres beurteilen.
Wir kommen damit zur Frage XII/12 — des Abgeordneten Hübner —:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die im Zuge der Rationalisierungsmaßnahmen der Deutschen Bundesbahn beabsichtigte Einstellung der Stückgutabfertigung am Bahnhof Nievenheim für den Empfänger von Stückgut eine Verteuerung der Gebühren von etwa 50 % zur Folge haben wird, oder billigt die Bundesregierung die an dem Beispiel Nievenheim deutlich werdende Absicht, die Rationalisierung der Deutschen Bundesbahn auf Kosten der Bahnkunden durchzuführen?
Auch hier darf ich Sie,- Herr Präsident, bitten, damit einverstanden zu sein, daß die drei Fragen des Abgeordneten Hübner gemeinsam beantwortet werden.
Bitte sehr. Ich rufe auch die Fragen XII/13 und XII/14 — des Abgeordneten Hübner — auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Absichten der Landesplanung und die sich daraus ergebenden Ziele der regionalen Strukturverbesserung in einem Industriestandort bei dei Durchführung von Rationalisierungsmaßnahmen durch die Deutsche Bundesbahn nicht berücksichtigt werden?
Gedenkt die Bundesregierung, nachhaltig darauf hinzuwirken, daß durch Rationalisierungsmaßnahmen der Deutschen Bundesbahn die mit der Landesplanung übereinstimmenden Entwicklungstendenzen betroffener Gemeinden nicht empfindlich gestört werden?
Wie an zahlreichen anderen Plätzen ist auch in Nievenheim der Stückgutverkehr der Bundesbahn in den letzten Jahren infolge Abwanderung auf Straßenfahrzeuge sehr erheblich zurückgegangen. Die Bundesbahn beabsichtigt deshalb, die wenigen verbliebenen Kunden auf den Nachbarbahnhof Dormagen zu verweisen. Die Mehrentfernung beträgt, gerechnet von der Ortsmitte Nievenheim, nur 2 km. Das ist eine bei dem heutigen Stand der Motorisierung gewiß nicht ins Gewicht fallende Verlängerung des Anfahrtweges.
Überdies soll künftig für diejenigen Kunden, die ihre Güter nicht weiterhin selbst abholen oder anbringen wollen, die Möglichkeit geschaffen werden, die Dienste eines bahnamtlichen Rollfuhrunternehmens in Anspruch zu nehmen. Die Höhe der Eisenbahnfracht bleibt dabei praktisch unverändert.
Mir ist daher nicht recht verständlich, wie es unter diesen Umständen zu einer Verteuerung um 50 % kommen soll. Angesichts der hohen und ständig wachsenden Verluste im Stückgutverkehr vermag ich die Deutsche Bundesbahn nicht daran zu hindern, diesen Dienstzweig außerhalb der Zonenrand- und Bundesausbaugebiete durch eine Konzentrierung des Abfertigungsdienstes rationeller zu gestalten. So geschieht dies auch bei allen Eisenbahnen des benachbarten Auslands.
Mir ist bisher nicht bekanntgeworden, daß die Bundesbahn die Ziele der Landesplanung und der regionalen Strukturverbesserung in Nievenheim oder anderswo unberücksichtigt ließe. Vielmehr enthält sich die Bundesbahn im Zonenrandgebiet und in den Bundesausbaugebieten jeglicher Verkehrseinschränkungen und führt außerhalb dieser Gebiete derartige Maßnahmen nur nach eingehender Erörterung mit den Verkehrsnutzern und mit den beteiligten Stellen des Bundes, des Landes und der Kommunen durch, und dies auch nur dann, wenn der Schienenverkehr infolge Abwanderung auf andere Verkehrsmittel bereits weitgehend zum Erliegen gekommen ist. Globale Stillegungen sind ausgeschlossen.
Die Bundesregierung sieht nach den von ihr getroffenen, soeben erwähnten Weisungen, die von der Bundesbahn strikt befolgt werden, keine Notwendigkeit, auf die Bundesbahn im Sinne einer Berücksichtigung der Landesplanung und ihrer Maßnahmen und Vorschläge erneut einzuwirken, da dies seitens der Deutschen Bundesbahn in ihrer Zusammenarbeit mit den obersten Landesverkehrsbehörden gesichert ist.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hübner.
Herr Bundesminister, würden Sie auf Grund Ihrer Auskunft veranlassen, daß die Information durch das Verkehrsamt der Bundesbahndirektion Köln überprüft wird, in der gesagt worden ist, daß sowohl die Kosten um 50 % steigen, als auch die Landesplanung in diesem Falle nicht berücksichtigt werden könne?
Ich kann mir nicht denken, daß eine solche Auskunft gegeben worden ist, weil sie den Tatsachen vermutlich nicht entspricht. Im übrigen will ich den Vorstand der Bundesbahn, den ich in dieser Sache schon angesprochen habe, noch einmal darauf hinweisen, daß er seine Verkehrsämter veranlaßt, richtige und zuverlässige Angaben zu machen. Bei einer Mehrentfernung von 2 km ist es wohl für jeden von uns selbstverständlich, daß dadurch keine Erhöhung der Kosten um 50 % eintreten kann.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hübner.
Darf ich fragen, ob Sie diese Prüfung besonders sorgfältig vornehmen, wenn ich sage, daß diese Auskunft schriftlich vorliegt.
Es wäre mir sehr lieb, wenn Sie mir eine Abschrift dieser Äußerung übermitteln könnten, Herr Kollege, damit ich besonders den Vorstand darauf hinweisen kann, wie seine einzelnen 'Dienststellen hier offenbar fehlerhaft arbeiten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ritzel.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9523
Herr Bundesverkehrsminister, ist sich die Bundesregierung der in Zusammenhang mit den Rationalisierungsmaßnahmen stehenden Probleme bewußt und wenn ja, was hat sie bisher getan, um .die erforderlichen Schlüsse aus der Tatsache zu ziehen, daß die Rationalisierungsmaßnahmen der Bundesbahn in entscheidendem Umfange auf Kosten des sogenannten flachen Landes gehen, daß die Verkehrsbedienung in diesen Fällen sehr zu wünschen übrigläßt und daß 'die Verlagerung des Verkehrs, den die Bundesbahn zu betreiben hat, von der Schiene auf die Straße eine zusätzliche schwere Belastung .des 'Bundeshaushalts und der übrigen Verkehrshaushalte bedeutet? Was soll geschehen, um dieser Entwicklung einen Riegel vorzuschieben?
Herr Kollege, ich bin mir der Bedeutung Ihrer Fragen durchaus bewußt. Wir haben die Bundesbahn mit Erlaß vom 19. Dezember bereits aufgefordert, uns alle Maßnahmen, die sie außerhalb des Zonenrandgebietes und der Aufbaugebiete vorsieht, in Gruppen zur Überprüfung vorzulegen, so daß ich diese Maßnahmen dann mit den zuständigen Landesverkehrsministern selbst besprechen kann und dabei alle diese von Ihnen angeschnittenen Fragen einer eingehenden Prüfung zwischen Iden verantwortlichen Stellen des Landes und des Bundes unterzogen werden, bevor die Bundesbahn grünes Licht bekommt, einen etwaigen Antrag zur Prüfung an die entsprechenden behördlichen Stellen und später an den Verwaltungsrat zu leiten. Dabei ist festzustellen, daß die Bundesbahn mir bisher trotz des Erlasses vom 19. Dezember und ihres Berichtes vom 1. September noch keine konkreten Einzelvorschläge zugeleitet hat, die ich mit meinen Kollegen in den Ländern im Sinne und unter voller Berücksichtigung der von Ihnen hier angeschnittenen Probleme besprechen könnte.
Herr Abgeordneter Ritzel, soweit ich es analysieren konnte, haben Sie bereits drei Fragen gestellt. Da Sie sechs Zusatzfragen haben, dürfen Sie ruhig noch drei Fragen stellen.
Herr Bundesverkehrsminister, was sagen Sie in Ihrer 'Eigenschaft als Straßenbauminister des Bundes zu der eigentlich unvertretbaren Überlastung der Straßen des Bundes, der Länder, der Kreise und der Gemeinden durch die Verlagerung des Verkehrs von der Schiene auf die Straße? Wie kann nach den Vorstellungen der Bundesregierung diesen unerhörten Mehrbelastungen der Straßen praktisch gesteuert werden?
Herr Kollege Ritzel, Sie können natürlich eine Verlagerung, die sich ohne Einstellung irgendeiner Verkehrsbedienung aus den gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen heraus entwickelt, nicht stoppen; denn jeder hat selbstverständlich die freie Wahl des Verkehrsmittels. Wenn also eine Fabrik, die bisher über die Bundesbahn verladen hat, es für zweckmäßig erachtet, sei es mit eigenen Fahrzeugen, sei
es mit angemieteten Fahrzeugen, sei es mit Fahrzeugen des gewerblichen Verkehrs, ihren Verkehr nunmehr über die Straße abzuwickeln, dann können wir dagegen nichts unternehmen; denn es gilt der Grundsatz der freien Wahl des Verkehrsmittels im Rahmen unserer gesamten Wirtschaft. Die Bundesbahn wird sich in einem solchen Falle bemühen, durch entsprechende Maßnahmen ihrer Werbungsabteilung, gegebenenfalls auch durch entsprechende Tarifanträge zu versuchen, die Abwanderung von der Schiene zur Straße oder zur Binnenschiffahrt zu vermeiden. Sie hat das ja mit zahlreichen Ausnahmeanträgen, die auch genehmigt worden sind, getan. Es ist festzustellen, daß in Wirklichkeit eine nennenswerte Umschichtung nicht eingetreten ist.
Ein anderer Fall liegt vor, wenn durch den Ausfall eines Verkehrsträgers — sprich: Stillegung einer Bahnstrecke — die entsprechenden Verlader gezwungen sind, sich einem anderen Verkehrsmittel zuzuwenden. In diesem Falle — ich darf es noch einmal betonen — erfolgt die Genehmigung zur Stillegung erst nach eingehender Prüfung auch der ganzen Straßenverhältnisse, und zwar nicht nur der Straßenverhältnisse des Bundes, sondern auch der Straßenverhältnisse des Landes, der Kreise und der Gemeinden, die hier durch die oberste Landesverkehrsbehörde in den einzelnen Ländern repräsentiert werden.
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Ich rufe auf die Fragen XIII/1 und XIII/2 — des Abgeordneten Faller —:
Bis wann kann damit gerechnet werden, daß auch in allen Teilen des oberbadischen Landkreises Lörrach ein einwandfreier Empfang des 1. und 2. Fernsehprogramms gewährleistet ist?
Ist es technisch möglich, die Stadt Lörrach und die umliegenden Orte vom Sender Totenkopf am Kaiserstuhl aus zu versorgen, wenn die erforderlichen Umsetzer geschaffen werden?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Ich komme damit zur Frage 3 — des Abgeordneten Müller —:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß nach Aufstellung des Senders in Rotbühl bei Amberg ein Personenkreis von mindestens 10 000 Rinwohnern das 2. Fernsehprogramm nicht empfangen kann?
Herr Präsident, ich darf vorschlagen, daß die beiden Fragen des Abgeordneten Müller gemeinsam beantwortet werden.
Dann rufe ich zusätzlich die Frage 4 — des Abgeordneten Müller — auf:Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um allen Fernsehteilnehmern den Empfang des 2. Programms zu ermöglichen?Bitte, Herr Bundesminister!
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9524 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Der Fernsehsender Amberg-Rotbühl, der das zweite Fernsehprogramm ausstrahlt, hat in erster Linie die Aufgabe, Anschlußmöglichkeiten für Fernsehfrequenzumsetzer im nördlichen Teil des Regierungsbezirks Oberpfalz zu schaffen. Es ist bekannt, daß wegen der gebirgigen Struktur dieses Gebiets höchstens die Hälfte der Einwohner des Versorgungsbereichs den Fernsehsender Amberg direkt empfangen kann. Die Deutsche Bundespost ist deshalb ständig bestrebt, den Ausbau des Fernsehnetzes für das zweite Fernsehprogramm beschleunigt voranzutreiben. So sieht der Ausbauplan für das Fernsehnetz vor, die Liefer- und Montagekapazität der Industrie voll auszuschöpfen. Die zur Zeit auftretenden Verzögerungen im Ausbau des Fernsehnetzes werden in der Hauptsache durch Schwierigkeiten, auf deren Behebung die Deutsche Bundespost keinen oder nur begrenzten Einfluß ausüben kann — z. B. Geländeerwerb, Landschaftsschutz, Flugsicherung usw. —; verursacht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller .
Herr Minister, wäre es denn nicht zweckmäßiger — ich bin kein Fachmann —, wenn man statt eines solch teuren Senders mehrere kleine Sender aufstellen würde?
Herr Abgeordneter, bevor ich die Umsetzer bauen kann, muß ich einen Muttersender haben, von dem die Umsetzer die Energie beziehen. Es ist leider nicht möglich, auf diese Muttersender — die großen Strahlsender — zu verzichten.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller .
Herr Minister, ich habe Sie nicht recht verstanden; es war sehr schlecht zu verstehen. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um den genannten Bevölkerungskreis alsbald in den Genuß des Programms kommen zu lassen?
Wenn die vorbereitenden Maßnahmen in der Planung — Geländebeschaffung, Flugsicherung usw. — ausgeräumt sind, werden wir, so schnell wir dazu in der Lage sind, die Umsetzer ausbauen. Einen anderen Wege gibt es nicht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Minister, nachdem sich die Frage des Herrn Kollegen Müller auf das Zonenrandgebiet bezog, gestatten Sie die Frage, wie Sie den Zustand im Bayerischen Wald beurteilen, daß nämlich dort der Fernsehempfang aus der Tschechoslowakei einwandfrei ist, dagegen Fernsehsendungen des deutschen, insbesondere des zweiten Programms, überhaupt nicht empfangen werden könnnen?
Herr Abgeordneter, hier müssen Sie mir konkrete Angaben machen. Mit allgemeinen Darlegungen kann ich nichts anfangen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Minister, ist Ihnen nicht bekannt, daß im Gebiet von Bayerisch Eisenstein, Regen und Zwiesel die Bevölkerung zum großen Teil ihre Fernsehgeräte abgemeldet hat, weil sie keine Empfangsmöglichkeit besitzt?
Ich bin gern bereit, den Bereich, für den ich zuständig bin — also das Zweite Programm — zu untersuchen und Ihnen Bescheid zu geben.
Wir kommen damit zu Frage 5 — des Abgeordneten Strohmayr —:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Oberpostdirektionen für nicht zurückgegebene alte Telefonbücher beim Bezug der neuen mit der nächsten Telefonrechnung ein Viertel der Kosten eines neuen Telefonbuches mit einziehen wollen?
Herr Präsident, ich bitte, die Beantwortung dieser Frage mit der Beantwortung der anderen Fragen verbinden zu dürfen.
Dann rufe ich auch die Fragen 6 und 7 — des Abgeordneten Strohmayr — auf.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Altpapier nicht mehr gegen Geld von Altpapierhändlern angenommen wird?
Wenn der Bundesregierung bekannt ist, daß Altpapier nicht mehr gegen Geld von Altpapierhändlern angenommen wird, welchem Zweck werden die zurückgegebenen Telefonbücher zugeführt?
Herr Abgeordneter, ich habe zu dieser Frage bereits in der 175. Sitzung ausführlich Stellung genommen. Ich darf mir daher erlauben, die Fragen kurz zu beantworten.
Zur Frage 1: Ja. Zur Frage 2: Nein.
Durch die Antwort auf die Frage 2 ist die Frage 3 erledigt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Strohmayr.Strohmayr ): Herr Minister, glauben Sie nicht, daß es zweckmäßiger wäre, wenn die alten Telefonbücher für große Büros weiter verwendet würden? Es gibt beispielsweise Büros mit 20 und 25 Nebenstellen, bei denen auf der anderen Seite praktisch nur drei amtliche Anschlüsse vorhanden sind. Es fehlen also eine ganze Reihe von Telefonbüchern in diesen Betrieben. Sie müssen durch den Ankauf von neuen Telefonbüchern ersetzt werden. Fänden Sie es nicht zweckmäßiger und volkswirtschaftlich verständlicher, wenn diese Telefonbücher in den Büros Verwendung fänden?
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9525
Herr Abgeordneter, ich habe in meiner Antwort in der 175. Sitzung ausführlich die Gründe dargelegt, warum das nicht zweckmäßig und warum es nicht empfehlenswert ist. Ich möchte das mit ganz wenigen Worten wiederholen.
Vom Erscheinungstag an treten Änderungen der Rufnummern, der Einteilung der Bezifferungen usw. ein, so daß bei der Neuerscheinung eines Fernsprechbuchs bis zu 30 % Änderungen notwendig geworden sind. In den alten Büchern sind diese Änderungen nicht enthalten. Die Folge davon ist, daß Fehlverbindungen zustande kommen und daß unsere Auskunft so stark belastet wird, daß sie ihren Aufgaben nicht in dem erforderlichen Maße gerecht werden kann. Das ist der einzige Grund, warum die alten Fernsprechbücher eingezogen und die neuen dafür verwandt werden müssen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Strohmayr.
Herr Bundesminister, ich stelle aber immer wieder fest, daß die alten Telefonbücher im wesentlichen nicht von den neuen abweichen und daß lediglich dann, wenn neue Nummern hinzukommen, Rückfragen notwendig sind. Ich frage Sie nun, Herr Minister: Haben Sie nicht auch den Eindruck, daß diese Aktion davon ausgehen soll, die Telefonbuchauflagen möglichst zu erhöhen, damit jeder gezwungen wird, neue Telefonbücher zu kaufen?
Herr Abgeordneter, ich kann Sie nicht zwingen, meine Argumente einzusehen und anzuerkennen. Ich bestehe aber auf der Feststellung, daß die Argumente, die ich hier vortrage, stichhaltig sind und daß die Gründe, die ich angegeben habe, in keiner Weise eine Beanstandung ermöglichen.
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.Wir stehen am Ende der Fragestunde. Die nicht beantworteten Fragen werden wie üblich schriftlich beantwortet werden.Meine Damen und Herren, gemäß dem Beschluß des Hohen Hauses kommen wir nunmehr zur Beratung der Zusatzpunkte. Ich rufe auf:Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche des ehem. Standortübungsplatzes Boye—Kl. Hehlen an die Stadt Celle .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für wirtschaftlichen Besitz des Bundes vor. Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe auf:Beratung des Antrags des Bundesministersder Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche des ehem. Flugplatzes Hamburg-Bahrenfeld an die Firma P. Beiersdorf & Co. AG in Hamburg 20 .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für wirtschaftlichen Besitz des Bundes vor. Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe auf:Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über die von der Bundesregierung beschlossene Fünfundzwanzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksachen IV/3506, IV/3553).Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Dr. Preiß, für seinen Schriftlichen Bericht. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Ausschusses, der Verordnung zuzustimmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen! Enthaltungen? — Keine Enthaltungen! Einstimmig verabschiedet.Ich rufe nunmehr auf Punkt 14 der Tagesordnung:Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung des Grundstücks in Köln, Hahnenstraße 6, an die Stadt Köln .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für wirtschaftlichen Besitz des Bundes vor. — Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.Ich rufe auf die Punkte15. Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes ;Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses
(Erste Beratung 56. Sitzung)
16. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksache IV/2633);b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10) (Drucksache IV/2634).Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Aussprache zu verbinden. Wir werden deshalb in folgender Weise vorgehen: Zuerst
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9526 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Vizepräsident Dr. Jaegererhält der Abgeordnete Benda als Berichterstatter das Wort, sofern er eine Ergänzung seines Schriftlichen Berichts wünscht. Dann werden die Gesetzentwürfe Drucksachen IV/2633 und IV/2634 von der Bundesregierung begründet, und anschließend erfolgt die Aussprache über die Punkte 15 und 16 gemeinsam.Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Benda als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Ihnen mit den Drucksachen IV/3494 und zu IV/3494 vorgelegte Schriftliche Bericht des Rechtsausschusses betrifft eine außerordentlich wichtige Materie; er betrifft zugleich eine Materie, die zweifellos sehr kompliziert ist. Daraus ergibt sich, daß der Bericht einen verhältnismäßig großen Umfang annehmen mußte. Allein diese Umstände rechtfertigen es nach Auffassung des Berichterstatters, daß zwar nicht etwa der schriftlich vorliegende Bericht hier verlesen wird, wohl aber in dem Versuch einer Zusammenfassung die wesentlichen Gesichtspunkte vorgetragen werden, die den Rechtsausschuß bei seinen Beratungen geleitet haben.Ich halte das um so mehr für notwendig, als zu meinem aufrichtigen Bedauern die Drucksache zu IV/3494 erst im Laufe des Montag dieser Woche in diesem Hause verteilt werden konnte. Bei dieser Gelegenheit erkläre ich ausdrücklich, ,daß ich den Anspruch des Hauses und jedes einzelnen Abgeordneten ausdrücklich anerkenne, sich mit dem Inhalt dieses Berichts im einzelnen innerhalb einer angemessenen Zeit vertraut machen zu können. Von seiten des Berichterstatters, soweit es ihn persönlich anlangt, und auch von seiten der mit der technischen Abfertigung des Berichts befaßten Stellen des Hauses ist alles Erforderliche geschehen — ich lege sehr großen Wert auf diese Feststellung —, um den Bericht, wie es die Absicht des Berichterstatters war, mindestens eine Woche vor dieser Debatte dem Hause vorlegen zu können. Ich bedaure, sagen zu müssen, daß die Verzögerung der Vorlage des Berichts darauf beruht, daß die Korrektur des Berichtsentwurfs auf dem Postwege von Berlin nach Bonn ganze fünf Tage benötigt hat, bevor sie hier eingetroffen ist. Dadurch ist natürlich der ganze Zeitplan durcheinandergebracht worden. Auch diese Umstände rechtfertigen es, wie ich glaube, daß der Schriftliche Bericht hier in einer zusammenfassenden Form dargelegt wird.Meine Damen und Herren, der Rechtsausschuß legt dem Hohen Hause das Ergebnis von Beratungen vor, die mehr als zwei Jahre angedauert haben. Zweifellos ,ist es nicht Sache des Berichterstatters, sondern vielmehr dieses Hauses, über den politischen Wert der Beratungsergebnisse zu entscheiden. Ich meine aber, der Rechtsausschuß in seiner Gesamtheit hat einen Anspruch auf die Feststellung, daß die Gründlichkeit und Sorgfalt der Ausschußarbeit wohl nicht bestritten werden kann, und ich nehme an, daß sich darin alle Mitglieder des Ausschusses ohne Unterschied der Fraktion einig sind.Die in einem Teil der öffentlichen Äußerungen vertretene Auffassung, daß hier ein Gesetzgebungswerk in letzter Minute durchgepeitscht werden sollte, halte ich für unzutreffend. Das Plenum des Bundestages erhält heute das Ergebnis einer gesetzgeberischen Arbeit, die in ihrem zeitlichen Aufwand und zugleich in der Sorgfalt der Bemühungen aller Ausschußmitglieder zusammen mit den beteiligten Vertretern der Bundesregierung und den Vertretern des Bundesrats keinen Vergleich zu irgendeinem anderen Gesetz zu scheuen braucht.In dem Schriftlichen Bericht habe ich Ihnen die Zahl der Ausschußsitzungen mitgeteilt. Ich darf darauf verwiesen. Der Rechtsausschuß als federführender Ausschuß hat sich in 38 zu einem großen Teil ganztägigen Sitzungen mit dieser Materie beschäftigt, — die fraktionellen und interfraktionellen Beratungen sowie eine Fülle anderer Bemühungen in diesem Zusammenhang gar nicht berücksichtigt. In ähnlicher Weise haben auch die mitberatenden Ausschüsse für Inneres und für Verteidigung mit sehr großer Gründlichkeit und Sorgfalt diese Materie bearbeitet. Sie haben uns wertvolle Anregungen gegeben, die der Rechtsausschuß zu einem Teil bei seinen Beratungsergebnissen auch berücksichtigt hat.Ich habe besonderen Anlaß, auch zu erwähnen die sehr wertvolle Mitarbeit der Herren des Bundesrates, insbesondere des Herrn Innenministers Filbinger und des Herrn Innensenators Schmidt, die bei einem großen Teil der Ausschußberatungen im Rechtsausschuß anwesend waren und uns mit wertvollen Meinungsäußerungen und Ratschlägen zur Seite gestanden haben.Meine Damen und Herren, am Ende unserer Ausschußberatungen steht ein Vorschlag zu einer Verfassungsänderung, der mit der ursprünglichen Vorlage der Bundesregierung in der Drucksache IV/891 zwar den gleichen Ausgangspunkt hat, sich aber von dieser nicht nur in einer Fülle von Einzelheiten, sondern, wie ich meine, auch in der grundsätzlichen Konzeption unterscheidet. Der Rechtsausschuß unterbreitet dem Hohen Hause einen eigenen Entwurf für eine Notstandsregelung, von dem ich meine, daß er nicht nur im Vergleich zur Regierungsvorlage, sondern in seinem eigenen geistigen und politischen Gehalt gewertet werden sollte. Auch hier wieder unterliegt es der Beurteilung nicht des Berichterstatters, sondern des Hohen Hauses selber, welche der alternativ dem Hause zur Entscheidung stehenden Konzeptionen die gestellte Aufgabe besser zu lösen vermag.Die wesentlichen Grundgedanken, die die Konzeption des Rechtsausschusses charakterisieren, betreffen die Regelung des Zustandes der äußeren Gefahr. Ein Zustand der äußeren Gefahr liegt nach der Formulierung des Rechtsausschusses, die insoweit mit der des Regierungsentwurfs übereinstimmt, dann vor, wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder wenn ein solcher Angriff droht. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß ein solcher Angriff, wenn er jemals erfolgen sollte, die Zusammenfassung aller Kräfte der Nation, nicht etwa nur die der rein militärischen Verteidigung, erfordern würde. Die Notwendigkeit einer Regelung
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Benda3 dieser Frage war im Rechtsausschuß ebenso wie in den mitbeteiligten Ausschüssen und ebenso wie schon in der ersten Lesung in diesem Hohen Hause unbestritten.Ebenso war und ist unstreitig, daß in einem solchen äußersten Falle die Funktionsfähigkeit der normalen Gesetzgebungsorgane, also des Bundestages und des Bundesrates, wahrscheinlich nicht gewährleistet sein wird und daß es infolgedessen darauf ankommt, die erforderlichen Maßnahmen innerhalb kürzester Frist zu ergreifen, zumal die militärischen Planungen im deutschen und im NATO-Bereich von sehr kurzen Warnungszeiten und damit von einer sehr kurzen Zeitspanne ausgehen, innerhalb deren die volle Verteidigungsbereitschaft, und zwar in jeder Beziehung, hergestellt werden muß. Die innerhalb des Bündnisses, in dem wir Partner sind, eingegangenen Verpflichtungen erfordern ebenfalls ein schnell wirksames System der Willensbildung im deutschen Bereich, weil anders der deutsche Verteidigungsbeitrag im Rahmen der NATO illusorisch werden müßte.In diesem Zusammenhang ist erneut der Hinweis auf die Ihnen allen bekannte Notstandsregelung auf Grund der alliierten Vorbehalte angebracht. Art. 5 Abs. 2 des Deutschlandvertrages bestätigt einen Vorbehalt zugunsten der Sicherheit der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten alliierten Streitkräfte, alle gegen eine Störung und Sicherheit der Ordnung innerhalb der Bundesrepublik notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, alle Maßnahmen, meine Damen und Herren, ohne daß damit irgendeine rechtliche Einschränkung vorgenommen wird. Die Bedeutung und der Umfang dieses alliierten Vorbehalts sind im Rechtsausschuß eingehend erörtert worden. Ich verweise insoweit auf die Ausführungen auf Seite 2 des Ihnen schriftlich vorliegenden Berichts in der Drucksache zu IV/3494. Im Rechtsausschuß bestand darüber Einmütigkeit, daß eine baldige und möglichst vollständige Ablösung dieser alliierten Vorbehaltsrechte angestrebt werden sollte.Das eigentliche Problem jeder Notstandsregelung besteht in der notwendigen Beantwortung der Frage, welche Möglichkeiten unter Berücksichtigung des gerade skizzierten Zwanges zu einer äußersten Konzentration der Willensbildung für die für den Fall einer äußeren Gefahr zu treffenden Entscheidungen zur Verfügung stehen. Dabei ergibt sich auf der anderen Seite die Sorge, daß als Folge einer bewußten Vereinfachung des normaler- und bewußterweise komplizierten Prozesses der Staatswillensbildung die rechtsstaatlichen Sicherungen gegen einen Machtmißbrauch verlorengehen können. Die Qualität der Notstandsregelung — jeder Notstandesregelung, meine Damen und Herren — hängt davon ab, wie diese beiden in sich berechtigten und gleichberechtigten Grundsätze gegeneinander abgewogen werden können.Das Wesen der Demokratie, die wir wollen und die wir auch verteidigen wollen, besteht in .der Diskussion. Das Wesen der Bewältigung des Notstands besteht im Zwang zur Entscheidung, und zwar zur schnellen Entscheidung. Der Verteidiger ist in einem doppelten Nachteil. Der Angreifer ist inder Lage, seinen Angriff sehr langfristig vorzubereiten und ihn ,zu dem ihm am günstigsten erscheinenden Zeitpunkt als Überraschungsangriff sehr schnell zu starten. Wenn es sich bei dem Angreifer — womit wir rechnen müssen, wenn es zu einem Angriff kommt — um eine Diktatur handelt, ist diese in einem zusätzlichen, doppelten Vorteil, da sie ohnehin den bekannten — in Anführungszeichen gesagt — „Vorteil" der Diktatur besitzt, schnell entscheiden und damit die Schwierigkeiten der demokratischen Willensbildung vermeiden zu können.Das, meine Damen und Herren, verschärft das Problem der Notstandsregelung, der wir uns gegenübersehen, auf das äußerste. Auf der einen Seite besteht also das Problem der Schnelligkeit und zugleich der Wirksamkeit der Entscheidung, um eine natürliche Schwäche des demokratischen Prozesses, die zugleich aber auch seine Stärke ist, nämlich die Kompliziertheit der Diskussion und der Willensbildung, auszugleichen. Auf der anderen Seite ergibt sich ,die Notwendigkeit, die Gefahr zu verhüten, daß Demokratie und Rechtsstaat — unter Umständen sogar über den Notstand hinaus — verlorengehen könnten. Würde das erste Prinzip, nämlich die Notwendigkeit der schnellen und wirksamen Entscheidung, verletzt, könnte der von außen bedrohte freiheitlich-demokratische Rechtsstaat auf Grund dieser äußeren Bedrohung untergehen. Würde aber das zweite Prinzip nicht beachtet, so könnte der Rechtsstaat vielleicht nach außen hin erfolgreich verteidigt, zugleich jedoch im Inneren tödlich getroffen werden und damit auf andere Weise — im Ergebnis ebenso — untergehen.Meine Damen und Herren, der Blick auf andere Länder, insbesondere im NATO-Bereich, hat dem Rechtsausschuß gezeigt, welche Möglichkeiten zur Lösung dieses schwierigen Problems zur Verfügung stehen. Ich erlaube mir, Sie besonders auf die in der Anlage 1 zu der Drucksache zu IV/3494 enthaltene Zusammenstellung hinzuweisen, die in sehr dankenswerter Weise von einer Mitarbeiterin des Bundesinnenministeriums erarbeitet worden ist und die Ergebnisse der Materialien, die dem Rechtsausschuß vorgelegen haben, in einer, wie ich meine, vorzüglichen Form zusammenfaßt. In diesem Zusammenhang halte ich es für richtig, der Bearbeiterin, Frau Oberegierungsrätin Dr. Eckstein, besonders zu danken; sie hat eine meiner Meinung nach ganz ausgezeichnete Übersicht erstellt.
In der genannten Anlage auf Seite 28 ff. der Drucksache finden Sie eine Zusammenstellung der Notstandsbefugnisse der Exekutive in anderen Ländern — insbesondere im NATO-Bereich — unter Berücksichtigung auch der Funktion eines etwaigen Notparlaments, wie wir es hier vorschlagen. Eine Übersicht über diese Regelung ergibt, daß die überwiegende Mehrheit der NATO-Länder den von der Bundesregierung in ihrem Entwurf ebenfalls — allerdings in einer zurückhaltenden Weise — vorgeschlagenen Weg geht, nämlich im Ausnahmezustand die Machtbefugnisse der Regierung wesentlich — auch in Form einer eigenen Rechtsetzungsbefugnis der entsprechenden Regierung — zu er-
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Bendaweitern. In den meisten NATO-Ländern sind weitgehende und schwerwiegende Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger zugelassen, zum Teil in Form einer allgemeinen, inhaltlich nicht begrenzten Generalklausel. Die parlamentarische Kontrolle und die Befugnis, Notgestze oder Notverordnungen aufzuheben, sind in den Regelungen der NATO-Länder vielfach vorgesehen. Aber immer betrifft dies nur ein nachträgliches Recht, während zunächst die jeweilige Regierung die zur Abwehr der Gefahr notwendigen Maßnahmen treffen kann.Das bedeutet im Ergebnis, daß bewußt der Vorrang des Prinzips einer schnellen Entscheidung und einer wirksamen Entscheidung auch unter Inkaufnahme der Zurückstellung der Befugnisse der gewählten Volksvertretung in diesen Ländern gewählt worden ist. Mit anderen Worten: das parlamentarisch-demokratische Prinzip wird in diesen Ländern in dem Maße auf Zeit verdrängt, in dem die Bewältigung der Gefahr es erforderlich macht.Bereits der Regierungsentwurf in der dritten Wahlperiode ist hinter solchen Regelungen vergleichbarer Staaten weit zurückgeblieben. Immerhin hat seinerzeit der damalige Bundesinnenminister Dr. Schröder noch die Auffassung vertreten — und damit liegt er in der Tendenz dieser soeben in bezug genommenen Regelung —, daß die Ausnahmestunde in erster Linie die Stunde der Exekutive sei — wie er sich damals ausdrückte —, weil das Parlament dem Wesen seiner Tätigkeit nach praktisch nicht arbeits- und funktionsfähig sein würde; hieraus folge unter anderem und insbesondere die Notwendigkeit eines Notverordnungsrechtes der Bundesregierung.Insoweit enthält auch der Regierungsentwurf in der vierten Wahlperiode — Drucksache IV/891 — eine vergleichbare Regelung. Bemerkenswert an dieser Regierungsvorlage ist aber, daß hier das erste Mal der neue schon in der dritten Wahlperiode vom Bundesrat gemachte Vorschlag erwähnt worden ist, nämlich der Vorschlag der Einrichtung eines verkleinerten Notparlaments, das Bundestag und Bundesrat in der Stunde der Not vertreten sollte.Die Konzeption des Rechtsausschusses, von der ich gesprochen habe, weicht von der grundsätzlichen Konzeption der Bundesregierung vor allem darin ab, daß im Mittelpunkt der Notstandsregelung für den äußeren Notstand nicht das Recht der Exekutive, sondern an dessen Stelle die Übertragung der Befugnisse des Parlaments auf den sogenannten Gemeinsamen Ausschuß, also auf ein verkleinertes Notparlament, steht.Meine Damen und Herren, dieser Gedanke, dieser Vorschlag ist das eigentliche Kernstück der Konzeption des Rechtsausschusses, und mit seiner rechtlichen und zugleich seiner praktischen Verwirklichung steht oder fällt die Erfüllung der doppelten Aufgabe, nämlich zugleich den Notstand zu bewältigen und das System der parlamentarischen Demokratie zu erhalten.Diese Regelung ist nicht völlig ohne ausländische Vorbilder. Dabei möchte ich allerdings bemerken, daß sie vom Rechtsausschuß selbständig und ohne eine starre Anlehnung an andere, ausländische Beispiele erarbeitet worden ist. Es scheint mir aber von einem hohen Interesse für dieses Haus zu sein, daß Schweden gerade vor ganz wenigen Wochen, am 1. April dieses Jahres, eine Verfassungsänderung verabschiedet hat, die im Ergebnis ganz ähnliche und vergleichbare Vorstellungen enthält, wie sie der Rechtsausschuß dieses Hauses Ihnen vorschlägt.
Wenn Sie freundlicherweise vergleichen wollen, was dazu auf Seite 36 der Drucksache zu IV/3494 zitiert ist, dann können Sie diesen Vergleich anstellen, und ich erlaube mir, die lehrreichsten Vorschriften — Artikel 50 Abs. 2 und 3 — der schwedischen Verfassung hier in Auszügen zu zitieren.Es heißt dort in der schwedischen Regelung:Wird das Reich in einen Krieg verwickelt und erfordern es die Kriegsverhältnisse, tritt die Kriegsdelegation des Reichstages an dessen Stelle.Das ist exakt der Gedanke, wie er bei uns im Gemeinsamen Ausschuß enthalten ist. Es heißt dann weiter an anderer Stelle:Kann das Reich infolge eines Krieges, in dem es sich befindet, nicht nach den Bestimmungen dieser Regierungsform regiert werden, so ist der Reichstag oder die an seine Stelle getretene Kriegsdelegation befugt, zum Schutze des Reiches bis zur Beendigung des Krieges anzuordnen, wie die Regierung des Reiches geführt werden soll. 1Meine Damen und Herren! Nicht nur in der Gemeinsamkeit, auch in der Unterschiedlichkeit der Konzeption ist diese Regelung, wie ich meine, höchst lehrreich. Sie bedeutet nämlich zwar keine Blankovollmacht an die Regierung, wenngleich diese dennoch weitgehende Exekutivrechte nach den einfachen Notstandsgesetzen der schwedischen Regelung hat, zugleich aber die Übertragung einer generalklauselartig beschriebenen Sondervollmacht an die sogenannte Kriegsdelegation des Parlaments, nämlich das Recht, anzuordnen — ohne weitere inhaltliche Einschränkung —, wie die Regierung des Reiches im Zustande des Krieges — wir würden sagen: der äußeren Gefahr — geführt werden soll.Im Vergleich hierzu ergibt sich für die Konzeption des Rechtsausschusses folgendes.Wir sehen einerseits im Vergleich dazu eine wesentliche Erweiterung der Befugnisse und Aufgaben des Gemeinsamen Ausschusses vor, auf der anderen Seite aber auch eine starke Begrenzung des Umfanges seiner Rechte. Nach unserer Vorstellung ist der Gemeinsame Ausschuß weder ein Ausschuß des Parlaments — des Bundestages — noch ein Ausschuß des Bundesrates, vielmehr ein Verfassungsorgan eigener und neuer Art. Es handelt sich um ein neuartiges Verfassungsorgan, das bereits im Frieden konstituiert und tätig werden soll. Alle Rechtsetzungsmaßnahmen, die im Zustande der äußeren Gefahr getroffen werden müssen, sind von diesem Gremium gemeinsam mit der Bundesregierung schon in Friedenseziten vorzubereiten und
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Bendadurchzuberaten, sogar zu billigen, so daß sie im Zustande der äußeren Gefahr ohne jede zeitliche Verzögerung in Kraft gesetzt werden können. Der Gemeinsame Ausschuß ist durch die Bundesregierung von jeder krisenhaften Entwicklung der Lage und von allen militärischen und zivilen Notstandsplanungen zu unterrichten. Er hat inhaltlich genau abgegrenzte, aber sehr weitgehende Mitwirkungsbefugnisse bei Regierungsmaßnahmen, die über den Normalzustand hinaus die Verteidigungsbereitschaft herstellen oder die im Rahmen eines Bündnisses zu diesem Ziele ergriffen werden sollen. Die Befugnisse der normalen Gesetzgebungsorgane Bundestag und Bundesrat sollen hierdurch nicht etwa eingeschränkt werden. Aber der Gemeinsame Ausschuß wird neben ihnen, und zwar schon in Friedenszeiten, eine vielleicht stille, aber zugleich außerordentlich intensive und im Ernstfalle zu weittragenden Auswirkungen führende Tätigkeit entfalten müssen.Die Mitglieder und Stellvertreter des Gemeinsamen Ausschusses sollen nach dem Vorschlage des Rechtsausschusses über die normale Parlamentsarbeit hinaus am Litz der Bundesregierung entweder zu einem Teil ständig präsent oder jedenfalls innerhalb kürzester Frist erreichbar sein. Mit anderen Worten: es soll und muß im Ergebnis sichergestellt werden, daß ein beschlußfähiger Gemeinsamer Ausschuß jederzeit vorhanden und jederzeit aktionsfähig ist. Der Rechtsausschuß hat keinen Zweifel darüber, daß eine solche Regelung, wie wir sie vorschlagen, in jeder Hinsicht ein hohes Maß an zusätzlicher Belastung für die Mitglieder und Stellvertreter des Gemeinsamen Ausschusses neben ihrer normalen Parlamentsarbeit, die selbstverständlich weitergehen muß, bedeutet. Aber ohne eine solche Verpflichtung zu zusätzlicher Arbeit könnte diese Regelung nach der gemeinsamen Auffassung des Rechtsausschusses nicht funktionieren.Auf der anderen Seite ergibt sich gegenüber der in Vergleich genommenen schwedischen Regelung eine wesentliche Einschränkung der Befugnisse dieser — wie die schwedische Verfassung sagen würde — „Kriegsdelegation". Es gibt keine generalklauselartige Allgemeinvollmacht, sondern nur sehr präzise im einzelnen umschriebene, allerdings weitgehende Befugnisse.Es ergibt sich erstens eine sozusagen horizontale Erweiterung der Rechte des Bundes, nämlich im Verhältnis zu den Bundesländern. Diese Erweiterung der Kompetenzen ergibt sich aus der umfassenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes auch auf Sachgebieten, die normalerweise in die Zuständigkeit der Länder fallen. Dem entspricht wiederum auf der anderen Seite das Recht der Länder, ja sogar der kommunalen Verwaltungen bis hinab zur Kreisebene, eigene und sogar Bundeszuständigkeiten dann wahrzunehmen, wenn im Zustande der äußeren Gefahr ein Gebiet abgeschnitten oder sonst ohne Verbindung zur Bundesregierung sein sollte.Es ergibt sich weiterhin eine sozusagen vertikale Erweiterung der Rechte des Gesetzgebers, nämlich im Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Diese Frage steht als zweifellos wichtigste Frage desRechtsstaates vielfach im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion und hat auch den Rechtsausschuß besonders beschäftigt. Der Rechtsausschuß hat die Befugnisse des Staates, in die bürgerlichen Freiheitsrechte einzugreifen, gegenüber der Regierungsvorlage noch weiter beschränkt. Nach Auffassung der Mehrheit des Rechtsausschusses ist damit allerdings zugleich das Mindestmaß dessen erreicht, was unverzichtbar ist, um der Bedrohung der Freiheit aller überhaupt mit Aussicht auf Erfolg entgegenwirken zu können. Die Minderheit des Ausschusses hat in Einzelpunkten eine weitere Beschränkung der Eingriffsbefugnisse verlangt. Man kann aber sagen, daß jedenfalls über die Grundzüge der Regelung eine weitgehende Einigkeit besteht.Zu den Punkten, die in der letzten Phase der Beratung umstritten gewesen oder, genauer gesagt, geworden sind, gehört insbesondere das Recht, die Bürger zu zivilen Dienstleistungen zum Zwecke der Verteidigung zu verpflichten. Der Rechtsausschuß hatte zunächst im Januar dieses Jahres einstimmig eine Regelung in Art. 12 des Grundgesetzes verabschiedet, die eine solche Dienstverpflichtung dann ermöglichen sollte, wenn sie nicht nach einer in der Rechtswissenschaft, Tauch im Ausschuß, strittig gebliebenen Auffassung ohnehin schon in diesem Umfang nach der Normalverfassung zulässig sein sollte. In der heutigen Fassung des Vorschlages des Rechtsausschusses, die auf einer Mehrheitsentscheidung beruht, ist diese Möglichkeit, soweit es den nichtöffentlichen Bereich angeht, noch weiter beschränkt worden, nämlich dahin, daß eine solche Verpflichtung im nichtöffentlichen Bereich, also in privaten Dienstverhältnissen, nur im Zustand der äußeren Gefahr oder im Spannungszustand zulässig sein soll. Die Regelungen über die Befugnisse des Gemeinsamen Ausschusses sehen vor, daß eine Beschlußfassung hierüber die Mitwirkung des Gemeinsamen Ausschusses, im Zustande der äußeren Gefahr sogar eine Zwei-Drittel-Mehrheit entweder des Gesamtparlaments oder notfalls des Gemeinsamen Ausschusses, voraussetzt. Von der Minderheit des Rechtsausschusses sind gegen diese Regelung im Verlauf des letzten Stadiums der Beratungen deswegen Bedenken erhoben worden, weil diese Minderheit die Auffassung vertreten hat, daß hierdurch die Rechte der Arbeitnehmer und ihrer Koalitionen mehr als zumutbar beschränkt werden würden. Im Endergebnis ist, wie sich bei den letzten Abstimmungen herausgestellt hat, damit diese Regelung innerhalb des Rechtsausschusses strittig geblieben.Es besteht aber Einigkeit im Rechtsausschuß darüber, daß es bei der in Art. 12 Abs. 3 des geltenden Grundgesetzes vorgesehenen Regelung verbleibt, daß es mit anderen Worten keine Möglichkeit gibt, Frauen im Verband der Streitkräfte gegen ihren Willen dienstzuverpflichten. Ich will nicht verhehlen, daß das Bundesverteidigungsministerium während der Beratungen des Rechtsausschusses gegen diese Verhinderung einer von der Bundesregierung vorgesehenen Möglichkeit erhebliche Bedenken aus der Sicht des Verteidigungsressorts geltend gemacht hat. Im Endergebnis hat es aber der Rechtsausschuß entgegen einem Mehrheitsvotum des Verteidigungs-
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9530 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Bendaausschusses bei der von mir ,dargestellten Regelung belassen.Zu den Punkten, die die Einschränkung der Grundrechte betreffen und die strittig geblieben sind, gehört die Regelung zu Art. 5 des Grundgesetzes — Recht der Meinungs- und Informationsfreiheit —. Der Rechtsausschuß schlägt in seiner Formulierung vor, lediglich die Verbreitung von Nachrichten zu beschränken, welche die äußere oder innere Sicherheit gefährden können. Das bedeutet mit anderen Worten, negativ gesagt, daß die Freiheit der Meinungsäußerung überall, insbesondere auch innerhalb des Bereiches der Presse, in vollem Umfange erhalten bleibt und daß es bei der Regelung des Grundgesetzes bleibt, daß eine Zensur nicht stattfindet. Auch eine Beschränkung der Verbreitung militärischer Nachrichten kann mit anderen Worten nicht auf dem Wege einer Zensur durchgeführt werden. Diese Regelung soll nach der Formulierung des Rechtsausschusses nur während des Zustandes der äußeren Gefahr gelten. Im übrigen bleibt es bei der Verfassungslage, die im geltenden Verfassungsrecht vorgesehen ist. In diesem Punkte ist, wie ich erwähnt habe, eine einheitliche Meinung des Ausschusses nicht erzielt worden. Dabei glaube ich die Meinung der Minderheit des Ausschusses richtig dahin zu interpretieren, daß sich die Bedenken nicht so sehr auf den Text der vorgelegten Formulierung der Grundgesetzänderung beziehen. Vielmehr hat die Minderheit .den Wunsch, daß auch die entsprechenden Vorschläge der Bundesregierung hinsichtlich der gesetzgeberischen Ausgestaltung der Einzelregelung dem Hause vorgelegt und zugleich mit dieser Regelung verabschiedet wenden.Hinsichtlich der Einschränkung der übrigen in Betracht kommenden Grundrechte hat sich im Rechtsausschuß eine sehr weitgehende Einigkeit ergeben. Es besteht Einigkeit darüber, daß das Grundrecht des Versammlungsrechts, in einem gewissen sehr beschränkten Umfange das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 und 2 eingeschränkt werden können, nicht dagegen das Recht der Koalition nach Art. 9 Abs. 3, daß in Abweichung von Art. 14 des Grundgesetzes eine hinsichtlich der Entschädigung von der Normalverfassung abweichende Regelung der Enteignung vorgesehen werden soll, daß Freiheitsentziehungen über die Regelung in Art. 104 des Grundgesetzes hinaus bis zu einer Woche, jedoch nicht darüber hinaus, ohne eine richterliche Nachprüfung stattfinden können und daß schließlich eine abweichende Regelung des Verwaltungs- und Finanzwesens im Verhältnis zwischen Bund und Ländern unverzichtbar erscheint.
Die Vorschriften, die das Verfahren der Staatswillensbildung zur Feststellung des Zustandes der äußeren Gefahr und während dieses Zustandes, das Recht der verfassungsgerichtlichen Kontrolle sowie schließlich die Rückführung des Ausnahmezustandes in die Normalverfassung regeln, sind vom Rechtsausschuß gegenüber der Regierungsvorlage vielfach umgestaltet worden mit dem Ziel, jede Mißbrauchsgefahr nach menschlichem Ermessen insoweit auszuschließen, als durch Rechtsform einer Machtusurpation überhaupt vorgebeugt werden kann.Die wichtigsten vom Rechtsausschuß in Abweichung von der Regierungsvorlage verabschiedeten und Ihnen vorgeschlagenen Regelungen betreffen insbesondere die Frage, wie die Feststellung des Zustandes der äußeren Gefahr zu erfolgen hat: nach den Vorschlägen des Rechtsausschusses in Abweichung von der Regierungsvorlage sowohl im Bundestag als auch — falls dieser nicht funktionsfähig sein sollte — innerhalb des Gemeinsamen Ausschusses mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Anwesenden, mindestens jedoch der Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl beider Gremien. Wenn die normalen Gesetzgebungsorgane funktionsunfähig sind, soll — ich habe das schon erwähnt — der Gemeinsame Ausschuß mit der gleichen qualifizierten Mehrheit die Feststellung treffen können.Dagegen ist die dritte Stufe der Feststellungsbefugnis umstritten geblieben, nämlich das im Regierungsentwurf und insoweit auch in der Ausschußvorlage vorgesehene Recht -- hilfsweise — des Bundespräsidenten mit Gegenzeichnung des Bundeskanzlers, die Feststellung zu treffen, sofern auch dem sofortigen Zusammentritt des Gemeinsamen Ausschusses unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen.Demgegenüber wurde die vierte Alternative wiederum übereinstimmend verabschiedet, nämlich die Regelung, daß der Zustand der äußeren Gefahr als festgestellt gilt, wenn das Bundesgebiet in einem Überraschungsangriff mit Waffengewalt angegriffen werden sollte und wenn die zuständigen Organe nicht in der Lage sind, sofort die entsprechenden Feststellungen zu treffen.Eine sehr bedeutsame Änderung gegenüber der Regierungsvorlage besteht darin, daß der Rechtsausschuß vorschlägt, der Bundesregierung im Zustande der äußeren Gefahr kein Notverordnungsrecht zu geben. Diese Regelung ist bis zum Ende der Beratungen im Rechtsausschuß lebhaft diskutiert worden und heftig umstritten geblieben. Den Ausschlag für die Entscheidung des Ausschusses hat im Anschluß an Verhandlungen, die auch zwischen den Fraktionen stattgefunden haben, die Erwägung gegeben, daß der Gemeinsame Ausschuß — nach den zur Herstellung seiner Funktionsfähigkeit vom Rechtsausschuß einmütig gemachten Vorschlägen -nach menschlichem Ermessen stets oder doch fast stets in der Lage sein wird, schnell zusammenzutreten und die erforderlichen Entscheidungen sofort in kürzester Zeit zu treffen.Wenn auch diese Voraussetzung sich als nicht realisierbar heraustellen sollte, soll nach dem Vorschlag des Rechtsausschusses die Bundesregierung zwar kein Notverordnungsrecht haben, dagegen das Recht, die bereits in Normalzeiten vom Gemeinsamen Ausschuß gebilligten Entwürfe der Notgesetze vorläufig in Kraft zu setzen und auf der Grundlage dieser im Entwurf grundsätzlich gebilligten Gesetze sofort die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Der Rechtsausschuß geht davon aus, daß diese Regelung — grundsätzlich die volle Funktionsfähigkeit des
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9531
BendaGemeinsamen Ausschusses und im äußersten Fall hilfsweise die vorläufige Befugnis der Bundesregierung — allen praktischen Erfordernissen des Zustandes der äußeren Gefahr ausreichend Rechnung trägt.In der Vorlage des Rechtsausschusses ist fernerhin neu gegenüber dem Regierungsentwurf, daß die Wahl eines Stellvertreters des Bundespräsidenten, die im Regierungsentwurf nicht vorgesehen war, und die Wahl eines Bundeskanzlers dann vorgesehen sind, wenn das Amt des Bundespräsidenten oder das Amt des Bundeskanzlers sich während des Zustandes der äußeren Gefahr vorzeitig erledigen sollte. Hinsichtlich der Wahl des Bundeskanzlers besteht eine im Ausschuß nicht abschließend geklärte Divergenz — bei der eine Mehrheitsentscheidung erfolgt ist —, ob bei dieser Wahl nur die Mitglieder des Bundestages, die dem Gemeinsamen Ausschuß angehören, mitwirken dürfen oder vielmehr, wie die Minderheit meint, alle Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses, also auch die Mitglieder des Bundesrates, die dem Gemeinsamen Ausschuß angehören.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen und dem Berichterstatter mit etwas mehr Aufmerksamkeit zu lauschen.
Über die Regelung, die hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit und der vollen Rechte und Pflichten des Bundesverfassungsgerichts besteht, bestand im Rechtausschuß Einigkeit. Auch hier ist in Übereinstimmung mit den Vorschlägen, die das Bundesverfassungsgericht selber dem Rechtsausschuß vorgelegt hat, eine gegenüber der Regierungsvorlage weitergehende Regelung getroffen worden, die unter allen Umständen sicherstellen soll, daß das Bundesverfassungsgericht tätig bleiben kann und daß es in vollem Umfange funktionsfähig ist.Über eine Frage, die nicht unbedingt zum Gesamtzusammenhang der Notstandsverfassung gehört, aber in diesem Zusammenhang mit diskutiert worden ist, konnte im Ausschuß nicht einverständlich beschlossen werden, nämlich die Frage, inwieweit bei dieser Gelegenheit das Rechtsinstitut der Verfassungsbeschwerde im Grundgesetz schon in der Normalverfassung verankert werden soll. Die Vertreter aller Fraktionen haben bei dieser Gelegenheit zum Ausdruck gebracht, daß von keiner Seite — auch nicht etwa von der Bundesregierung — beabsichtigt ist, dieses Institut der Verfassungsbeschwerde abzuschaffen oder in irgendeiner Weise wesentlich zu ändern.Schließlich ist gegenüber der Regierungsvorlage der Vorschlag des Rechtsausschusses neu, daß der Zustand der äußeren Gefahr dann für beendet zu erklären ist, wenn die entsprechenden Organe das beschließen — das steht schon in der Regierungsvorlage —, darüber hinaus aber auch dann, wenn die Voraussetzungen, die in dem Verfassungsvorschlag normiert sind, entfallen. Diese Regelung hat deswegen eine besondere Bedeutung, weil sie der Kontrolle ,des Bundesverfassungsgerichts unterliegt und damit die Möglichkeit besteht, eine etwaige Untätigkeit der gesetzgebenden Organe oder des Gemeinsamen Ausschusses nachzuprüfen und zu korrigieren, falls diese, obwohl die Voraussetzungen entfallen sind, den Zustand der äußeren Gefahr nicht für beendet erklären.Ich kann mich — ich komme damit zum Schluß — hinsichtlich des Zustandes der inneren Gefahr sehr kurz fassen. Hier hat es gegenüber der Regierungsvorlage die größte Abweichung insofern gegeben, als — entgegen der Regierungsvorlage — es überhaupt keine ins einzelne gehende Sonderregelung — ähnlich dem Zustand der äußeren Gefahr — gibt, sondern an deren Stelle eine Erweiterung der Befugnisse der Länder einerseits und — falls diese zur Beseitigung der inneren Gefahr nicht in der Lage sind — des Bundes andererseits über die in Art. 91 des geltenden Rechts hinaus gegebenen Möglichkeiten treten soll. Über diese Regelungen, die insbesondere auch den Einsatz der Bundeswehr im Falle des Zustandes der inneren Gefahr betreffen, ist es im Rechtsausschuß zu einer breiten Einigkeit gekommen. Lediglich über eine Formulierungsfrage, die die Stellung der Koalitionen und die Befugnisse zur Führung eines Arbeitskampfes im Zustand der inneren Gefahr betrifft — in Art. 91 Abs. 6 nach unserem Vorschlag —, ist es zu keiner vollen Einigkeit gekommen. Im übrigen ist es aber über diese Regelung, die nach dem Stand in der ersten Lesung vielleicht am heftigsten im Hause umstritten war, zu einer wenn nicht vollständigen, so doch jedenfalls sehr weitgehenden Einigkeit gekommen. Das gleiche gilt für die Regelung des sogenannten Katastrophennotstandes, die im Rechtsausschuß einmütig verabschiedet worden ist.Meine Damen und Herren, der Rechtsausschuß hat — wie man zusammenfassend sagen kann — die hier in ihrer Anlage skizzenhaft vorgetragene Regelung sehr eingehend beraten. Er hat, wie der Berichterstatter meint, dem Hause eine in sich geschlossene und verabschiedungsreife Regelung vorgelegt. Die Entscheidung über die Verabschiedung liegt bei diesem Hohen Hause. Der Rechtsausschuß und die mitberatenden Ausschüsse haben ihre Arbeit abgeschlossen.In der Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf haben 14 Mitglieder des Rechtsausschusses, die der Fraktion der CDU/CSU oder der Fraktion der FDP angehören, für den Gesetzentwurf, wie er Ihnen vorliegt, gestimmt; ein Mitglied des Rechtsausschusses, das der Fraktion der SPD angehört, hat sich der Stimme enthalten. Es hat keine Gegenstimmen gegeben.Ich beantrage und empfehle Ihnen daher namens des federführenden Rechtsausschusses, dieser Vorlage zuzustimmen.
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9532 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Ich danke dem Abgeordneten Benda für seinen schriftlichen und seinen mündlichen Bericht.
Meine Damen und Herren, wie mir mitgeteilt wurde, ist interfraktionell vereinbart, unmittelbar im Anschluß an diesen Bericht die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt vorzunehmen. — Widerspruch erfolgt nicht.
Dann darf ich bekanntgeben, wie die Rednerliste derzeit aussieht: Zuerst sprechen die Herren Abgeordneten Dr. Barzel, Erler und Dorn, dann die Herren Bundesminister Höcherl und von Hassel, dann als Vertreter des Bundesrats die Herren Staatsminister Dr. Filbinger und Senator Schmidt.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Dieser Deutsche Bundestag — berechtigt und verpflichtet, für alle Deutschen zu sprechen, berechtigt und verpflichtet, den sozialen Rechtsstaat zu entfalten, den Frieden zu sichern und die Freiheit zu wahren —, dieser Deutsche Bundestag hat in 16 Jahren die Mehrzahl der großen Fragen kontrovers entschieden.Wir stehen heute vor einer großen Frage, die nur gemeinsam entschieden werden kann, die aber zugleich von einem Gehalt ist, daß sie so bald wie möglich gemeinsam entschieden werden muß. Das ist der Geist, aus dem heraus wir an diese Frage herangehen, und aus diesem Geist heraus sollten wir es, wie wir glauben, alle tun.Es gibt Stunden und Probleme, die weniger zu parteipolitischem Streit und zu hitziger Kontroverse geeignet sind. Das Problem der Ergänzung der Verfassung, insbesondere der Notstandsverfassung, gehört dazu. Parteien und Fraktionen haben sehr ernsthafte Pflichten, ihre Besonderheiten zu zeigen und zu entwickeln. Sie haben aber immer zugleich die Pflicht, das Gemeinsame noch erkennen zu lassen, von dem sie Teil sind. Dieser letzte Akzent steht heute im Vordergrund, — wenigstens soweit es nach uns geht.In wenigen Stunden wird jedermann in Deutschland sehen und wissen, wie es um eben diese Gemeinsamkeit in Wahrheit hier bestellt ist.Der ausgezeichnete Schriftliche Bericht des Kollegen Benda für den Rechtsausschuß und die sehr sachliche und eindrucksvolle mündliche Erläuterung, die er soeben gegeben hat, — für beides danken wir ihm —, haben deutlich gemacht, daß hier, parlamentarisch gesprochen, eine optimale parlamentarische Lösung verabschiedet werden kann. Beides hat deutlich gemacht, um was es geht. Beides hat den Nebel von Unterstellungen und böswilligem Mißverstehenwollen zerstört. Jeder Gutwillige kann sich nun ein ganz klares Bild davon machen, um was es geht und um was es nicht geht.Ich denke an so manchen Brief und manche Eingabe, die uns in den letzten Wochen erreicht haben. Mancher Brief und manche Eingabe war mit großem Namen unterzeichnet oder von sehr großen und mächtigen Organisationen formuliert. Ich habe oft den Kopf darüber geschüttelt, daß selbst diese vielfach im Nebel steckenblieben.
Meine Damen, meine Herren, dies ist eine große Stunde des Parlaments, eine Stunde gemeinsamer rechtsstaatlicher Bewährung. Sie ist zugleich ein Markstein unserer parlamentarischen Geschichte. So hoffe ich, daß es niemand hier im Hause gibt, der glaubt, die Beratung dieses Deutschen Bundestags in dieser wichtigen Frage sei ein „Scheingefecht".
Es blieb dem Führer der Opposition vorbehalten, solches außerhalb des Hauses zu sagen. Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie. Hier ist der Ort des verantwortlichen Gesprächs, hier ist der der Entscheidung.
Hier wollen wir hören, aus welchen Gründen die Opposition zu einer Vorlage nein sagen will, die — auf der Basis der Regierungsvorlage — gemeinsam erarbeitet worden ist.Meine Damen und Herren, wir legen Wert darauf, einiges Grundsätzliche zu sagen:Wir Deutschen haben seit 1945, in so mancher Frage und nicht immer ohne Bitternis, zu spüren bekommen, daß die Welt, in der wir leben, nicht die ist, die wir uns wünschen. Wir wünschen eine Welt des Friedens, aber wir leben in einer solchen der Gefahr und der Spannung. Diese Spannung und diese Gefahr gehen nicht von uns aus, aber wir müssen ihnen begegnen. Deshalb kann kein Verantwortlicher so tun, als sei uns eine Welt geschenkt, in der Not, Gefahr und Katastrophe nicht potentielle Wirklichkeiten seien. So stehen wir gemeinsam vor der Frage, was in der Stunde der Not sein soll, vor der Frage, ob dann die Alliierten in Deutschland wieder die eigentliche Gewalt ausüben sollen, ob sie diese — vielleicht am Parlament vorbei — auf deutsche Behörden übertragen, ob es in der Stunde der Not kein Gebot geben soll. Eben dies wollen wir nicht. Wir wollen die Bereitschaft der Alliierten, ihre Vorrechte aufzugeben, nutzen. Wir wollen, daß auch in der Stunde der Not der Rechtsstaat nicht untergeht, daß auch dann alle staatlichen Organe an das Recht gebunden bleiben.
— Auch am Telefon, — Herr Kollege Wehner. Wir werden ja gleich Gelegenheit haben, darüber zu sprechen. Wir wollen dies alles jetzt — nachdem es lange Jahre ausreichend erörtert worden ist —, weil es gut ist, solche Dinge in Ruhe zu erörtern und nicht erst in der Hektik von Krisen. Gerade weil uns unsere geschichtliche Erfahrung nahelegt, in solchen Fragen besonders sorgsam zu sein, sollten wir die gefundene Lösung jetzt gemeinsam verabschieden.
Wir verstehen die geschichtlich begründete Besorgnis vieler in unserem Lande gerade bei diesem Thema. Aber auch hier gilt es doch, durch Handeln
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9533
Dr. Barzeldie Vergangenheit zu bewältigen und so zu einer besseren Zukunft zu kommen. Räsonieren allein, meine Damen, meine Herren, ist doch weder Politik noch zu Ende gedachte Moral.
Wir suchen eine Verfassung auch für die Stunde der Not, nicht Ausnahmerechte für diese Regierung. In der Stunde der Not muß der Rechtsstaat voll erhalten bleiben, damit die Demokratie nicht untergeht und nie nach der Maxime gehandelt wird: Not kennt kein Gebot! Wir brauchen auch für den Bund, was die Länder schon haben. Wir brauchen eine ausreichende Notstandsverfassung, wie sie alle freien Staaten haben,
wie sie auch die deutschen Länder haben. Nur dann werden die Rechte der Alliierten fallen, und nur dann werden wir sagen können, wir hätten gemeinsam unsere Pflicht getan. Es geht nicht — um auch dies noch zu sagen; wir müssen uns ja mit manchem Argument auseinandersetzen, das außerhalb des Hauses gesagt wird und das vielleicht auch noch hier und da im Hause virulent ist — um Macht, sondern um Recht. Gerade wer Mißbrauch fürchtet, muß doch Normen schaffen, die auch in der Stunde der Not binden.
Es geht nicht um Parteien, sondern es geht um den Staat, um unser Gemeinsames, damit auch in der Stunde der Not der freiheitliche und soziale Rechtsstaat erhalten bleibt.Meine Damen und meine Herren, aus eben diesem Geiste hat die Bundesregierung schon im vorigen Bundestag wie auch in diesem Bundestag Vorlagen gemacht, für die wir danken. Wir haben uns dann bemüht, auf Grund der Haltung der sozialdemokratischen Opposition in interfraktionellen Gesprächen eine Verständigung mit ihr zu erzielen. Niemand kann und niemand wird ernsthaft bestreiten, daß eben dies geschehen ist. Wir waren — die Vorlage beweist es — so nahe beieinander, daß ich mich immer noch weigere, das Scheitern dieser Gesetzgebung als sachlich begründet anzusehen.
Ich kenne keinen zwingenden sachlichen Grund, diese Gesetzgebung nicht abzuschließen. Ich kenne kein Argument, das schlüssig und überzeugend das Nein zu diesem gemeinsam erarbeiteten Vorschlag begründet. Ich bin gespannt auf diese Debatte, um zu hören, welche Position die Fr a k t i o n der SPD zu beziehen gedenkt.
Ich hoffe nicht, meine Damen und meine Herren, daß es die sein wird, die der sozialdemokratische Kollege Börner nach einer dpa-Meldung vom 3. Juni in Kassel bezogen hat. Er soll nach dieser Meldung dort gesagt haben, die Bundesregierung wolle sich einen „verfassungsrechtlichen Blankoscheck" einhandeln; sie wolle „die Presse gängeln" und „das Telefon abhören". Jedermann weiß, daß das nichtstimmt. Herr Kollege Börner, es geht nicht um Vollmachten.
— Herr Kollege Börner, machen Sie doch glaubhaft, was an Einlassungen Ihrer Partei hier offiziell vorhanden ist. Machen Sie doch nicht solche Zwischenrufe. — Es geht nicht um Vollmachten für diese Regierung, sondern um die Sicherung der Existenz des freiheitlichen Rechtsstaates in der Stunde der Not. Es geht um Vollmachten für jede Regierung, die der deutsche Wähler, und nur er allein, bestimmt.
Meine Damen und meine Herren, welcher Art also ist — und das muß diese Debatte in diesem Hause erweisen — die Gegnerschaft der Opposition? Ich glaube nicht, daß sie von der Art ist, die der bedeutende Sozialdemokrat, der Vorsitzende der IG-Metall, Otto Brenner, unlängst erneut präzisiert hat. Ich glaube nicht, daß sie von dieser Art ist. Denn Herr Brenner ist gegen jede Notstandsgesetzgebung. Das kann man von Ihnen nicht sagen. Er führt aber zur Begründung z. B. an — und dies, finde ich, ist ungemein interessant —, daß eine konsequente Friedenspolitik, wie sie etwa Kennedy betrieben habe, es überflüssig machen würde, Angst vor Aggressionen zu haben. Nun, vielleicht wäre es gut, wenn sich auch der Vorsitzende der IG-Metall einmal damit vertraut machte, was in eben diesen USA, verstärkt durch eben diesen Kennedy, stündlich und täglich, Tag und Nacht praktisch geschieht, um den Frieden zu sichern.
Glaubt er, diese mächtige Nation täte das, wenn Befürchtungen vor Aggressionen unrealistisch wären? Ich glaube, er sollte einmal nach Omaha fahren, um sich dort einen Eindruck zu verschaffen von der Ernsthaftigkeit der Bedrohung der freien Welt ebenso wie von der Ernsthaftigkeit der stündlichen und täglichen Bemühungen, eben diese Bedrohung fernzuhalten. Aber für Herrn Brenner lag ja, wie er selber in diesem Interview sagte, schon ein „Notstand" vor, als er hörte, dieser Bundestag werde möglicherweise die Verfassung ergänzen,
und er hat „Zentrale Großaktionen" zwar als gegenwärtig nicht nötig bezeichnet, sie aber doch nicht ausgeschlossen.
Nun, gut, das ist seine Sache und die Sache seiner Gewerkschaft.
Unsere Sache ist unsere Verantwortung. Wir sind das Parlament, der dem Gemeinwohl verpflichtete Ort der Integration unserer Demokratie.
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9534 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Dr. BarzelAus dem Munde der Opposition ist zu hören, daß sie — gerade in diesen Fragen — die Auffassungen einzelner Gewerkschaften nicht teile. Aber, meine Damen und meine Herren, es genügt nicht, so etwas zu erklären. Denn die Stunde des Parlaments ist schließlich immer die der Abstimmung. Das ist die Stunde der Wahrheit. Da wird deutlich, was gemeint ist und was gewollt ist.
Und, meine Damen und meine Herren, wenn ich die vielen Verlautbarungen sehe, die es hierzu gibt,
dann werden Sie mir erlauben — Herr Kollege Wehner —, an dieser Stelle — —
— Wir unterhalten uns später noch im Verfolg dieser Debatte darüber.Meine Damen und Herren, Sie sehen, ich habe die Absicht, mit Gelassenheit und Ruhe und ohne mich provozieren zu lassen zu reden. Aber vielleicht darf ich Ihnen schon an dieser Stelle das Goethe-Wort sagen:Man spricht vergebens viel, um zu versagen, der andre hört von allem nur das Nein.
Meine Damen und meine Herren, ich möchte an dieser Stelle und in aller Form die im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften fragen, ob sie es für einen guten Stil halten, sich überhaupt nicht in Verhandlungen, nicht einmal in Gespräche über diese Dinge einzulassen. Gerade wenn diese Gewerkschaften ernsthafte Argumente gegen Dinge haben, die wir hier beraten, müßten sie uns doch als gute Demokraten sagen, was sie bewegt, und wir wollen miteinander sprechen und wollen hören, was sie zur Sache zu sagen haben.
— Herr Kollege Wehner, Sie haben doch gelesen, daß Herr Brenner noch in diesen Tagen gesagt hat, man könne sich hier nicht auch nur in Gespräche einlassen.
— Sie erinnern sich, Herr Kollege Erler, daß die Herren des DGB sogar hier im Hause waren; aber Sie wissen auch, Herr Kollege Erler, wie kurz diese Gespräche waren und daß gesagt wurde, eben dies sei eigentlich schon — ich will mich jetzt vorsichtig ausdrücken — bedenklich im Hinblick auf die Beschlüsse von Hannover, die doch besagen, daß man sich nicht einmal in Verhandlungen einlassen dürfe. Das ist doch wohl bekannt, und wir sollten es hier nicht verfälschen.Es wird auch gut sein, wenn in dieser Debatte völlig klar wird, daß in diesem Hause niemand sein Nein zu diesen Dingen auf Grund von Motiven und Argumenten spricht, die in der Nähe dessen stehen, was Leute sagen, die wir gemeinsam bekämpfen. Das sollte in dieser Debatte ganz klar werden, weil schon das ein großer Vorteil wäre.Ich möchte jetzt nicht — wie Sie, Herr Kollege Schäfer, das nach einer Pressemeldung irgendwo getan haben — über unsere interfraktionellen Gespräche berichten. Vielleicht darf ich hier aber doch noch eine Bemerkung machen:
Man lernt in diesem Hause ja nie aus, und das ist eigentlich sehr gut so. Mir ist seit einiger Zeit bekannt, daß es in Ihrer Fraktion eine Einrichtung gibt, die Sie selbst „Die Kanalarbeiter" nennen.
Meine Damen, meine Herren, lassen Sie mich dazu etwas sagen. — Es scheint Sie zu erheitern. Ich will Sie gleich weiter erheitern. Ich habe gehört, das sei eine sehr „ehrenwerte Gesellschaft".
Etwas anderes habe ich nicht gehört. Meine Erkenntnis ist aber, daß hier wahrscheinlich doch ein Wettbewerb entstehen wird; denn ich habe den Eindruck, daß es bei Ihnen inzwischen den Ansatz einer neuen Gruppe gibt, wahrscheinlich der Gruppe der „Maurer".
Und, meine Damen und Herren, wenn Sie fragensollten, was ich damit meine, dann erinnern Sie sich— falls Sie jemals Fußball oder Skat gespielt haben— an das, was eben ein „Maurer" ist, von dem ich im Zusammenhang mit diesen Fragen spreche.
— Spaß beiseite, meine Damen und Herren!
Ich möchte noch einmal hier für uns folgendes erklären: Wir sind bereit, erstens in der Stunde der Not eine gemeinsame Regierung aller im Bundestag vertretenen Parteien zu bilden; zweitens, durch zusätzliche parlamentarische Pflichten das Notverordnungsrecht überflüssig zu machen; drittens, die Feststellung des Zustands der äußeren Gefahr im Gemeinsamen Ausschuß mit Zweidrittelmehrheit treffen zu lassen; viertens, grundsätzlich den arbeitsrechtlichen Status dienstverpflichteter Arbeitnehmer zu erhalten und fünftens der Presse nur im Zustand äußerer Gefahr und nur hinsichtlich der Nachrichtengebung Beschränkungen aufzuerlegen,
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9535
Dr. BarzelWie ich den verschiedenen Verlautbarungen der Opposition entnommen habe, gibt sie zu, daß der allergrößte Teil der 10 Punkte, die der SPD-Parteitag zu Karlsruhe am 23. November 1964 zur Notstandsgesetzgebung gefordert hat, auch für die Opposition zufriedenstellend geregelt worden sei. Dem Vernehmen nach gibt es drei Punkte, wegen derer die Opposition glaubt, heute Nein sagen zu müssen. Es seien dies die Fragen der Presse, der Post und der Arbeitnehmer.Vorweg darf ich sagen, daß es mich betroffen gemacht hat, daß die SPD diese — wie sie meint — offenen Punkte nicht auf den Tisch gelegt hat, um 'jetzt darüber zu sprechen,
sondern einfach das genommen hat, um das Nein zu begründen und so die Gespräche zu beenden.
— Trotz dieser bitteren Erfahrung, Herr Kollege Schäfer, glauben wir, daß wir im Interesse der Sache und im Interesse der gemeinsamen Verantwortung alle miteinander — für uns gilt das — zu weiteren 'Gesprächen und auch zu gemeinsamen Absprachen über diese wichtigen Dinge bereit sein sollten. Die Dinge sind soweit diskutiert, daß in sehr kurzer Zeit eine Einigung möglich ist, — vorausgesetzt, daß man sie will.Hinsichtlich der Presse ist zu sagen, daß Einschränkungen nur für den Fall der äußeren Gefahr — und auch das nur für militärische Nachrichten, nicht aber für Kommentare usw. — vorgesehen sind. Das Gesetz hierzu setzt voraus, daß wir zunächst das Grundgesetz ändern. Wir sind aber zu einem Gespräch über diese Gesetzgebung bereit, wenn Ihnen ein solches Gespräch das schließliche Ja zum Gesamten erleichtern sollte. Diese Gesetzgebung selbst ist nach rechtsstaatlichen Prinzipien erst möglich, wenn zuvor das Grundgesetz geändert wird.Was die Fragen, die mit Post und Telefon zusammenhängen, anlangt, so liegen dem Hause besondere Gesetzentwürfe hierzu vor. Diese Gesetzentwürfe betreffen nicht den Notstand, sie betreffen aber alliierte Vorbehaltsrechte. Wir alle wissen, daß es sehr wohl möglich ist, die alliierten Vorbehaltsrechte auch stufenweise abzulösen, also diese Fragen, die keine Notstandsfragen sind, später zu regeln. Auch insoweit wären wir bereit, in weiteren Gesprächen uns über diese Fragen zu verständigen, Jedermann weiß, daß die erste Lesung erst heute sein kann, weil inzwischen — seit einem Jahr — Gespräche über Fragen geführt werden mußten, die hiermit im Zusammenhang .stehen.Hinsichtlich der Rechte der Arbeitnehmer wäre es zweckmäßig, wenn die Gewerkschaften zu einem Gespräch auch in der Sache und im einzelnen bereit wären. Ich habe schon erklärt, daß wir grundsätzlich den arbeitsrechtlichen Status wünschen. Aber, meine Damen und meine Herren, wir wollen uns weder hier noch sonstwo Illusionen machen: nicht nur den Männern, denen wir nach unserer Verfassung zurSicherung des Friedens den Dienst mit der Waffe zumuten, sind Beschränkungen auferlegt, sondern im Falle der äußeren Gefahr sind Beschränkungen für alle Bürger im Interesse der Sicherung aller unerläßlich.
Ich finde es deshalb nicht nur geschmacklos, sondern ganz einfach übel, wenn das Blatt der IG-Metall unter der Überschrift „Demokratie in Gefahr" auf der einen Seite das Arbeitsbuch der Nationalsozialisten veröffentlicht und auf der anderen Seite darstellt, wie ein Eisenbahnwaggon gewaschen wird mit der Unterzeile: „Eisenbahnwaggons Waschen ist keine schöne Arbeit. — Die geplante Verpflichtung zu zivilen Dienstleistungen sieht auch vor, daß man zum Wagenwaschen befohlen werden kann." Das ist mehr als geschmacklos; denn von unseren Soldaten wird mehr verlangt.
Bei allen diesen Problemen geht es auch um Fragen der Sicherheit. Der Generalinspekteur der Bundeswehr hat sich dazu auch in den interfraktionellen Gesprächen sehr eindrucksvoll geäußert. Es ist doch so, daß wir unsere Sicherheit nur im Bündnis garantieren können. Eben darum ist es unser Interesse, daß die alliierten Truppen hierbleiben, daß sie — zusammen mit der Bundeswehr — voll handlungsfähig sind, weil allein eben dies den Frieden zu sichern imstande ist. Es ist unser Interesse, daß die NATO schnell handeln kann. Eben dieses Interesse spielt hinein in die Beantwortung der Fragen, um die es hier geht. Und eben dieses Interesse setzt allen Konpromissen eine unüberschreitbare Grenze. Unsere Sicherheit wird ja nicht bedroht von Postkutschen, sondern von Raketen, sie wird nicht bedroht von Ehrenmännern, sondern von Agenten. Was wir wünschen und was in dieser Vorlage, für die wir plädieren, zum Ausdruck kommt, ist nicht mehr, sondern eher weniger als das, was alle demokratischen Staaten, was auch unsere Länder für die Stunde der Not und an Vorsorge für ihr Volk bereits haben. Der Führer der Opposition hat nach einer Mitteilung der SPD vom 10. Juni erklärt — ich zitiere —:Das Thema ist ja nicht, wie man einen Notstand einführt und die Bürger piesackt, sondern das Thema ist, wie man den Bürger und den Staat schützen kann in einer Situation, von der wir alle hoffen, daß sie niemals eintritt. Sich dafür allein auf die Alliierten zu verlassen, ist leichtsinnig und zeugt nicht von Selbstbewußtsein.
Meine Damen und Herren von der SPD, ich stimme ihm darin zu. Aber warum zieht er selbst nicht die notwendigen Konsequenzen aus diesen Worten?
Ich weiß nicht — ich hoffe, daß Sie mir erlauben, das in aller Ruhe zu sagen —, wie die wirklichen
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9536 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Dr. BarzelVorgänge bei den Beratungen bei Ihnen sind. Woher soll ich das wissen?! Ich weiß es auch nicht in dieser Frage.
— Herr Kollege Wehner, ich glaube, daß insoweit die „Maurer" zuständiger sind als die „Kanalarbeiter".
Aber Sie müssen einem Außenstehenden erlauben-- und ich hoffe, daß hier Klarheit kommt, und dannist es vielleicht nicht mehr nötig, das zu sagen —,
zu sagen, daß natürlich der eine oder andere Vorgang einen veranlaßt, das eine oder andere historische Buch zu suchen. Sie alle wissen, was Stampfer und Otto Braun, zwei führende Sozialisten, der eine Ministerpräsident Preußens, in historischen Betrachtungen zur Weimarer Demokratie gesagt haben. Meine Damen, meine Herren, lesen Sie nach, wie es dort heißt, daß diese Sozialdemokraten beklagen, daß in gewissen Stunden die Führung der Partei der Sozialisten Deutschlands nicht stark genug war, sich durchzusetzen gegen die gewerkschaftlichen Gesichtspunkte.
Meine Damen, meine Herren, ich habe die Zitate hier. Ich will sie nicht im einzelnen vorlesen, weil ich es in Anbetracht der Fülle der Wortmeldungen nicht für gut halte, Ihre Zeit so lange in Anspruch zu nehmen.
-- Das steht hier jetzt nicht zur Debatte. Das haben wir gelegentlich schon erörtert.
— Herr Kollege Wehner, Sie werden es nicht erreichen, daß ich meinen Vorsatz aufgebe, bei dieser einführenden Debatte hier zur Sache in aller Ruhe zu sprechen, ob Sie nun von Schmalzgebackenem sprechen oder nicht. Das Allerschlechteste ist es nicht, wenn man sich davon Zeit seines Lebens ernähren kann, Herr Kollege Wehner. Wir haben auch schon schlechtere Zeiten erlebt.Aber, meine Damen, meine Herren, ich will doch eben noch vorlesen, was Stampfer schreibt:Zum Schluß der Regierung Hermann Müller haben die Gewerkschaften durch ihr Diktat in der Frage der Arbeitslosenunterstützung entscheidend die politische Gesamtentwicklung beeinflußt. Die Parteiführung sah sich, zwischen dem linken Parteiflügel und den Gewerkschaften eingeklemmt, jeder Bewegungsfreiheit beraubt.Otto Braun schreibt — ich zitiere —:Leider versagten in dieser gespannten Situation nicht nur die Führung der Fraktion, sondern auch die der Parteileitung, die sich viel zu stark in Abhängigkeit von der Gewerkschaftsleitung fühlte, und dieser ging oft das rechte Verständnis für allgemeinpolitische Notwendigkeiten ab.
Meine Damen, meine Herren, das nur zu diesem Fall. Es bezieht sich, Herr Wehner, damit wir wissen, worüber wir debattieren, und nicht Popanze aufbauen — und wenn Sie Notizen machen, Herr Erler —, genau auf diesen Fall.Meine Damen, meine Herren, wir haben gesagt, daß dies die Stunde des Parlaments ist. Hier ist zu entscheiden, und hier wird durch .die Abstimmung sichtbar, was gemeint ist. Ich meine, daß wir, die CDU/CSU — und ich schließe von mir aus die FDP ein; sie wird das sicher selbst auch noch erklären —, mit unserer Bereitschaft zu einer gemeinsamen Lösung sehr aufgeschlossen und sehr kompromißbereit den Vorschlägen der Opposition entgegengekommen sind. Wir haben sehr, sehr ernst genommen, was in den zehn Punkten von Karlsruhe stand. Trotzdem scheinen wir keine gemeinsame Lösung zu finden. Die Kunst der Kompromisse gehört auch zur parlamentarischen Demokratie. Nachdem wir nun 20 Jahre das Glück haben, in einem solchen Staat zu leben, ist es wohl an der Zeit, zu zeigen, daß dieser Deutsche Bundestag auch zu gemeinsamem Handeln fähig ist. Wir waren, sind und bleiben dazu bereit.Meine Damen, meine Herren, es ist immer gut, sich vor Augen zu führen, was gemeinsame Gegner — und diese gibt es doch — zu unserer Diskussion sagen. Ich nehme an, daß uns allen die Auslassungen der SED hierzu bekannt sind. Ich habe eine Auswahl da, ich will sie aber jetzt nicht verlesen. Ich meine doch, daß wir alle miteinander nachdenklich werden müssen, wenn unsere gemeinsamen Feinde uns ein Nein zurufen und uns zu einem Nein ermuntern in einer Frage, wo im Interesse der Nation das Ja geboten ist.
Das geltende Recht enthält keine zureichenden Vorschriften für die Stunde der Not. Das ist unter uns umstritten. Weil wir nicht in einer gewünschten, sondern !in einer wirklichen Welt leben, in einer Welt voll Gefahr und Spannung, müssen wir daran denken — und dafür Vorsorge treffen —, daß es eine Stunde der Not geben könnte, in der es nicht dazu kommen darf, daß der Rechtsstaat untergeht. Eben deshalb brauchen wir diese Gesetzgebung.Wir alle wissen, daß sich der Sinn der Bündnisse und der militärischen Anstrengungen für uns gewandelt hat. Es gilt nicht mehr, im Krieg zu siegen, sondern es gilt, den Krieg durch Bereitschaft und Abschreckung zu verhindern. Beides wirkt nur, wenn es glaubhaft ist. Glaubhaft ist es nur, wenn Vorbereitung und Zurüstung ausreichend sind und bleiben.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9537
Dr. BarzelHierzu gehören nicht nur Soldaten und Waffen, hierzu gehören die Gesinnung der Nation und die Bereitschaft der Politiker, durch eine Ordnung des Rechts für jede Stunde vorzusorgen.
Beim Staat geht es nicht um einen fremden Dritten, meine Damen und Herren, sondern um uns alle! Es geht auch darum, daß nicht etwa in einer Stunde der Spannung der Stärkere und der Reichere sich versorgen kann, der kleine Mann aber nicht; es geht auch um Gerechtigkeit in dieser Stunde; es geht darum, daß unsere Soldaten, daß die NATO die Abschreckung durch umfassende Planung glaubhafter machen kann; darum, daß unsere Demokratie auch dann handlungsfähig bleibt, wenn Feinde der Freiheit sie bedrohen und angreifen. Es geht nicht um irgendein Abstraktum, genannt Staat, es geht um die Menschen, in deren Pflicht wir stehen und die einen Anspruch darauf haben, daß ihre gewählten Vertreter alles, aber auch alles tun, um auch in solchen Stunden Recht und Gerechtigkeit zu erhalten.
Indem wir das tun, stärken wir die Glaubhaftigkeit der Abschreckung.Meine Damen, meine Herren! Wir sind bereit, alles zu tun, was zu eben diesen Zwecken notwendig ist. Aus diesem Geiste handeln wir, aus diesem Geiste heraus haben wir eine gemeinsame Lösung erarbeitet, der wir die Zustimmung geben werden.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kein Volk ist gegen äußere Gefahren gefeit, auch das unsre nicht. Dennoch sollten wir die Bürger in unserem Lande und uns selbst daran erinnern, daß wir in dieser Stunde völlig frei von irgendwelcher Hysterie debattieren und miteinander sprechen können. Gefahren drohen, und trotzdem steht der Notstand nicht morgen vor der Tür. Wir haben gefährlichere Tage als die jetzigen hinter uns.
— Sicher, aber wir haben sie hinter uns und sind mit ihnen fertig geworden.
Dennoch müssen wir wissen, daß eine Verschärfung der Lage in der Welt mit ihren Auswirkungen auf unser Volk leider nicht ausgeschlossen werden kann. Gefahren können unsere Freiheit bedrohen, Leib und Leben der Einwohner unseres Landes, unser Wirtschaftsleben, das ordentliche Funktionieren unserer öffentlichen Dienste, die demokratische Ordnung schlechthin. Solchen Gefahren vorzubeugen ist zunächst einmal Aufgabe der gesamten Politik; sie darf sie gar nicht erst eintreten lassen. Aber wir haben nicht alle Umstände, die einen solchen Eintritt von Gefahren verhindern können, allein in unserer Hand. Es bleibt leider wahr: Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt!
Zur Vorsorge für Notfälle gehören die entsprechende Gestaltung des Grundgesetzes, die Gestaltung unserer Gesetzgebung und der Vorbereitungen der Exekutive. Für sehr viele dieser Vorbereitungen sind und waren keine neuen Gesetze nötig. Dazu gehören vor allem Geld, Organisation, guter Wille und Aufklärung all derer, die man braucht. Das gilt weitgehend für den zivilen Bevölkerungsschutz, für die Notwendigkeit der Verstärkung der Polizei und auch etwa für die Schaffung von Krankenhausbetten außerhalb gefährdeter Orte sowie für die Anlegung von Vorräten. Manches ist schon vorhanden, vom Bundesleistungsgesetz bis hin zu den Wirtschaftssicherstellungsgesetzen. Dennoch war es nötig, daß auch und gerade auf diesen Gebieten meine Fraktion in den letzten zehn Jahren bei jeder Haushaltsdebatte größere Anstrengungen der Bundesregierung gefordert hat, die sogar auf der Grundlage der bestehenden Gesetze hätten unternommen werden können.
Manches wurde nicht energisch genug angepackt. Aber wir leugnen nicht, daß für anderes eine Abrundung und Ergänzung der Gesetzgebung erforderlich ist.Unser Volk ist mündig. Deshalb ist es die Aufgabe dieses Hohen Hauses, auch derartige Gesetze für Notfälle in normalen Zeiten zu beraten, zu beschließen und zu verkünden, auch wenn bestimmte Abschnitte dieser Gesetze erst nach bestimmten Feststellungen über den Eintritt gewisser Notfälle in Kraft gesetzt werden können. Dann weiß jeder Bürger, was in Krisenzeiten zu tun ist, und um so klarer wird ihm auch die Einsicht in die politische Aufgabe, es gar nicht erst zu Krisen kommen zu lassen, auch wenn er weiß, was in einem Krisenfalle seiner harrt. Wir sagen — und ich glaube, darüber sind wir uns in diesem Hause einig —: Gesetze schaffen doch den Notfall nicht, sondern sie sollen helfen, mit ihm fertigzuwerden.
Notstandsgegener sind wir alle. Außerdem gibt es Gegner von Gesetzen, die der Überwindung von Notständen dienen sollen, von denen manche sich leider weigern, auch nur Texte zur Kenntnis zu nehmen, und manche die Texte in grausamer Weise entstellen.
Rechtzeitige Gesetzgebung ist notwendig, damit nicht nur die Bürger Bescheid wissen, sondern auch die Verwaltung Bescheid weiß und üben kann.Deshalb möchte ich hier auch einige Bedenken gegen jene Vorstellung anmelden, die allzuviel von Gesetzgebungswerken, die man in der Stunde der Not braucht, etwa in der Schublade lassen, lediglich durch den Gemeinsamen Ausschuß vorbereiten lassen und dann erst in letzter Stunde verkünden las-
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9538 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Erlersen wollte. Nein, man kann nicht erst am Tage X viele Kilo Papier lesen und sich darauf verlassen, daß es dann funktioniert. Deshalb darf man für das Notparlament nur so wenig wie möglich aufheben.
— Nein, meine Damen und Herren, das haben wir allen denen jahrelang sagen müssen; ich freue mich, daß Sie das endlich eingesehen haben, daß man nicht die Bevölkerung — —
— Na sicher! Bis vor wenigen Wochen haben Sie mit dieser Argumentation ein Notverordnungsrecht für die Bundesregierung verlangt,
damit am Tage X dann eben der Schwall auf das Volk herniederregnen kann. Rechtzeitige solide Vorbereitung durch offene Gesetzgebung wird von uns durchaus befürwortet.
Nicht alles ist vorhersehbar.
— Entschuldigen Sie, Herr Müller-Hermann — Sie scheinen offenbar recht schlecht über den wirklichen Hergang der interfraktionellen Besprechungen unterrichtet worden zu sein; ich würde den Kollegen Barzel bitten, Ihnen darüber einmal Aufschluß zu geben.
Was vorhersehbar ist, das muß offen ordnungsmäßig beraten und verabschiedet werden. Es mag dannimmer noch aus einsichtigen Gründen ein gewisser— aber möglichst kleiner — Rest bleiben.In diesem Sinne halten wir einige Vorlagen, über die in der nächsten Woche im Detail zu sprechen sein wird, für verabschiedungsreif: das Schutzbaugesetz, das Selbstschutzgesetz, das Gesetz über das Zivilschutzkorps. Dies sind, wie jeder weiß, keine bequemen Gesetze; sie fordern Leistungen und Opfer der Betroffenen. Unsere Zustimmung zu diesen Gesetzen ist ein Beweis, daß wir es mit der Vorsorge für Notfälle ernst nehmen und uns unsere Haltung in diesen Fragen von niemandem anders vorschreiben lassen.
Allerdings war es notwendig, daß auch bei diesen Gesetzen in schwierigen Beratungen unangemessene Vorstellungen der Exekutive korrigiert wurden. Über die Einzelheiten wird ja in der zweiten und dritten Lesung zu sprechen sein.Für einige Gebiete wird eine Änderung des Grundgesetzes erforderlich sein. Wir wissen alle, daß wir eine Notstandsverfassung haben, und zwar eine schlechte. Sie ergibt sich im wesentlichen aus dem Deutschland-Vertrag. Die Vorbehaltsrechte der Alliierten gehen, da es kein Schiedsgericht gibt, das sie auslegt, weiter als der Art. 48 der Weimarer Verfassung und befinden sich in fremder Hand.
— Entschuldigen Sie, dürfen wir denn, nachdem wir gefragt worden sind, wie wir zu diesen Fragen in eigener Verantwortung stehen, das nicht auch einmal in Ruhe hier ausführen?
Diese Vorbehaltsrechte erlöschen, wenn innerdeutsches Recht die Voraussetzungen für ,die deutschen Organe zur Sicherung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gegen denkbare Gefahren schafft und wenn darüber hinaus auch die Vollmachten zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, die der Sicherheit der alliierten Besatzungstruppen dienen, in angemessener Weise in deutsche Hand übergeführt werden. An diesen klaren Texten ändern wortreiche Gutachten nichts, und so mancher sonst sehr angesehene Gutachter führt mich angesichts der bei ihm zutage tretenden politischen Naivität zu der Bemerkung — in jener kleinen Anekdote —, ob denn der Hund wirklich weiß, daß er nicht beißen darf, weil er nach der Ansicht eines wissenschaftlichen Gutachters eigentlich nicht bissig sei.Meine Damen und Herren, wir haben bei den Vertragsdebatten in den Jahren der Auseinandersetzungen um die Verabschiedung der deutsch-alliierten Verträge auf diese Problematik hingewiesen: auf die alliierten Vorbehaltsrechte, darauf, daß es kein Schiedsgericht gibt, darauf, daß allein die Alliierten entscheiden, ob und wann sie ihre Sicherheit bedroht glauben und wie weit sie bei ihren Maßnahmen gehen wollen. Wir haben auch darauf hingewiesen — das ist für uns nichts Neues —, daß sie diese Befugnisse delegieren können. Die schmerzliche Telefonaffäre hat ja darüber ausreichend Aufschluß gegeben.
Das schlechteste draußen im Lande gelegentlich zu hörende Argument ist doch wohl dies, daß manche Bürger unseres Landes behaupten, sie hätten mehr Vertrauen zu alliierten Offizieren als zum deutschen Parlament.
Das wäre ein ausgesprochenes Armutszeugnis. —Rufen Sie hier nicht „Oho!", sondern helfen Sie lieber bei dieser dringend notwendigen Aufklärung mit.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9539
Erler— Sie brauchen sich gar nicht zu empören. Diejenigen, die diese Aufklärungsarbeit dort, wo es darauf ankommt, geleistet haben und weiterhin leisten, sind gerade die Angehörigen meiner Fraktion und ist der Mann, der hier vor Ihnen steht; das kann niemand bestreiten.
Jenes Argument wäre ein Armutszeugnis für unser Volk. Wir Deutschen dürfen nicht vor der Verantwortung für uns selbst davonlaufen.
Die Inanspruchnahme des Selbstbestimmungsrechts für unser Volk auch im Falle der Not ist eine Selbstverständlichkeit. Sonst wäre die Forderung nach Selbstbestimmung und freien Wahlen für das ganze deutsche Volk unglaubwürdig.
— Meine Herren, wenn Sie es nicht wünschen, daß in diesem Hause die Haltung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands auch besorgten anderen Volksteilen gegenüber klar und unmißverständlich zum Ausdruck gebracht wird, dann müssen Sie das nur laut sagen. Ich finde, es liegt im Interesse unseres Volkes und seiner Freiheit, daß das hier von mir ausgesprochen wird.
— Auch wenn Ihnen damit die eine oder andere Wahlparole entgeht, so viel Einsicht in die gemeinsamen Notwendigkeiten sollte man haben.
Unser Parlament ist in einer anderen Lage als mancher freie Schriftsteller. Wenn Menschen mangels getroffener Vorbereitungen in Notfällen umkämen, dann würde man Parlament und Regierung verantwortlich machen und nicht jene Autoren, die all dies für überflüssig und schädlich halten und die, von niemandem gewählt, auch niemandem verantwortlich sind.
Und 'dennoch, meine Damen und Herren, teilweise haben wir es angesichts der deutschen Geschichte mit verständlichen Gefühlen 2u tun. Eine frühere Gewaltherrschaft — das darf man auch nicht übersehen — bereitete den Krieg vor und traf gleichzeitig einschneidende Maßnahmen gegenüber der eigenen Bevölkerung.Um so notwendiger ist es, klarzumachen, daß es heute um den Schutz gegen Gefahren geht, 'die nicht wir heraufbeschwören, sondern in die wir durch andere hineingeraten können. Vorsorgegesetze beschwören keine Notstände herauf, sondern sollen ihnen vorbeugen und sie, falls sie dennoch eintreten, überwinden helfen.
Wer eine Feuerwehr organisiert, bereitet keine Brände vor, sondern ihre Bekämpfung .
Dies gilt vor allem für die Maßnahmen des zivilen Bevölkerungsschutzes.Damit Sie nicht etwa denken, daß dies neue Erkenntnisse für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands sind, rufe ich in Erinnerung, daß wir immer zur Mitwirkung an .der Ablösung der alliierten Rechte und an einer Gesetzgebung zur Vorsorge gegen Gefahren für Freiheit, Leben und Gesundheit bereit gewesen sind und immer bereit bleiben.
Auf dem Parteitag in Hannover 1960 haben wir ausdrücklich festgestellt:Die deutsche Sozialdemokratie bekennt sichmit allen anderen demokratischen Kräften dazu,
die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland und die Freiheit ihrer Einwohner gegen alle äußeren und inneren Gefahren zu schützen. Sie ist daher bereit, die der Freiheit drohenden Gefahren unvoreingenommen zu erörtern und an denjenigen Maßnahmen mitzuwirken, die mit den Grundsätzen der Freiheit und des Rechtsstaates vereinbar sind.Wir haben es damals mit einer Vorlage der Bundesregierung zu tun gehabt, die Sie damals sehr enthusiastisch begrüßt haben. Da habe ich ähnliche Zwischenrufe in Erinnerung, wie sie heute gemacht werden. Wir haben zu der damaligen Vorlage festgestellt — ich freue mich, daß Sie inzwischen dazugelernt haben —,
daß sie diesen Voraussetzungen nicht gerecht wird,
weil sie — ich rufe in Erinnerung — einer einfachen Bundestagmehrheit praktisch das Recht auf Ausschaltung der verfassungsmäßigen Organe gegeben hätte, unter Verletzung der Gewaltenteilung die Bundesregierung zum alleinigen Gesetzgeber machen wollte und die staatsbürgerlichen Freiheiten in unerträglicher Weise eingeschränkt hätte. Daher hieß es in unserem Beschluß:Soweit zur Abwehr drohender Gefahren und zur Ablösung alliierter Vorbehaltsrechte Notstandsmaßnahmen erforderlich werden, bedürfen sie einer breiten Grundlage im Parlament, müssen sie vom Parlament kontrolliert werden und jederzeit aufgehoben werden können und dürfen sie die unabänderlichen Grundsätze der Gewaltenteilung und der bundesstaatlichen Gliederung der Bundesrepublik Deutschland nicht verletzen. Ihr Mißbrauch in inner-politischen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und demokratischer Opposition sowie bei Arbeitskämpfen muß eindeutig ausgeschlossen sein.
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9540 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
ErlerDies war im Jahre 1960. Damals hatten wir es noch mit einer Regierungsvorlage zu tun, für die der damalige Innenminister das Stichwort gegeben hatte, der Notstand sei die Stunde der Exekutive.
Die von uns damals vor fünf Jahren schon vorgeschlagenen interfraktionellen Besprechungen wurden leider abgelehnt.
Erst in zwölfter Stunde hat man sich dazu bereit gefunden. In Wahrheit ist der Notstand die Stunde der Bewährung aller freiheitlichen Kräfte eines Volkes.
Es gibt keine Demokratie ohne Demokraten.
Wer glaubt, Sicherheit gegen Gefahren nur auf Staatsorgane abschieben zu können — von der Polizei über den Verfassungsschutz bis zur Bundeswehr —, der irrt. Selbstbewußte Bürger müssen gemeinsam ihren Staat tragen und ihre Freiheit schützen.
Deshalb muß man mit diesen Bürgern auch offen reden, Gefahren weder verbergen noch verharmlosen, sondern sie furchtlos ins Auge fassen; dann wird man auch mit ihnen fertig.
Diese Welt ist nicht so glatt und lieblich, wie es eine Propaganda darstellte, der es mehr auf Vollmachten für die Exekutive ankam als darauf, den bequem gewordenen Bürger illusionslos anzusprechen und an seine Mitwirkung zu appellieren.
Deshalb, meine Damen und Herren, darf Gesetzgebung keine Akzente haben gegen diejenigen, ohne deren Mitwirkung die Überwindung von Notständen ausgeschlossen ist.
Hier handelt es sich einmal um die Presse, um das Mitgehen der öffentlichen Meinung, die man bei gemeinsamen Gefahren braucht, und hier handelt es sich zum zweiten um die Arbeitnehmer und ihre Organisationen. Die Probleme sind nicht gegen sie, sondern nur mit ihnen zu lösen. Natürlich wissen wir, daß Einwände von dort auch über das Ziel hinausschießen, z. B. die Ablehnung der Notwendigkeit von Gesetzen überhaupt.
Bundestag und Parteien haben die Pflicht zur eigenen Prüfung. Diese Verantwortung kann uns von niemandem abgenommen werden,
weder von noch so wichtigen Gliedern unseres gesellschaftlichen Lebens noch von Stimmen aus Wissenschaft, Kirche und Wirtschaft, noch vom Druck derer, die rasch vor der Wahl etwas nach Hause tragen wollen.
Wohl aber, meine Damen und Herren, sind wir gut beraten, wenn wir die in der öffentlichen Meinung bei den Arbeitnehmern und ihren Organisationen sichtbar gewordenen berechtigten Sorgen ernst nehmen und alles tun, um berechtigte Bedenken durch die entsprechende Gestaltung unserer Beschlüsse zu zerstreuen.
— Das ist übrigens eine ganz neue Variante — wenn ich das gerade zu dem Kollegen mit seinem besonders reizenden Zwischenruf sagen darf —: die einen behaupten, daß wir uns unter Fernsteuerung begeben hätten, und die anderen behaupten — wie durch den Zwischenruf jetzt —, wir hätten uns diese Sorgen bestellt, wir steuerten das auch noch. Dann müssen Sie sich erst entscheiden, welche Version Sie eigentlich für richtig halten.
— Nein, nein, die beiden Versionen sind gleichermaßen Produkte überhitzter Wahlkampfphantasie und heben sich gegenseitig auf.
So haben wir mit überwältigender Mehrheit auf unserem Parteitag in Köln folgendes festgestellt:1. Es ist eindeutig klarzumachen, in welchen Fällen — —
— Sie scheinen die Beratung von Grundgesetzergänzungen für eine besonders humoristische Sache zu halten, ich bewundere Sie dabei.
1. Es ist 'eindeutig klarzumachen, in welchen Fällen und unter welchen Umständen von einem Notstand gesprochen werden muß, der nur mit außerordentlichen Mitteln gemeistert werden kann. Dabei ist zwischen innerem Notstand, drohendem Verteidigungsfall — gleich Spannungszeit — und äußerem Notstand 2u unterscheiden.2. Es ist zu gewährleisten, daß in solchen Situationen nicht eine an ,der Macht befindliche Gruppe oder Partei die Mittel der Exekutive zur Unterdrückung der anderen ausnutzen kann.3. Es ist zu sichern, daß Notstandsbefugnisse ausschließlich zur Meisterung des Notstandes und nicht zur Drosselung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, vor allem nicht der Freiheit der Presse, des Rundfunks, des Fernsehens und der freien Meinungsäußerung eingesetzt werden können.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9541
Erler4. Es ist auszuschließen, daß eine Einschränkung oder Drosselung der demokratischen Grundrechte im gewerkschaftlichen und betrieblichen Bereich unter dem Vorwand des Notstandes praktiziert werden kann.5. Es ist Vorkehrung 711 treffen, daß weder die Befugnisse der Länder noch die der gewählten Volksvertretungen unter Berufung auf einen Notstand erstickt werden können.6. Die Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts muß gewährleistet sein. Jede Maßnahme muß vor das Bundesverfassungsgericht gebracht werden können.7. Die Verantwortlichkeit des Parlaments ist in jeder Lage zu erhalten. Die Notstandsregelung darf keine Möglichkeit des Ausweichens des Parlaments aus seiner Verantwortung schaffen.Diesen Beschluß, der für uns die Grundlage für die Bemessung jeglicher Vorlagen auf diesem Gebiete darstellt, haben wir in Karlsruhe auf unserem Parteitage im November 1964 erneut bekräftigt. Hierzu habe ich in meiner damaligen Rede außerdem folgende zehn Punkte aufgeführt:1. Eine Gesamtkonzeption muß dem •Schutz des einzelnen Menschen bei auftretenden Notlagen die gleiche Bedeutung beimessen wie dem Schutz des Staates.2. Der Regierungsentwurf über den Zustand der inneren Gefahr ist überflüssig. Bei 'den Weiterberatungen wird von Art. 91 des Grundgesetzes auszugehen sein. Dabei muß klar sein, daß Arbeitskämpfe nicht unter eine Notstandsregelung fallen können.3. 'Die Verantwortung in jedem Stand des Verfahrens, bei der Verkündung bestimmter Notfälle und bei der Anwendung bestimmter rechtlicher Regeln muß beim Parlament liegen. Kann es nicht zusammentreten, muß ein Notparlament aktionsfähig sein.4. Daraus ergibt sich, daß der Regierung kein Notverordnungsrecht zuzubilligen ist. Es wird immer einen handlungsfähigen Gesetzgeber geben, dem ,auch die Opposition angehört.5. Anzustreben ist, daß für den Fall der Not die 'Regierung sich nicht nur auf eine einfache parlamentarische Mehrheit stützt, sondern alle demokratischen Kräfte umfaßt.6. Eine Mobilmachung ist eine politische und keine militärische Entscheidung. Auch hier muß infolgedessen das Parlament bzw. das Notparlament bestimmen.7. Soweit bestehende Gesetze wie Bundesleistungs- und Wehrpflichtgesetz die Bundesregierung zur Feststellung bestimmter Notwendigkeiten auf dem Gebiete der Verteidigung ermächtigen, muß auch hier Parlament bzw. Notparlament eingeschaltet werden.8. Um einen Mißbrauch durch einfache Mehrheiten auszuschalten, dürfen die oben genanntenEntscheidungen nur mit Zweidrittelmehrheit gefällt werden.9. Das Verfassungsgericht muß während eines Notstandes jederzeit handlungsfähig sein und darf nicht in -seinen Befugnissen beeinträchtigt werden.10. Es besteht keine Notwendigkeit, den Art. 12 Abs. 3 des Grundgesetzes zu ändern, nach dem eine Heranziehung von Frauen gegen ihren Willen zu Dienstleistungen im Verbande der Streitkräfte unzulässig ist.
Meine Damen und Herren, so detailliert hat keine andere Partei diskutiert und Stellung genommen.
Es ist schwer verständlich, daß bei dieser klaren Haltung die Regierung und ihre Mehrheit in den Ausschüssen jahrelang an Positionen festhielten, die nicht durchsetzbar waren. Man mußte doch die Realitäten respektieren: das Grundgesetz forderte eine Zweidrittelmehrheit; diese gibt es nicht ohne die SPD. Die sozialdemokratische Haltung ist klar und durch Parteitagsbeschluß abgesteckt.
— Hannover war 1960, Köln war 1962; seitdem haben Sie das alles gewußt. In Karlsruhe wurde es 1964 lediglich noch einmal bestätigt, damit auch diejenigen es endlich wissen, bei denen der Groschen langsamer fällt.
Im Juni 1964 wurde diese Haltung zweimal dem Bundeskanzler vorgetragen. Wir haben geglaubt, er würde sich einschalten. Damals 'bestand der Eindruck, daß die Bundesregierung ihren Einfluß ausüben würde, daß es kein Notverordnungsrecht geben sollte, sondern die Gesetzgebung bei einem jederzeit funktionsfähig zu machenden Parlament zu liegen hätte. Es wurde 'der Gedanke des Notparlaments erörtert. Es wurde darauf hingewiesen, daß, man zur Vermeidung innenpolitischen Mißbrauchs für bestimmte Feststellungen Zweidrittelmehrheiten bräuchte und daß die Ablösung der Vorbehaltsrechte in vollem Umfang gesichert werden müßte und daß es daher galt, Klarheit bei den Alliierten auch auf dem Gebiet der Post- und Fernmeldeüberwachung zu schaffen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege Erler, ich würde gern wissen, ob Ihre wiederholte Berufung auf Parteitagsbeschlüsse seit 1960 bedeutet, daß es gar keinen Sinn hat, mit den sozialdemokratischen Kollegen in den Ausschüssen zu diskutieren, weil sie ja offenbar unverrückbar an, wie Sie wiederholt
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9542 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Bendasagten, seit fünf Jahren ergangene Parteitagsbeschlüsse gebunden sind. Was für einen Sinn haben dann eigentlich Beratungen im Parlament und in seinen Ausschüssen?
Selbstverständlich haben Beratungen im Parlament und in den Ausschüssen einen guten Sinn. Aber es hat, glaube ich, auch einen Sinn, davon Kenntnis zu nehmen, daß es, wenn eine Partei seit 1960 ihre Meinung so klar sagt und sich die andere Partei lediglich hinter unhaltbaren Regierungsvorlagen verschanzt, vielleicht doch nützlich ist, sich mit der Stellungnahme dieses notwendigen Partners etwas ernster zu befassen, als es in den vergangenen Jahren geschehen ist.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Herr Kollege Erler, ist es nicht so, daß am 13. Januar dieses Jahres erstmals durch eine Rede des Herrn Abgeordneter Benda überhaupt bekanntwurde, welche Haltung die CDU zu den Fragen einnimmt?
Das ist richtig. Früher haben wir es lediglich mit Regierungserklärungen zu tun gehabt. Aber lassen wir das! Ich möchte mit meinem Faden hier fortfahren.Leider haben wir seit Juni vergangenen Jahres von einem Eingreifen des Kanzlers in dieser für unser Volk lebenswichtigen Frage nichts gespürt. Ich habe deshalb in Erinnerung an jene Besprechung am 26. Januar an ihn geschrieben und die Fraktionsvorsitzenden gleichfalls verständigt. Am 7. April — wir kamen langsam etwas in zeitliche Bedrängnis; das lag nicht an uns — erhielt ich eine Antwort des Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, eine des Kanzlers erst am 5. Mai — ohne eigene Stellungnahme — und zur Frage der alliierten Vorbehaltsrechte erst am 14. Juni, also vorgestern.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat lange versucht, bestimmte Vorstellungen der Exekutive mit dem Hinweis auf angebliche alliierte Wünsche durchzudrücken. Endlich wurde angesichts unseres Widerstandes der Versuch, unzumutbare Lösungen auf einer Reihe von Gebieten durchzusetzen, weitgehend modifiziert. Dennoch ist klar, daß wir in diesem Bundestag miteinander wissen: der Bundestag wird, wann auch immer, einer endgültigen Lösung nur zustimmen, wenn durch verbindlichen Notenwechsel das Erlöschen der alliierten Vorbehaltsrechte mit einer solchen Gesetzgebung geklärt ist.Erst Anfang Mai kamen dann jene heute schon öfter erwähnten interfraktionellen Gespräche zustande, wie wir sie vor fünf Jahren angeboten hatten und sie damals abgelehnt worden sind.
Es ist erfreulich — ich leugne das gar nicht —, daß nun, wenn auch in zwölfter Stunde, einige wichtige Fragen zufriedenstellend geklärt wurden, nämlich:a) Die Gewaltenteilung bleibt unangetastet. Die volle politische Verantwortung des Parlaments in jeder möglichen Gefahrenlage wird nicht gemindert. Äußerstenfalls wird die Verantwortung durch das Notparlament, das für Bundesrat und Bundestag handelt, wahrgenommen.b) Die Wahrung der vollen Handlungsfähigkeit des Parlaments macht nach nunmehriger Überzeugung auch der Bundestagsfraktionen der CDU/CSU und FDP das von der Bundesregierung so zäh verteidigte Notverordnungsrecht überflüssig.c) Übereinstimmung konnte mit den anderen Fraktionen auch darüber erzielt werden, daß Entscheidungen der Bundesregierung zur Herstellung der Verteidigungsbereitschaft nur nach vorheriger Billigung zumindest durch das Notparlament möglich sein sollen.d) Einigung konnte mit den anderen Fraktionen auch darüber erzielt werden, daß für den Fall der Not die Regierung sich nicht nur auf eine einfache parlamentarische Mehrheit stützen darf, sondern alle demokratischen Kräfte umfassen muß. Feststellungsentscheidungen können demnach nur so ergehen, daß Bundestag oder Notparlament mit Zweidrittelmehrheit zu entscheiden haben, mindestens aber die Mehrheit der gesetzlichen Zahl ihrer Mitglieder zustimmen muß.e) Einigung ist darüber erzielt worden, daß Bestand und Handlungsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts gewahrt bleiben.f) Einigung ist auch darüber erzielt worden, daß es der von der Bundesregierung ursprünglich vorgesehenen Sonderregelung für den Fall des inneren Notstandes nicht bedarf. Der Artikel 91 des Grundgesetzes bleibt weiterhin die Grundlage für die Regelung dieses Problems mit seiner Ergänzung dahin gehend, daß die Bundeswehr zur Ergänzung der Polizeikräfte herangezogen werden kann.g) Einigkeit besteht darüber, daß Arbeitskämpfe kein Fall des inneren Notstandes .sind.h) Nach übereinstimmender Meinung bleibt es dabei, daß Frauen nicht zum Dienst im Verbande der Streitkräfte verpflichtet werden können.i) Übereinstimmung besteht vor allem darüber, daß die Bundesrepublik Deutschland fähig sein muß, im Rahmen des Bündnisses die ihr im Falle der Not obliegenden Aufgaben schnell und wirksam wahrzunehmen, und daß infolgedessen unser Verfahren so organisiert sein muß, daß die erforderlichen Entschlüsse schnell getroffen werden können.Leider ist in der Vorlage des Rechtsausschusses nicht diese Übereinstimmung in allen Fällen berücksichtigt worden. Darüber wird in der zweiten Lesung noch zu sprechen sein.Außerdem darf die Funktionsfähigkeit der Länder und der Landesregierungen nicht dadurch beschränkt werden, daß die Bundesregierung im Notstandsfall
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9543
Erlerandere Personen beauftragen kann, in ihrem Namen Weisungsbefugnisse gegenüber den Ländern auszuüben. Punkt 5 der Kölner Entschließung ist damit nicht erfüllt. Auch darauf wird bei der Einzelberatung zurückzukommen sein.Im Verlauf dieser Besprechungen, meine Damen und Herren, wurde erkennbar, daß einige untrennbar mit der Ablösung der Vorbehaltsrechte und der Ergänzung des Grundgesetzes zusammenhängende Probleme in den bisherigen Ausschußberatungen nicht ausreichend gefördert worden sind, zum Teil nicht einmal beratungsfähige Regierungsvorlagen dem Bundestag vorgelegt worden waren. Zur Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte ist außer der Regelung einer Notstandsverfassung auch eine rechtsstaatliche Regelung der Post- und Fernmeldeüberwachung erforderlich. Obwohl ihr die Problematik hinreichend bekannt ist, hat es die Bundesregierung bis zum letzten Tage der bisherigen interfraktionellen Verhandlungen verabsäumt, eine vollständige Vorlage ordnungsgemäß im Parlament einzubringen.
Eine Vorabverabschiedung der Grundgesetzergänzung zur Regelung der Notstandsverfassung, also eine stufenweise Regelung ohne Regelung der Post-und Fernmeldeüberwachung, würde nur eine teilweise Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte ermöglichen. Die alliierte Telefon- und Postkontrolle würde auch weiterhin bestehen. Es kann nicht hingenommen werden, daß man sich bemüht, die alliier! ten Vorbehaltsrechte für den theoretischen Fall eines in der Zukunft liegenden Notstandes auszuräumen, aber bei der jetzt bestehenden Praxis die Ausübung dieser Rechte im eigenen Lande fortdauern läßt, wie es bei der täglichen Inanspruchnahme der alliierten Rechte auf den Gebieten der Telefon- und Postkontrolle heute noch der Fall ist.
Daran ändert die heute vom Innenminister einzubringende Vorlage leider nichts. Er selbst weiß und wird es hier hoffentlich auch sagen, daß diese Vorlage ein Torso ist. Sie muß gründlich umgestaltet werden, um allen berechtigten Ansprüchen zu genügen und die alliierten Rechte zum Erlöschen zu bringen. Dafür reicht bei der Schwierigkeit der rechtlichen Probleme, wie es alle Sachkundigen wissen, die Zeit in diesem Bundestag nicht mehr aus. Mit dieser Materie hat sich die Bundesregierung leider viel zu viel Zeit gelassen,
obwohl sie durch die Telefonaffäre hätte alarmiert werden müssen. Sinn und Zweck einer verantwortungsvollen Notstandsgesetzgebung ist doch nach übereinstimmender Auffassung aller Fraktionen die uneingeschränkte Ablösung aller alliierten Vorbehaltsrechte. Die SPD hat immer darauf bestanden, daß eine Gesamtablösung gesichert sein muß.
Damit ist der Punkt 7 unserer Kölner Entschließung nicht erfüllt.Meine Damen und Herren, die Sicherung der Pressefreiheit im Sinne des Punktes 3 jener Entschließung ist leider immer noch nicht in dem notwendigen Umfang gewährleistet. Es ist zwar gelungen, die Vorschläge der Bundesregierung über eine Pressezensur zu Fall zu bringen und eine Einschränkung der Pressefreiheit auf die Wiedergabe militärischer Nachrichten im Verteidigungsfalle oder bei äußerer Gefahr zu erreichen; die seit zwei Jahren ständig vertretene Forderung der SPD, die Rechtsstellung der Presse auch für diesen Fall durch eine klare gesetzliche Regelung zu fixieren, ist jedoch nicht erfüllt. Die Bundesregierung hat bis zum letzten Tag der bisherigen interfraktionellen Verhandlungen einen von ihr beratenen und beschlossenen Entwurf nicht vorgelegt. Nur die Verabschiedung eines ordnungsmäßig beratenen Gesetzes kann einem Mißbrauch vorbeugen.
Wegen der rechtlichen Problematik muß dann eben ein solches Gesetz so beschlossen sein, daß es gleichzeitig mit der entsprechenden Grundgesetzergänzung in Kraft tritt.Die im Kabinett beschlossene Vorlage entspricht den sozial-demokratischen Vorstellungen nicht. Der Vorschlag der Verhandlungskommission der SPD-Bundestagsfraktion, unter diesen Umständen jede Einschränkung des Art. 5 GG aus der Verfassungsänderung herauszunehmen, wurde von den anderen Fraktionen nicht akzeptiert, obwohl damit der Weg für eine spätere Lösung dieses Problems eröffnet gewesen wäre.Einigkeit zwischen den Fraktionen bestand darüber, daß im Falle eines äußeren Notstandes Dienstleistungen für die Sicherung der Verteidigung auch außerhalb der Bundeswehr erforderlich sind. Dabei muß aber die zivile Rechtsstellung der Arbeitnehner gesichert werden. Über die rechtliche Sicherung dieses Anspruchs konnte keine Einigung erzielt werden. Punkt 4 der Kölner Entschließung ist damit nicht erfüllt. Eine völlige Unterwerfung der Gesamtbevölkerung unter militärrechtsähnliche Dienstverhältnisse — wie es ja auch heute in der Rede des Kollegen Barzel durchklang — ist weder notwendig noch erträglich. Je freier Menschen wirken können, desto höher ist ihre produktive Leistung. Jedes Zwangsregime beweist die Richtigkeit dieses Ausspruches.
Nach den Bekundungen der Sachverständigen des Rechtsausschusses ist in dieser Legislaturperiode die ordnungsmäßige Beratung und Beschlußfassung zu diesen drei Komplexen nicht mehr möglich. Durch die erst Anfang Mai zustande gekommenen interfraktionellen Verhandlungen lassen sich die seit Jahren anstehenden Versäumnisse in den wenigen verbleibenden Beratungswochen des gegenwärtigen Bundestages nicht mehr aufholen.
Die Zeit reicht für eine sachgerechte Lösung deroben genannten Probleme nicht mehr aus. Die Er-
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9544 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Erlerklärung guter Absichten ist kein Ersatz für klare Gesetzestexte.
Bei der Bedeutung dieser Frage dürfen wir uns über die verständliche lebhafte Anteilnahme der Öffentlichkeit nicht wundern. Die Diskussion von Lebensfragen sollte von Emotionen frei sein, aber auch in Kenntnis der Tatsachen und nicht lediglich der überholten Texte geführt werden. Dann muß auch Zeit für eine gründliche Befassung mit diesen Texten sein. Dabei hat sogar der Bundestag selber ein schlechtes Beispiel gegeben, auch wenn Herr Kollege Benda dargelegt hat, daß er nicht daran schuld ist: erst vorgestern sind dem Hohen Hause die 38 Seiten des schriftlichen Berichts des Rechtsausschusses vorgelegt worden. Das ist keine angemessene Vorbereitung für eine Verfassungsänderung.
— Seit Jahren offenbar nicht; denn viele der Dinge, die Ihnen heute hier vorgelegt werden, sind Ihnen völlig neu und entstammen sozialdemokratischen Vorstellungen, die Sie vor wenigen Wochen noch erbittert bekämpft haben.
Deshalb wird es darauf ankommen, im Lichte der Erfahrungen im neuen Bundestag unverzüglich an die Arbeit zu gehen. Soweit bereits Übereinstimmung besteht, braucht man doch nicht noch einmal von vorn anzufangen.
Aber die interessierte und sachkundige Öffentlichkeit muß auch mit den Problemen und den Texten vertraut gemacht werden.
Vielleicht trägt die heutige Debatte und die der nächsten Woche dazu bei. Verfassungsrecht darf nicht aus dem Ärmel geschüttelt werden. Seine Bedeutung und seine Würde gebieten ordnungsgemäße, nicht überhastete Beratung im Parlament und in seinen Ausschüssen
— über völlig andere Texte haben Sie beraten — sowie die Teilnahme unseres politisch mündigen Volkes
an dieser verfassungspolitisch wichtigen Diskussion unter Vorlage der wirklich zu beschließenden Texte und nicht der längst überholten Vorlagen. Wenn es bei dieser Diskussion gelingt, den DGB von Vorlagen zu überzeugen, dann, finde ich, wäre das für unsere Demokratie eine gute Sache. Das sollte man nicht einfach leichtherzig abtun.
Helfen Sie uns dabei, statt mich hier zu beschimpfen, weil ich das in dieser Stunde versuche.
Das können Sie nämlich nicht mit Frontstellung gegen den DGB. Das können Sie nur tun, wenn Sie die zugrunde liegenden berechtigten Sorgen von den unberechtigten Emotionen scheiden. Dazu braucht man ein sachliches Gespräch und nicht eine Wahlkampfatmosphäre.
Die Gesetzgebung muß offen sein, Verfassungsgesetzgebung erst recht. Auch nur der Eindruck von Dunkelkammer und Hast können kein Vertrauen schaffen. Aber gerade dieses Vertrauen in unsere freiheitliche Rechtsordnung ist die unentbehrliche Grundlage dafür, daß unser Volk sie mit allen seinen Kräften auch und gerade in Zeiten der Not zu schützen gewillt ist.Deshalb müssen Einigungsbemühungen, die um der Sache willen unter Umständen in kleinerem Kreise unternommen werden mußten und weiterhin unternommen werden müssen, selbstverständlich in das normale Gesetzgebungsverfahren überleiten und vor endgültigen Beschlüssen des Parlaments Zeit für eine Teilnahme der interessierten Öffentlichkeit an der Diskussion etwa vorgesehener Regelungen einräumen. In dieser Legislaturperiode reichte die Zeit dafür nicht mehr aus.
Meine Damen und Herren, es tut mir leid, sagen zu müssen, daß manche Veröffentlichungen Berichterstattung und Schauerromane verwechseln. Manchmal greift das sogar über bis in Argumentationen in diesem Hause. Ich bin hier verpflichtet, eine Legende zu zerstören; ich tue es recht gern. Manch einer kann sich gar nicht vorstellen — offenbar durch das schlechte Beispiel in den eigenen Reihen angeregt —, daß es eine politische Partei gibt, deren leitende Männer nicht das Messer wetzen, um sich gegenseitig zu erdolchen, sondern die solidarisch eine von ihnen gemeinsam erarbeitete Politik tragen.
Die Entschließung von Saarbrücken vom 29. Mai 1965 ist von mir mit meinen engsten Mitarbeitern ausgearbeitet, Punkt für Punkt von mir durchformuliert und den Führungskörperschaften meiner Partei von mir vorgetragen und mit Begründung zur Annahme empfahlen worden. Sie brauchen also hier gar nicht auf irgendwelche inneren Zwistigkeiten zu setzen. Zu einem einzigen Punkt gab es zwei Gegenstimmen. Das Ganze wurde einstimmig verabschiedet.Als Teilnehmer der interfraktionellen Gespräche war mir angesichts der schwerwiegenden noch offenen und wegen mangelnder Vorarbeit in so kurzer Zeit nicht mehr lösbaren Probleme keine andere Haltung möglich. Sie ergibt sich aus der mehrfach bekräftigten, von mir mit durchgesetzten Haltung meiner Partei und ,aus dem Stande der Beratungen in diesem Hause. Wäre es anders — so wie manche
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9545
Erlervon Ihnen es für den Wahlkampf erhoffen —, dann würden wir nicht den verabschiedungsreifen Einzelgesetzen zustimmen und uns nicht ausdrücklich auch jetzt und hier zu der gemeinsamen Aufgabe bekennen, im Falle von Not und Gefahr alles für ihre Überwindung zu tun, den Menschen zu helfen und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen alle Gefahren zu schützen. Dazu gehört die Notwendigkeit, unser Grundgesetz und unsere sonstige Gesetzgebung entsprechend zu gestalten.Zur Zeit sind den drei ehemaligen Besatzungsmächten im Deutschlandvertrag immer noch relativ unbeschränkte Vollmachten vorbehalten, deren Ablösung durch deutsches Verfassungsrecht notwendig ist. Eine solche Ablösung liegt auch und gerade im Interesse der Arbeitnehmer und ihrer Organisationen,
die nach jetzigem Recht nicht vor einer Anwendung oder gar vor dem Mißbrauch dieser Befugnisse gegen ihre Intersessen geschützt sind.
Deshalb haben unsere Führungskörperschaften bedauert, daß durch die Versäumnisse der Bundesregierung in der Vorlage entscheidender Gesetzesvorhaben auch in dieser Wahlperiode die Ergänzung des Grundgesetzes nicht mehr möglich ist. Das bedeutet, 'daß infolge dieser Versäumnisse die seit 1955 zur Disposition des deutschen Gesetzgebers stehenden alliierten Vorbehaltsrechte und die damit verbundene Einschränkung der deutschen Souveränität erst im 5. Deutschen Bundestag abgelöst werden können.Die SPD ist weiterhin bereit, in gemeinsamer Verantwortung mit den anderen Fraktionen des Deutschen Bundestages an .der rechtlich einwandfreien abschließenden Lösung dieser Probleme mitzuwirken. Wir sind uns dabei bewußt, daß es auch nach der Wahl einer breiten Mehrheit bedarf, daß auch nach der Wahl ein Zusammenwirken der großen Parteien erforderlich ist und wir nicht etwa hier frei nach unserer Phantasie die Dinge gestalten können.
Deshalb wird das zwar ein Thema freier Aussprache sein, aber wegen der notwendigen Zusammenarbeit sollte diese Aussprache geführt werden frei von Wahlkampfhitze. Wer es als Wahlkampfmotto mißbraucht, stellt sein Parteiinteresse vor das Ganze.
Abschließend möchte ich Ihnen sagen, daß wir der den Anforderungen nicht gerecht werdenden Vorlage des Rechtsausschusses angesichts der bedauernswerten Lücken unsere Zustimmung nicht geben können.
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9546 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Die Möglichkeit zur Einschränkung der Grundrechte ging uns im Regierungsentwurf zu weit. Wir begrüßen daher, daß diese Ideen inzwischen während der Ausschußberatungen durch unsere entscheidende Mitbeteiligung beerdigt worden sind. Dabei muß festgestellt werden, daß das von uns bereits in der ersten Lesung geforderte Stoppzeichen in der Frage des Rechts zur Delegation der Grundrechtseinschränkung errichtet worden ist. Das sind nur einige Probleme, die ich in diesem Zusammenhang erwähnen will. Auf die Fragen der Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte, der Pressefreiheit, des Notverordnungsrechts und des Streikrechts komme ich noch an anderer Stelle zu sprechen.In der Diskussion vor allen Dingen außerhalb dieses Hauses ist nun eine Argumentation geführt worden, als ob die Verabschiedung des Notstandsgesetzes bereits der Beginn der Staatskrise wäre, als ob mit der Beratung und Verabschiedung dieses Gesetzes bereits das Ende der Demokratie in unserem Staate sichtbar geworden wäre. Meine Damen und Herren, der Eindruck mancher Diskussionen außerhalb dieses Hauses war, wir wollten die Demokratie mit der Sicherung der demokratischen Rechte auch für den Notstand abschaffen. Anstatt alle Kräfte einzusetzen, um diese demokratischen Rechte zu erhalten und zu sichern, ist man in demagogischerWeise gegen die Beratung und gegen die Zuständigkeiten der parlamentarischen Gremien angegangen. Nur Demokratien brauchen Notstandsgesetze. Alle anderen Staaten, vor allem Diktaturen, haben bereits den permanenten Notstand, so daß man in diesen Staaten über die hier anstehende Regelung der gesetzlichen Probleme natürlich nicht zu sprechen hat.
So möchte ich zum ersten Zitat kommen, einem Zitat des Professors Abendroth in seinem Buch „Der totale Notstandsstaat". Er hat hier ausgeführt:Das zentrale Problem der beabsichtigten Notstandsregelung ist, daß durch sie in unserem politischen System die gleichen transformatorischen Möglichkeiten, die gleichen Möglichkeiten der totalen Zerstörung der politischen Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit geschaffen werden.Meine Damen und Herren, das ist für mich eine völlig unbegreifliche Behauptung, die durch keinen Diskussionsbeitrag, ganz gleich von welchem Kollegen, bei der Beratung des Notstandsgesetzes hier in diesem Hause bisher begründet werden kann.So wundert man sich denn auch nicht, wenn man die politische und die geistige Verwandschaft des Herrn Professors Abendroth und des Herrn Otto Brenner kennt, daß Herr Brenner in seinem „Spiegel"-Gespräch — im „Spiegel" vom 9. Juni veröffentlicht — sagte, man solle nicht in einer Zeit, in der wir erst versuchen, die Demokratie zu festigen und auszubauen, durch Notstandsgesetze helfen, dieses Fundament der Demokratie zu zerstören. Meine Damen und Herren, mit einer solchen Auffassung wird das Vertrauen in das Parlament und in die parlamentarische Demokratie in einer Form in Mißkredit gebracht, die man nicht widerspruchslos hinnehmen kann.
Wir wollen eben auch in Notzeiten demokratische Zustände garantieren; deshalb unser Bemühen um eine gerechte und demokratische Regelung in dieser Frage.Selbst Professor Ridder von der Bonner Universität, der in seinem Buch „Notstandsrecht und Demokratie" mehrfach mit sehr heftigen kritischen Bemerkungen Einwände gegen die Beratung der Notstandsgesetzgebung erhoben hat — zum Teil sind diese Einwände auch sehr unsachlich —, kommt in der Schlußbemerkung dieses Buches immerhin zur Einsicht, indem er ausführt:Im Prinzip müssen wir uns darüber klar sein, daß man Freiheit nicht dadurch garantieren und vermehren kann, daß man sie verdünnt; vorübergehend kann es zwar in der Tat notwendig sein, den Raum der Freiheit einzuschränken.Hier geht es einfach darum, meine Damen und Herren, für eine begrenzte Zeit Einschränkungen hinzunehmen, um durch diese rechtlichen Einschränkungen die Freiheit auf die Dauer zu sichern.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9547
DornDas ist ein Kernproblem der ganzen Auseinandersetzung in der Beratung um dieses Gesetz.Nun taucht natürlich die Frage auf: Wer sichert die Freiheit und den Rechtsstaat, wo liegen die Zuständigkeit und die Verantwortung des Parlaments, und wenn das Parlament versagt, was geschieht dann?Meine Damen und Herren, würden wir dem folgen, was Herr Kollege Erler vorhin in einer Fülle von Punkten dargetan hat, könnte man eigentlich zu dem Ergebnis kommen, der Deutsche Bundestag habe versagt, zumindest alle Fraktionen außer der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Aber ich glaube nicht, daß man die Dinge so betrachten kann, daß man erklärt: Wir Sozialdemokraten haben bereits 1960, 1962 und 1964 gesagt, was wir wollten; wir haben damals zehn oder wer weiß wie viele Punkte aufgeführt, und wenn ihr diese Punkte nicht erfüllt habt, dann seid ihr schuld daran, daß diese Gesetzgebung nicht zustande kommen kann. Meine Damen und Herren, eine solch einseitige parteipolitische Begründung kann man doch hier im Ernst einfach nicht vortragen!
Gerade die Beratungen der Ausschüsse dieses Hauses und ihr Ergebnis haben gezeigt, daß die Grundrechte und die Rechtsstaatlichkeit durch die Beschlüsse der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion garantiert bleiben. Gerade wir Freien Demokraten fühlen uns hier angesprochen; über unsere von der ersten Lesung bis zum heutigen Tage klare Haltung, Herr Erler, hat zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Sachfrage der Notstandsberatung in diesem Hause ein Zweifel bestanden. Es war stets klar, wie wir Freien Demokraten uns verhalten würden, auch wenn wir die Dinge manchmal nicht so lautstark draußen verkündet haben, wie es Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen laut „Frankfurter Rundschau" getan hat, als er nach einem dieser interfraktionellen Gespräche sagte: „Heute nacht haben wir eine Schlacht für Freiheit und Recht geschlagen!"
Wenn wir diese Auseinandersetzungen etwas weniger mit großen Worten als vielmehr in der Sache mehr zur Diskussion bereit geführt hätten, wären sie vielleicht nicht so früh abgebrochen worden.
— Bitte schön, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen.
Wollen Sie damit sagen, daß wir ,in der Sache nicht bereit waren, in allen Fragen immer wieder zu verhandeln?
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, von Ihnen sind in der Sache während der Verhandlungen immer wieder neue Sachen auf den Tisch gelegt worden, die bis zum Tage vor der letzten Verhandlung als Sachdiskussion kaum sichtbar gewesen sind.
— Herr Kollege Matthöfer, ich denke hier weniger an den Ausschuß als an die linterfraktionellen Gespräche, die 'wir zum Schluß geführt haben.
— Wissen Sie, der Zuruf ist so, daß ich lieber nicht darauf eingehen möchte, — in Ihrem eigenen Interesse.
Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch ein kritisches Wort über die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung sagen. Was geschah seit der Einbringung der Gesetze, um die Bevölkerung, wie das in anderen Ländern — ich denke an die Schweiz, die Vereinigten Staaten von Amerika und Schweden — geschehen ist, über die Rechte und Pflichten aufzuklären, die durch die Notstandsgesetzgebung auf den einzelnen zukommen?
Herr Abgeordneter gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, daß gerade durch die berühmte Aktentaschen-Geschichte in der Bevölkerung in dieser Frage sehr viel Porzellan zerschlagen worden Ist?
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, ich beschäftige mich gerade mit dieser Frage, und über die Notwendigkeit einer Öffentlichkeitsarbeit der 'Bundesregierung werde ich ja jetzt einiges sagen, auch darüber, daß sie leider nicht erfolgt Ist.Es muß in aller Offenheit festgestellt werden, daß das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 'in dieser Frage trotz des großen zur Verfügung stehenden Apparats völlig versagt hat. So verständlich es ist, daß die Regierung nicht mit vollem Herzen hinter dem stand, was die Parlamentsausschüsse aus den Regierungsvorlagen machten, so bleibt trotzdem die Verpflichtung der Aufklärung für die Bundesregierung auch in 'dieser Frage.
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9548 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Auch das hätte zu einer vernünftigen Aufklärungsarbeit der Bundesregierung gehört.Lassen Sie mich nun etwas zu der Demagogie sagen, mit der die Gegner dieses Gesetzes in der Öffentlichkeit gearbeitet haben. Die Gegner der Notstandsgesetzgebung waren viel weniger pingelig in der Wahl ihrer Mittel, die Parlamentarier und die Fraktionen anzugreifen.
Dabei muß festgestellt werden, daß in vielen Fällen mangelnde Sachkenntnis durch Lautstärke ersetzt worden ist.
Als Beispiel dafür darf ich einiges vortragen.Vor mir liegt ein Flugblatt als Einladung zu einer Großkundgebung zu dem Thema „Notstand — Staatsstreich von oben", die am 21. Mai 1965 in Marburg stattfand. Referenten waren der wissenschaftliche Assistent der Universität Darmstadt, Herr Seifert, Heinrich Otjem vom Hauptvorstand der IG-Chemie und der SPD-Landtagsabgeordnete Pless. Einladende waren die Gewerkschaft ÖTV, die DGB-Jugend, der DGB-Frauenausschuß, die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands und eine Reihe von studentischen Hochschulgruppen.
— Unter anderem auch der Liberale Studentenbund, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, von dem wir Freien Demokraten uns — im Gegensatz zu den Sozialdemokraten — getrennt und mit dem wir die Zusammenarbeit vor vierzehn Tagen eingestellt haben, weil an der Spitze einer großen Anzahl von Hochschulgruppen des Liberalen Studentenbundes — so liberal ist er — sozialdemokratische Parteimitglieder standen.
Aber, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, um den Katalog zu vervollständigen, nachdem Sie schon eine Gruppe genannt haben, darf ich sagen, daß zu den Einladern selbstverständlich auch der Sozialdemokratische Hochschulbund, der Sozialistische Studentenbund und andere Ihnen nahestehende Gruppen gehörten. Aber das entscheidende ist ja, was in einem solchen Flugblatt steht, mit dem man zu einer derartigen Veranstaltung einlädt. Da heißt es expressis verbis:Notstand — das bedeutet: Sie dürfen nicht mehr sagen, was Sie meinen. Ihre Zeitung wird zensiert. Sie dürfen ausländische und bestimmte deutsche Sender nicht mehr abhören. Der Lehrstoff wird Schulen und Universitäten diktiert. Ihr Auto wird beschlagnahmt. Sie bekommen wieder Lebensmittelkarten. Streik 'wird bestraft. Sie werden der uneingeschränkten Kommandogewalt des Arbeitgebers unterstellt. Der Staat wird Ihnen vorschreiben, welchem Verein Sie angehören und an welchen Versammlungen Sie teilnehmen müssen. Wahlen werden abgeschafft.Meine Damen und Herren, wer so argumentiert, auch wenn er Parlamentarier der Sozialdemokratischen Partei ist, verliert jede Glaubwürdigkeit, daß es ihm um die Demokratie gehe.
— Lassen Sie es mich noch 'deutlicher sagen, Herr Erler: Diese Demagogie ist die Sprache des Dr. Goebbels.
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Dorn— Herr Kollege Ritzel, ich weiß nicht, ob wir beide uns jetzt darüber unterhalten sollten.
Man kann, wenn man Herrn Sebastian Haffner im „Stern" folgt, auch noch eine andere Argumentation heraushören. Er erklärte in seinem Artikel vom 6. Juni:Die Professoren und die Gewerkschaften mögen sich heiser protestieren, dafür haben unsere neuen von Papens und Schleichers nur noch ein sattes Lächeln. Das Parlament, die Länder, selbst die Partei- und Fraktionsmitglieder sind verstummt, sie haben abgedankt. Die Presse ist mit der Königin von England beschäftigt. Eine kleine Handvoll Männer ... entscheiden nach rein partei- und personalpolitischen Gesichtspunkten unter Ausschluß der Öffentlichkeit so ganz nebenbei das Schicksal Deutschlands. Der Bundesbürger ist wieder ein reines Objekt geworden, mit dem man verfahren wird, wie Börsenmakler mit einem Aktienpaket verfahren. Wer ihn morgen regieren wird — und zwar schrankenlos ... regieren wird —, hängt nicht mehr von ihm ab, sondern von Konspirationen und Intrigen eines winzigen Klüngels, in die er keinen Einblick und auf die er keinen Einfluß hat. Es ist wieder 1932.Das, meine Damen und Herren, ist eine andereStimme in der Auseinandersetzung, um die es unsgeht. Man kann nur sagen, Sebastian Haffner hatkeine Ahnung von der Sache, um die es geht, keine Ahnung von der Vielzahl der Beratungen in diesem Hause, in meiner Fraktion und in meinem Arbeitskreis. Ich darf ihm an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Bei uns ist niemand verstummt. Wir haben unsere freiheitlichen Vorstellungen ins Gesetz gebracht und unsere Konzeption während der Ausschußberatungen durchsetzen können.
Oder ich darf zwei Professoren zitieren, die ebenfalls während einer Veranstaltung von Bonner Studentengruppen hier vor wenigen Tagen auftraten. Professor Maihof er von der Universität Saarbrücken sagte, der Feind der freiheitlichen Demokratie stehe heute weder links noch rechts, sondern in der Mitte; es seien jene halben Demokraten und halben Autokraten, von denen man in einer Krise nicht erwarten könne, daß sie die Errungenschaften unserer freiheitlichen Demokratie entschlossen verteidigen würden.Meine Damen und Herren, wir würden uns freuen, wenn es wirklich um den Bestand dieser Demokratie geht, Herrn Professor Maihofer in Deutschland und auf unserer Seite zu sehen.
Insoweit haben wir es begrüßt, daß sich — insofern folge ich Herrn Erler — vielleicht etwas spät — aber nicht zu spät, Herr Kollege Erler! — die Fraktionen zu interfraktionellen Gesprächen zusammengefunden haben. Um vier Dinge ging es zum Schluß noch, die von meinen beiden Vorrednern behandelt worden sind.Lassen Sie mich als ersten dieser vier Punkte das Problem der Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte vortragen. Um die Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte hat es manche heiße Diskussion gegeben, wobei die Frage eine Rolle spielte, ob, wie die SPD es verlangte, alle Vorbehaltsrechte auf einmal — auch die der Post- und Telefonkontrolle — abgelöst werden können und unter welchen Voraussetzungen dies erreichbar ist. Die SPD hat in ihrer Erklärung vom 29. Mai dazu Stellung genommen. Aber ganz im Gegensatz zu dieser Stellungnahme steht hier wiederum die Erklärung des Vorsitzenden der IG Metall, Otto Brenner. Otto Brenner erklärt in dem „Spiegel"-Gespräch: „Durch die alliierten Vorbehaltsrechte wäre auch in Fällen äußerer Gefahr ausreichender Schutz vorhanden." Ich komme — im Gegensatz zu Herrn Erler — zu der Folgerung aus diesem Satz, daß durch diese Äußerung klar wird, daß der Vorsitzende der IG Metall im Notstand die Kommandogewalt lieber den alliierten Generalen überläßt, als das demokratisch gewählte Parlament tätig bleiben zu lassen.
Auch die Rechtsauffassung, die von Professor Ridder in der „Frankfurter Rundschau" vorgetragen wird — für den äußeren Notstand seien die alliierten Vorbehaltsrechte durch die bundesdeutsche Wehrverfassung bereits abgelöst —, gewinnt durch mehrmalige Wiederholung nichts an Wahrheitsgehalt; sie geht einfach an den Tatsachen vorbei.
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9550 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Dorn— Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, ich habe Ihnen Gelegenheit gegeben, einige Zwischenfragen zu stellen. Ich glaube, es ist, um den Ablauf der Sitzung zu beschleunigen, besser, wenn wir jetzt unsere Meinung vortragen. Sie haben selbstverständlich Gelegenheit, im Verlauf der weiteren Diskussion ihre Auffassung vorzutragen.
Die Gegner der Notstandsgesetze werden mit Sicherheit den Beschluß der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion dieser Legislaturperiode, dieser Regelung nicht mehr zuzustimmen, begrüßen. Ich bin aber der Meinung, daß eine Situation eingetreten ist, die uns auf unbestimmte Zeit die alliierten Vorbehaltsrechte beläßt. Die Alternative, die draußen vielfach völlig falsch dargestellt wird, lautet ja nicht „Notstandsrecht oder Rechtsstaat", sondern die Alternative lautet: Notstandsrecht in der Form der Durchführung der Alliierten oder Notstandsrecht so, wie wir es uns in einer freiheitlichen Demokratie vorstellen.
„Wir waren immer bereit, unseren Anteil zur Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte zu leisten," hat Herr Erler vorhin gesagt. Aber, Herr Erler, so ganz bis in die letzte Konsequenz stimmt das doch nicht. Die stufenweise Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte — der allgemeinen Vorbehaltsrechte—wäre möglich gewesen, wenn wir heute dieser Vorlage unsere Zustimmung gäben.
Darüber gibt es keinen Zweifel. Sie haben immer „alles oder nichts" verlangt. Mit einer solchen Forderung wird man in der politischen Auseinandersetzung bei einer so schwierigen Materie leider manchmal nicht zum Zuge kommen.
Wir Freien Demokraten halten 20 Jahre nach Kriegsende die Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte und die Einführung einer deutschen Gesetzgebung auch für den Fall des Notstands für nicht mehr länger aufschiebbar. Wenn eine Zustimmung der Alliierten für die Ablösung aller Vorbehaltsrechte nicht erreichbar ist, so liegt es in unserem Interesse, auf jeden Fall eine demokratische und rechtsstaatliche Notstandsverfassung für diejenigen Bereiche zu schaffen, für die die Alliierten zustimmen. Keinesfalls sind wir Freien Demokraten bereit, für die Ablösung von Vorbehaltsrechten Grundsätze unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung zu opfern. Aber wenn es darum geht, so viel wie möglich Gesetzgebungszuständigkeit auch für den Fall des Notstands in unsere Hände zurückzugewinnen, darf es keine Politik des „Alles oder nichts" geben.
Lassen Sie mich nun zur Frage der Pressefreiheit kommen. In der Frage der Pressefreiheit haben wir Freien Demokraten von jeher die Auffassung vertreten, daß die Pressefreiheit auch nicht im Zeitraum des äußeren Notstands eingeschränkt werden darf. Die einzige Einschränkungsmöglichkeit, die wir akzeptieren und die auch in dem nunmehr vorliegenden Entwurf vorhanden ist, bezieht sich auf die Übermittlung von Nachrichten über militärische Truppenbewegungen im äußeren Notstand. Einer solchen Regelung stimmt auch der Deutsche Presserat zu. Wir werden keiner Regelung unsere Zustimmung geben, in der die Pressefreiheit über diese Ausnahmebestimmung hinaus eingeschränkt wird oder aber eine Einschränkung für die Spannungszeit vorgesehen ist.
Insoweit sind wir der Auffassung, daß die Argumentation der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, die der Kollege Erler gegen diese im Gesetzentwurf nunmehr vorgesehene Regelung vorgetragen hat, nicht stichhaltig ist; denn durch diese Verfassungsbestimmung ist der Mißbrauch, den er vorhin darzustellen versuchte, einfach unmöglich geworden.
Zum Notverordnungsrecht haben wir bereits in der ersten Lesung keinen Zweifel daran gelassen, daß der Erlaß von Notverordnungen nur die organisatorischen Voraussetzungen für die Durchführung der Gesetze zu schaffen hat; wir waren nicht bereit, Gesetze durch Notverordnungen zu ersetzen. So habe ich bereits in der ersten Lesung den Bundesinnenminister, als er den Erlaß von Notverordnungen zur •Conditio sine qua non erklärte, darauf hingewiesen, daß er die Unabdingbarkeit dieser Forderung einer ernsthaften Überprüfung unterziehen sollte. Wir begrüßen es daher, daß der Fraktionsvorsitzende der CDU auch auf unseren Wunsch die Erklärung abgegeben hat, daß das Notverordnungsrecht nicht mehr Bestandteil der neuen Regelung sein wird.Die Frage des Streikrechts war das dritte Problem, das in der Auseinandersetzung hier bis zum Schluß, bis in die interfraktionellen Besprechungen hinein, eine große Rolle gespielt hat. Zu dieser Frage haben wir zu sagen: wir sind davon überzeugt, daß ein großer Teil der Arbeitnehmer für unsere bereits in der ersten Lesung dargetane Auffassung Verständnis hat, daß für die Dauer des äußeren Notstandes, d. h. für die Dauer des Krieges, der militärischen Auseinandersetzung, das Streikrecht ruhen sollte. Wir wollen das Streikrecht nicht abschaffen. Wir halten es aber nicht für vertretbar, das 'Streikrecht auch noch für eine Zeit zu statuieren, in der besondere Verpflichtungen für jeden einzelnen in unserem Volk denkbar sind und Wirklichkeit werden. Wir müssen bei einer gesetzlichen Regelung dieses Problems auch berücksichtigen, daß wir nicht nur die augenblickliche wirtschafts- und sozialpolitische und politische Situation in der Bundesrepublik zu beurteilen haben; wir müssen vielmehr auch an mögliche Krisenzeiten denken.Nun ist heute morgen und auch in der Presse der letzten Tage immer wieder die Frage aufgeklungen, ob das Nein der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion mit einem Druck von außen, mit einem Druck, den der Gewerkschaftsbund auf die SPD-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9551
DornFraktion ausgeübt hat, in Übereinstimmung zu sehen sei. Ohne Zweifel ist in den letzten Wochen und Monaten durch die Gewerkschaftskreise ein erheblicher Druck auf die Vorstellungen der SPD ausgeübt worden. Wenn man daran denkt, daß rund 160 Abgeordnete der SPD-Fraktion gewerkschaftlich organisiert sind, kann man sich vorstellen, daß hier auch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion vor einer schwierigen Entscheidung stand. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß auch die SPD-Abgeordneten nur ihrem Gewissen verpflichtet und an Aufträge des DGB nicht gebunden sind.In diesem Zusammenhang ist es interessant, eine Reihe von Stellungnahmen außerparlamentarischer Kreise bekanntzugeben. Der DGB hat am 3. Juni dieses Jahres an .die Abgeordneten dieses Hauses geschrieben:Der DGB und die in ,ihm zusammengeschlossenen Industriegewerkschaften lehnen jede gesetzliche Regelung des Notstandes eindeutig ab. Aus der Sorge um die freiheitliche demokratische Substanz unserer staatlichen Ordnung und zum Schutz unserer Demokratie wurde dieser Beschluß gefaßt.Wer das so schreibt, hat entweder das, was jetzt beschlossen werden soll, nicht gelesen, oder er ist nicht in der Lager es richtig zu interpretieren.Der Gewerkschaftliche Arbeitskreis an der Münchner Universität hat an den DGB appelliert, er sollte zu Warnstreiks gegen die Notstandsgesetzgebung aufrufen. Für den Fall, daß die SPD den Gesetzen in der vom DGB abgelehnten Form zustimme, sollte der DGB zur Wahlenthaltung aufrufen und schärfste Kampfmaßnahmen ergreifen. Gewerkschaftlich organisierte Bundestagsabgeordnete, die, so heißt es weiter, für die Notstandsgesetze, gleich welcher Form, stimmten, verstießen gegen die Beschlüsse der Gewerkschaftstage und verhielten sich damit gewerkschaftsfeindlich. Natürlich wird am Schluß einer solchen Feststellung ganz zwangsläufig der Ausschluß aus der Gewerkschaft stehen. Das sagen diejenigen, die auf der anderen Seite immer für die freie Meinungsäußerung, auch im Notstand, eintreten.
Aber Herr Brenner hat, nachdem die SPD ihr Nein sichtbar machte, erklärt: Nachdem jetzt eine neue Situation eingetreten ist, glaube ich, daß eine zentrale Großaktion nicht mehr notwendig ist. Damit ist also sehr deutlich der innere Zusammenhang spürbar. Herr Brenner sagt dann im nächsten Absatz gleich weiter: „Wenn wieder Gefahr im Verzuge ist, werden wir uns erneut mit der Frage beschäftigen müssen. Aber" — das ist auch nicht ganz uninteressant — „warten wir erst einmal ab, wie der nächste Bundestag aussehen wird!"Lassen Sie mich in diesem Bereich ein letztes Zitat bringen. Der SPD-Stadtverordnete Paul Arnold, gleichzeitig DGB-Vorsitzender von Wuppertal, erklärte in der Delegiertenversammlung seines Verbandes am 12. Juni:Dem Notstandsgesetz, so wie es Höcherl vorgelegt hat, wird der DGB niemals zustimmen. Undman muß wissen, daß ein Notstandsgesetz ohne die Zustimmung des DGB nie zustande kommen wird.
Meine Damen und Herren, angesichts solch klarer Äußerungen — von Vorsitzenden des DGB bis zu Kreisvorsitzenden — darf man sich nicht wundern, daß in der Öffentlichkeit nunmehr der Anschein von einem Druck auf die SPD erweckt worden ist.Die Frage ist also: Was will die sozialdemokratische Bundestagsfraktion mit ihrem Nein bezwecken? Herr Erler sagt, sie wolle nach der Bundestagswahl — selbstverständlich unabhängig von Einflüssen der Gewerkschaften und anderer außerparlamentarischer Gruppen — ihre Entscheidung treffen.Es taucht natürlich auch die Frage auf, die in „Christ und Welt" vom 4. Juni und im „Kölner Stadtanzeiger" vom 31. Mai anklang und die nicht ganz ohne Interesse ist. „Christ und Welt" schreibt:Die SPD spielt ihren Gegnern das Argument in die Hand, daß eine diesem Druck gegenüber nachgiebige SPD sich erst recht, sollte sie im Besitz der Regierungsverantwortung sein, Einflüssen extremer Gewerkschaftskreise beugen würde.Der „Kölner Stadtanzeiger" schreibt:Es liegt der Verdacht nahe: Brandt und die Seinen sagen nur deshalb nein, um nach dem Wahltag ihr Ja teuer zu verkaufen. Das wäre beispielsweise eine hübsche Mitgift für eine große Koalition.
— Ich darf gleich die Antwort darauf geben: Wir Freien Demokraten, meine Damen und Herren, denken nicht daran, uns in der Beurteilung der Notwendigkeiten unseres politischen Handels durch Opportunitätsüberlegungen beeinflussen zu lassen.
— Wir, Herr Kollege Wehner, haben das in diesem Haus mehrfach unter Beweis gestellt.
Als nämlich Sie, Herr Kollege Wehner, zu dem Zeitpunkt, wo die fünf FDP-Minister aus dem Kabinett ausschieden, um auf diese Weise den Rücktritt des Herrn Strauß zu erzwingen, hatten Sie mit den Christlichen Demokraten über die Bildung einer schwarzroten Koalition verhandelt.
Sie haben es gerade nötig, über Opportunitätsüberlegungen in diesem Hause zu reden!
— Aber Herr Kollege Wehner, es gibt außer Ihnen auch noch einige Leute in diesem Hause, die etwas wissen. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis.
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9552 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
DornLassen Sie mich zum Schluß kommen.
Ich kann verstehen, daß Ihnen das unangenehm ist, Herr Kollege Wehner,
und die Nervosität des Kollegen Erler war ja deutlich spürbar, als er heute nach so langem Anlauf das Nein begründen mußte. Es ist ihm eigentlich auch sehr wenig überzeugend gelungen.
Wo immer die Freiheit bedroht ist, hat der politische Liberalismus eine kämpferische Aufgabe.
Diese Aufgabe, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, haben wir auch und gerade bei der Beratung dieses Gesetzes wahrgenommen. Sonst würde das Gesetz nicht so aussehen, wie es uns jetzt annehmbar erscheint.
Wir lassen uns in der Verteidigung von Recht und Freiheit in diesem Hause und außerhalb des Hauses von niemandem übertreffen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister ,des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Erler, wer Ihre Rede heute gehört hat, mußte auf langen Strecken der Meinung sein, Sie hätten sich eines Besseren besonnen. Solche herben Worte, wie Sie sie für die alliierten Vorbehalte, für diesen „Rechtsmakel" gefunden haben, sind selbst aus anderen Bezirken nicht gekommen. Dasselbe gilt, wenn ich Ihnen vielleicht ein Zitat des „Vorwärts" in Erinnerung rufen darf,
vom 2. 6. 1.965, ganz frisch und neu. Herr Wehner, es heißt da:Zur Zeit haben wir die schlechteste Notstandsverfassung, die denkbar schlechteste, nämlich die für den entsprechenden Notfall im Deutschlandvertrag verankerten unbeschränkten Notstandsvollmachten, die sich die ehemaligen Besatzungsmächte vorbehalten haben und die einer Diktaturbefugnis gleichkommen. Diese Befugnisse müssen durch deutsches Verfassungsrecht abgelöst und zum Erlöschen gebracht werden.Das steht im „Vorwärts", und dem Sinne nach, HerrErler, haben Sie heute genau dasselbe wiederholt,und jeder mußte erwarten, daß Sie zu einer anderenEntscheidung kommen würden. Kurz vor Schluß kam dann das berühmte Nein.
Ich gebe Ihnen auch zu, Herr Kollege Erler, daß Sie seit Jahr und Tag große Anstrengungen gemacht haben, Anstrengungen bei den Gewerkschaften, obwohl es bei der Notstandsfrage keineswegs nur eine Gewerkschaftsfrage gibt, sondern ich bin der Meinung: Das ist eine Frage des ganzen Volkes, das ist eine Frage der 20 Millionen nichtorganisierten Arbeitnehmer, das ist eine Frage aller Stände. Ich halte es nicht für angemessen und nicht dem Gegenstand entsprechend, das zu einer Frage der Gewerkschaft und des Parlaments zu machen. Sie haben große Anstrengungen gemacht, und ich bin sogar überzeugt, daß eine ganze Reihe von Ihnen — ich glaube, das auch belegen zu können — eine andere Entscheidung gewollt haben. Sie haben es nur nicht geschafft, und es sind Spekulationen darüber möglich, aus welchen Gründen Sie es nicht geschafft haben. Ich erwarte von Ihnen nicht ein Geständnis, daß Sie ferngesteuert und daß Sie eben des Widerstandes vor allem extremer Gewerkschaftskreise — es sind ja gar nicht alle, die sich diesem Vorhaben entgegenstellten — nicht Herr geworden sind. Das werden Sie nie zugeben. Es hätte auch sein können, daß eine ganze Reihe von Fraktionsangehörigen Ihnen auf diesem Wege nicht gefolgt wären. Das hätte auch sein können.
— Herr Wehner, es ist Ihnen unangenehm.
— Nein, Herr Wehner, es ist unangenehm, daß Sie genau zu diesem Zeitpunkt vor aller Öffentlichkeit zugeben müssen, daß Sie nicht frei sind, daß Sie nicht unabhängig sind, daß Sie einen Klotz am Bein haben und daß Sie nicht so entscheiden können, wie Sie vielleicht wollten.
Meine Damen und Herren, dabei stehe ich nicht an, Ihnen zuzugeben und zu bestätigen, daß Sie im Verlaufe der Verhandlungen entscheidende Beiträge geleistet haben, daß Sie mit großem Ernst an die Sache herangegangen sind. Aber Sie sind eben nicht stark genug, um so etwas durchzuführen. Und Sie wollen an die Regierung, meine Damen und Herren!
Aber wer an die Regierung will, muß auch in der Lage sein, unpopuläre, aber notwendige Maßnahmen durchzuführen, und dazu sind Sie nicht in der Lage.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf ich doch noch etwas auf die Bemerkungen eingehen, die Sie, Herr Kollege Erler, vorgetragen
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9553
Bundesminister Höcherlhaben. Ich glaube, es ist notwendig, Fakten zu berichtigen, weil auch der oratorische Glanz die Dinge nicht kompensieren kann, wenn sie faktisch nicht ganz in Ordnung sind. Ich darf einige Bemerkungen herausgreifen. Sie haben eingangs davon gesprochen, daß niemand vor äußeren Gefahren geschützt ist — das ist richtig —, daß diese äußere Gefahr aber nicht unmittelbar bevorsteht. Wer weiß das? Niemand weiß das! Wir sind so ver- strickt in ein großes Weltgeschehen, und alle Ereignisse, die sich irgendwo in einem Zipfel der Welt abspielen, sind ebenfalls Gegenstand unseres eigenen Schicksals. Wir können also nicht sagen „heute oder morgen", sondern wir sind vor keiner Überraschung sicher, vor allem nicht in diesem Bereich.Aber Sie haben eines vergessen: Sie haben vergessen, daß es auch innere Notstände geben kann. Sie müssen durchaus nicht den Charakter haben, der in der Weimarer Republik — bei ihrer Entstehung und ihrem Ende — sichtbar geworden ist; sie können einen ganz anderen Charakter haben. Und auch dafür muß Vorsorge getroffen werden.Ich gebe Ihnen recht, daß zur Vorsorge und zum Vorbeugen keineswegs immer nur Gesetze notwendig sind. Die Gesetze sind ein spezielles Instrument für solche Dinge, aber nicht für alle. Andere sind mit bestehenden Gesetzen in Angriff genommen worden, andere sind pragmatisch und faktisch gelöst worden.Ich muß in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß bei den Vorbereitungen, die schon bis auf das Jahr 1955 zurückgehen, nicht nur Gesetzentwürfe, sondern viele andere Maßnahmen, nicht zuletzt auch militärische Übungen und Planspiele eine Rolle gespielt haben, um praktisch zu zeigen, in welchem Rechtsmangel wir uns befinden und wie er ausgeglichen werden muß.Nun haben Sie im Rahmen Ihrer Ausführungen wieder die berühmte Telefonaffäre angesprochen. Herr Kollege Erler, ich muß Sie dringend bitten, daß Sie im Interesse der Wahrheit von dem Ergebnis Kenntnis nehmen, daß die hochnotpeinliche Untersuchung ergeben hat: daß kein einziger Mißbrauch festgestellt worden ist. Ich verwahre mich dagegen, daß fortgesetzt mit allgemeinen Formulierungen, die nun in ihrer Form verdachtweise ausdeutungsfähig gemacht werden sollen, Behauptungen aufgestellt werden, die einem Ergebnis widersprechen, dem Sie selber zugestimmt haben.
Sie haben darauf hingewiesen, Herr Kollege Erler, daß in einigen Zuschriften in der Presse — auch ich habe sie gelesen —, davon die Rede war, daß es unter uns — ich möchte einmal sagen — Bürger gibt, die in die alliierten Vorbehaltsrechte ein größeres Vertrauen setzen. Ein solcher politischer Masochismus, meine Damen und Herren, scheint für mich überhaupt völlig indiskutabel.Was die Frage der Wahlparolen betrifft, Herr Kollege Erler: Unser gesamtes Verhalten, unsere gesamten Leistungen vom ersten bis zum letzten Tage dieser Legislaturperiode bis hinein in die Vergangenheit — ich denke an die vielen Irrfahrten, die Sie bis zum Godesberger Programm und bis zum 30. Juni 1960 gemacht haben —, all das unterliegt der Beurteilung des Wählers und seinen politischen Konsequenzen, — auch dieser Fall. Wohin kämen wir denn, wenn wir auch diesen Fall aus dem Wahlkampf und aus dem Wahlgespräch herausnehmen wollten?!
— Das ist Ihnen peinlich, ich verstehe das schon, aber das sind Vorgänge. Wir werden das schon in einer ordentlichen, korrekten und den Tatsachen entsprechenden Weise — —
— Das kann ich sehr wohl Herr Mattick, aber es ist Ihnen peinlich — das verstehe ich —, weil Sie eine Schwäche gezeigt haben.
Das wird heute vom Volk nicht verstanden undwird auch hoffentlich vom Volk abgelehnt werden.
— Ich komme auf diese Vorlagen zu sprechen.
— Nein, nein, auch hier zitieren Sie falsch, Herr Wehner.
Fortentwickeln ist eine bedeutende schöpferische Leistung.Aber nun zur Sache! Sie haben davon gesprochen— und das ist richtig —, daß psychologische Hypotheken bestehen, die auch damals bei dem Verteidigungsbeitrag, bei der Einführung der Bundeswehr und ihrer rechtlichen Ordnung eine Rolle gespielt haben, psychologische Hypotheken aus der Zeit von 1933 bis 1945. Aber es geht nicht an, hier die Zeit von 1918/19 bis 1933 zu übersehen. Damals war es so, meine Damen und Herren, daß die Demokratie, die ein besseres Schicksal verdient hätte, im Stich gelassen worden ist.
— Ja, sie ist im Stich gelassen worden. Ich darf vielleicht einige Beispiele aus dem Jahre 1930 herausgreifen, etwa den Sturz des Kabinetts Müller und all das, was sich angesichts der Lage daran anschließen mußte. Das ist einer der Vorgänge; der Kollege Barzel hat andere Beispiele — klassische Zitate Ihrer Leute, Ihrer damals führenden Leute aus in-
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9554 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Bundesminister Höcherltimster Kenntnis und bitterster Erfahrung — hier auf den Tisch gelegt.
Es muß unser gemeinsamer Entschluß sein, daraus zu lernen, und unser Grundgesetz hat daraus auch ganz entscheidende Konsequenzen gezogen.
— Wollen Sie hier eine Sippenhaft einführen?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Grundgesetz hat sehr bemerkswerte Konsequenzen aus den bitteren Erfahrungen der Weimarer Zeit gezogen. Es hat u. a. in Art. 18, der viel zu wenig zitiert wird, bestimmt, daß Grundgesetze verwirkt werden können, wenn damit ein Mißbrauch getrieben wird oder der Kampf gegen die demokratische Grundordnung geführt wird. Durch ein Gerichtsurteil können jemandem diese Grundgesetze abgesprochen werden. So weit, meine Damen und Herren, geht das Grundgesetz.
Grundrechte, jawohl!Nun kommt ein interessantes Kapitel aus der Rede des Herrn Kollegen Erler. Er geht bis zum Parteitag von Hannover zurück. Ungefähr vom „hohen Olymp" der Sperrminorität herab werden nun Sätze verkündet, die jetzt in drei oder vier Ausgaben vorliegen.
Wenn man die Hannoversche Ausgabe, die Kölner Ausgabe, die Karlsruher Ausgabe und dann die Ausgabe von Saarbrücken miteinander vergleicht, stellt man fest, daß immer etwas mehr dazugelegt ist. Es werden immer wieder Gründe und neue Einwendungen nachgeschoben, so daß man allein nach diesem Studium schon sagen muß: vielleicht war der Ernst, den Sie gelegentlich an den Tag gelegt haben, doch nicht so ernst gemeint. Das Ergebnis spricht eigentlich dafür, wenn man das rückschauend betrachtet.
Herr Kollege Dorn hat Ihnen schon einwandfrei nachgewiesen, daß allen Ihren Forderungen — soweit sie sich unmittelbar auf die Verfassungsergänzung beziehen — entsprochen worden ist. Ich darf sagen: Es gibt keinen einzigen Fall, in dem eine Frage wirklich offengeblieben wäre. Im übrigen darf ich Ihnen folgendes sagen. Herr Kollege Erler, wir haben uns in vier Gipfelgesprächen oder Spitzengesprächen von je drei bis vier Stunden zusammengesetzt und Zweifelsfragen besprochen, geklärt und materiell vereinbart. Herr Kollege Erler, was halten Sie davon, wenn ich sage: Viermal setzt man sich zusammen in der Absicht und — wenn Worte überhaupt einen Sinn haben — mit dem Zweck, zu einer Einigung zu kommen? Diese viermaligen Sitzungen haben in einem sehr guten Klima stattgefunden und haben in schwierigsten Fragen, vor allem durch die Vermittlungsleistungen des Kollegen Barzel, Einigungen herbeigeführt, die für die Regierung ganz und gar nicht so einfach waren, die aber immerhin am Schluß ein Klima erzeugt haben, daß jeder von uns sagen mußte: Wir haben diese. große Arbeit in einer Gemeinschaftslösung erledigen können. Ich war der Meinung, Herr Kollege Wehner, daß Ihre Rede vom 30. Juni 1960 von Bestand wäre und diese Frage zu den Themen gehörte, die man national und gemeinsam hier erledigen könnte.
Aber ich habe mich getäuscht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen?
Nein, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, ich bitte Sie, noch etwas zu warten. .Sie haben in der weiteren Diskussion Gelegenheit, sich zu äußern.
— Nein, nein, lassen Sie mich bloß diesen Gedankengang noch zu Ende führen.
Wer sich in dieser Besetzung und bei diesem Klima und bei einer beschlossenen Geheimhaltung — die nur einmal nicht korrekt befolgt worden ist — an diesen Tisch setzt, der muß das, wenn Worte einen 'Sinn haben sollen, in der Absicht tun, hier zu einem Ergebnis 211 kommen.
Damals wußten Sie schon, wie die Lage beim Presserecht, wie die Lage 'beim Arbeitsrecht war. Sie wußten, wie die Lage beim Eingriff nach Art. 10 des Grundgesetzes war. Nichts 'war Ihnen unbekannt. Alles kannten Sie ganz genau. Sie konnten, als Sie das erste Gespräch 'bis zum letzten führten, nicht sagen, Ihnen sei die Beratungslage, Ihnen sei das Entwicklungsstadium der jeweiligen Vorlagen unbekannt. Sie wußten das ganz genau.
Sie haben sogar noch verlangt, daß Sie die Einbringungsrede zur Änderung des 'Grundgesetzes — Art. 10 — von mir bekommen. Ich habe sie Ihnen auf den Tisch gelegt.
Alles haben Sie gelesen und gesehen, und heute kommen Sie daher und sagen, wir seien im Verzug. Sie waren zu schwach, um ja zu sagen. Das ist die Wahrheit.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister?
Bitte!
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9555
Herr Minister, wie erklären Sie es sich dann, daß Sie in den Besprechungen den Verhandlungspartnern gesagt haben, in der Frage des Gesetzes über die Pressekommission sei eine völlige Klärung erzielt, und daß dann immer am nächsten Tag in der Zeitung stand, es sei immer noch keine Klärung erfolgt? Wie erklären Sie sich, daß das Gesetz bis zum Abschluß trotz mehrmaliger Zusagen nicht vorlag, und wie erklären Sie sich, daß alle 'Fraktionen in den Besprechungen die von Ihnen vorgelegte Einbringungsrede zum Gesetzentwurf zu Art. 10 als unzureichend abgelehnt haben und daß die Wünsche des Kollegen Dr. Barzel zur Einbringungsrede bis heute von Ihnen den Fraktionen nicht schriftlich zugeleitet worden sind, Wünsche, die er Ihnen ausdrücklich mitgegeben hatte?
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, darauf können Sie eine Antwort haben. Die entscheidende Regelung für die Presse befindet sich in Art. 115 d in der vom Ausschuß beschlossenen Fassung.
Dort finden Sie nämlich eine beispielhafte, die liberalste Lösung im ganzen westlichen Rechtsbereich. Dort steht, daß nur für die Dauer des Zustandes der äußeren Gefahr und bei Spannungszuständen die Berichterstattung mit Zustimmung des Parlaments eingeschränkt werden darf, und das ist so wenig, daß auch der Presserat, der wirklich sehr peinlich seine Rechte wahrzunehmen weiß, mit einer solchen Lösung einverstanden ist. Seine Einwendungen gehen auf Nebensächlichkeiten, die hier keine Rolle spielen.
Ich habe Ihnen die Einbringungsrede vorgelegt. Wo gibt es so etwas, daß ich bei einem seit einem Jahr eingebrachten Gesetz, das noch. gewisser Ergänzungen bedarf, über die ein Jahr lang im engsten, im vertrautesten Kreise verhandelt worden ist, noch die Einbringungsrede gebe, Sie sie kritisieren und ich Ihnen dazu sage: Jawohl, ich werde auch dieser Kritik noch entgegenkommen, nur damit ein Ergebnis erzielt wird!? Sagen Sie mir mal ein Beispiel dafür! Wenn ich Sie daran messe, wie Sie Ihre Sperrminorität ausnützen und uns bis zum letzten gezwungen haben, so muß ich sagen: Wenn Sie hier einmal die Regierung stellen und sich so verhalten,
— da hätten wir schöne Dinge zu erwarten!
— Herr Kollege Erler!
Herr Minister, wo gibt es statt einer von einem Kabinett beschlossenen Regierungsvorlage einen Ersatz in Form eines Geheimbriefes als Grundlage für die Gesetzgebungsarbeit eines Parlaments?
Herr Kollege Erler, Sie kennen den Gegenstand ganz genau. Ein Jahr lang ist im vertrautesten Kreise — wie es oft in diesem Hause notwendig ist und auch in diesem Fall aus Ihnen ganz genau bekannten Gründen notwendig war — darüber verhandelt worden. Niemand weiß so genau Bescheid wie Sie. Sie können sich deshalb nicht darauf berufen. Sie wissen ganz genau, daß es nicht in unserem Belieben steht, gewisse Dinge offenzulegen, weil wir selbst nicht das Verfügungsrecht darüber haben.
— Herr Kollege Erler, machen Sie doch keine Sachen!
— Ich bin jetzt nicht mehr bereit, Zwischenfragen anzunehmen. Ich will zunächst in der Darstellung fortfahren.
—Meine Vorlage habe ich vor zweieinhalb Jahren begründet.
— Die wird ja nachher begründet. Herr Schmitt-Vockenhausen, Sie müssen sich an die Tagesordnung halten. Ich bin jetzt dabei, einen Diskussionsbeitrag zu dem zu leisten, was Herr Kollege Erler gesagt hat.
— Nein, es ist vereinbart, daß zunächst die Diskussion abläuft und daß dann erst die Einbringungsrede kommt. Die werden Sie noch zu hören bekommen.
— Ich bitte, nicht den Präsidenten zu kritisieren. Er hat das verfügt.
— Er hat das verfügt. Wollen Sie den Präsidenten kritisieren?
— Ich bin ja gar nicht böse.
Herr Kollege Wehner, ich will Ihnen auch sagen, warum ich nicht böse bin. Ich bin nämlich der Meinung, daß Sie einer derjenigen gewesen wären, die mit uns gestimmt hätten. Aber Sie haben es auch nicht geschafft.
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9556 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Bundesminister HöcherlDeswegen kann ich Ihnen gar nicht böse sein. Sie sind gar nicht der starke Mann, als der Sie gelegentlich hingestellt werden.
Meine Damen und Herren, ich darf fortfahren mit einigen Bemerkungen. Was die Frage des inneren Notstands betrifft, so ist es richtig, daß Sie und auch die FDP vom ersten Tage an unsere Vorschläge nicht anerkannt haben. Ich bestehe nicht auf der oder der technischen Lösung. Ich bestehe darauf, daß für die für uns leider viel größeren Möglichkeiten und Gefahren des inneren Notstands eine Lösung gefunden wird. In welcher Form das geschieht, ist für mich gar nicht entscheidend. Entscheidend ist nur das Ergebnis und ob eine ausreichende Vorsorge getroffen wird.Was die Frage des Arbeitskampfes betrifft, so handelt es sich dabei um eine Problematik, deren Gewicht und Bedeutung gar nicht überschätzt werden kann.
Jetzt rufe ich Sie auf: Nennen Sie mir in der ganzen westlichen Rechtsordnung eine Lösung, nach der ausdrücklich, expressis verbis, der Arbeitskampf um wirtschaftliche und soziale Ansprüche und Forderungen tatbestandsmäßig nicht Gegenstand eines inneren Notstandes sein darf! Nennen Sie mir eine Lösung im westlichen Bereich, nach der das Koalitionsrecht mit seinem ganzen Inhalt, entwickelt aus der Geschichte, von jeder Einschränkbarkeit freigestellt ist! Meine lieben Freunde und meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eine Lösung, die in ihrer Liberalität überhaupt nicht überboten werden kann.
Ich nenne die Frage der Ausrufungsmajoritäten. Hier ist ebenfalls eine Lösung erzielt worden, die ganz Ihren Wünschen entspricht. Das Notparlament ist ein Instrument, das wir selbst in der Regierungsvorlage eingeführt haben. Es ist in einer Art und Weise ausgestaltet worden, die ich bei der Einbringung nicht absehen konnte. Wenn sichtbar geworden wäre, daß das Parlament bereit wäre, in einer Besetzung von 17 Personen, und zwar in prominentester Besetzung, durchgehend, jahraus jahrein sich an diesem Platze zu versammeln und hier zur Verfügung zu stehen, dann hätte ich vielleicht auch eine ganz andere Lösung vorgeschlagen. Aber mit einer so weitgehenden Bereitschaft konnte damals nicht gerechnet werden. Auch Sie haben nicht damit gerechnet. Ich bin froh, daß es auf diese Weise notwendig und möglich ist, die Verantwortung auf breitere Schultern zu legen, weil niemand die Absicht haben kann und so süchtig sein wird, in Gefahr und Not, die Verantwortung allein zu tragen.
Herr Minister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen?
Ja.
Bitte, Herr Abgeordneter Jahn!
Herr Minister, wollen Sie leugnen, daß diese Vereinbarung über die ständige Präsenz des Notparlaments schon vor Monaten im Rechtsausschuß ausdrücklich erörtert und verabredet worden ist?
Ich bestreite das ja gar nicht! Ich sage: Bei der Einbringung war nicht sichtbar, daß das Parlament zu einer solchen Bereitschaft mit solchen Einzelheiten eine Offerte gemacht hätte.
Zu einer weiteren Zwischenfrage Herr Abgeordneter Jahn.
Herr Minister, wie wollen Sie dann erklären, daß Sie bis in die interfraktionellen Verhandlungen hinein an der nach Ihren Worten unabdingbaren Forderung eines Notverordnungsrechts der Bundesregierung festgehalten haben?
Lassen Sie mich zu diesem Notverordnungsrecht etwas sagen! — Meine sehr verehrten Damen und Herren, der erste Entwurf aus dem Jahre 1959 oder 1960 meines Vorgängers Schröder hat das Notverordnungsrecht ebenso enthalten wie der spätere Entwurf. Ich bitte Sie aber, davon auszugehen, daß hier ein Ablösungsprozeß vor sich gehen mußte bei einer Materie, die an Hand der technischen Entwicklung fortzuschreiben ist und bei der wir mit ständig neuen Gefahren zu rechnen haben. Hier geht es darum, die Regierung in die Lage zu versetzen, den Anforderungen gerecht zu werden, die man in einer solchen Zeit unter Umständen an sie stellt. Das ist nicht der Versuch, für die Regierung Gesetzgebungsbefugnisse ohne Kontrolle des Parlaments zu verlangen, sondern der Versuch, eine Lösung der Spannung zwischen der parlamentarischen Kontrolle auf der einen und der sachlichen, unverzüglichen Handlungsnotwendigkeit auf der anderen Seite zu finden. Vor dieser Spannung, meine Damen und Herren, stehen alle demokratischen Völker. Vielleicht darf ich mich auf das schwedische Beispiel aus dem Jahre 1964 beziehen, auf das Sie sich bei anderer Gelegenheit berufen haben. Viele andere Völker haben ein solches Notverordnungsrecht, doch nicht aus Übermut oder deswegen, weil sie schlechte Demokraten wären, sondern weil sie aus dieser Spannung heraus keine andere Lösung und kein anderes Instrumentarium gefunden haben.Etwas anderes darf ich Ihnen noch ins Gedächtnis zurückrufen! Als wir die ersten Spitzengespräche führten, erhielt ich vom Kollegen Barzel das Wort, und ich habe mit folgendem Satz begonnen: „Meine Herren, ich bin bereit, bei der Vorlage, die bis dahin vom Rechtsausschuß beschlossen worden war, anzuerkennen, daß Sie das Notverordnungsrecht und
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9557
Bundesminister Höcherlalle diese Möglichkeiten haben sollen, weil ich das Vertrauen zu Ihnen habe."
Aber Ihre ganze Art, wie Sie mit uns bis zuletzt verhandelt haben, zeigte nichts anderes als ein Mißtrauen, das wir uns in diesen 16 Jahren gemeinsamer Arbeit, wie ich glaube, nicht verdient haben!
Im übrigen war es ja nicht ein Notverordnungsrecht ohne rechtliche Garantien; es war ein Not-verordnungsrecht mit parlamentarischer Kontrolle. Es steht in allen Vorlagen, daß das Parlament in der großen wie in seiner kleinen Besetzung jede solche Verordnung aufheben, abändern oder zeitlich begrenzen kann. Als weitere Kautele ist in den Entwürfen z. B. enthalten, daß solche Verordnungen automatisch außer Kraft treten und daß sie zudem unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Aufwand und Mittel stehen. Außerdem ist den Verfassungsgerichten die Nachprüfung auch bei äußerer Gefahr ermöglicht.Meine Damen und Herren, im Jahre 1959 gab es bereits Gespräche zwischen der Bundesregierung und den Innenministern und Innensenatoren der Länder bzw. Stadtstaaten. Dabei wurden die ersten Referentenentwürfe besprochen. Schon bei dieser Gelegenheit hatten wir gesagt, diese viel engere Fassung wäre nicht praktikabel und ließe sich nicht durchführen. Wenn man die heutigen Gefahren ins Auge faßt, die beinahe ein Inferno beinhalten, dann ist es nicht möglich, einer solchen Gefahr mit einem so unhandlichen Instrument zu begegnen.So lagen die Dinge damals, vom Praktiker aus gesehen. Angesichts der Notwendigkeit des Schutzes unserer Bevölkerung haben wir Schritt für Schritt eine gemeinsame Lösung gesucht und alle Fragen gelöst, die wir in dem eigentlichen Gesetz zur Debatte gestellt haben. Das können Sie nicht bestreiten.Nun kommen Sie, meine Damen und Herren, und sagen: Ja, aber eine ganze Reihe von anderen unabdingbaren Forderungen sind offen geblieben, und die machen es uns nicht möglich, heute zuzustimmen. — Das hätten Sie damals bei Beginn der Spitzengespräche längst wissen können. Sie haben es auch gewußt; Sie wollten, wie ich glaube, etwas ganz anderes. Ein schlimmer Verdacht steigt in mir auf: daß Sie die Dinge über den 19. September hinwegziehen wollten. Vielleicht hat sogar der Kollege Dorn recht. Das sind keine Grundlagen für eine Koalition; das will ich Ihnen hier in aller Offenheit sagen!
— Herr Kollege, ich will angesichts Ihrer Berliner Schwierigkeiten nicht so aus mir herausgehen.
— Lassen Sie sich nur Zeit; Sie werden noch einiges zu hören kriegen!
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, ich darf Ihnen folgendes sagen. Sie waren es ebenfalls — aber vor allem der Kollege Erler —, der die Frage aufgeworfen hat, daß alle Vorbehaltsrechte gleichzeitig und gemeinsam gelöscht werden müßten. Wer wünschte das nicht! Aber mit Ihrer Verhandlungsmethode — kaum ist ein Einwand vorgebracht, fliegt schon ein zweiter hinterher —, mit Ihrer Verhandlungsmethode, vielleicht den Alliierten sagen zu müssen: „Das ist die bisherige Auffassung der Opposition; es ist möglich, daß sich morgen das Bild wieder ganz anders anschaut; seid ihr bereit, auf Grund von solchen" ich möchte einmal sagen: „Unregelmäßigkeiten", oder ich möchte — —
— Wir haben mit den Alliierten sehr eingehende Verhandlungen geführt,
und wir haben ihnen vorgetragen, ob auf Grund unserer Vorlage eine Ablösung möglich ist, weil wir genauso wie Sie diesen Makel beseitigen und auf diesem sehr bedeutsamen und entscheidenden Rechtsgebiet Herr im eigenen Hause werden wollen. Und wir haben Aussichten, aber keine Sicherheiten. Die kann es doch erst geben, wenn es einen beschlossenen Text gibt. Und wie wollen wir einen beschlossenen Text erreichen? Wenn Sie nicht mitstimmen oder fortgesetzt Abänderungen vorschlagen, ist das nicht möglich.
Auch in der ersten Lesung sind doch Tatsachen vorgetragen worden. Das waren ja ,die Vorwände, und die müssen hier behandelt werden.
Und nun stand die stufenweise Ablösung zur Debatte, auch in den Spitzengesprächen; und damals haben Sie es nicht ausgeschlossen, daß Sie eine stufenweise Ablösung, die der Sache nach einfach nicht anders zu machen ist, unter Umständen ins Auge fassen. Ich will Ihnen etwas sagen: Wenn es nach mir ginge, wenn ich einen Zentimeter oder ein ganz kurzes Stückchen dieses fremden Rechts ablösen und durch deutsches Recht ersetzen könnte, würde ich das sofort und unmittelbar und wiederholt machen.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Minister?
Sie wissen ganz genau, daß auch aus technischen und sachlichen Gründen, selbst wenn das Gesetz zu Art. 10, das
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9558 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Bundesminister Höcherleine Grundgesetzänderung und ein einfaches Gesetz enthält, vorliegt, es — obwohl da schon wesentliche Einschränkungen und wesentliche Vorsichtsmaßnahmen getroffen sind — aus sachlichen Gründen noch eine gewisse Zeit wird dauern müssen, um rein technisch einen solchen Vollzug herbeizuführen und die Ablösung 2u erreichen. Sie kennen genau die Lage. Aber wenn Sie alles verlangen und sagen: „Alle Vorbehaltsrechte, ganz gleich, wie sie heißen, müssen gleichzeitig erlöschen", dann muß ich daraus den Schluß ziehen, daß es Ihnen gar nicht ernst ist, sondern daß es nur ein Vorwand ist, ein Einwand mehr verbaler Art.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Minister?
Ich habe vor einem Jahr diesen Gesetzentwurf vorgelegt, und im Oktober 1964 ist er nach der Behandlung im Bundesrat dem Parlament zugeleitet worden. Sie sind vorher in Kenntnis gesetzt worden. Darf ich Ihnen vielleicht sagen, wie es bei der Beratung dieses Gesetzes war? Vierzehn Tage oder drei Wochen nach der Amtsübernahme habe ich mit den Gesprächen über .die Notstandsregelung begonnen, und die ersten, die ins Gespräch gezogen wurden, waren die Gewerkschaften und waren Sie und waren nochmals Sie. Ich habe Vorwürfe aus der eigenen Fraktion bekommen,
daß ich Sie in diesen Verhandlungen und Beratungen bevorzuge. Sie haben jeden Entwurf bekommen, und .Sie sind bis zum heutigen Tage über alles informiert worden; eine Information, wie sie in diesem Umfange überhaupt noch niemals stattgefunden hat. Das können Sie nicht bestreiten.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Minister?
Bitte!
Herr Minister, würden Sie die Liebenswürdigkeit haben, dem Hause darzutun, welche Ursachen eigentlich dafür verantwortlich sind, daß eine vollständige Ablösung der Vorbehaltsrechte nicht möglich ist, und was die Bundesregierung eigentlich seit über einem Jahr daran gehindert hat, eine vollständige Vorlage zu Art. 10 des Grundgesetzes vorzulegen.
Sie wissen ganz genau, daß ider Entwurf des Gesetzes zu Art. 10 dem Hause vorliegt. Daß er einer Ergänzung bedarf, habe ich ja schon vorgetragen. Sie kennen das alles ganz genau. Sie fragen Dinge, die Sie kennen, aus provokativer Absicht heraus.
— Ich habe Ihnen schon erklärt, daß es nicht in unserem Belieben ist, gewisse Dinge öffentlich mitzuteilen, daß wir Geheimhaltung sehr ernst nehmen.
— Halten Sie vielleicht nicht viel von Geheimhaltung? Ich habe eine sehr strenge Ansicht von Geheimhaltung.
Der zweite Einwand, den Sie gebracht haben, Herr Erler, ging dahin, die Pressefrage sei nicht geklärt. Ich habe vor zwei Jahren eine Kommission aus Presseleuten, Vertretern des Presserates, aus Hochschullehrern und aus den beteiligten Häusern eingesetzt, diese Kommission hat zu einer sehr schwierigen Materie in einer sehr fleißigen Arbeit einen Entwurf erarbeitet, der sich an ausländische Vorbilder anlehnt und der in der ersten Fassung liberaler war als z. B. der der klassischen Demokratie, der Schweiz. Daraufhin gab es weitere Verhandlungen mit dem Presserat, der Einwendungen machte. Wir haben alle diese Einwendungen berücksichtigt, und Ihnen ist noch vor der Verabschiedung und dann nach der Verabschiedung im Kabinett die letzte Fassung zugeleitet worden. Im Rechtsausschuß wurde dann zu Art. 5 das vereinbart und beschlossen, was alle Gefahren abdeckt und jede nur mögliche und denkbare Garantie ausspricht. Ich darf Ihnen hier noch sagen, daß es auch in Ihrem Kreise Leute gibt, denen das viel zu wenig ist, weil sie sagen: bei der äußeren Gefahr in der heutigen Darstellung und Ausprägung ist das alles nicht ausreichend, sondern es müssen noch ganz andere Maßnahmen ergriffen werden. Wir haben uns auf dieses Minimalprogramm geeinigt, das der Pressefreiheit in der Stunde der äußeren Gefahr einen Platz einräumt wie in keiner anderen Rechtsordnung des ganzen westlichen Bereichs — nicht einmal in der hessischen Verfassung. In der hessischen Verfassung ist vorgesehen, daß die Pressefreiheit in der Stunde der Not ganz beseitigt werden darf.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herr Abgeordneten Sanger?
Bitte!
Herr Minister, sind Sie bereit, dem Hause zu bestätigen, daß der Deutsche Presserat zunächst sechs Entwürfe von Ihnen, die Sie nach und nach abfassen ließen, abgelehnt hat, weil er nicht zustimmen konnte, und daß er zu dem siebten Entwurf, der angeblich als Kabinettsbeschluß vorliegen soll, diesem Hause aber nicht bekannt ist, ebenfalls nein gesagt hat?
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9559
Dazu darf ich Ihnen das sagen, was der Herr Kollege Schäfer bei diesen Gesprächen gesagt hat: Wir machen die Gesetze und nicht der Presserat.
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen?
Bitte!
Herr Minister, ist es richtig, daß heute zur zweiten Lesung dieses Gesetzes, nachdem Ihr Haus zweieinhalb Jahre Vorbereitungen getroffen hat, dem Bundestag und dem Bundesrat noch kein beratungsfähiger Entwurf amtlich zugegangen ist?
Das Kabinett hat den Entwurf verabschiedet und damit in den Gesetzgebungsgang geleitet. Sie kennen ihn ganz genau.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muß aus den Gipfelgesprächen noch auf einen Umstand hinweisen, der von großer Bedeutung ist. Wir haben bei allen diesen Einwendungen, die jetzt vorgetragen worden sind, weil sie angeblich noch nicht abschließend geregelt seien — und zwar, wie man ganz genau weiß, nach dem Prinzip: das Bessere ist immer des Guten Feind gewesen —, immer erklärt: Wir sind bereit, kabinettsreife, verabschiedete Vorlagen auf den Tisch zu legen, um ein politisches Engagement auszusprechen, und wir sind bereit, dafür einzutreten, daß aus diesen Vorlagen, soweit sie zeitlich nicht mehr bearbeitet werden können, um das Engagement noch zu verstärken und zu verhärten, interfraktionelle Vorlagen gemacht werden, aus denen keiner wieder austreten kann. Das alles wurde erklärt, so daß Sie auch dort, wo Sie sich eingebildet haben, unter allen Umständen darauf bestehen zu müssen, das eine oder andere noch geregelt zu sehen, Sicherheiten bekommen hätten, die über alles Maß in einer Vorwahlzeit hinausgegangen wären. Das können Sie nicht bestreiten.
— Herr Kollege Erler, ich muß diese Art und einen solchen Vorwurf ganz energisch zurückweisen.
Sie können ihn auch gar nicht begründen, Sie können mir kein einziges Wort nachweisen, das nicht den Tatsachen entspricht.
— Stehen Sie auf und tun Sie es!
Herr Minister, ist es wahr oder ist es nicht wahr, daß Sie laufend bei den Verhandlungen betont haben, Sie seien sich mit dem Presserat einig, und wir dann erst am nächsten Tage erfahren haben: es ist nicht wahr? Als einziges Beispiel nur für Ihre Wahrheitsliebe!
Herr Kollege Erler, ich habe dazu folgendes zu erklären: Wir haben jede Vorlage mit dem Presserat abgesprochen. Dann kamen Einwendungen. Dann haben wir die Einwendungen berücksichtigt, und dann sind genauso wie bei Ihnen Gründe nachgeschoben worden. Deswegen war es nicht möglich, das festzustellen.
— Wenn mir jemand schreibt, er habe nur die und die Einwendungen, und ich berücksichtige sie, dann kann ich doch davon ausgehen, daß jetzt ein Einverständnis vorliegt.
Dann, meine Damen und Herren, — —
Dann haben Sie — —
Einen Moment, einen Moment!
Herr Abgeordneter Eschmann, ich rufe Sie zur Ordnung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Kollege Erler hat davon gesprochen, daß dieses Gesetz in der Dunkelkammer und in Hast habe verabschiedet werden sollen, und das gehe nicht. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß bei Beginn der Beratungen im Jahre 1963 von allen Fraktionen übereinstimmend gefordert wurde, daß hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. Es war gerade der Kollege Schäfer, der das sehr deutlich und nachdrücklich unter Hinweis auf die Praxis des Vermittlungsausschusses bei einer so schwierigen Materie zum Ausdruck gebracht hat. Ich meine, daß es nicht nur gemeinsames Anliegen war, die Verhandlungen bei dieser schwierigen Materie nach einer solchen Methode zu führen, sondern daß uns diese Methode auch dazu gebracht hat, in fast allen Fragen eine Einigung zu erzielen, die heute durchaus eine Abstimmung möglich machen würde.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Minister?
Jawohl.
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9560 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Bitte, Herr Abgeordneter Benda!
Herr Minister, sind Sie, um hier einer Legendenbildung vorzubeugen, bereit, mir zu bestätigen, daß den Mitgliedern der Verhandlungskommission aller Fraktionen einschließlich der Fraktion der SPD ein Schreiben des Deutschen Presserates vom 19. Mai 1965 vorgelegen hat, dem als Anlage der genaue und exakte Wortlaut erstens der Vorschläge des Bundesinnenministeriums zum Entwurf des Gesetzes über die Pressekommission nach dem damaligen und dem neuesten Stand, zweitens in einer Gegenüberstellung wörtlich die entsprechenden Vorschläge des Deutschen Presserates beigefügt waren, so daß die Mitglieder der Verhandlungskommission spätestens am Tage des Eingangs dieses Briefes, nämlich am 20. Mai dieses Jahres, genau und wortwörtlich sowohl über Ihre Vorstellungen als auch über die Vorstellungen des Deutschen Presserates unterrichtet waren und derjenige, der an den Verhandlungen beteiligt war und behauptet, daß er nicht unterrichtet gewesen sei oder daß Sie die Unwahrheit gesagt hätten, selbst etwas sagt, was objektiv unrichtig ist?
Herr Kollege Benda, ich muß das bestätigen.
Es wäre eine gute Gelegenheit für den Kollegen Erler, sich zu entschuldigen.
Herr Minister, obwohl es geschäftsordnungsmäßig nur zulässig ist, Fragen zu stellen, möchte ich klar sagen, der Kollege Benda hat von einem ganz anderen Sachverhalt gesprochen.
Sie haben mehrfach behauptet,
Sie seien sich mit dem Presserat einig, und das ist nicht wahr gewesen. Das ist alles. Da habe ich nichts zurückzunehmen.
Hier haben Sie ein Beispiel der Einigung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dann wurde davon gesprochen, daß die Beratung in großer Hast vor sich gegangen sei. Die Vorlage war hier in diesem Hause, und die Einbringung — —
— Hier ist ein Beispiel der Einigung vorgetragen
worden. Ich habe Ihnen schon erklärt, daß jeweils
neue Gründe nachgeschoben wurden, so daß immer wieder ein neuer Dissens aufgetreten ist, nicht ein alter, sondern ein neuer! Ich darf das hier wiederholen.
— Herr Kollege Sanger, ich bin nicht bereit, jetzt weitere Fragen zu beantworten.
Nein.
Es kann aber auch nicht von einer Hast die Rede sein. In 138 Sitzungen wurde beraten, — ein Vorgang, der in diesem Bundestag noch kaum einer Gesetzesmaterie zuteil geworden ist.
Wir müssen aber noch eine andere Seite sehen. Wer hat bei der Entwicklung der letzten Wochen einen so unerhörten Beifall gezeigt? Gehen Sie in den Bereich des Ostens. Dort wurde mit einem Beifallstaumel diese Uneinigkeit begrüßt. Die ganze Welt schaut auf uns, ob wir in der Lage sind, solche Fragen in eigener Zuständigkeit zu entscheiden. Was soll die Welt davon denken — bei einer so liberalen Verfassung in einem solchen Bereich —, was soll die Welt von uns denken, wenn wir uns nicht einmal dazu verstehen können. Was Sie noch darüber hinaus wollen, ist mir ganz unbegreiflich. Ich kann nur mein Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, daß es nicht möglich war, diese Arbeit nach den unendlichen Mühen, die alle Beteiligten auf diese Materie verwendet haben, zu einem Ergebnis zu führen, damit wir endlich von der Last des alliierten Vorbehaltes befreit werden. Das ist ein Bedauern, dem sich nicht nur die Mehrheit des Hohen Hauses anschließt. Vielmehr sind, wie eine Zählung ergeben hat, 68 % unseres Volkes der Meinung, daß wir endlich Herr im eigenen Hause werden sollten, daß wir keinen Tag mehr zögern dürften. Und wenn gezögert wird, wer trägt die Verantwortung? — Nur Sie allein.
Ich bitte Sie, sich auf die Plätze zu begeben.
— Ich bitte Sie, sich auf die Plätze zu begeben.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9561
Vizepräsident Schoettle — Meine Damen und Herren, ein letzes Mal bitte ich Sie, sich auf die Plätze zu begeben, sonst werde ich die Sitzung unterbrechen.
— Ich bitte Sie, mir Gelegenheit zu geben, die Angelegenheit mit dem Kollegen Wuermeling in Ordnung zu bringen. — Ich glaube, Herr Kollege Wuermeling, das war eine etwas taktlose Bemerkung.
— Ich habe keinen Grund, Ihnen das Wort zu erteilen, Herr Kollege.Aber ich bitte, denjenigen, der auf der Tribüne gepfiffen hat, aus dem Saal entfernen zu lassen, und zwar sofort!
Ich denke, Herr Dr. Wuermeling hätte Gelegenheit, sich zu entschuldigen. Das muß ich als Präsident sagen.
Aber wir wollen die Verhandlungen fortsetzen. —Herr Dr. Wuermeling, wollen Sie das Wort? — Bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin bereit, meinen Zwischenruf von eben dahin eindeutig zu erläutern, daß ich gemeint habe: die ungerufenen Hilfstruppen der SPD. Damit kann sich die SPD nicht verletzt fühlen, sondern das ist der Hinweis auf das, was in der Debatte auch schon gesagt worden ist.
Ich schlage vor, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die zweite Lesung der Notstandsverfassung stellt eine bedeutsame Stunde dar, bedeutsam für den Deutschen Bundestag, weil er außerordentlich wichtige Entscheidungen zu treffen hat, bedeutsam für unser Verfassungsleben, weil unser Grundgesetz um einen wesentlichen Teil ergänzt werden soll, bedeutsam schließlich für unser ganzes Volk, weil diese Entwürfe jeden Bürger unseres Staates angehen. Ich kann es mir daher nicht versagen, in dieser Debatte das Wort zu nehmen.Es erscheint mir unerläßlich, vor diesem Hohen Hause und damit vor aller Öffentlichkeit die grundlegenden Überlegungen der Bundesregierung zu diesem Gesetzgebungswerk vorzutragen. Voranstellen möchte ich folgende Feststellung: Das Ihnen zur Beschlußfassung vorliegende Gesetzgebungswerk soll uns in den Stand setzen, Vorkehrungen für die Stunde der Gefahr zu treffen. Es ist also die uns aufgegebene Sorge, für unsere Mitmenschen und für unsere staatliche Existenz, die uns veranlaßt hat, Ihnen dieses Gesetzgebungswerk vorzulegen.Die Bundesregierung strebt nicht nach einem Zuwachs an Macht. Sie will allein ihrer Verantwortung gerecht werden. Dabei wissen wir nur zu gut um den Ernst der Materie. Eine Notstandsgesetzgebung ist im Hinblick auf die Sicherung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unverzichtbar. Die Bundesregierung hat daher die Entwürfe so gefaßt, daß einerseits der Wesensgehalt unserer verfassungsmäßigen Ordnung nicht angetastet wird, auf der anderen Seite aber die notwendigen Maßnahmen zur Abwehr der Gefahren getroffen werden können und schließlich eine unverzügliche Rückführung in das normale Verfassungsleben gewährleistet ist.Deshalb dürfen wir erwarten, daß dieses unser Bestreben und unser ehrlicher Wille respektiert werden Es darf nicht so weitergehen, daß die Befürworter der Notstandsgesetzgebung als undemokratisch, machtlüstern, ja sogar diktaturverdächtig hingestellt werden
und allein die Gegner der Notstandsverfassung sich als wahre Demokraten und Hüter des Rechtsstaates präsentieren möchten.
Es kommt einer politischen Fälschung gleich, diese Bundesregierung und die Regierungsparteien in solcher Weise zu verdächtigen. Unter ;ihrer Verantwortung ist doch die Demokratie in Deutschland wieder aufgebaut worden, unter ihrer Verantwortung sind doch die Menschenrechte wieder hergestellt worden, unter ihrer Verantwortung ist doch ein Höchstmaß .an innerer und äußerer Sicherheit dieses jungen Staates begründet worden.
Stellen wir uns auch die Frage, wem die Verhinderung eines Notstandsrechts in der Bundesrepublik nützt. Lassen Sie es mich in aller Offenheit sagen: ich sehe mit Bedauern und Sorge, daß demokratische Kräfte unseres Staates — gewiß ohne ihren Willen — äußerlich in einer Phalanx mit den Propagandisten in Pankow and Moskau zu stehen scheinen und damit den mehr oder weniger gut getarnten kommunistischen Stimmungsmachern in der Bundesrepublik indirekt Vorschub leisten können.
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9562 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965
Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. ErhardDie Bundesregierung muß, wie jede verantwortungsbewußte Regierung, jederzeit mit einer Verschlechterung der allgemeinen weltpolitischen Lage rechnen, auch wenn zur Zeit, wie ich meine, keine Gründe zu aktueller Besorgnis gegeben sind. Wir alle aber wissen, wie vielfältige Gefahren uns umgeben und wie schnell krisenhafte Situationen entstehen können. Die politischen Ereignisse um unsere Hauptstadt Berlin, in Kuba, in Südostasien sind dafür ernste Beispiele.
Für die Bundesregierung erkläre ich vor diesem Hohen Haus, daß wir mit allen Völkern in Frieden und gutnachbarlichen Beziehungen leben wollen. Dem Frieden und der Verständigung in der Welt zu dienen, ist für uns höchstes Gebot. Wir gehören nach unserer Geschichte und Kultur zur freien Welt. Wir haben diese Zugehörigkeit in freier Entscheidung bestätigt. Es ist unser geschichtlicher Auftrag, alles zu tun, um die uns gegebene Freiheit zu bewahren.Niemand aber kann ernstlich bestreiten, daß gerade die Bundesrepublik Deutschland besonders exponiert und damit auch besonders gefährdet ist. Wir liegen unmittelbar am Eisernen Vorhang und an der Peripherie des westlichen Bündnissystems. Auf deutschem Boden stehen sich Streitkräfte der beiden großen Führungsmächte unmittelbar gegenüber. Die Demarkationslinie zur sowjetischen Besatzungszone und die Grenze zur Tschechoslowakei erstrecken sich über viele hundert Kilometer. Der Raum der Bundesrepublik ist schmal und lang. Es fehlt die Tiefe des Raums. Unser dicht besiedeltes Land mit seinen großenindustriellen Ballungsgebieten und seinen empfindlichen Verkehrslinien liegt ohne natürlichen Schutz einem möglichen Angreifer offen. Wir müssen also angesichts .der modernen Waffenentwicklung damit rechnen, daß unser ganzes Land unmittelbar gefährdet sein könnte.Wir werden gewiß niemals angreifen, sondern uns gemeinsam mit unseren Verbündeten immer nur gegen einen Angriff verteidigen. Das Gesetz des Handelns liegt also bei dem möglichen Angreifer. Diese unsere defensive Verteidigungspolitik aber macht es um so mehr erforderlich, immer und zu jeder Zeit wachsam und zum Schutz der Freiheit bereit zu sein.Gleichrangig neben der militärischen steht die zivile Verteidigung. Sie soll unsere Bürger vor den Auswirkungen eines möglichen Konflikts so weit wie nur möglich schützen. Außerdem hat sie die nicht minder wichtige Aufgabe, die Regierungs- und Staatsgewalt auf allen Ebenen funktionsfähig zu erhalten sowie der kämpfenden Truppe die Operationsfreiheit zu sichern.Die zivile Verteidigung stellt die notwendige Ergänzung der militärischen dar. Ohne entsprechende Maßnahmen auf dem Gebiet der zivilen Verteidigung verlieren der Verteidigungswille unseres Volkes und die militärische Abschreckung, die uns bisher Frieden und Freiheit gewährleistet hat, ihre Glaubwürdigkeit.Dies alles gilt aber nicht allein für den Fall äußerer Gefahren, sondern auch für innere Unruhen.Die Bedrohungen, denen wir uns gegenübersehen, basieren nicht allein auf militärischen Konflikten. Wir müssen immerhin damit rechnen, daß die Kommunisten entsprechend ihrer Taktik versuchen werden, zu einem ihnen geeignet erscheinenden Zeitpunkt massive innere Unruhen anzuzetteln.
Manche Leute meinen zwar, der Kommunismus sei harmloser geworden und verliere seinen revolutionären Charakter. Das wäre ein gefährlicher Irrtum.
Gerade unser gespaltenes Land muß gegen diese Gefahren gerüstet sein und bleiben.Die allgemeine Unsicherheit der Weltlage, die besondere Gefährdung der Bundesrepublik von außen und innen und schließlich die Möglichkeit von Naturkatastrophen erfordern Vorkehrungsmaßnahmen. Diese bedürfen, weil wir in einem Rechtsstaat leben und diesen bewahren wollen, einer gesetzlichen Grundlage. Deshalb ist eine Ergänzung des Grundgesetzes unerläßlich. Sie stellt neben der Wehrverfassung des Jahres 1956 den für die Sicherheit unseres Staates und den Schutz unserer Bürger notwendigen Abschluß in der Verfassungsgesetzgebung dar. Das Grundgesetz enthält bisher keine ausreichenden Vorschriften, um ernste Gefahren, die der staalichen Existenz und unserer freiheitlichen Ordnung drohen könnten, wirksam zu begegnen. Die Ergänzung des Grundgesetzes ist nicht nur zur Ausfüllung dieser Lücke notwendig. Wir brauchen sie auch, um die alliierten Vorbehaltsrechte gemäß Art. 5 Abs. 2 des Deutschlandvertrages ablösen zu können.Ihnen ist bekannt, meine Damen und Herren, daß sich die westlichen Alliierten bei Inkrafttreten des Deutschlandvertrags und der Bündnisverträge die Rechte vorbehalten haben, die zur Abwehr schwerer Gefahren erforderlich sind. Die vorliegende Ergänzung des Grundgesetzes bedeutet einen wesentlichen Schritt zur Ablösung dieser Rechte. Auch aus diesem Grunde sollte der Entwurf verabschiedet werden. Ich meine in betonter Weise, daß sich der Deutsche Bundestag diesem bedeutsamen Schritt zur Ablösung von Besatzungsrecht gar nicht entziehen kann und darf, damit nicht in Krisenzeiten die deutsche Souveränität in schwerwiegender und unwürdiger Weise wieder eingeschränkt wird.
Die von der Bundesregierung vorgelegten Entwürfe haben in Ausschußberatungen zum Teil nicht unwesentliche Änderungen erfahren. Die Bundesregierung hat gleichwohl die Entscheidung dieses Hohen Hauses respektiert. Gerade deshalb aber glaube ich, daß nunmehr Grundlagen erarbeitet worden sind, die die Zustimmung des ganzen Hauses verdienen.Vorstand und Parteirat der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands haben vor etwa zwei Wochen — überraschend, wie ich sagen muß — beschlossen, daß die Bundestagsfraktion der SPD der Ergänzung des Grundgesetzes nicht zustimmen soll. Ich bedaure diesen Beschluß deshalb, weil die interfrak-
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Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhardtionellen Besprechungen auf Grund der von mir dankbar anerkannten Initiative meines Kollegen Dr. Barzel die Möglichkeit einer Kompromißlösung in unmittelbar greifbare Nähe gerückt hatten. Mit diesem Beschluß der SPD ist eine langjährige und mühevolle Arbeit der Regierung und auch hier im Parlament auf absehbare Zeit zunichte gemacht worden.
Das Nein der SPD, das angesichts der weitgehenden Zugeständnisse in den interfraktionellen Besprechungen um so unverständlicher ist, verhindert einen entscheidenden Abbau alliierter Vorbehaltsrechte und damit den entscheidenden Schritt zur Herstellung unserer vollen Souveränität.
Für diese Ablehnung hat die SPD keinen plausiblen Grund vorgetragen. Ihre Argumente entbehren einer zwingenden Rechtfertigung.
Damit bleiben die Frage nach dem Grund Ihres Neins und der Verdacht bestehen, daß außerparlamentarische Einflußnahmen über Einsicht und Notwendigkeit gesiegt haben.
Zehntausend und noch mehr Worte von Rechtfertigungen und Entschuldigungen und Ausreden machen Ihr Nein nicht glaubwürdiger.
Jedermann im Lande kennt die wahren Hintergründe Ihrer Haltung.
Die sozialdemokratische Opposition verhindert, wie ich hier feststelle, die so dringend notwendige rechtzeitige Vorsorge für den Notfall. Ich richte an sie die Frage, wie und ob sie diese schwere Verantwortung zu tragen gewillt ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das letzte Wort desHerrn Bundeskanzlers lautete: Es ist hier Begebenenfalls nicht genug an Vorsorge für die Not geschehen. Da erhebt sich die Frage: Was hat denn diese Bundesregierung getan?
Meine Damen und Herren, Sie haben 1955 ein Instandsetzungsprogramm beispielsweise von Schutzbauten begonnen. Davon sind nach zehn Jahren erst fünf richtig fertig. Wenn Sie so weitermachen, brauchen Sie noch 2400 Jahre bis zum Jahre 4365, ehe Sie mit der Wiederherstellung der alten Schutzbunker fertig werden.
Ich weiß, meine Damen und Herren, daß Ihnen das unangenehm ist, weil Sie hier nicht über diese Tatsachen reden wollen. Wir haben ein unzureichendes Warn- und Alarmsystem. Von den 1296 Meßstellen ist bis heute noch keine einzige fertig.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich weiter sagen: Der Herr Bundesminister hat heute eine wortreiche Aschermittwochrede nachgeholt, weil er uns hier verheimlichen und die Öffentlichkeit darüber im unklaren lassen wollte, daß er die Hauptverantwortung dafür trägt, daß die Verabschiedung der Notstandsgesetzgebung noch nicht möglich ist.
Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Wer trägt die Verantwortung dafür,
daß der Bundesinnenminister in zweieinhalb Jahren diesem Parlament das Gesetz über die Pressekommissionen nicht zugeleitet hat?
Wer trägt die Verantwortung dafür, daß das Gesetz zu Art. 10 bis heute dem Hohen Hause nicht vorliegt
und erst heute in erster Lesung behandelt werden kann?Wer trägt die Verantwortung dafür, daß der Herr Bundeskanzler, obwohl wir ihn im Juni des vergangenen Jahres gebeten hatten, in ständige Gespräche mit uns einzutreten, um die offenen Fragen der Notstandsgesetzgebung zu klären, diese Gespräche nicht weitergeführt hat?
Meine Damen und Herren, wer trägt die Verantwortung dafür,
daß der Herr Bundeskanzler, am 19. Januar 1965 auf die Probleme angeschrieben, im Mai überhaupt erst auf die Sache zurückgekommen ist?
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Schmitt-VockenhausenMeine Damen und Herren, wer trägt die Verantwortung dafür,
— Sie, Sie! —
daß der bisher eingelagerte Medikamentenvorrat nur für etwa drei Wochen für 200 000 Schwerverletzte reicht, und der Herr Minister weiß doch genau, was die NATO von ihm verlangt und was er bisher nicht erfüllt hat.Ich könnte diese Liste noch ausweiten und auf die Hilfskrankenhäuser zu sprechen kommen. Nur Modellfälle sind bisher in Arbeit. Obwohl der Bedarf an Krankenbetten mindestens bei 250 000 liegt, sind wohl noch nicht einmal 2500 bisher fertig.
Meine Damen und Herren, das ist das ganze Ergebnis, das Sie für die deutsche Zivilbevölkerung erzielt haben. Und dann, meine Damen und Herren, wollen Sie hier mit großen Reden und Allgemeinplätzen diese Tatsachen verniedlichen.
Lassen Sie mich ein weiteres Zahlenbeispiel brin-gen!
Im Jahre 1962 haben Sie 786 Millionen DM für den zivilen Bevölkerungsschutz vorgesehen, im Jahre 1963 772 Millionen DM, im Jahre 1964 754 Millionen DM, und im Jahre 1965 waren es noch 562 Millionen DM. Von in vier Jahren bewilligten Beträgen haben Sie fast eine Milliarde nicht ausgegeben.
Sie haben das Schutzbaugesetz, das 1959 kommen sollte, nicht vorgelegt. Sie haben die Lebensmittelbevorratung noch nicht durchgeführt. Sie haben eine Aktion „Eichhörnchen" verlangt, und dabei haben Sie bis heute noch keine amtliche Konzeption für die Bevorratung. Ich beweise Ihnen das in der zweiten Lesung. Sie haben den Warndienst nicht genügend aufgebaut, Sie haben den Luftschutzhilfsdienst vernachlässigt, Sie haben die gesamten Vorbereitungen auf wichtigen Gebieten der Vorsorge für die deutsche Bevölkerung vernachlässigt, so daß man nur sagen kann: Das ist sträflich, meine Damen und Herren!
Schutz des Staates heißt ja nicht Schutz einer abstrakten Sache, sondern Schutz der Menschen, Herr Dr. Barzel. Da stimmen wir überein.
Das ist das Entscheidende, und dieser Schutz der Menschen, diese Hilfe für die Menschen war für uns das Wichtigste.
— Herr Kollege Bauer, ich würde Ihnen empfehlen, einmal die Kollegen Wagner und Kempfler zu fragen, die hinter Ihnen sitzen, und ich meine: Wenn in dieser Legislaturperiode vier bzw. fünf wesentliche Gesetze für den zivilen Bevölkerungsschutz verabschiedet werden können, dann kann ich mit gutem Recht sagen, daß das mit ein entscheidendes Verdienst der SPD ist. Da beißen auch Sie, Herr Bauer, keinen Faden ab.
Wir haben diese fünf Gesetze verabschiedet, nachdem es diese Regierung in all den Jahren nicht fertiggebracht hatte, jene Vorsorge für die Menschen in unserem Lande für Notfälle wirklich sicherzustellen.
Sie haben sogar mit Aufklärungsschriften — Herr Müller-Hermann — wie mit jener des Jahres 1961 viel guten Willen für den zivilen Bevölkerungsschutz in unserem Lande kaputtgemacht, statt aufbauend zu wirken.
Wir haben uns in diesen vier Jahren redlich bemüht, und in der zweiten Lesung, in der nächsten Woche, werden wir Ihnen an Hand der einzelnen Gesetze exakt nachweisen, was für Vorlagen Sie vorgelegt haben und was der Bundestag tun mußte, um aus diesen Vorlagen verabschiedungsfähige Gesetze zu machen. Hier sind doch von der Regierung Vorschläge mit Größenordnungen in die Welt gesetzt worden, von denen selbst die Regierung wußte, daß sie so nicht verwirklicht werden konnten. Das alles mußte in Ordnung gebracht werden; das alles mußte in diesen vier Jahren wirklich auf eine Grundlage gestellt werden. Und dann stellen sich der Bundeskanzler und der Innenminister hin und reden von fehlender Vorsorge für die Menschen.
— Sie haben das nicht gemacht. Sie wollen sich heute rausreden für das, was Sie in 16 Jahren versäumt haben.
Meine Damen und Herren, daran ändert auch eine in dieser Legislaturperiode verabschiedete Grundgesetzänderung nichts. Die eigentlichen Fehler und Versäumnisse liegen bei der Regierung, die in 16 Jahren nicht genug für den Aufbau des zivilen Bevölkerungsschutzes getan hat. Darüber wollen Sie heute hinwegreden. Wir werden Ihnen das nächste Woche in der zweiten Lesung an Hand jener Gesetze deutlich machen und es der deutschen Öffentlichkeit erklären.Das wollte ich Ihnen zum Abschluß noch sagen.
Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen mitteilen, daß Herr Minister Dr. Filbinger und Senator Schmidt angesichts der vorgeschrittenen Zeit auf das Wort verzichtet haben.
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Vizepräsident SchoettleDas Wort hat der Herr Berichterstatter, bei dem ich mich dafür entschuldige, daß ich sein Recht, jederzeit das Wort zu ergreifen, mißachtet habe.
Herr Präsident, darf ich Sie — nachdem Sie das eben gesagt haben, wofür ich Ihnen dankbar bin — bitten, meine Wortmeldung nicht so aufzufassen, daß ich jetzt als Berichterstatter sprechen möchte. Ich kann mich dann etwas freier bewegen.
Einen Moment, Herr Kollege Benda. Ich habe auch noch etwas zu sagen. Es sind Vereinbarungen getroffen worden. Aber, meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob die Vereinbarungen eingehalten worden sind. Ich hatte den Eindruck, daß sie an manchen Stellen lädiert worden sind. Deshalb bin ich nicht in der Lage, jetzt dem Herrn Kollegen Benda das Wort nicht zu erteilen, ob er nun als Berichterstatter oder als Abgeordneter spricht. Das ist nun einmal der Gang der Debatte.
— Wenn Sie das wollen, dann kann ich das nicht ändern.
Bitte, Herr Abgeordneter Benda!
Nachdem ich nunmehr die Möglichkeit habe, meine Ausführungen zu machen, darf ich folgendes sagen. In der Diskussion um die Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers hat auf Grund einer Äußerung des Herrn Kollegen Erler die Behauptung eine Rolle gespielt — und daraus haben Herr Kollege Erler und seine politischen Freunde in diesem Hause bestimmte Folgerungen gezogen —, daß der Herr Bundesinnenminister oder das Bundesinnenministerium den Rechtsausschuß über den Stand der Verhandlungen mit dem Deutschen Presserat falsch unterrichtet habe. Ich stelle dazu folgendes fest, und es ist mir jetzt, Herr Kollege Erler, vollkommen gleichgültig, ob Sie das als Ausführung des Berichterstatters oder als eine Äußerung des Abgeordneten Benda werten; in beiden Fällen ist es jedenfalls die Wahrheit, und sie ergibt sich aus den Protokollen, die ich jetzt verlesen will.Die Frage des Standes der Verhandlungen mit dem Deutschen Presserat hat zweimal 'in den Beratungen des Rechtsausschusses eine Rolle gespielt, und zwar erstens in der 62. Sitzung ,des Rechtsausschusses am 10. Oktober 1963. Bei dieser Gelegenheit hat Herr Ministerialdirigent Dr. Kölble vom Bundesinnenministerium berichtet — ich zitiere aus dem Protokoll des Rechtsausschusses —,bisher hätten mehrere Besprechungen über den Entwurf eines Gesetzes über die Selbstkontrolle der Presse staubgefunden, die letzte im September. Die Verhandlungen seien noch im Gange. Hinsichtlich der Grundkonzeption zeichne sich eine gewisse Einigung zwischen den Vertretern der Presse und den Vertretern der Regierung ab. Er sei allerdings noch nicht legitimiert, nähere Mitteilungen über den Entwurf zu machen, weil sich die Verhandlungspartner ihre endgültige Entscheidung vorbehalten hätten.Ich glaube nicht, daß jemand, sei es ein Mitglied des Rechtsausschusses oder jemand außerhalb des Ausschusses, behaupten kann, daß diese Ausführungen den damaligen Stand der Sache nicht zutreffend wiedergeben.Dann hat in der 111. Sitzung des Rechtsausschusses am 14. Januar dieses Jahres der Herr Ministerialdirektor Hagelberg vom Bundesinnenministerium, ,der die Verhandlungen mit den Herren des Presserats, Herrn Dr. Fabian und Herrn Dr. Lüpsen, geführt hat, mitgeteilt — wiederum nach dem amtlichen Protokoll des Rechtsausschusses —:er habe als Leiter der Kulturabteilung des Innenministeriums den Auftrag gehabt, . . . den in Rede stehenden Gesetzentwurf auszuarbeiten. Die Verhandlungen seien sehr schwierig gewesen, worauf auch die von Abg. Dr. Schäfer beanstandete Verzögerung zurückzuführen sei.Herr Ministerialdirektor Hagelberg hat damals berichtet, daß die Kommission des Presserats eine Unterkommission aufgestellt habe, und dann im einzelnen die in der Unterkommission geführten Diskussionen, die Meinungen und Streitpunkte unter Angabe der Paragraphen des Gesetzes, unter Angabe der beiderseitigen damals voneinander abweichenden Auffassungen präzise und korrekt wiedergegeben. Ich könnte Ihnen die fünf Seiten des Protokolls, die diesen Punkt betreffen, im einzelnen vorlesen.Nach diesem Stand der Dinge kann man davon ausgehen, daß der Rechtsausschuß durch die zuständigen Herren des Bundesinnenministeriums vollauf wahrheitsgemäß und zutreffend unterrichtet worden ist und daß der hier erhobene Vorwurf nicht aufrechterhalten werden kann.
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Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
In den interfraktionellen Besprechungen der Fraktionsspitzen hat der Herr Bundesinnenminister dargelegt, daß er sich nunmehr mit dem Presserat über diesen jüngsten Entwurf — es gab ja wohl mehrere — einig sei. Am nächsten Tage habe ich leider in der Presse lesen müssen: Dem war nicht so. Mit dieser Mitteilung begnüge ich mich.
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister!
Herr Kollege Erler, es sind mehrere Entwürfe gemacht worden, die zeitlich ziemlich kurz aufeinander folgten, und zwar wurden die Veränderungen jeweils dann vorgenommen, wenn vom Presserat eine Äußerung kam. Wir haben darauf Rücksicht genommen, z. B. auf einen wesentlichen Einwand, dem des Bundespressebeauftragten mit seinen Befugnissen, der unter Umständen einen gewissen Fremdkörper im verwaltungsrechtlichen Aufbau dargestellt hätte. Ich habe diesem Einwand stattgegeben und diese Institution beseitigt. Daraufhin mußte ich annehmen, daß damit das Einverständnis hergestellt worden sei. Bei der nächsten Äußerung, die offenbar auf eine Rücksprache mit einem größeren Kreis im Rahmen des Presserats zurückzuführen ist, wurden weitere Einwendungen erhoben. Auch sie wurden wieder bereinigt, und wieder konnte von mir angenommen werden: jetzt ist die Einigung erzielt. Daher kam der Eindruck, den Sie haben.
Ich glaube nicht, daß angesichts dieses Sachverhalts jemand das Recht hat, von einer vorsätzlich falschen Unterrichtung zu sprechen. Wir hätten das auch nicht nötig, auch wenn die Debatte schärfer geworden ist.
In diesem Zusammenhang möchte ich dem Kollegen Schmitt-Vockenhausen noch sagen: die Antwort auf Ihre Ausführungen wird am nächsten Dienstag oder Mittwoch erfolgen, wenn auch nicht mit der gleichen Lautstärke, so doch sehr eingehend und sehr gründlich.
Meine Damen und Herren, damit ist die allgemeine Aussprache geschlossen.
— Sie ist unterbrochen; schön, ich lasse mich auch darauf ein.
Damit sind wir am Ende der heutigen Sitzung.
Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Mittwoch, den 23. Juni 1965, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.