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    Deutscher Bundestag 190. Sitzung Bonn, den 16. Juni 1965 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 9511 A Fragestunde (Drucksachen IV/3525, IV/3538) Frage des Abg. Dr. Mommer: Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik Dr. Schröder, Bundesminister . . . 9511 C Dr. Mommer (SPD) 9511 C Frage der Abg. Frau Freyh (Frankfurt) : Humboldt-Schule in San José Dr. Schröder, Bundesminister . . . 9511 D Frau Freyh (Frankfurt) (SPD) . . . 9512 A Fragen des Abg. Dr. Dr. Oberländer: Resolution des amerikanischen Kongresses und Proklamationen der US- Präsidenten betr. unterjochte Völker Dr. Schröder, Bundesminister . . . 9512 A Dr. Dr. Oberländer (CDU/CSU) . . . 9512 C Frage des Abg. Kahn-Ackermann: Bezüge der Auslandslehrer in Argentinien Dr. Schröder, Bundesminister . . . 9512 D Kahn-Ackermann (SPD) . . . . . 9513 A Frage des Abg. Jacobs: Deutscher Festspielbeitrag in Cannes Dr. Schröder, Bundesminister . . 9513 C Jacobs (SPD) 9513 C Frage des Abg. Biechele: Deutsche als Opfer der Aufständischen im nördlichen Kongo Dr. Schröder, Bundesminister . . 9514 A Biechele (CDU/CSU) 9514 A Frage der Abg. Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven) : „UN-Cooperation-Year" Dr. Schröder, Bundesminister . . . 9514 B Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven) (FDP) 9514 C Frage des Abg. Börner: Erlaß betr. „Briefzensur von Arrestanten" von Hassel, Bundesminister . . . . 9514 D Börner (SPD) . . . . . . . . . 9515 A Cramer (SPD) . . . . . . . . . 9515 B Schwabe (SPD) . . . . . . . . 9515 C Zoglmann (FDP) . . . . . . . . 9515 D II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 Dröscher (SPD) . . . . . . . . 9515 D Dr. Dr. Heinemann (SPD) 9516 A Jahn (SPD) . . . . . . . . . 9516 B Ritzel (SPD) . . . . . . . . 9516 C Berkhan (SPD) . . . . . . . . 9516 D Frage des Abg. Ritzel: Landbeschaffung für Zwecke der Bundeswehr von Hassel, Bundesminister . . . 9517 A Ritzel (SPD) 9517 A Frau Pitz-Savelsberg (CDU/CSU) . 9517 C Frage des Abg. Cramer: Bau einer Panzerstraße bei Varel von Hassel, Bundesminister . . . . 9517 D Cramer (SPD) . . . . . . . . . 9517 D Frage des Abg. Müller-Emmert: Bau einer weiteren Abfahrt von B 40 a nahe Flugplatz Ramstein zur Landstuhler Straße Richtung Gemeinde Ramstein 9518 A Frage des Abg. Müller-Emmert: Fertigstellung des Teilstücks der B 408 zwischen Landstuhl und Glan-Münchweiler 9518 A Fragen des Abg. Cramer: Zustand der Schleuse bei der ersten Hafeneinfahrt in Wilhelmshaven Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 9518 B Cramer (SPD) 9518 D Frage des Abg. Dr. Kliesing (Honnef) : Tieferlegung der Bahn-Trasse in Bonn Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 9519 B Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) . . 9519 B Frage des Abg. Dr. Kliesing (Honnef) : Bonner Südbrücke Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 9519 D Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) . . 9519 D Frage des Abg. Dr. Kliesing (Honnef) : Bau der EB 42 im Amtsbereich Oberkassel Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 9520 C Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) . . 9520 C Frage des Abg. Schmidt (Kempten) : Einschränkung des Sonntagsfahrverbotes für den Güterkraftverkehr — Ausnahmegenehmigungen 9520 D Frage des Abg. Fritsch: Ortsumgehung Schönberg, Landkreis Grafenau Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 9521 A Fritsch (SPD) 9521 A Fragen des Abg. Dr. Roesch: Mangel an Fußgängerüberwegen auf der B 29 Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 9521 C Dr. Roesch (SPD) . . . . . . . . 9521 D Fragen des Abg. Hübner (Nievenheim) : Einstellung der Stückgutabfertigung am Bahnhof Nievenheim — Nichtbeachtung von Landesplanung und regionaler Strukturverbesserung bei Rationalisierungsmaßnahmen der Deutschen Bundesbahn Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . 9522 A Hübner (Nievenheim) (SPD) . . . 9522 C Ritzel (SPD) 9523 A Fragen des Abg. Faller: Empfang des Fernsehprogramms im Landkreis Lörrach . . . . . . . . 9523 D Fragen des Abg. Müller (Erbendorf) : Empfang des 2. Fernsehprogramms im Regierungsbezirk Oberpfalz Stücklen, Bundesminister 9523 D Müller (Erbendorf) (SPD) 9524 A Fritsch (SPD) 9524 B Fragen des Abg. Strohmayr: Berechnung von Kosten für nicht zurückgegebene alte Telefonbücher Stücklen, Bundesminister 9524 C Strohmayr (SPD) . . . . . . . 9524 D Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche des ehem. Standortübungsplatzes Boye—Kl. Hehlen an die Stadt Celle (Drucksache IV/3543) . . . . . . . . . . . . 9525 B Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 III Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche des ehem. Flugplatzes Hamburg-Bahrenfeld (Drucksache IV/3544) 9525 B Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses über die Fünfundzwanzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksachen IV/3506, IV/3553) 9525 C Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung des Grundstücks in Köln, Hahnenstr. 6, an die Stadt Köln (Drucksache IV/3531) 9525 C Entfwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes (Drucksache IV/891) ; Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses (Drucksachen IV/3494, zu IV/3494) — Zweite Beratung —, in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 10) (Drucksache IV/2633) — Erste Beratung — und mit Entwurf eines Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) (Drucksache IV/2634) — Erste Beratung — Benda (CDU/CSU) 9526 A Dr. Barzel (CDU/CSU) 9532 A Erler (SPD) 9537 B Dorn (FDP) 9545 C Höcherl, Bundesminister 9552 B Dr. Wuermeling (CDU/CSU) . . . 9561 B Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundeskanzler 9561 B Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 9563 B Nächste Sitzung 9566 C Anlagen 9567 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 9511 190. Sitzung Bonn, den 16. Juni 1965 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Achenbach * 18. 6. Dr. Aigner* 18. 6. Frau Albertz 10. 7. Arendt (Wattenscheidt) 16. 6. Dr. Aschoff 16. 6. Bading * 18. 6. Bazille 14. 7. Bergmann * 18. 6. Dr. Bleiß 16. 6. Böhme (Hildesheim) 16. 6. Brese 16. 6. Dr. Conring 16. 6. Dr. Danz 16. 6. Deringer * 18. 6. Dr. Dichgans * 18. 6. Drachsler 16. 6. Dr. Dr. h. c. Dresbach 30. 6. Dr. Eckardt 16. 6. Eisenmann 16. 6. Dr. Elbrächter 16. 6. Frau Dr. Elsner * 18. 6. Faller * 18. 6. Figgen 24. 6. Flämig 23. 6. Dr. Dr. h. c. Friedensburg * 18. 6. Dr. Furler * 18. 6. Gehring 20. 6. Glombig 16. 6. Günther 16. 6. Frhr. zu Guttenberg 16. 6. Hahn (Bielefeld) * 18. 6. Frau Dr. Heuser 16. 6. Frau Dr. Hubert 16. 6. Illerhaus 18. 6. Kalbitzer 16. 6. Frau Kettig 18. 6. Klinker * 18. 6. Knobloch 25. 6. Könen (Düsseldorf) 20. 6. Frau Korspeter 20. 6. Dr. Kreyssig * 18. 6. Kriedemann * 18. 6. Frhr. von Kühlmann-Stumm 16. 6. Kulawig * 18. 6. Kurtz 16. 6. Leber 20. 6. Lenz (Bremerhaven) 30. 6. Lenz (Brühl)* 18.6. Dr. Lohmar 28. 6. Dr. Löhr * 18. 6. Lücker (München) * 18. 6. Maier (Mannheim) 30. 6. Mauk * 18. 6. Merten * 18. 6. Dr. h. c. Dr.-Ing. Möller 16. 6. Dr. Müller-Hermann * 18. 6. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Neumann (Allensbach) 16. 6. Dr. Philipp * 18. 6. Pöhler 19. 6. Frau Dr. Probst * 18. 6. Rademacher * 18. 6. Richarts * 18. 6. Rohde * 18. 6. Seibert 18. 6. Seifriz * 18. 6. Seuffert * 18. 6. Dr. Seume 16. 6. Dr. Sinn 16. 6. Schneider (Hamburg) 16. 6. Dr. Schneider (Saarbrücken) 16. 6. Dr. Starke * 18. 6. Storch * 18. 6. Strauß 2. 7. Frau Strobel * 18. 6. Urban 16. 6. Weigl 22. 6. Weinkamm * 18. 6. Dr. Willeke 20. 6. Zühlke 30. 6. Anlage 2 Schriftliche Antwort des Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 16. Juni 1965 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Schmidt (Kempten) (Drucksache IV/3525, Frage XII/8) : Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß zwischen der Antwort von Staatssekretär Dr. Seiermann zur Frage der Einschränkung .des Sonntagsfahrverbotes für den Güterkraftverkehr und etwaiger Ausnahmegenehmigungen in der Fragestunde vom 21. Januar 1965 und der dieser Tage durch Rundschreiben den Ländern zugestellten Bitte, für bestimmte Zeiten in der Hauptreisezeit keine Ausnahmegenehmigungen zu erteilen, ein klarer Widerspruch besteht, der umgehend im Interesse der Betroffenen aufgeklärt werden sollte? In der Fragestunde am 21. Januar 1965 hat auf Ihre Zusatzfrage Herr Staatssekretär Dr. Seiermann erklärt, es werde nicht davon die Rede sein, daß Ausnahmen vom Sonntagsfahrverbot während der Hauptreisezeit überhaupt unterbleiben sollen. Es ist auch jetzt nicht davon die Rede, daß Ausnahmen vom Sonntagsfahrverbot während der ganzen Hauptreisezeit nicht erteilt werden dürfen. Mit Schnellbrief vom 27. April 1965 wurden die Länder lediglich gebeten, für Sonntag, den 25. Juli 1965, das Sonntagsfahrverbot strikt durchzuführen. Diese Maßnahme ist erforderlich, weil trotz meiner ständigen Bemühungen um stärkere Staffelung der Ferien auch in diesem Jahr die Sommerferien in mehreren großen Bundesländern fast zur gleichen Zeit beginnen, und zwar in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Saarland am 21. Juli und in Baden-Württemberg am 26. Juli. Gleichzeitig wurden die Spit- * Für die Teilnahme an einer Tagung des Europäischen Parlaments 9568 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 190. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Juni 1965 zenverbände der Wirtschaft und des Verkehrs von dieser Maßnahme unterrichtet. Die betroffenen Firmen wurden dadurch fast drei Monate vorher in die Lage versetzt, entsprechende Dispositionen (z. B. Verwendung leichter Lkw ohne Anhänger) zu treffen. Anlage 3 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Bargatzky vom 16. Juni 1965 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Dröscher (Drucksache IV/3525, Fragen XIV/1, 2 und 3) : Wie groß ist die Zahl der in der Bundesrepublik lebenden Diabetiker? Gibt es angesichts der wachsenden Zahl der an Diabetes Erkrankten zentrale Forschungsstellen, die in Zusammenarbeit mit entsprechenden ausländischen Instituten an der Eindämmung dieser Krankheit arbeiten? Wird der infolge der wachsenden Krankenzahlen sich immer mehr ausweitende Markt an diätetischen Lebensmitteln überwacht und angesichts des Monopolcharakters gewisser für Diabetiker lebensnotwendiger Grundnahrungsmittel (z. B. Sionon) dafür gesorgt, daß keine ungerechtfertigten Gewinne aus Geschäften mit dieser Krankheit gemacht werden? 1. Der Diabetes unterliegt nicht der gesetzlichen Meldepflicht. Die Zahl der Zuckerkranken kann daher nur geschätzt werden, zumal viele Menschen zuckerkrank sind, ohne es zu wissen. Vor 1939 wurde die Diabeteshäufigkeit auf 0,2 bis 0,3 % der Bevölkerung geschätzt. Heute muß angenommen werden, daß etwa 1,5 bis 2 % zuckerkrank sind. Dem liegt die Zahl von etwa 400 000 bekannten und von ebenso vielen bisher unerkannt gebliebenen Diabetikern zugrunde. 2. Die Diabetesforschung ist in der Bundesrepublik nicht zentralisiert, sondern seit langem an viele Stellen verteilt. Es ist jedoch geplant, an der Medizinischen Akademie in Düsseldorf ein Spezialinstitut für Diabetesforschung zu errichten. Es hat sich ein „Verein zur Förderung der Erforschung der Zuckerkrankheit" gebildet, der seine Tätigkeit noch in diesem Jahr aufnehmen wird. Bis zur Errichtung des geplanten Instituts wird der Verein vorläufig an der Medizinischen Klinik der Medizinischen Akademie in Düsseldorf arbeiten. 3. Der Verkehr mit diätetischen Lebensmitteln wird ebenso wie der mit sonstigen Lebensmitteln von der amtlichen Lebensmittelüberwachung laufend überprüft. Dies geschieht unter Aufsicht der obersten Gesundheits- und Veterinärbehörden der Länder. Von einem Monopolcharakter gewisser diätetischer Lebensmittel ist der Bundesregierung nichts bekannt. Die Verordnung über diätetische Lebensmittel vom 20. Juni 1963 läßt es durchaus zu, genügend gleichartige oder gleichwirkende diätetische Lebensmittel verschiedener Hersteller nebeneinander zur Auswahl in den Verkehr zu bringen. So ermöglicht die Verordnung z. B. den Wettbewerb zwischen 4 verschiedenen zugelassenen Zuckeraustauschstoffen. Die Bezeichnung „Sionon" ist nur der Markenname für einen Zuckeraustauschstoff, der unter der chemischen Bezeichnung „Sorbit" allgemein zugelassen ist.
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    Rede von Fritz Erler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kein Volk ist gegen äußere Gefahren gefeit, auch das unsre nicht. Dennoch sollten wir die Bürger in unserem Lande und uns selbst daran erinnern, daß wir in dieser Stunde völlig frei von irgendwelcher Hysterie debattieren und miteinander sprechen können. Gefahren drohen, und trotzdem steht der Notstand nicht morgen vor der Tür. Wir haben gefährlichere Tage als die jetzigen hinter uns.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Na eben!)

    — Sicher, aber wir haben sie hinter uns und sind mit ihnen fertig geworden.

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Dennoch müssen wir wissen, daß eine Verschärfung der Lage in der Welt mit ihren Auswirkungen auf unser Volk leider nicht ausgeschlossen werden kann. Gefahren können unsere Freiheit bedrohen, Leib und Leben der Einwohner unseres Landes, unser Wirtschaftsleben, das ordentliche Funktionieren unserer öffentlichen Dienste, die demokratische Ordnung schlechthin. Solchen Gefahren vorzubeugen ist zunächst einmal Aufgabe der gesamten Politik; sie darf sie gar nicht erst eintreten lassen. Aber wir haben nicht alle Umstände, die einen solchen Eintritt von Gefahren verhindern können, allein in unserer Hand. Es bleibt leider wahr: Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt!

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Zur Vorsorge für Notfälle gehören die entsprechende Gestaltung des Grundgesetzes, die Gestaltung unserer Gesetzgebung und der Vorbereitungen der Exekutive. Für sehr viele dieser Vorbereitungen sind und waren keine neuen Gesetze nötig. Dazu gehören vor allem Geld, Organisation, guter Wille und Aufklärung all derer, die man braucht. Das gilt weitgehend für den zivilen Bevölkerungsschutz, für die Notwendigkeit der Verstärkung der Polizei und auch etwa für die Schaffung von Krankenhausbetten außerhalb gefährdeter Orte sowie für die Anlegung von Vorräten. Manches ist schon vorhanden, vom Bundesleistungsgesetz bis hin zu den Wirtschaftssicherstellungsgesetzen. Dennoch war es nötig, daß auch und gerade auf diesen Gebieten meine Fraktion in den letzten zehn Jahren bei jeder Haushaltsdebatte größere Anstrengungen der Bundesregierung gefordert hat, die sogar auf der Grundlage der bestehenden Gesetze hätten unternommen werden können.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Manches wurde nicht energisch genug angepackt. Aber wir leugnen nicht, daß für anderes eine Abrundung und Ergänzung der Gesetzgebung erforderlich ist.
    Unser Volk ist mündig. Deshalb ist es die Aufgabe dieses Hohen Hauses, auch derartige Gesetze für Notfälle in normalen Zeiten zu beraten, zu beschließen und zu verkünden, auch wenn bestimmte Abschnitte dieser Gesetze erst nach bestimmten Feststellungen über den Eintritt gewisser Notfälle in Kraft gesetzt werden können. Dann weiß jeder Bürger, was in Krisenzeiten zu tun ist, und um so klarer wird ihm auch die Einsicht in die politische Aufgabe, es gar nicht erst zu Krisen kommen zu lassen, auch wenn er weiß, was in einem Krisenfalle seiner harrt. Wir sagen — und ich glaube, darüber sind wir uns in diesem Hause einig —: Gesetze schaffen doch den Notfall nicht, sondern sie sollen helfen, mit ihm fertigzuwerden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Notstandsgegener sind wir alle. Außerdem gibt es Gegner von Gesetzen, die der Überwindung von Notständen dienen sollen, von denen manche sich leider weigern, auch nur Texte zur Kenntnis zu nehmen, und manche die Texte in grausamer Weise entstellen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Eben!)

    Rechtzeitige Gesetzgebung ist notwendig, damit nicht nur die Bürger Bescheid wissen, sondern auch die Verwaltung Bescheid weiß und üben kann.
    Deshalb möchte ich hier auch einige Bedenken gegen jene Vorstellung anmelden, die allzuviel von Gesetzgebungswerken, die man in der Stunde der Not braucht, etwa in der Schublade lassen, lediglich durch den Gemeinsamen Ausschuß vorbereiten lassen und dann erst in letzter Stunde verkünden las-



    Erler
    sen wollte. Nein, man kann nicht erst am Tage X viele Kilo Papier lesen und sich darauf verlassen, daß es dann funktioniert. Deshalb darf man für das Notparlament nur so wenig wie möglich aufheben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie das da hinüber!)

    — Nein, meine Damen und Herren, das haben wir allen denen (zur CDU/CSU gewandt) jahrelang sagen müssen; ich freue mich, daß Sie das endlich eingesehen haben, daß man nicht die Bevölkerung — —

    (Beifall bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU.)

    — Na sicher! Bis vor wenigen Wochen haben Sie mit dieser Argumentation ein Notverordnungsrecht für die Bundesregierung verlangt,

    (Beifall bei der SPD)

    damit am Tage X dann eben der Schwall auf das Volk herniederregnen kann. Rechtzeitige solide Vorbereitung durch offene Gesetzgebung wird von uns durchaus befürwortet.

    (Beifall bei der SPD.) Nicht alles ist vorhersehbar.


    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Wann kriegen Sie dann die Kurve zum Nein?)

    — Entschuldigen Sie, Herr Müller-Hermann — Sie scheinen offenbar recht schlecht über den wirklichen Hergang der interfraktionellen Besprechungen unterrichtet worden zu sein; ich würde den Kollegen Barzel bitten, Ihnen darüber einmal Aufschluß zu geben.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. MüllerHermann: Aber Sie müssen die Kurve zum Nein noch kriegen!)

    Was vorhersehbar ist, das muß offen ordnungsmäßig beraten und verabschiedet werden. Es mag dann
    immer noch aus einsichtigen Gründen ein gewisser
    — aber möglichst kleiner — Rest bleiben.
    In diesem Sinne halten wir einige Vorlagen, über die in der nächsten Woche im Detail zu sprechen sein wird, für verabschiedungsreif: das Schutzbaugesetz, das Selbstschutzgesetz, das Gesetz über das Zivilschutzkorps. Dies sind, wie jeder weiß, keine bequemen Gesetze; sie fordern Leistungen und Opfer der Betroffenen. Unsere Zustimmung zu diesen Gesetzen ist ein Beweis, daß wir es mit der Vorsorge für Notfälle ernst nehmen und uns unsere Haltung in diesen Fragen von niemandem anders vorschreiben lassen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Allerdings war es notwendig, daß auch bei diesen Gesetzen in schwierigen Beratungen unangemessene Vorstellungen der Exekutive korrigiert wurden. Über die Einzelheiten wird ja in der zweiten und dritten Lesung zu sprechen sein.
    Für einige Gebiete wird eine Änderung des Grundgesetzes erforderlich sein. Wir wissen alle, daß wir eine Notstandsverfassung haben, und zwar eine schlechte. Sie ergibt sich im wesentlichen aus dem Deutschland-Vertrag. Die Vorbehaltsrechte der Alliierten gehen, da es kein Schiedsgericht gibt, das sie auslegt, weiter als der Art. 48 der Weimarer Verfassung und befinden sich in fremder Hand.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Eben!)

    — Entschuldigen Sie, dürfen wir denn, nachdem wir gefragt worden sind, wie wir zu diesen Fragen in eigener Verantwortung stehen, das nicht auch einmal in Ruhe hier ausführen?

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU: Man darf doch wohl einen Zwischenruf machen! Wir sind noch nicht im Notstand!)

    Diese Vorbehaltsrechte erlöschen, wenn innerdeutsches Recht die Voraussetzungen für ,die deutschen Organe zur Sicherung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gegen denkbare Gefahren schafft und wenn darüber hinaus auch die Vollmachten zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, die der Sicherheit der alliierten Besatzungstruppen dienen, in angemessener Weise in deutsche Hand übergeführt werden. An diesen klaren Texten ändern wortreiche Gutachten nichts, und so mancher sonst sehr angesehene Gutachter führt mich angesichts der bei ihm zutage tretenden politischen Naivität zu der Bemerkung — in jener kleinen Anekdote —, ob denn der Hund wirklich weiß, daß er nicht beißen darf, weil er nach der Ansicht eines wissenschaftlichen Gutachters eigentlich nicht bissig sei.
    Meine Damen und Herren, wir haben bei den Vertragsdebatten in den Jahren der Auseinandersetzungen um die Verabschiedung der deutsch-alliierten Verträge auf diese Problematik hingewiesen: auf die alliierten Vorbehaltsrechte, darauf, daß es kein Schiedsgericht gibt, darauf, daß allein die Alliierten entscheiden, ob und wann sie ihre Sicherheit bedroht glauben und wie weit sie bei ihren Maßnahmen gehen wollen. Wir haben auch darauf hingewiesen — das ist für uns nichts Neues —, daß sie diese Befugnisse delegieren können. Die schmerzliche Telefonaffäre hat ja darüber ausreichend Aufschluß gegeben.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Das schlechteste draußen im Lande gelegentlich zu hörende Argument ist doch wohl dies, daß manche Bürger unseres Landes behaupten, sie hätten mehr Vertrauen zu alliierten Offizieren als zum deutschen Parlament.

    (Oho-Rufe von der CDU/CSU.)

    Das wäre ein ausgesprochenes Armutszeugnis. —Rufen Sie hier nicht „Oho!", sondern helfen Sie lieber bei dieser dringend notwendigen Aufklärung mit.

    (Beifall bei der SPD. Laute Zurufe von der CDU/CSU: Sie! Sie!)




    Erler
    — Sie brauchen sich gar nicht zu empören. Diejenigen, die diese Aufklärungsarbeit dort, wo es darauf ankommt, geleistet haben und weiterhin leisten, sind gerade die Angehörigen meiner Fraktion und ist der Mann, der hier vor Ihnen steht; das kann niemand bestreiten.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Jenes Argument wäre ein Armutszeugnis für unser Volk. Wir Deutschen dürfen nicht vor der Verantwortung für uns selbst davonlaufen.

    (Zurufe und Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Inanspruchnahme des Selbstbestimmungsrechts für unser Volk auch im Falle der Not ist eine Selbstverständlichkeit. Sonst wäre die Forderung nach Selbstbestimmung und freien Wahlen für das ganze deutsche Volk unglaubwürdig.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Meine Herren, wenn Sie es nicht wünschen, daß in diesem Hause die Haltung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands auch besorgten anderen Volksteilen gegenüber klar und unmißverständlich zum Ausdruck gebracht wird, dann müssen Sie das nur laut sagen. Ich finde, es liegt im Interesse unseres Volkes und seiner Freiheit, daß das hier von mir ausgesprochen wird.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Auch wenn Ihnen damit die eine oder andere Wahlparole entgeht, so viel Einsicht in die gemeinsamen Notwendigkeiten sollte man haben.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Unser Parlament ist in einer anderen Lage als mancher freie Schriftsteller. Wenn Menschen mangels getroffener Vorbereitungen in Notfällen umkämen, dann würde man Parlament und Regierung verantwortlich machen und nicht jene Autoren, die all dies für überflüssig und schädlich halten und die, von niemandem gewählt, auch niemandem verantwortlich sind.

    (Beifall bei ,der SPD und bei der CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/CSU: Das sind doch Ihre Nothelfer!)

    Und 'dennoch, meine Damen und Herren, teilweise haben wir es angesichts der deutschen Geschichte mit verständlichen Gefühlen 2u tun. Eine frühere Gewaltherrschaft — das darf man auch nicht übersehen — bereitete den Krieg vor und traf gleichzeitig einschneidende Maßnahmen gegenüber der eigenen Bevölkerung.
    Um so notwendiger ist es, klarzumachen, daß es heute um den Schutz gegen Gefahren geht, 'die nicht wir heraufbeschwören, sondern in die wir durch andere hineingeraten können. Vorsorgegesetze beschwören keine Notstände herauf, sondern sollen ihnen vorbeugen und sie, falls sie dennoch eintreten, überwinden helfen.

    (Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)

    Wer eine Feuerwehr organisiert, bereitet keine Brände vor, sondern ihre Bekämpfung .

    (Beifall bei der SPD und bei der CDU/CSU.)

    Dies gilt vor allem für die Maßnahmen des zivilen Bevölkerungsschutzes.
    Damit Sie nicht etwa denken, daß dies neue Erkenntnisse für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands sind, rufe ich in Erinnerung, daß wir immer zur Mitwirkung an .der Ablösung der alliierten Rechte und an einer Gesetzgebung zur Vorsorge gegen Gefahren für Freiheit, Leben und Gesundheit bereit gewesen sind und immer bereit bleiben.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Sind wir dabei!)

    Auf dem Parteitag in Hannover 1960 haben wir ausdrücklich festgestellt:
    Die deutsche Sozialdemokratie bekennt sich
    mit allen anderen demokratischen Kräften dazu,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Unverbindlich! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland und die Freiheit ihrer Einwohner gegen alle äußeren und inneren Gefahren zu schützen. Sie ist daher bereit, die der Freiheit drohenden Gefahren unvoreingenommen zu erörtern und an denjenigen Maßnahmen mitzuwirken, die mit den Grundsätzen der Freiheit und des Rechtsstaates vereinbar sind.
    Wir haben es damals mit einer Vorlage der Bundesregierung zu tun gehabt, die Sie (zur Mitte und nach rechts) damals sehr enthusiastisch begrüßt haben. Da habe ich ähnliche Zwischenrufe in Erinnerung, wie sie heute gemacht werden. Wir haben zu der damaligen Vorlage festgestellt — ich freue mich, daß Sie inzwischen dazugelernt haben —,

    (Abg. Rasner: Wer? Wir?)

    daß sie diesen Voraussetzungen nicht gerecht wird,

    (Beifall bei der SPD)

    weil sie — ich rufe in Erinnerung — einer einfachen Bundestagmehrheit praktisch das Recht auf Ausschaltung der verfassungsmäßigen Organe gegeben hätte, unter Verletzung der Gewaltenteilung die Bundesregierung zum alleinigen Gesetzgeber machen wollte und die staatsbürgerlichen Freiheiten in unerträglicher Weise eingeschränkt hätte. Daher hieß es in unserem Beschluß:
    Soweit zur Abwehr drohender Gefahren und zur Ablösung alliierter Vorbehaltsrechte Notstandsmaßnahmen erforderlich werden, bedürfen sie einer breiten Grundlage im Parlament, müssen sie vom Parlament kontrolliert werden und jederzeit aufgehoben werden können und dürfen sie die unabänderlichen Grundsätze der Gewaltenteilung und der bundesstaatlichen Gliederung der Bundesrepublik Deutschland nicht verletzen. Ihr Mißbrauch in inner-politischen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und demokratischer Opposition sowie bei Arbeitskämpfen muß eindeutig ausgeschlossen sein.



    Erler
    Dies war im Jahre 1960. Damals hatten wir es noch mit einer Regierungsvorlage zu tun, für die der damalige Innenminister das Stichwort gegeben hatte, der Notstand sei die Stunde der Exekutive.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Die von uns damals vor fünf Jahren schon vorgeschlagenen interfraktionellen Besprechungen wurden leider abgelehnt.

    (Zuruf von der SPD: Richtig! Von wem?)

    Erst in zwölfter Stunde hat man sich dazu bereit gefunden. In Wahrheit ist der Notstand die Stunde der Bewährung aller freiheitlichen Kräfte eines Volkes.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es gibt keine Demokratie ohne Demokraten. (Zurufe von der Mitte.)

    Wer glaubt, Sicherheit gegen Gefahren nur auf Staatsorgane abschieben zu können — von der Polizei über den Verfassungsschutz bis zur Bundeswehr —, der irrt. Selbstbewußte Bürger müssen gemeinsam ihren Staat tragen und ihre Freiheit schützen.

    (Zuruf von der CDU/CSU.)

    Deshalb muß man mit diesen Bürgern auch offen reden, Gefahren weder verbergen noch verharmlosen, sondern sie furchtlos ins Auge fassen; dann wird man auch mit ihnen fertig.

    (Zuruf von der Mitte: Dann fangt mal an! — Heiterkeit in der Mitte.)

    Diese Welt ist nicht so glatt und lieblich, wie es eine Propaganda darstellte, der es mehr auf Vollmachten für die Exekutive ankam als darauf, den bequem gewordenen Bürger illusionslos anzusprechen und an seine Mitwirkung zu appellieren.

    (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Aber warum honorieren Sie das nicht?)

    Deshalb, meine Damen und Herren, darf Gesetzgebung keine Akzente haben gegen diejenigen, ohne deren Mitwirkung die Überwindung von Notständen ausgeschlossen ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Hier handelt es sich einmal um die Presse, um das Mitgehen der öffentlichen Meinung, die man bei gemeinsamen Gefahren braucht, und hier handelt es sich zum zweiten um die Arbeitnehmer und ihre Organisationen. Die Probleme sind nicht gegen sie, sondern nur mit ihnen zu lösen. Natürlich wissen wir, daß Einwände von dort auch über das Ziel hinausschießen, z. B. die Ablehnung der Notwendigkeit von Gesetzen überhaupt.

    (Zuruf von der Mitte: Dazu haben Sie lange gebraucht!)

    Bundestag und Parteien haben die Pflicht zur eigenen Prüfung. Diese Verantwortung kann uns von niemandem abgenommen werden,

    (Zuruf von der Mitte: Dann laßt sie euch auch nicht abnehmen!)

    weder von noch so wichtigen Gliedern unseres gesellschaftlichen Lebens noch von Stimmen aus Wissenschaft, Kirche und Wirtschaft, noch vom Druck derer, die rasch vor der Wahl etwas nach Hause tragen wollen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wohl aber, meine Damen und Herren, sind wir gut beraten, wenn wir die in der öffentlichen Meinung bei den Arbeitnehmern und ihren Organisationen sichtbar gewordenen berechtigten Sorgen ernst nehmen und alles tun, um berechtigte Bedenken durch die entsprechende Gestaltung unserer Beschlüsse zu zerstreuen.

    (Abg. Müller-Hermann: Bestellte Sorgen!)

    — Das ist übrigens eine ganz neue Variante — wenn ich das gerade zu dem Kollegen mit seinem besonders reizenden Zwischenruf sagen darf —: die einen behaupten, daß wir uns unter Fernsteuerung begeben hätten, und die anderen behaupten — wie durch den Zwischenruf jetzt —, wir hätten uns diese Sorgen bestellt, wir steuerten das auch noch. Dann müssen Sie sich erst entscheiden, welche Version Sie eigentlich für richtig halten.

    (Beifall und Heiterkeit bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    — Nein, nein, die beiden Versionen sind gleichermaßen Produkte überhitzter Wahlkampfphantasie und heben sich gegenseitig auf.

    (Beifall bei der SPD.)

    So haben wir mit überwältigender Mehrheit auf unserem Parteitag in Köln folgendes festgestellt:
    1. Es ist eindeutig klarzumachen, in welchen Fällen — —

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Zwangsverpflichtung! — Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    — Sie scheinen die Beratung von Grundgesetzergänzungen für eine besonders humoristische Sache zu halten, ich bewundere Sie dabei.

    (Beifall bei .der SPD. — Zuruf von der Mitte: Unter dem von Ihnen genannten Aspekt!)

    1. Es ist 'eindeutig klarzumachen, in welchen Fällen und unter welchen Umständen von einem Notstand gesprochen werden muß, der nur mit außerordentlichen Mitteln gemeistert werden kann. Dabei ist zwischen innerem Notstand, drohendem Verteidigungsfall — gleich Spannungszeit — und äußerem Notstand 2u unterscheiden.
    2. Es ist zu gewährleisten, daß in solchen Situationen nicht eine an ,der Macht befindliche Gruppe oder Partei die Mittel der Exekutive zur Unterdrückung der anderen ausnutzen kann.
    3. Es ist zu sichern, daß Notstandsbefugnisse ausschließlich zur Meisterung des Notstandes und nicht zur Drosselung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, vor allem nicht der Freiheit der Presse, des Rundfunks, des Fernsehens und der freien Meinungsäußerung eingesetzt werden können.



    Erler
    4. Es ist auszuschließen, daß eine Einschränkung oder Drosselung der demokratischen Grundrechte im gewerkschaftlichen und betrieblichen Bereich unter dem Vorwand des Notstandes praktiziert werden kann.
    5. Es ist Vorkehrung 711 treffen, daß weder die Befugnisse der Länder noch die der gewählten Volksvertretungen unter Berufung auf einen Notstand erstickt werden können.
    6. Die Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts muß gewährleistet sein. Jede Maßnahme muß vor das Bundesverfassungsgericht gebracht werden können.
    7. Die Verantwortlichkeit des Parlaments ist in jeder Lage zu erhalten. Die Notstandsregelung darf keine Möglichkeit des Ausweichens des Parlaments aus seiner Verantwortung schaffen.
    Diesen Beschluß, der für uns die Grundlage für die Bemessung jeglicher Vorlagen auf diesem Gebiete darstellt, haben wir in Karlsruhe auf unserem Parteitage im November 1964 erneut bekräftigt. Hierzu habe ich in meiner damaligen Rede außerdem folgende zehn Punkte aufgeführt:
    1. Eine Gesamtkonzeption muß dem •Schutz des einzelnen Menschen bei auftretenden Notlagen die gleiche Bedeutung beimessen wie dem Schutz des Staates.
    2. Der Regierungsentwurf über den Zustand der inneren Gefahr ist überflüssig. Bei 'den Weiterberatungen wird von Art. 91 des Grundgesetzes auszugehen sein. Dabei muß klar sein, daß Arbeitskämpfe nicht unter eine Notstandsregelung fallen können.
    3. 'Die Verantwortung in jedem Stand des Verfahrens, bei der Verkündung bestimmter Notfälle und bei der Anwendung bestimmter rechtlicher Regeln muß beim Parlament liegen. Kann es nicht zusammentreten, muß ein Notparlament aktionsfähig sein.
    4. Daraus ergibt sich, daß der Regierung kein Notverordnungsrecht zuzubilligen ist. Es wird immer einen handlungsfähigen Gesetzgeber geben, dem ,auch die Opposition angehört.
    5. Anzustreben ist, daß für den Fall der Not die 'Regierung sich nicht nur auf eine einfache parlamentarische Mehrheit stützt, sondern alle demokratischen Kräfte umfaßt.
    6. Eine Mobilmachung ist eine politische und keine militärische Entscheidung. Auch hier muß infolgedessen das Parlament bzw. das Notparlament bestimmen.
    7. Soweit bestehende Gesetze wie Bundesleistungs- und Wehrpflichtgesetz die Bundesregierung zur Feststellung bestimmter Notwendigkeiten auf dem Gebiete der Verteidigung ermächtigen, muß auch hier Parlament bzw. Notparlament eingeschaltet werden.
    8. Um einen Mißbrauch durch einfache Mehrheiten auszuschalten, dürfen die oben genannten
    Entscheidungen nur mit Zweidrittelmehrheit gefällt werden.
    9. Das Verfassungsgericht muß während eines Notstandes jederzeit handlungsfähig sein und darf nicht in -seinen Befugnissen beeinträchtigt werden.
    10. Es besteht keine Notwendigkeit, den Art. 12 Abs. 3 des Grundgesetzes zu ändern, nach dem eine Heranziehung von Frauen gegen ihren Willen zu Dienstleistungen im Verbande der Streitkräfte unzulässig ist.

    (Zuruf rechts: Alles 'beschlossen!)

    Meine Damen und Herren, so detailliert hat keine andere Partei diskutiert und Stellung genommen.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte. — Abg. Rasner: Sie haben vergessen: 11. Nein!)

    Es ist schwer verständlich, daß bei dieser klaren Haltung die Regierung und ihre Mehrheit in den Ausschüssen jahrelang an Positionen festhielten, die nicht durchsetzbar waren. Man mußte doch die Realitäten respektieren: das Grundgesetz forderte eine Zweidrittelmehrheit; diese gibt es nicht ohne die SPD. Die sozialdemokratische Haltung ist klar und durch Parteitagsbeschluß abgesteckt.

    (Abg. Dr. Müller-Hermann: Wann war denn Karlsruhe?)

    — Hannover war 1960, Köln war 1962; seitdem haben Sie das alles gewußt. In Karlsruhe wurde es 1964 lediglich noch einmal bestätigt, damit auch diejenigen es endlich wissen, bei denen der Groschen langsamer fällt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Im Juni 1964 wurde diese Haltung zweimal dem Bundeskanzler vorgetragen. Wir haben geglaubt, er würde sich einschalten. Damals 'bestand der Eindruck, daß die Bundesregierung ihren Einfluß ausüben würde, daß es kein Notverordnungsrecht geben sollte, sondern die Gesetzgebung bei einem jederzeit funktionsfähig zu machenden Parlament zu liegen hätte. Es wurde 'der Gedanke des Notparlaments erörtert. Es wurde darauf hingewiesen, daß, man zur Vermeidung innenpolitischen Mißbrauchs für bestimmte Feststellungen Zweidrittelmehrheiten bräuchte und daß die Ablösung der Vorbehaltsrechte in vollem Umfang gesichert werden müßte und daß es daher galt, Klarheit bei den Alliierten auch auf dem Gebiet der Post- und Fernmeldeüberwachung zu schaffen.


Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Fritz Erler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Bitte sehr!