Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 30. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Vor Eintritt in die Tagesordnung bitte ich Frau Kollegin Rösch, die Namen der erkrankten und beurlaubten Abgeordneten zu verlesen.
Der Präsident hat für die heutige Sitzung Urlaub erteilt den Abgeordneten Dr. Graf Henckel, Frau Niggemeyer, Illerhaus, Dr. Willeke, Ohlig, Dr. Horlacher, Fassbender, Lücke, Kurlbaum, Frühwald, Frau Friese-Korn, Stahl, Dr. Will, Dr. Gille, Rasch, Blachstein, Dr. Schild , Bazille, Dr. Bucerius und Gockeln.
Ich danke der Frau Schriftführerin.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 19. März 1954 gemäß Art. 76 Abs. 2 des Grundgesetzes wiederholt zu einigen Vorlagen Stellung genommen, deren erster Durchgang beim Bundesrat vor September 1953 lag. Ich darf dazu auf den von der Bundesregierung zwischenzeitlich eingegangenen
Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit — zu Drucksache 44 —, auf den
Entwurf eines Gesetzes über die Einkommensgrenze für das Erlöschen der Versicherungsberechtigung in der gesetzlichen Krankenversicherung — zu Drucksache 67 — und auf den
Entwurf eines Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung — zu Drucksache 68 —
verweisen. Entsprechend einer interfraktionellen Vereinbarung wird von einer erneuten ersten Lesung dieser Gesetzentwürfe im 2. Bundestag Abstand genommen.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
a) Mündliche Berichterstattung des Ausschusses für Petitionen gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung;
b) Beratung der Übersicht 5 über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages betreffend Petitionen nach dem Stand vom 7. Mai 1954 .
Das Wort zur Berichterstattung hat Frau Abgeordnete Albertz.
Frau Albertz , Berichterstatterin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider — —
Ich bitte sehr um Entschuldigung. Die Technik scheint uns heute nicht hold zu sein. Das grüne Licht bleibt dunkel.
Selbst wenn ich den Knopf nach rechts drehe: es bleibt dunkel.
— Jetzt funktioniert die Technik wieder.
Frau Albertz , Berichterstatterin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider bestanden infolge der Haushaltsberatungen Terminschwierigkeiten, so daß es dem Petitionsausschuß erst jetzt möglich ist, seine ersten mündlichen Darlegungen in dieser Wahlperiode gemäß § 113 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu machen. Ich bitte Sie daher um Verständnis dafür, wenn die Ihnen vorliegenden statistischen Übersichten bereits mit dem Ende des ersten Kalendervierteljahres, nämlich mit dem 31. März 1954 abschließen. Wenn ich im Laufe meines Berichtes auf diese Übersichten verweise, so wollen Sie bitte berücksichtigen, daß inzwischen nach einem weiteren Ablauf von zwei Monaten sich die Endsumme der beim Bundestag eingegangenen Petitionen in der zweiten Wahlperiode auf 5927 erhöht hat.
Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, daß ich zunächst noch einmal in meinen Darlegungen auf die Rechtsnatur der Petitionen eingehe, insbesondere darum, weil sich die Zusammensetzung des Plenums in der zweiten Wahlperiode geändert hat und zahlreiche Damen und Herren über das Petitionsrecht in Kenntnis gesetzt werden sollten. Aus der Formulierung des Art. 17 des Grundgesetzes ergibt sich, daß „jedermann das Recht hat, sich mit Bitten und Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden". Damit wird deutlich, daß das Petitionsrecht eines der wichtigsten Grundrechte des Staatsbürgers ist, das erhalten und ausgebaut werden sollte; denn in sehr vielen Fällen können Petitionen eine wertvolle Unterstützung der Legislative bei der Ausübung ihres Kontrollrechts gegenüber der Exekutive sein.
Der Wortlaut des Art. 17 des Grundgesetzes allein genügt aber nicht, um das Wesen des Petitionsrechtes zu erfassen. Ergänzend müssen für die Frage der Behandlung der Petitionen auch die Bestimmungen der §§ 112 und 113 der Geschäftsordnung herangezogen werden. Auf Grund der Praxis des Petitionsausschusses sind diese Bestimmungen der Geschäftsordnung schon insoweit geändert worden, als Petitionen durch die Erklärung der Bundesregierung als erledigt angesehen werden können, als der Petitionsausschuß das Recht hat, sich laufend über die Erledigung der den Fachausschüssen überwiesenen Petitionen zu unterrichten, als der Petitionsausschuß vierteljährlich dem Plenum einen mündlichen Bericht über seine Tätigkeit zu erstatten hat und die Mitteilung über die Art der Erledigung einer Petition möglichst mit Gründen versehen sein soll. Mit dieser Änderung in der Geschäftsordnung ist zweifellos eine Straffung des Geschäftsgangs erreicht worden.
Der Bericht über die Petitionen im Plenum muß nach § 113 der Geschäftsordnung mit einem Antrag schließen, der in der Regel so lautet, wie es in der Geschäftsordnung vorgesehen ist. Der Antrag kann aber auch einen andern Wortlaut haben;
er ist nicht an diese Formulierung gebunden. Dies
ergibt sich schon aus der Fassung „in der Regel".
Darüber hinaus stehen dem Petitionsausschuß besondere Befugnisse zu, um die Petitionen behandlungsreif zu machen und dem Bundestag einen Entscheidungsvorschlag unterbreiten zu können. Hierzu gehört das Recht, unmittelbar Stellungnahmen einzuholen, wenn die Würdigung einer Eingabe besondere Anfragen zur Ergänzung des Tatbestandes erfordert.
Die im Hause gelegentlich vertretene Auffassung, nur dem Untersuchungsausschuß stünde gemäß Art. 44 des Grundgesetzes die Befugnis zu, durch besondere Beweiserhebung Feststellungen über den Tatbestand zu treffen, erscheint zu eng. In diesen Fällen können solche Anfragen, die doch etwas ganz anderes sind als die Beweiserhebungen nach Art. 44 des Grundgesetzes, erst das Problem der Zuständigkeit bzw. Unzuständigkeit des Bundes klären. Die Entscheidung dieser Frage kann aber nicht nur auf den Ausführungen des Petenten und allgemeinen Vermutungen basieren.
Die vom Petitionsausschuß gestellten Anträge werden vom Plenum im allgemeinen ohne Aussprache zum Beschluß erhoben. Eine Aussprache über Petitionen im Plenum konnte nach der vorläufigen Geschäftsordnung vom 20. September 1949 von einer Gruppe von 30 Abgeordneten oder vom Petitionsausschuß beantragt werden. Diese Möglichkeit ist in der neuen Geschäftsordnung leider nicht vorgesehen. Es heißt jetzt, daß über die Übersichten nur beraten wird, „wenn es beschlossen wird"; das heißt, daß die Mehrheit darüber beschließt. Es fragt sich, meine Damen und Herren, ob diese Regelung in der Geschäftsordnung unter Berücksichtigung der Parlamentspraxis der besonderen gegenwärtigen Bedeutung des Petitionsrechts entspricht. Die moderne Bedeutung der Petitionen sollte darin liegen, daß sie die einzige Möglichkeit für den einzelnen bieten, Einfluß auf die Legislative zu nehmen, daß sie der einzige Weg sind, auf dem Bitten und Beschwerden aus dem Volk in das Parlament als Ganzes dringen können.
Der Schwerpunkt des Petitionsverfahrens liegt beim Petitionsausschuß, der in seiner vierteljährlichen mündlichen Berichterstattung die Möglichkeit hat, dem Plenum einen Gesamtüberblick zu geben, wie es heute geschieht. Es müßte erreicht werden, daß vor allem diejenigen Petitionen, die ernste Anliegen und wertvolle Vorschläge enthalten, dem Plenum des Bundestages Bekanntwerden und daß darüber diskutiert werden könnte.
Ferner sollte die Geschäftsordnung dahin ergänzt werden, daß der Bescheid des Parlaments nicht nur „möglichst mit einer Begründung versehen sein soll", sondern mit einer Begründung zu versehen ist. Dadurch würde der Petent einmal ersehen können, daß sich das Parlament sachlich mit seinem Petitum beschäftigt hat; zum andern würde er durch den Bescheid des Parlaments in den meisten Fällen den Beschluß überhaupt erst verstehen können.
Es würde dadurch auch keine Mehrarbeit entstehen, da die Berichterstatter ihren Entscheidungsvorschlag für die Ausschußsitzung bereits mit einer kurzen Begründung versehen müssen, die in den meisten Fällen verwendbar sein dürfte.
Abschließend kann also festgestellt werden, daß das Petitionsverfahren im Bundestag der besonderen Aufgabe des Petitionsrechts nicht ganz gerecht wird. Es sollte daher eine Änderung der geltenden Bestimmung der Geschäftsordnung des Bundestages vorgesehen werden, wonach erstens eine Aussprache über Petitionen im Bundestag dann stattfinden soll, wenn es vom Petitionsausschuß oder von 30 Mitgliedern beantragt wird, und wonach zweitens — und das scheint dem Petitionsausschuß besonders wichtig — dem Petenten mit dem Beschluß des Bundestages eine kurze Begründung mitzuteilen ist.
Meine Damen und Herren, der Petitionsausschuß hat Ihnen heute wiederum einige Übersichten vorgelegt, aus denen Sie zunächst entnehmen wollen, daß den Ausschüssen des Deutschen Bundestages in der 1. Wahlperiode in der Zeit vom 1. September 1949 bis zum 5. September 1953 27 200 Petitionen zugeleitet worden sind. Hiervon konnten bis zum Abschluß der 1. Wahlperiode 99,9 % erledigt werden, so daß praktisch keine Rückstände mehr vorhanden waren. Nach dieser Ubersicht, die immerhin vier Jahre umfaßt, war der Petitionsausschuß mit 13 615 Eingaben, das sind 50%, beteiligt, während die insgesamt 43 Fachausschüsse mit 8177 Eingaben, das sind 30,04 %, die Bundesregierung und andere Behörden mit 3417 Eingaben, das sind 12,7%, und die Landtage der Bundesrepublik mit 1711 Eingaben, das sind 6,2%, beteiligt waren.
Daneben liegt Ihnen eine statistische Übersicht über das erste halbe Jahr der 2. Wahlperiode mit einer Gegenüberstellung des ersten halben Jahres der 1. Wahlperiode vor. Hieraus ersehen Sie, daß im ersten halben Jahr der 2. Wahlperiode 4876 Eingaben eingegangen sind, während im ersten halben Jahr der 1. Wahlperiode rund 1000 Eingaben weniger eingingen, nämlich 3926. Obwohl sich hiernach die Zahl der Petitionen im gleichen Zeitraum gegenüber der 1. Wahlperiode um 10,24 % erhöht hat und eine verwaltungstechnische Mehrarbeit für das Personal des Petitionsbüros um 13,57% entstanden ist, ist eine Personalvermehrung nicht vorgenommen worden. Wenn die Mehrarbeit im Petitionsbüro anhält, müßte unbedingt eine Personalvermehrung ins Auge gefaßt werden. Die Mehrarbeit ergibt sich auch daraus, daß es in der 2. Wahlperiode möglich war, 90% zu erledigen, während es in der 1. Wahlperiode im gleichen Zeitraum nur 46 % waren. Auffallend ist, daß die 35 Fachausschüsse in der 2. Wahlperiode nur noch mit 6,4 % beteiligt sind, während es in der 1. Wahlperiode noch 45 % waren. Hieraus ergibt sich deutlich eine Entlastung der Fachausschüsse. Diese Entlastung ist beabsichtigt und hat dazu geführt, daß die Bundesregierung und die Landtage mehr und mehr unmittelbar eingeschaltet werden konnten. So wurden an die Landtage im ersten halben Jahr 22 % zur Behandlung überwiesen und 31% an die Bundesregierung bzw. an die zuständigen Fachministerien. Von den Fachausschüssen des Deutschen Bundestags wurden in der zweiten Wahlperiode nur der Ausschuß für Sozialpolitik und der Ausschuß für Besatzungsfolgen an der Bearbeitung von Petitionen nennenswert beteiligt.
Daneben liegen Ihnen noch zwei Strukturen vor, die den wesentlichen Inhalt der im Ausschuß für Petitionen behandelten Eingaben betreffen. Während der vier Jahre der ersten Wahlperiode standen unter den 13 605 im Petitionsausschuß be-
handelten Eingaben an erster Stelle Petitionen, die sich mit Ansprüchen aus dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes, Pensionen und den übrigen Beamtenrechtsansprüchen befaßten. Anschließend kamen die Geltendmachung von Renten, die Ansprüche nach dem Bundesversorgungsgesetz und im Rahmen der Kriegsopferversorgung, Bitten um Beschleunigung eines eingeleiteten Verfahrens usw. Relativ viele Petitionen befaßten sich mit Gerichtsentscheidungen der Zivil-, Straf-, Verwaltungs-, Sozial- und Arbeitsgerichtsbarkeit. In diesen Fällen konnten die Petenten nur ganz allgemein auf die im Grundgesetz garantierte Unabhängigkeit der Rechtspflege hingewiesen werden; eine materielle Prüfung konnte in diesen Fällen nicht vorgenommen werden.
Die Struktur hat sich im ersten halben Jahr der zweiten Wahlperiode wesentlich verschoben. An erster Stelle stehen jetzt die Ansprüche aus dem Bundesversorgungsgesetz und der Kriegsopferversorgung, an zweiter Stelle die Ansprüche aus der Sozialversicherungsgesetzgebung, Altersversorgung und Arbeitslosenversicherung, an dritter Stelle folgen die Ansprüche aus dem Lastenausgleich, die sich in der Hauptsache mit der Hausratsentschädigung, Unterhaltshilfe und den Aufbaudarlehen befassen. Auffallend ist, daß bereits an vierter Stelle die Eingaben folgen, die Besatzungsschäden, Kriegsfolgelasten und die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts zum Inhalt haben. Die Eingaben zum BEG aus dem In-und Ausland haben ihre Ursache wohl in den noch immer fehlenden Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz. Ferner wird deutlich, daß weite Kreise des deutschen Volkes auf die Verabschiedung des Kriegsfolgeschlußgesetzes warten. Die Fälle der Geltendmachung von Ansprüchen nach dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes sind erheblich zurückgegangen. Den wesentlichen Inhalt der übrigen Petitionen bitte ich Sie aus der vorliegenden Struktur entnehmen zu wollen.
Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen noch einige Ausführungen darüber mache, was be der Durchsicht der Vielzahl der Petitionen besonders auffiel. Zunächst möchte ich an das anknüpfen, was Herr Kollege Sassnick bereits in seiner Berichterstattung vom März 1953 herausgestellt hat. Er sagte, aus der Fülle der Eingaben verdiene hervorgehoben zu werden, daß sich in letzter Zeit Anfragen wegen einer Rückkehr aus den unter polnischer Verwaltung stehenden Gebieten gehäuft haben. Diese Feststellung trifft auch heute noch, und zwar in erhöhtem Maße, zu. Die zwangsweise Zurückhaltung von Familienangehörigen deutscher Staatsangehörigkeit in Ostpreußen bzw. den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten ist ein Problem, das mehr als bisher sowohl in der öffentlichen Diskussion als auch bei den Verhandlungen auf internationaler Ebene angesprochen werden sollte. Hierfür hat sich in einem Brief an den Ausschuß auch die Kollegin Frau Dr. Probst eingesetzt.
Kürzlich schrieb uns ein Petent — er ist einer unter vielen —, daß er im Laufe der vergangenen neun Jahre alle möglichen Mittel und Wege erfolglos erschöpft habe, um seine 31jährige Frau mit ihren drei Kindern im Alter von 9 bis 14 Jahren, die nunmehr neun Jahre nach Beendigung des Krieges wider ihren Willen in Polen zurückgehalten werden, in die Heimat zurückzuführen. Wörtlich schreibt der Petent:
Die folgende kurze Schilderung meines Einzelschicksals hat den Zweck, die Aufmerksamkeit des Bundestages auf ein Unrecht zu lenken, unter welchem ich nicht nur allein zu leiden habe, sondern gleich mir noch viele aus dem deutschen Osten stammende Mitbürger in der Bundesrepublik. Ein Unrecht, das in der Geschichte des zeitnahen Weltgeschehens wohl ohne Beispiel dasteht, begangen von einer Nation, die als ganz besonders „ritterlich" unter den Völkern zu gelten für sich in Anspruch nimmt.
Der Petent führt weiter aus, daß seine Familie in denkbar dürftigsten Verhältnissen von dem kümmerlichen Verdienst seiner schwerste Männerarbeit verrichtenden Frau leben müsse. Seit neun Jahren flehten seine Frau und seine Kinder in herzerschütternden Briefen ihn an, ihrem traurigen Schicksal ein Ende zu bereiten.
Der Petent meint, und mit ihm auch viele andere, wenn nun das zweifellos traurige Schicksal der Kriegsgefangenen die deutsche Öffentlichkeit, die Volksvertretung und maßgebende Regierungsstellen veranlassen konnte, ihre Stimme mahnend und fordernd zu erheben, müßte dies im Falle der bedauernswerten Frauen und unschuldigen Kinder in den polnisch besetzten Ostgebieten auch geschehen.
Da die Bundesrepublik keine diplomatischen Beziehungen zur polnischen Regierung unterhält, bleibt nur die Möglichkeit, die Weltöffentlichkeit auf dieses Problem aufmerksam zu machen. In diesem Zusammenhang darf auf die erneute Behandlung der Gefangenenfrage durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 1953 hingewiesen werden.
In einem anderen Fall wurde inzwischen ein polnischer Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung der Interessen eines zu zwölf Jahren verurteilten Ministerialbeamten beauftragt. Der Rechtsanwalt wird versuchen, entweder die Wiederaufnahme des Verfahrens wegen neuer Tatsachen oder eine außerordentliche Revision im Hinblick auf die ungerechte und zu strenge Strafe zu betreiben.
Auffallend ist auch das verstärkte Drängen der Saar-Evakuierten, die eine Einbeziehung von im Saargebiet entstandenen Kriegssachschäden in die Lastenausgleichsregelung fordern. Der für diese Fragen federführende Bundesminister der Finanzen hat sich zu dem Problem bisher dahin geäußert, daß die Frage zur Zeit von den beteiligten Ressorts geprüft werde. Wenn auch die Monatszeitschrift „Der Evakuierte" in einer Veröffentlichung eine gewisse Polemik gegen den Bundestag und den Petitionsausschuß des Bundestags an den Tag legt, so wäre es im Interesse aller Betroffenen doch wünschenswert, wenn die angedeutete Überprüfung bald zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht werden könnte.
Fast in jeder Berichterstattung des Petitionsausschusses ist auf das Problem der älteren Angestellten hingewiesen worden. Die von der Bundesregierung vertretene Auffassung, daß der Staat bewußt auf eine Lenkung des Arbeitsmarktes verzichtet habe, weil sich nach den bisherigen Erfahrungen Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Arbeitsvermittlung für den Personenkreis, der durch diese Maßnahmen begünstigt sei, oft nachteilig ausgewirkt hätten, ist vom Petitionsausschuß nicht geteilt worden. Wenn man die Bemühungen einzelner dieses Personenkreises liest,
muß man es für fast unglaublich halten, daß immer noch keine Regelung gefunden worden ist, die das Los der älteren Angestellten erleichtert. Darum begrüßt es der Petitionsausschuß, daß sich das Hohe Haus in der heutigen Tagesordnung mit der Beratung eines Gesetzes zur Behebung der Berufsnot der älteren Angestellten befassen wird.
Es kann heute zu einem anderen Problem festgestellt werden, daß auf Grund der Vielzahl von Fällen, die dem Bundesminister für Arbeit vom Petitionsausschuß überwiesen worden waren, die Nachuntersuchungen von Kriegsbeschädigten des ersten Weltkrieges, die das 65. Lebensjahr vollendet haben — diese Nachuntersuchungen führten vielfach zum Entzug der Kriegsbeschädigtenrente —, nur dann noch vorgenommen werden, wenn nach dem versorgungsärztlichen Urteil die festgesetzte Minderung der Erwerbsfähigkeit in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu den tatsächlichen Verhältnissen steht.
In einem dieser Fälle, der ein klassisches Beispiel darstellt, lag es so, daß einem 86jährigen Invaliden, der 1890 auf SMS „Deutschland" einen Unfall erlitten und auf Grund seiner 40%igen Dienstbeschädigung zunächst eine Rente erhalten hatte, diese Rente nach der Kapitulation nicht mehr gezahlt wurde. Seine Bemühungen vom Jahre 1947 an, seine Rente wiederzuerhalten, waren erfolglos. Nun wurde ihm ein Zugunstenbescheid erteilt und die Kriegsbeschädigtenrente vom 1. August 1947 an wieder gewährt.
Auch in einem anderen Fall wurde erreicht, daß einem Petenten, der 35 Jahre lang auf Grund einer Verwundung im ersten Weltkrieg seine Rente erhalten und bei dem dann eine Nachuntersuchung zum Entzug der Rente geführt hatte, diese Rente belassen wurde.
Trotz dieser vom Bundesminister für Arbeit getroffenen Regelung sind dem Ausschuß aber doch noch Fälle bekanntgeworden, die im Widerspruch zu den Äußerungen des Ministers stehen, welche er in seiner Antwort vom 26. Februar 1954 auf die Kleine Anfrage 32 der Fraktion der SPD — Bundestagsdrucksache 297 — und in der Plenarsitzung vom 11. März 1954 gemacht hat. Der Ausschuß wird diese Fälle zusammenstellen und in Kürze nochmals dem Bundesminister für Arbeit zur Prüfung und Stellungnahme vorlegen.
Meine Damen und Herren! Ich könnte die Reihe von wirklich erfreulichen Erfolgen, die durch die Bearbeitung von Petitionen erreicht wurden, beliebig fortsetzen. Kürzlich noch schrieb ein Petent:
Der Menschen sind es wohl viele, die Ihre Hilfe suchen und auch wohl finden so wie wir. Denn schon einmal in diesem Jahre beanspruchten wir Ihre Hilfe und fanden diese überraschend schnell. Mein schwerkranker Mann und ich danken für Ihre Bemühungen von ganzem Herzen.
Eine andere Petentin schreibt launig:
. . . . so, jetzt habe ich mir meinen Ärger vom Herzen geschrieben, wenigstens teilweise, nun kann ich ruhiger leben, wenn ich meine Gedanken einmal zu Papier gebracht habe. Und man meint dann wenigstens, die Wartezeit wäre kürzer.
Lassen Sie mich noch kurz zu einem weiteren bedeutsamen Fall folgendes sagen. Es handelt sich um eine Petition auf dem Gebiet der Krankenversicherung der Rentner und der Besteuerung der Kriegsbeschädigtenrenten in den unter niederländische Verwaltung gestellten deutschen Gebieten von Elken, Selfkant sowie in den Ortschaften Suderwyk und Weyler. Der Bund Deutscher Kriegs-und Arbeitsopfer in Elken hatte auf einer Protestversammlung eine Resolution angenommen, in der er sich gegen den Zustand, daß die Krankenversicherung der Rentner immer noch nicht geregelt ist, und gegen die von holländischer Seite in Aussicht genommene Besteuerung deutscher Kriegsbeschädigtenrenten der dort wohnenden Kriegsbeschädigten wendet.
Der Bundesminister für Arbeit sagt in seiner Stellungnahme, daß auf Grund der erheblichen Unterschiede beider Länder in der Gesetzgebung mit einer zwischenstaatlichen Regelung in naher Zukunft nicht gerechnet werden könne. Er hat deshalb eine vorläufige Lösung veranlaßt, die darin besteht, daß die Betroffenen in diesen Gebieten unmittelbar durch die deutschen Krankenkassen betreut werden.
Hinsichtlich der Heranziehung der Empfänger der Versorgungsrenten mit ihren Einkünften, den aus deutschen öffentlichen Kassen gezahlten KB-Renten, die nach deutschem Steuerrecht steuerfrei sind, zur niederländischen Einkommensteuer, ist zur Vermeidung von Härten durch Vorstellungen bei der niederländischen Regierung erreicht worden, daß bis zum Abschluß eines Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und den Niederlanden die fälligen Steuerbeträge gestundet werden.
Ich darf im Auftrage des Petitionsausschusses darauf hinweisen, daß sich die Fälle häufen, in denen von den Hinterbliebenen die Fristen versäumt wurden, die mit § 2 des Gesetzes über den Ablauf der durch Kriegsvorschriften gehemmten Fristen in der Sozial- und Arbeitslosenversicherung vom 13. November 1952 zusammenhängen.
Ein weiterer Fall, der die Mitglieder des Petitionsausschusses zum Nachdenken veranlaßt hat, betrifft die Beschwerde eines Petenten darüber, daß die Flugzeuge der Alliierten im Tiefflug über Häuser und Ortschaften fliegen. Dies habe dazu geführt, daß seine Frau, eine Mutter von drei kleinen Kindern, einen Schock erlitten habe, körperlich zusammengebrochen sei und ein Arzt habe hinzugezogen werden müssen.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat sich hierzu dahin geäußert, daß die alliierten militärischen Dienststellen sich bereit erklärt hätten, Verstöße gegen die Luftverkehrsregeln zu unterbinden. Es sei aber erklärt worden, daß die Schuldigen nur dann zur Verantwortung gezogen werden könnten, wenn die Meldung über Verstöße unmittelbar im Anschluß an das Ereignis erstattet würde.
Die Angaben müßten neben Ort und Zeit des Überflugs die Nationalität, das Kennzeichen des Flugzeugs, seine Flugrichtung und zusätzlich auch noch die geschätzte Flughöhe enthalten.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß niemand
hier im Hause ist, der, wenn er wie diese Petentin
einen körperlichen Zusammenbruch erleiden würde,
in der Lage wäre, auch noch diese Feststellungen zu treffen.
Abschließend darf ich noch sagen: Die Aufgabe dieser Berichterstattung kann nur sein, die Probleme aufzuzeigen, damit der Gesetzgeber hieraus seine Schlüsse ziehen kann, um initiativ zu werden. Jedenfalls steht fest, daß das Material, das dem Petitionsausschuß zur Verfügung steht, eine Fundgrube ist. Es lohnt sich für den Gesetzgeber wirklich, dieses Material noch mehr als bisher auszuwerten und nutzbar zu machen.
Trotz aller Bitten, Nöte und Beschwerden, die aus der Flut von Petitionen zu entnehmen sind, kann angenommen werden, daß das Verhältnis des einzelnen zum Parlament und zur Verwaltung zwar in etwa normalisiert, aber damit noch nicht zu einer persönlichen Beziehung gekommen ist. Die Bürokratie ist noch immer für die meisten unserer Staatsbürger eine anonyme Macht,
welcher man im Notfall über Paragraphen zu Leibe rücken kann. Es sollte uns allen darauf ankommen, die Verwaltung ihrer Anonymität gegenüber dem Staatsbürger zu entkleiden
und damit auch Verantwortlichkeiten im Einzelnen und im Kleinen sichtbar zu machen. Das festgemauerte Gehäuse des Regierungsapparats, das in seinem Innern dem harmlosen Bürger ein Irrgarten von Zuständigkeiten scheint, sollte zu einem Glashaus werden,
durchsichtig, überschaubar und damit auch begreifbar für den, der sich nur die Mühe des ernsthaften Betrachtens macht. Die Verwirklichung solcher Maßnahmen könnte sehr wohl dazu dienen, ein echtes demokratisches Staatsgefühl zu wecken, das heute nur allzuoft von der Vorstellung niedergehalten wird, daß Staat und Verwaltung für den einzelnen ja doch unfaßbare Größen seien.
Ich danke der Frau Berichterstatterin.
Wir haben nun noch 'Beschluß zu fassen über die Anträge des Petitionsausschusses, die Sie in der Ubersicht 5, Drucksache 508, verzeichnet finden. Das Haus wird mich wohl von der Pflicht dispensieren, diese Übersicht 5 zu verlesen.
Meldet sich jemand zum Wort? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache über diese Anträge und lasse abstimmen. Wer sie annehmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung: Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Pressepolitische Pläne der Bundesregierung )
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Kalbitzer.
Kalbitzer , Anfragender: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage der pressepolitischen Pläne der Bundesregierung, mit der wir uns heute befassen, stellt ein sehr ernstes Anliegen des Parlaments dar, weil
*) Siehe Anlage Seite 1435
Parlament und freie Presse siamesische Zwillinge sind, die nur in Freiheit gedeihen und die ohne einander nicht leben können. Wird die Freiheit der Presse bedroht, so ist auch die Freiheit eines Parlaments in Gefahr. Kurz, für unsere parlamentarische Demokratie ist die Pressefreiheit eine Existenzfrage, wobei wir uns alle darüber einig sein werden, daß es nicht um grenzenlose Anarchie geht, sondern daß bei der Freiheit der Presse die Eingrenzung durch die allgemeinen Strafgesetze zum Schutz gegen Verleumdungen privater und öffentlicher Art notwendig ist.
Dieser speziellen Anfrage liegen eine ganze Reihe von Vorfällen der letzten Monate zugrunde, die die Befürchtung aufkommen ließen, daß in einigen Teilen der heutigen Bundesregierung Akzente spürbar werden, die eine Gleichschaltung der Presse langsam, aber sicher vermuten lassen. Dabei handelt es sich nicht darum, daß die Politik der Pressegleichschaltung so, wie wir das von den Nazirabauken her kennen, hier praktiziert wird, sondern daß ein schleichendes Gift in die Presse eingeträufelt wird, das durch Geldzuwendungen und leider auch durch Bespitzelung gekennzeichnet ist.
Meine Damen und Herren, diese Debatte hat das Schicksal, schon zweimal vertagt worden zu sein, und so ist in der Öffentlichkeit bereits ein Großteil einzelner Vorgänge diskutiert worden. Ich selber habe eine ganze Reihe von Einzelmaßnahmen bekanntgemacht, und zwar habe ich über die Hergabe von Geldern aus Reptilienfonds gesprochen. Ich hatte Beispiele genannt. So wurde regelmäßig der Informationsdienst einer Arbeitsgemeinschaft katholischer Frauen finanziert. Der Verlag UnionPress, der eine Wahlbroschüre des Herrn Bundeskanzlers herausbrachte, wurde subventioniert. An den Michael-Verlag wurde aus Geldern des Presse-und Informationsamtes ein Zuschuß gegeben, womit eine Sonderbeilage für junge Arbeiter gedruckt wurde. Schließlich stellte man zum Bundestagswahlkampf für den Herrn Bundeskanzler — also in seiner Eigenschaft als CDU-Parteivorsitzender — einen Lautsprecherwagen zur Verfügung.
Wie zu erwarten war, sind alle diese meine Feststellungen von der Regierung dementiert worden. Aber interessanter noch als die Tatsachen selbst erscheint mir die Art der Dementis, weil diese an den von mir festgestellten Dingen haarscharf vorbeigingen. Ich habe z. B. festgestellt, daß auch der „Rheinische Merkur" Gratisabonnements mit einem Anschreiben versendet, wozu ihn das Presse- und Informationsamt aufgefordert hat. Ich habe die Dokumente — die Photokopien der betreffenden Briefe — vorgelegt. Darauf hat man dann geantwortet, daß man garantiert ;keine Tageszeitungen unterstützt habe. Nun, gerade das war von mir auch nicht behauptet worden; es ist ja darum gegangen, daß hier ganz speziell einzeln genannte Publikationen und Propagandamittel bezahlt wurden. Ich habe dann darauf hingewiesen, daß das Presse-und Informationsamt enge Beziehungen zu einer sogenannten Bundeskorrespondenz pflege, die es sich zur Aufgabe mache, kleinere Zeitungen zu bedienen, und daß diese Bundeskorrespondenz ganz oder nahezu umsonst an diese Zeitungen abgegeben werde und man dadurch gegenüber freien Korrespondenzen einen unlauteren Wettbewerb betreibe; dadurch mache man die Empfänger dieser Gratis-oder beinahe Gratisinformationen von der Finanzierung des Presse- und Informationsamtes abhängig. Der Chef des Presse- und Informationsamtes, Herr von Eckardt, hat versucht, diese Feststellung zu
dementieren. Aber ich muß sagen, daß sein Dementi eine Bestätigung war; er hat nämlich selber erklärt, daß er diese Absicht inzwischen fallengelassen habe. So kann man erfreulicherweise sagen, daß in der Frage der Bundeskorrespondenz sowohl der Protest der Presse als auch die Einbringung dieser Anfrage vor etlichen Wochen die Bundesregierung beizeiten dazu gebracht hat, von ihren dunklen Absichten zu lassen.
Ich habe weiterhin eine Reihe von Belegen vorgelegt, nach denen Herr Staatssekretär Globke die bekannten verlorenen Verleumdungsprozesse des CDU-Parteivorsitzenden, also des Herrn Dr. Adenauer, bezahlt habe. Herr Staatssekretär Globke hat das daraufhin sofort dementiert. Er hat gesagt, das habe er nicht getan, das Geld sei von der CDU gezahlt worden. Ich muß offen sagen, wir wünschten, daß diese Darstellung der Wahrheit entspräche.
— Darüber brauchen Sie nicht voreilig zu lachen! Die Belege, nach denen Herr Globke gezahlt hat, liegen mir vor und sind allgemein bekannt.
Es wäre Aufgabe des Herrn Präsidenten des Bundesrechnungshofes, diese Frage schnellstens zu prüfen und darüber öffentlich zu berichten, da der Verdacht nicht von der Hand zu weisen ist, daß die verlorenen Prozesse des Parteivorsitzenden der CDU aus geheimen Fonds der Bundesregierung bezahlt worden sind.
Wir haben noch weitere Subventionen zu verzeichnen. Die „Deutsche Soldatenzeitung" existiert offenbar nicht aus eigenen Geldern, sondern erhält regelmäßig etliche tausend DM monatlich aus Bundeskassen. Ebenso ist es bei der Zeitschrift „Der Frontsoldat erzählt", der außerdem durch die Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise des Herrn Kollegen Dr. Lenz Freiabonnements zugeschanzt werden. Diese Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise bezweckt offenbar nichts anderes als eben diese Art von Finanzierungen, Subventionierungen, Beeinflussungen mit Hilfe öffentlicher Gelder.
Angesichts dieser langen Liste von Tatsachen, die man fortführen könnte, ist es natürlich ein Hohn — worauf wir in der Etatdebatte bereits hingewiesen haben —, daß die geheimen Fonds der Bundesregierung auf 10 Millionen DM erhöht, also verdoppelt worden sind. Dabei möchte ich ganz klarstellen, daß wir durchaus Verständnis dafür haben und daß auch nichts dagegen einzuwenden wäre, daß die Bundesregierung einen Fonds zur freien Verfügung hat. Nur kommt es darauf an, daß die Bundesregierung — jede Bundesregierung, die solche Fonds zur freien und Geheimverfügung hat — ehrliches Spiel mit ihm treibt. In der Verfügung über einen solchen Fonds darf kein Mißbrauch der Staatsgewalt zu erblicken sein. Unsere Befürchtungen gehen aber in dieser Richtung.
Nun lassen Sie mich noch auf etwas anderes zu sprechen kommen, nämlich auf die Deutsche Presseagentur. Ich hatte festgestellt, daß man der dpa von seiten des Bundesfinanzministeriums einen Kredit angeboten habe, ohne daß er erbeten worden sei. Ich muß mich in diesem Punkt tatsächlich berichtigen; aber die Berichtigung bestätigt wiederum nur die Tatsache. Es handelte sich damals tatsächlich nicht, wie ich irrtümlich gesagt hatte, um das Finanzministerium, sondern um das Wirtschaftsministerium. Es handelte sich auch nicht um einen Kredit, sondern um eine Bürgschaft. Die Frage der Umsiedlung der Deutschen Presseagentur von Hamburg nach Bonn hat deshalb besondere Verwunderung erregt, weil die Deutsche Presseagentur selbst bisher in dieser Hinsicht keinerlei Anträge an die Bundesregierung gestellt hatte. Man sieht natürlich darin eine Gefahr, daß die dpa gegen ihren eigenen Willen in finanzielle Verflechtungen eingespannt wird, die sie zu tragen gar nicht in der Lage ist. Wie Sie wissen, ist die Deutsche Presseagentur ein unabhängiges Unternehmen von Zeitungen aller Parteirichtungen und -schattierungen. Die deutsche Presse war vor wenigen Jahren noch finanziell derart geschwächt, da sie 1945 aus dem Nichts aufbauen mußte. 15 Millionen DM an GARIOA-Krediten wurden ihr zu billigen und günstigen Bedingungen zur Verfügung gestellt. Jetzt, vier Jahre nachher, soll einem Unternehmen dieser Presse, die also noch vor wenigen Jahren eine in Höhe von 15 Millionen DM in Anspruch nahm, die sie selber nicht beschaffen konnte, zugemutet werden, selbst einen Umzug zu finanzieren, der schätzungsweise 4 Millionen DM kosten wird. Ich bitte Sie, daran zu denken, daß dieser Umzug ja in kleinem Maßstab etwa dieselbe Situation herbeiführen würde, wie sie beim Aufbau dieser provisorischen Bundeshauptstadt bestand. 1949 sagte man, daß der Umzug bzw. Aufbau 3,8 Millionen DM kosten würde, und die niedrigsten Schätzungen der Kosten beliefen sich im Jahre 1954 auf mindestens 200 Millionen DM.
Wir halten es für außerordentlich bedenklich, die Deutsche Presseagentur in eine Situation zu bringen, in der ihr Verpflichtungen auferlegt werden, denen sie nachher nicht aus Eigenem nachkommen kann, womit sie in finanzielle Abhängigkeit kommt. Das voreilige Angebot einer Bürgschaft von seiten der Bundesregierung läßt Befürchtungen in dieser Richtung als berechtigt erscheinen.
Wir haben dann in unserer Großen Anfrage — die ja schon Anfang März an die Bundesregierung gerichtet wurde, also über zwei Monate alt ist — eine Reihe spezieller Fragen behandelt. Es handelt sich zunächst darum, ob die Bundesregierung künftig Presseinformationen aus den Regierungsbehörden n u r über das Presse- und Informationsamt lenken will. Der Bundespressechef hat diese Befürchtung verneint, aber mit einer Einschränkung, indem er gesagt hat: Nein, man wolle das Informationsrecht der einzelnen Ministerien keinesfalls beschränken, wenn es sich nicht um wichtige und um außenpolitische Fragen handle. Aber die Presse hat ja gerade ein Interesse daran, sich bei wichtigen Fragen frei informieren zu können, weil unwichtige Fragen bekanntlich auch für die Presse nicht von großem Nutzen sind. Man hat deshalb daran die Frage geknüpft, ob man damit etwa die Disziplin innerhalb der Regierung, innerhalb des Kabinetts künstlich stützen müsse und ob man damit etwa eine Zensur der Minister verfolge.
Punkt 1 b der Großen Anfrage habe ich schon kurz behandelt. Er betrifft die Frage der PresseKorrespondenz. Ich kann hierzu mit Freude sagen, daß die bloße Anfrage die Bundesregierung zu einer Berichtigung ihrer Haltung geführt hat.
Wir kommen dann zu der Frage 1 c, die sich auf das Verhältnis des Presse- und Informationsamts zum Verfassungsschutzamt bzw. zu anderen Geheimdiensten bezieht. Auch diese Frage wurde dem Bundespressechef vor längerer Zeit, am 25. Februar, vorgelegt. Er wurde gefragt, ob Spitzelei eines Geheimdienstes durch das Presseamt erfolgt sei. Darauf hat Herr von Eckardt, der zunächst versuchte, die Sache in Bausch und Bogen abzutun, dann doch ins einzelne gehend festgestellt, daß auch seine Telephonate, also die Telephongespräche des deutschen Bundespresse-und Informationsamtschefs, abgehört werden.
Aber er schlug vor, daß man sich um dieses Abhören der Telephongespräche gar nicht kümmern
sollte. Nun frage ich Sie: wie soll es den einzelnen
Journalisten und den einzelnen Bürgern in
Deutschland gehen, wenn schon der Presse- und
Informationschef der Bundesregierung selber zugeben muß, daß er auf diese Art bespitzelt wird?!
Man darf daran wohl die Frage knüpfen, ob der in der Beamtenhierarchie Herrn von Eckardt vorgesetzte Staatssekretär Globke, dem in seiner Eigenschaft als Staatssekretär auch ein Geheimdienst untersteht, etwa darüber Auskunft geben könnte, wer Herrn von Eckardt bespitzelt.
— Das kann man wie bei Geheimdiensten immer ad infinitum fortsetzen, und so ergibt sich das „spaßige" Spiel des Kampfs der Geheimdienste unter- und gegeneinander, von dem wir in den letzten Wochen in der deutschen Presse etliches lesen mußten.
Die Arbeit des Presse- und Informationsamts zeigt sich auch in einem anderen Fall, den ich kurz zur Sprache bringen möchte. Zur Bundestagswahl wurde ein französischer Journalist, der hier in Bonn arbeitet, eingeladen, im Zuge des Bundeskanzlers die Wahlkampfreise mitzumachen. Der Journalist hat dieses Angebot selbstverständlich gern angenommen, hat aber dabei gefragt, ob er die Fahrkarte für diese Reise beim Presse- und Informationsamt oder bei der CDU zu bezahlen habe. Er mußte erleben, daß das Presse- und Informationsamt auf diese berechtigte Frage des Journalisten gar keine Antwort wußte, weil man gar nicht im Sinn hatte, daß es eine selbstverständliche Grundanschauung der freien Journalisten ist, daß sie sich zwar Gefälligkeiten zur Vereinfachung ihrer schweren Arbeit gerne bieten lassen, daß sie aber auf ihre finanzielle Unabhängigkeit in jedem Falle aufs schärfste bedacht sind.
Lassen Sie mich zu dieser Frage der Unabhängigkeit der Presse und der Unabhängigkeit von aller
Einflußnahme durch die Bundesregierung zum
Abschluß ein Zitat bringen, welches der Beauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung,
der wohl in Personalunion mit dem Präsidenten
des Bundesrechnungshofs vereinigt ist, bei einer
Prüfung in einem Gutachten über das Presse- und
Informationsamt vor etwa zwei Jahren gesagt hat.
Ich darf mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, aus
diesem Gutachten zitieren. Das Gutachten heißt:
Als weitere Aufgabe des Bundespresseamts ist
die staatspolitische Aufklärung anzuerkennen,
d. h. die Unterrichtung der Öffentlichkeit im
Inland und Ausland über die Ziele der Maßnahmen der Bundesregierung. Es ist selbstverständlich, daß es dabei die immer nur schmalen Grenzen zwischen staatspolitischer und parteipolitischer Aufklärung sorgsam zu achten und sich insbesondere von einseitiger Propaganda fernzuhalten hat. Parteipolitik zu vertreten, ist Aufgabe der Parteien selbst.
Diese schmale Grenze, von der das Gutachten spricht, zwischen staatspolitischen Aufgaben und Parteipropaganda ist von einer kleinen Gruppe, wie mir scheint, innerhalb der Bundesregierung längst überschritten worden.
Wenn nicht endlich auch von Ihrer Seite, meine Damen und Herren von der Koalition, hiergegen energisch protestiert wird, wird uns die Freiheit und Unabhängigkeit der Presse auf leisen Sohlen abhanden kommen.
Den fälligen Dementis der Bundesregierung zu meinen Feststellungen sehe ich mit Interesse entgegen. Aber wichtiger, als Dementis zu fabrizieren, ist es, den guten Willen aufzubringen, diese Mißstände zu beenden; denn sonst quälen wir die Pressefreiheit und damit schließlich das freie Parlament eines Tages zu Tode.
Ich bitte deshalb, in diesem Sinne auch dem Umdruck 18*) Ihre Zustimmung zu geben und sich von der Seite der Bundesregierung nicht darauf zu beschränken, die über zwei Monate alte Große Anfrage der Form nach zu beantworten, sondern zu den hier getroffenen Feststellungen freimütig und offen Rede und Antwort zu stehen.
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß Herrn Kollegen Kalbitzer in einem recht geben, nämlich in der Feststellung, daß die Große Anfrage seiner Fraktion im Datum schon etwas zurückliegt. Sie ist in der Tat schon über zwei Monate alt. Wir kommen so in die merkwürdige Lage, daß wir zu einer Großen Anfrage Stellung nehmen müssen, die in der Zwischenzeit in der Öffentlichkeit schon sehr behandelt worden ist, so daß die Antworten, die hier gegeben werden, nicht mehr den Anspruch auf Neuigkeit und Originalität erheben können. Trotzdem muß ich mich der Ordnung halber der Pflicht unterziehen, die Anfragen so zu beantworten, wie sie gestellt sind. Was Herr Kollege Kalbitzer darüber hinaus ausgeführt hat, werde ich dann im Laufe der Debatte, soweit sich die Notwendigkeit dazu ergibt, beantworten.
Ich folge also zunächst den Fragen, so wie sie gestellt sind:
Trifft es zu, daß Pläne bestehen, künftig die Presse über sämtliche Angelegenheiten der Bundesregierung und ihrer Ministerien nur noch durch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung zu unterrichten?
Die Antwort darauf lautet, wie folgt: Es trifft nicht zu, daß derartige Pläne bestehen. Offensichtlich liegen diesem Teil der Anfrage Pressemeldungen zugrunde, die sich mit der in Vorbereitung be-
*) Siehe Anlage Seite 1435
findlichen neuen gemeinsamen Geschäftsordnung der Ministerien der Bundesregierung beschäftigen. Bereits die jetzige, seit dem Jahre 1951 in Kraft befindliche gemeinsame Geschäftsordnung, welche die Regelung der Geschäftsordnung der Reichsregierung aus dem Jahre 1926 übernimmt, legt in ihrem § 137 die Unterrichtung von Presse und Rundfunk in folgender Form fest:
Alle Veröffentlichungen und alle Mitteilungen an die Presse und den Rundfunk, die über fachliche Mitteilungen hinausgehen, namentlich solche, die politischen Charakter haben oder politische Wirkungen auslösen können, sind über das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung zu leiten.
Die in Vorbereitung befindliche neue gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien wird an dieser Fassung dem Inhalt nach nichts ändern. Auch in Zukunft werden daher die verschiedenen Ressorts über ihr jeweiliges Arbeitsgebiet fachliche Mitteilungen und Auskünfte an Presse und Rundfunk im bisherigen Rahmen geben. Soweit allerdings Nachrichten und Auskünfte einen politischen Charakter im Sinne des § 137 der gemeinsamen Geschäftsordnung haben, muß es bei der seit jeher üblichen Regelung schon deshalb bleiben, weil das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung die Aufgabe hat, den Publikationsorganen alle wesentlichen politischen Informationen zu übermitteln.
Die Frage 1 b lautet:
Trifft es zu, daß beabsichtigt ist, eine „BundesKorrespondenz" kostenlos oder stark verbilligt herauszugeben?
Herr Kollege Kalbitzer hat sich bereits im voraus von der Antwort befriedigt erklärt. Ich darf sie trotzdem verlesen:
Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, eine „Bundes-Korrespondenz" kostenlos oder stark verbilligt herauszugeben. Die Fragestellung bezieht sich offenbar auf die „Bundes-Korrespondenz und Verlags-GmbH." Diese ist ein rein privates Frankfurter Verlagsunternehmen,
das seit mehr als vier Jahren besteht. Während der Berliner Konferenz hatte das Bundespresseamt von einem der Dienste der „Bundes-Korrespondenz und Verlags-GmbH." eine größere Anzahl von Abonnements zur Verteilung vornehmlich an Organisationen und Verbände bestellt. Seit dem Ende der Berliner Konferenz ist das Lieferabkommen mit dem Frankfurter Verlag ausgelaufen. Es wurde und wird nicht erneuert.
Die Frage 1 c lautet:
Trifft es zu, daß eine Unterrichtung der Presse und die Auswahl der zu unterrichtenden Presse von einer Mitwirkung des Bundesamtes für Verfassungsschutz abhängig gemacht werden sollen?
Die Antwort lautet: Die Bundesregierung hat keine derartigen Pläne. Von einer Mitwirkung des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist im Zusammenhang mit der Unterrichtung von Presse und Rundfunk niemals die Rede gewesen.
Ich komme zur Frage 2:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß eine Verwirklichung solcher Pläne mit den von der Verfassung geschützten Grundrechten der freien Meinungsäußerung und der Pressefreiheit vereinbar wäre?
Die Antwort darauf ist einfach, da die Antwort zu den vorgestellten Fragen verneinend ausgefallen ist. Diese voraufgegangenen Fragen gehen von unzutreffenden Voraussetzungen aus. Damit ist die Frage 2 gegenstandslos geworden.
Ich habe bereits eingangs gesagt, daß ich auf einige der anderen Dinge, die Herr Kollege Kalbitzer über den Rahmen der Großen Anfrage hinaus angeschnitten hat, im Laufe der Debatte eingehen werde.
Besteht der Wunsch nach einer Besprechung der Großen Anfrage? Wenn ja, bitte ich um ein Handzeichen. — Es waren mehr als 50 Abgeordnete. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dresbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es nicht für meine Aufgabe, den einzelnen Angaben nachzugehen, die Herr Kollege Kalbitzer vorgetragen hat. Sozusagen die Dessous der Bundesregierung zu studieren, scheint mir auch mehr Aufgabe der Opposition zu sein.
Im übrigen bin ich auch der Meinung, daß ein so jugendschöner und eleganter Fechter wie der gegenwärtige Bundesinnenminister das Sekundantentum eines verfetteten Sechzigjährigen nicht benötigt.
Aber ich halte es für eine ernsthafte Aufgabe, im Anschluß an diese Dinge etwas über das gesellschaftliche Verhältnis von Presse, Parlament, Regierung und Verwaltung zu sagen.
Meine Damen und Herren, noch immer geistert das Wort über die Presseleute von den „verfehlten Existenzen" in der Welt herum. Hat sich was mit verfehlten Existenzen! Nach zwei Demobilmachungen, drei politischen Umwälzungen und zwei Währungsentwertungen! Da geht es mitunter nicht mehr mit dem großen Befähigungsnachweis, sondern da muß man Unterkunft finden.
Übrigens: das Wort von den verfehlten Existenzen
stammt von dem Herrn Großvater unseres Kollegen Fürsten Bismarck. Er ist ja nicht hier. Die
vornehmen Leute sind ja wohl alle in Straßburg.
In Bonn ist nur die Dorfbevölkerung zurückgeblieben.
Nun war dieser Fürst Bismarck ja selber im Zeitalter des Assessorismus kein Vollendeter, ich will nicht gerade sagen: eine verfehlte Existenz. Er ist als preußischer Auskultator abgegangen. Das war damals die Bezeichnung für den späteren preußischen Regierungsreferendar. Im übrigen aber war er ein trefflicher Schreiber von Artikeln und hätte nach seinem Abgang als Reichskanzler eigentlich Chefredakteur bei den „Hamburger Nachrichten" werden können.
Aber dieses Wort hat er seinerzeit — so habe ich es in Erinnerung — wohl im Zorn gesprochen, als er wieder einmal böse war auf seinen Standesgenossen, den Freiherrn von Hammerstein, den Chefredakteur der „Kreuzzeitung".
Wie gesagt, dieses Wort geistert noch immer in der Welt herum und erregt bei den Presseleuten diese üblen Minderwertigkeitskomplexe, die Überempfindlichkeiten. Die Presseleute ziehen sich dann förmlich in das zurück, was man im letzten Welt- krieg eine Igelstellung nannte.
Ich war im letzten Krieg Nichtkombattant; aber ein Igel, das ist mir als Dorfjunge ein Begriff. Ich habe mir als kleiner Junge bei dem Versuch, eine solche Igelstellung aufzubrechen, einmal eine Blutvergiftung zugezogen.
Damit will ich aber nicht sagen, daß jede Berührung mit der Presse, also beispielsweise des Herrn Bundestagspräsidenten Dr. Ehlers mit einem gewissen Herrn Rapp
und des Herrn Bundesministers Wuermeling mit einem gewissen Herrn Friedländer, gleich eine Blutvergiftung zur Folge hat.
Aber sehen Sie, bei dem westgermanischen Normaltypus stellt sich im Anschluß an dieses Wort gleich eine hochmütige Haltung ein. Zu dem westgermanischen Normaltypus rechne ich so etwa den Herrn Generaldirektor, den Herrn Kolonialwarenhändler, den Herrn Regierungsrat und den Herrn Buchhalter. Ich habe nur einige Typen herausgegriffen.
Sie sehen dann in dem Journalisten so etwas wie ein leichtgeschürztes Mägdelein.
Ja, meine Damen und Herren, wer es in Germanien unternimmt, Dinge, dazu noch schwierige Dinge, in kurzweiliger Form darzustellen, der ist eben nicht seriös.
„Er läßt doch den rechten Ernst vermissen", wie es in einem Gelegenheitsgedicht des verstorbenen Kollegen Theodor Fontane hieß. Dieses Gedicht endet übrigens mit der resignierenden Feststellung: „Man bringt es nicht weit bei fehlendem Sinn für Feierlichkeit".
Nun darf ich etwas aus der eigenen Erfahrung sagen. Ich hatte zum Schlusse meines Lebens, das trotz Kreislaufstörungen doch noch etwas dauern möge, die Absicht, eine feste Stellung zu beziehen. Aber die Katze läßt das Mausen nicht und der Journalist das Artikelschreiben nicht. Da meinten meine Arbeitgeber, ich hätte mit diesen Artikeln vorbeigefochten; da bin ich als unbrauchbar abgegeben worden.
Dann beschloß ich, ein Politiker zu werden.
Aber, meine Damen und Herren, der Politiker gehört auch nicht zum westgermanischen Normaltypus.
Der Herr Kollege Kalbitzer hat von den siamesischen Zwillingen gesprochen. Ich bin der Meinung, daß wir alle draußen als Abnormitäten betrachtet werden.
Deshalb sollte jedenfalls zwischen Presse und Politikern gar keine Feindschaft sein, im Gegenteil Solidarität.
Und nun etwas über das Niveau der Presse. Da ist neulich mal aus Anlaß der Haushaltsdebatte vom Herrn Kollegen Dr. Schild das Wort von der Nivellierung in den Jahren 1918 bis 1933 gefallen. Ich habe ihm damals zugerufen: „Das klingt schon fast wieder wie „Systemzeit!" Aber der Herr Kollege Dr. Schild hat diese Dinge wohl vornehmlich unter dem Gesichtspunkt gesehen, daß damals der große Befähigungsnachweis für das Handwerk noch nicht wieder eingeführt worden war.
In geistiger Hinsicht kann ich doch nur sagen — ich will nicht gerade wie Ulrich von Hutten sagen: Es war eine Lust zu leben —: Wenn ich an diese Geistesfülle, an diese bunte Mannigfaltigkeit denke vom „Vorwärts" über „Berliner Tageblatt", „Vossische Zeitung", „Germania", „Frankfurter Zeitung", „Kölnische Zeitung", „Kölnische Volkszeitung" bis zur „Deutschen Tageszeitung" und zur „Berliner Börsenzeitung", — meine Damen und Herren, ganz ernsthaft gesprochen, wer will dort sagen, daß das eine Nivellierung geistiger Art gewesen sei?!
Diese Nivellierung ist erst mit der üblen Gleichschaltung im „Dritten Reich" begonnen worden,
an der sich ja einige Mitglieder dieses Hohen Hauses seinerzeit beteiligt haben sollen.
Aber da ich ein wahrer Christ bin, bin ich geneigt, ihre Sünden zu verzeihen.
In jene Zeit fällt aber auch die Standessenkung der Presse, obschon man sie öffentlich-rechtlich machte. Damals hat sich der Brauch der Befehlsempfänge, Pressekonferenzen genannt, eingebürgert, Waschzettel-Entgegennehmen usw. Und es soll ja so sein, daß sich auch heute manche Menschen die Presse nur noch bei Pressekonferenzen und ähnlichen kollektiven Veranstaltungen vorstellen können. Da sitzen dann die „Pressebengels", nicht wahr, den Füllfederhalter gezückt,
um dem zu lauschen, was dem Zahngehege von Wirtschaftskapitänen, Bundesministern und solchen, die es noch werden wollen,
entfleuchen könnte.
Die Presse zu belehren gilt auch als gesellschaftlich höherstehend denn selber zu schreiben. Ich bin von einem guten Freund in diesem Hause mal gewarnt worden, ja hin und wieder mal zu schreiben, aber nicht zu viel. „Das erniedrigt Sie!"
Sehen Sie, das Presse-Belehren ist auch einfacher; denn man kann sich nachher immer damit zurückziehen, man sei mißverstanden worden.
Aber bei dem, der selber schreibt, da gilt das Wort meiner Heimat: „Wer schrievt, der blievt".
Dabei ist natürlich in erster Linie an die Ausstellung von Wechseln gedacht; aber man kann es auch hier nehmen.
Zum Thema Schematisierung der Presse. Ich stelle mir manchmal vor, ein Mann wie Theodor Wolff hätte seine geistige Nahrung nur in Pressekonferenzen bezogen. Für die jüngeren Mitglieder des Hauses: er war wohl einer der potentesten Leute des deutschen Journalismus nach der Jahrhundertwende und Chefredakteur des „Berliner Tageblatts". Meine Damen und Herren, es mag sein, daß gleichmäßige Behandlung der Presse in der Demokratie naheliegt. Aber man sollte es nicht zu weit treiben. Man sollte den Verkehr — und das hat ja auch der Herr Bundesinnenminister dankenswerterweise anerkannt — nicht nur auf den Besuch der amtlichen Pressestelle der Bundesregierung beschränken.
Gestern haben wir über den Finanzausgleich gesprochen, ein Thema, das mir nun seit Jahrzehnten nahe liegt. Sehen Sie, was hätte es denn für einen Zweck gehabt, wenn ich in solchen Dingen — es sind auch politische Dinge, denn sie reichen ins Verfassungspolitische hinein, wie wir gestern aus der Kontroverse zwischen meinen bayerischen Freunden und mir gehört haben —, wenn ich wegen dieser Dinge nun zur Pressestelle gegangen wäre und hätte dort einen Waschzettel in die Hand bekommen?! Nein, meine Damen und Herren! In früheren Jahren bin ich in solchen Fällen zu den Finanzausgleichs-Referenten im Reichsfinanzministerium gegangen, zu dem Herrn Markull, zu dem Herrn Augustin. Ich würde mir auch heute, wenn ich noch Redaktor wäre, den Weg zu Herrn FischerMenshausen nicht versperren lassen, und der Herr Bundesfinanzminister würde sich sicherlich in diesen Weg auch nicht einschalten.
Ich möchte nun noch etwas zur Presse sagen. Gestern ist von den Gemeinden als dritter Kraft gesprochen worden. Ich möchte diese Presse als selbständige dritte Kraft wissen. Sie ist nicht nur dazu da, Paraphrasen zu schreiben zu den Reden von Politikern, Wirtschaftskapitänen, Syndici, Gewerkschaftsfunktionären und anderen erleuchteten Geistern. Sie soll natürlich auch nicht nur Wegweiserin auf dem Markt der Eitelkeiten sein, auch nicht auf dem Markt der Bosheiten.
Zum Recht der Information! Ich darf hier eine Erinnerung aus meiner Zeit als Redakteur der „Kölnischen Zeitung" auffrischen, an meine Besuche bei dem ja wohl noch lebenden Kommerzienrat Hermann Röchling, einem der besten Informatoren, die ich in meinem Leben kennengelernt habe. Er pflegte zu sagen: „Bis hierhin zur Veröffentlichung; aber Sie sollen über alles unterrichtet sein, Sie sollen wissen, was in der Welt vorgeht, und ich habe das Vertrauen zu Ihnen, daß Sie dieses Vertrauen, das ich Ihnen schenke, wahren werden." Meine Damen und Herren, ins Vertrauen gezogen werden, ist eine größere gesellschaftliche Anerkennung als die Veranstaltung eines Presseballs oder sonstigen Juxes!
So ein Pressemann kann doch auch mal Ratschläge geben. Es ist doch nicht nur das Recht ausschließlich der Beamten, Syndici und Gewerkschaftsfunktionäre, Rat zu geben. So ein Pressemann kann
unter Umständen mal klüger sein als Diplomaten. Lassen Sie mich dazu ein Beispiel nennen. Der seinerzeitige Vertreter der „Kölnischen Zeitung" in St. Petersburg, Dr. Ullrich, meldete — es war vor dem ersten Weltkrieg — von den Aufmärschen der Russen. Der damalige kaiserliche Botschafter in Petersburg, Graf Pourtalès, war darob bestürzt und berichtete nach Berlin zum Auswärtigen Amt: „Stimmt nicht, und der Kerl muß in Strafe genommen werden!" — Gestimmt hat's doch! Das Auswärtige Amt sollte die Zeitung und den Redakteur belangen; aber das Auswärtige Amt lehnte dieses Ansinnen ab, weil wir ein Rechtsstaat waren. Meine Damen und Herren, der Herr Abgeordnete Carlo Schmid hat neulich aus Anlaß der Saardebatte etwas diffamierend über die konstitutionelle Monarchie gesprochen. Aber es waren damals doch noch sehr nette Zeiten in dieser konstitutionellen Monarchie.
Ich meine, wir sind uns alle darüber klar: die eigentliche Schweinerei hat doch erst 1933 angefangen!
— Verzeihen Sie, die ehemaligen Mitglieder der NSDAP dieses Hohen Hauses, wenn ich Ihr einstiges Idol
so kurzerhand als Schweinerei bezeichnet habe.
Ich bin der Meinung, daß wir heutzutage in der gleichen rechtsstaatlichen Situation sind. Oder können Sie sich vielleicht vorstellen, daß der Herr Bundeskanzler den ihm ja manchmal nicht gerade angenehmen Redakteur Sethe von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" belangen lassen wollte, unter Umständen sogar über den Verleger?
— Nein, das kann ich mir bei dem ausgesprochenen Rechtssinn meines verehrten Herrn Bundeskanzlers nicht vorstellen.
Meine Damen und Herren! Man soll tunlichst — weil ich schon vom Verlag gesprochen habe — den Einfluß auf die Zeitungen nicht über die Verleger und deren heiligsten Gefühle, die ja meist im Geldbeutel, Abonnement und Anzeigenteil einbeschlossen liegen, nehmen.
Das stört den Redakteur; das beleidigt ihn wiederum in gesellschaftlicher Hinsicht. Gewiß, auch die Verleger gehören zur Presse, und es gibt so'ne und solche — solche, die auch jedes andere Gewerbe ausüben könnten, und solche, die bestimmt mit großer Passion dabei sind und sogar im redaktionellen Teil der Zeitung eine produktive Angelegenheit sehen, nicht nur im Anzeigenteil.
Das Recht zur Information steht aber auch der Bundesregierung, der Regierung, der Verwaltung zu. Das Volk hat das Recht darauf, die Meinung seiner Regierung zu hören, auch ohne Kommentar, rein nachrichtenmäßig.
Da müssen die Herren von der Presse mit den
Kommentaren mal etwas zurückstehen, und der
Chronist, der Mann der Dokumentation, der der
Journalist ja auch ist, muß in den Vordergrund treten.
Zu den Informationen der Bundesregierung darf ich nun schließlich doch sagen, daß sie gar nicht so schlecht sind. Ich erinnere daran, daß Herr Kollege Gülich beispielsweise die finanzpolitischen Informationen im Bulletin immer als wohltuend informierend recht gut herausgestrichen hat. Für solche Zwecke — das hat der Kollege Kalbitzer anerkannt —, für Informationszwecke muß eine Regierung eigene Mittel haben.
In der kaiserlichen Zeit ist einmal ein Fall passiert: da wollte das Reichsamt des Innern unter Leitung des Staatssekretärs Graf PosadowskyWehner — der Mann mit dem langen Barte — die Presse beeinflussen, hatte aber keinen Titel im Haushalt und ließ sich vom Zentralverband der Industrie etwas schenken; ich glaube, 20 000 Mark. Das kam heraus; ich habe es so in der Erinnerung, daß die „Leipziger Volkszeitung" es aufgedeckt hat. Nun ja, der Herr verantwortliche Mann, der Ministerialdirektor von Woodtke, wurde in die Wüste geschickt; der Chef blieb. Das soll ja mehr vorkommen, daß der Chef bleibt und der Diener abtreten muß!
Aber ich bitte, hier keine „Lettres persanes" aus
meinen historischen Erinnerungen herauslesen
zu wollen, also etwa eine Relation Adenauer-Lenz.
Ich stelle fest, daß mein Kollege Lenz nicht in die Wüste geschickt, sondern freigestellt worden ist für wahrhaft freies geistiges Schaffen als Parlamentarier.
Zum Thema Pressegesetz — ja, meine Damen und Herren, ich muß ehrlich gestehen, ich habe noch nie eines gelesen. Brauchen wir wirklich ein Pressegesetz?
Wenn schon, bitte, Herr Bundesinnenminister, möge Ihnen doch der Lapsus linguae Ihres verehrten Herrn Vorgängers nicht passieren! Er leitete dieses Pressegesetz damals mit den Worten ein, es werde nicht liberalistischen Geistes sein.
Das Wort „liberalistisch" ist, glaube ich, so eine Art Superlativ; erfunden ist es in der Zeit des Nationalsozialismus. Wir schleppen sowieso, auch in unseren Worten, noch viel zu viel Ballast aus jener Zeit mit; deshalb bitte ich Sie, diesen Passus nicht wieder aufgreifen zu wollen.
Meine Damen und Herren! Ich habe eben gesagt: wir haben im Nationalsozialismus die Presse im öffentlich-rechtlichen Gewande der Organisation erlebt. Jetzt sollen auch wieder solche Bestrebungen umgehen: eine Körperschaft des öffentlichen Rechts für die Presseorganisation. Meine Damen und Herren, das Korrelat jeder Körperschaft öffentlichen Rechts ist die Staatsaufsicht! Also, meine Herren Propagandisten für diese Idee, wollen Sie wieder ein Propagandaministerium? Und, meine Damen und Herren, müssen wir denn nun für jede Tätigkeit ein Berufs- und Berufsordnungsgesetz haben?
Heinrich Heine: „Und teile wieder ein das Volk nach Ständen, Gilden und Zünften!"
Meine Damen und Herren, gerade in diesem Beruf, der doch erst durch den Durchbruch des Liberalismus möglich geworden ist, will mir eine ständische Verfassung kurios erscheinen. — Ich darf hier meine politischen Freunde bitten, nicht Anstoß daran zu nehmen, wenn ich das Wort „Liberalismus" gebraucht habe, ohne direkt Anstoß daran zu nehmen.
Ich denke ja auch nicht an unser etwas gespanntes Verhältnis zu der liberalen Partei, sondern ich denke an die Ursprünge des Liberalismus, wo selbst die Gebrüder Reichensperger — das wird meine katholischen Freunde sicher beruhigen — sich zum rheinischen Liberalismus gerechnet haben.
Aber, meine Damen und Herren, nochmals: dieses Presseproblem will mir nicht als ein Rechtsproblem erscheinen, sondern als ein gesellschaftliches. Man braucht nicht immer von der gleichen politischen Couleur wie die Regierung und die Verwaltung zu sein. Man braucht auch nicht immer ein Offiziosus zu sein. Sehen Sie, ein Mann wie August Stein, der seinerzeitige Vertreter der „Frankfurter Zeitung" in Berlin, war nie ein Offiziosus der kaiserlichen Regierung; aber er war ein Vertrauensmann, und das gründete sich auf die gesellschaftliche und intellektuelle Qualität.
Deshalb, meine Damen ,und Herren: Fort in der Presse mit den Minderwertigkeitskomplexen! Ich habe Ihnen eben eine Reihe von Namen genannt, auf die die Presse durchaus stolz sein kann. Sie braucht diese Minderwertigkeitskomplexe nicht zu haben. Sie soll aber auch einmal den Mut haben, dies und jenes in den eigenen Reihen als dreckig zu bezeichnen.
Selbstbewußtsein gegenüber allen Anfechtungen — Herr Kalbitzer, nicht nur gegenüber der Bundesregierung und dem Ausgehaltenwerden, sondern auch gegenüber der Wirtschaft und einschließlich der Gewerkschaften. Der Kollege Gülich und ich haben uns neulich einmal in Rede und Zwischenruf über das Allzuviel von Einladungen und Frühstücken unterhalten. Ich warne die Presseleute, allzu viele Einladungen anzunehmen. Nun wollen Sie aber in mir nicht etwa einen Feind von Küche und Keller sehen!
In dieser Beziehung habe ich den Puritanismus meines bergischen Heimatdorfes längst aufgegeben, schon bevor ich bei der CDU aktiv wurde,
und habe mich mehr den lebensfreudigen Gewohnheiten meiner rheinischen katholischen Freunde angeschlossen.
Meine Damen und Herren, die Unkosten des Redakteurs trägt der Verlag. Ich darf Ihnen versichern, daß ich in der Beziehung nie eine billige Arbeitskraft gewesen und nie zimperlich verfahren bin. Ich habe nach dem Bismarckschen Wort gehandelt: ..Wenn sich der Deutsche seiner Kraft recht bewußt werden soll, dann muß er erst eine halbe Flasche Wein im Leibe haben, oder besser noch eine ganze."
Und die ist auch auf die Rechnung gekommen.
Der Kollege Eckhardt hat neulich etwas zaghaft angefragt, ob man den Alten Fritz zitieren dürfe, und da habe ich zwischengerufen: „Ist couleur-fähig!" Nun möchte ich einen Mann zitieren, dem man doch nach 1945 auch wieder etwas die Couleur entzogen hat und den man in den Schwarzwald geschickt hat. Verzeihen Sie, meine Herren, mit dem Begriff „Schwarzwald" verbinde ich keinen politischen Begriff,
sondern ich falle immer wieder in die reaktionäre Sprache der alten Korporationsstudenten zurück; ich bitte, das zu entschuldigen. — Also, meine Damen und Herren, einige Worte Bismarcks zum Abschluß. Eines fand ich neulich noch zitiert bei Heinrich Mann in dem Buch: „Ein Zeitalter wird besichtigt". Es ist das berühmte Wort: „Wo ich sitze, ist immer oben." Es ist an die Presse gerichtet. Ich meine nicht oben auf der Pressetribüne, sondern auch anderswo, auch bei den imitierten Hofgesellschaften dieser republikanischen Welt.
Und ein weiteres Bismarckwort, das er einmal gebrauchte, als er die preußischen höheren Beamten gegen die süddeutschen herausstrich. Ich bitte aber die Freunde aus Bayern, nicht wieder Anstoß zu nehmen; ich gebrauche es ganz allgemein, ohne die Mainlinien-Demarkierung. Er spricht einmal davon — und ich darf es ergänzen —: Wir brauchen Menschen, „deren Gerechtigkeitsgefühl durch ihren Bildungsgrad geschärft wird." Möge die Presse immer mit solchen Menschen in der Regierung, in der Verwaltung, in der Wirtschaft usw. zu tun haben; dann kann es nicht fehlen.
Meine Damen und Herren! Ich denke nicht an den Zustand ewigen. Sonnenscheins und brüderlicher Umarmung oder an die schönen Trinksprüche zwischen Suppe und Fisch bei Festessen und anderen festlichen Gelegenheiten. Ich darf zum Schluß ein Wort aus den Sprüchen Salomonis zitieren, das mein hoher Lehrmeister Wilhelm Raabe einmal als Motto einem Roman vorangestellt hat, und so denke ich mir das Zusammenleben: „Ein Messer wetzet das andere und ein Mann den anderen."
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Hubertus Prinz zu Löwenstein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht leicht, nach einer so hervorragenden Rede, die gleichzeitig einer der brillantesten Leitartikel gewesen ist, die ich je vortragen gehört habe, zu diesem Thema zu sprechen. Ich darf vielleicht damit beginnen, daß meine politischen Freunde der Meinung sind, daß wir uns füglich nicht Freie Demokraten nennen dürften, wenn wir nicht stets für eine wirklich freie Presse eintreten und rechtzeitig alles abwehren wollten, das diese Freiheit in irgendeiner Weise bedrohen könnte. Nun ist es freilich so: würde die Frage gestellt werden, wer etwa für die Unfreiheit der Presse ist, dann würde dies ein jeder mit Empörung von sich weisen. Darüber besteht ja volle Einmütigkeit. So sind wir wenigstens in diesem einen Punkte alle — ich sage:
alle, die ganze Regierungsbank eingeschlossen, wenn sie besetzt wäre — „Freie Demokraten". Ein solches Bekenntnis wird allerdings nicht genügen. Es erinnert zu sehr an die bekannte Geschichte vom Präsidenten Calvin Coolidge und der Sünde. Sie kennen die Geschichte wohl. Als er berichten sollte, was ein bekannter Geistlicher gepredigt hatte, sagte er: „Über die Sünde." — „Was hat er nun gesagt?" —„Er war dagegen." Das ist trefflich zusammengefaßt. Welcher ehrenwerte Mann wäre nicht gegen die Sünde, wäre nicht gegen die Unfreiheit? Die Frage ist nur, wo der Pfad der Tugend verlassen wird und wo die Freiheit endet.
Bekanntlich haben selbst die totalitären Staaten, gleich welcher Richtung, immer von einer freien Presse gesprochen, von einer Presse nämlich, die von allen schädlichen Einflüssen — schädlich für das entsprechende Regime — befreit worden sei. Man muß also schon etwas genauer definieren, sonst erhält das Wort „ehrenwerter Mann" jene ominöse Bedeutung, die es in der Shakespeareschen Rede des Marcus Antonius besitzt.
Man kann es ganz schlicht und einfach ausdrücken: die Presse ist dann wirklich frei, wenn sie wahrheitsgemäß berichten kann und wenn Journalisten und Redakteure nur ihrem Gewissen verantwortlich sind, nicht aber der Lenkung durch politische oder materielle Einflüsse unterliegen. Eine solche Presse und n u r eine solche ist ein integraler Bestandteil des demokratischen Verfassungslebens.
In diesem Sinne hat ein kluger Mann, der ehemalige italienische Ministerpräsident Alcide de Gasperi, von den zwei Säulen der parlamentarischen Demokratie gesprochen. Die eine dieser Säulen, meinte er, sei das Parlament mit seinen Abgeordneten, die andere Säule die Presse, getragen von freien Journalisten. Ich möchte diesen Gedanken ergänzen. Zum Schutz des Verfassungslebens gibt es zwei Kontrollen. Die eine dieser Kontrollen ist die Opposition, die andere die öffentliche Meinung. Beide gehören zusammen. Die öffentliche Meinung ist von zusätzlicher Bedeutung, wenn eine Partei die absolute Mehrheit besitzt und damit die parlamentarische Opposition eingeschränkt ist. Dabei handelt es sich sowohl um die Opposition im eigentlichen Sinne wie auch um das, was ich die Opposition innerhalb der Koalition nennen möchte, die für eine lebendige Demokratie ebenfalls wesentlich ist. Selbst bei allem guten Willen, den wir voraussetzen wollen, ergeben sich aus unserer heutigen Lage daher ernsthafte Gefahren. Sie liegen in der menschlichen Natur, in der Dehnbarkeit des Freiheitsbegriffes. Wenn eine Partei die absolute Mehrheit besitzt — und diese Partei besteht wie alle Parteien aus Menschen —, wie leicht kann da der Gedanke aufkommen, ein altes Sprichwort ein wenig zu variieren: „Und die Presse absolut, wenn sie unsern Willen tut."
Die Kritik an der Presse ist ja ziemlich weit verbreitet. Kollege Dr. Dresbach sprach darüber. Er erwähnte jene Empfindsamkeit, die man heute beobachten kann. Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Empfindsamkeit, und je höher das Amt, desto höher manchmal auch diese Empfindsamkeit.
Es wird nun darauf ankommen, auch innerhalb der Journalistenkreise — ich selber bin Journalist — das Bewußtsein zu verstärken, daß der Journalismus verantwortlich handeln muß, wenn er selber
die Gefahren abwehren will, die seinem Berufsstande drohen. Aber eines muß gleich hinzugefügt werden. Die deutsche Presse hat aus dem Nichts aufgebaut, nachdem durch die nazistische Diktatur die große Tradition, von der auch Kollege Dresbach gesprochen hat, zerschlagen worden war. Heute genießen doch deutsche Blätter wieder Achtung in der ganzen Welt, und ein verantwortungsbewußter Stand von Verlegern, Redakteuren und Journalisten ist neu entstanden. Der Takt verbietet uns, die Lebenden zu nennen unter den großen Journalisten, die wir auch heute wieder haben, die sich vielleicht schon wieder würdig an die Seite eines Theodor Wolff und der anderen stellen können, die wir, die Älteren, noch gekannt haben. Aber wenn die Lebenden nicht genannt werden sollen, gebietet es die Pflicht, heute an dieser Stelle und in diesem Rahmen eines Verstorbenen zu gedenken, nämlich Erik Regers , der so unendlich viel für den Aufbau der deutschen Presse und für eine wahrhafte Freiheit des Geistes in Berlin und in ganz Deutschland getan hat.
Meine Damen und Herren, auf die Gefahren, die in der heutigen Lage begründet sind, wurde neulich schon anläßlich der Filmdebatte hingewiesen. Unser Freund und Kollege Dr. Erich Mende hat diese Gefahren sehr prägnant herausgestellt. Das starke Echo, das er in der Öffentlichkeit gefunden hat, hat bewiesen, daß das Richtige getroffen wurde. Denn wo setzt die Unfreiheit denn ein? Wie ist die Freiheit zu definieren? Kollege Dresbach ermutigt mich, einen Pleonasmus zu verwenden. Die Freiheit, meine Damen und Herren — pleonastisch ausgedrückt—, muß eine liberale Freiheit sein.
Dabei möchte ich insbesondere den Herrn Bundesfamilienminister um Vergebung bitten, nicht so sehr wegen des unschönen Pleonasmus als vielmehr wegen des Wortes „liberal".
Unfreiheit setzt nicht erst bei physischem Zwang ein. Er steht selten am Anfang. Auch die Bücherverbrennungen im „Dritten Reich", die Gleichschaltung der Presse, die Austreibung aller freiheitlichen Journalisten waren nicht der Anfang, sondern es ging allen diesen Maßnahmen eine jahrzehntelange Hetze gegen den angeblich „volks- und sittenverderbenden Liberalismus" voraus.
Unfrei sind Verleger und Journalisten nicht erst dann, wenn unmittelbare Gewalt sie zum Werkzeug der herrschenden politischen Richtung macht; unfrei sind sie nicht erst dann, wenn, wie ein bitterer Scherz im „Dritten Reich" lautete, das Propagandaministerium für die offenherzigste und wahrheitsgemäßeste Berichterstattung drei Preise aussetzt, nämlich zwei, fünf und zehn Jahre Konzentrationslager.
Von entscheidender Bedeutung für die Freiheit der Presse ist der freie Strom der Nachrichten. Wir haben mit Befriedigung gehört, daß kein Überministerium geplant sei. Wir wollen hoffen, daß dies als absolut betrachtet werden kann und daß es sich nicht bloß um eine Verzögerung handelt, wie eben in diesem Jahr überall der Lenz mit Verspätung, aber dann doch ins Land kommt. Geplant war es ja doch wohl; dieser Planung nach sollten alle Nachrichten über das Bundespresse- und Informationsamt geschleust werden. Das würde übrigens dem Art. 65 des Grundgesetzes nicht entsprechen. Wenn auch der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt, leitet doch jeder Minister sein Ressort selbständig und unter eigener Verantwortung. Wir geben zu, daß es sich hier um ein schwieriges Problem handelt. Denn andererseits hat es auch bedauerliche Fehlleitungen von Informationen gegeben, etwa in der Dienststelle Blank, wobei ich z. B. an die Schocktherapie der Fragebogen denke. Ein wenig mehr public relations wäre angebrachter als dieser neuentstandene Stab von Presseabwehrbeamten in den Ministerien.
Es hat doch zweifellos den Versuch gegeben, eine Monopolstellung zu schaffen. Ich freue mich wiederum, daß Kollege Dresbach auf diese andere heikle Frage einging, die ich auch stellen wollte: ob es stimmt, daß man durch Druck auf die Geldgeber und Verleger versuchen wollte, oder immer noch versucht, unliebsame Korrespondenten und Redakteure loszuwerden.
Selbstverständlich ist es das gute Recht jeder Regierung, ihren Standpunkt klarzumachen. Aber bedenklich wird das, wenn hier eine allzu bewußte und einseitige Lenkung einsetzt. Siehe all das, was wir während der Filmdebatte gehört haben! Es ist zwar legitim, daß eine Regierung ihr eigenes Nachrichtenorgan hat. Doch wenn ich so an manche Äußerungen des Moniteur bzw. des Bulletins — wie der deutsche Name dieses Blattes heißt — denke, dann werde ich doch ein wenig mit Sorgen erfüllt. Etwa bei der Art der Berichterstattung nach der Debatte vom 29. April und was die Auslegung betrifft, die dem Art. 24 des Grundgesetzes im „Bulletin" gegeben wurde! Wir wollen nicht hoffen, daß es zu den pressepolitischen Plänen der Bundesregierung gehört, aus dem „Bulletin" ein weiteres, im Grundgesetz nicht vorgesehenes Organ der authentischen Interpretation dieses Grundgesetzes zu machen.
Pressefreiheit ist Teil der allgemeinen Meinungsfreiheit. Sie kann nur gedeihen in einer Atmosphäre innerer, lebendiger Freiheit, in einer Atmosphäre, wo es keinen, vielleicht gar noch geschürten Haß zwischen den Konfessionen gibt, in einer Atmosphäre, wo nicht der eine oder der andere Volksteil diskriminiert wird. Meine politischen Freunde hätten sicherlich ein weit größeres Vertrauen in die Auskünfte über die pressepolitischen Pläne der Bundesregierung, wenn sie immer sicher sein könnten, daß in dieser Pressepolitik stets die richtigen, die freiheitlichen Kräfte zum Tragen kommen.
Da hat es aber nun schon mancherlei Verwirrung gegeben. Es gibt eben mancherlei Redner. Die Beeinflussung der Öffentlichkeit in einem ganz bestimmten, nicht unbedingt als freiheitlich zu bezeichnenden Sinn ist dann trotz aller Dementis eben doch sehr stark. Ich will gar nicht noch einmal auf die Angelegenheit mit der „liberalen Meute" eingehen. Offen gesagt, ich habe diese Sache nie allzu ernst genommen. Ich habe vielmehr angenommen, daß so, wie neulich „Don Carlos" zitiert wurde, jetzt vielleicht Wilhelm Busch zitiert werden sollte, obwohl es besser gewesen wäre, wenn man die Anführungszeichen deutlicher gesetzt hätte. Vielleicht dachte der Herr Bundesfamilienminister an jene Einleitungsverse zur „Frommen Helene" von Wilhelm Busch, die ich etwa so paraphrasieren möchte:
Schweigen will ich von Lokalen,
Wo der Böse nächtlich praßt,
— das ist dann wahrscheinlich der Presseklub in der Koblenzer Straße beim wöchentlichen Bierabend der FDP —
Wo im Kreis der Liberalen
Man die Volkszensura haßt.
Im Ausland freilich hat das keinen sehr günstigen Eindruck hervorgerufen; denn das Wort „liberal" ist dort ein Ehrentitel, den auch jeder Konservative mit Stolz trägt. Aber lassen wir das!
Nur auf eines sei noch hingewiesen, wie es unser Freund Mende neulich auch bei der Filmdebatte tat. Es ist etwas sehr Wichtiges. Eine solche Beeinflussung der Öffentlichkeit fügt auch dem Christentum Schaden zu, weil nämlich dieses, das doch Himmel und Erde und alle Menschenseelen um- faßt, damit zu einer Parteiangelegenheit herabgewürdigt wird. Es könnte dann so aussehen, als ob man die Grenzen des Christentums in Deutschland sozusagen an den Bankreihen dieses Hauses ablesen könnte.
Meine Damen und Herren, kehren wir zu den Nachrichten zurück. Viele, korrekte Nachrichten sollen ausgegeben werden. Staatliche Stellen sollen nicht die Kinderfrau spielen, die die Nachrichten an die Kleinen tropfenweise ausgibt, so à la Christian Morgenstern „ein halber Eßl- und ein Teel-" voll von Nachrichten. Das verärgert. Die Journalisten sind eben auch Menschen, und es gilt auch für sie das Wort Nietzsches: „Was du von einem Menschen denkst, das entzündest du in ihm"! Vertrauen und mehr Vertrauen und Nachrichten und mehr Nachrichten, und das Verhältnis zwischen Parlament und Regierung wird ein ganz anderes werden! Die Presse muß ein Zwiegespräch sein, und wenn es der Regierung nicht gelingt, zu überzeugen, was sie versuchen soll, dann braucht ja nicht notwendigerweise immer die Presse daran schuld zu sein. Auch die oppositionelle Presse ist Sprachrohr des demokratischen Staates und notwendig für diesen, sonst erfährt das Volk vielleicht gar nicht, wie klug oder daß es überhaupt regiert wird.
Bevorzugungen wird es immer geben. Denn auch jede Regierung besteht aus Menschen, und das hat sie nun eben mit den Journalisten gemein. Aber die Unfreiheit beginnt, wenn objektive Maßstäbe ausgelassen werden, wenn dieses de Hondtsche System etwa bei Reisen und anderen Anlässen, bei Eskorten in den USA oder in der Türkei allzu strikt angewandt wird, wenn man aus den Journalisten sozusagen Hofrangklassen bildet
mit Zirkeln: die guten, die mittelguten und die bösen.
Da ich Alcide de Gasperi zitierte, darf ich vielleicht noch einmal auf das italienische Beispiel hinweisen. In Italien haben alle Journalisten ohne Unterschied der Partei von Staats wegen freie Büros, Telephone, Sekretärinnen und praktisch freie Fahrt. Sie werden praktisch behandelt wie die Abgeordneten. Natürlich, bei uns vollzieht sich der demokratische Ausgleich in anderer Weise, dadurch nämlich, daß auch die Abgeordneten streng genommen keine Büros haben.
Der Apparat zur Nachrichtenversorgung, der heute da ist, sollte ausreichen: das Bundespresse-und Informationsamt mit 31 Beamten, 313 Angestellten und 33 Arbeitern, dazu die Pressestellen der Ministerien plus Pressestellen, die uns der Föderalismus, der gesegnete und so teure, beschert hat. Bemerkenswert ist nur, daß gerade das Auswärtige Amt in seiner Pressestelle unterbesetzt ist, soviel ich weiß, mit einem einzigen Beamten. Im Ausland ist es ähnlich. Die Pressestellen der Botschaften und Gesandtschaften sind unterbesetzt; man kann sie gar nicht vergleichen mit den Pressestellen der Botschaften und Gesandtschaften der anderen Länder.
Es wird in der letzten Zeit viel von der Selbstkontrolle gesprochen. Es ist noch nicht ausgegoren, auch in Journalistenkreisen noch nicht. Ich darf vielleicht ein Wort der Warnung einfügen. Richard Tüngel hat wohl nicht mit Unrecht in der „Zeit" vom 8. April gesagt, daß hier ein Weg beschritten würde, der zu einer unzulässigen Einschränkung der verbrieften Grundrechte führen könnte und schließlich zu einer neu-Goebbelsschen Schriftstellerliste und zu einer ebensolchen Pressekammer. Ich würde also doch den Rat geben, daß dieser Punkt gerade in Kreisen der Journalisten und Kollegen noch sehr eingehend diskutiert wird, bevor man zu Endgültigem kommt.
Schwere Gefahren, meine Damen und Herren, auf die wir hinweisen müssen, liegen in der Beschlagnahme von Zeitschriften auf Grund des § 94 der Strafprozeßordnung" Ich denke hier an die Beschlagnahme der „Post" in Stuttgart im Falle Klett, an dessen Aufklärung doch wirklich ein öffentliches Interesse bestand,
an die Beschlagnahme der „Revue" in München und an die Beschlagnahmung des „Spiegel" unter Anwendung desselben Paragraphen, in dem es heißt:
Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können oder der Einziehung unterliegen, sind in Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen.
„Einziehung" auf Grund der §§ 40 ff. des Strafgesetzbuchs erfolgt nur auf Grund eines rechtskräftigen Urteils. Hier scheint mir eine große Gefahr gegeben zu sein, nämlich daß wir in eine präventive Justiz hineingeraten, sozusagen in eine Schutzhaft für die Presse. Wenn man Presseerzeugnisse als Beweismittel beschlagnahmt, dann genügen ja — ich will ganz large sein —, 12 Stück, man braucht nicht 100 000 Exemplare zu beschlagnahmen. Wir können sehr gespannt sein, wie die Feststellungsklage in Karlsruhe ausgehen wird. Von diesem Urteil wird sehr viel abhängen. Die Pressefreiheit ist ja gegeben nicht nur, damit wir unsere Meinung äußern können, sondern damit sich die öffentliche Meinung bilden kann. Zum Schutze der Bildung dieser öffentlichen Meinung muß daher davor gewarnt werden, den § 94 in so extensiver Weise anzuwenden.
Wir haben mit Befriedigung davon gehört, daß das Verfassungsschutzamt nicht eingeschaltet ist. Meine Damen und Herren, wir haben einen Bundesstaat mit großen föderalen Rechten, und so haben wir auch viele, viele Verfassungsschutzämter in deutschen Landen, so viele, daß schon der Seufzer laut wurde: Wer schützt die Verfassung vor den Verfassungsschutzämtern? Da ist der Fall des Journalisten Heinrich David in Wiesbaden, auf den ich kurz hinweisen möchte, eines ausgezeichneten und verantwortungsbewußten, durch und durch demokratischen Journalisten, der, wie auch Ihnen allgemein bekannt sein dürfte, sehr unmittelbar unter
Druck gesetzt wurde, um von ihm Schriftstücke, die er durchaus legitim erhalten hatte, herauszubekommen, und der dann vom Innenministerium für die Wahlnacht, in der die Ergebnisse bekanntgemacht wurden, ein Hausverbot erhielt. Das sind Dinge, die zu denken geben. Oder ich nehme einen anderen Fall, der so am Rande auch hereingehört. Erst vor wenigen Tagen erfuhr ich, daß die Kriminalpolizei bei einem Stuttgarter Journalisten, einem absolut demokratisch gesinnten Mann, vorsprach, um auf Ersuchen der französischen Besatzungsmacht aus ihm herauszukriegen, woher er bestimmte Informationen über französisch-sowjetische Geheimbesprechungen bekommen habe.
Das sind wiederum Dinge, die nicht in das Jahr 1954 hineinpassen.
Meine Damen und Herren, ich habe bewußt das Materielle nicht in den Vordergrund gestellt, aber auch dazu ist noch einiges kurz zu sagen: Pressefonds — um keinen härteren Ausdruck zu gebrauchen — wird es immer geben. Aber wir können die Anfälligkeit der schwachen menschlichen Natur vielleicht ein wenig mindern, wenn wir diesen Stand besserstellen; denn kaum ein anderer Berufsstand ist in seiner Existenz so ungesichert wie der Journalistenstand, und zwar auf allen seinen Stufen. Da ist die Not der jungen Journalisten: Honorare! Sie müssen nehmen, was sie bekommen, und wann bekommen sie es denn?! Und da ist die Sorge bei den älteren Journalisten und Redakteuren. Es liegen nun ganz konkrete Vorschläge zur Altersversorgung vor, zur Gleichstellung des „Versorgungswerks der Presse" in Stuttgart mit der gesetzlichen Sozialversicherung und zur Umstellung der Versicherung bei der ehemaligen Versorgungsanstalt der deutschen Presse im Verhältnis eins zu eins.
Ich meine, der Deutsche Bundestag wird sich zur 'gegebenen Zeit damit befassen müssen. Ich darf vielleicht auf die Sozialenquete hinweisen, die die moralische Unterstützung des Herrn Bundespräsidenten gefunden hat. Im Augenblick wird eine Presseenquete zur Untersuchung der Gesamtlage durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß nach dem Beispiel der britischen Royal Commission von 1949 vorgeschlagen. Ich würde mir auch die Einsetzung eines parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Pressefonds vorzuschlagen erlauben.
Nun darf ich vielleicht trotz seiner Abwesenheit noch ein Wort an den Herrn Bundesfinanzminister richten. Ich tue das als ganz freier Demokrat, als Journalist sogar, also nahezu als vogelfreier Demokrat.
Das Wort betrifft die Umsatzsteuer, die unethisch
und unberechtigt ist; denn Geist ist keine Ware.
Hier liegt auch ein Denkfehler vor; denn Ware, wenn man überhaupt so sagen will, entsteht erst durch den Druck. Eine völlige Befreiung müßte angestrebt werden, und das gleiche müßte natürlich auch für die anderen freien Berufe gelten.
Ein zweites Anliegen an den Herrn Bundesfinanzminister — ich hoffe, er erfährt es durch die Presse — betrifft die Pauschalsätze für Werbungskosten der Journalisten, freie und fest angestellte. Ich darf dazu, nicht wörtlich, nur paraphrasierend, aus einem kleinen Werk zitieren, das vom Herrn
Bundesfinanzminister selbst im Stollfuß-Verlag in Bonn herausgegeben wurde. Es handelt sich um die Lohnsteuerrichtlinien 1954 über die Werbungskosten und Pauschalsätze verschiedener Berufsgruppen, die gegenüber den Journalisten höchst begünstigt erscheinen. 25 % ohne Höchstsatz genießen z. B. Bauchredner und Imitatoren,
ebenfalls 25 % Komiker, Humoristen und Ansager. Akrobaten, in Klammern steht „Parterre-Akrobaten", — das gilt also wohl nicht für politische Wahlredner, sondern nur für die Zuhörer —
genießen 30%, und. am schönsten finde ich das mit den „Zauberkünstlern in Solo"; sie haben 40% ohne Höchstsatz. Ich nehme an, daß die Hasen, die sie aus dem Hut herausziehen müssen, sehr teuer geworden sind. Ja, was ist denn da mit den „Enten" der Journalisten, die kosten doch auch einiges? Diese Journalisten haben nur 20 % als freie Journalisten mit 200 DM Höchstsatz und die fest angestellten 15, ebenfalls mit 200 DM. Man dürfte hier also doch zwischen den Zauberkünstlern in Solo, den Bauchrednern, Humoristen oder Akrobaten und den Redakteuren und Journalisten zu einem arithmetischen Mittel, zu einem wahrhaft demokratischen Ausgleich kommen.
Ich darf zusammenfassen. Der Aufbau unserer Presse nach 1945 ist ein Werk, auf das wir nicht minder stolz sein können als auf den Aufbau unserer Städte und unserer materiellen Existenz. Geschichtlich gesehen mag es sogar von noch größerer Bedeutung sein; denn die Flamme des Geistes, die hier neu entzündet wurde, kann durch keine äußerliche Gewalt mehr zerstört werden, wenn wir sie nicht selber preisgeben. Diese Gefahren abzuwehren, ist die vordringlichste Aufgabe, an der die Presse und die verfassungsmäßigen Organe der Bundesrepublik zusammen arbeiten müssen. Man darf wohl, und das erscheint mir von besonderer Bedeutung, folgendes sagen: Es handelt sich hier um ein gesamtdeutsches Anliegen. An der Freiheit unserer Presse wird man uns erkennen. Diese Freiheit wird für uns überall in der Welt Vertrauen werben, besonders dort, wo deutsche Menschen leben, die ihrer demokratischen Meinungs- und Gewissensfreiheit auch heute noch beraubt sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde und ich haben gern zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung keine Pläne verfolgt, die ihrer Meinung nach geeignet sind, die Freiheit und die Unabhängigkeit der Presse zu beeinträchtigen. Nun könnte man vielleicht fragen, ob es dann so sei, daß manche von uns in diesem Hause auf der einen Seite und auf der andern Seite und manche in der Mitte Gespenster sähen. Ja, vielleicht ist es wirklich so. Vielleicht meint der eine und der andere von uns, daß aus der deutschen Wirklichkeit des Jahres 1954 manche Gespenster verscheucht werden müßten. Im übrigen ist sich, wie auch aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Prinz zu Löwenstein zu erkennen war, ja wohl nicht die ganze
Regierung darin einig — so habe ich es verstanden —, daß im Zusammenhang mit der Pressefreiheit kein akutes Problem vorliege.
In einem Bulletin der Freien Demokratischen Partei, Bundesgeschäftsstelle Bonn, vom 31. März dieses Jahres war — ich zitiere — zu lesen:
Der Generalangriff auf die Freiheit der Meinung hat überall dort begonnen, wo diese über ihre entscheidenden Bastionen verfügt: in der Presse, dem Film und am Ende dem Rundfunk. Der Bestand der Meinungsfreiheit
— so hieß es an jener Stelle weiter —
ist in seinem Kern bedroht. Es ist höchste Zeit, sich zur Wehr zu setzen.
Vielleicht sind solche Worte nicht immer so ernst gemeint, wie sie geschrieben werden. Wir haben heute bemerkenswerte Worte in der Aussprache gehört, so auch das Wort von der Opposition in der Koalition. Aber es kam in dieser Debatte unabhängig von den Parteigrenzen doch wohl auch eine Sorge zum Ausdruck, die beträchtliche und, wie ich meine, nicht die schlechtesten Kreise unserer Bevölkerung erfaßt hat. Wir sollten darüber in aller Ruhe miteinander reden, zumal es um Dinge geht, die bei weitem nicht immer nur mit dem guten oder bösen Willen der Beteiligten, sondern auch und vielfach primär mit gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun haben, die nicht ganz leicht zu meistern sind und dennoch gemeistert werden müssen.
Worauf ist denn die berechtigte Sorge zurückzuführen, von der ich gesprochen habe? Darauf, daß sich in unserer Gesellschaft die Tendenz zu bürokratischer Bevormundung verstärkt hat, daß die Neigung zur Unduldsamkeit zunimmt, daß obrigkeitsstaatlich vorgedacht wird, wo zu staatsbürgerlichem Nachdenken angeregt werden sollte.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihre geschätzte Aufmerksamkeit auf eine Entschließung lenken, die die dritte Generalversammlung des Internationalen Presseinstituts in Wien vor etwa einer Woche angenommen hat und in der es heißt:
Die Generalversammlung stellt mit ernster Sorge fest, daß auch in Ländern, die sich zur Demokratie bekennen und deren Regierungen den Gedanken, diktatorische Gewalt anzuwenden, weit von sich weisen würden, Tendenzen bestehen, die Freiheit der Presse durch neue oder durch die Auslegung bestehender Gesetze einzuschränken.
Es geht hier gar nicht allein um eine Auseinandersetzung mit der Regierung. Es geht um bedenkliche Tendenzen in unserem gesamten öffentlichen Leben. Es geht nicht zuletzt auch um das vielfach anmaßende und wenig geistvolle Verhalten derer, die Schlüsselpositionen in den Zusammenballungen wirtschaftlicher und politischer Macht ausüben und die nicht immer besonders- geneigt sind, sich einer öffentlichen oder gar demokratischen Kontrolle zu unterwerfen.
Manche Einzelvorgänge in unserem Land sollten uns zu denken geben und sollten von uns in ihrer weitreichenden grundsätzlichen Bedeutung richtig gewertet werden. Ich denke dabei wie mein Herr Vorredner an die Beschlagnahme von Zeitungen und Zeitschriften auf Grund reichlich rasch erwirkter einstweiliger Verfügungen.
Ich denke an Fälle, in denen sich Amtsrichter ziemlich forsch zur Ausübung einer Zensur berufen fühlten.
Ich denke an den Fall eines Oberstadtdirektors, der die Journalisten aufforderte, sich bei der Berichterstattung über bestimmte Sitzungen nur auf die Mitteilungen der Stadtverwaltung zu beschränken. Ich denke an andere Fälle, in denen Journalisten von städtischen Informationsmöglichkeiten ausgeschlossen worden sind, weil ihre Berichterstattung den Stadtgewaltigen nicht behagte. Ich denke an den sogenannten Maulkorb-Erlaß des Innen- und Sozialministers von Rheinland-Pfalz, der seinen Beamten die Auskunftserteilung an die Presse untersagte. Ich lasse den etwaigen Einwand nicht gelten, daß diese Dinge hier nicht hergehörten. Hier gehört alles her, was die Grundlagen und die Grundfragen der Demokratie betrifft!
Es geht darum, meine Damen und Herren, ob der Bund ein gutes oder ein schlechtes Beispiel gibt, ob in Bonn gute oder schlechte Normen gesetzt werden. Es war, wenn ich das sagen darf, gewiß kein gutes Vorbild, als draußen der Eindruck entstehen konnte, als wollte sich ein ohne jeden Zweifel überaus wohlmeinender, aber in dieser Sache doch wohl übereifriger Kollege zum Zensor über die von uns zu erwerbende Literatur aufschwingen.
Es war keine gute Sache, als der Innenminister der vorigen Bundesregierung den Versuch unternahm, einen der bekannteren Rundfunkkommentatoren abzuservieren. Und man muß, ohne die Reden des Herrn Familienministers wichtiger zu nehmen, als die Auslassungen irgendeines Mitgliedes der Bundesregierung zu nehmen sind, sagen: es war gewissermaßen doch ein Schlag unter den Gürtel — ich muß hier in der Sache meinem Vorredner beipflichten —, als Herr W u e r m e l i n g seine sicherlich nicht immer sehr rücksichtsvollen Kritiker mit dem Kennwort „die ganze liberale Meute" abstempeln wollte, die angeblich ihren ,,Monopolanspruch auf Beherrschung der öffentlichen Meinung" bedroht fühle.
Der Herr Bundeskanzler hat sich vor wenigen Wochen auf der Jahreshauptversammlung des Deutschen Journalistenverbandes zum Recht der Presse auf Kritik bekannt. Ich folge dabei einem Bericht im Mitteilungsblatt der im DGB zusammengeschlossenen Journalisten. Der Bundeskanzler erklärte, Kritik sei absolut notwendig, und er bat um gegenseitiges Vertrauen. Das sind Worte, die nicht stark genug unterstrichen werden können. Aber ich frage mich: berichtet denn niemand dem Herrn Bundeskanzler über Vorgänge, die das von ihm proklamierte und im Grundgesetz verbriefte Recht auf Kritik, auf freie Meinungsäußerung in Frage stellen? Weiß der Herr Bundeskanzler denn nicht und weiß der Herr Bundesminister des Innern nicht, daß sich hier in Bonn Vertreter der Presse in einer Mehrzahl von Fällen einem peinlichen und, wie ich sage, unstatthaften Druck ausgesetzt gefühlt haben? Ist es nicht so, daß sich untadelige Journalisten auf peinliche Weise überwacht, beschattet gefühlt haben und fühlen? Ist es nicht so, daß manche dieser Vertreter der Presse in Bonn eigenartigen Einflüssen ausgesetzt sein müssen, wenn von ihrer
ursprünglich geäußerten Kritik in den unter ihrem Namen veröffentlichten Berichten so gut wie nichts mehr zu spüren ist? Ist es nicht so, daß Journalisten mit Drohungen bedacht werden, wenn sie schreiben oder zu schreiben beabsichtigten, was dieser oder jener Stelle der Bundesregierung nicht behagt?
Da gab es einen Berichterstatter, der etwas über die geplante und gestern hier erörterte Steuerreform erfahren hatte und sein Wissen zu einer Meldung verarbeitet hatte, wie es seiner journalistischen Aufgabe entsprach. Durch einen zunächst freundlichen Anruf, wenn ich recht informiert bin, nicht aus dem Finanzministerium, wurde ihm nahegelegt, sich diesem Thema zunächst nicht mehr zu nähern. Der Berichterstatter erfuhr jedoch mehr und er schrieb mehr, und was er schrieb, war nicht falsch. Daraufhin ein neuer Anruf: man wolle ihn darauf aufmerksam machen, daß er sich in bedenkliche Nähe gewisser Paragraphen des Strafgesetzbuchs begebe.
Sollte man nicht sehr, sehr vorsichtig sein mit der schwerwiegenden Beschuldigung des Geheimnisverrats? Und steht der Bürokratie überhaupt das Recht einer solchen Drohung zu?
Ich will gern anerkennen, daß die Antwort, die der Herr Bundesminister des Innern heute früh hier erteilt hat, einige Zweifelsfragen geklärt hat. Wir haben zur Kenntnis genommen — schon durch die Erklärungen, die vor dieser Debatte abgegeben worden sind, und wir haben es heute bestätigt gehört —, daß gegenwärtig keine regierungsoffizielle Bundeskorrespondenz geplant ist und daß der sogenannten Bundeskorrespondenz, die als privates Unternehmen besteht, keine finanziellen Mittel des Bundespresse- und -informationsamts mehr zufließen sollen. Ich darf unterstellen — auch wenn sich der Herr Bundesminister des Innern dazu heute morgen nicht ausdrücklich geäußert hat —, daß eine regierungsamtliche Auslese von Journalisten für bestimmte Nachrichtenquellen nicht beabsichtigt ist.
Vielleicht überprüft man aber doch einmal, Herr Bundesminister, die angebliche Bevorzugung, von der in Journalistenkreisen die Rede gewesen ist, von Journalisten, die keine bestimmte Zeitung vertreten, gegenüber anderen, die für große Blätter tätig sind. Vielleicht prüft man auch, ob die Bevorzugung dieser und die Hintansetzung jener ausländischen Korrespondenten den Erfordernissen der deutschen Politik und der deutschen Außenpolitik entspricht.
Wir haben gehört, daß es nicht geplant sei, die Presse künftig über sämtliche Angelegenheiten der Bundesregierung und ihrer Ministerien nur noch durch das Presse- und Informationsamt zu unterrichten. Der Herr Bundesminister des Innern hat auf die Vorbereitungen hingewiesen, die zur Ausarbeitung einer neuen Geschäftsordnung des Kabinetts eingeleitet worden sind. Er hat sich auch auf die Grundsätze der Geschäftsordnung der Reichsregierung aus dem Jahre 1926 berufen und hat auf die gegenwärtige Geschäftsordnung verwiesen, die in diesem Punkt nicht verändert werden sollte und in der es sinngemäß heißt, daß alle Veröffentlichungen und alle Mitteilungen, die über fachliche Mitteilungen aus dem besonderen Arbeitsgebiet eines Ministeriums hinausgehen, namentlich solche, die politischen Charakter haben oder politische Wirkungen auslösen können, über das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung zu leiten sind. -
Nun ist kaum etwas dagegen einzuwenden, daß das Presse- und Informationsamt als ein Sammelpunkt für Mitteilungen der Bundesregierung dient. Ich habe aber sehr schwere Bedenken gegen die noch immer bestehende Tendenz, das Presse- und Informationsamt zu einer Nachrichtenschleuse zu machen, von einer Nachrichtenbörse ganz zu schweigen; denn das, was auf dem Gebiet der Nachrichtenbörse bei der Boulettenbar des Presse-und Informationsamtes während der Berliner Konferenz herausgekommen ist, das sollte doch wohl trotz des erheblichen materiellen Aufwandes nicht all zu hoch eingeschätzt werden können.
Bin ich ganz auf dem Holzweg, wenn ich die Frage aufwerfe, ob es wahr ist, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister, und ich füge hinzu: der pressefreundliche Herr Bundeswirtschaftsminister — Ehre, wem Ehre gebührt —, durch den Herrn Bundesminister des Innern korrigiert wurde, als er, der Bundesminister für Wirtschaft, kürzlich seinen Beamten die Anweisung gegeben hatte oder geben wollte, auf vernünftige Fragen vernünftig zu antworten?
Im übrigen kommt es vom Standpunkt der Presse und vom Standpunkt der durch die Presse vertretenen und zu unterrichtenden Öffentlichkeit — ich beziehe mich noch einmal auf die Geschäftsordnung — natürlich mehr auf wichtige als auf unwichtige Angelegenheiten an, und das sind meist solche, die politischen Charakter haben und politische Wirkungen auslösen können.
Hierbei ergibt sich nun die Frage: Wer entscheidet, was wichtig und was politisch ist, und was geschieht, wenn die Ministerialbeamten über Art, Inhalt und Umfang dieser oder jener Information wesentlich anders denken als diejenigen, die die Öffentlichkeit zu unterrichten haben? Wir können doch nicht einfach vom Anspruch der Ministerialbeamten oder auch der Herren Minister auf eine in jedem Fall bessere Einsicht ausgehen. Wir müssen doch wohl vom gesunden Wechselspiel der politischen und geistigen Kräfte ausgehen. Dieses Wechselspiel ist unmöglich ohne das Recht der Presse auf Auskunft, jenes Recht, dem auf der anderen Seite die Pflicht der Presse zur Information entspricht; und ich wünschte, daß sich auch die ganze deutsche Presse dieser Pflicht zur Information bewußt wäre.
Meine politischen Freunde und ich teilen nicht die Meinung, daß es Sache des Bundeskanzleramtes oder irgendeiner anderen Bundesbehörde sei, darüber zu befinden, was der Bundesbürger wissen, was die Öffentlichkeit erfahren darf. Falls darüber einseitig auf der Behördenebene entschieden würde, dann wollte man sicherlich auch bald die andere Seite regeln, nämlich bestimmen, was den Bundesbürger sozusagen positiv zu interessieren hat. Gewiß, es gibt vertrauliche Dinge — Herr Kollege Dresbach hat schon darauf verwiesen —, über die man vertraulich informieren kann und vertraulich informieren sollte, und ich glaube, die
Damen und Herren der Presse werden selber diejenigen aus ihren Reihen auszuschalten wissen, die sich an eine solche Vertraulichkeit nicht halten würden. Aber wir billigen nicht und können nicht billigen die Neigung zu übertriebener Geheimhaltung. Zu übertriebener Geheimhaltung! Durch die Geheimniskrämerei erschwert man geradezu die vertrauliche Behandlung solcher Dinge, die zu Recht mit einem entsprechenden Stempel versehen sind.
Und, Herr Bundesminister des Innern, wir haben auch kein Verständnis für Dementis, die keine sind. Im Ton der Empörung ist kürzlich dementiert worden, daß ein uns allen bekannter Universitätslehrer aus seiner Position im Auswärtigen Amt ausscheiden werde und daß der Chef der Organisationsabteilung in der Dienststelle Blank abgelöst werden solle. Und dann kam es genau so, wie berichtet worden war, und man lachte über die unbeholfenen amtlichen Zwischenmeldungen, und man lachte zu Recht, Herr Bundesminister.
Im übrigen: für die Propagierung parteipolitischer Ziele und gruppenmäßiger Interessen sind nicht die Organe des Staates da, die Partei mag noch so groß, die Gruppe mag noch so mächtig sein. Für diese durchaus legitimen Aufgaben sind auch nicht die Gelder der Steuerzahler da.
In anderen demokratischen Ländern sind Gelder des Steuerzahlers auch nicht dazu da — ich muß den Punkt noch etwas verdeutlichen, den mein Freund Kalbitzer in seiner Begründung heute morgen schon angeschnitten hat —, daß Journalisten den Regierungschef auf seinen Reisen begleiten. Die Träger der Presse sollten selbst darauf achten, daß sie nicht Mißdeutungen ausgesetzt werden.
Die Unabhängigkeit der Presse beginnt bei der Haltung und der Würde der Presse selbst.
Niemand erwartet, daß eine Regierung ihr Licht unter den Scheffel stellt. Niemand wird es verübeln, wenn die Regierung von ihrem Tun und ihren Plänen durch das rednerische und womöglich schriftstellerische Talent ihrer Minister Zeugnis ablegt. Eins sollte die Regierung dabei nicht vergessen. Das Urteil über ihr Tun ist von den Bürgern unseres Staates zu fällen, und es sollte wahrlich unser gemeinsames Bestreben sein, daß eine immer größere Zahl unserer Mitbürger zur gestaltenden Mitwirkung am öffentlichen Leben ermuntert und auch wirklich befähigt wird, und zur Befähigung gehört die ausreichende Unterrichtung. Dazu bedarf es einer deutlichen Trennung notwendiger Information von einseitiger Propaganda. Dazu bedarf es eines unverrückbar positiven Verhältnisses zur Meinungs- und Pressefreiheit, die wir unter so schmerzvollen Umständen wiedererlangt haben.
Der Kollege Dresbach hat hier zu Beginn der Debatte einige vorzügliche Worte über das Verhältnis zwischen Presse und Parlament, zwischen Presse und Politikern gesagt. Mir kam dieser Tage ein englisches Buch „Regierung im Kräftefeld der Gesellschaft" in die Hände. Darin ist von der gewaltigen Wandlung die Rede, die sich seit den Tagen der klassenbestimmten Oligarchien vollzogen hat. Damals hatten es die Regierungen im allgemeinen nicht nötig, der Aufnahme ihrer Politik beim Volk den Weg zu bereiten. Heute haben die Regierungen zum Unterrichten und zum Beeinflussen der öffentlichen Meinung mächtige Mittel zur Hand. Der Verfasser des von mir erwähnten Buches, R. M. McIver, sagt, solange die Regierungen nicht versuchten, andere Propagandastellen gleichzuschalten, könne sich hinsichtlich dieser Funktion, von der ich eben sprach, keine Frage erheben. Er verweist darauf, daß zahlreiche Organisationen im modernen Staat damit beschäftigt sind, die neuen Techniken der Nachrichtenübermittlung und die neue Kunst der Meinungsforschung auszuüben, und er schreibt weiter — und dem könnten wir doch hoffentlich auch alle zustimmen — folgendes. Ich zitiere:
Die Regierungen müssen sich der gleichen Kunst bedienen; ob zum Guten oder zum Schlechten, hängt von ihrer Art ab. Soweit sie sich ihrer bedienen, um das Volk zu einem besseren Verständnis der Fragen, mit denen sie sich befassen, zu bringen und ein Gefühl der gemeinsamen Einheit über die Gruppenverschiedenheiten hinaus zu schaffen, dürfen wir es wagen, diese Aktivität der Liste der kulturellen Aufgaben beizufügen.
Meine Damen und Herren, Sie sehen schon durch diesen Hinweis: ich bin kein Gegner amtlicher Pressestellen. Solche Stellen können nützliche Aufgaben erfüllen. Aber man fragt sich gelegentlich, ob nicht hier und da des Guten zuviel geschieht, ob nicht manche Überschneidungen vermieden werden können und ob nicht der Berufsstand der Zeitungsausschneider über Gebühr anwächst. Man verwechsle übrigens bitte nicht das Anliegen der Presse mit dem Interesse staatlicher Pressepolitik. Um in diesem Zusammenhang ein Wort Kurt Schumachers zu zitieren: Ein Kater, der einen Kanarienvogel verspeist hat, kann darum noch lange nicht schön singen. Ich glaube, das gilt auch für manche staatliche Pressestellen.
Aus Pressestellen dürfen keine Abwehrorgane, keine Büros zur Verhinderung der Information werden.
Ich wende mich noch einmal an den Herrn Bundesminister des Innern, der sich von vornherein freundlicherweise bereit erklärt hat, in diese Debatte einzusteigen. Herr Bundesminister, schauen Sie sich doch bitte einmal in Ihrem eigenen Hause um! Ein Pressemann, der sich an Ihre Pressestelle im Bundesministerium des Innern wendet, bekommt zur Antwort — woraus dieser Stelle natürlich kein Vorwurf zu machen ist; ich denke nicht daran, ihr einen Vorwurf zu machen —, daß man dort nichts wisse. Der zuständige Sachbearbeiter erklärt, er dürfe nichts sagen, sondern könne sich nur über die Pressestelle äußern. Dann bekommt schließlich der Pressemann über die Pressestelle, die zunächst nichts wußte, seine Antwort. Aber da er mit dem Sachbearbeiter nicht selbst sprechen konnte, kann er keine Zusatzfragen stellen, wie wir es hier in unseren Fragestunden nennen würden,
und er kann nicht so lebendig und genau berichten, wie er es vielleicht möchte und wie es ihm lieb sein müßte. Und was ergibt sich daraus, Herr Bundesminister? Dieser Journalist schnappt dann
diese oder jene Andeutung auf — in der Not frißt der Teufel Fliegen —, und schon sind wir unter Umständen bei einer falschen Meldung.
Vor allem aber sollte streng darauf geachtet werden, daß Organe staatlicher Informationspolitik für den Staat da sind, für alle seine Teile, für die Gesamtheit seiner Bürger,
das heißt, es gehört zu den Aufgaben solcher Organe, objektiv über beide Seiten zu berichten, wenn die Dinge im Staat unter den Trägern des Staates umstritten sind, und die Opposition ist einer der Träger, ja einer der Pfeiler eines demokratischen Staatswesens.
Gewiß, die Demokratie ist keine sehr bequeme Sache. Im Obrigkeitsstaat, in der Diktatur, ist es bequemer — für die oben. Aber zu deren Bequemlichkeit kommt dann neben vielem anderen, daß die Giftpflanzen der Gerüchte emporschießen über den Gräbern einer freien Presse.
Es ist heute bei weitem nicht alles erfreulich in unserer deutschen Presse. Es gibt Entartungserscheinungen, es gibt Gangstermethoden, von denen sich jeder verantwortungsbewußte Journalist abgrenzt. Bei einem Teil der Presse gibt es leider auch eine Reaktion auf Tendenzen unserer Zeit, eine Reaktion, die einer stillen Gleichschaltung recht nahekommt. Es ist keine erfreuliche Sache, wenn ein beträchtlicher Teil unserer Presse der Behandlung mancher lebenswichtiger Themen ausweicht, weil man gewissermaßen glaubt, spüren zu können, daß eine Erörterung dieser Fragen oben nicht erwünscht sei.
Aber es gibt auch einen echten Beitrag der Presse zum deutschen Aufbau und zur Sache der deutschen Demokratie. Die Presse hat wiederholt in den letzten Jahren und Monaten gegen Versuche und Versuchungen Front gemacht, aus denen eine Knebelung der freien Meinungsäußerung hätte erwachsen können. Auch der erste Entwurf des Bundespressegesetzes mußte nach leidenschaftlicher Kritik zurückgezogen werden, und wir sind sehr gespannt, Herr Bundesminister, ob der neue Entwurf, wenn er kommt, einen neuen Geist erkennen lassen wird. Diskussionen in den Organen und Organisationen der Presse, der Journalisten haben in der letzten Zeit gezeigt, daß es dort einen Willen gibt einerseits zur Unabhängigkeit und andererseits zur Abgrenzung von Mißständen. Dieser Wille ist da, ihn sollte die Bundesregierung respektieren, ihn fördern, denn es geht um einen der Grundwerte unserer staatlichen Ordnung.
Meine Damen und Herren, ich habe auf manch kritisches Wort nicht verzichten können. Aber ich hoffe, deutlich gemacht zu haben, daß es mir—wie den anderen Herren, die sich geäußert haben—um eine Sache geht, die uns alle aufhorchen lassen sollte, alle, die auf dem Boden der Demokratie stehen, mögen die Meinungsverschiedenheiten unter ihnen sonst noch so groß sein. Die ehrlich Besorgten im Volke aber sollen wissen, daß sie in diesem Hause auf Bundesgenossen und Fürsprecher rechnen können, wenn es gilt, bedrohlichen Entwicklungen zu begegnen und gefahrvollen Anfängen zu wehren.
Das Wort hat der Abgeordnete Feller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage, die uns heute in so lebhafter — teils humorvoller, aber auch ins Grundsätzliche gehender — Weise beschäftigt, geht von Vermutungen aus, die in der Antwort der Regierung als unzutreffend bezeichnet wurden. Wir als Partei verfügen leider nicht über die personellen Querverbindungen, um zu wissen oder feststellen zu können, ob für die Vermutungen der Anfrage berechtigte Anlässe bestehen oder bestanden haben. Wir konnten uns unsere Meinung zunächst nur aus dem bilden, was die hier gerade besonders interessierte Presse an Mitteilungen und Stellungnahmen in den letzten Wochen und Monaten geliefert hat. Aber wir hatten keine Ursache, nicht gutgläubig zu sein, und mußten ihr zumindest zubilligen, daß sie wenigstens in dieser Sache nicht falsch informiert worden ist. Wir freuen uns aber, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort durch den Herrn Bundesminister des Innern so eindeutig hat erkennen lassen, daß sie nicht beabsichtigt, den geäußerten Befürchtungen eine nachträgliche Berechtigung zu erteilen. Wir meinen auch, daß die bisher nach unserer Kenntnis — die allerdings, wie ich schon sagte, recht unvollkommen ist — von der Bundesregierung angewandten Methoden, Formen und gehegten Absichten der Unterrichtung der Presse noch keine Veranlassung geben, zu befürchten, daß die Freiheit der Meinungsäußerung und der Berichterstattung in einer grundgesetzwidrigen Weise beeinträchtigt werden könnte. Wir sind der Meinung, daß auch dann noch keine Gefahr in dieser Richtung gesehen werden müßte, wenn es sich aus rein technischen Gründen als notwendig erweisen würde, daß die Bundesregierung in ihrer publizistischen Apparatur einmal organisatorische Veränderungen vornehmen müßte, sei es aus Gründen der Rationalisierung, der Zusammenfassung oder der Vereinfachung. Man kann sich auch durchaus vorstellen, daß in den vergangenen Jahren Erfahrungen gesammelt wurden und daß sich vielleicht auch aus dieser Debatte Anregungen ergeben, die das Kabinett zu Maßnahmen auf diesem Gebiet veranlassen könnten, die der freien Meinungsbildung geradezu förderlich wären und von uns allen gutgeheißen werden könnten. Wir sind auch bereit, der jeweiligen Bundesregierung — und wenn sie einmal von der heutigen Opposition gebildet werden sollte, würde sie dasselbe Recht für sich in Anspruch nehmen — zuzubilligen, daß sie ihre Meinung in der ihr zweckmäßig erscheinenden Form in den allgemeinen Meinungsstreit hineinruft.
Wenn wir also insoweit keine konkrete Veranlassung sehen, zu tadeln oder Befürchtungen zu äußern, so sind wir doch — und darin stimme ich mit dem Kollegen Brandt völlig überein — der Ansicht, daß hier ein stets akutes Problem vorliegt. Diese Debatte gibt uns eine erwünschte Gelegenheit, ein Bekenntnis zur unbedingten Wahrung der Freiheit von Presse und Berichterstattung abzulegen. Daß dies auch unabhängig von konkreten Veranlassungen durch etwa vorhandene oder vermutete Absichten notwendig ist, erweist sich gerade aus dem Vorliegen einer Resolution wie der, aus der der Kollege Brandt einige Sätze zitiert hat. Ich meine die auf der Tagung des Internationalen Presseinstituts in Wien gefaßte Resolution. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten und des
Herrn Kollegen Brandt darf ich seinem Zitat noch ein paar Sätze aus dieser Resolution hinzufügen. Da heißt es nämlich:
Die im Internationalen Presseinstitut zusammengeschlossenen führenden Redaktoren der freien Presse stellen fest, daß die Beschränkung der Freiheit der Presse immer und überall den Weg ebnete zur Errichtung einer Herrschaft von Willkür und Ungerechtigkeit, auch wenn diese Beschränkungen oft aus achtbaren Überlegungen angestrebt werden. Sie warnen die Behörden aller freien Länder vor allen Versuchen, die Freiheit der Presse zu untergraben, da sie damit die Grundlage ihrer eigenen Existenz, ihrer eigenen Freiheit und der Gerechtigkeit zerstören.
Angesichts eines so ernsten Mahnrufes an alle Staaten erscheint es doch geboten, daß auch wir unserer Meinung dahingehend Ausdruck verleihen, daß es in unserer Zeit, in unserer Lage keine verantwortungsvollere politische Aufgabe gibt, als der Idee und der Erhaltung der Freiheit, insbesondere der Freiheit der Meinungsbildung, zu dienen. Wo immer etwas geplant, gesagt oder getan werden sollte, was ihr Abbruch tun könnte, muß dies unseren leidenschaftlichen Widerstand entfachen. Denn die Idee der Freiheit ist die beste und vielleicht die einzig wirksame Waffe, die wir im Kampf gegen totalitäre Staatsformen besitzen. Sie hat überdies den ungeheuren Vorzug, daß sie nicht erst ad hoc erfunden zu werden braucht. Wenn in irgendeiner Form gegen die Prinzipien der menschlichen und geistigen Freiheit, wie wir sie im Grundgesetz garantiert haben, verstoßen würde, dann wäre das gleichbedeutend mit einem Verrat an der freien Welt zugunsten der Absichten der bolschewistischen Politik.
Aber wir dürfen uns nicht damit begnügen, von der Freiheit zu reden und zu deklamieren. Wir müssen sie auch handhaben, und zwar unserer Lage entsprechend. Das gilt für die Repräsentanten und Vertreter des Staates vor allem; es gilt aber auch für die Vertreter der öffentlichen Meinung. Deshalb sei mir an dieser Stelle auch ein Wort an die zuletzt Genannten gestattet. Ich bin zwar selbst nicht Journalist; aber ich bin es gewesen. Ich bin dann später allerdings zur Schulmeisterei übergegangen. Deshalb habe ich aber doch nicht die Absicht, hier eine Belehrung zu erteilen; denn ich weiß aus Erfahrung, daß die, die sich belehren lassen, ohnehin immer des besten Willens sind. Der Herr Kollege Dresbach hat ja auch schon einige Bemerkungen zu dieser Frage gemacht, denen ich noch einige weitere hinzufügen möchte. Die in Presse und Publizistik Tätigen haben für die Wahrung der allgemeinen Freiheit, die auch die ihre umfaßt, genau so viel Verantwortung wie Parlament und Regierung, und sie werden ihr nicht n u r dadurch gerecht, daß sie, wo immer diese bedroht erscheint, nach der Freiheit rufen. Sie erhalten sie dadurch am besten, daß sie von den ihnen gegebenen Freiheiten den richtigen Gebrauch machen und damit allen Staatsbürgern ein Beispiel für die staatsbürgerliche Verantwortung zur Erhaltung der Freiheit geben.
Es gibt auch heute wieder — Gott sei Dank — in den Reihen unserer Publizisten hervorragende Vorbilder, die unsere ganz besondere Hochachtung verdienen. Aber wir wünschten, daß sie gar nicht so sehr hervorragten, sondern als der herrschende Typus angesehen werden könnten, daß es in der deutschen Presse schlechthin keinen Journalisten gäbe, dem nicht der Staat und die Allgemeinheit uneingeschränktes Vertrauen schenken könnten. Das wäre möglich, wenn sich alle die freiwillige — die freiwillige! — Beschränkung auferlegten, das und nur das mitzuteilen, was im Interesse der Allgemeinheit mitgeteilt werden darf oder zur Erleichterung der öffentlichen Meinungsbildung mitgeteilt werden muß. Das schließt vor allen Dingen jegliche Neigung zur Sensationsmacherei aus. Vielleicht trägt auch die heutige Debatte in dieser Hinsicht zu einer gewissen Besinnung und Uberprüfung bei.
Wir wissen, daß die deutsche Presse es ungeheuer schwer gehabt hat, nach den Zeiten der Knebelung und der Entartung und aus dem Zusammenbruch das zu werden, was sie heute erfreulicherweise wieder ist. Die Eingriffe des „Dritten Reichs" in die freie Entwicklung der deutschen Presse waren um so tragischer, als die in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg eben im Begriff war, eine Entwicklung zur politischen Mitarbeit und Mitverantwortung nachzuholen, die ihr im Gegensatz zu anderen Ländern im kaiserlichen Deutschland nicht möglich gewesen war. Ich weiß nicht, ob der Kollege Dr. Dresbach mit mir in diesem Punkt übereinstimmt. Er muß es ja besser wissen, er hat es miterlebt; ich kann es nur lesen. Aber ich kann mich auf einen wenigstens in diesem Punkt unverdächtigen Zeugen berufen, von dem ich allerdings nicht weiß, ob er wieder vollkommen couleurfähig ist. Das ist Oswald Spengler mit seinem berühmten Aufsatz „Zur Entwicklung des deutschen Pressewesens". Er führt dort allerdings an - das möchte ich hier auch erwähnen —, daß die Stärke der deutschen Presse vor dem ersten Weltkrieg dafür auf dem Gebiet der geistigen Bildungsfunktion gelegen habe, einer Funktion, die ihr während des Dritten Reiches auch verlorengegangen ist. Der deutschen Presse fehlen also heute zwangsläufig manche Elemente der Tradition, die der Presse anderer Länder noch Gesetz und Richtung geben.
Es muß aber Sache der Presse sein, sich ihre innergesetzliche Ordnung selbst zu schaffen. Es ist berufs- und standespolitische Aufgabe der in der Presse Tätigen, gegen Auswüchse und Entartungen selber vorzugehen, Auswüchse und Entartungen, die niemals Maßstab für die Beurteilung der Presse im allgemeinen sein dürfen. Aber nur dann, wenn die Presse sich selbst davon freihält, hat es für uns als politisch Verantwortliche einen Sinn, für die unabdingbare Erhaltung ihrer Freiheit einzutreten.
Dann scheint mir auch eine Frage müßig, wie sie unter 1 c der Großen Anfrage gestellt ist. Denn wenn es von der Mehrheit der in der Presse Tätigen als eine selbstverständliche Verpflichtung erachtet wird, sich in einer Art freiwilliger Selbstkontrolle von solchen Berufsgenossen zu distanzieren, welche gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstoßen oder nicht für sie einzutreten gewillt sind, dann braucht sich auch kein Verfassungsschutzamt mit der Presse zu befassen. Man darf doch wohl aus der Anfrage nicht entnehmen, in diesem Hause bestünden Divergenzen darüber, daß die verfassungsmäßige Ordnung mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gewahrt werden muß. Die Stellen, die dazu tätig werden können, unterstehen doch auch der parlamentarischen Kontrolle in Bund und Ländern. Wir haben ja hier im Hause sogar einen besonderen Ausschuß, der unter dem Vorsitz eines Mitglieds der Opposition steht.
Wir haben auch einen Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films, dem ich persönlich nicht angehöre, dessen Vorsitzender aber meines Wissens ein Mitglied der Regierungskoalition ist. Er wird sicher mit mir übereinstimmen, wenn ich sage, daß seine Aufgabe weniger darin besteht, der Publizistik Zensuren oder Richtlinien für ihr Wohlverhalten zu erteilen, als darin, der Regierung Vorschläge zu machen, wie sie dem öffentlichen Anliegen der freien Meinungsbildung gerecht werden kann.
Wir glauben, daß es hier tatsächlich noch einiges zu tun gibt, weniger, um das Pressewesen zu beeinflussen — das seine Entwicklung, wie ich schon sagte, selber nach außerparlamentarischen Gesetzen vornehmen muß —, als vielmehr das Verhältnis von Regierung und Presse für die Allgemeinheit fruchtbarer zu gestalten. Das liegt wohl mehr auf dem Gebiet des Taktischen — und das Taktische hat ja zumindest sprachlich auch etwas mit „Takt" zu tun – als auf dem Gebiet des Organisatorisch-Technischen, dessen Zweckmäßigkeit zu beurteilen der Regierung selber obliegen muß. Wir glauben aber, daß es dazu nicht eines besonderen Ministeriums, schon gar nicht nach berühmten Mustern, oder eines großen bürokratischen Apparates bedarf. Dafür scheint uns eine kleine Schar sehr befähigter und geeigneter Mitarbeiter aus alle n politischen und weltanschaulichen Richtungen und eine echte parlamentarische Kontrolle ihrer Tätigkeit, wie sie auch Kollege Prinz zu Löwenstein vorhin schon gefordert hat, zu genügen.
Noch ein Wort zu den Mitteln, die für diese Arbeit zur Verfügung stehen. Ihre Höhe war in den Haushaltsberatungen umstritten, es ist auch heute wieder darauf Bezug genommen worden. Ich bedauere das eigentlich, weil es a priori den Verdacht aufkommen lassen könnte, daß ihre Verwendung nicht im Interesse der Allgemeinheit, sondern nur unter speziellen Interessengesichtspunkten beabsichtigt ist. Wenn wir aber einmal überlegen, welcher Arbeit es noch bedarf, um die Teilnahme des einzelnen Bürgers an Staat und Politik zu erwecken, vor allem aber auch um das Ansehen des deutschen Staates und Volkes in der Welt wiederherzustellen — nicht nur im amerikanischen Mittelwesten, wie Herr Kollege Professor Gülich vor einigen Tagen gesagt hat —, dann sind acht oder zehn oder zwanzig Millionen DM ein Pappenstiel, vor allem wenn man die Mittel mit denen vergleicht, die von anderen Ländern gewissermaßen in Konkurrenz mit uns auf dem Weltmarkt der öffentlichen Meinung eingesetzt werden. Die ausländische Presse hat uns ja gerade in den letzten Wochen und Monaten Beweise dafür geliefert, wie wenig sie noch über unsere wahrhaften Ansichten und Anliegen im Bilde ist. Hier sollte es uns also weniger darauf ankommen, zu kritisieren und zu kontrollieren, als darauf, anzuregen und zu fördern. Sollten wir nicht in der Lage sein, den staatlichen Stellen wirksame Impulse zu geben, dann wäre es allerdings zweckmäßiger, wir diskutierten zunächst einmal über das Parlament und seine Funktionen. Die Presse scheint sich ebenfalls in letzter Zeit sehr dafür zu interessieren und sich kritischer mit uns zu beschäftigen, als wir es mit ihr zu tun überhaupt beabsichtigen. Ich stehe nicht an, ihr zuzugestehen, daß sie damit eine durchaus berechtigte Aufgabe erfüllt und ihre Freiheit richtig handhabt. Wir würden ebenso wie die Regierung eine schlechte Haltung einnehmen, wenn wir Maßnahmen zuließen, die sie daran hindern könnten, unser Handeln
oder Nichthandeln zu kritisieren. Wir tun besser daran, sie durch unsere Haltung zwar nicht gerade zu ermuntern, aber doch zu veranlassen, so objektiv wie möglich zu sein.
Objektivität aber ist nur in Freiheit möglich! Absolute Objektivität ist ebensowenig möglich wie absolute Freiheit. Beide unterliegen Bindungen, die nur dann eingehalten werden, wenn sie freiwillig gewählt und anerkannt sind. Das muß die Presse wissen, das müssen aber auch Staat, Regierung und Parlament wissen. Wir werden gemeinsam darüber zu wachen haben, daß dieses Wissen auch beachtet wird. Geben wir der Regierung Anregungen, Mittel und Möglichkeiten, eine ausreichende Informationstätigkeit für die in- und ausländische Presse zu entfalten und ein gutes Verhältnis zu allen Pressevertretern zu unterhalten, die sich im Rahmen der demokratischen Ordnung halten! Dann wird sie sich hoffentlich auch nicht einfallen lassen, eine eigene Pressekorrespondenz herauszugeben oder gar einen Teil der Presse anderen gegenüber zu bevorzugen. Es liegt aber an uns, wachsam zu sein, vor allem dafür zu sorgen, daß das Parlament seine Aufgabe als Hüter der demokratischen Rechte und in der Kontrolle des Staatsapparates in vollem Umfange wahrnimmt. Dann braucht uns um die Freiheit der Bildung der öffentlichen Meinung, die noch von ganz anderen Mächten als der des Staates bedroht ist, nicht weiter bange zu sein. Insoweit, meine Damen und Herren, hielten wir es für durchaus angebracht, erfreulich und fruchtbar, daß dieses Thema hier einmal diskutiert werden konnte und auch wir Gelegenheit hatten, unserer Meinung dazu Ausdruck zu verleihen.
Das Wort hat der Abgeordnete Becker .
Meine Damen und Herren! Die heutige Diskussion hätte sehr explosiv sein können. Man mußte es sogar vermuten, denn sie beschäftigt sich mit einem Gegenstand, der vielleicht der explosivste ist, den es überhaupt auf der Erde gibt, nämlich mit der Freiheit, mit der Geistesfreiheit und mit der Pressefreiheit, die mit ihr eng verbunden ist. Der Kollege Dresbach hat es verstanden, die Spannung, die hier herrschte, durch rechtzeitig eingeführten Humor zu mildern. Leider hat er die Atmosphäre so weit entspannt, daß das Haus sich nun im Laufe der Debatte wieder ziemlich entleert hat, vielleicht weil das eigentliche, was gesagt werden mußte, sehr schnell und so treffend gesagt wurde, daß den nachfolgenden Rednern in gewisser Weise die Lust vergangen ist, dazu noch allzuviel auszuführen. Aber gerade der Ausführungen des Kollegen Dresbach wegen ist es, glaube ich, notwendig, daß wir von der Deutschen Partei noch ein Wort dazu sagen. Es war ja sehr interessant, welche Begriffe Herr Dresbach in die Debatte einführte. Er bezog sich z. B. auf Äußerungen, die mein Kollege Dr. Schild vor einiger Zeit einmal über die Zeitspanne von 1918 bis 1933 gemacht hat, von der er sagte, daß sie zur Nivellierung geführt hätte. Wenn wir das heutige Verhältnis von Regierung zur Presse beobachten und beurteilen wollen, ist es bestimmt notwendig, die damalige Zeit, die sogenannte Weimarer Zeit, zum Vergleich heranzuziehen. Man muß auch folgendes feststellen: Ein anderer Redner, ich glaube, es war der Abgeordnete Prinz zu Löwenstein, führte die großen meistens liberalen Blätter der
damaligen Zeit an und schilderte die Vielfältigkeit, die geistige Regsamkeit und das lebendige Bild des Pressewesens dieser Epoche.
Interessant ist nun folgendes. Auch in den Jahren 1931/32 hatten diese großen sogenannten liberalen Zeitungen, „Berliner Tageblatt", „Frankfurter Zeitung" usw., nach wie vor ihren großen Leserkreis und ihre ganz anständigen Auflagen. Auch die Generalanzeiger-Presse hatte ja nach wie vor ihre Millionenauflage im gesamten Deutschland. Obwohl also die Pressefreiheit bis in das Jahr 1932 hinein gewahrt geblieben war, mußte man doch feststellen, daß dennoch die Parteien, die ein totalitäres Staatsbild haben, die Kommunistische Partei und die Nationalsozialistische Partei, das Ohr und die Herzen der Bevölkerung gewannen. Ich erwähne das hier absichtlich, weil ich darauf hindeuten will, daß die Ausführungen des Abgeordneten Dr. Schild bei anderer Gelegenheit zutreffen, nämlich daß eine zügellose Freiheit zu einem Kampf aller gegen alle und zur Nivellierung wirtschaftlicher und geistiger Art führt, wenn gleichzeitig keine Ordnungsprinzipien sichtbar und fühlbar sind, und daß dann die gewahrte Pressefreiheit gar nichts nützt, weil trotz Riesenauflage die Bevölkerung, die Glieder unseres Volkes, von anderen Wertvorstellungen geleitet werden, als es in dieser freiheitlich gestalteten Presse zum Ausdruck kommt.
Im Zusammenhang damit möchte ich etwas zu den sogenannten berufsständischen Gesetzen und gerade auch zu dem Journalistengesetz sagen, das heute von den Journalisten selbst angestrebt wird. Nicht etwa in erster Linie die Bundesregierung oder dieses Hohe Haus will ja jetzt noch unbedingt ein Pressegesetz, sondern die Journalisten selbst wünschen ein berufsständisches Gesetz, ein Berufsordnungsgesetz, und das aus gutem Grund. Die anderen Berufe heutzutage, die Handwerker, stehen hier als gutes Beispiel an der Spitze, fordern von sich aus auch solche berufsordnenden Gesetze. Wenn Sie an den Konsumenten denken, z. B. gerade auf dem Gebiet des Handwerks, so muß man doch sagen: Seit dem Bestehen der Handwerksordnung — sie besteht nur kurz — ist der Konsument gut bedient und hat auch alle Aussicht, in der Zukunft gut bedient zu werden, und dem freien, großen Berufsstand des Handwerks selbst ist auch gedient. Das gilt auch auf dem Gebiet des Journalismus, sowohl für den Journalisten wie für seinen Kunden, nämlich den Leser. Die Zeitung hat doch ein Interesse daran, daß der Beruf des Journalisten gewissen Ordnungsprinzipien unterworfen wird, Prinzipien, die diese Journalisten selbst fordern. Der Gesetzgeber, also wir, sollten diesem Wunsch, der da vom Berufsstand geäußert wird, entsprechen. Der Staat hat insofern Hilfestellung zu leisten und gesetzlich in allgemein verbindlicher und gültiger Form festzulegen, was diese Berufsstände selbst wünschen.
Meine Damen und Herren, ich will damit nur folgendes bekräftigen. Nicht alles, was unter der Flagge der Geistesfreiheit segelt, ist Geistesfreiheit, es ist auch oft eine Freiheit des Ungeistes. Mit dem Begriff der liberalen Freiheit, den der Abgeordnete Prinz zu Löwenstein geprägt hat, kann ich da nichts mehr anfangen. Liberale Freiheit heißt ja freie Freiheit. Das erinnert mich sehr an den Begriff der Volksdemokratie. Eine doppelte Bejahung bedeutet da eine Verneinung.
Gerade wenn wir die Presse- und Geistesfreiheit in Deutschland haben und behalten wollen, müssen
wir bestimmte Berufsgesetze haben, auch auf dem Gebiete des Journalismus. Ich glaube, daß wir noch im Laufe der Legislaturperiode dazu kommen werden. Man sollte nicht so einfach über ,die Wünsche der einzelnen Berufsstände hinweggehen und sagen: Namens des Liberalismus wünschen wir keine Berufsordnungsgesetze. Mit Zünftlertum und ähnlichen Begriffen, die verwandt wurden, hat das nichts zu tun, sondern damit, daß die Freiheit, die wir alle zu erhalten wünschen, wirklich nur dann gedeihen kann, wenn von allen Seiten bestimmte Ordnungsprinzipien anerkannt werden.
Der eigentliche Anlaß der heutigen Debatte war die Große Anfrage der SPD, der dann ein Antrag der SPD nachgereicht wurde. Als wir vor einigen Wochen über die Filmpolitik der Bundesregierung debattierten, war, wie man sagen muß, wirklich ein ernster Grund zu der damaligen Anfrage der SPD gegeben, namentlich wegen der bekannten Äußerung, über die wir seinerzeit ausgiebig diskutiert haben. Diesmal kommt es mir allerdings so vor, als wenn von der SPD mit etwas schweren Geschützen geschossen würde. Man kann es auch anders ausdrücken. Diesen anderen Ausdruck werde ich vielleicht nachher noch bringen.
Der Abgeordnete Kalbitzer hat vom „schleichenden Gift", vom „Reptilienfonds" und von der drohenden „Gleichschaltung" gesprochen. Wie ist denn die Lage wirklich? Die Bundesregierung hat bei der Bevölkerung eine sehr gute Autorität, möchte ich sagen, eine Autorität, die nicht durch geheimnisvolle Maßnahmen der Pressebeeinflussung und dergleichen, sondern einfach darin begründet ist, daß die Leistungen der vorigen und der jetzigen Bundesregierung gut gewesen sind. Wenn Sie aber die Presse lesen — ich meine hier in erster Linie die Tageszeitungen —, so können Sie doch feststellen, daß in den politischen Aufsätzen die kritischen Äußerungen der Leitartikler weitaus häufiger sind als die anerkennenden Worte. Man kann also doch im großen und ganzen nicht behaupten, daß in der Bundesrepublik eine sehr große Gefahr der Eindämmung der Pressefreiheit vorhanden sei. Ganz im Gegenteil! Ich wundere mich, muß ich sagen, häufig über die Langmut, mit der die immer wiederkehrende Kritik in so vielen an sich gut geleiteten Zeitungen von der Bundesregierung hingenommen wird und wie wenig an wirklich durchschlagender Dokumentation von der Bundesregierung geschieht. Ich möchte daher der Bundesregierung eigentlich den gegenteiligen Vorwurf machen, daß sie nicht deutlich und klar genug ihre Absichten und ihren Willen der Bevölkerung zu vermitteln versteht.
Ich will das an einem Beispiel erläutern, das nicht direkt etwas mit der Presse zu tun hat, aber parallel dazu liegt, nämlich an dem Beispiel des Rundfunks. Im Rundfunk haben alle nennenswerten, größeren Gruppen der Bevölkerung die Möglichkeit, in den Sendeprogrammen zu Wort zu kommen, z. B. die Kirchen mit ihren Gottesdiensten und weit darüber hinaus mit verschiedenen Beiträgen, womit ihnen die Gelegenheit gegeben ist, regelmäßig zu den Mitgliedern ihrer Gemeinschaften zu sprechen und sich über einschlägige Fragen zu unterhalten. Auch den Gewerkschaften ist es vorbehalten, innerhalb des Sendeprogramms in einem bestimmten Rahmen zu Worte zu kommen. Selbst Minderheiten wie das Judentum haben diese Möglichkeit. Ich erinnere daran, daß wir im NWDR regelmäßig die Stunde des Judentums haben.
Auch die Landwirte haben ihre bestimmte Stunde. Es betrifft also alle Berufsgruppen und alle weltanschaulichen Gruppen. Die politischen Parteien haben innerhalb der einzelnen Sendeprogramme ebenfalls ein, wenn auch häufig sehr enges Feld und können darin mit ihren Meinungen zu Worte kommen.
Die Bundesregierung selbst hat bei diesen Rundfunkprogrammen bisher nicht die Möglichkeit, etwa jede Woche einmal eine Stunde der Regierung zu senden. Also ich will damit zeigen: es gibt die Einrichtung des Rundfunks und die oberste Instanz unseres Staates. Die oberste Spitze unseres Staates, vom Bundespräsidenten abgesehen, der ja nur das Repräsentative unseres Staates bedeutet, der oberste Willensträger, möchte ich. fast sagen, oder Beauftragte des Willensträgers des Parlaments, die Regierung, hat nicht die Möglichkeit, im Rundfunk eine halbe Stunde oder eine Stunde in der Woche einmal ihre Meinung und ihre Absichten zum Ausdruck zu bringen. Sie hat diese Möglichkeit im großen und ganzen in der Presse ja auch nicht, es sei denn in den direkt herausgegebenen Organen wie dem „Bulletin" und dem „Bundesanzeiger", der ja an sich die Gesetze nur im Wortlaut bringt, oder dergleichen. Sie ist also, wenn sie klar und deutlich zur Bevölkerung sprechen will, als Regierung darauf angewiesen, Informationen zu erteilen, also den indirekten Weg zu gehen.
Nun besteht natürlich die Gefahr, daß bei der indirekten Meinungsäußerung ein falscher Weg eingeschlagen wird. Ich sehe die Gefahr darin — und da stimme ich mit der vorgebrachten Kritik vollkommen überein --, daß etwa bestimmte Zeitungen oder sonstige Korrespondenzunternehmungen durch direkte finanzielle Unterstützung dem Wunsche der Regierung hörig oder willfährig gemacht werden. Der Weg ist ganz bestimmt falsch. Aber es sollte doch ein Weg gefunden werden, der es der Bundesregierung erlaubt, z. B. den großen Tageszeitungen gegenüber in aller Offenheit in festen Vereinbarungen, in festen Blocks — bei kleinen Zeitungen kann man das meinetwegen z. B. im Materndienst machen — oder wie auch immer ihren Willen kundzutun. Das ist ein viel besserer und wirksamerer Weg als dieser indirekte Weg über die indirekte Abhängigmachung von irgendwelchen Verlagen oder Korrespondenzen. Das gebe ich offen zu. Im großen und ganzen, glaube ich, kann man aber feststellen — ich habe vorhin darauf hingedeutet —, daß dieser schlechte Weg doch nur in Einzelfällen und in geringfügigem Maße gegangen worden ist. Ich habe so den Eindruck, die SPD steht an der Klagemauer und erhebt hier Klagen, und der eigentliche Grund der Klagen ist im großen und ganzen nicht gegeben.
Etwas anderes ist das, was der Kollege Brandt vorhin ausgeführt hat, indem er sagte, die Bundesregierung wird ja darum hier angeführt, weil sie als gutes Beispiel vorangehen soll und man sich da, wo die Bürokratie oder andere Stellen Fehler machen, auf die Bundesregierung als leuchtendes Vorbild berufen können soll. Dem stimme ich zu. Aber meiner Ansicht nach hätte der Kollege Brandt von der SPD die langen Ausführungen, die er hier gemacht hat, viel besser an gewisse sozialdemokratisch geführte Landesregierungen richten sollen. Denn, meine Damen und Herren, wir wollen uns doch alle nicht weißer machen, als wir sind. Die Bundesregierung wird hier in dem Antrag
der SPD als schwarzer Knabe hingestellt, und es wird gesagt: Die Bundesregierung wird ersucht, zu erklären, daß sie von allen Plänen Abstand nimmt, die geeignet sind, die Unabhängigkeit und die Freiheit der Presse zu beeinträchtigen. Meine Damen und Herren, wir alle gehören einer politischen Partei an, und wir haben in der Nachkriegszeit mit den verschiedenen Länderregierungen unsere Erfahrungen gemacht. Wir haben Länderregierungen gehabt, die sich nach meinem Dafürhalten weitaus weniger fair und objektiv verhalten haben, als es die Bundesregierung bisher in dieser Frage getan hat.
Darum wäre meiner Ansicht nach dieser Antrag der SPD nur dann richtig, wenn er etwa hieße: Der Bundestag erklärt, daß er von sich aus in jeder Situation die Geistes- und Pressefreiheit schützen und bewahren will, und ist der Überzeugung, daß die Bundesregierung das gleiche auch tun wird, oder ähnlich. So, da es nur einseitig auf die Bundesregierung abgeladen wird, scheint mir der Antrag irgendwie falsch zu sein. Vielleicht sehe ich die Dinge nicht richtig; aber meiner Ansicht nach ist das so.
— Ja, Herr Kalbitzer, zu Ihnen wollte ich sowieso noch ein persönliches Wort sagen. Ich bin, wo ich Sie hier wieder in Bonn treffe, einigermaßen darüber erfreut, daß Sie anscheinend hier so den Kriminalisten des Bundestages machen, den Detektiv, denn immer enthüllen Sie hier so irgendwelche dunklen Affären, die irgendwie halb stimmen.
Ich glaube aber, daß diese etwas negative Tätigkeit wertloser ist, als wenn Sie einmal in offener Art und Weise darlegen würden, wie es nun wirklich gemacht werden sollte. Denn diese halben Enthüllungen, ich weiß nicht, kommen mir immer so vor, als wenn aus Entgleisungen, die überall vorkommen, eine große Verdächtigung aufgebaut werden soll, der eigentlich der Hintergrund fehlt.
Ich möchte zum Schluß kommen und nur noch folgendes sagen. Man braucht ja nicht immer neue Worte zu wählen. Für uns, für die Deutsche Partei, gilt es als eigene Haltung, und es gilt auch als Bitte an die Bundesregierung das einfache Wort: „Gazetten sollen nicht genieret werden!"
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr e s b a c h hat, wenn ich es richtig aufgefaßt habe, mit der Feststellung begonnen, alle vornehmen Leute seien heute eigentlich in Straßburg. Ich will nicht untersuchen, ob es zutrifft, daß alle vornehmen Leute aus diesem Hause heute in Straßburg sind;
aber ich möchte sagen, selbst wenn das zuträfe, haben wir doch einen Teil der anregendsten und amüsantesten Leute auf jeden Fall hierbehalten.
Mit diesem Kompliment an meine Vorredner wollte ich beginnen. Danach aber möchte ich folgendes mit allem Ernst sagen.
Die Bundesregierung hat keine Pläne, die geeignet sind, die Unabhängigkeit und die Freiheit der Presse zu beeinträchtigen. Die Pressefreiheit ist ein durch das Grundgesetz gewährleistetes Grundrecht, und die Bundesregierung muß sich auf das ernsteste dagegen verwahren, daß ihr Pläne unterstellt werden könnten, die das Grundgesetz und die Grundrechte verletzen würden.
Deswegen glaube ich, daß Sie diese Erklärung als eine Erklärung der Politik der Bundesregierung hinnehmen und den von Ihnen auf Umdruck 18 vorgelegten Antrag damit als erledigt erklären sollten.
Jedenfalls möchte ich namens der Bundesregierung diese Bitte an das Hohe Haus richten.
Ein Teil der Ausführungen, die schon Herr Kollege Kalbitzer gemacht hat, laufen darauf hinaus, daß die Mittel, deren Bewirtschaftung der alleinigen Prüfung durch den Herrn Präsidenten des Bundesrechnungshofes unterliegt, hier noch einmal in die Debatte gezogen werden sollten. Wir haben das bereits bei der Haushaltsdebatte erlebt, und dies ist insoweit eigentlich nur ein kleiner Nachklang der Haushaltsdebatte. Ich möchte dazu sagen, daß es in allen Regierungen von - wenn wir mal in Deutschland bleiben — Otto von Bismarck bis Otto Braun Mittel gegeben hat, die in dieser Weise behandelt worden sind. Der einzige Punkt der Debatte kann der sein, ob über diese Mittel mit der genügenden staatspolitischen Verantwortung verfügt wird. Zu diesem Punkt möchte ich sagen, daß diese Regierung eine hohe Meinung von der Trennung zwischen dem, was man vielleicht ein Parteigeschäft nennen könnte, und den Funktionen einer Regierung hat. Auf jeden Fall nehme ich das für mich in Anspruch, und ich werde an keiner Stelle anders als diesem Grundsatz entsprechend handeln. Das ist die Grenzlinie, die eingehalten werden muß. Das ist die Grenzlinie, die nicht nur in Deutschland, sondern auch in den ausländischen, zum Vergleich geeigneten, nicht totalitären Staaten unter allen Umständen beachtet werden muß.
Man darf darüber hinaus nicht übersehen, daß diese Regierung einen sehr, sehr großen Teil der Wählerschaft vertritt und daß allein schon deswegen — weil sie einen so großen Teil der Wählerschaft vertritt — mindestens die Wahrscheinlichkeit dafür sprechen wird, daß sie sich in ihrem Verhalten von staatspolitischen und nicht von parteipolitischen Gesichtspunkten leiten lassen wird.
Ich darf nun auf einzelne Punkte eingehen, die in der Debatte erwähnt worden sind. Es ist auf den früheren Pressegesetzentwurf hingewiesen worden - er war ja nicht einmal bis zur Kabinettsreife gediehen, wenn ich nicht irre —, für den ich nun in der Tat keinerlei Verantwortung trage und zu dem ich mich deswegen auch gar nicht äußern möchte.
Wenn in der Debatte aber die Frage durchgeklungen ist, wie die Regierung denn jetzt über ein Pressegesetz denkt, so würde ich sagen: eine endgültige Meinung darüber hat sie noch nicht formuliert, aber sie nähert sich diesem Problem mit großer Bedächtigkeit und sieht es nicht als eine Priorität hohen Ranges an; wenigstens kann ich das aus der Perspektive meines Ressorts sagen. Ich habe leider, so darf ich hinzufügen, sehr viel größere Sorgen als das beschleunigte Einbringen eines Pressegesetzes in diesem Hohen Hause.
Ich möchte aber ein Weiteres dazu sagen. Ich folge der Diskussion, die außerhalb dieses Hohen Hauses und in der Presse selbst über Umfang, Notwendigkeit oder Wünschbarkeit eines Pressegesetzes betrieben wird, mit äußerstem Interesse, und ich begleite diese Diskussion mit vielen guten Wünschen für ein fruchtbares Ergebnis, ein Ergebnis, auf dem vielleicht einmal die Regierung aufbauen könnte, wenn Sie das nicht für allzu optimistisch ansehen möchten.
Von zwei oder drei Seiten ist in der Diskussion auf Beschlagnahmen hingewiesen worden, die auf Grund des § 94 der Strafprozeßordnung vorgenommen worden sind. Meine Damen und Herren, niemand von Ihnen wird glauben, daß das Dinge sind, die zur Zuständigkeit der Bundesregierung gehören. Es sind in der Tat Vorgänge, die sich im Rahmen der Justiz abgespielt haben, und ich habe den Wunsch, daß dieses Problem, das ja ein reines Rechtsproblem ist, durch entsprechende gerichtliche Entscheidungen weiter gefördert werden möchte. Sollte sich dann aus anderer Praxis oder anderer Beurteilung durch die Gerichte ergeben, daß hier etwa Anlaß bestünde, auf diesem Gebiet gesetzgeberische Vorschläge zu machen, so stehen sie dem Hause frei und können von der Regierung in Erwägung gezogen werden.
Ich darf mich dann dem Herrn Kollegen Brandt zuwenden. Er hat in liebenswürdiger Weise, möchte ich sagen, auf ein Stichwort angespielt, das ihm vorher von dem verehrten Kollegen von der Freien Demokratischen Fraktion zugespielt worden ist, nämlich von der Opposition innerhalb der Regierungskoalition. Wenn ich den Prinzen Löwenstein richtig verstanden habe, hat er die Opposition innerhalb der Regierungskoalition als ein belebendes und ein mitkontrollierendes Element aufgefaßt und dargestellt. Da gleichzeitig von allen Seiten des Hauses der Appell zur Duldsamkeit gekommen ist, wird, glaube ich, auch das niemand unduldsam auffassen wollen. Wenn nun der Kollege Brandt eine Stelle aus der Korrespondenz unserer verehrten Freunde von der Freien Demokratischen Fraktion zitieren konnte, die von einem Generalangriff auf Güter der Freiheit gesprochen haben soll - ich habe die Sache selbst nicht gelesen —, so würde ich glauben, daß das Wendungen sind, die sich nicht auf konkrete Regierungspolitik beziehen, sondern die in irgend etwas anderem, aber sicher nicht in der Politik dieser Regierung begründet sein können.
Der Kollege Brandt hat noch etwas anderes angesprochen, nämlich, wenn ich ihn richtig verstehe, einen in dieser Zeit allgemein zu bemerkenden gesellschaftlich-staatlichen Zug zur Unduldsamkeit. Er hat das, jedenfalls für mein Gefühl, nicht im einzelnen belegt. Ich neige eigentlich eher dazu, das für richtig zu halten, was der letzte Vorredner, Herr Kollege Becker, ausgeführt hat, der auf seiten der Regierung — ich will mich nicht zu den übrigen gesellschaftlich-staatlichen Vorgängen äußern — doch eher ein großes Maß von Duldsamkeit verzeichnen zu können glaubte.
Meine Damen und Herren! Die Regierung erhebt keinen Anspruch darauf, als besonders duldsam gefeiert zu werden. Sie braucht dabei nicht weiter zu gehen und wird dabei nicht weiter gehen, als sich innerhalb der durch die Verfassung gezogenen Schranken zu halten. Das gilt aber für alle Deutschen und nicht nur für die Regierung.
Ich habe allerdings sehr bedauert — das gilt sowohl für das, was der Herr Kollege Kalbitzer an einigen Stellen gesagt hat, wie auch für einiges von dem, was Herr Kollege Brandt gesagt hat —, daß nicht doch Roß und Reiter bei beanstandeten Vorgängen genauer bezeichnet worden sind. Sehen Sie, meine Damen und Herren, ich habe ja leider neulich hier schon einmal einen anderen Fall dieser Art aufgreifen müssen. Es dient nicht der Aufhellung von Vorgängen, an der uns allen liegen sollte, wenn wir bei gewissen Vorgängen uns allzusehr nur auf Andeutungen beschränken. Das war z. B. — um nur den einen Fall zu nennen — die Behandlung der Steuerreformvorlage damals. Es scheint mir besser zu sein, wenn wir wirklich klipp und klar die Vorgänge nennen, sie zur Kenntnis der verantwortlichen Minister bringen oder sie sonst in irgendeiner anderen Form hier behandeln. Je klarer wir uns dabei verhalten und je mehr wir uns mit den Tatsachen und nicht mit den Vermutungen beschäftigen, desto besser wird es, glaube ich, für die Bereinigung der Atmosphäre sein.
Herr Kollege Brandt hat dann etwas anderes gesagt. Er hat geglaubt, bemerken zu können, daß gewisse Journalisten bevorzugt würden. Er hat das, glaube ich, für in- und ausländische gesagt, und zwar solche, die Zeitungen, vielleicht große Zeitungen, vertreten, und andere, die nicht das Glück — oder das Unglück, ich weiß nicht, wie man das nennen muß — haben, eine große Zeitung zu vertreten. Ich möchte sagen, daß mir jedenfalls aus meiner eigenen Praxis und soweit ich die Praxis meiner Kollegen beurteilen kann, das nicht gegenwärtig ist. Ich glaube, daß alle Informationsmittel — ich sehe hier von persönlichen Nettigkeiten des einen oder anderen ab — ohne Ansehen der Person a 11e n Journalisten zur Verfügung gestellt werden.
Und dann ist das Presse- und Informationsamt auch nicht etwa als eine Nachrichtenschleuse gedacht, in der das von den anderen Ministerien für die Veröffentlichung gedachte Material eigentlich erst durchgesiebt und möglichst vielleicht sogar festgehalten werden könnte. Ich würde doch annehmen, daß Sie, wenn Sie die Tatsachen — gehen wir ruhig zurück in die ganzen vergangenen vier Jahre — würdigen, sagen müssen, daß es nicht die Praxis der Ressortchefs gewesen ist, diesen Weg über das Presse- und Informationsamt etwa in sklavischer Weise zu befolgen. Sie alle hier sind doch Zeugen dafür, daß es eine sehr, sehr unmittelbare Information eigentlich über alle wichtigen Dinge gegeben hat.
Herr Brandt hat gemeint, ich hätte mich einmal „quergelegt", als mein Kollege, der Bundesminister für Wirtschaft, seinen Beamten empfohlen habe, auf vernünftige Fragen vernünftige Antworten zu geben. Herr Brandt, ich kann allein diese Vermutung schon nicht als genügend liebenswürdig empfinden. Denn was anders sollten Beamte sagen, als daß sie auf vernünftige Fragen vernünftig antworten! Das gehört also auch zu den Vorwürfen, von denen ich nicht das geringste weiß und bei denen ich Ihnen nur dankbar wäre, wenn Sie mich, wenn das irgendwie urkundlich oder sonstwie zu fassen wäre, darauf aufmerksam machen würden. Von diesem Vorwurf möchte ich mich allerdings dann in aller Geschwindigkeit reinigen; ich sage schon jetzt: er trifft mich nicht.
Herr Brandt hat etwas Weiteres gesagt. Er hat von Dementis der Bundesregierung gesprochen, die keine seien. Nun, das mag vorkommen. Es gibt in allen Staaten Dementis, und vielleicht irrt man sich auch einmal in einem Augenblick. Aber er hat Pech gehabt. Das Beispiel, das er aus dem Auswärtigen Amt nannte, paßt nun in der Tat gar nicht. Ich weiß nicht, ob wir denselben Professor meinen; aber wenn Sie den Professor meinen, den ich jetzt auch meine
und auf den sich möglicherweise — —
— Na, Herr Brandt hat sich sehr diskret ausgedrückt, und ich möchte sein Maß von Diskretion nicht unterbieten.
Außerdem — Herr Heiland gibt mir das richtige Stichwort — spreche ich hier sozusagen für den Bundesminister des Auswärtigen, den zu vertreten ich weiter keinen Anlaß habe. Aber ich nehme es nur als ein Beispiel für meine Argumentation. Ich sage noch einmal: Wenn Sie den Professor meinen, den ich jetzt meine und über den es möglicherweise ein Dementi gegeben hat, dann kann ich Ihnen nur sagen: dieses Dementi stimmt außerordentlich; denn das betreffende Amt macht in der Tat sehr starke Versuche, vielleicht sogar erfolgreiche Versuche, diesen Mann zu halten. Ich glaube also, daß, wenn ein Dementi einmal gestimmt hat, dies ein Dementi ist, das tatsächlich stimmt.
Nachdem die Sache hier so diskret behandelt worden ist, bin ich gern bereit, sie mit Herrn Brandt anschließend noch einmal durchzugehen, um weiterhin auf demselben Niveau von Diskretion zu bleiben.
Dann hat sich Herr Brandt mit der Pressestelle meines Hauses beschäftigt. Ich gebe ihm zu, daß es mir bisher — gestern waren ziemlich genau sieben Monate meiner Amtsführung vergangen — noch nicht gelungen ist, die ideale Pressestelle zusammenzubringen, und ich beneide jeden, der es bereits geschafft hat, darum, eine ideale Pressestelle zu haben. Aber die Sache ist im Werden. Beschäftigen wir uns also einmal mit der Pressestelle, so wie sie jetzt ist.
Herr Brandt hat ganz richtigerweise und kollegialerweise, wenn ich mich so ausdrücken darf, zugegeben, daß man jemandem, der in einer Pressestelle sitzt, nicht die Kenntnis aller Gegenstände eines so großen, so weit verzweigten und so schwierigen Ressorts zutrauen und zumuten kann und daß die Pressestelle dann eigentlich nichts weiter sein kann als ein guter Mittler zwischen dem Journalisten, der sie angeht, und dem betreffenden Referenten, Unterabteilungsleiter, Abteilungsleiter, oder wer immer es sein mag. Aber, Herr Kollege Brandt, ich würde gar nicht in Abrede stellen, daß vielleicht mal dieser und mal jener nicht ganz so bedient worden ist, wie er es vielleicht gern gehabt haben möchte. Vielleicht erstreckte sich sein Interesse auch auf ein Gebiet, das in bestimmten Zeiten einmal ein größeres Maß von zurückhaltender Behandlung braucht. Sie kennen die vielen heißen Eisen, die in diesem Ressort zusammengefaßt sind, und sie können eben nicht zu jeder Zeit gleichmäßig angepackt werden. Trotzdem möchte ich meinen, daß sich sowohl in diesem Hohen Hause
wie auf der Pressetribüne oder sonst im Hause zahlreiche Leute befinden, die als Zeugen aus der letzten Zeit dafür auftreten könnten, daß sie nicht nur etwa mit einer unvollkommenen Pressestelle, sondern mit dem Referenten, Unterabteilungsleiter, Abteilungsleiter, Staatssekretär gesprochen haben. Ich bin zwar nicht in der Lage, eine komplette Statistik darüber vorzulegen, aber es würde nicht schwerfallen, da ich mich auch meinerseits als Zeugen für viele Dutzende von Unterhaltungen mit Damen und Herren der Presse in der letzten Zeit zur Verfügung stellen kann. Ich glaube also, daß die Behandlung, die die Pressepolitik des Bundesministers des Innern erfahren hat, den Tatsachen nicht ganz adäquat ist.
Ich komme zum Schluß und möchte meinen, daß hier vieles gesagt worden ist — hinsichtlich § 94 der Strafprozeßordnung habe ich es z. B. ausgeführt —, was sich hier nicht unmittelbar zur konkreten Erledigung anbietet, weil es Fragen sind, die zum Teil auch in den Länderjustizverwaltungen weiter behandelt werden müssen. Das Problem der Verfassungsschutzämter der Länder ist ebenfalls angesprochen worden. Ich werde vielleicht in der nächsten Woche die Ehre haben, mich vor diesem Hohen Hause etwas näher mit diesem Gegenstand zu beschäftigen.
Es ist manches gesagt worden, was ein förderlicher Beitrag zur Klärung der Atmosphäre und eigentlich zur Fundierung der Auffassung gewesen ist, daß in der Tat bei uns eine freiheitliche Pressepolitik betrieben wird und eine Presse existiert, die sich einer sehr, sehr großen Freiheit erfreut. Meine Damen und Herren — ich sage das nun mit großem Ernst —, ich möchte mit einem doppelten Gedanken schließen. Das eine ist der Gedanke, den ich von Herrn Kollegen Dresbach übernehmen kann, der gesagt hat, es sei wesentlich, sich ins Vertrauen zu ziehen. Es wird sicherlich ein hohes und wichtiges Anliegen der Bundesregierung sein, ständig den Versuch zu machen, mit der Presse auf gutem und vertrautem Fuß zu stehen. Aber alle von Ihnen, meine Damen und Herren, die die Gelegenheit haben — und das werden hoffentlich alle sein —, täglich eine komplette Übersicht über die Publikationen in Deutschland zu bekommen, werden doch, glaube ich, mit mir in der Auffassung übereinstimmen müssen, daß wir in einem Lande leben, das uns gerade auf diesem Gebiet ein sehr hohes Maß von Freiheit gibt. Wenn mich ein Gedanke während dieser ganzen Debatte bewegt hat, dann ist es der, daß ich den herzlichen Wunsch habe, daß uns und unserem Volke dieses Maß von Freiheit für lange Zeit erhalten bleiben möge.
Das Wort hat der Abgeordnete Kühn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu einigen abschließenden Bemerkungen haben mich zunächst Herr Kollege Dresbach und zum Schluß der Herr Bundesinnenminister veranlaßt. Herr Kollege Dresbach ist in seiner charmanten Courtoisie so weit gegangen, daß er uns die Dessous der Bundesregierung freundlicherweise zur Untersuchung überlassen hat, gewissermaßen als Monopolaufgabe für die Opposition; eine wenig anreizende Ermunterung. Der Herr Bundesinnenminister hat dann seinerseits noch schamhaft alles das in einer recht charmanten Weise zugedeckt, was Kollege Dresbach doch zur Unterstützung der Opposition mit zu enthüllen unternommen hatte.
Nun, die Bemerkungen des Herrn Bundesinnenministers waren der Versuch, dieses Problem sehr zu bagatellisieren.
Es ist ihm weitgehend gelungen. Ich will versuchen, auf einige seiner Bemerkungen etwas zu sagen. Ich glaube, daß die aufmerksame Prüfung des Protokolls der heutigen Verhandlungen ihn davon überzeugen wird, daß meine beiden Freunde Kalbitzer und Brandt bei den beiden entscheidenden Fragen durchaus „Roß und Reiter" genannt haben; über andere Dinge wird noch zu reden sein. Nur glaube ich, Herr Minister, das Entscheidende, um das wir heute hier diskutiert haben, war doch ein Symptom, das in der Entwicklung Ausdruck findet, und nicht alle Einzelheiten sind immer dazu angetan, bis in die letzten Quellen namhaft gemacht zu werden. Denn Sie werden verstehen, gerade die Dinge, die hier als Beeinflussungsmethoden der Presse angesprochen worden sind, haben oft zur Folge, daß man Roß und Reiter Ihnen hier gewissermaßen auf den Tisch legen kann. Aber ich glaube, Sie haben eine muntere Reiterei, die Sie sich mit Roß und Reiter aus dem Stenogramm des heutigen Tages herauslesen können.
Sie haben vieles verschwiegen, Herr Minister. Ich glaube, Sie haben nicht bloß verschwiegen, was Sie nicht wissen, sondern, einem Worte Börnes zufolge, auch das, was Sie wissen. Viel deutlicher in bezug auf das, was man in gewissen Milieus der Regierung beabsichtigt, ist der Kollege Becker von der rechtsflügeligen Regierungspartei dieses Hauses geworden in seinem Plädoyer für Materndienst und Regierungsautorität. Ich hoffe nur, daß der Herr Kollege Becker das größere Maß an Regierungsautorität, das er der Regierung auf dem Informationswege anempfohlen hat, nicht aus jenem Geiste heraus exerziert wissen möchte, der ihn nach Mitteilungen, die ich von meinen Hamburger Freunden bekommen habe, dazu veranlaßt hat, in Hamburg von der Bundesfahne als schwarz-rotgelber Fahne zu reden.
Worum es geht in der Auseinandersetzung, das sind
doch die zensurlüsternen Tendenzen unserer Zeit,
die sich in die große Macht der meinungsbildenden Mittel hineindrängen wollen. Das geschieht sehr viel mehr auf dem Wege über sehr subtile Methoden als auf dem Wege über unmittelbare Zensurmethoden.
Es war der Herr Bundestagspräsident und es war — wenn ich mich der Pressenotiz recht entsinne — auch der Herr Bundeskanzler, die der Presse ein größeres Maß an Zurückhaltung empfohlen haben. Herr Kollege Becker ging sogar so weit, es als ein Übergebühr an Langmut zu empfinden, daß die Regierung hier nicht häufiger dagegen einschreitet, daß sie es hinnimmt, daß Leitartikel der Presse von einem derartigen Geist der Kritik getragen sind.
Nun ist von der Regierung und von dem Herrn Bundesinnenminister hier selbst gesagt worden, daß diese Regierung am 6. September eine große Mehrheit bekommen hat. Ich glaube, wer rückwärtsschauend den Wahlkampf betrachtet, wird j eden-falls nicht den Eindruck gewinnen, daß die große Masse der Presse dieser Regierung unfreundlich gegenübergestanden hat.
Wenn sich mittlerweile in der Haltung dieser Presse etwas geändert haben sollte, dann dürfte das vielleicht nicht zuletzt daran liegen, daß sich das öffentliche Urteil über den Charakter und die Chancen dieser Politik geändert hat.
Nun hat der Herr Innenminister gesagt — und das war, glaube ich, ein etwas falscher Zungenschlag; ich will hoffen, daß er es auch nicht so gemeint hat, wie er es gesagt hat —, die Regierung vertrete eine große Wählerschaft. Herr Minister, das ist nicht richtig. Die Regierung vertritt das Volk.
Ihre Koalitionsparteien vertreten eine vorläufig noch — jedenfalls nach den bisher meßbaren Ergebnissen — größere Wählerschaft.
— Meine Herren, gerade von Ihren Kreisen ist immer so großer Wert darauf gelegt worden, zu sagen, die Regierung ist ein von den Koalitionsparteien insoweit unabhängiges Institut, als sie das ganze Volk vertritt.
Das habe ich auch gesagt. Ich habe ausgeführt, daß wir eine hohe Meinung davon hätten, daß zwischen Regierungs- und Parteigeschäften zu trennen sei.
Das haben Sie gesagt! Sie haben nur, glaube ich — die Kontrolle des wörtlichen Stenogramms wird Sie davon überzeugen; ich habe von vornherein unterstellt, daß Sie es nicht in diesem Sinne gemeint haben —, gesagt, die Regierung vertrete eine große Wählerschaft. Es geht mir schon deshalb darum, diese Dinge klarzustellen, weil der Kollege Becker gefordert hat, daß beispielsweise der Rundfunk gerade der Regierung ein größeres Maß an Verlautbarungsmöglichkeiten abseits von den Parteiquoten einrichten sollte. Das stützt sich ja doch auf jene These, die davon ausgeht und die wir für falsch halten, daß man die Regierung bei ihren Aktionen als Vertretung des ganzen Volkes, aber nicht als die Vertretung einer bestimmten Gruppe der Wählerschaft empfinden könnte.
Wir halten das für eine sehr theoretische Unterscheidung. Aber es war mir interessant, jedenfalls von dem Herrn Innenminister die Bestätigung, die Interpretation seiner Ausführungen hier einzuholen.
Nun hat der Herr Innenminister auch noch gesagt, der Kollege Brandt habe erklärt, er — der Herr Innenminister — hätte Widerstand geleistet, daß man „auf vernünftige Fragen vernünftige Antworten" geben sollte. Ich unterstelle der Intelligenz des Herrn Innenministers gewiß nicht, daß er dies in dieser Form gemeint hat. Herr Minister, es gilt nur manchmal die Anlehnung an ein Wort von
Pascal, der einmal gesagt hat: „Was diesseits der Pyrenäen Wahrheit ist, ist jenseits Irrtum". Vielleicht, was diesseits der Regierungsbank vernünftig ist, könnte jenseits durchaus als unvernünftig empfunden werden.
Nun, worum geht es, und was war das Anliegen unserer Anfrage? Es macht sich eine Tendenz bemerkbar, die heimlichen Methoden der Zensur zu praktizieren.
Es macht sich eine Tendenz ganz allgemein in dieser Zeit, die wir durchleben, bemerkbar, die subtilen Formen der Meinungsbildung zu praktizieren, die sich ja nicht mehr der nun hinter uns oder vorläufig jedenfalls hinter uns liegenden Periode der brutalen Gewalt der „Zensur" bedient. Sie wissen, daß die Skala der subtilen Beeinflussungsmethoden — auf unserem Gebiet Favorisierung gefügiger Journalisten usw. und alles mit Mitteln, die gar nicht in materieller Gestalt in Erscheinung zu treten brauchen — sehr weit reicht und daß das außerordentlich gefährliche Methoden sind. Wir möchten nach dem Grundsatz, daß bereits den Anfängen zu wehren ist, daß in diesem Hause eine Meinungserklärung vorliegt. Ich danke dem Herrn Innenminister, daß er die Auffassung hier vertreten hat, daß die Regierung jedenfalls nicht den Willen hat — und ich nehme diese seine Erklärung zunächst als bare Münze —, solche Methoden zu praktizieren.
Wir hätten deshalb gewünscht, daß sich auch bereits bei den Etatberatungen eine Mehrheit aus den Regierungsparteien für die Auffassung gefunden hätte, die Subsidien- und Ermittlungsfonds, die der Regierung zur Verfügung stehen, durch einen parlamentarischen Ausschuß kontrollieren zu lassen.
Der Sprecher der FDP, Prinz zu Löwenstein, hat darauf hingewiesen, daß die FDP diesen Wunsch hat. Ich habe lebhaft bedauern müssen, daß die FDP das zu anderen Zeiten, als man abstimmungsmäßig diese Neigung in diesem Hause hätte bekunden müssen, nicht in der notwendigen Form zum Ausdruck gebracht hat.
Ich glaube, daß wir sehr daran interessiert sein müßten, daß ein Ausschuß vorhanden ist, in dem eine absolute Offenherzigkeit herrscht und in dem Menschen sitzen, denen das Vertrauen zugesprochen werden muß und die eben die Gewähr
— die einzige einem Parlament gegenüber zu praktizierende Gewähr — bieten, daß diese Fonds nicht
— wie es der Herr Innenminister erklärt hat und, ich wiederhole, wie ich es ihm zunächst glaube — in bestimmtem Parteien-, Koalitions- oder Regierungsinteresse verwendet werden.
Aber ein demokratisches Parlament bedarf dazu eines Instruments, das über den Rahmen der Regierung und ihrer Koalitionsparteien hinausgeht. Prinz zu Löwenstein hat von der „Opposition in der Koalition" gesprochen, und ich werte es als einen Ausfluß seiner Absicht — er hat sich „einen ganz freien Demokraten" genannt —, die FDP zu einer GFDP — zu einer ganz Freien Demokratischen Partei — zu wandeln.
Wir würden es jedenfalls sehr lebhaft begrüßen, wenn die FDP unsere Absicht, für diese Fonds einen Ausschuß zu schaffen, unterstützen würde.
Nun hat Herr B e c k e r davon gesprochen, daß sich in der Presse auch Dinge täten, die eben nicht zu tolerieren seien; daß die Freiheit auch mißbraucht werde. Dazu liegen — und hier möchte ich an die Adresse des Herrn Innenministers eine konkrete Angabe machen — mittlerweile in der Tat eine Fülle von Publikationen in der Bundesrepublik vor. Mir ist ein Organ vorgelegt worden, das unter dem aufreizenden Titel „Die Anklage" als Organ der Entnazifizierungsgeschädigten erscheint und in dem man beispielsweise Formulierungen findet, in denen gegenüber allen Politikern, die nach 1945 in Erscheinung getreten sind, Worte geprägt werden wie: „Diese Garnitur der 1945er, die nicht Deutschland, sondern das Gangstertum und den Auswurf der Menschheit repräsentieren".
Dieses Blatt erscheint immer noch, und ich könnte Ihnen eine Fülle von ähnlichen Zitaten aus diesem Blatt vorlesen.
Ich glaube, daß hier in der Tat die Grenze der Freiheit liegt.
Um dies festzustellen, bedürfen wir keines Pressegesetzes, ob es nun aus den Kreisen der Regierung ursprünglich initiiert wurde oder ob gewisse Kreise der Presse — vielleicht mehr aus der Haltung heraus, eines Presse schut z gesetzes zu bedürfen
— glaubten, es nunmehr selbst initiieren zu sollen.
— Dazu genügen die gesetzlich gegebenen Bestimmungen und die Bestimmungen des Bundesgrundgesetzes.
Hier ist ein fundamentaler Angriff gegen die demokratische Grundordnung gestartet. Ich glaube, daß die Regierung hier eine mimosenhaftere Empfindlichkeit bekunden muß. Ich weiß nicht, ob die Regierung endgültig ihre Absichten, ein Informationsministerium zu schaffen, zu Grabe getragen hat, Jedenfalls ist heute mehrfach der beziehungsreiche und bedeutungsvolle Name Lenz gefallen, der gewissermaßen das Symbol für die Frühlingsgefühle politischer Zensurabsichten bei manchen Leuten geworden ist.
Herr Kollege Dresbach hat gesagt, daß Herr Lenz aus den Diensten des Kabinetts ausgeschieden sei, „um sich wahrhaft freiem geistigem Schaffen" zu widmen. Ich hoffe, daß dies nicht etwa doch bedeutet, daß er weiterhin am Gedanken des Informationsministeriums festhält.
Die heutige Debatte hat uns nicht vollends davon überzeugt, daß die Regierungsabsichten völlig harmlos seien. Wir wollen keine Zensur. Wir danken der Regierung, daß sie erklärt hat, auch sie wolle sie in keiner Form. Wir wünschen aber auch keinen irgendwie anders genannten Meinungslenkungsapparat. Wir wünschen, daß die Presse nach einem Wort Heinrich Heines der Sauerteig des widerstrebenden Geistes ist und bleibt. Das ist ihre große Funktion, eine Funktion, die sie zu erfüllen hat aus einer tiefen Verantwortung heraus. Die Aufgabe der Presse — und es gibt Presseorgane, die diese Grundaufgabe leider nicht immer mit aller Deutlichkeit empfinden — liegt ja nicht so sehr darin, „Knüller" und Nachrichtensensationen zu bringen; die große sittliche Funktion der Presse ist doch, daß sie ein gesinnungsbildendes Instrument ist.
Diese Aufgabe kann sie nur aus der großen Verantwortung heraus erfüllen, die mit dem Beruf des Journalisten verbunden ist. Sie kann sie aber auch nur erfüllen aus der ganzen Substanz des Wissens um die Dinge, des Wissens, das ihr vermittelt werden muß von all denen, die es besitzen. Hier hat die Regierung — von welchen Parteien sie auch immer getragen ist — die große Funktion, die Presse an dieses Wissen herankommen zu lassen. Ich glaube, es ist eine Frage des inneren Ehrenkodex der wahrhaften Journalisten und gar nicht so sehr der Disziplinierung von außen, die für den Beruf nicht geeigneten Elemente auf ihre Art aus dem Gewerbe herauszubringen. Wir wünschen keine Form der Zensur, keine Gängelung der Meinungsbildung.
Ich möchte schließen mit einem Wort Hebbels : Leicht ist ein Sumpf zu verhüten, doch
ist er einmal entstanden, so verhütet kein Gott Schlangen und
Molche in ihm.
Und was Gott — nach Hebbel — nicht möglich ist, das würde auch — nun will ich keinen Namen nennen — nicht irgendeinem Informationsminister möglich sein. Deshalb wünschen wir, daß die Regierung künftig nicht — auch nicht zögernd — an die • Diskussion solcher Institute herangeht. Wir danken dem Herrn Bundesinnenminister dafür, daß er in aller Form eine Erklärung abgegeben hat, die vollinhaltlich mit unserem Antrag übereinstimmt. Wir können unseren Antrag durch diese positive Erklärung des Herrn Innenministers als erledigt ansehen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verzeihen Sie, wenn ich noch einige wenige Worte sagen muß. Herr Kollege Kühn hat an einer Stelle—zu meiner großen Freude und in Bestätigung dessen, was ich gesagt habe —, sichtbar werden lassen, was unsere gemeinsame Sorge werden sollte, nämlich, die Grenzen der Freiheit zu sehen und dort, wo sie überschritten werden, rechtzeitig ihre Einhaltung zu erzwingen. Herr Kollege Kühn, das ist der entscheidende Punkt, auf den es eigentlich ankommt. Es ist nach meiner Meinung nicht so sehr die Sorge, ob heute innerhalb des Rahmens der verfassungsmäßigen Grundordnung dieses oder jenes vielleicht nicht hundertprozentig schön aussieht und ob dieser oder jener kleinere oder größere Mißstand vorliegt; unsere eigentliche Sorge ist — das möchte ich mit allem Nachdruck wiederholen — die Erhaltung der Freiheit, die wir haben. Wir sollten uns dieser Freiheit ganz und gar bewußt sein, sowohl um ihre Grenzen und ihre Gefährdung zu erkennen, als auch um uns zu vereinen in dem Willen, sie zu erhalten. Das ist das eine, was ich sagen muß.
Das zweite ist dies: Ich möchte doch noch einmal ganz klarmachen, was ich meine, um mich nicht nachher in Protokollerklärungen einlassen zu müssen. Diese Regierung ist nicht eine Regierung, die
von einer Fraktion dieses Hauses getragen wird, sondern eine, die von allen Fraktionen mit Ausnahme der sozialdemokratischen Fraktion getragen wird. Daraus leite ich das Argument her, daß sich bereits aus ihrer Zusammensetzung — ich nehme damit noch einmal auf, was der Prinz zu Löwenstein zu diesem Punkte gesagt hat — ein hohes Maß von Wahrscheinlichkeit dafür ergibt, daß sie nicht den Kurs irgendeiner Parteipolitik, sondern einen durchaus übergeordneten Kurs verfolgen muß und wird, sozusagen soziologisch betrachtet. Aber ich habe im Eingang eins darüber hinaus gesagt und lege großen Wert darauf, das zu wiederholen: Wir haben eine hohe Meinung von der Funktion einer Regierung, dem Ganz en zu dienen. Niemand sollte diese hohe Meinung in Frage stellen dürfen.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Da die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei ihren Antrag Umdruck 18 als erledigt erklärt hat, kann ich diesen Punkt der Tagesordnung abschließen.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung: Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Sozialreform .
Wer soll den Antrag begründen? — Herr Abgeordneter Preller!
Dr. Preller , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, die Große Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion über den Stand der Sozialreform zu begründen, die wir am 10. März 1954 eingebracht haben. Die sozialdemokratische Fraktion ist sich dabei bewußt, daß auf die Debatte, die nun zu folgen hat, draußen die Alten und die Gebrechlichen, die Witwen und die Waisen, die Invaliden, Kranken, Kriegsopfer und Vertriebenen hören, d. h. jene, die einen so überaus großen Teil unseres Volkes ausmachen, einen Teil, der in einer viel tieferen Weise von dem betroffen worden ist, was sich in den letzten acht Jahren ergeben hat, als etwa die Beschäftigten oder auch die kleine Schicht derer, die recht eigentlich die Früchte des Wiederaufbaus davongetragen haben. Aber wir wissen auch, daß weit über die Kreise der SPD hinaus eine sozialpolitisch interessierte Öffentlichkeit — ich meine damit jene, die aktiv an einer positiven Sozialpolitik arbeiten — nach diesem Plenarsaale sieht, eine Öffentlichkeit, die ich nicht allein aus Wissenschaft oder Verwaltung, Zeitungen und Zeitschriften und der Presse, sondern aus Sozialpolitikern aller Parteien, einschließlich der Regierungsparteien, zusammengesetzt sehe; denn bis in die Regierungsparteien hinein ist, wenn ich recht sehe, das Wort des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung von der notwendigen umfassenden Sozialreform so verstanden worden, daß mindestens nunmehr im 2. Bundestag die bisher notwendig im Vorrang stehende Außenpolitik durch eine aktive Innenpolitik ergänzt werden solle, eine Innenpolitik, die dem tiefen Einbruch in das soziale Gefüge, den Nazismus und Krieg bewirkt haben, eine positive Sozialpolitik gegenüberstellen soll, die die Wunden heilt und darüber hinaus eine neue soziale Ordnung herbeiführt. Nicht umsonst, glauben wir, hat der Herr Bundeskanzler am 20. Oktober das Wort „umfassend" vor die Sozialreform gestellt. Als er dieses Beiwort verwandte, hat er zweifellos nicht allein an eine Reform der bestehenden Sozialversicherung gedacht. Ich mache diese Feststellung, und wir werden zu der damit zusammenhängenden Frage, der Frage nach der Art der gedachten Sozialreform durch gewisse Äußerungen des zuständigen Ressortministers und des Ministers Storch genötigt, wie er sie z. B. kürzlich in der Haushaltsdebatte getan hat, die darauf schließen lassen, daß er offenbar die Reform der Sozialversicherung vor den Beginn einer allgemeinen Sozialreform gesetzt sehen möchte.
Unsere erste grundsätzliche Frage auf Grund unserer Anfrage lautet deshalb: Wie soll die Sozialreform aussehen und welchen Umfang soll sie haben? Soll sie sich auf die gegenwärtig in der Sozialversicherung Betreuten beziehen oder beschränken? Soll sie in ihren Problemkreis die Selbständigen einbeziehen, von denen wir ja wissen, daß sie heute insbesondere nach einer Altersversorgung allenthalben rufen? Wird sie die Krankenversicherung und das Arztproblem erfassen? Wird die Sozialreform sich auch auf die Kriegsopfer und eventuell auf die Vertriebenen erstrecken? Wie ist das Verhältnis einer Sozialreform dieser Art zur Fürsorge gedacht? Endlich: Wie steht sie zu dem großen Problem der Vorbeugung und Vorsorge gegen gesundheitliche Schädigung, d. h. zu der Verwirklichung jener großartigen Idee, die insbesondere die Weltgesundheitsorganisation immer wieder in den Vordergrund gestellt hat, nämlich daß Gesundheit ein Gut sei, auf dessen Erhaltung und Förderung nicht erst Bedacht genommen werden sollte, wenn der Mensch von Krankheit befallen ist, wenn er Schaden an Leib und Seele nehmen muß?
Meine Damen und Herren, Sozialreform ist ein großes Wort, das wissen wir alle. Sie mögen es uns nicht übelnehmen, wenn wir ein wenig Skepsis in oder gegen dieses Wort des Herrn Bundeskanzlers einfließen lassen, nachdem wir doch erleben mußten, daß die Parole des Bundeskanzlers im 1. Bundestag, er wolle „so sozial wie möglich" sein, mindestens oder überhaupt von der Regierungskoalition offensichtlich mehr im einschränkenden Teile verstanden worden ist.
— Das kann ich Ihnen sehr leicht beweisen, Herr Kollege Horn.
— Ich denke etwa daran, daß Sie die 25%ige Rentenzulage gefordert haben, daß aber entgegen Ihrem Beschluß nur die Hälfte all derer, die in Betracht kommen, eine 25%ige Rentenzulage bekommen haben. Oder ich denke an das unglückselige Dreimarkgesetz, das wir selbst alle bedauern.
- Nein, da sind wir damals an jenem Nachmittag
unter Druck gesetzt worden, Herr Winkelheide.
Ich glaube, Sie waren noch gar nicht im Bundestag,
Sie sind ja erst später eingetreten, als wir damals sozusagen binnen fünf Minuten ein solches Gesetz beschließen sollten. Oder ich denke an die Erhöhung der Grundrenten, wo ja auch von Ihnen zunächst einmal diese Frage aufgegriffen wurde. Was herauskam, waren die fünf Mark, die der Herr Bundesfinanzminister dann trotz der Weihnachtszeit nicht einmal ohne weiteres auszahlen wollte. Wir haben Beispiele genug.
Die Zurückhaltung gegenüber diesem Bundeskanzlerwort beruht im übrigen auf mehreren Feststellungen. Einmal hat der Bundeskanzler selbst in der Regierungserklärung eine Beschränkung des Sozialhaushalts auf den gegenwärtigen Anteil am Sozialprodukt vorgenommen, d. h. er erklärte, daß eine Ausweitung des Sozialhaushalts an das Ansteigen des Sozialprodukts gebunden sei. Das ist ganz offenbar die These des Finanzministers, der in seinem Bundeshaushalt, obwohl doch die Notstände der Versicherten und Versorgten von uns allen anerkannt sind, keinerlei Vorsorge für irgendwelche Leistungserhöhungen getroffen hat, im Gegenteil, wie wir wissen, diese halbe Milliarde noch aus den Versicherungsträgern herausgeholt hat. Draußen sind Millionen von Menschen auf das angewiesen, was sie von den Schaffenden aus dem Sozialprodukt erhalten werden. Die Bundesregierung hat darin offenbar bisher mehr ein fiskalisch es Problem gesehen. Wir müssen Ihnen dazu sagen, daß das kein fiskalisches Problem ist. Es ist einmal eine volkswirtschaftliche Frage und zum andern — darauf legen wir besonderen Wert — eine Frage menschlicher Gesinnung in einer Zeit, in der wir doch in Deutschland alle zusammenstehen sollten.
Zum zweiten. Der Bundeskanzler sprach von einer Umschichtung innerhalb des Sozialhaushalts. Dieses reichlich undurchsichtige Wort mußte jeden Sozialpolitiker aufhorchen lassen. ,Man kann sich natürlich vorstellen, daß in erster Linie die niedrigsten Renten aufgebessert werden; aber das wäre eine Art Phasenverschiebung, keine Umschichtung. Umschichtung heißt doch offenbar, um hier gewisse Presseäußerungen unter die Lupe zu nehmen, daß dem einen etwas genommen werden
soll, um es dem andern zu geben. Das müßte man darunter verstehen, wenn dieses Wort überhaupt einen Sinn haben soll.
Ich möchte mich hier auf die „Hannoversche Allgemeine Zeitung" beziehen, die am 14. April schrieb, daß derjenige, der eine Rente aus der Sozialversicherung bekomme, künftig Nebenrenten aller Art nicht mehr erhalten solle, so daß, wie die „Hannoversche Allgemeine Zeitung" weiter schreibt, wahrscheinlich Hunderte von Millionen Mark eingespart werden könnten.
Entspricht das Ihren Absichten, Herr Minister?
Das möchte ich in diesem Zusammenhang fragen.
Weiter ist zu fragen: Wo soll gekürzt werden, um anderweit aufstocken zu können? Sind es etwa die Mindestrenten, denen man zu Leibe rücken will? Sollen die unglückseligen Anrechnungsbestimmungen erneut vermehrt werden? Ist es der in diesem Hause von dem Herrn Kollegen Atzenroth, der von der FDP vorgetragene Gedanke einer Umschichtung von der Arbeitslosenversicherung auf die Rentenversicherung? Steckt das etwa hinter diesen Worten des Bundeskanzlers? Oder will man, worauf das Finanzministerium offenbar abzielt, die Bedürftigkeitsprüfung ganz oder teilweise an die Stelle des heutigen Rechtsanspruchs setzen?
Wir haben den Eindruck, daß in dieser doch wohl entscheidenden Frage außerordentliche Unklarheit, ja, ich glaube, sogar Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Regierung und der Koalitionsparteien bestehen. Aber die Menschen draußen, die es angeht, wollen ja schließlich wissen, wohin diese sozialpolitische Reise gehen soll.
Ein Drittes, was uns Sorge macht, das ist — gestatten Sie, daß ich es so ausdrücke — die durchsichtige Undurchsichtigkeit der Äußerungen des Arbeitsministers über die Arbeiten an der Sozialreform. Wir wissen alle, daß unser Kollege Storch nicht unberedt ist. Wir werden heute wohl noch einige Proben davon bekommen. Bezüglich der Sozialreform haben wir aber seit Monaten nur Worte, nur Redewendungen gehört. Ich habe niemanden gefunden, auch nicht bei der Koalition, der sich den rechten Vers aus diesen vielen Worten hätte machen können. Acht Tage nach der Regierungserklärung, am 22. Oktober, hat Herr Minister Storch vor Pressevertretern erklärt, daß sein Plan der Altrentenerhöhung die erste Maßnahme zur Sozialreform darstellte. Es folgten in fast regelmäßigen Abständen weitere Aussagen über die Altrentenerhöhung. Unterdessen konnte der Eindruck entstehen, daß nach der Auffassung unseres Kollegen Storch die umfassende Sozialreform, die der Bundeskanzler angekündigt hatte, sich in der Altrentenerhöhung, in Maßnahmen auf dem Gebiet des Arztrechts und vielleicht noch der Rentenkrankenversicherung erschöpfen könne. Gewisse Äußerungen von Ministerialdirektor Eckert lassen darauf schließen — er ist ja der zuständige Ressortdirektor —, daß diese drei Dinge gemeint sind, wenn von Sozialreform gesprochen wird.
Der Minister hat schließlich bei der Haushaltsdebatte erklärt, daß die Sozialreform seit langem angesagt sei. Ja, meine Damen und Herren, angesagt ist sie, weiß Gott, schon sehr lange. Aber wir fragen, was über dieses Ansagen hinaus geschehen ist, und ich glaube, da ist die andere Äußerung von Ihnen, Herr Minister, bei dieser Haushaltsdebatte aufschlußreicher, wo Sie präzis sagten, zunächst müßten die „größten Notstände" in der Sozialversicherung beseitigt werden, und erst dann, so sagten Sie, könne man an grundsätzlichere Fragen herangehen.
Soll das bedeuten, Herr Minister — und das möchten wir hier wiederum fragen —, daß Sie zunächst eine Reform der Sozialversicherung durchführen und erst dann das Problem der Sozialreform in Angriff nehmen wollen? Wenn dies Ihre Absicht sein sollte, so trennen sich nicht nur Ihre und unsere Auffassungen, sondern ich fürchte, daß Sie sich auch in einem grundlegenden Widerspruch zu den seit langem geäußerten Auffassungen in der sozialpolitischen Wissenschaft und auch in der sozialpolitischen Publizistik befinden.
Ich möchte in diesem Zusammenhang mit Genehmigung des Herrn Präsidenten den „Arbeitgeber", die Zeitschrift der Arbeitgeberverbände, vom April dieses Jahres zitieren, wo ausgeführt wurde, daß der Herr Minister offenkundig — so heißt es dort — sein Interesse an der Sozialreform hartnäckig auf die Sozialversicherung begrenze. Schon sagt dieses Blatt — die Kriegsopferversorgung liege ihm fern, und mit Dingen der Fürsorge wolle er gleich gar nichts zu tun haben. Und das Blatt fährt unter Hinweis auf die Mackenrodtschen Untersuchungen über die Rentenkumulation fort:
Soweit diese Verflechtungen von Sozialrenten mit Sozialleistungen anderer Art nicht
zur Kenntnis genommen werden, wird die
große Aufgabe der Sozialreform nicht erkannt.
Wir können uns dem weitgehend anschließen.
Ich verkenne im übrigen nicht, daß der Herr Arbeitsminister mindestens einen Zusammenhang zwischen der Reform der Sozialversicherung und dem, was er in jener Debatte im Zusammenhang mit dem Problem der Invalidität Gesundheitsdienst — wahrscheinlich nach dem englischen Vorbild — genannt hat, gesehen hat. Aber, Herr Minister, läßt sich die Frage der gesundheitlichen Vorbeugung überhaupt noch innerhalb der Sozialversicherung lösen? Müssen dann nicht auch die vorbeugenden Maßnahmen der Kriegsopferversorgung, der Fürsorge, des öffentlichen Gesundheitswesens mit in diese Betrachtung einbezogen werden?
Ich möchte hier erinnern an die Bestrebungen der Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitswesen unter Prof. Coerper in Frankfurt, die doch ganz deutlich gemacht haben, daß eine Verflechtung der Fragen der sozialen Sicherung, im engeren Sinne, mit den Fragen der Gesundheitsförderung im weiteren Sinne besteht.
Wir fragen also den Herrn Bundesarbeitsminister, welche Vorarbeiten zur Sozialreform er bereits geleistet hat. Es ist uns durchaus bekannt, daß seit dem Tage unserer Großen Anfrage im Hause Storch fieberhaft gearbeitet wird. Aber uns kommt es darauf an, was der Herr Bundesarbeitsminister aus eigener Initiative — nicht erst weil die SPD eine Initiative ergriffen hat —, also vor dem 10. März 1954, vorbereitet hatte, und zwar zur Sozialreform und nicht nur zur Reform der Sozialversicherung. Ich möchte gar keinen Zweifel daran lassen, daß wir Sozialdemokraten, wie ich sagte, zusammen mit einer weiten sozialpolitischen Öffentlichkeit eine Trennung der Arbeiten an der Reform der Sozialversicherung und der Arbeiten an der Sozialreform für verhängnisvoll halten würden. Wir glauben, daß damit der Weg zu der vom Bundeskanzler angekündigten umfassenden Sozialreform praktisch verbaut würde.
Wir möchten aber vor allem und entscheidend zum Ausdruck bringen, daß sofort jetzt mit der Durchleuchtung des gesamten schwierigen Stoffes begonnen werden müßte, daß über die zweifellos verdienstvolle sogenannte L-Enquete des Statistischen Bundesamtes dabei noch hinausgegangen werden muß und daß aus einer solchen freien, wir betonen: freien Untersuchung eine Durchforstung dieses üppigen Gestrüpps von Paragraphen und Systemen der gegenwärtigen sozialen Sicherung in Deutschland herauskommen müßte, damit die Leute draußen endlich einmal ein übersichtliches System vorfinden, etwas, wonach sie sich ihre Rente berechnen können, damit sie nicht auf die Beamten irgendwelcher Ämter angewiesen sind, sondern damit sie wissen, woran sie sind.
Das fordert man. Sie wissen, daß wir Sozialdemokraten eine eigene Vorstellung über ein solches Sozialprogramm erarbeitet haben; aber davon wollen wir hier und heute nicht sprechen. Uns kommt es heute darauf an, festzustellen, welche Vorarbeiten geleistet worden sind und wie wir beschleunigt zu der Sozialreform, die dringend erforderlich ist, kommen.
In diesem Zusammenhang zwei Worte über die Altrentenerhöhung. Ich darf vorweg bemerken, daß meine Fraktion diesen Gedanken absolut bejaht, weil er ja im Grunde eine Wiedergutmachung des Unrechts an älteren Renten bedeutet oder bedeuten soll. Wir möchten mit unserer Großen Anfrage eine genaue — ich betone: eine genaue — Antwort des Herrn Bundesarbeitsministers erbitten, wie er sich diese Altrentenerhöhung vorstellt und, vor allen Dingen, wann er mit dem entsprechenden Gesetzentwurf vor dieses Haus treten will. Der Herr Bundesarbeitsminister hat in der Haushaltsdebatte erwähnt — es ist kürzlich auch noch einmal durch das Bulletin und die Presse wiederholt worden —, er habe der zuständigen Abteilung seines Hauses, wie er sagte, Sperre für jede andere Arbeit auferlegt. Das bestärkt allerdings unsere Befürchtung, daß der Herr Minister über diese Sache vorerst nur geredet, sich aber damals noch keine konkreten Vorstellungen über die Verwirklichung erarbeitet hatte. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal den „Arbeitgeber", die Zeitschrift der Verbände der Arbeitgeber, zitieren, die ausführte, daß „der Herr Bundesarbeitsminister unausgesetzt von der Altrentenerhöhung spricht, obwohl, wie er zugibt, auch dafür die versicherungsmathematischen Grundlagen und alle davon abhängenden Details der Anspruchsberechtigung noch nicht erarbeitet sind." Wir glauben, daß diese Aussage auch heute noch zu Recht besteht. Aber, Herr Minister, sicher haben Sie genau so wie wir Abgeordneten alle die Briefe von den alten Leuten bekommen, die nun fragen, wann sie denn die 30 Mark erhalten, die seinerzeit nach einer Rede von Ihnen als die Rentenerhöhung durch die Presse gegangen sind. Wir wären selbstverständlich erfreut, wenn es zu diesen 30 Mark monatlich käme; aber Sie erlauben, daß wir nach den vorhin genannten Erfahrungen mit dem Rentenzulagengesetz es für außerordentlich bedenklich halten, daß Hoffnungen mit konkreten Zahlenangaben in einer Zeit erweckt worden sind, zu der Sie — notorisch — die erforderlichen Unterlagen noch gar nicht in der Hand gehalten haben. Uns sind die alten Leute jedenfalls zu gut dazu, um ihre Angelegenheiten zum Spielball politischer Reden zu machen.
Ferner: wie steht es denn mit den entsprechenden Aufwertungsklauseln für die Renten derjenigen, die nach 1945 ihre Rente bekommen haben? Wie steht es mit der so lange schon fälligen Gleichstellung der sogenannten älteren Witwen, jenen, die also vor dem Juni 1949 verwitwet sind, mit den jüngeren Witwen? Wie steht es mit der Vermehrung der Mittel für die Gesundheitsvorsorge, die Sie, Herr Minister, erfreulicherweise ebenfalls für erforderlich halten? Wie steht es mit der Angleichung von Grundbetrag und Steigerungsbeträgen in der Arbeiter- und Angestelltenversicherung, also mit der Erfüllung des Grundsatzes, daß für gleichen Beitrag auch eine gleiche Leistung gegeben werden soll?
Wenn man in der Art, wie es bisher den Anschein hat, Stück für Stück und ohne eine rechte Vorstellung von der Gesamtordnung vorgeht, hier mal etwas gibt, dort etwas gibt, dann wird es allerdings nicht ausbleiben, daß weitere Mittel im Haushalt benötigt werden. Gerade darum halten wir eine organische Sozialreform für so dringend notwendig, weil nur durch eine solche Reform festgestellt werden kann, was an Mitteln tatsächlich gebraucht
wird und wie sie sinnvoll verteilt werden können. Es geht uns, um ein Wort von Professor Nell-Breuning, der auch von uns hoch verehrt wird, zu gebrauchen, darum, daß eine soziale Strukturpolitik betrieben wird und nicht eine Politik des Denkens in Stückchen und in Flicken.
Will man aber eine solche umfassende Sozialreform, wie der Bundeskanzler sie angekündigt hat, so wird auch der Weg ungangbar, den die Bundestagsmehrheit seinerzeit mit der Schaffung des sogenannten „Beirates für die Neuordnung der sozialen Leistungen" im Februar 1952 gehen wollte. Wir werden j a die Antwort des Herrn Bundesarbeitsministers auf unsere Fragen hören. Herr Bundesarbeitsminister, wenn Sie diese Antwort mit einer letzten Aufrichtigkeit, und um die bitten wir Sie, geben, dann müßten Sie das Versagen dieser Institution, dieses Beirates feststellen, ein Versagen — das möchte ich gleich sagen, und das wissen wir alle —, das nicht etwa auf die unglückseligen Mitglieder dieses Beirates zurückzuführen ist, sondern auf den Deckel, der auf diese Medizinflasche aufgepfropft worden ist durch die Bestimmung, daß der Minister oder sein Stellvertreter den Beirat leiten sollen.
Wenn Sie wollen, kann ich das vielleicht auch in etwas freundlicherer Weise sagen. Mir kommt dieser Beirat vor wie ein Frühlingsbeet aus Blumenzwiebeln, deren Keime durch einen Stein gehindert werden, nach oben zu kommen, nämlich durch den Stein des Anstoßes, den die Bürokratie des Ministeriums diesem Beirat bedeutet hat.
Es ist uns bekannt — das möchte ich gleich bemerken, Herr Minister —, daß Verhandlungen im Gange sind, wenigstens die Unterausschüsse dieses Beirats, die jetzt vor wenigen Wochen nach unserer Anfrage eingerichtet worden sind, ein wenig unabhängiger vom Ministerium zu machen. Aber, Herr Minister, wir wissen auch, welcher Kraftanstrengungen der Beiratsmitglieder, aber auch zum Teil der Mitglieder der Koalitionsparteien es bedurfte, um die Bürokratie Ihres Ministeriums auf diesem Gebiet zu Zugeständnissen zu bewegen. Wir wissen, daß erst die Sitzung vom 3. Juni, die folgen wird, auf diesem Gebiet wirkliche Entscheidungen bringen kann. Wir möchten Sie also bitten, Herr Minister, uns nicht etwa hier vorzutragen, daß bereits alle Schwierigkeiten überwunden seien, geschweige denn, daß die Unterausschüsse, wie das Bulletin vom 30. April behauptete, ihre Aufgaben bereits aufgenommen hätten. Nein, nein, sie sind erst am Anfang ihres Beginns.
Das andere große Hemmnis dieses Beirats ist die Marschroute, die ihm bezüglich des Systems mit auf den Weg gegeben worden ist. Professor Mackenroth hat in seiner unterdessen ja bekanntgewordenen Untersuchung festgestellt, daß höchstens die Hälfte aller Sozialleistungsempfänger nur eine Rente beziehen, daß aber alle anderen mehrere solcher Leistungen aus Versicherung, Versorgung oder Fürsorge erhalten. An Hand des begrenzten Materials, das er in Kiel hatte, mußte er bereits feststellen, daß es 171 Möglichkeiten der Kombination von zwei Renten gibt
und daß es 83 Kombinationsmöglichkeiten von drei Renten gibt, ferner, daß im Höchstfall für eine Familie zwölf Renten nebeneinander legal gewährt und bezogen werden können. Diese Untersuchungen von Mackenroth sowie von den Professoren Achinger, Neundörfer und anderen haben doch mit Deutlichkeit gezeigt, daß wir auf dem Weg dieser Systeme, die zu solchen Zuständen geführt haben, nicht weiterkommen. Diese Marschroute ist eben keine Konzeption, sondern sie ist praktisch ein Hindernis für eine unbefangene Erkenntnis des Notwendigen und des Möglichen.
Ganz offenbar sind auch andere Stellen als wir dafür, daß den untersuchenden Stellen eine solche Bewegungsfreiheit gegeben werden müsse. Ich brauche hier nur an die Beschlüsse des Bundesausschusses der CDU vom März dieses Jahres zu erinnern, die nach eingehender Sitzung und, wie man gelesen hat, auf Grund eines Referats des Herrn Kollegen Horn wenigstens die Unabhängigkeit des Beirats vom Bundesarbeitsminister gefordert haben, ein Wunsch, dem sich, soviel ich weiß, auch der Sozialpolitische Arbeitskreis der CDU-Fraktion angeschlossen hat, der aber offensichtlich auf Einspruch des Bundesarbeitsministers Storch bisher nicht verwirklicht worden ist.
Die sozialpolitische Publizistik ist noch viel weiter gegangen, als es begreiflicherweise der Sozialpolitische Ausschuß der CDU tun konnte. Professor Achinger schrieb in der „Wirtschaftszeitung" vom 12. Dezember 1953:
Als der Bundestag den Antrag der SPD auf Schaffung einer sozialen Studienkommission verwarf, um diesen Beirat an ihre Stelle zu setzen, erschien dies vielen als ein Sieg der Bürokratie des Bundesarbeitsministeriums, die ungestört zu bleiben wünschte.
Professor Achinger fährt in der „Wirtschaftszeitung" fort:
Dieser Erfolg scheint nach dem bisherigen Verlauf gesichert. Zwischen der Sozialverwaltung und der Wirklichkeit
— sagt Achinger —
ist eine Wand aus Milchglas errichtet.
Aus der Fülle der überaus heftigen Kritik, die
die faktische Lähmung dieses Beirats gefunden hat,
möchte ich nur noch das „Handelsblatt" vom
22. März dieses Jahres zitieren. Dort heißt es:
Dem beim Bundesarbeitsminister gebildeten Beirat haben wir auf Grund seiner Konstruktion eine große Chance nie gegeben. Was dieser Beirat aber bisher an tatsächlicher Arbeit geleistet hat, ist erschütternd. Das ist nicht die Schuld seiner Mitglieder, vielmehr
— sagt das „Handelsblatt" —
hat der Bundesarbeitsminister offensichtlich nichts getan, um ihm Entfaltungsmöglichkeiten zu geben. Wenn
— so fährt das Blatt fort —
schon heute einige seiner Mitglieder die dem Beirat gewidmeten Stunden zu den verlorenen ihres Lebens zählen
und sich ernsthaft überlegen, ob sie sich als Aushängeschild des Bundesarbeitsministers
— das Blatt sagt: „man verzeihe diesen Ausdruck" —
verschleißen lassen wollen, — —
So das „Handelsblatt", das ja wohl nicht im Geruch steht, sozialdemokratisch zu sein.
Diese Lähmung, die seitens des Arbeitsministeriums über den Beirat gelegt worden ist
und die nun auch nicht etwa durch die Galvanisierungsversuche des Herrn Arbeitsministers in den letzten Wochen beseitigt werden kann, hat praktisch bereits dazu geführt, daß andere Ministerien dieses Kabinetts sich unterdessen mit der Sozialreform befaßt haben. Der von mir schon mehrfach zitierte Referent des Bundesfinanzministeriums hat in seinem bekannten Artikel in der „Welt" im November am Schluß die Forderung erhoben nach der sofortigen Einsetzung einer Regierungskommission für die Reform der sozialen Hilfe nach Art einer Royal Commission, und zwar beim Bundeskanzleramt. Ich möchte dies als einen Ausweg aus der Verzweiflung über das Nichtfunktionieren des Bundesarbeitsministers bezeichnen.
Dieser Weg wurde wiederum vom „Arbeitgeber" dahin interpretiert, daß der Gedanke einer Studienkommission, den der „Arbeitgeber" ausdrücklich als den Gedanken der sozialdemokratischen Fraktion Anfang 1952 bezeichnet, inzwischen
— wörtlich zitiert —
auch die Zustimmung besonders des Bundeskanzleramtes, des Innen-, des Vertriebenen-und des Wohnungsbauministeriums gefunden hat. Hier
— sagt das Arbeitgeberblatt —
bekommt der Arbeitsminister den Weg vorgetreten.
Wir wissen, daß das stimmt, auch aus anderen Quellen. Sie besagen im Grunde nichts anderes, und das ist das überaus Bedauerliche, als daß der zuständige Ressortminister sich die ihm zukommende Initiative hat aus der Hand nehmen lassen.
In diesem entscheidenden Augenblick, wo er seit zwei Jahren bereits diesem Hause Vorschläge sollte unterbreiten können, steht er quasi mit ,leeren Händen vor Volk und Parlament. Und selbst, Herr Minister, wenn Sie sich, wie wir glauben, unterdessen eines Besseren besonnen haben, kann Sie doch niemand — und ich bedauere das als erster — von der Schuld dieser verlorenen zwei Jahre freisprechen, zweier Jahre, die die Alten und die Gebrechlichen ohne Notwendigkeit in Not gelassen haben.
Herr Minister, ich möchte noch einmal — bei aller Sympathie — betonen: wir sind die ersten, die eine solche Entwicklung bedauern, weil wir glauben, daß damit die notwendige Autorität eines Bundesarbeitsministers in einem Kabinett geschmälert wird. Aber, Herr Minister, Sie selbst haben der SPD die neutrale Studienkommission, die wir im Februar 1952 gefordert haben, damals mit folgenden Worten verweigert:
Ich bin der Meinung, daß die Zusammenarbeit zwischen diesem Beirat und dem zuständigen Ministerium viel schneller zu positiven Ergebnissen führt, als wenn man eine Studienkommission einsetzt.
Das war vor zwei Jahren, Herr Minister. Sie haben damals prophezeit, daß in einem halben Jahre, wie sie sagten, in der zweiten Hälfte des Jahres 1952, eine Gesetzesvorlage über die Neuordnung der Sozialversicherung vorgelegt werden würde. Tag für Tag in diesen zwei Jahren haben
die Notleidenden und hat auch das ganze Haus auf dieses Gesetz gewartet.
Bei der Haushaltsdebatte vor wenigen Wochen haben wir dagegen aus Ihrem Munde gehört, daß nun erst an die Neuordnung der Sozialversicherung herangegangen werden solle. Herr Minister, stimmt nun Ihre Aussage vor zwei Jahren, daß Sie die Sozialversicherungsreform in einem halben Jahre vorlegen könnten, oder stimmt Ihre Aussage vor Ostern, daß Sie jetzt erst an die Reform der Sozialversicherung herantreten?
Aber nicht einmal zur Prüfung der laufenden Gesetzesvorlagen durch den Beirat ist es gekommen. Sie haben, Herr Minister, auf die Anfrage meines Freundes Schellenberg in der 261. Sitzung des Bundestages geantwortet, die Frage der Beseitigung unterschiedlichen Rechtes in der Invaliden- und Angestelltenversicherung gehöre vor den Beirat. Sie haben die gleiche Antwort auf unsere damaligen Anträge zur Verbesserung der Steigerungsbeträge in der Angestelltenversicherung und zur Erhöhung der Grundbeträge gegeben. Merkwürdigerweise steht der Beirat ja unter Geheimhaltungspflicht. Warum, das weiß kein Mensch. Aber neulich hat ein Mitglied, der Staatssekretär Auerbach, auf eine Anzapfung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" mitgeteilt, daß dem Beirat bisher weder Gelegenheit gegeben wurde, das Problem der Kinderbeihilfen noch das der Aufwertung der sogenannten Altrenten auch nur zu erörtern.
Das heißt doch, Sie, Herr Kollege Storch, haben Zusicherungen gegeben, und Ihr Ministerium hat sie nicht gehalten.
Wenn wir heute erneut den Gedanken einer unabhängigen Sozialen Studienkommission aufgreifen, so wissen wir uns in dieser Forderung nicht nur mit sozialpolitisch maßgebenden Kreisen auch der Regierungspartei CDU einig, sondern auch mit der gesamten sozialpolitischen Wissenschaft und Presse. Der Verein für öffentliche und private Fürsorge hat z. B. auf dem Deutschen Fürsorgetag im Oktober 1953 einen unabhängigen Rat von Persönlichkeiten aus Wissenschaft, sozialer Praxis und Verwaltung gefordert. Der Verein hat diese Forderung dem Herrn Bundeskanzler bzw. dem Bundeskanzleramt übermittelt, und wenige Tage danach, im November, hat das Bundeskanzleramt bereits geantwortet, daß dieser Vorschlag die besondere Aufmerksamkeit des Bundeskanzlers gefunden habe und deshalb einer genauen Prüfung unterzogen werde. Die Verwirklichung auch dieses Vorschlags des Vereins ist aber, wenn wir richtig unterrichtet sind, wiederum am Bundesarbeitsministerium gescheitert. Herr Minister, geben Sie dem Verein nun eine Zusage, einen solchen unabhängigen Rat der Studienkommission zu errichten! Sie haben diese Möglichkeit. Sie brauchen nicht einmal einen Beschluß des Bundestags dazu. Die Bundesminister für Wirtschaft, der Finanzen, für Wohnungsbau haben sich Beiräte angegliedert, ohne daß irgendein Beschluß des Hauses vorlag. Geben Sie die Möglichkeit, einen wirklich unabhängigen Rat zu bilden, der Ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht! Wir sind dabei auf Prioritätsrechte in keiner Weise erpicht. Geben Sie dem Verein diese Antwort! Uns kommt es darauf an, daß nun endlich einmal eine obiektive Untersuchung stattfindet und daß Vorschläge
von Sachverständigen, die außerhalb der Sphäre des Ministeriums stehen und die in einer freien Atmosphäre arbeiten, diesem Hause in Kürze vorgelegt werden. Es sind bei der Debatte im Februar 1952 Bedenken wegen unseres Vorschlags einer Royal Commission erhoben worden. Nun, unterdessen hat der Abgeordnete Vogel von der CDU in der Haushaltsdebatte eine solche Royal Commission für das notwendige Instrument derartiger Untersuchungen angesprochen. Ich hoffe also, daß die CDU nicht mehr gegen Royal Commissions ist. Außerdem hat der Bundesinnenminister Schröder für die Wahlrechtsreform nach Pressemeldungen ebenfalls solch ein Instrument vorgeschlagen. Daher möchte ich Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, bitten, etwa begreifliche Prestigeerwägungen zurückzustellen. Ich erkläre unsererseits, daß es uns nur darauf ankommt, eine unabhängige Studienkommission zu erhalten. Über deren Form sollten wir im einzelnen durchaus miteinander reden, schon deshalb, weil wir keinen King oder Roi haben, an den wir eine solche Kommission angliedern könnten. Aber, Herr Minister und meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, handeln Sie rasch und ergreifen Sie die von Ihnen in diesem Sinne so oft angesprochene Hand der Opposition, die mit Ihnen zusammen eine gemeinsame Sorge beseitigen möchte!
Wir hoffen, meine Damen und Herren, daß wir mit dem ganzen Hause einig sind in der Forderung auf eine baldmögliche Vorlage von Untersuchungen, die Aufschluß geben über die Verkettung und Verflechtung der heutigen sozialen Leistungen, und zum anderen eine Ordnung der sozialen Leistungen, die wenigstens — ich glaube, da können Sie alle zustimmen — folgende Mindesterfordernisse bringt: 1. Klarheit und Übersichtlichkeit der sozialen Leistungen, 2. kein Systemdogmatismus, wie er leider manchmal hier gepredigt worden ist, 3. Aufstockung vor allem der niedrigen Renten von langjährigen Beitragszahlern und deren Angehörigen, 4. Anpasung der rentenähnlichen Leistungen aller Art aneinander, 5. Erhaltung erworbener Rechtsansprüche, 6. umfassende Vorbeugung zur Erhaltung der Gesundheit der Bevölkerung und 7. Beseitigung langfristiger Arbeitslosigkeit.
Meine Damen und Herren, draußen warten Millionen von Menschen darauf, daß sie endlich mehr als Worte und Versprechungen hören, daß sie nicht immer nur stückweise und damit letztlich doch unzulängliche Verbesserungen erhalten. Ich darf noch hinzufügen, es entspricht ja einem begreiflichen Wunsch und einer begreiflichen Sehnsucht der Menschen, von ihren bittersten Sorgen befreit zu werden, und um diese Sehnsucht eines notleidenden großen Teils deutscher Menschen handelt es sich heute bei dem Gespräch über die Sozialreform. Ich erinnere mich an eine der entscheidenden Szenen in dem bekannten Buche „Vom Winde verweht" von Margret Mithell. Dort sagt dann eine Frau in der Verzweiflung: „Nie wieder hungern! Nie wieder frieren!" Nun, das ist die Situation von vielen Menschen draußen. Ich möchte aber ausdrücklich hinzufügen, es geht diesen Menschen und uns nicht nur um diese materiellen Werte, sondern darum, daß hier ein echtes sittliches Anliegen an die Gemeinschaft vorliegt. Es geht um einen Block von mindestens 6 Millionen Menschen, die allein auf Renten und Unterstützungen angewiesen sind. Es geht darüber hin-
aus um weitere Millionen von Menschen, deren Einkommen aus Rente oder Unterstützung so niedrig ist, daß sie häufig nicht einmal die Richtsätze der Fürsorge erreichen, so daß die Fürsorge dann noch eingreifen muß. Dieser Block aus materieller und aus seelischer Not ist außerdem politisch gefährdet durch den Kalten Krieg zwischen Ost und West. Wir wissen, der Kommunismus ist in der Bundesrepublik weitgehend zurückgedämmt. Aber seine Ursache, die Verzweiflung, lebt doch heute noch in Millionen deutscher Menschen. In der Hitlerzeit hat man davon gesprochen, diese Menschen würden wegsterben, ja, man hat damals das frivole Wort vom Friedhofsgemüse für die Rentner geprägt. Meine Damen und Herren, heute sollten wir doch darin einig sein, daß jeder Mensch, der unverdient in Not geraten ist, unserer sofortigen aktiven und bedingungslosen Hilfe bedarf, weil der Mensch, der unsere Zeit bewußt durchlebt hat, für uns ein unersetzlicher Wert ist, weil er eben nicht ein Almosenempfänger ist, sondern weil er ein Mensch ist, dem wir Dank für das schulden, was er für uns geleistet hat.
Lord Pakenham hat im übrigen neulich in Bonn geäußert, Waffengewalt allein genüge nicht, es müsse auch sozialer Einfluß in den Völkern lebendig sein.
Das alles wollen Sie bitte bedenken, wenn hier etwa davon gesprochen wird, daß die Sozialreform noch eine gute Weile habe. Wir meinen, daß zwar gründlich untersucht, aber dann rasch und vor allem durchgreifend gehandelt werden muß. Seit jenem Februar 1952, wo wir die Soziale Studienkommission und damals bereits auch die umfassende Sozialreform forderten, sind zwei Jahre verstrichen.
Heute wollen wir nicht über diese zwei Jahre im einzelnen rechten. Aber, Herr Minister, wir dürfen Sie bitten — und wir vertrauen darauf, daß Sie es tun —, Ihre Antwort auf unsere Große Anfrage so zu geben, daß daraus die Erkenntnis dieser zwei Jahre spricht, daß sie verwertet werden kann und daß die berechtigten Erwartungen von nicht weniger als 12 Millionen Menschen erfüllt werden, Erwartungen, die wir alle — und die sozialdemokratische Fraktion im besonderen — in unseren Herzen tragen. Diese Erwartungen — das darf ich zum Schluß sagen — bedeuten uns mehr als nur den Wunsch nach einer Erhöhung von Renten. Sie setzen uns, die wir doch als Volksvertreter nicht nur eine Verantwortung vor der Gegenwart, sondern ebenso auch vor der Zukunft haben, in die Gewissensaufgabe, eine Neuordnung zu schaffen, die den großen Mahnungen zweier Weltkriege und dem Umbruch eines Jahrhunderts gemäß ist. Das heißt nicht, daß die Bewahrung bestehender Systeme unsere letzte Aufrichtigkeit befriedigen kann, sondern nur die mutige Erkenntnis eines neuen Zeitalters, dessen gesunde Lebensgrundlage im sittlichen wie im materiellen Raum uns, den Volksvertretern, anvertraut ist. Die Vorsorge für diese Zukunft, die den seelischen und politischen Frieden begründen soll, sollte das Menetekel für uns bedeuten, um uns über alle Parteirichtungen, über alle Gesellschaftsordnungen hinweg zusammenzufinden und eine Ordnung zu schaffen, die den Menschen schlechthin wieder in seine Lebensrechte und in seine Menschenwürde einsetzt.
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich einmal die Große Anfrage so, wie sie schriftlich vor mir liegt, beantworten, ohne auf alle die Fragen, die der Herr Professor Preller im Anschluß an die Begründung der Anfrage hier vorgetragen hat, einzugehen.
Zu Abs. I Ziffer 1 der Großen Anfrage habe ich folgendes zu sagen. Die Arbeiten zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Rentenangleichung werden mit besonderem Nachdruck und in Zusammenarbeit mit den erfahrensten Praktikern der Rentenversicherung durchgeführt. Sie stehen unmittelbar vor dem Abschluß. Es kann damit gerechnet werden, daß der Entwurf nach Durchsprache im Beirat und nach Rücksprache mit den Sozialpartnern und den sonstigen Beteiligten im Juli dieses Jahres dem Kabinett vorgelegt wird.
Zu Ziffer 2. Der Vorbereitung einer Großen Sozialreform dienen folgende Maßnahmen:
a) Auf Grund der Verordnung über die Durchführung einer einmaligen Statistik über die sozialen Verhältnisse der Rentner und Unterstützungsempfänger vom 12. August 1953 wird eine statistische Erhebung mit dem Ziel durchgeführt, Unterlagen über die sozialen Verhältnisse der Renten- und Unterstützungsempfänger zu gewinnen. Bei der technischen Durchführung sind zwei Abschnitte zu unterscheiden: In dem ersten Abschnitt werden die Unterlagen rein aktenmäßig erfaßt. In dem zweiten Abschnitt erfolgt eine persönliche Befragung. Innerhalb des ersten Abschnitts sind von allen Stellen, die im Rahmen der Unfallversicherung und Invalidenversicherung, der Angestelltenversicherung, der knappschaftlichen Rentenversicherung, der versicherungsmäßigen Arbeitslosenunterstützung, der Kriegsopferversorgung, der Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen, des Lastenausgleichs, der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung und der öffentlichen Fürsorge Renten oder laufende Unterstützungen gewähren, für eine repräsentative Auswahl aller Empfänger solcher Leistungen auf Grund der Akten Zählblätter anzufertigen. Das heißt mit anderen Worten: Wir wollen alle die Leistungen, die der einzelne oder der einzelne innerhalb seiner Familiengemeinschaft aus diesen 10 Rechtssphären bekommt, zusammenstellen, um zu sehen, wie groß der Kreis derjenigen Menschen ist, die eine einzelne Rente als Lebensgrundlage haben oder die kombinierte Renten zu beanspruchen haben. Diese Auswahl soll etwa auf 5 % der Sozialleistungsempfänger erstreckt werden. Die Zählblätter müssen Angaben über ihre Personalien sowie über die Art und die monatliche Höhe der Sozialleistungsansprüche und der Auszahlungsbeträge enthalten. Die ersten Ergebnisse dieses Teiles der Repräsentativerhebungen sind im August dieses Jahres zu erwarten. Allein das Statistische Amt benötigt also ein Jahr, um eine solche Statistik zu erstellen.
Sodann soll bei 20 vom Hundert der erfaßten Sozialrentenempfänger eine persönliche Befragung mit dem Ziel durchgeführt werden, ein abgerundetes Bild der sozialen Verhältnisse der Sozialrentenempfänger und der zum gleichen Haushalt gehörenden Personen zu gewinnen. Es gibt ja Leute, deren Kinder ein sehr großes Einkommen haben, die sich aber nicht mehr dazu verpflichtet fühlen,
auch noch etwas für ihre alten Eltern, die manchmal ein ganzes Leben lang die Lebensgrundlagen für sie geschaffen haben, zu tun.
b) Im Ministerium für Arbeit wird seit Monaten an einer versicherungsmathematischen Bilanz gearbeitet.
Mit dem Abschluß dieser Arbeiten ist Mitte dieses Jahres zu rechnen. Eine versicherungsmathematische Bilanz können wir doch letzten Endes nur dann durchführen, wenn wir einen festen Jahresabschluß der einzelnen Versicherungsträger haben. Ich kann damit nicht jederzeit beginnen.
Zu den Arbeiten zur Sozialreform ist einleitend noch folgendes zu sagen. Der Beirat für die Neuordnung der sozialen Leistungen hat eine Reihe von Arbeitsausschüssen gebildet. Die Arbeiten dieser Ausschüsse sind in vollem Gange. Die Zusammenarbeit aller beteiligten Bundesressorts mit dem Beirat und seinen Ausschüssen ist gewährleistet. Der Beirat hat kürzlich auf Grund einer vorausgegangenen internen Besprechung der Beiratsmitglieder in der anschließenden offiziellen Beiratssitzung eine Entschließung über die künftige Arbeitsweise und Organisation gefaßt. Diese Entschließung, die ich Ihnen nachher noch wörtlich vorlesen werde, hat sofort meine persönliche Zustimmung gefunden.
Ich möchte nun zunächst die in der Großen Anfrage im einzelnen gestellten Fragen beantworten.
Der Beirat für die Neuordnung der sozialen Leistungen hat eine Reihe von Sitzungen durchgeführt. In Zusammenhang mit der ersten Sitzung am 3. März 1953 wurden den Beiratsmitgliedern folgende Unterlagen ausgehändigt: 1. eine von meinem Ministerium herausgegebene statistische Aufarbeitung über „Wohnbevölkerung mid Erwerbspersonen nach den Ergebnissen der Volks- und Berufszählung des Statistischen Bundesamts"; 2. eine im Ministerium erarbeitete „Übersicht über die Leistungen der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge"; 3. eine gleichfalls im Ministerium fertiggestellte Darstellung über die Versorgung der Kriegsopfer.
In der Sitzung am 13. April 1953 hielt das Mitglied des Beirats Professor Dr. Neundörfer ein Referat über das Thema: „Einige Tatbestände zur Bevölkerungsstruktur der Bundesrepublik". Vielleicht mag der eine oder andere sagen, das seien ausgefallene Dinge; aber wenn man eine Sozialreform durchführen will, muß man hierfür die richtigen Grundbegriffe haben, und die Damen und Herren im Beirat hielten das geradezu für die erste Grunderkenntnis, die man haben müsse. Die anschließende Beratung führte zu dem Ergebnis, daß das Referat den Ausgangspunkt für weitere statistische Untersuchungen bilden und ergänzt werden sollte.
Diese Ergänzung erfolgte in der Sitzung am 6. Mai 1953 unter dem Thema: „Die Erwerbstätigkeit von Jugendlichen unter 20 Jahren und Alten über 65 Jahren". Auf der gleichen Sitzung hielt der damalige Leiter der ärztlichen- Abteilung meines Hauses, Herr Professor Dr. Dr. Bauer, ein Referat über das Thema: „Die gesundheitliche Wiederherstellung als soziale Leistung". Dieses Referat wurde ergänzt durch die Ausführungen von Oberregierungsrat Dr. Scharmann über „Grundsätzliche und praktische Bedeutung der beruflichen und
sozialen Wiedereingliederung in das Arbeitsleben", ein Problem, das ja vor allen Dingen für den großen Kreis der Schwerbeschädigten eine eminente Bedeutung hat. Der Beirat kam nach eingehender Aussprache überein, in Ergänzung zu den behandelten Themen eine Untersuchung über die Vorbeugung, veranschaulicht durch einen Besuch von Krankenhäusern und Heilstätten, folgen zu lassen.
Dieser Aufgabe diente die nächste Sitzung des Beirats, die in der Zeit vom 26. bis 28. September 1953 durchgeführt wurde. Auf ihr sprach Herr Professor Bauer über das Thema: „Vorbeugung als soziale Leistung — Stand und Aufgaben der Vorbeugung in der Bundesrepublik". Im Anschluß an die Besichtigung des Versehrtenkrankenhauses in Bad Tölz und des Unfallkrankenhauses in Murnau sprachen die leitenden Ärzte über ihre Aufgaben, Erfahrungen und Erfolge.
In der Sitzung am 11. Februar 1954 hat der Beirat beschlossen, für die Fortführung der Untersuchungen Arbeitsausschüsse zu bilden. Es sind zunächst drei Arbeitsausschüsse errichtet worden, ein Arbeitsausschuß für Grundsatzfragen, ein Arbeitsausschuß für Fragen der Rentenversicherung und ein Arbeitsausschuß für Fragen der Frühinvalidität.
Dem Arbeitsausschuß für Grundsatzfragen gehören an Herr Professor Dr. Achinger, Herr Staatssekretär Dr. Auerbach, Herr Senatspräsident Dr. Brebeck, Dr. Geisler aus Kassel, Professor Dr. Höffner aus Münster, Ministerialrat Dr. Imhof aus München, Herr Professor Dr. Mackenroth aus Kiel, Herr Professor Dr. Muthesius aus Frankfurt, Herr Professor Dr. Rohrbeck aus Köln und Herr Direktor Dr. Lauterbach aus Bonn.
Dem Arbeitsausschuß für Fragen der Rentenversicherung gehören folgende Personen an: Ministerialrat Brackmann aus Hannover, Dr. Coll-mer aus Stuttgart, Herr Regierungsdirektor Deneffe aus Wiesbaden, Herr Max Erhardt aus Stuttgart, Dr. Gaber aus Berlin, Frau Dr. Kiep-Altenloh aus Hamburg, Franz Lepinski aus Düsseldorf, Direktor Liebing aus Frankfurt, Herr Professor Dr. Noack aus Köln, Herr Dr. Oberwinster aus Köln und Direktor Schein aus Bochum.
Dem Arbeitsausschuß für Fragen der Frühinvalidität gehören folgende Personen an: Herr Professor Dr. Dr. Bauer aus Bonn, Herr Debus aus Kassel, Herr Professor Dr. Heyde aus Köln, Herr Regierungsdirektor Dr. Horstmann aus Wiesbaden, Frau Kalinke aus Bonn bzw. Hannover,
Herr Professor Dr. Neunhöfer aus Frankfurt und Herr Dr. med. Weirauch aus Düsseldorf.
Der Arbeitsausschuß für Fragen der Rentenversicherung hat seine Arbeit in der Sitzung vom 30. März aufgenommen. Der Arbeitsausschuß hat beschlossen, von seinen Mitgliedern Gutachten über folgende Fragen ausarbeiten zu lassen: 1. Wie ist der versicherungspflichtige Personenkreis abzugrenzen? 2. Wie soll die Rentenformel gestaltet werden, wie sind Vorschläge zur Einführung von Bedürftigkeits- und Einkommensprüfungen zu beurteilen? 3. Wie sollen die Voraussetzungen für die Rentengewährung gestaltet werden? Insbesondere: a) Sollen die Vorschriften über die Anwartschaft und über die Wartezeit gestrichen werden? b) Sollen die Ruhensvorschriften gestrichen werden? c) Sollen die Vorschriften über die Wanderversicherung beseitigt werden? d) Wie soll das Recht der freiwilligen Versicherung und die Frage der Beitragsberechnung für die freiwillig Versicherten geregelt werden? 4. Welche Regelung ist hinsichtlich der Voraussetzungen, der Höhe und der Dauer der Hinterbliebenenrenten sozial gerechtfertigt? Soll Hinterbliebenenrente auch bei einer zweiten Eheschließung gewährt werden? 5. Technik des Beitragseinzugs. 6. Versicherungsmathematische Auswertungen der Bevölkerungsstatistiken.
Der Arbeitsausschuß für Grundsatzfragen hat seine Arbeit am 6. April aufgenommen. Die Aussprache über die zunächst vom Ausschuß zu erörternden Probleme führte zu folgendem Ergebnis:
1. Zu dem jetzt eingegangenen Gutachten von Prof. Dr. Bogs über das Thema „Untersuchung über die gegenwärtige Lage der Sozialversicherung und die Möglichkeit einer Reform des geltenden Rechts über die soziale Sicherheit unter Beibehaltung der Unterscheidung von Versicherung, Versorgung und Fürsorge" soll eine Grundsatzerörterung stattfinden.
— „Unter Beibehaltung", das ist eben die grundsätzliche Frage, die auch hier in diesem Hause in der nächsten Zeit wieder einmal erörtert werden wird, vielleicht heute schon. Wollen wir heute hingehen und ein Gebäude, wie wir es in unserer Sozialversicherung haben, das uns Gott sei Dank über die ersten Schwierigkeiten nach den beiden Weltkriegen hinweggeholfen hat, einfach über Bord werfen?
Ich habe ja gar nicht gesagt, daß Sie das gesagt hätten. Herr Kollege Richter hat mich gefragt, warum diese Einschränkung, unter Begrenzung der drei Möglichkeiten —
— Es handelt sich doch um die Abgrenzung der drei Möglichkeiten und um sonst gar nichts. Wenn ich hier etwas gesagt habe, dann geht es nicht darum, daß ich Ihnen in Ihren Auffassungen irgendwelche Vorschläge oder Ratschläge erteilen oder überhaupt Belehrungen geben wollte. Jeder hat im Bundestag und auch draußen im Leben des Volkes das Recht, das, was er für das Günstigste hält, letzten Endes auch anzubieten. Darüber sind wir uns doch wahrscheinlich einig, und wir brauchen uns deshalb nicht gegenseitig irgendwelche Vorwürfe zu machen.
2. In Zusammenarbeit mit Mitgliedern des Ausschusses für Fragen der Rentenversicherung und des noch zu bildenden Ausschusses für Krankheitsbekämpfung sowie weiteren Sachverständigen auf den verschiedensten Gebieten sozialer Leistungen soll folgendes Thema erörtert werden: „Das Verhältnis der produktiven zu den konsumtiven Sozialleistungen".
Als weitere Themen sind zunächst vorgesehen: 1. Abgrenzung der Fürsorge gegenüber den übrigen Zweigen der sozialen Sicherheit. 2. Vorbeugende und wiederherstellende Gesundheitsfürsorge in der Sozialversicherung, ihr künftiger Ausbau und ihre Zusammenarbeit mit der Arbeitsverwaltung und der Gesundheitsverwaltung. 3. Beteili-
gung der Allgemeinheit an der Finanzierung der Leistungen der Sozialversicherung unter Berücksichtigung der Wirtschaftskraft des Volkes. 4. Das Verhältnis der Leistungen der Sozialversicherungsträger untereinander und der Sozialversicherung zu sonstigen Sozialleistungen unter Berücksichtigung des Vorranges der Sozialversicherung. 5. Welche Altersgrenze soll gewählt werden? a) Soll die Altersgrenze heraufgesetzt werden, wie es in England gemacht worden ist? b) Soll die Altersgrenze herabgesetzt werden, wie es beispielsweise für unsere alten Angestellten gefordert wird? c) Soll eine elastische Altersgrenze gewählt werden mit der Möglichkeit der Weiterarbeit nach einem bestimmten Lebensalter zur Erzielung einer höheren Altersrente für die Zukunft? d) Soll die Altersgrenze für Männer und Frauen verschieden sein? Die nächste Sitzung dieses Arbeitsausschusses ist am 3. Juni.
Der Arbeitsausschuß für Fragen der Frühinvalidität hat seine Arbeiten in der Sitzung vom 7. April 1954 aufgenommen. Er hat beschlossen, folgende Untersuchungen durchzuführen: 1. Soziale Analyse der Frühinvalidität. 2. Gründe und Umfang der Frühinvalidität bei weiblichen Arbeitnehmern. 3. Durch welche Maßnahmen kann der Frühinvalidität begegnet werden? 4. Erfahrungen bei der Durchführung der vorbeugenden Gesundheitsfürsorge. 5. In welcher Weise kann erreicht werden, daß für Minderleistungsfähige geeignete Arbeitsplätze geschaffen werden? — Die nächste Sitzung dieses Ausschusses ist am 23. Juni.
Wie ich schon gesagt habe, haben sich am 3. Mai dieses Jahres die Mitglieder des Beirates zu einer internen Besprechung zusammengefunden. In der sich anschließenden offiziellen Sitzung des Beirates, die unter meinem Vorsitz und in Anwesenheit von Vertretern der beteiligten Ministerien stattfand, hat der Sprecher des Beirates, Herr Professor Dr. Heyde, folgende einstimmige Auffassung der Beiratsmitglieder vorgetragen: Es erscheint zweckmäßig, daß die Federführung der Arbeit beim Bundesministerium für Arbeit verbleibt, weil dort rein sachlich das Schwergewicht liegt. Der Sprecher des Beirates hat ausdrücklich hervorgehoben, daß sich der Beirat damit in Übereinstimmung mit dem bekannten Beschluß des 1. Bundestages befindet, auf dem seine Arbeit beruht. Es ist weiter zum Ausdruck gebracht worden, daß entsprechend diesem Beschluß den Vorsitz im Beirat der Bundesminister für Arbeit hat. Als weiteren Wunsch, dem ich sofort meine Zustimmung gegeben habe, hat der Sprecher des Beirats vorgebracht, daß sich die Arbeitsausschüsse ihre Vorsitzenden selbst wählen wollen. Dieser Wunsch des Beirates ist in der Sitzung in Übereinstimmung mit meiner Auffassung zum einstimmigen Beschluß erhoben worden. Im Beirat wird die Auffassung vertreten, daß sich damit weitere organisatorische Veränderungen erübrigen.
Zu Punkt II 2 der Großen Anfrage möchte ich folgendes erklären. Wie sich aus dem bisher Gesagten ergibt, handelt es sich um sehr umfassende und vielschichtige Untersuchungen. Es muß gründliche Arbeit geleistet werden. Eine genaue Bestimmung des Zeitpunktes für die Vorlage der Ergebnisse kann bei Art und Umfang der Arbeiten naturgemäß nicht gegeben werden. Das hängt wesentlich davon ab, wie die Arbeitsausschüsse unter ihren selbstgewählten Vorsitzenden die Arbeiten durchführen. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, daß die ersten Gutachten zu einer Reihe
grundsätzlicher Themen eingetroffen und die Beteiligten mit größtem Eifer an die Arbeit gegangen sind. Die Arbeiten werden so beschleunigt durchgeführt, wie es bei der erforderlichen Gründlichkeit vertretbar ist.
Zu Punkt II 3 habe ich zu sagen: a) Die Erörterungen im Beirat haben zu dem Ergebnis geführt, daß die Bekämpfung der Frühinvalidität von entscheidender medizinischer, sozialer und finanzieller Bedeutung ist. Aus diesem Grunde ist aus den, Arbeiten des Beirates ein Forschungsauftrag für Prof. Dr. Neundörfer über das Thema „Soziale Analyse der Frühinvalidität" erwachsen. b) In den Arbeitsausschüssen des Beirats sind die vorhin genannten Grundsatzgutachten vergeben worden.
c) Professor Dr. Bogs von der Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft in WilhelmshavenRüstersiel hat vom Bundesministerium für Arbeit den Auftrag erhalten, ein Gutachten über folgendes Thema zu erstatten: „Untersuchung über die gegenwärtige Lage der Sozialversicherung und die Möglichkeit einer Reform des geltenden Rechts über die soziale Sicherung unter Beibehaltung der Unterscheidung von Versicherung, Versorgung und Fürsorge". Dieses Thema entsprach dem Wortlaut des Beschlusses des Deutschen Bundestages, durch welchen der Beirat bei meinem Ministerium gebildet worden ist. Das Gutachten ist fertiggestellt.
d) Die Gesellschaft für sozialen Fortschritt hat bereits vor Zusammentritt des Beirats Mittel erhalten, um grundsätzliche Fragen der Reform der Krankenversicherung zu untersuchen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen liegen bereits vor und sind veröffentlicht.
Zusammenfassend kann ich folgendes sagen:
1. Die Arbeiten der vom Beirat gebildeten Ausschüsse sind in vollem Gange.
2. Die vom Beirat in seiner letzten Sitzung beschlossene Organisation der Arbeitsweise gewährleistet im Rahmen des Bundestagsbeschlusses die nötige Beweglichkeit und Freiheit für die Arbeiten.
3. Das Zusammenwirken der beteiligten Bundesministerien mit dem Beirat und seinen Arbeitsausschüssen sichert die Zusammenfassung aller laufenden Gesetzgebungsarbeiten bei der Gesamtreform.
Dies offiziell zur Beantwortung Ihrer schriftlich vorliegenden Fragen.
Nun gestatten Sie mir, ganz kurz auf die Dinge einzugehen, die Herr Professor Preller hier vorgetragen hat. Er hat recht, wenn er sagt: Es ist viel Zeit vergangen, seitdem wir uns mit der Frage einer sozialen Neuordnung beschäftigt haben. Aber wenn Sie gut hingehört haben, dann haben Sie allein aus den Problemen, die die Unterausschüsse sich selbst gestellt haben, ersehen, welch eminent unterschiedliche Fragen vorbehandelt werden müssen, wenn man zu einer Gesamtreform in dem Sinne kommen will, wie sie Herr Professor Preller vorgeschlagen hat.
— Ja, Sie haben doch gehört, Frau Abgeordnete, daß ich Ihnen gesagt habe, daß die ersten Sitzungen im März des vergangenen Jahres stattgefunden haben; und Sie werden es wohl verstehen, daß die Leute, wenn sie in einen Beirat mit einer derartigen Aufgabe berufen werden, sich vorher selbst
über die verschiedensten Grundlagen ein Bild machen müssen.
— Darauf kommt's ja in Wirklichkeit gar nicht an, Herr Professor Preller. Es kommt darauf an, welche Unterlagen den Leuten bei den Sitzungen für ihre eigene Arbeit während der Zwischenzeit bis zur nächsten Sitzung mitgegeben wurden. Und daß diese Sitzungen nicht dichter aufeinander gefolgt sind, hat eben seinen Grund darin, daß die Leute mit Recht gesagt haben: Ehe wir grundsätzlich zu den Dingen gemeinschaftlich Stellung nehmen, wollen wir uns selbst orientieren. Es hat sich herausgestellt, daß die Leute in Wirklichkeit das Material, welches sie von uns bekommen oder welches sie sich anderwärts erworben, das sie aber gemeinschaftlich verwendet haben, sehr gut kannten. Es brauchte nicht über jedes Teilproblem wer weiß wie lange diskutiert zu werden, so daß in den eigentlichen Sitzungen eine sehr starke Konzentration der Arbeit festzustellen war. Das scheint mir doch letzten Endes bei einer derartigen Arbeit etwas sehr Wesentliches zu sein.
— Aus dem einfachen Grunde, weil im Beirat dieser Wunsch in bezug auf Unterausschüsse erst in der letzten Zeit gereift ist.
— Herr Professor Preller, das ist ein Zuruf, den ich eigentlich nicht behandeln möchte. Da müßte ich Ihnen schon eine sehr deutliche Antwort geben, und das will ich doch im Interesse des weiteren guten Fortgangs unserer Besprechungen nicht tun. Ich kann Ihnen nur eines sagen. Sie können — und nunmehr nehme ich die Vertraulichkeit hier nicht in Anspruch - Ihre Freunde aus dem Ausschuß fragen, ob das, was ich hier gesagt habe, stimmt. Hoffentlich haben Sie dann den Mut, das nächste Mal hier zu erklären, daß es, gelinde gesagt, eine kleine Ungezogenheit war, mich der wissentlichen Lüge zu bezichtigen.
Wir wollen doch nicht Dinge zusammenbringen, die nicht zusammengehören. Bei der Frage der sozialen Neuordnung sollte in diesem Hause keine politische Kampfstimmung bestehen. Hier sollten wir, die doch letzten Endes alle guten Willens sind — und das spreche ich allen Mitgliedern dec Hauses aus —, zu einer Atmosphäre des wirklich guten Willens und des guten Zusammenarbeitens kommen. Es ist nicht gut, wenn dabei der eine dem anderen hier im Plenum vorwirft, er sage wissentlich die Unwahrheit. Wir wollen also die Dinge ruhig an uns herankommen lassen. Wir wollen sie diskutieren, und wir wollen alles tun, damit die große Sozialreform so bald wie möglich Wirklichkeit werden kann.
Dabei möchte ich allerdings eines von mir aus in aller Deutlichkeit sagen. Die große Sozialreform, wie wir sie durchführen müssen, ist ein Kind unserer Zeit und eine Folge von zwei furchtbaren Weltkriegen, die wir hinter uns gebracht haben. Aber bei der ganzen sozialen Aufgabe, die uns vor Augen geführt wird, müssen wir immer und immer wieder daran denken, daß es eine soziale Verpflichtung gibt, die, wie man so sagt, ewig ist, die nicht an die Zeitumstände gebunden ist. Das ist die Frage der Sicherstellung unserer arbeitenden Menschen für die Wechselfälle des Lebens. Ich habe niemals gesagt, man solle eine Reform der Sozialversicherung vorziehen, aber ich habe immer die Priorität für die Sozialversicherung in Anspruch genommen, weil diese Probleme in die nächsten Jahrzehnte hineinreichen. Wenn man eine Sozialreform organisch durchführen will, muß man doch irgendwo das Fundament setzen, und auf das Fundament baut man dann die erste und die zweite Etage auf. Man kann doch nicht beim Dach anfangen, und man kann auch nicht die Dinge durcheinanderwürfeln.
Ich habe mich an und für sich gewundert, daß Herr Professor Preller ausgerechnet das „Handelsblatt" und den „Arbeitgeber" so stark in den Vordergrund gerückt hat. Jawohl, ich sage es hier in aller Offenheit: diese Leute wünschen eine Sozialreform von der Art, daß man alle die Mittel, die momentan zur Verfügung stehen, in einen Topf wirft, tüchtig rührt und jedem seine Kelle voll gibt. Von dem sozialen Recht, das sich der Mann durch seine Beitragszahlung in der Sozialversicherung erworben hat, ist dabei keine Rede mehr.
Wenn man das will, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann muß man die gesamte soziale Leistung aus den Steuermitteln des Staates nehmen und darf nicht einen Teil der Beteiligten zu einer Beitragszahlung, d. h. zu einer Sondersteuer heranziehen!
Ich sage Ihnen das in aller Offenheit, und ich will
hoffen, daß unsere Aussprache heute dazu führt,
daß wir uns gegenseitig verstehen und daß wir
nicht irgendwelche Pressedarlegungen — kommen
sie von dieser oder von jener Seite — dazu gebrauchen, unser Einvernehmen stören zu lassen.
Die große Anfrage ist seitens der Regierung beantwortet. Wird die Besprechung der Anfrage gewünscht? Wenn ja, bitte ich um Handzeichen. — Es sind ohne jede Frage mehr als 50 Mitglieder des Hauses, die die Besprechung wünschen. Die allgemeine Aussprache ist eröffnet. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Beratung der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion müssen doch wohl drei Fragen im Vordergrund stehen: erstens die Frage bezüglich der von der Regierung bisher gegebenen Versprechungen und Zusagen, insbesondere hinsichtlich des Sozialbeirats; zweitens die für die Reform der sozialen Leistungen in der nächsten Zeit vorgesehenen Maßnahmen, also, konkret gesagt, die Frage der Erhöhung der Altrenten; drittens die Grundsätze einer kommenden Sozialreform.
Zu der ersten Frage, inwieweit die von der Regierung vertretenen Zielsetzungen über die Sozialreform bisher verwirklicht wurden, kann ich mich sehr kurz fassen. Die Antwort, die der Herr Bundesarbeitsminister in dieser Hinsicht gegeben hat, hat meine politischen Freunde in keiner Weise befriedigt.
Herr Bundesarbeitsminister, ich darf Sie daran erinnern, daß Sie nahezu in jeder Rede, die Sie seit Ihrer Amtsübernahme im Jahre 1949 über
soziale Probleme gehalten haben, von der Notwendigkeit einer umfassenden Sozialreform gesprochen haben. Dabei haben Sie wiederholt erklärt, daß die Neuordnung spätestens zu Beginn des kommenden Jahres erfolgen müßte. Das kann man durch Zitate beweisen. Ich möchte das hier nicht tun; ich habe einen ganzen Packen von etwa 40 verschiedenen Reden, die Sie über diese Frage gehalten haben. Wir geben zu: das spricht selbstverständlich für Ihr großes Interesse an diesen Problemen und für Ihre Sorge um diese Fragen. Aber wir müssen erklären: Reden, Versprechungen, Zusagen und weitere Prognosen genügen nicht; entscheidend sind allein die Taten.
Zuerst will ich auf Ihre konkreten Maßnahmen bezüglich des Sozialbeirats eingehen. Mein Freund Preller hat hier bereits Ihre Rede, ich glaube, vom 21. Februar 1952 zitiert, in der Sie sehr bestimmte Zusagen hinsichtlich zeitlicher Termine gemacht haben. Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben das nicht nur bei Schaffung des Beirates getan; es mag sein, daß sich dann in der konkreten Arbeit gezeigt hat, daß es schwieriger war, als Sie ursprünglich annahmen. Sie haben aber auch bei den weiteren Sozialberatungen des Jahres 1953 auf die Arbeit des Beirates hingewiesen, und es wurde damals von den Herren der Regierungsparteien erklärt, man solle doch nicht durch Anträge sozialpolitischer Art die nun begonnene Arbeit dieses Beirates stören und beeinträchtigen. Das ist zu unseren Anträgen auf Erhöhung der Grundbeträge usw. gesagt worden.
Heute müssen wir nun von Ihnen hören — wir stellen das mit großem Interesse fest —, daß Sie die Arbeit des Beirates stark intensiviert haben. Aber wir müssen den Vorwurf erheben, daß die Aktivierung der Arbeiten des Beirats mit großer Wahrscheinlichkeit, soweit wir es beurteilen können — wir sind nicht Mitglieder des Beirats, und bisher ist Vertraulichkeit geübt worden —, in einem gewissen Kausalzusammenhang — ich möchte mich vorsichtig ausdrücken — mit unserer Großen Anfrage steht, in der wir von Ihnen Auskunft über die Arbeiten dieses Beirats fordern. Deshalb befriedigt es uns nicht, Herr Minister ich möchte Ihnen das auch ganz offen sagen —, daß Sie uns hier nun von den weiteren Plänen dieses Beirats berichten und uns hier die Zusammensetzung des Beirats darlegen. Das haben wir bereits am 30. April dieses Jahres im Bulletin gelesen; da ist die Zusammensetzung der Arbeitsausschüsse unter Nennung der Persönlichkeiten aufgeführt. Uns interessieren hier neue, unbekannte Tatsachen und nicht Mitteilungen über Ihre weiteren Pläne und das Vorhaben dieses und jenes Unterausschusses; das ist nicht entscheidend. Heute muß Rechenschaft über die zwei Jahre gegeben werden;
und, Herr Bundesarbeitsminister, über Ihre Tätigkeit in den letzten zwei Jahren haben Sie sehr wenig Bestimmtes und Konkretes gesagt.
Nun, Herr Bundesarbeitsminister, zur Frage der Altrenten. Sie haben sich zu dieser Frage nur ganz kurz geäußert. Sie haben gesagt, es werde daran gearbeitet, und Sie haben einen Termin genannt, von dem Sie glauben, daß der Gesetzentwurf dem Kabinett vorgelegt werden kann. Aber, Herr Bundesarbeitsminister, ich muß Ihnen sagen: auch das kann uns nicht befriedigen, und ich glaube, auch nicht die Öffentlichkeit; deshalb nicht, weil
Sie in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit
in der verschiedensten Weise über die Frage der
Altrenten sehr konkret gesprochen und Erklärungen, um nicht zu sagen, Zusagen gemacht haben.
Wenn wir heute eine Debatte über die Frage der
Altrenten führen, dann müssen Sie die Auffassungen, die Sie in der Öffentlichkeit vertreten haben
und mit denen sich die überwiegende Mehrzahl
aller Rentner beschäftigt, weil es um die Erhöhung
der ihnen gewährten Leistungen geht, auch hier
vertreten und in klarer Weise hierzu Stellung nehmen. Sie müssen hier vor dem Bundestag vertreten, was Sie in der Öffentlichkeit gesagt haben.
Herr Bundesminister, was haben Sie alles über die Frage der Altrenten gesagt! Es begann etwa im Oktober/November vergangenen Jahres. Sie haben am 6. November 1953 in Frankfurt erklärt:
Innerhalb des nächsten halben Jahres werde
ich einen Gesetzentwurf über die Angleichung
der alten Rentenansprüche an die gegenwärtige Kaufkraft vorlegen.
Wir Sozialdemokraten haben dieser Auffassung voll und ganz zugestimmt, und um unbedingte Gewißheit darüber zu haben, wie es mit diesen Gedankengängen und Plänen steht, habe ich Sie in der Fragestunde im Dezember hier im Hause gefragt, ob Sie diese Frist von einem halben Jahr einhalten werden. Sie haben wörtlich erklärt: „Ja, wenn es irgendwie möglich ist,
und ich glaube auch, daß es gelingt." Wir müssen heute feststellen, daß Sie sich bezüglich des Termins — ein halbes Jahr seit November 1953, also praktisch Mai 1954! — geirrt haben. Das ist besonders bedauerlich, Herr Minister, weil solche Zeitangaben, die Sie in der Öffentlichkeit machen und die die Presse natürlich verbreitet, bei Millionen von Rentnern Hoffnungen erwecken.
Wenn Sie, Herr Minister, als der führende Sozialpolitiker der Regierung im November in der Öffentlichkeit sagen, in einem halben Jahre würden Sie einen Gesetzentwurf über Rentenerhöhungen vorlegen, dann rechnen sich die Rentner schon aus, was sie im Mai mehr an Rente erhalten. Das wissen wir doch alle; das ist doch die politische Praxis, die Praxis des täglichen Lebens!
Deshalb müssen wir Ihnen den Vorwurf machen, daß Sie über diese Dinge in einem Zeitpunkt gesprochen und damit Hoffnungen erweckt haben, als Ihre Vorbereitungen noch in den Kinderschuhen gesteckt haben.
Jetzt sind Sie, Herr Minister, in eine schwierige Situation gekommen, nachdem Sie immer wieder darüber gesprochen haben. So sind Sie gezwungen, in dieser Hinsicht vieles zu improvisieren, und das führt zu Gesetzen — das wissen wir ja von dem Teuerungszulagengesetz, um nur das Beispiel zu nennen, das mein Freund Preller erwähnt hat, - -
— Aber selbstverständlich, das ganze Haus ist dafür verantwortlich gewesen! Wir wollen doch gerade aus der Vergangenheit lernen, und deshalb sage ich, daß genaue und gründliche Vorbereitungen getroffen werden müssen. Wenn der Minister
in der Öffentlichkeit erklärt, daß in einem halben
Jahr eine Rentenerhöhung kommen werde, dann
muß sein Ministerium praktisch schon so weit sein,
daß er den Gesetzentwurf aus der Tasche zieht,
und das war doch nicht der Fall.
Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben — und das bedauere ich sehr — über diesen Termin auch noch später, nach dem Dezember, nachdem ich Sie hier gefragt habe, in der Öffentlichkeit verschiedene Mitteilungen gemacht, die diese Hoffnung immer wieder genährt haben. Sie haben beispielsweise am 11. Februar 1954 erklärt, daß die Gesetzentwürfe über die Erhöhung der Altrenten schon im März dem Kabinett zur Entscheidung vorgelegt würden. Vorhin haben Sie uns erklärt: im Juli. Das ist für die Rentner eine sehr entscheidende Verspätung; denn die Rentner rechnen im Hinblick auf die Sicherung ihres Lebensbedarfs mit diesen Erhöhungen.
Herr Minister, ich darf Sie auch daran erinnern, daß Sie im April 1954 erklärt haben, die mathematischen Arbeiten würden in vierzehn Tagen abgeschlossen sein. Ich kann Ihnen nur sagen: Das entspricht nicht den Tatsachen. Sie haben sich da getäuscht. Sie haben Ihre Hoffnungen und Ihre Ziele für Wirklichkeit genommen; denn die mathematischen Arbeiten sind erst in den ersten Maitagen hinsichtlich der Auswertung auf volle Touren angelaufen, beispielsweise bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, bei der Sie eine große Erhebung darüber anstellen lassen.
Es ist nach Auffassung meiner Fraktion nicht vertretbar, wenn Sie in der Öffentlichkeit erklären, daß die mathematischen Arbeiten in vierzehn Tagen abgeschlossen seien, während mit diesen Arbeiten, die mit Hollerithmaschinen auf Lochkarten gemacht werden müssen, zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal begonnen worden ist. Wir sind der Auffassung, daß all dies sehr unbefriedigend ist.
Im übrigen müssen wir Ihnen, Herr Minister, den Vorwurf machen, daß nicht nur Ihre zeitliche Planung bezüglich der Gewährung von Rentenerhöhungen für die sogenannten Altrentner in Unordnung geraten ist, sondern daß auch die Vorstellungen darüber, wer eine Erhöhung wegen Anpassung der Renten an die gestiegene Kaufkraft erhalten soll, in Ihrem Hause sehr schwankend waren. Das mag noch angehen. Aber Sie haben darüber in der Öffentlichkeit unterschiedliche Erklärungen abgegeben, und das ist bedauerlich. Sie haben beispielsweise manchmal davon gesprochen, daß die Rentenansprüche für Versicherungszeiten bis 1933 aufgewertet werden sollen, dann haben Sie wieder davon gesprochen, daß Versicherungszeiten bis zu Beginn des zweiten Weltkrieges, also bis 1939, aufgewertet werden sollen. Ferner bin ich darüber unterrichtet, daß in anderem Zusammenhang erwogen wurde, sogar Versicherungszeiten bis 1954 aufzuwerten. Das alles zeugt doch von sehr starken Unklarheiten. Deshalb sind wir genötigt, Ihnen den Vorwurf — ich muß das hier in aller Offenheit sagen, denn wir wollen eine freimütige Aussprache — zu machen, daß Sie durch öffentliche Reden über Dinge, die noch nicht geklärt waren, die Rentner in eine Beunruhigung versetzt haben. Dieser Tatbestand hat zu einer Verwirrung bei den Rentnern geführt, und das ist besonders bedauerlich.
Mit diesem etwas unklaren Begriff „Altrenten" ergeben sich viele Fragen für die einzelnen Rentner.
Sie haben den Begriff Altrente geprägt. Gut, das ist ein Ausdruck. Aber da er nicht klar erläutert wurde — in Ihrem Hause selbst bestanden sogar unterschiedliche Auffassungen darüber —, haben viele Rentner angenommen und konnten es sehr leicht annehmen, Altrenten seien vielleicht die Renten, die bei Erreichung der Altersgrenze von 65 Jahren oder von 60 Jahren für Versicherte gewährt werden. Herr Atzenroth, Sie sind ein Sachkenner, und auch ich weiß, was der Herr Minister meint; aber wenn der Herr Minister einmal von Kaufkrafterhöhungen für Versicherungszeiten bis 1933 und ein andermal bis 1939 spricht, dann entsteht natürlich in dieser Hinsicht eine bedauerliche Unklarheit, Deshalb hatten wir erwartet, Herr Minister, daß Sie von der Tribüne dieses Hauses einmal klar sagen, war darunter verstanden werden soll, damit jetzt endlich bei den Rentnern und bei der Bevölkerung Klarheit über die Dinge erreicht wird.
Im übrigen sind wir der Meinung, daß auch die Vorstellungen, die Sie in bezug auf die Beträge haben, welche die Rentner in Gestalt von Erhöhungen erhalten sollen, doch sehr unklar und sehr mißverständlich sind. Mein Freund Preller hat berichtet, daß Sie erklärt haben — und das ist durch die ganze Presse gegangen —, die Rente würde um durchschnittlich 30 DM erhöht. Sie haben weiter davon gesprochen, daß für die Erhöhung der Altrenten Mittel in Höhe von 750 bis 800 Millionen DM jährlich aufgewendet würden. Wir, die wir in der Materie stehen, wissen, daß 61/2 Millionen Renten laufen, daß also nur etwa ein Drittel aller Rentner eine Erhöhung dieser sogenannten Altrente erhalten kann, wenn diese Erhöhung, wie Sie laut Presse erklärt haben, 30 DM monatlich betragen soll. Wir wissen auch, daß noch nicht einmal alle über 65 Jahre alten Rentner bei diesem Aufwand und bei dieser Höhe in den Genuß der Altrentenerhöhung kommen können, denn nach den statistischen Feststellungen, die ich kenne, kommen etwa 31/2 Millionen Rentner in Frage, die das 65. Lebensjahr überschritten haben. Ich bitte, mich in dieser Hinsicht gegebenenfalls zu berichtigen.
Es ergeben sich also aus all dem, was Sie bisher über die Altrenten gesagt haben, viele Unklarheiten. Deshalb bitte ich Sie, heute dem Hause und damit der Öffentlichkeit folgende Fragen zu beantworten.
1. Wieviele Rentner sollen nach den Plänen Ihres Ministeriums als Altrentner angesehen werden und sollen nach Ihren Vorstellungen in den Genuß einer Erhöhung kommen?
2. Wie hoch wird nach Ihren Plänen für den Durchschnitt für den Versicherten und auch für den Durchschnitt der Witwen diese Erhöhung tatsächlich sein, 30 DM oder wie hoch?
3. Von welchem Zeitpunkt an soll nach Ihren Vorstellungen die Erhöhung der sogenannten Altrenten wirksam werden?
4. Wann wird nach Ihren Auffassungen die überwiegende Zahl der Rentner praktisch diese Erhöhung ausgezahlt erhalten?
Wie wir wissen, ist das Letzte sehr wichtig. Ich darf Sie nur an das Fremdrentengesetz erinnern, das am 1. April 1952 in Kraft trat, dessen praktische Durchführung wegen der Durchführungsbestimmungen aber heute noch nicht überall erfolgt ist.
Ich habe noch eine weitere Frage an Sie, Herr
Minister, um deren Beantwortung ich bitte. Ist
nach Ihren Plänen eine Anrechnung dieser Erhö-
hung der Altrenten auf andere Sozialleistungen — beispielsweise auf Ausgleichsrenten in der Kriegsopferversorgung, Unfallrenten, Lastenausgleich usw. — in Aussicht genommen?
Ich stelle die Frage deshalb, Herr Minister, weil, nachdem Sie in der Öffentlichkeit Erklärungen abgegeben haben, unbedingt Klarheit geschaffen werden muß. Ich bitte, sich nicht damit zu entschuldigen, daß Sie sagen, das alles hängt erst von dem Gesetz und von dem Gang der Gesetzgebung ab. Wenn ein Minister über eine Frage in der Öffentlichkeit wiederholt spricht, dann interessieren den Bundestag mindestens die genauen Pläne des Ministers. Was nachher praktisch herauskommt, das werden wir erarbeiten müssen. Ich glaube, die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, von Ihnen jetzt zu erfahren, welche eigenen Pläne und Vorstellungen Sie in dieser Sache haben.
Nun zu einer weiteren Frage, der Frage der Aufbringung der Mittel. Es muß doch zweifelsfrei geklärt sein, wie diese Mittel, nämlich die 750 bis 800 Millionen DM beschafft werden. Ihre Erklärung, daß sie aus den Kassenüberschüssen der Rentenversicherung aufgebracht werden sollen, hat in vielen Fachkreisen und auch in Kreisen der Arbeitgeber, der Gewerkschaften usw. Beunruhigung hervorgerufen. In diesem Zusammenhang ist folgendes wichtig.
Die von Ihnen vertretene Auffassung über die Aufbringung der Mittel aus den Kassenüberschüssen der Rentenversicherungsträger, die nach Ihren Angaben im letzten Jahr 1,2 Milliarden DM betragen haben, steht doch in erstaunlichem Widerspruch zu den Ausführungen, die Sie vor diesem Hause vor noch nicht einem Jahre, nämlich bei der Beratung des sozialdemokratischen Antrags auf Erhöhung der Grundbeträge gemacht haben. Sie haben am 11. Juni 1953 hier vor dem Hause erklärt, ein etwaiger jährlicher Überschuß werde unbedingt für spätere Rentenzahlungen benötigt, weil sich schon im Laufe der nächsten fünf Jahre die Zahl der Beitragszahler verringere, aber die der Rentner erhöhen werde. Sie haben erklärt, Herr Minister, die Überschüsse der Rentenversicherung seien eine Bagatelle im Vergleich mit den zur wirtschaftlichen Sicherung der für spätere Rentenleistungen benötigten Mittel. Herr Kollege Horn, Sie werden sich erinnern, daß Sie sich in der Debatte vom 11. Juni vergangenen Jahres auf statistisches Material des Bundesarbeitsministeriums gestützt und erklärt haben, daß die im Lebensalter über 65 Jahre Stehenden in den nächsten 25 Jahren um 70 % — also über den Daumen gerechnet pro Jahr um 3 % — anwachsen werden. Herr Kollege Hammer hat in der Debatte erklärt, daß die Erhöhung der Rentenleistungen aus den Mitteln der Rentenversicherung gewissermaßen unverantwortlich gegenüber den gegenwärtig Versicherten sei. Die gleiche Auffassung haben die Experten Ihres Ministeriums, haben die Sachverständigen des Verbandes der Rentenversicherungsträger in Reden und in wissenschaftlichen Abhandlungen vertreten.
Wir müssen deshalb mit Erstaunen feststellen, daß sich die Auffassung des Bundesarbeitsministeriums über die Finanzlage der Rentenversicherung im Zeitraum noch nicht eines Jahres so fundamental geändert hat. Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben darüber — nach Pressemitteilungen — in der Öffentlichkeit gewisse Erklärungen abgegeben, weshalb vor einem Jahr in bezug auf den Altersaufbau noch grau in grau gemalt wurde und weshalb jetzt alles rosarot erscheint. Sie haben nämlich erklärt, daß sich die Bevölkerungspyramide, der Altersaufbau des deutschen Volkes doch wesentlich verbessert habe, und zwar durch Eintritt junger Jahrgänge in das Berufsleben.
Herr Minister, diese Begründung zieht nicht; denn jeder Bevölkerungsstatistiker wußte natürlich infolge des Aufbaus der Alterspyramide genau, wann die Jahrgänge 1939 und 1940 in das Berufsleben eintreten werden und wie sich das auswirkt. Wir wissen heute auch, wann die zahlenmäßig geringeren Jahrgänge, beispielsweise 1942, ins Berufsleben kommen werden, und wir wissen, daß sich der jetzige Zustrom von jungen Jahrgängen auf Grund der Bevölkerungsentwicklung wieder ins Negative verkehren wird.
Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben in diesem
Zusammenhang auch von dem Zustrom junger
Flüchtlinge aus der Sowjetzone gesprochen. Einer
meiner Freunde, Kollege Rasch, hat bereits bei der
Debatte des Haushalts diese Frage angeschnitten.
Sie sind nicht darauf eingegangen. Ich muß gerade
deshalb noch einmal um eine Auskunft darüber
bitten. Sie haben erklärt, der Zustrom junger
Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone
schaffe in der Bundesrepublik einen günstigeren
Altersaufbau. Wir sind der Auffassung, daß eine
derartige Äußerung im Hinblick auf die gesamtdeutsche Verantwortung bedauerlich ist. Wir sind
der Auffassung, daß wir gerade bei der Rentenversicherung, also bei Maßnahmen, die auf Jahre
und Jahrzehnte abgestellt sind, doch alle eine gemeinsame Verantwortung auch für die alten Menschen tragen, die in der Sowjetzone zurückbleiben.
Für die Zukunft ergeben sich daraus für uns alle, wie ich hoffe, doch eher Verpflichtungen als Entlastungen, die heute bei Aufbringung zukünftiger Mittel in Betracht gezogen werden müssen.
Im übrigen darf ich Ihnen sagen: Nach meinen Berechnungen — und ich bitte mich zu belehren, wenn ich irre — ist Ihre Auffassung bezüglich der zahlenmäßigen Auswirkung des Zustroms der jungen Flüchtlinge aus der Sowjetzone auch irrtümlich. Ich habe versucht, mit Unterstützung der verschiedenen Stellen genaue Berechnungen darüber anzustellen. Ich habe errechnen können, daß sich durch den Zustrom der Sowjetzonenflüchtlinge seit der letzten Statistik über den Altersaufbau der Prozentsatz der Menschen im erwerbstätigen Alter von 67,1% auf 67,3% verbessert hat und daß der Prozentsatz der Alten von 9,3% auf 9,2% zurückgegangen ist.
Aber derartige Veränderungen haben für den Altersaufbau unseres Volkes überhaupt keine entscheidende Bedeutung.
Im übrigen, Herr Minister, steht doch Ihre Auffassung über den günstigeren Altersaufbau in striktem Gegensatz zu allen Erklärungen der Bundesregierung. Ich darf auf das Bezug nehmen, was der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung über den Altersaufbau gesagt hat. Er hat ausgeführt, daß sich die Zusammensetzung der Bevölkerung ständig zuungunsten der im produktiven Lebensalter Stehenden ändert. Herr Minister Wuermeling hat das noch vor zwei Monaten
genau statistisch bewiesen. Er gründet ja geradezu die Existenz seines Ministeriums auf diese Tatsachen des Altersaufbaues.
Es ist nach Auffassung meiner Freunde ein sehr unerfreulicher Zustand, wenn über so fundamentale Fragen wie den Altersaufbau unseres Volkes seitens der einzelnen Minister je nach Bedarf unterschiedliche Auffassungen in der Öffentlichkeit vertreten werden.
Die sozialdemokratische Fraktion steht auf dem Standpunkt, daß der Ausgleich der Kaufkraftveränderungen, also der Änderungen im Währungs– gefüge, der hier durch die Altrentenerhöhung erreicht werden soll, nicht aus den laufenden Beiträgen, sondern grundsätzlich aus dem allgemeinen Steueraufkommen erfolgen muß. Für die sozialdemokratische Fraktion handelt es sich bei dieser Angelegenheit nicht nur um eine versicherungstechnische oder finanztheoretische Frage, sondern vor allen Dingen um eine sozialpolitische Notwendigkeit, die für die Deckung des Lebensbedarfs der alten Menschen von höchster Bedeutung ist. Deshalb sind wir der Auffassung, daß es vor allen Dingen darauf ankommt, die angekündigte Erhöhung der Altrenten schnellstens durchzuführen.
Damit wir uns ein Urteil darüber bilden können, ob und wie weit die Rentenversicherung ganz oder teilweise an der Aufbringung der Mittel für die Erhöhung beteiligt werden kann und inwieweit Bundesmittel dafür in Anspruch genommen werden müssen, bitte ich den Herrn Bundesarbeitsminister, folgende Unterlagen unverzüglich vorzulegen:
1. einen Rechnungsabschluß der Rentenversicherung mit Vermögensstand per 31. Dezember 1952;
2. vorläufige Ergebnisse mit Stand vom 31. Dezember 1953; 3. Voranschlag der Rentenversicherung für das Rechnungsjahr 1954. Ich darf dazu erklären, daß es uns dabei, wenn Sie sagen, die Beschaffung der Unterlagen sei bis in die letzten Kommastellen noch nicht möglich, nicht auf die Stellen nach dem Komma, sondern auf die Millionen- und Milliardenbeträge ankommt. Darüber wollen wir Klarheit haben. Wir sind der Auffassung, daß auch die deutsche Öffentlichkeit und die Rentner einen Anspruch darauf haben, genau zu wissen, wie es um die Finanzlage der deutschen Rentenversicherung bestellt ist. Dann kann auch eine Entscheidung darüber gefällt werden, wie die 800 Millionen DM zu decken sind. Die Unterlagen müssen vorliegen, und wir bitten Sie deshalb, sie uns unverzüglich zur Verfügung zu stellen. Denn es darf auf keinen Fall wegen der Frage der Dek-kung zu einer Verzögerung in der Auszahlung der Erhöhung für die alten Rentner kommen.
Herr Bundesarbeitsminister, ich muß nun noch zu der Frage bezüglich der Grundsätze einer kommenden Sozialreform Stellung nehmen. Aus der Presse habe ich entnommen, daß Sie die Auffassung vertreten, die Erhöhung der Altrenten habe nichts mit der von Ihnen angekündigten allgemeinen Sozialreform zu tun, da es sich dabei um eine Milderung dringendster Notstände handle. Dieser Auffassung stimmen wir voll und ganz zu. Aber in der Großen Anfrage, Herr Minister, haben wir Sie auch um Auskunft über weitere Maßnahmen einer umfassenden Sozialreform gebeten, und zwar haben wir konkret gefragt, welche Maßnahmen die Bundesregierung in dieser Hinsicht vorbereitet
Darüber haben Sie nach unserer Auffassung viel zu wenig Genaues und Bestimmtes gesagt.
Herr Minister, Sie haben auf die Sozialenquete verwiesen. Wir alle sind der Auffassung, daß die Sozialenquete von großer Bedeutung ist. Sie haben von dem ersten und dem zweiten Teil dieser Enquete gesprochen. Herr Minister, ich habe mich in den letzten Wochen eingehend mit der Sozialenquete beschäftigt, und zwar nicht nur in Unterhaltungen mit Herren, die diese Dinge an der Spitze durchführen, sondern ich bin dorthin gegangen, wo diese Sozialenquete praktisch bearbeitet wird, um mir selbst einmal ein Bild zu machen, wie die Sache läuft und was man dabei erwarten kann.
Herr Minister, auch diesen Vorwurf muß ich heute erheben — vielleicht sind die Pressestimmen darüber irrtümlich gewesen —: Sie haben bezüglich der Enquete auch in zeitlicher Hinsicht falsche Prognosen gestellt. Ich berufe mich dabei auf eine Mitteilung, die über dpa am 6. Oktober 1953 erschienen ist:
Die Untersuchung über die Repräsentativauswahl
— das sind die bekannten 5 %, genau 620 000 Leistungsfälle —
steht vor dem Abschluß, und man erwartet vom Sozialbeirat, daß er sich zu den erarbeiteten Ergebnissen äußert.
Sie haben uns vorhin etwas ganz anderes gesagt. Sie haben nämlich erklärt: die Ergebnisse des ersten Teils der Erhebung werden im August dieses Jahres vorliegen. Auch bezüglich des zweiten Teils der Erhebung hieß es in der Pressemitteilung vom Oktober 1953:
Nach Auskunft des Bundesministers für Arbeit wird das Ergebnis dieses zweiten Teils der Erhebung im Frühjahr 1954 erwartet.
Tatsächlich wird aber mit diesem zweiten Teil der Erhebung erst im Herbst dieses Jahres begonnen, und Sachverständige sagen, daß die Ergebnisse nicht vor Frühjahr nächsten Jahres vorliegen können. Es ergibt sich also auch bezüglich der Prognosen über die Sozialenquete gegenüber dem, was Ihr Ministerium erklärt haben soll, ein Zeitverlust von einem Jahr. Das beeinträchtigt natürlich sehr die weiteren Arbeiten an der Sozialreform. Ich glaube, wir müssen darüber unsere Mißbilligung aussprechen; denn wir alle haben von der Sozialenquete viel für die weiteren Maßnahmen erwartet. Es ist natürlich sehr bedauerlich, wenn es jetzt heißt, es wird ein Jahr später, als man ursprünglich angenommen hat.
Das erinnert mich — das muß ich sagen — an das, was bei der Schaffung des Beirates gesagt wurde. Da wurde nämlich erklärt: Jetzt warten wir mal, der Beirat wird bald etwas Positives schaffen. Wir möchten deshalb nicht wieder auf das vertröstet werden, was aus dem zweiten, dem, wie wir alle wissen, wichtigsten Teil der Sozialenquete nächstes Jahr herauskommen wird. Wir Sozialdemokraten stehen auf dem Standpunkt, daß über die Frage der Erhöhung der Altrenten hinaus und unabhängig von dem Ergebnis der Enquete schon jetzt gewisse weitere Maßnahmen zur Reform der sozialen Leistungen bearbeitet und vorwärtsgetrieben werden müssen. Da bei der Erörterung der Frage der Altrenten die Probleme der Sozialversicherung angeschnitten wurden, möchte ich mich bezüglich der nächsten Schritte, die zu machen sind, auf die Fragen der Sozialversicherung beschränken,
die meiner Überzeugung nach, nach dem, was ich an den praktischen Arbeiten der Enquete gesehen habe, nicht vom Ergebnis der Enquete abhängig sind. Ich glaube, diese Schritte sollten und müssen jetzt getan werden. Deshalb möchte ich diese Dinge hier konkret ansprechen und Sie bitten, uns darüber eine Auskunft zu geben.
Ich stelle mir darunter vor: Erstens die Schaffung eines bundeseinheitlichen Rechts in der Rentenversicherung. Mit dieser Frage hat sich der 1. Bundestag bereits im Jahre 1952 beschäftigt. Im Ausschuß wurde bittere Klage darüber geführt, daß wir in dieser Hinsicht noch von einem Recht abhängig sind, das in wesentlichen Grundlagen am 17. März 1945 geschaffen und zonal unterschiedlich geblieben ist. Es schafft deshalb in der praktischen Auswirkung viele Unterschiede und manche Ungerechtigkeiten für Rentner, die bei Frühinvalidität noch erwerbstätig sind, weil teilweise beispielsweise ein Arbeitgeberbeitrag angerechnet wird, aber dafür keine Leistung gewährt wird. Auch die Versicherungspflicht von Lehrlingen ohne Entgelt ist unterschiedlich. Wir haben diese Fachfragen im Ausschuß sehr eingehend erörtert. Der Bundestag hat am 26. November 1952 beschlossen, die Bundesregierung zu ersuchen, baldigst einen Gesetzentwurf über die Beseitigung des unterschiedlichen Länder- und Zonenrechts in der Invaliden- und Angestelltenversicherung vorzulegen.
- Selbstverständlich auch in bezug auf Berlin. Ich spreche von den Fragen der Rentenversicherung, und darüber gibt es gar keine Meinungsverschiedenheit. Die Rentenversicherung ist, wie Sie wissen, Herr Kollege Horn, im Lastenausgleich drin, und die Berliner Rentenversicherung beruht grundsätzlich zwar nicht auf dem Bundesrecht, weil es das nicht gibt, aber auf dem Recht der britischen Zone mit der Abweichung der Regelungen für die 60jährigen Frauen,
über die aus sozialpolitischen Gründen gesprochen wird. Das ist eine sozialpolitische Entscheidung in bezug auf die besondere Situation Berlins. Aber grundsätzlich stehen wir selbstverständlich auf dem Standpunkt, daß der Beschluß des Bundestages über das bundeseinheitliche Recht der Rentenversicherung durchgeführt werden muß.
Ich will auf die weiteren Fragen zur Schaffung des bundeseinheitlichen Rechts nur ganz kurz eingehen. Wir haben hier wiederholt die Frage des § 397 des Angestelltenversicherungsgesetzes erörtert, nämlich die Zahlung von Ruhegeldern an über 60 Jahre alte Angestellte, die länger als ein Jahr arbeitslos sind. Das Haus hat dazu Beschlüsse gefaßt. Wir bedauern, daß die Angestellten der britischen Zone in dieser Hinsicht noch heute benachteiligt sind und die Bundesregierung bisher, jedenfalls nach dem, was wir gehört haben, die Schaffung eines einheitlichen Rechts auf diesem Gebiet verweigert. So haben wir — ich kann es nicht anders sagen — den tragikomischen Zustand, 'daß innerhalb der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ein Teil der Angestellten bei gleicher Beitragszahlung im 60. Lebensjahr und bei einem Jahr Arbeitslosigkeit Ruhegeld erhält und ein anderer Teil der Angestellten nicht. Der Angestellte in Bremen erhält sie und der Angestellte in Hamburg nicht. Das ist doch ein unmöglicher Zustand, und wir meinen, es ist wirklich dringend notwendig, hier bundeseinheitliche Vorschriften zu schaffen. Dazu gehört beispielsweise auch die Schaffung eines bundeseinheitlichen Knappschaftsrechtes. Die Industriegewerkschaft Bergbau hat dazu, wie mir von Freunden mitgeteilt wurde, in Ihrer Anwesenheit, Herr Minister, einen Beschluß gefaßt. Soweit ich unterrichtet bin, sind auch die Arbeitgeber in dieser Beziehung der Auffassung der Gewerkschaften. Ein bundeseinheitliches Knappschaftsrecht ist bisher noch nicht geschaffen. Wir sind der Überzeugung, daß die Schaffung eines bundeseinheitlichen Sozialrechtes, insbesondere in der Rentenversicherung, auch zur Vereinfachung der Sozialgesetzgebung beiträgt. Wir sehen nicht ein, weshalb diese Dinge immer wieder hinausgezögert werden.
— Darüber können wir gern sprechen. Es ist ja ein Ausschuß eingesetzt, an dem das Bundesarbeitsministerium beteiligt ist.
Die zweite Forderung, die wir in bezug auf die nächsten Maßnahmen einer Reform der Sozialversicherung erheben müssen, ist die: Gleiche Leistungen für gleiche Beiträge.
Es muß endlich der Zustand beseitigt werden, daß in der Sozialrentenversicherung bei gleichen Beitragssätzen von 10 % des Arbeitsentgelts unterschiedliche Leistungen . gewährt werden. Das schlägt dem Grundsatz der versicherungstechnischen Gerechtigkeit geradezu ins Gesicht. Sowohl gegenüber den Arbeitern als auch gegenüber den Angestellten gibt es da Ungerechtigkeiten.
Ich möchte ein Beispiel dafür hinsichtlich der Arbeiter anführen. Sie kennen es von vielen Rentnern her, soweit Sie in der sozialpolitischen Praxis stehen. Es handelt sich um die Steigerungsbeträge des ersten Weltkriegs für die Arbeiter. Diese Jahrgänge kommen jetzt zum Rentenbezug. Der Umstand, daß diese Jahrgänge nur die Klasse II erhalten, führt zu einer Ungerechtigkeit.
Diese wird noch vervielfacht, Herr Minister, wenn Sie jetzt die Steigerungsbeträge aufwerten, da Sie die niedrige Klasse II, sagen wir mal, mit dem Multiplikator x, die höheren Klassen anders aufwerten.
Wir richten deshalb an Sie die dringende Bitte, bei der Altrentenerhöhung diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. Sie haben früher gesagt, daß es verwaltungstechnisch schwierig sei. Jetzt müssen irgendwie die Unterlagen in die Hand genommen werden. Der Zeitpunkt ist gekommen, jene Ungerechtigkeit gegenüber den Arbeitern des ersten Weltkriegs zu beseitigen.
Auch in bezug auf die Grund- und Steigerungsbeträge sind Reformen dringend notwendig. Wir wissen alle, wie hier der Arbeiter bei kurzer Versicherungszeit und niedrigem Arbeitsentgelt benachteiligt ist. Er kann, wenn er früh Invalide wird, bei seinem niedrigen Arbeitsentgelt über die Mindestrente von 55 DM praktisch nicht hinauskommen, während der Angestellte mit dem gleichen sozialen Schicksal, mit dem gleichen Beitrag, mit der gleichen Versicherungszeit von nur fünf Jahren und bei gleichem Einkommen durch den größeren Grundbetrag praktisch eine höhere Rente erhält. Das ist eine Ungerechtigkeit.
Es gibt aber auch gegenüber den Angestellten Ungerechtigkeiten. Ich habe schon im 1. Bundestag
darauf hingewiesen, daß der Steigerungsbetrag von 0,7 zu einer Ungerechtigkeit führt. Nach einer Versicherungszeit von 16 Jahren erhält ein Angestellter mit einem Durchschnittsgehalt von 300 DM wegen des Grundbetrags und Steigerungsbetrags eine niedrigere Rente als der Arbeiter. Bei einem Arbeitseinkommen von durchschnittlich 400 Mark tritt das schon nach zwölf Jahren ein. Das weiß Ihre versicherungsmathematische Abteilung ganz genau, Herr Minister. Aber es ist nichts geschehen, um diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. Ich befürchte, daß sich die Differenz noch vergrößert, wenn jetzt die Aufwertung der Steigerungsbeträge kommt. Allerdings weiß ich nicht, wie sie im einzelnen technisch aussehen wird. Wenn man nämlich den höheren Steigerungsbetrag aufwertet, kommt ein Vielfaches von dem heraus, was sich bei der Aufwertung der niedrigeren Steigerungsbeträge ergibt. Deshalb haben die Angestellten ein außerordentlich großes Interesse an der Klärung dieser Frage.
Ich wiederhole, daß wir Sozialdemokraten im Rahmen der nächsten Schritte zu einer Reform der Sozialversicherung die Verwirklichung des Grundsatzes fordern: Bei gleicher Beitragszahlung gleiche Leistungen.
Wir stehen weiter auf dem Standpunkt, daß es schnellstens zu einer Vereinfachung in der Rentenberechnung kommen muß. Heute besteht der Zustand, daß sich die Rente von sechs Millionen Menschen aus mindestens fünf Teilen zusammensetzt: Grundbetrag, Steigerungsbetrag, Zuschlag nach dem Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz, Zulage nach dem Rentenzulagengesetz, Grundbetragserhöhung. Für einen Teil der Rentner kommen außer diesen fünf Teilen noch drei weitere Teile hinzu, nämlich Kinderzuschuß, Auffüllungsbetrag und Teuerungszulage, so daß dann acht Teile entstehen. Und wenn Sie jetzt bezüglich der Altrenten etwas machen, ist es möglich — und ich befürchte es —, daß zu dem fünften Teil noch ein sechster Teil und zu dem achten Teil noch ein neunter Teil — Aufstockungsbetrag, wie er geschaffen werden soll — hinzukommt. Das wird besonders kompliziert bei den Angestellten, die Wanderversicherte sind und bei denen nun beide Versicherungszweige zusammentreffen.
Heute kann praktisch kein Rentner übersehen, wie seine Rente berechnet wird. Das ist ein unmöglicher Zustand. Wir sind der Auffassung, daß es nicht vertreten werden kann, daß nahezu 20 Millionen Menschen, die wöchentlich oder monatlich Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von 10% ihres Arbeitsentgeltes entrichten, nicht übersehen können, sich überhaupt kein Bild davon machen können, wie hoch ihre Rente bei Erreichung der Altersgrenze einmal sein wird. Das sind untragbare Zustände, und wir sind der Meinung, daß eine Vereinfachung der Berechnungsgrundlage, die dem Versicherten eine möglichst gerechte Gegenleistung für die gezahlten Beiträge gibt, ein dringendes Bedürfnis sofortiger Maßnahmen für eine Reform der Sozialversicherung ist.
In diesem Zusammenhang muß ich auch die Regelung der Altersversorgung für Handwerker erwähnen. Alle Parteien waren sich im 1. Bundestag darüber klar, daß die Altersversorgung reformiert werden muß. Alle Parteien waren der Meinung, daß die jetzige Regelung sowohl für die Handwerker wie für die Angestellten, in deren Versicherung die Handwerkerversicherung eingebaut ist, Nachteile und Schwierigkeiten schafft. Die
I Bundesregierung hat darüber einen Entwurf vorgelegt, der von allen Seiten des Hauses als unbefriedigend bezeichnet wurde. Wir müssen deshalb von der Regierung verlangen, daß sie baldigst einen Gesetzentwurf über die Reform der Handwerkerversicherung vorlegt.
Und eine letzte Forderung haben wir: Im Rahmen der Reform der Sozialversicherung muß auch Klarheit über die Grundsätze geschaffen werden, nach denen die zukünftigen Rentenleistungen finanziell gesichert werden sollen. Der Bundestag hat darüber am 1. März 1951 Grundsätze aufgestellt, die, wie wir alle wissen, noch nicht verwirklicht sind. Die lebhafte Debatte in der Öffentlichkeit über die Finanzierung der Altrenten zeigt eine Unruhe und eine Unsicherheit über die Grundsätze, die in dieser Hinsicht angewandt werden. Sachkenner machen der Bundesregierung den Vorwurf, daß sie in bezug auf die finanzwirtschaftlichen Prinzipien einen Zickzackkurs verfolge. Wir müssen deshalb darauf dringen, daß die versicherungstechnische Bilanz, von der Sie, Herr Minister, gesprochen haben, an der gearbeitet wird, nun wirklich bald vorgelegt wird. Herr Minister, die Vorarbeiten, die 1950 und 1951 dafür geleistet wurden, haben, soweit ich unterrichtet bin, nicht zur Veröffentlichung einer versicherungstechnischen Bilanz geführt. Schon im Jahre 1951 haben manche Kollegen gesagt: Jetzt kommt die versicherungstechnische Bilanz, und wir dürfen hoffen, daß sie nun wirklich vorgelegt wird, damit Klärung über die Grundsätze erfolgen kann. Dieses Haus muß eine Entscheidung über die weiteren Grundsätze der Finanzpolitik in der deutschen Sozialversicherung treffen; denn wir wissen, die Vorschriften des § 1391 der RVO stehen auf mehr schwankenden Füßen.
Es gibt noch viele andere Fragen, deren Erörterung im Rahmen der nächsten Maßnahmen zur Reform der Sozialversicherung notwendig ist. Ich will nur an die Rentnerkrankenversicherung erinnern — mein Kollege Traub hat das bereits in der Haushaltsdebatte angeschnitten —, Fragen der Erhöhung der alten Unfallrenten usw. Diese und viele andere Fragen der Reform der Sozialversicherung sind — das müssen wir der Regierung zum Vorwurf machen — nicht mit der notwendigen Energie angepackt worden.
Meine Fraktion muß deshalb an die Regierung die dringende Bitte richten, daß diese Grundsätze — Schaffung eines bundeseinheitlichen Rechtes in der Rentenversicherung, gleiche Leistungsgewährung bei gleichen Beiträgen, Vereinfachung der Rentenberechnung, Reform der Altersversorgung der Handwerker und Klarheit über die Finanzgrundlagen der Rentenversicherung — durchgeführt werden. Das sind keine Fragen, meine Damen und Herren der Regierungsparteien, bei denen Sie uns sagen können: Das erfordert ja Aufwendungen von Hunderten von Millionen; die Sozialdemokraten stellen wieder Anträge, die wirtschaftlich nicht durchführbar sind. Diese Dinge können verwirklicht werden. Es bedarf dazu auch nicht vieler Jahre. Sie können durchgeführt werden, und sie haben eine praktische Bedeutung für die Versicherten. Durch diese Maßnahmen, die ich nur im Rahmen der Sozialversicherung angeschnitten habe, wird eine größere soziale Gerechtigkeit erreicht. Darauf kommt es aber bei jeder Sozialreform, ob sie sich nun große oder kleine Sozialreform nennt, entscheidend an.
Das Wort hat der Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Professor Schellenberg hat mir den Vorwurf gemacht, daß ich bei der Beantwortung der Großen Anfrage nichts über die Struktur der von mir angestrebten Erhöhung der Altrenten vorgetragen habe. Herr Professor Schellenberg, ich weiß nicht, ob von Ihnen zwei Anfragen vorliegen. Die, die mir vorliegt, fragt mich folgendes: Wann wird der entsprechende Gesetzentwurf über die Erhöhung der Altrenten dem Bundestag vorgelegt? In dieser Anfrage steht kein Wort darüber, daß ich Auskunft geben sollte, wie die Struktur dieses Gesetzes sein solle.
Herr Minister, Herr Abgeordneter Schellenberg möchte eine Zwischenfrage stellen.
Kann nach Ihrer Auffassung das Haus nicht erwarten, daß Sie, wenn Sie über die Frage der Altrenten in der Öffentlichkeit viele Reden halten, auch bei einer Erörterung über die Frage der Sozialreform — das ist die Überschrift unseres Antrags — sich dem Hause gegenüber dazu äußern, was Sie in bezug auf die Altrenten beabsichtigen? Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf; denn Ihre Ausführungen haben in der Öffentlichkeit Unruhe geschaffen!
Ich darf gleich darauf antworten, obwohl ich dieses Frage-und Antwortespiel nicht gerade für das Günstigste halte.
Herr Professor Schellenberg hätte mir sonst genügend Gelegenheit gegeben, während seines Vortrags ihm an meinem Lautsprecher Zwischenfragenzu stellen; aber ich glaube, das stört unsere Arbeit.
Ich bin der Meinung, die Beantwortung einer Frage hat in der Form zu geschehen, wie sie gestellt worden ist.
Wenn Sie mir gesagt hätten: Bitte, Herr Bundesminister, sagen Sie uns, was Sie darunter verstehen!, dann wäre das etwas ganz anderes gewesen. Sie durften mir aber nicht den Vorwurf machen, ich hätte Ihre Frage nicht ausreichend beantwortet. Im übrigen sind Sie, Herr Professor Schellenberg, einer der wenigen, die das, was ich darunter verstehe, alles sehr gut kennen. Sie waren in Nauheim bei der Generalversammlung des Verbandes der Rentenversicherungsträger, dem ich meine Auffassungen über diese Dinge ganz klar dargelegt habe, zugegen! Die Unklarheit, von der Sie gesprochen haben, kann also bei Ihnen gar nicht vorhanden sein;
denn Sie wissen, daß ich unter der Erhöhung der Altrenten, im Großen gesehen, verstehe, daß der Mann, der um die Jahrhundertwende seine Beiträge in Goldmark bezahlt hat, diese Beiträge jetzt,annähernd auf die Kaufkraft unserer heutigen Währung umgerechnet, in seiner Rente wiederfindet. Das ist doch der Sinn. Wir haben dann nach der Goldmarkwährung die Reichsmarkwährung gehabt, die sich in der Kaufkraft wiederum von unserer heutigen Mark unterscheidet. Das wissen Sie doch alle ganz genau, und dann sollten Sie doch nicht hier im Hohen Hause es so darstellen, als ob hier eine unvollständige Auskunft gegeben worden wäre. Die Leute bei den Rentenversicherungsträgern haben mich sehr gut verstanden, wie ich nachher aus den Besprechungen mit den einzelnen Herren erfahren konnte.Eines will ich Ihnen allerdings sagen: Wenn Sie heute mit der Forderung herauskommen, daß diese Gesetzesvorlage nur verwirklicht werden kann, wenn der Bund aus Steuermitteln die hierfür notwendigen Gelder zur Verfügung stellt, dann sabotieren Sie die Vorlage von vornherein; denn daß wir in absehbarer Zeit und vor allen Dingen in kürzester Frist keine 800 Millionen DM vom Bundesfinanzminister bekommen können, das wissen Sie genau so gut wie ich auch.
Aber nun, meine sehr verehrten Damen undHerren, — —
Viele Abgeordnete des heutigen Bundestages waren nicht Mitglieder des Wirtschaftsrats in Frankfurt. Im Wirtschaftsrat in Frankfurt haben wir, um die Leistungen für die Alten verbessern zu können, den Beitrag von 5,6 auf 10 % erhöht. Das bedeutet, daß wir heute auf Grund dieser Beitragsumstellung pro Jahr bei den Rentenversicherungsträgern eine Mehreinnahme von 2,1 Milliarden DM haben. Im vergangenen Jahre hatten wir einen Kassenüberschuß — glauben Sie nur nicht, daß ich nicht weiß, was ein Kassenüberschuß und ein Versicherungsüberschuß ist — von 1,2 Milliarden DM, wenn ich die Verpflichtungen des Bundesministers auf Grund der Anleihe einrechne. Im laufenden Jahr haben wir auf Grund der Umstellung des Haushaltsplans für § 90 des Bundesversorgungsgesetzes mit einem Kassenüberschuß von 1,4 Milliarden DM zu rechnen. Der alte Rentner, aber auch der heute in Lohn stehende Arbeiter sagt nun: „Was braucht ihr im Moment diese Gelder aufzuhäufen, wo unsere alten Leute auf der Straße Hunger leiden?" Das ist die Meinung der Arbeiterschaft draußen, und das ist vor allem die Meinung der Sozialrentner.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man soll mir auch einmal sagen, ob wir versicherungsmathematisch verpflichtet sind, im Jahre 1954 1,4 Milliarden DM als Deckungskapitalien für die heute Beitrag Leistenden zurückzulegen. Wer das kann, soll es getrost tun!Ich habe vorhin davon gesprochen, daß wir drei Arten von sozialen Verpflichtungen haben; einmal die Verpflichtung aus der Rentenversicherung, dann die aus der Kriegsopferversorgung, dann die für die Flüchtlinge und Vertriebenen und sogar noch eine vierte Verpflichtung, nämlich die Leistungen, die wir in der Wohlfahrt geben. Zwei2.Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 80. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Mai 1054 1419
dieser Verpflichtungen sind doch bestimmt, in die Zukunft gesehen, absterbende Dinge. Können wir es der heutigen Generation zumuten, daß sie aus Beiträgen in kürzester Zeit eine vernichtete Deckungssubstanz oder Reserve von 12 Milliarden DM wiederaufbauen soll?
Fordern wir doch nichts, was einfach gerechterweise von unserer Generation nicht gefordert werden kann!
- Es ist doch hier gesagt worden, — —
— Na gut, wenn Sie sagen, Sie fordern es nicht, so distanzieren Sie sich ja von dem, was Herr Professor Schellenberg sagte.
— Er hat gesagt: Wenn das durchgeführt werden soll, dann muß die Finanzierung aus dem Steueraufkommen gesichert sein.
Das hat er gesagt; und wenn er es nicht mehr weiß, kann er es nachher im Protokoll nachlesen.
Also, ich bin der Meinung, meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt Maßnahmen, die selbstverständlich von einer großen Zukunftsschau getragen sein müssen, und es gibt soziale Aufgaben, die keinen Aufschub vertragen.
Die Altrentenerhöhung ist eine dieser Maßnahmen, weil den Leuten ihre Kaufkraft, die sie in der Rentenberechtigung erworben haben, durch die Währungsumstellungen genommen worden ist. Das wollen wir doch ausgleichen, damit vor allen Dingen der alte Mann, der vielleicht schon seit zehn oder zwanzig Jahren seine Rente bezieht, nun nicht mehr mit 68 oder 70 Mark nach Hause geht.
— Na ja, wenn Sie es genau so wollen wie ich, warum diese Aufregung hier im Hause?
Warum werden hier derartige Vorträge gehalten? Wenn Sie verfolgt haben, was Herr Professor Schellenberg hier vorgetragen hat, dann wissen Sie, daß er mindestens zwanzig Probleme der sozialen Versicherung angesprochen hat, und Sie können sich doch denken, daß, wenn diese Dinge in eine Einheitlichkeit gebracht werden sollen, es eine Riesenarbeit ist, alle diese Dinge auszugleichen.
Also ich möchte Ihnen eines sagen: wir wissen in unserem Ministerium um unsere Verpflichtung, und wir werden sie im Rahmen des Möglichen erfüllen.
Das Wort hat der Abgeordnete Atzenroth.
Meine Damen und Herren, es haben sich bisher sieben Redner gemeldet, deren Redezeit nicht beschränkt ist. Der Ältestenrat hat vorgeschlagen,
um 18 Uhr zu schließen. Vielleicht können die Redner sich entsprechend einrichten.
Meine Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, nicht so lange zu reden wie die beiden Herren Professoren, die vorher gesprochen haben.
Wir haben zunächst die Große Anfrage der Sozialdemokratischen Partei außerordentlich begrüßt.
Wir sind wie Sie der Meinung, daß ein Versäumnis der Bundesregierung vorliegt.
Es hätte aber mehr im Interesse dieser Sache und im Interesse der Versicherten gelegen, Herr. Professor Preller, wenn Sie uns hier an dieser Stelle I h r Programm für eine große, umfassende Sozialreform vorgetragen und zur Diskussion gestellt hätten, über das wir uns hätten sachlich unterhalten können. Es ist nicht damit getan, daß dieses Programm in gewissen Fachzeitschriften schon einmal veröffentlicht worden ist; hier vor der großen Öffentlichkeit soll es genau so vorgetragen werden, wie Sie Ihre Anfrage begründet haben oder wie Sie es von dem Herrn Bundesarbeitsminister erwarten.
— Nein, die steht nicht zur Debatte. Wenn ich hier eine Kritik an der Bundesregierung übe, dann habe ich als Abgeordneter die Pflicht und Schuldigkeit, meine Gedanken hier vorzutragen.
— Ja, Herr Professor Preller, wenn ich die Ausführungen und die Vorschläge, die Herr Professor Schellenberg gemacht hat, als Ihr Programm ansehen soll, dann kann ich dem aber weder die Bezeichnung „umfassend" noch „groß" noch sonst irgendein Prädikat geben. Das sind einige Palliativmittel am Rande, über die wir im Ausschuß sprechen können, über die wir uns auch verhältnismäßig schnell einigen werden, die aber an der großen Sache nichts ändern. Sie zeigen keine großen neuen Wege auf, die Sie von der Bundesregierung — mit Recht — erwarten.
Aber da wir nun — und jetzt muß ich mich an den Herrn Bundesarbeitsminister wenden — leider seit fünf Jahren auf die angekündigte Sozialreform warten, müssen wir, Sie und wir, mindestens unsere Gedanken vortragen, in der Grundlinie und nicht in konkreten Einzelheiten. Ich habe das Gespräch, das hier zwischen dem Herrn Bundesarbeitsminister und den beiden Herren von der Sozialdemokratischen Partei geführt worden ist und das sich zum großen Teil auf die Arbeiten der Beiräte und technische Dinge beschränkt hat, mit Bedauern angehört. Denn uns bewegen nicht diese Einzelfragen, mindestens nicht hier vor dem Plenum; Sie sehen ja, wie groß das Interesse da-
für in allen Fraktionen des Hauses bedauerlicherweise ist.
Uns bewegen die großen Fragen, und da vermisse
ich von der Bundesregierung, nicht daß sie uns
Einzelheiten vorgelegt hat, die in schwieriger Arbeit erst zu ermitteln wären, sondern daß sie uns
ihre großen Ziele für die Reform vorgetragen hat.
Sie muß uns sagen, worin die große Reform bestehen soll. Sie kann nicht darin bestehen, daß, wie Herr Professor Schellenberg sagt, gleiche Leistungen bei gleichen Beiträgen gewährt werden. Das ist eine so selbstverständliche Forderung, daß wir darüber hier nicht zu reden brauchen. Wir müssen vielmehr die entscheidenden Fragen diskutieren, wie die Reform aussehen, was reformiert werden soll. Ich bin mit Ihnen darin einig, daß sich die Reform nicht auf die Sozialversicherung beschränken soll. Sie soll das gesamte Gebiet umfassen: die Kriegsopferversorgung, Teile des Lastenausgleichs, Heimkehrer, und was alles dazu gehört. Aber wir müssen eine Konzeption haben und müssen wissen, nach welchen Gesichtspunkten wir vorgehen wollen.
Herr Preller hat nur in einem Falle so etwas durchblicken lassen. Er hat bestritten, daß eine untrennbare Verbindung zwischen der Höhe des Sozialprodukts und den Leistungen für den Sozialhaushalt bestünde. Wenn Sie das weiter bestreiten, dann ist schon eine große Differenz zwischen unseren Auffassungen vorhanden. Sie haben es eben nicht konkretisiert, und das ist ein Vorwurf, den ich Ihnen mache. Allerdings muß ich Ihnen zugeben, daß wir diesen Vorwurf in viel größerem Umfange der Bundesregierung machen müssen. Deren Pflicht wäre es an erster Stelle gewesen, Ihre erst an zweiter Stelle, solche konkreten Vorschläge zu machen.
— Ich bin ja dabei. Warten Sie nur ab! Ich habe sie noch zuletzt bei der Beratung des Haushalts des Arbeitsministeriums vorgetragen. Also das können Sie mir nicht vorwerfen.
Ich möchte zunächst einmal zu der Frage sprechen, die in Ihrer Anfrage als Punkt 1 angeschnitten ist. Der Herr Bundesarbeitsminister hat in der' Öffentlichkeit angekündigt, daß er die Altrenten erhöhen will. Dabei ist es selbstverständlich, was man nach der ganzen Lage unter Altrenten verstehen muß. Es handelt sich hier tatsächlich um den Kreis von Menschen, deren Not am größten ist und für die in erster Linie „die soziale Frage" erhoben wird. Wir hätten uns manchmal viel mehr auf diesen Kreis konzentrieren und das Wort sozial nicht immer bei anderen Momenten verwenden sollen, wo es sich eigentlich nur um Interessen von gewissen, immerhin noch nicht so schlecht gestellten Gruppen handelte. Hier ist wirklich der Schwerpunkt in der sozialen Not, wo wir zuerst helfen müssen. Wir unterstützen den Herrn Bundesarbeitsminister durchaus darin, daß er uns demnächst geeignete Vorschläge — konkretisiert sind sie auch hier noch nicht — machen und eine Vorlage bringen will, wie eine Anhebung der Renten vorgenommen werden soll, die wirklich nicht mehr ausreichen. Wir sind allerdings nicht der Meinung, Herr Minister, daß es sich hier um einen Rechtsanspruch handelt. Deswegen können wir auch den Weg nicht billigen, auf dem Sie die Finanzierung dieser so notwendigen Aufgabe vornehmen wollen. Sie wollen aus den Kassenüberschüssen — Sie haben ganz klar und deutlich den Unterschied zwischen Kassenüberschüssen und Versicherungsüberschüssen herausgestellt — einen Betrag von 700 bis 800 Millionen jährlich herausnehmen, um diese alten Renten anzuheben, auf die kein versicherungs mäßiger Rechtsanspruch besteht; darüber müssen wir uns einig sein. Das ist falsch. Wir können nicht Beitragsaufkommen für eine Fürsorgemaßnahme verwenden. Denn es handelt sich hier um eine Fürsorgemaßnahme, und das sind Angelegenheiten des Staates.
Ich bin aber auch mit Ihnen der Meinung, Herr Bundesarbeitsminister, daß wir, die wir gestern gerade im ganzen Hause Steuersenkungen gefordert haben, nicht heute hingehen und 800 Millionen aus dem Bundeshaushalt für diesen Zweck entnehmen können. Das wäre inkonsequent. Die Parallelität ergibt sich ja auch schon aus folgendem. Wir haben keine große Finanzreform, wir kriegen auch keine große Sozialreform, bedauerlicherweise. Schöner wäre es, wenn beides groß genannt werden könnte.
Wir machen also einen anderen Vorschlag dafür, einen Vorschlag, der aus der Notlage heraus geboren ist, daß wir diese Summe zwar zur Behebung der Not brauchen, aber nicht den Kassenmitteln unseres Haushalts entnehmen können. Wir wollen den Vorschlag unterbreiten, der Herr Bundesfinanzminister, der ja der Zahlungsverpflichtete wäre, möge Rentenanstalten Schuldverschreibungen in der erforderlichen Höhe geben und sie damit in die Lage versetzen, diese Erhöhungen zu bezahlen. Diese Schuldverschreibungen müßten — das ist selbstverständlich, und das soll den ganzen Charakter dieser Maßnahme unterstreichen und unterstützen — verzinslich sein und in angemessener Zeit getilgt werden. Natürlich entsteht durch Verzinsung und Tilgung eine gewisse Belastung des Haushalts, aber die muß tragbar sein bei der Schwere der Not, die es hier zu lindern gilt und über die wir uns alle einig sind. Ich glaube, das ist immerhin ein konstruktiver Vorschlag, der mindestens der Debatte in diesem Hause wert ist.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen auch über die Hauptfrage, die vor uns steht, einige Vorschläge unterbreiten, nicht nur, weil Sie mich dazu aufgefordert haben. Dabei möchte ich mich allerdings auf das Gebiet der Sozialversicherung beschränken, obwohl — ich wiederhole es — zur gesamten Sozialreform nach meiner Meinung auch die anderen Komplexe gehören. Wir fordern auf dem Gebiet der Sozialversicherung eine klarere Trennung zwischen echter Versicherung und Fürsorgemaßnahmen, als es bisher der Fall gewesen ist. Bei der Kranken- und Unfallversicherung sind dafür keine großen Änderungen erforderlich. Was dort an Einzelwünschen vorzutragen wäre, kann auf das Gebiet des Technischen beschränkt werden. Aber diese klare Trennung von echter Versicherung und Fürsorge ist insbesondere bei der Rentenversicherung niemals vorhanden gewesen. Wir erinnern uns daran, daß die Rentenversicherung vor 70 Jahren einen ganz anderen Zweck gehabt hat. Sie war keine Altersversorgung. Sie hatte nicht den Charakter der Altersversorgung, sondern es galt damals, gewisse zusätzliche Hilfsmaßnahmen für den Fall der Invalidität und der Erreichung eines bestimmten Alters zu treffen. Eine Vollversorgung als Altersversorgung war diese Rentenversicherung auch in der Bismarckschen Zeit nicht.
Wir wollen diese Versicherung zu einer echten Versicherung machen. Die Beiträge müssen also in eine echte Relation zu den Leistungen gebracht werden. Gewisse Erhöhungen der Beiträge werden sich dabei sicherlich nicht vermeiden lassen. Allerdings, bei einer unmittelbaren Errechnung nach versicherungsmathematischen Grundsätzen kämen wir zu einem schwindelerregend hohen Betrag, den wir gar nicht aufbringen könnten. Ausweiche in andere, günstigere Versicherungen oder Doppelversicherungen müssen möglich sein. Die festen Rentenbestandteile sollten nach Möglichkeit nur insoweit gewährt werden, als sie wirklich erdient, d. h. durch vorhergegangene Beitragsentrichtung versicherungstechnisch belegt sind. Das wären einige Ziele, die bei der Rentenversicherung anzustreben sind.
Wir möchten die Rentenversicherung in Zusammenhang mit einem anderen Versicherungszweig bringen, der auch dringend einer Änderung bedarf, nämlich der Arbeitslosenversicherung. Wir werden versuchen, nachzuweisen, daß aus diesem Zweig gewisse Mittel freigemacht werden können, die dann bei der Rentenversicherung eingesetzt werden könnten. Dadurch käme man eher zu dem echten Versicherungsprinzip, das vorläufig nicht besteht. Bei der Arbeitslosenversicherung muß man folgendes berücksichtigen. Man kann sich für die Gefahr der Krankheit, des Unfalls und des Alters einigermaßen versichern. Die Menschen sind davon ziemlich gleichmäßig bedroht. Das gilt nicht für die Arbeitslosigkeit. Ein großer Teil derjenigen, die zur Beitragsleistung herangezogen werden, ist von dieser Gefahr gar nicht bedroht. Sie stehen in so festen unkündbaren Arbeitsverhältnissen, daß sie von vornherein wissen, daß sie nur Beiträge zu zahlen haben. Damit wird der Charakter einer Versicherung schon völlig durchlöchert. Gegen eine Massenarbeitslosigkeit wie in den Jahren nach 1930 hilft kein noch so hoher Beitragssatz. Dagegen vermögen auch sicherlich die Mittel nichts, die in der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung für 30 Jahre angelegt sind und die in dem Augenblick, in dem eine wirtschaftliche Krisis eintritt, ganz bestimmt nicht zurückgefordert werden können. Hier sind also Mängel und Fehler im System, die beseitigt werden müssen. Auch die Höhe des Beitragssatzes, den wir zur Zeit in der Arbeitslosenversicherung erheben, nämlich 4 °/o, die je zur Hälfte von Arbeitgeber und Arbeitnehmer getragen werden, ist nicht notwendig, um für den Fall einer normalen oder auch schon starken Arbeitslosigkeit die Mittel zu behalten, um die Versicherung durchführen zu können. Wir werden in diesem Jahre voraussichtlich etwa 2 Milliarden DM an Beiträgen einnehmen, während wir in dem Jahre, in das der schnelle, vorübergehende Anstieg auf über 2 Millionen Arbeitslose fiel, höchstens 1 Milliarde DM ausgegeben haben. Sicherlich brauchen wir noch Verwaltungskosten; wir brauchen noch Kosten für die Arbeitsvermittlung. Aber eine Senkung des Beitragssatzes in der Arbeitslosenversicherung von 4 auf 3 % ist meiner Ansicht nach ohne weiteres möglich. Dieses 1 % könnte schon in die Rentenversicherung herübergenommen werden, um dort, wie ich schon sagte, zu einer Hilfe zu führen, die eine echte Versicherung ermöglicht.
Das sind natürlich bei einer solchen allgemeinen Aussprache nur flüchtig entwickelte Gedanken. Aber das ist es, was ich von der Regierung vermisse. Sie sollte uns sagen, nach welchen Prinzipien sie die Sozialreform durchführen will. Was will sie
in der Sozialversicherung tun? Will sie wirklich wie wir den echten Versicherungscharakter auf der größtmöglichen Breite zum Durchbruch bringen, oder will sie Methoden anwenden, die, wie ich glaube, auch auf dieser Seite des Hauses nicht mehr mit der Intensität gefordert werden, wie das früher der Fall war und wie wir sie unter dem Namen „Staatsbürgerversorgung" kennengelernt haben, vielleicht am allerdeutlichsten in den Berliner Verhältnissen?
— Ich habe doch einige Vorschläge entwickelt! Vor allem habe ich sehr deutlich herausgestellt, daß wir überall dort, wo es überhaupt angängig ist, das Versicherungsprinzip an die erste Stelle stellen wollen und daß wir die Sorge des einzelnen, seine Vorkehrung für die Fälle der Not fördern wollen. Ihn wollen wir dabei unterstützen. Jeder einzelne Mensch soll in erster Linie selbst dafür sorgen. Dazu wollen wir ihm helfen. Es gibt einen Kreis, der es aus eigenem nicht kann; das sehe ich ohne weiteres ein. Dieser Kreis ist aber gegenüber der Zeit vor 70 Jahren wesentlich kleiner geworden. Er ist heute verhältnismäßig gering. Der bei weitem größte Teil ist durchaus in der Lage oder kann in die Lage versetzt werden, die Vorsorge selber zu treffen. Der dann noch übrigbleibende Kreis muß allerdings mit Fürsorge vorliebnehmen. Dieser Kreis kann keine Ansprüche erheben, wie es die können, die für ihr Alter, für ihren Krankheitsfall vorgesorgt haben. Der, der doppelt sorgt — etwa durch doppelte Versicherung —, soll auch in den ungeschmälerten und ungehinderten doppelten Genuß kommen.
Das sind die Grundgedanken, die ich Ihnen vorzutragen hatte. Ich glaube, wenn wir ihnen folgen, lösen wir die soziale Frage viel schneller und viel leichter, als wenn wir uns damit begnügen, einige Verbesserungen — vielleicht sind es auch Verschlechterungen, je nach dem Standpunkt, von dem aus ich sie betrachte — an dem vorhandenen System vorzunehmen. Diese grundsätzliche Frage muß als erste geklärt werden, und dann erst können die Beiräte und Kommissionen in Tätigkeit treten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Elbrächter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen meiner politischen Freunde möchte ich sagen, daß wir der sozialdemokratischen Opposition dankbar dafür sind, daß sie uns durch ihre Anfrage Gelegenheit gegeben hat, einmal ausführlicher über dieses wichtige Problem der Sozialpolitik zu sprechen. Auch meine Freunde sind der Auffassung, daß der Herr Bundesarbeitsminister durch seine Äußerungen in der deutschen Öffentlichkeit Hoffnungen erweckt hat, die leider bislang noch nicht erfüllt werden konnten. Wir wissen aus sehr vielen Zuschriften unserer Freunde — es ist schon wiederholt darauf hingewiesen worden; aber ich glaube, wir müssen es so stark herausstellen wie nur irgend möglich —, daß bei den Rentnern eine tiefe Unzufriedenheit herrscht, die nun — sei es berechtigter- oder unberechtigterweise — aus den Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers entnommen haben, daß sie mit einer baldigen Verbesserung ihrer wirklich mißlichen Lage rechnen können. Das ist der Sache
wegen bedauerlich; denn ich stimme mit dem Herrn Bundesarbeitsminister insofern überein, als eine wirkliche Reform eine derartige Vorbereitung erfordert, daß wir in einer, sagen wir einmal, sehr kurzen Zeit nicht zu einer umfassenden Reform kommen können. Darüber sollten wir uns keinen Illusionen hingeben.
Mit meinem Kollegen Atzenroth stimme ich insofern nicht ganz überein, als ich der Auffassung bin, daß durch die detaillierte Schilderung der Aufgaben der Arbeitskreise des Beirats doch schon etwa eine Vorstellung gegeben ist, wie sich der Herr Bundesarbeitsminister diese Reform denkt. Ich glaube, daß es nicht möglich ist, über die Zielsetzung einer umfassenden Reform der Sozialpolitik zu sprechen, wenn nicht zuvor die statistischen Daten vorliegen. Erst die Kenntnis dieser realen statistischen Daten gibt uns die Möglichkeit, zu entscheiden, welchen Weg wir in der Sozialpolitik gehen wollen. Ich glaube, daß die Erstellung solcher statistischen Unterlagen notwendig ist.
Nun möchte ich zum Ausdruck bringen, daß ich
mich außerordentlich über die Leidenschaft gefreut
habe, mit der Herr Kollege Preller sein Anliegen vorgebracht hat. Sicherlich ist vieles richtig
gewesen, was er gesagt hat. Aber ich möchte doch
mit aller Deutlichkeit noch einmal darauf hinweisen, daß uns fromme Wünsche in der Sozialpolitik gar nichts nutzen. Vielmehr müssen wir
dort immer damit rechnen, Herr Kollege Preller,
daß die Mittel vorhanden sind. Insofern begreife
ich nicht ganz — vielleicht habe ich Sie auch mißverstanden —, daß Sie den engen Zusammenhang
zwischen Wirtschaftspolitik, Wirtschaftskraft unseres Landes und den Sozialleistungen nicht so anerkennen, wie das eigentlich der Fall sein müßte.
— Ich habe es eingeschränkt; vielleicht habe ich Sie mißverstanden. Ich freue mich, daß Sie es jetzt herausstellen und daß Sie das doch anerkennen wollen. Aber das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Ich will mich so kurz fassen, wie es nur irgendwie geht, und deshalb nur noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen. Eines scheint mir in der Tat eine Ungereimtheit zu sein: wenn wir wirklich diesen Menschen, von denen Sie mit Recht gesagt haben, daß sie nicht Nutznießer des Wirtschaftsaufstiegs gewesen sind, bevorzugt helfen wollen, dann müssen wir darauf verzichten, viele Wünsche anderer Gruppen zu erfüllen, die immer wieder an uns herangetragen werden. Es ist eine Ungereimtheit, wenn wir eine Steuerreform beschließen wollen, von der wir überzeugt sind, daß sie unbedingt notwendig ist, damit unser Wirtschaftsapparat Impulse bekommt, gleichzeitig aber mit Forderungen auftreten, die diese Wirkungen wieder zunichte machen können. Wir sind doch alle davon überzeugt, daß das soziale Elend am besten über eine gesunde Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik gelindert werden kann. Ich begreife nicht, Herr Kollege Preller, wie Sie die Auffassung vertreten können, daß die Arbeiter nicht an den Früchten des Aufstiegs Anteil hätten; Sie haben es nicht wörtlich gesagt, aber es klang aus Ihren Ausführungen heraus. Wir können uns im gegenwärtigen Augenblick nicht den Luxus leisten, daß für sozialpolitische Forderungen wie etwa die Familienausgleichskassen Summen von 350 oder 800 Millionen DM — je nachdem, wie wir es machen — aus der Wirtschaft oder aus Steuermitteln aufgebracht werden und im gleichen Augenblick, in dem wir, um der Wirtschaft zu helfen, Steuerermäßigungen beschließen, Lohnforderungen angemeldet werden. Diese Lohnforderungen sind nach meiner Meinung nicht gerechtfertigt. Es ist sozialpolitisch besser gedacht, wenn wir die Steuerermäßigungen, die wir der Wirtschaft zugute kommen lassen wollen, sich in einer Verbesserung der Arbeitsmarktverhältnisse auswirken lassen. Es war eines Ihrer Anliegen, Herr Professor Preller, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Dann können wir aber nicht die Mittel, die zur Verbesserung des Wirtschaftsapparats zur Verfügung stehen, direkt über den bisherigen Umfang hinaus in die Sozialpolitik stecken. Ich möchte Sie also bitten, meine Kollegen von der SPD, auf Ihre Freunde bei den Gewerkschaften dahin einzuwirken, daß in der Lohnpolitik eine gewisse Mäßigung gezeigt wird.
Denn wir sind überzeugt, daß wir wegen des engen sozialpolitischen Zusammenhangs den Rentnern und den anderen Kreisen, die hier angesprochen worden sind, nur helfen können, wenn auf der anderen Seite bei den Lohnforderungen eine gewisse Mäßigung Platz greift. Das ist die Bitte, die ich an Sie richte.
Im übrigen hoffe ich, daß die vielen Anregungen, die der Kollege Schellenberg gegeben hat, sich verwirklichen lassen, glaube aber nicht, daß es Sinn hat, sie jetzt im einzelnen zu diskutieren. Ich würde mich jedoch freuen, wenn wir entsprechend den Vorschlägen, die auch Herr Kollege Atzenroth gemacht hat, über konkrete Anregungen im zuständigen Ausschuß beraten könnten, und hoffe, daß wir uns dann einig werden. Materiell bin ich mit vielem von dem, was Sie sagen, einig.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Finselberger.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! An den Vorgefechten der Debatte, die wir heute erleben, ist meine Fraktion bisher nicht beteiligt gewesen. Aber ich möchte deshalb um so stärker betonen, daß wir an der Problematik der heute aufgeworfenen Fragen schon immer sehr stark interessiert gewesen sind, weil es sich letzten Endes um ein Anliegen handelt, das zwar in erster Linie diejenigen betrifft, die auf die Verbesserung ihrer mißlichen Lebenslage hoffen, aber nicht nur diese; vielmehr geht es auch alle diejenigen an, die seit 1945 in eine bessere Lebenslage versetzt sind, und sie sollten ein ebenso lebendiges Interesse an diesem Thema haben.
Herr Bundesarbeitsminister, Sie wissen, daß ich in verschiedenen Gesprächen mit Ihnen sehr häufig darauf hingewiesen habe, wie sehr meine Fraktion und meine Partei daran interessiert waren, auch an der Arbeit des Beirats teilzunehmen. Im Laufe der Monate, die inzwischen vergangen sind, habe ich drei verschiedene Einwendungen gehört, so daß leider noch immer kein Vertreter meiner Partei Mitglied dieses Beirats ist. Wir hätten sehr gern an dieser Vorarbeit teilgenommen, und ich meine, daß es auch das gute Recht meiner Parteifreunde gewesen wäre, zu einem früheren Zeitpunkt an dieser Arbeit beteiligt zu werden. Was uns aber von allem, was hier bisher besprochen worden ist, ganz besonders enttäuscht — das möchte ich Ihnen, Herr Minister, einmal sagen; man kann es doch nun gar nicht verhindern, daß
dies in einer sehr starken Optik dabei hervortritt —, ist die Tatsache, daß der Beirat in den zwei Jahren, seit er besteht, so gut wie nichts geleistet hat.
Ich hätte mir vorstellen können, daß es die Aufgabe und der Beginn der Arbeit dieses Beirats gewesen wäre, zunächst einmal einen Grundsatzausschuß zu bilden, um in ihm gewisse Grundsätze und Leitthemen herauszuarbeiten, und daß nach diesen Leitthemen dann auch die Fachausschüsse gebildet worden wären. Ich kann nicht einsehen, weshalb man erst so eine gewisse thematische Ouvertüre in Gang gesetzt hat, um irgendwelche allgemeinbildenden Themen anzureißen; denn in diesem Beirat sitzen doch Persönlichkeiten, die über die fachlichen Aufgaben, über den sittlichen Gehalt dieser fachlichen Aufgaben aus ihrer Berufserfahrung, ihrem großen Wissen und Können und ihren Fähigkeiten durchaus im Bilde sind und sich nicht erst darüber allgemeinbildend unterrichten zu lassen brauchen.
Ich sage das auch um deswillen, weil wir doch einmal feststellen müssen, daß es vielleicht besser gewesen wäre, Herr Bundesarbeitsminister, wenn dieser Beirat von Anfang an ein unabhängiger Beirat gewesen wäre; mit „unabhängig" meine ich: weil Sie als Bundesarbeitsminister doch außerordentlich stark an sehr viele Aufgaben gebunden sind. Ich habe den Eindruck, daß die so geringen Zusammenkünfte dieses Beirates darunter gelitten haben, daß Sie als der Vorsitzende dieses Beirates nicht so häufig zur Verfügung gestanden haben. Aber es gibt auch noch eine sachliche Begründung, und ich bitte Sie, es nicht als eine persönliche Unfreundlichkeit anzusehen, wenn ich das hier offen ausspreche. Sie als Bundesarbeitsminister, als der zuständige Ressortminister, haben ja das Ergebnis der Arbeit, die erledigten Aufgaben dieses Beirates wieder in Empfang zu nehmen. Es steht Ihnen dann alleine zu, diese Aufgabe zu beurteilen, ganz oder teilweise abzulehnen oder ganz oder teilweise dem Parlament zu empfehlen. Es scheint mir nicht ganz richtig zu sein, daß Sie als Mitglied oder Vorsitzender dieses Beirates an dieser Vorarbeit mitbeteiligt sind und auf der anderen Seite sich ein Urteil zu bilden und es auszusprechen haben.
Ich meine, es sei notwendig gewesen, gleich zu Beginn des Zusammenfindens dieses Beirates zu der Bildung der Ausschüsse zu kommen. Ich muß sagen, meine politischen Freunde sind ebenso wie ich außerordentlich enttäuscht, wenn wir feststellen, daß diese Gremien innerhalb des Beirates erst vor wenigen Wochen oder Monaten gebildet worden sind. Wenn man sich einmal den großen Komplex einer Sozialreform vorstellt, wobei eine Rentenreform — diese ist heute in der Debatte am stärksten angesprochen worden — einen wichtigen Teil im Rahmen dieser Sozialreform darstellt, und wenn man sich einmal überlegt, welcher große Arbeitsbereich zu einer Neubildung und Umformung kommen und auf die heutige Lebenslage unserer Menschen abgestellt werden soll, dann müssen wir doch heute schon sagen: Wenn die Arbeit in dem Beirat und in den Ausschüssen jetzt erst begonnen hat, können wir vielleicht erst nach einem oder eineinhalb Jahren damit rechnen, daß uns irgend etwas vorgelegt wird, und dann haben wir im Parlament überhaupt erst die Möglichkeit, zu diesem Arbeitsergebnis Stellung zu nehmen. Wir wollen uns darüber gar nichts vormachen, und ich bin jener Optik sehr abhold, irgendwelche Hoffnungen zu erzeugen, daß wir in wenigen Wochen oder Monaten eine Sozialreform haben, weil ich sehr genau weiß, daß das so schnell gar nicht möglich ist. Um so mehr ist zu bedauern, daß zwei Jahre verstrichen sind, ohne daß praktisch etwas erreicht worden ist. Dieser Verlust an Zeit geht auf Kosten derjenigen, die heute oftmals ohne eigenes Verschulden in eine sehr traurige Lebenssituation hineingeraten sind. Das scheint mir das bedauerlichste Ergebnis dieser Debatte überhaupt zu sein. Ich hätte deshalb auch den Wunsch an Sie, Herr Bundesarbeitsminister, zu richten, sich einmal zu überlegen, ob die Anregung meiner Fraktion nicht richtig wäre, diesen Beirat unabhängig arbeiten zu lassen, damit er so oft wie möglich zusammentreten und das an Zeit nachholen kann, was bisher versäumt worden ist.
Was die Sozialreform und ganz besonders den enger gezogenen Rahmen der Rentenreform angeht, so will ich trotz der vorgeschrittenen Zeit und obwohl meine Vorredner vieles schon angesprochen und erläutert haben, was auch das Anliegen meiner politischen Freunde ist, doch noch auf einiges hinweisen. Es scheint mir doch notwendig zu sein, in etwa einen Rahmen abzustecken und gewisse Grundsätze aufzustellen, nach denen man arbeiten sollte. Da nach meiner Auffassung aus den Darlegungen des Herrn Bundesarbeitsministers festzustellen war, daß man sich über diese Grundsätze noch nicht geeinigt hat, und da der Grundsatzausschuß jetzt erst gebildet worden ist, glaube ich, hier einige Anregungen geben zu müssen.
Die allererste Forderung sollte sein, unter allen Umständen eine Rechtsvereinheitlichung der Sozialgesetzgebung anzustreben. Hier liegt eine echte Aufgabe des Beirats vor. Die starke Streuung der Erlasse und Verordnungen und die sonstigen Flickschustereien, die wir in den letzten Jahren erlebt haben, müssen vermieden werden. Das soll kein Vorwurf sein. Wir haben ja irgendwie arbeiten müssen, um dem Ansturm der sozialen Anliegen wenigstens einigermaßen entgegentreten zu können. Diese Anliegen müssen einmal im Wege einer einheitlichen Gesetzgebung, in einer Rechtsvereinheitlichung, d. h. durch Zusammenfassung all dieser gesetzlichen Bestimmungen geordnet werden. Ich möchte einmal an das immerhin noch sehr gute Beispiel der Reichsversicherungsordnung, die im damaligen Reich grundlegend war, erinnern und daran, daß wir nach 1945 mit den verschiedenen Ländern zu rechnen hatten. Dabei hat es sich eingeschlichen, daß bei gleichen Beitragsleistungen verschiedene Leistungen von den Sozialversicherungsträgern gegeben werden. Das konnte kaum vermieden werden, und heute stehen wir vor der Tatsache einer außerordentlich starken Rechtsunsicherheit auf Grund dieser unterschiedlichen Leistungen.
Dasselbe Bild bietet sich auch schon in der Krankenversicherung. Ich weise nur auf die unterschiedlichen Arzneigebühren und Zuschüsse hin sowie auf die verschiedensten Leistungen in der Familienhilfe selbst, die wir dabei auch zu beachten haben.
Die Besserstellung gegenüber den Fürsorgeempfängern empfinden wir auch nicht mehr in diesem Sozialversicherungssystem. Wenn man sich einmal die Durchschnittsleistungen der Invalidenversicherung oder der Angestelltenversicherung ansieht, muß man feststellen, daß das Ruhe-
geld im Durchnitt bei einem Angestellten über 65 Jahre etwa 118 DM beträgt. Die Invalidenrente eines 65jährigen Arbeiters beträgt etwa '76 DM. Bringt man das in Vergleich zu den Fürsorgeleistungen und berücksichtigt man ferner, daß der Betreffende ebenso wie der Arbeitgeber seine Leistungen bezahlt hat, so meinen wir, daß diese Unterschiede unter allen Umständen ausgeräumt werden müßten, wenn man die Leistungen auf dem Versicherungsprinzip aufbauen will.
Eine weitere Frage kann ich, nachdem Sie die baldige Anhebung der Renten angekündigt haben, freundlicher anschneiden. Dabei habe ich Ihnen einmal ein Beispiel zu sagen. Ein Versicherter der Klasse II erhält nach 40 Arbeitsjahren nur 25% mehr als ein Versicherter, der in der gleichen Leistungsklasse nur fünf Jahre lang seine Beiträge gezahlt hat. Es sollte einmal geprüft werden, ob solche Unterschiede gerechtfertigt sind. Vielleicht könnte man in der allgemeinen Rentenreform diese Dinge nach gerechteren Maßstäben ordnen.
Wenn wir von der Sozialreform sprechen, müssen wir daran denken, daß auch eine Rechtsverbesserung notwendig ist. Eine der wichtigsten Forderungen ist die nach einer gerechteren Verteilung der Lasten. Gerade das vorhin erwähnte Beispiel ist dafür kennzeichnend.
Die Sozialreform muß außer der Rentenreform einiges andere in sich schließen, wie hier schon gesagt worden ist, zuletzt von dem Kollegen Dr. Atzenroth. Wir müssen an all die Leistungen, an die ganze soziale Betreuung und an die soziale Hilfestellung denken, die wir den Menschen zu geben haben, die schuldlos in eine besonders schwierige Lage geraten sind. Dazu gehören die Vertriebenen ebenso wie die Kriegsopfer, die Heimkehrer und Spätheimkehrer, unsere alten Invaliden und auch die Körperbehinderten. Eine einheitliche Sozialverfassung ist notwendig, um unter allen Umständen jedem deutschen Staatsbürger das Gefühl der Rechtssicherheit wie der sozialen Sicherheit zu geben, denn jeder kann einmal diesen Wechselfällen des Lebens ausgesetzt sein.
Ich darf dabei darauf hinweisen, daß diese umfassende Aufgabe, die uns hiermit gestellt ist, nicht nur von den Menschen getragen werden kann, die darauf angewiesen sind, einmal die Leistungen aus der Sozialreform für sich selber in Anspruch zu nehmen. Es sollte vielmehr von dieser Stelle aus ein starker Appell erfolgen, daß die Lösung dieser Aufgabe eine Angelegenheit des gesamten Volkes sein muß. Alle müssen gemeinsam mit dem gleichen Interesse, mit gleicher Leidenschaftlichkeit an dieser Aufgabe arbeiten. Das muß mit dem ganzen Herzen geschehen. Alle müssen sich auf ihre Verpflichtung besinnen.
Ich glaube auch, sagen zu müssen — und ich denke dabei an die Notstandsgebiete in Bayern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein usw. —, daß am Beginn einer gesunden Sozialpolitik das Streben stehen muß, jedem Menschen das Recht auf Arbeit zu sichern. Meine politischen Freunde und ich sind nicht der Meinung, daß man den Menschen dazu erziehen sollte, sich auf einen sogenannten Rentenstaat zu verlassen. Das entspricht auch gar nicht der Mentalität des deutschen Menschen, denn der will in eigener Verantwortlichkeit sein Leben für sich und seine Familienangehörigen selber meistern. Es dürfte deshalb eine ganz besonders wichtige Aufgabe des Bundesarbeitsministers sein, dafür zu sorgen, daß die Menschen wieder einen Arbeitsplatz finden, die nun schon seit Jahr und Tag durch Arbeitslosigkeit oder Verlust ihrer materiellen Existenz in eine hoffnungslose Lage gekommen sind, aus der sie keinen Ausweg sehen. Auch diese Menschen sollen wieder aus eigener Kraft ihr Schicksal meistern können. Das Grundrecht auf Arbeit müssen wir in den Mittelpunkt unserer Überlegungen stellen und daraus alles Weitere entwickeln, was im Laufe dieser Debatte von den verschiedensten Seiten vorgetragen wurde.
Wenn ich das, was heute in diesen Stunden der Aussprache gesagt worden ist, überschaue und über das Ergebnis nachsinne, so muß ich doch folgendes sagen. Von den Rednern aller Fraktionen und selbstverständlich auch von unserem Herrn Bundesarbeitsminister habe ich den erfreulichen Eindruck, daß alle das gleiche Anliegen beseelt. Wir wollen uns trotz aller zum Ausdruck gekommenen Leidenschaftlichkeit und der sehr offenen Worte, die, wie ich unterstreichen möchte, sicherlich notwendig waren, zu gemeinsamer Arbeit zusammenfinden. Wir wollen diese Verantwortung übernehmen, den Menschen zu helfen und dazu beizutragen, daß unser deutsches Volk einen weiteren sozialen Aufstieg erlebt.
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Beratungen um Große Anfragen, die sich mit einem in Vorbereitung befindlichen Gegenstand beschäftigen, sind und können Dynamik sein. Aber diese Dynamik kann einen bitteren Geschmack hinterlassen, wenn man die Begleitmusik, mit der diese Beratungen begonnen worden sind, auf sich wirken läßt. Nach meinem Dafürhalten ist es nicht tunlich, anderen bei den Beratungen sozialpolitische Gesinnung abzusprechen. Es ist weiter nicht tunlich, anderen vorzuwerfen, sie benutzten die Rentner als Spielball für politische Reden. Ich meine, bei einer derartig ernsten Beratung wie der, in der wir heute stehen, sollte man diese Ausdrücke vermeiden.
— Ihr Hintermann, Frau Korspeter! — Auch, glaube ich, sollte man keinem einen Vorwurf machen — wie es Herr Professor Schellenberg getan hat —, wenn er von Sozialreform spricht. Herr Professor Schellenberg, von Sozialreform ist gesprochen worden, da hatten wir noch kein Bundesarbeitsministerium; und ich habe einen Professor Schellenberg erlebt, der — im Jahre 1946, glaube ich, war es — auf Einladung des Herrn Ministerpräsidenten Geiler in Wiesbaden in der Staatskanzlei auch schon über Sozialreform gesprochen hat, ohne daß er damals in der Lage gewesen wäre, uns irgendeine Konstruktion für diese Reform vorzutragen.
Man soll auch nicht jemanden den Vorwurf machen, er trage Pläne vor, die die Rentner in Aufregung brächten, und im gleichen Atemzug die Kenntnisnahme dieser Pläne verlangen. Das ist auch nicht logisch. Ich meine den Vorwurf, Herr Professor Schellenberg, den Sie hier gemacht haben.
Sie haben in Ihren Ausführungen zu den Finanzierungsmöglichkeitaen und -notwendigkeiten bei
der Altrentenaufbesserung kritisiert, daß die Mittel der Versicherungsträger in Anspruch genommen werden sollen. Ich möchte doch darauf verweisen, daß die SPD-Fraktion im 1. Bundestag bei Anträgen auf Erhöhung der Renten immer und immer wieder auf die Millionen verwiesen hat, die die Rentenversicherung noch zur Verfügung hat.
Wenn man das getan hat und wenn man sogar mehrfach eine Inanspruchnahme dieser Mittel verlangt hat, dann glaube ich, sollte man sich jetzt nicht hier hinsteilen und den Herrn Minister kritisieren, wenn er die anfallenden Finanzen der Rentenversicherungsträger für diese Dinge in Anspruch nehmen will.
Nun noch ein ganz kurzes Wort zu der Großen oder Kleinen, überhaupt zu der Sozialreform. Sowohl von Herrn Professor Preller als auch von Herrn Professor Schellenberg sind dem Herrn Arbeitsminister Vorwürfe gemacht worden. Es ist behauptet worden, der Beirat der hierfür eingesetzt ist, habe versagt. Wer sich seit dem Jahre 1945 mit sozialpolitischen Fragen beschäftigt hat, der weiß, daß dieser Beirat nicht die einzige Institution ist, die sich mit diesen Fragen beschäftigt. Wir haben außer diesem Beirat eine ganze Reihe Institutionen, die frei sind, die also nicht von einer Regierung abhängig sind, die sich mit diesen Fragen intensiv beschäftigen. Ich nenne den Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge, ich nenne die Gesellschaft für sozialen Fortschritt, die dem Herrn Preller nicht unbekannt sein wird, ich nenne die Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung. Ich nenne weiter sonstige Institute, die sich bei Universitäten befinden. Ich erinnere an den Herrn Professor Mackenrodt, der hier schon genannt worden ist, ich erinnere an den Herrn Professor Neuendörfer, ich erinnere an den Herrn Professor Achinger, — Menschen und Institute, die sich in Freiheit, also nicht einer Regierungsinstitution irgendwie verpflichtet oder unterstellt, mit allen diesen Fragen schon seit Jahren beschäftigen. Trotz der Arbeiten, die in den hinter uns liegenden Jahren von diesen Stellen dankenswerterweise geleistet worden sind, ist es bis heute noch nicht zu einer Konstruktion gekommen, wie man die Sozialreform durchführen soll. Wenn dem so ist, dann geht daraus hervor, wie schwierig und wie außerordentlich kompliziert die ganze Angelegenheit ist.
Mir scheint, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund deswegen sehr vorsichtig gewesen ist.
Auf dem Kongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes — ich glaube, im Jahre 1952 — in Berlin ist beschlossen worden, auch von dieser Organisation aus eine Kommission zusammenzusetzen, die sich mit all diesen Fragen beschäftigen sollte. Erst vor einigen Wochen hat der Deutsche Gewerkschaftsbund diese Kommission gebildet, vielleicht aus dem Gedanken heraus, wie schwierig es heute ist, die Dinge in Ordnung zu bringen. Ich kann mich noch daran erinnern, als Goebbels während des Krieges den totalen Krieg proklamiert und über alle Lautsprecher damals ausgerufen hat: „Wenn wir einmal abtreten, dann schlagen wir die Tür mit einem Krach zu, daß diejenigen, die das in Ordnung bringen müssen, was dann übrigbleibt, in Gefahr geraten, von ihrer eigenen Bevölkerung zur Verantwortung gezogen zu werden." Gerade
auf dem Gebiete der Sozialpolitik sind wir durch das „Dritte Reich" in eine Situation hineingekommen, die es sehr schwierig macht, die Dinge alle in Ordnung zu bringen. Die Verantwortung nun aber auf unseren Bundesarbeitsminister abwälzen zu wollen, das ist doch ein sehr starkes Stück!
Ich meine, wenn es all den Einrichtungen, die ich vorhin genannt habe, in all den Jahren, die hinter uns liegen, nicht gelungen ist, eine entsprechende Konstruktion zu finden und zu formen, dann sollte man es nicht tragisch nehmen, wenn der Beirat bisher in den zwei Jahren erst bis zu dem gekommen ist, was der Herr Arbeitsminister hier vorgetragen hat. Ich weiß nicht, meine sehr verehrten Kollegen von der Opposition, ob Sie heute den Mund so voll genommen hätten, wenn einer Ihrer Herren an der Stelle des Herrn Arbeitsministers säße.
Alle diejenigen, die sich in den hinter uns liegenden Jahren seit 1945 — dazu rechne ich Preller, dazu rechne ich Pohle, dazu rechne ich auch Schellenberg — eingehend mit all den Dingen auf sozialpolitischem Gebiet beschäftigt haben, die wissen um die Schwierigkeit dieser Fragen. Daher soll man nicht Menschen, die sich in dieser Richtung mit Ernst bemüht haben und weiter bemühen, mit solchen Formulierungen anreden, wie es hier geschehen ist.
Ich glaube, wenn wir die Diskussion um diese Dinge in einer etwas anderen Atmosphäre geführt hätten, wären wir weiter gekommen. Gestern habe ich gehört, daß Herr Professor Schellenberg davon gesprochen hat, wir sollten weniger reden und mehr arbeiten.
Wenn, meine ich, der Herr Professor Schellenberg von dieser seiner Auffassung heute Gebrauch gemacht hätte und wir hätten uns, statt hier zu reden, im Ausschuß für Sozialpolitik auf den Hosenboden gesetzt und wären an die Arbeiten, die wir im Ausschuß schon vorliegen haben, herangegangen,
dann, meine sehr verehrten Damen und Herren, glaube ich, wären wir weiter gekommen!
Wir hätten die Dinge, die heute hier im Interesse der Rentner und auch im Interesse der Öffentlichkeit besprochen worden sind, in einem kürzeren Zeitraum erledigen können; dann wären wir mit unserer Arbeit hier zeitlich fertig gewesen und hätten an die richtige Arbeit herangehen können, von der Herr Professor Schellenberg gestern gesprochen hat.
Ich glaube, daß Frau Finselberger in ihren Schlußausführungen den richtigen Ton gefunden hat, und zwar, daß wir, nachdem wir diese Dinge
jetzt im einzelnen besprochen haben, nun gemeinsam an die Arbeit gehen sollen, die berechtigten Anliegen der Rentner so bald wie möglich in Ordnung zu bringen. Das ist auch meine Auffassung, und ich bin der Meinung, daß der Herr Arbeitsminister mit seinen Mitarbeitern uns dabei zur Seite stehen wird.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Korspeter.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Im Rahmen der heutigen Debatte möchte ich noch zu einer Teilfrage Stellung nehmen, die auch von der Regierungskoalition als eine sozialpolitische Ungerechtigkeit erklärt worden ist und von der wir einmal wissen möchten, wie sie einer Regelung zugeführt werden soll. Ich hätte das Wort nicht ergriffen, wenn der Herr Bundesarbeitsminister heute davon gesprochen hätte oder wenn er überhaupt bei der Aufzählung der Probleme, die der Beirat bewältigen soll, etwas dazu gesagt hätte.
Wir sind uns alle darin einig, daß sich eine Sozialreform nicht in der Erhöhung der Altrenten erschöpfen kann, so wichtig diese Frage auch ist. Wir stehen noch vor einer Reihe anderer Regelungen auf diesem Gebiet, und da ist es ganz besonders eine Frage, von der die Frauen betroffen sind, die zweifellos einen Rechtsanspruch auf Leistungen besitzen, der aber nach den heute bestehenden gesetzlichen Regelungen nicht realisiert ist. Wir alle wissen, daß die augenblickliche Regelung draußen bei dem davon betroffenen Personenkreis eine große Verbitterung ausgelöst hat. Deshalb wären wir dem Herrn Bundesarbeitsminister sehr dankbar gewesen — ich nehme an, auch die Frauen, die darauf warten, daß sie endlich einmal von einer anderen Regelung etwas hören —, wenn er uns im Laufe dieser Debatte hätte sagen können oder sagen wollen, wie er diese Frage einmal zu regeln gedenkt und wie er dafür sorgen will, daß dieser Rechtsanspruch realisiert wird.
Es handelt sich um den § 21 Abs. 5 des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes, das im Frankfurter Wirtschaftsrat verabschiedet wurde und in dem auf Grund einer finanziellen Zwangssituation eine Regelung getroffen wurde, die niemanden von uns befriedigen konnte. Wir stellten bereits in der ersten Legislaturperiode einen entsprechenden Antrag, der aber nicht zu der gewünschten Änderung führte, da sich die Mehrheit des Hauses dagegen entschied. Deshalb sehe ich mich veranlaßt, heute im Auftrage meiner Fraktion angesichts dieser Debatte noch einmal zu dieser Gesetzesregelung Stellung zu nehmen und ihre sozialpolitische Ungerechtigkeit darzustellen in der Hoffnung, daß sich der Herr Bundesarbeitsminister auch mit dieser Frage befaßt und Überlegungen anstellt, wie sie einer gerechten Lösung entgegengeführt werden kann;
Beim § 21 Abs. 5 des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes handelt es sich um die Witwenversorgung der Invalidenversicherung und um den bekannten Stichtag vom 31. Mai 1949. Dahinter steckt für ungefähr 320 000 Witwen, deren Ehemänner in der Invalidenversicherung versichert waren, eine außerordentlich große Härte. Nachdem das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz die unterschiedliche Witwenversorgung in der Ange-
stellten- und in der Invalidenversicherung grundsätzlich beseitigt hatte — jeder muß anerkennen, daß das eine dringend notwendige Regelung war, da früher Unterschiede zuungunsten der Witwen der Invalidenversicherten bestanden —, blieb diese ungerechte Regelung noch weiterhin für die Witwen bestehen, deren Ehemänner bereits vor dem 31. Mai 1949 verstorben sind. Sie erhalten nicht, wie jetzt alle anderen Witwen sowohl aus der Invaliden- wie aus der Angestelltenversicherung, die unbedingte Witwenrente, d. h. sofort nach dem Tode des Ehemannes ohne jede Voraussetzung, sondern sie müssen noch die besonderen Voraussetzungen erfüllen, die früher ganz allgemein für die Witwen der Invalidenversicherung bestanden. Sie müssen also entweder selbst erwerbsunfähig sein oder das 60. Lebensjahr vollendet haben oder vier Kinder gehabt haben, ehe sie Anspruch auf eine Witwenrente haben.
Die Bestimmung, wonach diese Witwen, deren Ehemänner vor dem 31. Mai 1949 verstorben sind, schon vom 60., nicht erst vom 65. Lebensjahr ab die Witwenrente erhalten, beruht auf einem Kompromiß, der damals auf Grund eines Antrages der SPD im Frankfurter Wirtschaftsrat bei der Verabschiedung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes angenommen wurde. Aber, meine Herren und Damen, es war ein mehr als bescheidener Kompromiß. Wir stellten deshalb im Dezember 1952 hier in diesem Hause noch einmal den Antrag, wenigstens den Witwen, deren Männer vor dem 31. Mai 1949 verstorben sind, das Witwengeld zu geben und die Einschränkung dieses ungerechten Stichtages aufzuheben, sofern sie das 40. Lebensjahr erreicht haben. Dieser Antrag wurde von der Mehrheit des Hauses, und zwar aus finanziellen Gründen, nicht etwa weil man die sozialpolitische Situation nicht anerkannt hätte, abgelehnt. Ich glaube, diese Ablehnung ist kaum verständlich für die davon betroffenen Witwen und auch für diejenigen, meine Herren und Damen, deren sozialpolitisches Gerechtigkeitsgefühl dadurch verletzt wurde, zumal sich diese Regelung in vielen Fällen als geradezu widersinnig erwies.
Erschwerend kommt noch hinzu — auch das möchte ich in diesem Zusammenhang sagen —, daß alle Kriegerwitwen, deren Ehemänner invalidenversichert waren, unter diesen Stichtag fallen; sie bleiben nach der augenblicklichen Regelung ohne Witwenrentenanspruch aus der Sozialversicherung, bis sie selbst entweder das 60. Lebensjahr vollendet haben oder erwerbsunfähig sind. Hinzu kommt weiter, daß sie keinen Rechtsanspruch auf Rentner-Krankenversicherung haben, so daß sie doppelt geschädigt sind.
Wir stehen jedenfalls auf dem Standpunkt, daß das völlig unmöglich ist. Wir werden in der kommenden Sozialreform darauf zu achten haben, daß dieser Stichtag, der damals aus einer 'Zwangssituation heraus eingeführt wurde, für die Zukunft nicht bestehen bleiben kann. Es handelt sich gewiß um einen Teilbereich innerhalb unserer Sozialleistungen: aber es ist eine bedeutsame Frage und betrifft Hunderttausende von Frauen, die auf eine Lösung warten.
Außerdem entsteht aber auch noch die Frage, ob man bereit ist. für gleiche Beiträge die gleichen Leistungen zu sichern und zu gewähren. Herr Kollege Atzenroth hat vorhin gesagt, es sei eine Selbstverständlichkeit, eine solche Regelung zu treffen. Aber hier ist ein Schulbeispiel dafür, daß wir eben für gleiche Beiträge nicht die gleichen
Leistungen gewähren. Da muß eine gerechte Lösung gefunden werden.
Eine weitere Frage ist die des § 1279 der Reichsversicherungsordnung. Auch hier sind wir im Bundestag bei einer Regelung, die die sozialdemokratische Fraktion beantragt hatte, auf halbem Wege steckengeblieben, so daß die Lösung in keiner Weise befriedigt.
Diese Frage hängt eng zusammen mit den gegenseitigen Anrechnungen beim Bezug mehrerer Renten. Es ist vorhin schon von meinem Kollegen davon gesprochen worden, welche Verbitterung bei dem davon betroffenen Personenkreis hervorgerufen wurde, wenn wir Rentenerhöhungen durchführten, dabei aber die zweite Rente, die ein Rentner bezog, wieder anrechnen ließen. Wie oft wurde von den Betroffenen zum Ausdruck gebracht, sie fühlten sich dadurch betrogen, daß ihnen mit der einen Hand gegeben und mit der anderen wieder genommen werde. Auch hier würden wir gern hören, welche Vorstellungen über diese Anrechnungsfragen bestehen. Man kann diese Seite unserer Sozialleistungen nur dann regeln, wenn man bereit ist, Renten zu gewähren, die dem Rentner wirklich eine Existenzsicherung bieten. Wir hoffen, daß bei der kommenden Sozialreform die genannten sozialpolitischen Ungerechtigkeiten, von denen besonders die Frauen betroffen sind, beseitigt werden. Grundsatz und Ziel all unserer sozialpolitischen Überlegungen und Maßnahmen muß dabei das Wohlergehen der Menschen sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Odenthal. — Er verzichtet.
Dann hat das Wort der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur einige Klarstellungen, damit keine Irrtümer entstehen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat mich bezüglich der Finanzierung der Rentenzulagen sehr mißverstanden. Ich habe das Stenographische Protokoll hier vorliegen. Danach habe ich erklärt, daß Änderungen im Währungsgefüge nach Auffassung unserer Fraktion grundsätzlich aus dem allgemeinen Steueraufkommen zu decken sind, was dem einstimmigen Beschluß des Hauses auf Grund des CDU-Antrages vom 22. Februar 1951 entspricht.
Ich habe aber weiter erklärt, daß wir uns ein Urteil darüber bilden wollen, ob und inwieweit die Rentenversicherung ganz oder teilweise an der Aufbringung der Mittel für die Altrentenerhöhung beteiligt werden kann, und ich habe deshalb den Herrn Bundesarbeitsminister um Vermögensübersichten gebeten. Ich habe drittens erklärt:
Es darf durch diese Finanzfragen die tatsächliche Auszahlung der Erhöhungen nicht verzögert werden; denn die schnelle Durchführung
der Erhöhungen ist eine sozialpolitische Notwendigkeit.
Ferner habe ich gesagt:
Die sozialdemokratische Fraktion wird über die Finanzierung erst eine Entscheidung treffen, wenn wir die Vermögensunterlagen, die beim Bundesarbeitsministerium vorliegen müssen, erhalten haben.
Nun noch etwas anderes. Der Herr Bundesarbeitsminister hat über die von ihm beabsichtigte
Gestaltung der Erhöhung der Altrenten hier keine genaue Auskunft gegeben. Er hat sich darauf berufen, daß es in unserer Anfrage nur heißt: Wann wird der entsprechende Gesetzentwurf vorgelegt? Ich bedauere eine solche formale Auffassung des Herrn Bundesarbeitsministers. Nachdem der Herr Bundesarbeitsminister, wie ich bereits durch einen Zwischenruf zum Ausdruck gebracht habe, in der Öffentlichkeit vielfach über Altrentenerhöhung gesprochen hat, wäre es seine Verpflichtung gewesen, heute hier Klarheit zu schaffen,
weil Millionen von Rentnern über diese Dinge, wie wir alle wissen, im unklaren sind. Ich muß sagen: ich gehe von dieser Aussprache und nach der Auskunft, die der Herr Minister gegeben hat, unbefriedigt wieder an die laufende Arbeit, weil ich den Menschen draußen keine Mitteilung machen kann.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat erklärt, ich sei in der Sitzung des Verbandes der Rentenversicherungsträger gewesen. Da habe er einen Vortrag gehalten, und die Rentenversicherungsträger hätten seine Konzeption erfahren. Ich darf dazu folgendes feststellen. In dieser Sitzung fand auf ausdrücklichen Wunsch der Veranstalter oder des Vortragenden — das weiß ich nicht genau —
keine Aussprache statt,
und es war noch nicht einmal die Möglichkeit gegeben, eine Frage an den Herrn Bundesarbeitsminister oder die Beteiligten zu stellen.
Das sind die Tatsachen.
— Herr Sabel, ich glaube mich nicht zu täuschen.
Auf Grund einer Vereinbarung — das muß man im Protokoll dieser Veranstaltung nachlesen — bestand damals keine Fragemöglichkeit. Deshalb habe ich diese Fragen, die eine große praktische Bedeutung für die Rentner haben, was niemand bestreiten kann, heute gestellt. Ich muß feststellen, daß diese Fragen leider nicht beantwortet worden sind.
Wir wissen nicht, ob man mit durchschnittlich 30 DM Erhöhung rechnet; wir wissen nicht, welcher Personenkreis nun wirklich in Frage kommt; wir wissen nicht, von welchem Zeitpunkt an nach Auffassung des Ministers das praktisch durchgeführt werden soll. Das ist außerordentlich bedauerlich.
Nun noch ein Wort zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Atzenroth. Herr Dr. Atzenroth hat bedauert, daß ich so von konkreten Dingen der Sozialversicherung gesprochen habe, die gewissermaßen Kleinigkeiten seien, und nicht über große Zielsetzungen. Ja, meine Damen und Herren, was sollen wir denn eigentlich tun? Wenn wir Sozialdemokraten hier im Bundestag Zielsetzungen grundsätzlicher Art entwickeln, dann hält man uns entgegen: Ach, ihr entwickelt eine Zukunftsmusik, Pläne für die nächsten Jahre und Jahrzehnte! Wenn wir dann konkrete Fragen aufwerfen, mit denen sich das Haus beschäftigt hat und die, wie wir wissen, leider noch nicht erledigt sind, dann
sagt man: Na, ihr sprecht ja bloß von solchen praktischen Kleinigkeiten!
Ich glaube, meine Herren, wir Sozialdemokraten haben heute hier im Hause sowohl grundsätzliche Fragen aufgeworfen. Das war gewissermaßen die Arbeitsteilung zwischen meinem Freund Preller und mir —; er hat die grundsätzlichen Fragen der Sozialreform aufgeworfen, und ich habe die praktischen nächsten Schritte für die Reform der Sozialversicherung aufgezeigt und den Minister gebeten, dazu Stellung zu nehmen. Er hat das leider nicht getan.
Meine Damen und Herren, noch ein Wort zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Arndgen. Herr Kollege Arndgen, Sie haben davon gesprochen — ich möchte das ganz offen sagen —, daß auch ich im Jahre 1946 gewisse Dinge über Sozialversicherung geäußert habe. Selbstverständlich haben wir alle gelernt, der Herr Minister und auch ich. Ich habe heute nicht vorgetragen, was der Herr Minister im Jahre 1947 über die Gestaltung der Sozialversicherung gesagt hat; da waren unsere Auffassungen einander wohl wesentlich näher, als sie es heute sind.
Das habe ich nicht gesagt. Ich habe Stellung genommen zu den Dingen, die der Herr Minister in der letzten Zeit ausgesprochen hat. Darüber müssen wir doch wohl hier im Hause Klarheit haben. Im übrigen, Herr Kollege Arndgen, haben Sie beanstandet, daß wir Sozialdemokraten zur Frage der Inanspruchnahme aus den Mitteln der Rentenversicherung hier im einzelnen gesprochen haben, und haben das gewissermaßen bedauert. Herr Kollege Arndgen, ich darf Sie an folgendes erinnern. Ich habe den Minister gefragt, wie sich der Wandel in der Auffassung des Bundesarbeitsministeriums seit dem 11. Juni 1953 bis jetzt erklärt. Auch darüber hat der Herr Minister keine Aufklärung gegeben. Er hat dazu geschwiegen. Das bedauere ich außerordentlich.
Im übrigen, Herr Kollege Arndgen, hat niemand von uns die Schwierigkeiten bei der Gestaltung sozialpolitischer Maßnahmen, die in den Jahren des Aufbaus überwunden werden mußten, bestritten. Jeder von uns — auch wir Sozialdemokraten in den Ländern und Gemeinden — hat das seine getan, um die sozialen Dinge damals möglichst in Ordnung zu bringen. Wir kennen die Probleme und Schwierigkeiten. Was wir dem Herrn Minister zum Vorwurf machen, ist, daß er immer wieder die Sozialreform als in naher Zukunft durchführbar bezeichnet hat und daß dann in dieser Hinsicht nichts Konkretes geschehen ist. Diese Tatsachen kann man doch nicht bestreiten. Das wurde doch von vielen Seiten des Hauses heute genau so wie von unserer, der sozialdemokratischen Seite kritisiert.
— Herr Kollege Arndgen, Sie wissen genau so gut wie wir alle, daß wir Sozialdemokraten uns sehr rege und tüchtig an den Ausschußarbeiten beteiligen. Das werden Sie niemals bestreiten können. Aber grundsätzlich — grundsätzlich! — sind Ausschußarbeiten nicht öffentlich. Nachdem der Herr Minister diese Fragen, insbesondere die Frage der Erhöhung der Altrenten, in der Öffentlichkeit angesprochen hat, darf darüber nicht nur in Ausschüssen oder sonstwo vertraulich verhandelt werden,
sondern es muß vor der gesamten Öffentlichkeit klargestellt werden, welche Maßnahmen geplant sind und wann sie durchgeführt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Schüttler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem eben Frau Kollegin Korspeter doch wieder ein Teilproblem vorgetragen hat, ist es fast unmöglich, dazu von unserer Seite nichts zu sagen. Es könnte sonst der Anschein erweckt werden, als ob uns diese Frage, das Teilproblem der Witwenversorgung in der Invalidenversicherung, kalt ließe und wir darüber zur Tagesordnung übergingen, ohne diese Menschen in unsere sozialpolitische Betrachtung einzubeziehen. Wir haben die gleiche Frage schon im alten Bundestag einmal behandelt. Es stimmt, daß von der SPD der Antrag vorlag, die Gleichschaltung, die im Anpassungsgesetz von 1949 nicht erfolgte, zu vollziehen. Ich habe damals von diesem Podium aus gegen diesen Antrag gesprochen. Das geschah nicht aus dem Grunde, weil uns das Schicksal dieser Witwen nicht am Herzen liegt. Ich habe schon im letzten Jahr bei allen Gelegenheiten immer wieder in den Vordergrund gestellt, daß hier endlich etwas getan werden muß, weil wir das Gefühl haben, daß hier sicherlich ein Unrecht vorliegt. Eine Terminsetzung schließt immer eine Härte in sich.
Aber ganz so einfach, Frau Korspeter, liegen die Dinge nun doch nicht. Wir können auch darüber sprechen. Doch wird man uns immer wieder sagen, das sei damals nicht aus finanziellen Erwägungen geschehen. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, daß 230 Millionen DM auf dem Spiele standen, die wir damals im Etat einfach nicht unterbringen konnten. So zwangen uns die Realitäten, diese Haltung einzunehmen. Das besagt natürlich nicht, daß es nun für alle Zukunft so bleiben muß. Schon in Frankfurt waren die gleichen finanziellen Beweggründe für die damalige Gesetzesfassung maßgebend. Wenn damals die Mittel zur Verfügung gestanden hätten, hätte sich der Gesetzgeber wahrscheinlich entschlossen, den Termin nicht auf den 31. Mai oder den 30. Juni festzulegen, sondern alle Witwen, gleichgültig ob der für sie maßgebende Stichtag vorher oder nachher liegt, einzubeziehen.
Nun haben Sie, Frau Korspeter, eben gesagt: Für gleiche Beiträge gleiche Leistungen. Eigentlich ist für diese sozialpolitische Maßnahme nie eine Beitragsleistung erfolgt; sie ist auch nie erwogen worden. Erst nach der Erhöhung der Beiträge von 5,6 auf 10 % sah man die Möglichkeit, daß es bei diesem Beitragsaufkommen denkbar sei, die
Gleichschaltung mit der Angestelltenversicherung vorzunehmen. Es stimmt also nicht ganz, wenn nun gesagt wird, daß für die gleiche Leistung der eine die Rente bekommt und der andere nicht. Auch ich und, wie ich glaube, fast durchweg die Freunde meiner Fraktion empfinden die Tatsache als drückend, daß eine Witwe mit 58 Jahren keine Rente bekommt, während eine Witwe mit 30 oder 35 Jahren ihre Rente nach dem Anpassungsgesetz erhält. Sicherlich streben wir genau wie Sie danach, die Mittel zu beschaffen, um wenigstens den größten Härten entgegentreten zu können. Gerade heute haben wir in einem engeren Kreis darüber gesprochen, wenn auch dieses Thema eigentlich nicht zum Thema unserer heutigen Debatte gehört. Wir haben auch versucht, einen Weg zu finden, um wenigstens vorerst einmal die größten Härten zu beseitigen. Ich glaube, bei gutem Willen läßt sich auch ein Weg finden. Ob wir aber gleich eine Gesamtlösung durchführen und die 230 Millionen DM aufbringen können, wird eine Frage sein, die man ernstlich überlegen muß. Aber wenn wir einen Schritt weitergehen — Sie sind ja damals auch zu einer erneuten Terminstellung gekommen — und wenn wir eine Terminstellung finden, auf Grund deren wenigstens die drückendsten Härten beseitigt werden können, werden wir gemeinsam auch das Ziel erreichen, nämlich die Gleichstellung der Witwen, und wir werden dadurch dieses draußen im Lande wirklich sehr stark empfundene Unrecht beseitigen. Wie gesagt, wir müssen vor allen Dingen die Mittel haben. Wenn wir große Ausgaben für andere Zwecke machen, bleibt eben für die sozialpolitischen Maßnahmen zu wenig übrig.
Wir sollten bei der Bewilligung des gesamten Haushalts — da möchte ich auch an Sie appellieren! — immer daran denken, daß wir dem Ärmsten zuerst helfen wollen. Ich glaube, wenn diese Einstellung überall vorhanden gewesen wäre, hätten wir noch manche Summe zur Verfügung gehabt, um auf sozialpolitischem Gebiet etwas mehr zu tun.
Meine Fraktion ist ernstlich bemüht, dieses Problem zu lösen, und wir glauben, daß wir zu einem Ergebnis kommen werden, das brauchbar ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Preller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will Sie gar nicht mehr lange aufhalten, sehe mich jedoch genötigt, auf einige Ausführungen insbesondere des Herrn Bundesarbeitsministers näher einzugehen. Zunächst aber möchte ich Herrn Dr. Atzenroth erwidern. Er hat ja an uns die Frage gestellt, weshalb wir keine positiven Vorschläge gebracht hätten. Ich antworte kurz: Zunächst einmal war es der Sinn dieser Großen Anfrage, aus der Regierung das herauszuholen, was Sie selbst auch herausholen wollen: Wie ist der Standpunkt der Regierung zu dieser uns alle bewegenden Frage? Im übrigen habe ich vor zwei Jahren bei der Beratung des Antrags betreffend die Soziale Studienkommission unsere Auffassung ungefähr entwickelt. Außerdem — und darauf mache ich Sie aufmerksam, Herr Atzenroth — habe ich heute acht Punkte genannt, von denen ich glaube, daß sie bei einer solchen Sozialreform von Bedeutung sind, und ich glaube, daß die in diesen Punkten genannten Anliegen durchgeführt
werden müssen. Vielleicht war Ihnen dies entgangen.
Zweitens. Sie hatten hinsichtlich der Altrenten ausgeführt, daß es sich nach Ihrer Auffassung um eine Art Fürsorge handle. Ich möchte das von unserer Seite nicht unwidersprochen lassen, und zwar deshalb, weil wir der Auffassung sind, daß diese Altrentenerhöhung eine Art Wiedergutmachung oder Aufwertung, wenn Sie wollen, darstellt. Diese Aufwertung ist allerdings immer ein Rechtsanspruch gewesen. Das möchte ich nur kurz herausstellen.
Nun aber zum Herrn Bundesarbeitsminister! Ich bedauere — und das betone ich —, daß er nicht da sein kann. Er hat sich bei uns entschuldigt, daß er jetzt zu irgendeiner Sitzung gehen müsse und daß er diese Sitzung leider nicht mehr aufschieben könne. Dem Herrn Bundesarbeitsminister ist es beinahe in den falschen Hals gekommen, daß ich einen Zwischenruf gemacht habe. Ich möchte deshalb doch einmal aus dem Protokoll rekapitulieren. Er hatte gesagt, bei dem Beirat sei dieser Wunsch — nämlich nach einem Arbeitsplan und nach Unterausschüssen — erst in letzter Zeit gereift, und ich hatte dazwischengerufen: „Ich nehme an, daß das nicht stimmt". Wenn der Herr Bundesarbeitsminister sich dadurch beleidigt gefühlt hat, nehme ich das gern zurück. Aber ich habe unterdessen von seiner sofort gegebenen Genehmigung Gebrauch gemacht, das Stillschweigen zu durchbrechen und mich zu erkundigen, wie die Dinge gewesen sind. Nun habe ich allerdings festgestellt, daß ich recht gehabt habe: der Wunsch nach einem Arbeitsplan und nach Unterausschüssen ist bereits in der allerersten Sitzung des Beirats vor über einem Jahr geäußert worden. Ich habe also mit meinem Zwischenruf absolut recht gehabt, und der Bundesarbeitsminister hat sich offensichtlich geirrt.
Ferner möchte ich folgendes feststellen. Der Beirat ist im Februar 1952 beschlossen worden. Er ist zufällig ein Jahr später, im Februar 1953, gebildet worden. Die Arbeitsausschüsse sind im Februar 1954 gebildet worden. Ich habe mir dazu am Rand bemerkt — ich gebe zu, daß das etwas übertrieben ist —: Das Ergebnis werden wir 1980 haben, wenn wir in dieser Weise fortfahren.
— Das ist ein bißchen übertrieben, das gebe ich ohne weiteres zu. Aber immerhin, in diesem Tempo können wir nicht fortfahren; ich glaube, da stimmen wir alle überein. Wir sollten uns alle miteinander Mühe geben, das, was sich aus der gesamten Disskussion als unser gemeinsames Anliegen ergeben hat, auch gemeinsam durchzuführen.
Wenn ich die Debatte überschaue, dann scheint es so, als ob tatsächlich die Altrentenerhöhung das einzige Konkrete — wenn auch noch nicht sehr konkret formuliert, aber immerhin doch das einzige in kürzerer Zeit Greifbare — ist, was man heute genannt hat. Diese Altrentenerhöhung ist ein Teil der Gesamtsozialreform, und das sollten wir niemals vergessen.
— Sicher müssen wir anfangen, Herr Albers. Aber ich glaube, auch einigermaßen das, was in Ihren Ausschüssen geschehen ist, überschauen zu können. Sie sind wie wir — und das wissen wir beide ganz genau — der Auffassung, daß man auch dadurch, daß man etwas präjudiziert, eine Gesamtreform
fragwürdig machen kann, und das möchten wir allerdings gemeinsam vermeiden. Wir müssen sehen, daß es sich um ein Gesamtproblem handelt und daß wir alle Teile in diese Gesamtheit einfügen. Dazu gehört — und deswegen habe ich es hier noch einmal gesagt — als erstes die Vorstellung, wie die Gesamtreform auszusehen hat, damit der Teil, den wir vorwegnehmen müssen — da sind wir ganz einer Meinung —, nicht etwa das Gesamte gefährdet. Ich hoffe, daß wir darin übereinstimmen.
Darum handelt es sich, und ich bitte doch, daß wir alle Polemik beiseite lassen. Herr Arndgen, ich habe Verständnis, daß Sie als getreuer Paladin vor Ihren Minister getreten sind; ich hätte es genau so gemacht, wenn ich in der gleichen Lage gewesen wäre wie Sie; es war nicht sehr schön, was Sie gesagt haben, aber das ist Ihnen alles vergeben und infolgedessen erledigt. Doch Sie können im Innersten Ihres sicher auch roten Herzens
— schwarz-roten, aha! —, im Innern Ihres Herzens sicher nicht verhehlen, daß auch Sie bedauern, nicht bereits vor zwei Jahren begonnen zu haben. Sie brauchen mir nicht zu antworten; das will ich gar nicht.
— Ja natürlich, Herr Winkelheide, wir machen alles im stillen Kämmerlein; aber wir sind ja hier im Parlament. damit die Bevölkerung auch einmal erfährt, was geschieht.
Die Notwendigkeit einer sozialen Reform und der Vorarbeiten dazu ist uns allen seit Jahren, nicht erst seit zwei Jahren, sondern seit vielen Jahren bewußt. Seit dem Zusammenbruch wissen wir, daß den Änderungen in der Sozialstruktur auch soziale Reformen folgen müssen, und um diese wirklich große Frage hat es sich hier gehandelt.
Abschließend würde ich hinsichtlich des Beirates an den Arbeitsminister, wenn er da wäre, einmal die Bitte richten: Geben Sie Meinungsfreiheit! Das ist das erste. Nicht die Bürokratie, sondern die Sachverständigen sollen sprechen. Zweitens: Arbeiten Sie systematisch! Das scheint mir nach allem, was wir besprochen haben, ebenfalls erforderlich zu sein. Drittens: Handeln Sie rasch! Und viertens: Geben Sie Lösungen, die man draußen versteht; denn das ist es, was wir alle erreichen sollten: daß dieses verworrene System einer sozialen Sicherung, das wir in diesen 80 Jahren in Gottes Namen bekommen haben, weil es so gewachsen ist, endlich dem Mann und der Frau, die es angeht, auch verständlich erscheint. Das sollte unser Anliegen sein.
Meine Damen und Herren, es sind keine Redner mehr vorgemerkt. Wünscht noch jemand das Wort? — Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann erkläre ich, daß Punkt 3 der Tagesordnung erledigt ist.
Wir haben noch vier, genauer: noch drei Punkte zu erledigen; ich kann mitteilen, daß eine interfraktionelle Vereinbarung darüber abgeschlossen worden ist, daß Punkt 6 der Tagesordnung — betreffend Beauftragung von Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege mit der nichtgewerbsmäßigen Arbeitsvermittlung zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts — abgesetzt werden soll.
Ich rufe nunmehr, weil es sich um eine rein for-
male Sache handelt, Punkt 7 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und des Rabattgesetzes .
Hier schlägt Ihnen der Ältestenrat vor, die Vorlage ohne Begründung und ohne Debatte unmittelbar an eine Reihe von Ausschüssen zu überweisen. Es sind folgende Ausschüsse: Wirtschaftspolitik, Geld und Kredit, Rechtswesen und Verfassungsrecht, Sonderfragen des Mittelstandes. Werden noch weitere Ausschüsse gewünscht? —
— Dann stelle ich fest, daß das Haus mit dieser Regelung dieses Punktes der Tagesordnung einverstanden ist.
Nunmehr rufe ich auf Punkt 4 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. Juni 1953 über den Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 8. Dezember 1923 mit seinen Abänderungen ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten (Drucksache 218).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Siemer. Verzichtet das Haus auf mündliche Berichterstattung? —
— Herr Berichterstatter, sind Sie einverstanden?
— Sie verzichten nicht auf Berichterstattung? Dann erteile ich dem Berichterstatter das Wort zur Berichterstattung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten hatte in seiner 4. Sitzung vom 11. Januar 1954 eine Aussprache über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. Juni 1953 über den Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 8. Dezember 1923. Das Ergebnis der Ausschußberatungen liegt Ihnen in Drucksache 218 vor. Zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten waren die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen in einem Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag geregelt, der seit dem 8. Dezember des Jahres 1923 bis zum Ausbruch der Feindseligkeiten mit unwesentlichen Abänderungen aus den Jahren 1925 und 1935 Geltung hatte. Dieser Vertrag war also sowohl vor wie auch während der nazistischen Zeit in Geltung. In den letzten Jahren nach der Kapitulation war insbesondere der Wunsch beider Regierungen, den Vertrag baldmöglichst wieder in Kraft zu setzen, wiederholt bekundet worden. Einverständnis wurde darüber während des Kanzlerbesuches im vorigen Jahr in den USA erzielt. Durch ein Interims-
abkommen wurde nunmehr am 3. Juni des Jahres 1953 die Unterzeichnung in Bonn vorgenommen. Das Abkommen liegt Ihnen gleichzeitig vor.
Nun bestimmt das Grundgesetz in Art. 59 Abs. 2, daß Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes bedürfen. Mit dem Abkommen der Bundesregierung vom 3. Juni 1953 wird der Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika wieder in Kraft gesetzt. Der Status, den die Vereinigten Staaten in Deutschland einerseits haben und der sich aus der besonderen Lage der Bundesrepublik ergibt, wurde durch besondere Erklärungen, die diesem Abkommen beigelegt sind, ausgenommen bzw. festgelegt. In diesen Erklärungen wurde erstens zugesagt, daß mit dem Tage des Inkrafttretens des Interimsabkommens weitere Beschlagnahmungen an deutschem Eigentum und Vermögen aufhören sollten. Das gilt vom 17. April 1953 an. Andererseits verpflichtete sich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, sich nicht auf die Bestimmungen des Art. I Abs. 4 des Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrages zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten vom Jahre 1923 zu berufen, um die Rückgabe der in der Zeit zwischen dem 11. Dezember 1941 und dem Inkrafttreten des nun unterzeichneten Abkommens oder dem Inkrafttreten der Verträge vom 26. Mai 1952, also hier des in Bonn unterzeichneten Deutschland-Vertrages, je nachdem, welcher Zeitpunkt früher liegt, von der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika
) enteigneten deutschen Vermögenswerte zu erwirken. Das war der erste Ausnahmefall.
Zweitens wurde in dem Abkommen weiter zugesagt, daß die Bestimmungen des Art. VI des Freundschaftsvertrages vom Jahre 1923 durch Kündigung außer Kraft gesetzt werden sollten. Im übrigen trat der Freundschaftsvertrag von 1923 wieder unverändert in Kraft.
Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten hält den Vertrag für sehr bedeutsam. Neben der stärkeren Pflege politischer, wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen kommt die Wirkung dieses Freundschaftsvertrages den deutschen wie den amerikanischen Wirtschaftskreisen besonders zugute. Die bisherigen Einreiseschwierigkeiten werden behoben. Eigentumserwerb deutscher Kaufleute in USA ist wieder möglich. Der längerfristige Aufenthalt deutscher Kaufleute in USA ist durch das Treaty Merchant Visum nach dem Freundschaftsvertrag bedeutend erleichtert worden. Dieser Freundschaftsvertrag ist zwar nur eine Art Präliminarvertrag für einen neuen Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika; denn beide Regierungen sind übereingekommen, den alten Vertrag alsbald durch einen zeitgemäßen umfassenden neuen Vertrag zu ersetzen. Wie uns mitgeteilt worden ist, haben die Verhandlungen darüber bereits begonnen.
In USA hat der Senatsausschuß für auswärtige Angelegenheiten der Vereinigten Staaten das Abkommen bereits gebilligt. Der Bundesrat hat in seiner 113. Sitzung vom 17. Juli 1953 ebenfalls beschlossen, gegen die Vorlage keine Einwendungen zu erheben. Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, für den ich Bericht zu erstatten habe, faßte ebenfalls den einstimmigen Beschluß,
dem Hohen Hause die Annahme des Gesetzentwurfs — Drucksache 71 — unverändert nach der Vorlage zu empfehlen.
Vizepräisident Dr. Schmid: Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe auf zur zweiten Beratung des Gesetzes. Art. I. — Keine Wortmeldungen. Art. II, — Art. III, — Art. IV, — Einleitung und Überschrift. — Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Lütkens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt die Inkraftsetzung des alten FreunschaftsHandels- und Konsularvertrags mit den Vereinigten Staaten von 1923. Sie glaubt, daß sie den nachbarlichen Beziehungen zu der großen Republik jenseits des Wassers förderlich sein wird, die uns sowie allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses, wie ich meine, am Herzen liegen.
Für die Verhandlungen über eine Neufassung des Vertrags, die vorgesehen sind, sind von meiner Fraktion einige Wünsche vorzutragen. Das wird noch ein anderer Sprecher meiner Fraktion tun. Ich beschränke mich auf einige Bemerkungen zu der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 3. Juni 1953, die Sie auf Seite 7 der Drucksache '71 vorfinden.
Mit der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers und damit wohl auch der Bundesregierung wird darauf verzichtet, die Rückgabe des in den Vereinigten Staaten beschlagnahmten deutschen Vermögens mit Berufung auf den alten Freundschaftsvertrag von 1923 zu erwirken. Ich darf Ihnen den Art. I Abs. 4 dieses alten Vertrages in abgekürzter Form vorlesen: „Die Staatsangehörigen . . . sollen Schutz und Sicherheit für Person und Eigentum durchaus erhalten" — „most constant protection and security", wie es im englischen Text heißt — „und sollen ... in dem Umfange Schutz genießen,
I wie das Völkerrecht es vorschreibt." Das Völkerrecht sieht, wie ich hinzufügen darf. nach seiner neueren Entwicklung auch das individuelle Klagerecht von Staatsangehörigen der Unterzeichnerstaaten vor. Der Artikel fährt dann fort: „Ihr Eigentum soll ihnen nicht ohne ordentliches Rechtsverfahren und nicht ohne angemessene Entschädigung genommen werden."
Meine Damen und Herren, ich darf zunächst einige ergänzende Ausführungen zu dem soeben erstatteten Bericht über die Beratungen des Auswärtigen Ausschusses machen. Ich glaube, daß in diesem Bericht unterlassen worden ist, wenn ich mich so ausdrücken darf, Herr Kollege Dr. Siemer, auf einen Teil dieser Beratungen hinzuweisen, der, wie mir scheint, von einiger Bedeutung ist, weil aus ihm klar hervorgeht, daß die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 3. Juni 1953 nicht ein Teil der den gesetzgeberischen Körperschaften jetzt zur Ratifizierung unterbreiteten Vorlage ist. Auf eine Intervention im Auswärtigen Ausschuß hat die Bundesregierung — ich bedauere, daß sie nicht
vertreten ist, wieder einmal nicht, meine Damen und Herren! — —
— Welcher Staatssekretär? Das ist der Staatssekretär eines Ministeriums, aber nicht der des Auswärtigen Amts, das federführend ist. Sie werden sich erinnern, daß vor sechs Wochen dieses Abkommen schon einmal von der Tagesordnung abgesetzt werden mußte, weil kein Vertreter des Auswärtigen Amts in Bonn zu finden war, der die Angelegenheit hätte hier vertreten können.
In dieser Woche ist auf Wunsch des Auswärtigen Amts der Punkt trotz gewisser Schwierigkeiten infolge der Straßburger Verhandlungen auf der Tagesordnung festgehalten worden. Heute stelle ich fest, daß das Interesse des Auswärtigen Amts so groß ist, daß es nicht vertreten ist. Ich verzichte bei der Hoffnungslosigkeit des Falles darauf,
einen Antrag dahin zu stellen, einen Vertreter des Auswärtigen Amts vorzuladen, und überlasse es dem Urteil des Hohen Hauses in seiner Gänze, was für ein Verhalten von dieser Behörde in einem demokratischen Lande hier zur Schau getragen wird.
Ich darf auf das vorhin Ausgeführte zurückkommen. Der Vertreter des Auswärtigen Amts hat in jener Beratung im Auswärtigen Ausschuß ausdrücklich festgestellt, daß der Abdruck der Erklärung vom 3. Juni 1953 nur dokumentarischen Charakter habe, also nur zur Unterrichtung dieses Hohen Hauses und der anderen gesetzgebenden Körperschaften dienen solle und daß er nicht gleichzeitig mit dem uns vorliegenden Abkommen hier zur Ratifikation vorliege.
Ich glaube, die Klarstellung hätte vielleicht in den Bericht aufgenommen werden sollen, und ich sehe, daß der Herr Berichterstatter mir durch Nicken zustimmt. Er wird also mit mir auch darin übereinstimmen, daß es zur Ergänzung dieses Berichts von einiger Wichtigkeit ist, wenn die Erklärungen, die ich Ihnen hier zu diesem Fall abgegeben habe, protokollarisch festgehalten werden.
Meine Damen und Herren, das deutsche Eigentum in den Vereinigten Staaten ist nun entgegen dem Art. I Abs. 4, den ich hier verlesen habe, ohne ein ordentliches Rechtsverfahren, ohne das geheiligte due process of law, das es in den Vereinigten Staate gibt, und auch ohne eine angemessene Entschädigung fortgenommen worden. Unter diesem Vermögen befinden sich sehr viele kleine Vermögensstücke, besonders Nachlässe, viele Verfügungen von Erblassern, von amerikanischen Bürgern, zugunsten deutscher Verwandter. Wenn der Herr Familienminister damals schon eine Institution in diesem Lande gewesen wäre, hätte er vielleicht mit Rücksicht auf diese Verhältnisse einen Einspruch gegen die Erklärung vom 3. Juni erhoben, mit der ich mich hier zu beschäftigen habe. Jedenfalls scheint es mir schwer verständlich, wie eine Regierung ohne zwingenden Grund auf solche rechtlich und moralisch wohlbegründeten Ansprüche verzichten kann, nämlich auf Ansprüche auf deutsches privates Vermögen im Ausland. Solche Vermögensstücke sind durch allgemeine völkerrechtliche Regelungen geschützt. Sie sind in den Vereinigten Staaten durch die amerikanische Verfassung geschützt, die den Grundsatz der Unverletzlichkeit des privaten Eigentums ausdrücklich in sich verankert hat, und sie waren darüber hinaus durch diesen zusätzlichen Rechtstitel geschützt, den der Freundschaftsvertrag von 1923 deutschen Staatsangehörigen und insbesondere und in erster Linie der deutschen Regierung in dieser Hinsicht gab. Es handelt sich um einen Artikel, der nach dem ersten Weltkrieg auf Grund der unerfreulichen Erfahrungen in dieser Eigentumsfrage, die man im ersten Weltkrieg gemacht hatte, auf ausdrücklichen Wunsch und auf Anregung der Vertreter der amerikanischen Regierung in das Abkommen von 1923 eingesetzt worden war.
Die endgültige Enteignung des deutschen Vermögens in den Vereinigten Staaten ist nicht während, sondern nach dem Kriege erfolgt, und zwar durch den War Claims Act. Neuerdings liegt der Öffentlichkeit ein Bericht eines Senatsausschusses unter dem Vorsitz des Senators Dirksen vor, der sich mit den Vorgängen um das deutsche Privateigentum in den Vereinigten Staaten befaßt. In diesem Bericht werden drei Männer, darunter der auch sonst wenig vorteilhaft bekannte Herr H. Dexter White, als die drei Männer dargestellt — und ich darf zitieren —, „die die verursachenden Kräfte dafür waren, daß die Politik der entschädigungslosen Enteignung angenommen wurde, obwohl dies im Gegensatz zu der historischen Politik der Vereinigten Staaten stand". Der Bericht bezeichnet diese drei Männer als Agenten eines bolschewistischen Spionagerings.
Das ist ein offizielles Senatsdokument, auf das ich mich beziehe. Ich darf wohl annehmen, daß der Herr Bundeskanzler, als er die Erklärung unterschrieb, über diese Zusammenhänge noch nicht orientiert war, da er sich sonst doch wohl kaum in solch gefährliche Nachbarschaft begeben haben würde.
In der Tat, meine Damen und Herren, der Gegensatz zu den ehrwürdigen und tief verwurzelten Grundsätzen der amerikanischen Demokratie, der in dieser Behandlung des deutschen Eigentums nach dem letzten Kriege liegt, ist erschreckend. Es ist ein altes Prinzip. Schon in dem Friedensvertrag von 1783, den die eben befreiten Kolonien mit England schlossen, ist entsprechend diesen Grundsätzen der amerikanischen Demokratie ausdrücklich dafür Vorsorge getroffen worden, daß die Eigentumsverpflichtungen gegenüber Kriegführenden aufrechterhalten werden. Und wenige Jahre später, im Jahre 1794 schon, als die dann selbständigen Vereinigten Staaten auf dem Höhepunkt der Krise mit England wegen der Neutralitätsverletzungen den sogenannten Jay-Vertrag abschlossen, gab der bekannte und berühmte Hamilton im amerikanischen Senat folgende Erklärung ab — ich darf sie Ihnen verlesen —:
Keine Macht der Sprache, die mir zur Verfügung steht, kann den Abscheu ausdrücken, den ich bei dem Gedanken empfinde, daß das Eigentum eines Individuums, welches in rechtmäßiger Weise in Friedenszeiten dem Schutz unserer Regierung und unserer Gesetze anvertraut wurde, wegen Streitfragen zwischen Nationen verletzt wird. Nach meiner Ansicht vereinen sich Moral und politische Auffassung in der Verurteilung solcher Maßnahmen.
Ich glaube, wir alle können uns nur darüber
freuen, daß sich in den Vereinigten Staaten seit
Jahren in wachsendem Maße eine Einsicht in die
moralische und rechtliche Bedeutung dieser Frage durchsetzt, und zwar in der Bevölkerung und neuerdings erfreulicherweise auch in den gesetzgebenden Körperschaften, vor allen Dingen im amerikanischen Senat. Man kann nur hoffen, daß diese Tendenz sich durchsetzt, damit das Recht geheilt werde, das Recht, das das Herz der westlichen Welt ist, deren Führerschaft die Vereinigten Staaten als Vorkämpfer zu übernehmen glauben und übernehmen.
Meine Damen und Herren, die Begründung, die der Vorlage beigegeben wird, will glauben machen, es hätte der Inkraftsetzung des Vertrages von 1923 bedurft, und sie wäre nun als ein Erfolg der Reise des Herrn Bundeskanzlers in die Vereinigten Staaten Wirklichkeit geworden. Gegenüber solchen Behauptungen sind allerdings erhebliche Zweifel am Platze. Es ist doch wohl so, daß das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten, der Supreme Court, in der Entscheidung Clark versus Allen diesen Konsular- und Freundschaftsvertrag mit Deutschland vom Jahre 1923 als weiter in Kraft befindlich bezeichnet hat,
soweit nicht einzelne seiner Bestimmungen mit dem Trading-with-the-enemy-Act in Konflikt kämen. Der Trading-with-the-enemy-Act aus dem Kriege deckt aber nicht die Beschlagnahmemaßnahmen, die nach dem Kriege durch den War Claims Act durchgeführt worden sind. Insofern steht nach diesem Urteil Clark versus Allen des Supreme Court fest, daß der Vertrag von 1923 mit Deutschland noch in Kraft ist. Die Haltung des State Department, das auf Grund dieses Vertrags schon im Jahre 1950, also vor der Erklärung über die Beendigung des Kriegszustandes, Konsularvertretungen der Bundesrepublik Deutschland zugelassen hat, beruht implizite auf dem gleichen Standpunkt.
Ich habe zum Schluß nur noch eine Bemerkung zu machen. Damit die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 3. Juni 1953, wie sie auf Seite 7 abgedruckt ist, Wirksamkeit hätte, hätte die in ihr enthaltene Änderung des alten Abkommens in dem uns vorgelegten Abkommen niedergelegt werden müssen. Das ist nicht geschehen. Darüber besteht zwischen der Regierung und allen Fraktionen dieses Hohen Hauses Einstimmigkeit. Die Regierung hat es vielleicht nicht gewagt, diesem Hohen Hause ein zweites Mal offen einen rechtlich unbegründeten Verzicht auf rechtlich wohlbegründete Ansprüche auf deutsches Privateigentum im Ausland vorzulegen. Die Bundesregierung ist darüber hinaus aber nach Art. 14 Abs. 3 des Grundgesetzes zu einem solchen Rechtsverzicht nicht befugt. Denn dieser Artikel bestimmt, daß eine Enteignung nur durch ein Gesetz erfolgen kann, das gleichzeitig die Entschädigung regelt. Das wird in dem uns vorliegenden Fall im übrigen in keiner Weise getan. Die Änderung des Vertrags und dieser Verzicht bedürften staatsrechtlich der Ratifizierung durch den Bundestag und die gesetzgebenden Körperschaften. Diesem Hohen Hause liegt die Erklärung vom 3. Juni, wie ich ausgeführt habe, nicht mehr vor. Unter diesen Umständen kann die amerikanische Regierung die Erklärung vom 3. Juni nicht bona fide annehmen,
und sie kann sich nicht darauf verlassen, daß sie etwa in verfassungsmäßiger Ordnung wäre.
Meine Damen und Herren! Dem Abkommen als solchem wird meine Fraktion auch in dritter Lesung zustimmen, da für das Abkommen und seine sachliche Bedeutung die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 3. Juni 1953 unerheblich ist.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Hammer.
Meine Damen und Herren! Den Freien Demokraten sind bei dem Vortrag des Herrn Kollegen L ü t k e n s im Augenblick einige Bedenken gekommen, und wir haben den Eindruck, daß man doch kaum ohne Anwesenheit von Vertretern des Auswärtigen Amts weiterverhandeln könnte.
Wir machen Ihnen deshalb den Vorschlag, die Beratung so lange auszusetzen. Sollte es wegen der zeitlichen Situation im Augenblick nicht möglich sein, das Erscheinen von Herren des Auswärtigen Amts hier zu erreichen, dann muß die Konsequenz daraus gezogen und bis zur nächsten Tagung gewartet werden.
Wird das Wort zu diesem Antrag gewünscht? — Der amtierende Präsident kann über einen solchen Antrag nicht bestimmen; das Haus muß beschließen. Ich formuliere den Antrag. Sie stellen den Antrag, die Beratung auszusetzen, bis ein Vertreter des Auswärtigen Amts hier erscheint, der in der Lage ist, vor dem Parlament dieses Gesetz zu vertreten.
Ich nehme an, daß Sie nicht damit sagen wollten,
daß wir so lange hier sitzen werden, bis ein befugter Vertreter des Auswärtigen Amtes hier ist.
Ich nehme an, daß Sie, wie das übrige Haus, wohl davon ausgehen werden, daß wir die Beratungen um 18 Uhr abschließen.
- Sie wollen vertagen?
— Sie wechseln also diesen Antrag um in einen Antrag auf Absetzung von der heutigen Tagesordnung.
— Gleichzeitig wird das Haus beschließen, diesen Punkt als Punkt 1 auf die nächste Tagesordnung zu setzen.
Ist das Haus einverstanden? — Wer einverstanden ist, der möge ein Handzeichen geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Behebung der Berufsnot der älteren Angestellten .
Besteht die Meinung, daß dieser Punkt der Tagesordnung bis 18 Uhr erledigt werden kann?
— Herr Horn zur Geschäftsordnung. Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es für völlig unmöglich, daß wir die erste Beratung des vom GB/BHE eingebrachten Gesetzentwurfs zur Behebung der Berufsnot der älteren Angestellten bis um 18 Uhr erledigen können. Wenn zuerst eine Begründung erfolgt und dann die Fraktionen sich an der Debatte beteiligen, ist es ausgeschlossen, daß wir damit bis 18 Uhr fertig werden. Ich würde also beantragen, auch diesen Punkt von der heutigen Tagesordnung abzusetzen und ihn als Punkt 2 auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung zu setzen.
Ich beantrage, diesen Punkt von der heutigen Tagesordnung abzusetzen und auf die nächste Woche zu vertagen.
— Ich habe auch zunächst nichts anderes gesagt als dies.
— Ich beantrage jedenfalls, den Punkt von der heutigen Tagesordnung abzusetzen, weil wir bis 18 Uhr damit nicht fertig werden.
Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich lasse abstimmen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Antragsteller angenommen.
Meine Damen und Herren, ich habe noch bekanntzugeben, daß die für heute vorgesehene Sitzung des Rechtsausschusses nach einer Mitteilung des Herrn Vorsitzenden des Ausschusses ausfällt und morgen vormittag 9 Uhr 30 stattfinden soll.
Damit ist die Tagesordnung erledigt.
Ich berufe die nächste, die 31. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 26. Mai, vormittags 9 Uhr, ein und schließe die 30. Sitzung des Deutschen Bundestages.