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ID0203002800

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  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 30. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Mai 1954 1373 30. Sitzung Bonn, Freitag, den 21. Mai 1954. Geschäftliche Mitteilungen 1374 A Mitteilung und Beschlußfassung über Verzicht auf erneute erste Beratung der Gesetzentwürfe betr. Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit (zu Drucksache 44), Einkommensgrenze für das Erlöschen der Versicherungsberechtigung in der gesetzlichen Krankenversicherung (zu Drucksache 67) und Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (zu Drucksache 68) 1374 B Mündliche Berichterstattung des Ausschusses für Petitionen gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung in Verbindung mit der Beratung der Übersicht 5 über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages betr. Petitionen nach dem Stand vom 7. Mai 1954 (Drucksache 508) 1374 B Frau Albertz (SPD), Berichterstatterin 1374 B Beschlußfassung 1378 B Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Pressepolitische Pläne der Bundesregierung (Drucksache 313; Antrag Umdruck 18) 1378 B Kalbitzer (SPD), Anfragender . . . 1378 B Dr. Schröder, Bundesminister des Innern . . 1380 D, 1396 D, 1400 B, 1401 D Dr. Dresbach (CDU/CSU) 1381 C Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein (FDP) 1385 B Brandt (Berlin) (SPD) 1388 D Feller (GB/BHE) 1392 C Becker (Hamburg) (DP) 1394 D Kühn (Köln) (SPD) 1399 B, 1400 B Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Sozialreform (Drucksache 314) 1402 A Dr. Preller (SPD), Anfragender 1402 A, 1429 B Storch, Bundesminister für Arbeit 1408 A, 1418 A, B Dr. Schellenberg (SPD) 1411 D, 1418 A, 1427 B Dr. Atzenroth (FDP) 1419 C Dr. Elbrächter (DP) 1421 D Frau Finselberger (GB/BHE) . . . 1422 D Arndgen (CDU/CSU) 1424 C Frau Korspeter (SPD) 1426 A Schüttler (CDU/CSU) 1428 C Absetzung der zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Beauftragung von Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege mit der nichtgewerbsmäßigen Arbeitsvermittlung zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Drucksachen 223, 419) von der Tagesordnung 1430 B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Gesetzes betr. die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und des Rabattgesetzes (Drucksache 475) 1430 C Überweisung an die Ausschüsse für Wirtschaftspolitik, für Geld und Kredit, für Rechtswesen und Verfassungsrecht und für Sonderfragen des Mittelstandes . . 1430 C Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. Juni 1953 über den FreundschaftsHandels- und Konsularvertrag zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 8. Dezember 1923 mit seinen Abänderungen (Drucksache 71); Mündlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (Drucksache Nr. 218) 1430 C Dr. Siemer (CDU/CSU), Berichterstatter 1430 D Dr. Lütkens (SPD) 1431 C Dr. Hammer (FDP) (zur Geschäftsordnung) 1433 C Abstimmung 1431 C Weiterberatung vertagt 1433 D Erste Beratung des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Behebung der Berufsnot der älteren Angestellten (Drucksache 346) . . 1433 D Horn (CDU/CSU) (zur Geschäftsordnung) 1434 A Beratung vertagt 1434 C Nächste Sitzung 1433 D, 1434 C Anlage: Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage betr. pressepolitische Pläne der Bundesregierung (Umdruck 18) 1435 Die Sitzung wird um 9 Uhr 9 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid eröffnet.
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    Anlage Antrag der Fraktion der SPD (Umdruck 18) zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Pressepolitische Pläne der Bundesregierung (Drucksache 313) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, zu erklären, daß sie von allen Plänen Abstand nimmt, die geeignet sind, die Unabhängigkeit und die Freiheit der Presse zu beeinträchtigen. Bonn, den 31. März 1954 Ollenhauer und Fraktion
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    Rede von Anton Storch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich einmal die Große Anfrage so, wie sie schriftlich vor mir liegt, beantworten, ohne auf alle die Fragen, die der Herr Professor Preller im Anschluß an die Begründung der Anfrage hier vorgetragen hat, einzugehen.
    Zu Abs. I Ziffer 1 der Großen Anfrage habe ich folgendes zu sagen. Die Arbeiten zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Rentenangleichung werden mit besonderem Nachdruck und in Zusammenarbeit mit den erfahrensten Praktikern der Rentenversicherung durchgeführt. Sie stehen unmittelbar vor dem Abschluß. Es kann damit gerechnet werden, daß der Entwurf nach Durchsprache im Beirat und nach Rücksprache mit den Sozialpartnern und den sonstigen Beteiligten im Juli dieses Jahres dem Kabinett vorgelegt wird.
    Zu Ziffer 2. Der Vorbereitung einer Großen Sozialreform dienen folgende Maßnahmen:
    a) Auf Grund der Verordnung über die Durchführung einer einmaligen Statistik über die sozialen Verhältnisse der Rentner und Unterstützungsempfänger vom 12. August 1953 wird eine statistische Erhebung mit dem Ziel durchgeführt, Unterlagen über die sozialen Verhältnisse der Renten- und Unterstützungsempfänger zu gewinnen. Bei der technischen Durchführung sind zwei Abschnitte zu unterscheiden: In dem ersten Abschnitt werden die Unterlagen rein aktenmäßig erfaßt. In dem zweiten Abschnitt erfolgt eine persönliche Befragung. Innerhalb des ersten Abschnitts sind von allen Stellen, die im Rahmen der Unfallversicherung und Invalidenversicherung, der Angestelltenversicherung, der knappschaftlichen Rentenversicherung, der versicherungsmäßigen Arbeitslosenunterstützung, der Kriegsopferversorgung, der Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen, des Lastenausgleichs, der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung und der öffentlichen Fürsorge Renten oder laufende Unterstützungen gewähren, für eine repräsentative Auswahl aller Empfänger solcher Leistungen auf Grund der Akten Zählblätter anzufertigen. Das heißt mit anderen Worten: Wir wollen alle die Leistungen, die der einzelne oder der einzelne innerhalb seiner Familiengemeinschaft aus diesen 10 Rechtssphären bekommt, zusammenstellen, um zu sehen, wie groß der Kreis derjenigen Menschen ist, die eine einzelne Rente als Lebensgrundlage haben oder die kombinierte Renten zu beanspruchen haben. Diese Auswahl soll etwa auf 5 % der Sozialleistungsempfänger erstreckt werden. Die Zählblätter müssen Angaben über ihre Personalien sowie über die Art und die monatliche Höhe der Sozialleistungsansprüche und der Auszahlungsbeträge enthalten. Die ersten Ergebnisse dieses Teiles der Repräsentativerhebungen sind im August dieses Jahres zu erwarten. Allein das Statistische Amt benötigt also ein Jahr, um eine solche Statistik zu erstellen.
    Sodann soll bei 20 vom Hundert der erfaßten Sozialrentenempfänger eine persönliche Befragung mit dem Ziel durchgeführt werden, ein abgerundetes Bild der sozialen Verhältnisse der Sozialrentenempfänger und der zum gleichen Haushalt gehörenden Personen zu gewinnen. Es gibt ja Leute, deren Kinder ein sehr großes Einkommen haben, die sich aber nicht mehr dazu verpflichtet fühlen,
    auch noch etwas für ihre alten Eltern, die manchmal ein ganzes Leben lang die Lebensgrundlagen für sie geschaffen haben, zu tun.

    (Vizepräsident Dr. Schmid übernimmt wieder den Vorsitz.)

    b) Im Ministerium für Arbeit wird seit Monaten an einer versicherungsmathematischen Bilanz gearbeitet.

    (Zuruf von der SPD: Erst seit Monaten?)

    Mit dem Abschluß dieser Arbeiten ist Mitte dieses Jahres zu rechnen. Eine versicherungsmathematische Bilanz können wir doch letzten Endes nur dann durchführen, wenn wir einen festen Jahresabschluß der einzelnen Versicherungsträger haben. Ich kann damit nicht jederzeit beginnen.
    Zu den Arbeiten zur Sozialreform ist einleitend noch folgendes zu sagen. Der Beirat für die Neuordnung der sozialen Leistungen hat eine Reihe von Arbeitsausschüssen gebildet. Die Arbeiten dieser Ausschüsse sind in vollem Gange. Die Zusammenarbeit aller beteiligten Bundesressorts mit dem Beirat und seinen Ausschüssen ist gewährleistet. Der Beirat hat kürzlich auf Grund einer vorausgegangenen internen Besprechung der Beiratsmitglieder in der anschließenden offiziellen Beiratssitzung eine Entschließung über die künftige Arbeitsweise und Organisation gefaßt. Diese Entschließung, die ich Ihnen nachher noch wörtlich vorlesen werde, hat sofort meine persönliche Zustimmung gefunden.
    Ich möchte nun zunächst die in der Großen Anfrage im einzelnen gestellten Fragen beantworten.
    Der Beirat für die Neuordnung der sozialen Leistungen hat eine Reihe von Sitzungen durchgeführt. In Zusammenhang mit der ersten Sitzung am 3. März 1953 wurden den Beiratsmitgliedern folgende Unterlagen ausgehändigt: 1. eine von meinem Ministerium herausgegebene statistische Aufarbeitung über „Wohnbevölkerung mid Erwerbspersonen nach den Ergebnissen der Volks- und Berufszählung des Statistischen Bundesamts"; 2. eine im Ministerium erarbeitete „Übersicht über die Leistungen der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge"; 3. eine gleichfalls im Ministerium fertiggestellte Darstellung über die Versorgung der Kriegsopfer.
    In der Sitzung am 13. April 1953 hielt das Mitglied des Beirats Professor Dr. Neundörfer ein Referat über das Thema: „Einige Tatbestände zur Bevölkerungsstruktur der Bundesrepublik". Vielleicht mag der eine oder andere sagen, das seien ausgefallene Dinge; aber wenn man eine Sozialreform durchführen will, muß man hierfür die richtigen Grundbegriffe haben, und die Damen und Herren im Beirat hielten das geradezu für die erste Grunderkenntnis, die man haben müsse. Die anschließende Beratung führte zu dem Ergebnis, daß das Referat den Ausgangspunkt für weitere statistische Untersuchungen bilden und ergänzt werden sollte.
    Diese Ergänzung erfolgte in der Sitzung am 6. Mai 1953 unter dem Thema: „Die Erwerbstätigkeit von Jugendlichen unter 20 Jahren und Alten über 65 Jahren". Auf der gleichen Sitzung hielt der damalige Leiter der ärztlichen- Abteilung meines Hauses, Herr Professor Dr. Dr. Bauer, ein Referat über das Thema: „Die gesundheitliche Wiederherstellung als soziale Leistung". Dieses Referat wurde ergänzt durch die Ausführungen von Oberregierungsrat Dr. Scharmann über „Grundsätzliche und praktische Bedeutung der beruflichen und


    (Bundesarbeitsminister Storch)

    sozialen Wiedereingliederung in das Arbeitsleben", ein Problem, das ja vor allen Dingen für den großen Kreis der Schwerbeschädigten eine eminente Bedeutung hat. Der Beirat kam nach eingehender Aussprache überein, in Ergänzung zu den behandelten Themen eine Untersuchung über die Vorbeugung, veranschaulicht durch einen Besuch von Krankenhäusern und Heilstätten, folgen zu lassen.
    Dieser Aufgabe diente die nächste Sitzung des Beirats, die in der Zeit vom 26. bis 28. September 1953 durchgeführt wurde. Auf ihr sprach Herr Professor Bauer über das Thema: „Vorbeugung als soziale Leistung — Stand und Aufgaben der Vorbeugung in der Bundesrepublik". Im Anschluß an die Besichtigung des Versehrtenkrankenhauses in Bad Tölz und des Unfallkrankenhauses in Murnau sprachen die leitenden Ärzte über ihre Aufgaben, Erfahrungen und Erfolge.
    In der Sitzung am 11. Februar 1954 hat der Beirat beschlossen, für die Fortführung der Untersuchungen Arbeitsausschüsse zu bilden. Es sind zunächst drei Arbeitsausschüsse errichtet worden, ein Arbeitsausschuß für Grundsatzfragen, ein Arbeitsausschuß für Fragen der Rentenversicherung und ein Arbeitsausschuß für Fragen der Frühinvalidität.
    Dem Arbeitsausschuß für Grundsatzfragen gehören an Herr Professor Dr. Achinger, Herr Staatssekretär Dr. Auerbach, Herr Senatspräsident Dr. Brebeck, Dr. Geisler aus Kassel, Professor Dr. Höffner aus Münster, Ministerialrat Dr. Imhof aus München, Herr Professor Dr. Mackenroth aus Kiel, Herr Professor Dr. Muthesius aus Frankfurt, Herr Professor Dr. Rohrbeck aus Köln und Herr Direktor Dr. Lauterbach aus Bonn.
    Dem Arbeitsausschuß für Fragen der Rentenversicherung gehören folgende Personen an: Ministerialrat Brackmann aus Hannover, Dr. Coll-mer aus Stuttgart, Herr Regierungsdirektor Deneffe aus Wiesbaden, Herr Max Erhardt aus Stuttgart, Dr. Gaber aus Berlin, Frau Dr. Kiep-Altenloh aus Hamburg, Franz Lepinski aus Düsseldorf, Direktor Liebing aus Frankfurt, Herr Professor Dr. Noack aus Köln, Herr Dr. Oberwinster aus Köln und Direktor Schein aus Bochum.
    Dem Arbeitsausschuß für Fragen der Frühinvalidität gehören folgende Personen an: Herr Professor Dr. Dr. Bauer aus Bonn, Herr Debus aus Kassel, Herr Professor Dr. Heyde aus Köln, Herr Regierungsdirektor Dr. Horstmann aus Wiesbaden, Frau Kalinke aus Bonn bzw. Hannover,

    (Lachen bei der SPD)

    Herr Professor Dr. Neunhöfer aus Frankfurt und Herr Dr. med. Weirauch aus Düsseldorf.
    Der Arbeitsausschuß für Fragen der Rentenversicherung hat seine Arbeit in der Sitzung vom 30. März aufgenommen. Der Arbeitsausschuß hat beschlossen, von seinen Mitgliedern Gutachten über folgende Fragen ausarbeiten zu lassen: 1. Wie ist der versicherungspflichtige Personenkreis abzugrenzen? 2. Wie soll die Rentenformel gestaltet werden, wie sind Vorschläge zur Einführung von Bedürftigkeits- und Einkommensprüfungen zu beurteilen? 3. Wie sollen die Voraussetzungen für die Rentengewährung gestaltet werden? Insbesondere: a) Sollen die Vorschriften über die Anwartschaft und über die Wartezeit gestrichen werden? b) Sollen die Ruhensvorschriften gestrichen werden? c) Sollen die Vorschriften über die Wanderversicherung beseitigt werden? d) Wie soll das Recht der freiwilligen Versicherung und die Frage der Beitragsberechnung für die freiwillig Versicherten geregelt werden? 4. Welche Regelung ist hinsichtlich der Voraussetzungen, der Höhe und der Dauer der Hinterbliebenenrenten sozial gerechtfertigt? Soll Hinterbliebenenrente auch bei einer zweiten Eheschließung gewährt werden? 5. Technik des Beitragseinzugs. 6. Versicherungsmathematische Auswertungen der Bevölkerungsstatistiken.
    Der Arbeitsausschuß für Grundsatzfragen hat seine Arbeit am 6. April aufgenommen. Die Aussprache über die zunächst vom Ausschuß zu erörternden Probleme führte zu folgendem Ergebnis:
    1. Zu dem jetzt eingegangenen Gutachten von Prof. Dr. Bogs über das Thema „Untersuchung über die gegenwärtige Lage der Sozialversicherung und die Möglichkeit einer Reform des geltenden Rechts über die soziale Sicherheit unter Beibehaltung der Unterscheidung von Versicherung, Versorgung und Fürsorge" soll eine Grundsatzerörterung stattfinden.

    (Abg. Richter: Warum denn mit Bedingungen verknüpft? Warum denn „unter Beibehaltung"?)

    — „Unter Beibehaltung", das ist eben die grundsätzliche Frage, die auch hier in diesem Hause in der nächsten Zeit wieder einmal erörtert werden wird, vielleicht heute schon. Wollen wir heute hingehen und ein Gebäude, wie wir es in unserer Sozialversicherung haben, das uns Gott sei Dank über die ersten Schwierigkeiten nach den beiden Weltkriegen hinweggeholfen hat, einfach über Bord werfen?

    (Abg. Dr. Schellenberg: Wer sagt denn das?! — Abg. Dr. Preller: Wer hat denn das gesagt?!)

    Ich habe ja gar nicht gesagt, daß Sie das gesagt hätten. Herr Kollege Richter hat mich gefragt, warum diese Einschränkung, unter Begrenzung der drei Möglichkeiten —

    (Zuruf des Abg. Richter. — Weitere Zurufe von der SPD. — Glocke des Präsidenten.)

    — Es handelt sich doch um die Abgrenzung der drei Möglichkeiten und um sonst gar nichts. Wenn ich hier etwas gesagt habe, dann geht es nicht darum, daß ich Ihnen in Ihren Auffassungen irgendwelche Vorschläge oder Ratschläge erteilen oder überhaupt Belehrungen geben wollte. Jeder hat im Bundestag und auch draußen im Leben des Volkes das Recht, das, was er für das Günstigste hält, letzten Endes auch anzubieten. Darüber sind wir uns doch wahrscheinlich einig, und wir brauchen uns deshalb nicht gegenseitig irgendwelche Vorwürfe zu machen.
    2. In Zusammenarbeit mit Mitgliedern des Ausschusses für Fragen der Rentenversicherung und des noch zu bildenden Ausschusses für Krankheitsbekämpfung sowie weiteren Sachverständigen auf den verschiedensten Gebieten sozialer Leistungen soll folgendes Thema erörtert werden: „Das Verhältnis der produktiven zu den konsumtiven Sozialleistungen".
    Als weitere Themen sind zunächst vorgesehen: 1. Abgrenzung der Fürsorge gegenüber den übrigen Zweigen der sozialen Sicherheit. 2. Vorbeugende und wiederherstellende Gesundheitsfürsorge in der Sozialversicherung, ihr künftiger Ausbau und ihre Zusammenarbeit mit der Arbeitsverwaltung und der Gesundheitsverwaltung. 3. Beteili-


    (Bundesarbeitsminister Storch)

    gung der Allgemeinheit an der Finanzierung der Leistungen der Sozialversicherung unter Berücksichtigung der Wirtschaftskraft des Volkes. 4. Das Verhältnis der Leistungen der Sozialversicherungsträger untereinander und der Sozialversicherung zu sonstigen Sozialleistungen unter Berücksichtigung des Vorranges der Sozialversicherung. 5. Welche Altersgrenze soll gewählt werden? a) Soll die Altersgrenze heraufgesetzt werden, wie es in England gemacht worden ist? b) Soll die Altersgrenze herabgesetzt werden, wie es beispielsweise für unsere alten Angestellten gefordert wird? c) Soll eine elastische Altersgrenze gewählt werden mit der Möglichkeit der Weiterarbeit nach einem bestimmten Lebensalter zur Erzielung einer höheren Altersrente für die Zukunft? d) Soll die Altersgrenze für Männer und Frauen verschieden sein? Die nächste Sitzung dieses Arbeitsausschusses ist am 3. Juni.
    Der Arbeitsausschuß für Fragen der Frühinvalidität hat seine Arbeiten in der Sitzung vom 7. April 1954 aufgenommen. Er hat beschlossen, folgende Untersuchungen durchzuführen: 1. Soziale Analyse der Frühinvalidität. 2. Gründe und Umfang der Frühinvalidität bei weiblichen Arbeitnehmern. 3. Durch welche Maßnahmen kann der Frühinvalidität begegnet werden? 4. Erfahrungen bei der Durchführung der vorbeugenden Gesundheitsfürsorge. 5. In welcher Weise kann erreicht werden, daß für Minderleistungsfähige geeignete Arbeitsplätze geschaffen werden? — Die nächste Sitzung dieses Ausschusses ist am 23. Juni.
    Wie ich schon gesagt habe, haben sich am 3. Mai dieses Jahres die Mitglieder des Beirates zu einer internen Besprechung zusammengefunden. In der sich anschließenden offiziellen Sitzung des Beirates, die unter meinem Vorsitz und in Anwesenheit von Vertretern der beteiligten Ministerien stattfand, hat der Sprecher des Beirates, Herr Professor Dr. Heyde, folgende einstimmige Auffassung der Beiratsmitglieder vorgetragen: Es erscheint zweckmäßig, daß die Federführung der Arbeit beim Bundesministerium für Arbeit verbleibt, weil dort rein sachlich das Schwergewicht liegt. Der Sprecher des Beirates hat ausdrücklich hervorgehoben, daß sich der Beirat damit in Übereinstimmung mit dem bekannten Beschluß des 1. Bundestages befindet, auf dem seine Arbeit beruht. Es ist weiter zum Ausdruck gebracht worden, daß entsprechend diesem Beschluß den Vorsitz im Beirat der Bundesminister für Arbeit hat. Als weiteren Wunsch, dem ich sofort meine Zustimmung gegeben habe, hat der Sprecher des Beirats vorgebracht, daß sich die Arbeitsausschüsse ihre Vorsitzenden selbst wählen wollen. Dieser Wunsch des Beirates ist in der Sitzung in Übereinstimmung mit meiner Auffassung zum einstimmigen Beschluß erhoben worden. Im Beirat wird die Auffassung vertreten, daß sich damit weitere organisatorische Veränderungen erübrigen.
    Zu Punkt II 2 der Großen Anfrage möchte ich folgendes erklären. Wie sich aus dem bisher Gesagten ergibt, handelt es sich um sehr umfassende und vielschichtige Untersuchungen. Es muß gründliche Arbeit geleistet werden. Eine genaue Bestimmung des Zeitpunktes für die Vorlage der Ergebnisse kann bei Art und Umfang der Arbeiten naturgemäß nicht gegeben werden. Das hängt wesentlich davon ab, wie die Arbeitsausschüsse unter ihren selbstgewählten Vorsitzenden die Arbeiten durchführen. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, daß die ersten Gutachten zu einer Reihe
    grundsätzlicher Themen eingetroffen und die Beteiligten mit größtem Eifer an die Arbeit gegangen sind. Die Arbeiten werden so beschleunigt durchgeführt, wie es bei der erforderlichen Gründlichkeit vertretbar ist.
    Zu Punkt II 3 habe ich zu sagen: a) Die Erörterungen im Beirat haben zu dem Ergebnis geführt, daß die Bekämpfung der Frühinvalidität von entscheidender medizinischer, sozialer und finanzieller Bedeutung ist. Aus diesem Grunde ist aus den, Arbeiten des Beirates ein Forschungsauftrag für Prof. Dr. Neundörfer über das Thema „Soziale Analyse der Frühinvalidität" erwachsen. b) In den Arbeitsausschüssen des Beirats sind die vorhin genannten Grundsatzgutachten vergeben worden.
    c) Professor Dr. Bogs von der Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft in WilhelmshavenRüstersiel hat vom Bundesministerium für Arbeit den Auftrag erhalten, ein Gutachten über folgendes Thema zu erstatten: „Untersuchung über die gegenwärtige Lage der Sozialversicherung und die Möglichkeit einer Reform des geltenden Rechts über die soziale Sicherung unter Beibehaltung der Unterscheidung von Versicherung, Versorgung und Fürsorge". Dieses Thema entsprach dem Wortlaut des Beschlusses des Deutschen Bundestages, durch welchen der Beirat bei meinem Ministerium gebildet worden ist. Das Gutachten ist fertiggestellt.
    d) Die Gesellschaft für sozialen Fortschritt hat bereits vor Zusammentritt des Beirats Mittel erhalten, um grundsätzliche Fragen der Reform der Krankenversicherung zu untersuchen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen liegen bereits vor und sind veröffentlicht.
    Zusammenfassend kann ich folgendes sagen:
    1. Die Arbeiten der vom Beirat gebildeten Ausschüsse sind in vollem Gange.
    2. Die vom Beirat in seiner letzten Sitzung beschlossene Organisation der Arbeitsweise gewährleistet im Rahmen des Bundestagsbeschlusses die nötige Beweglichkeit und Freiheit für die Arbeiten.
    3. Das Zusammenwirken der beteiligten Bundesministerien mit dem Beirat und seinen Arbeitsausschüssen sichert die Zusammenfassung aller laufenden Gesetzgebungsarbeiten bei der Gesamtreform.
    Dies offiziell zur Beantwortung Ihrer schriftlich vorliegenden Fragen.
    Nun gestatten Sie mir, ganz kurz auf die Dinge einzugehen, die Herr Professor Preller hier vorgetragen hat. Er hat recht, wenn er sagt: Es ist viel Zeit vergangen, seitdem wir uns mit der Frage einer sozialen Neuordnung beschäftigt haben. Aber wenn Sie gut hingehört haben, dann haben Sie allein aus den Problemen, die die Unterausschüsse sich selbst gestellt haben, ersehen, welch eminent unterschiedliche Fragen vorbehandelt werden müssen, wenn man zu einer Gesamtreform in dem Sinne kommen will, wie sie Herr Professor Preller vorgeschlagen hat.

    (Abg. Frau Korspeter: Herr Minister, wir haben gehört, daß sie erst vor kurzem angefangen haben!)

    — Ja, Sie haben doch gehört, Frau Abgeordnete, daß ich Ihnen gesagt habe, daß die ersten Sitzungen im März des vergangenen Jahres stattgefunden haben; und Sie werden es wohl verstehen, daß die Leute, wenn sie in einen Beirat mit einer derartigen Aufgabe berufen werden, sich vorher selbst


    (Bundesarbeitsminister Storch)

    über die verschiedensten Grundlagen ein Bild machen müssen.

    (Abg. Dr. Preller: Ganze fünf Sitzungen in einem Jahr!)

    — Darauf kommt's ja in Wirklichkeit gar nicht an, Herr Professor Preller. Es kommt darauf an, welche Unterlagen den Leuten bei den Sitzungen für ihre eigene Arbeit während der Zwischenzeit bis zur nächsten Sitzung mitgegeben wurden. Und daß diese Sitzungen nicht dichter aufeinander gefolgt sind, hat eben seinen Grund darin, daß die Leute mit Recht gesagt haben: Ehe wir grundsätzlich zu den Dingen gemeinschaftlich Stellung nehmen, wollen wir uns selbst orientieren. Es hat sich herausgestellt, daß die Leute in Wirklichkeit das Material, welches sie von uns bekommen oder welches sie sich anderwärts erworben, das sie aber gemeinschaftlich verwendet haben, sehr gut kannten. Es brauchte nicht über jedes Teilproblem wer weiß wie lange diskutiert zu werden, so daß in den eigentlichen Sitzungen eine sehr starke Konzentration der Arbeit festzustellen war. Das scheint mir doch letzten Endes bei einer derartigen Arbeit etwas sehr Wesentliches zu sein.

    (Abg. Frau Korspeter: Warum, Herr Minister, erst jetzt die Unterausschüsse?)

    — Aus dem einfachen Grunde, weil im Beirat dieser Wunsch in bezug auf Unterausschüsse erst in der letzten Zeit gereift ist.

    (Abg. Dr. Preller: Ich nehme an, daß das nicht stimmt!)

    — Herr Professor Preller, das ist ein Zuruf, den ich eigentlich nicht behandeln möchte. Da müßte ich Ihnen schon eine sehr deutliche Antwort geben, und das will ich doch im Interesse des weiteren guten Fortgangs unserer Besprechungen nicht tun. Ich kann Ihnen nur eines sagen. Sie können — und nunmehr nehme ich die Vertraulichkeit hier nicht in Anspruch - Ihre Freunde aus dem Ausschuß fragen, ob das, was ich hier gesagt habe, stimmt. Hoffentlich haben Sie dann den Mut, das nächste Mal hier zu erklären, daß es, gelinde gesagt, eine kleine Ungezogenheit war, mich der wissentlichen Lüge zu bezichtigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir wollen doch nicht Dinge zusammenbringen, die nicht zusammengehören. Bei der Frage der sozialen Neuordnung sollte in diesem Hause keine politische Kampfstimmung bestehen. Hier sollten wir, die doch letzten Endes alle guten Willens sind — und das spreche ich allen Mitgliedern dec Hauses aus —, zu einer Atmosphäre des wirklich guten Willens und des guten Zusammenarbeitens kommen. Es ist nicht gut, wenn dabei der eine dem anderen hier im Plenum vorwirft, er sage wissentlich die Unwahrheit. Wir wollen also die Dinge ruhig an uns herankommen lassen. Wir wollen sie diskutieren, und wir wollen alles tun, damit die große Sozialreform so bald wie möglich Wirklichkeit werden kann.
    Dabei möchte ich allerdings eines von mir aus in aller Deutlichkeit sagen. Die große Sozialreform, wie wir sie durchführen müssen, ist ein Kind unserer Zeit und eine Folge von zwei furchtbaren Weltkriegen, die wir hinter uns gebracht haben. Aber bei der ganzen sozialen Aufgabe, die uns vor Augen geführt wird, müssen wir immer und immer wieder daran denken, daß es eine soziale Verpflichtung gibt, die, wie man so sagt, ewig ist, die nicht an die Zeitumstände gebunden ist. Das ist die Frage der Sicherstellung unserer arbeitenden Menschen für die Wechselfälle des Lebens. Ich habe niemals gesagt, man solle eine Reform der Sozialversicherung vorziehen, aber ich habe immer die Priorität für die Sozialversicherung in Anspruch genommen, weil diese Probleme in die nächsten Jahrzehnte hineinreichen. Wenn man eine Sozialreform organisch durchführen will, muß man doch irgendwo das Fundament setzen, und auf das Fundament baut man dann die erste und die zweite Etage auf. Man kann doch nicht beim Dach anfangen, und man kann auch nicht die Dinge durcheinanderwürfeln.
    Ich habe mich an und für sich gewundert, daß Herr Professor Preller ausgerechnet das „Handelsblatt" und den „Arbeitgeber" so stark in den Vordergrund gerückt hat. Jawohl, ich sage es hier in aller Offenheit: diese Leute wünschen eine Sozialreform von der Art, daß man alle die Mittel, die momentan zur Verfügung stehen, in einen Topf wirft, tüchtig rührt und jedem seine Kelle voll gibt. Von dem sozialen Recht, das sich der Mann durch seine Beitragszahlung in der Sozialversicherung erworben hat, ist dabei keine Rede mehr.

    (Hört! Hört! und Unruhe bei der SPD.) Wenn man das will, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann muß man die gesamte soziale Leistung aus den Steuermitteln des Staates nehmen und darf nicht einen Teil der Beteiligten zu einer Beitragszahlung, d. h. zu einer Sondersteuer heranziehen!


    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich sage Ihnen das in aller Offenheit, und ich will
    hoffen, daß unsere Aussprache heute dazu führt,
    daß wir uns gegenseitig verstehen und daß wir
    nicht irgendwelche Pressedarlegungen — kommen
    sie von dieser oder von jener Seite — dazu gebrauchen, unser Einvernehmen stören zu lassen.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Die große Anfrage ist seitens der Regierung beantwortet. Wird die Besprechung der Anfrage gewünscht? Wenn ja, bitte ich um Handzeichen. — Es sind ohne jede Frage mehr als 50 Mitglieder des Hauses, die die Besprechung wünschen. Die allgemeine Aussprache ist eröffnet. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ernst Schellenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Beratung der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion müssen doch wohl drei Fragen im Vordergrund stehen: erstens die Frage bezüglich der von der Regierung bisher gegebenen Versprechungen und Zusagen, insbesondere hinsichtlich des Sozialbeirats; zweitens die für die Reform der sozialen Leistungen in der nächsten Zeit vorgesehenen Maßnahmen, also, konkret gesagt, die Frage der Erhöhung der Altrenten; drittens die Grundsätze einer kommenden Sozialreform.
    Zu der ersten Frage, inwieweit die von der Regierung vertretenen Zielsetzungen über die Sozialreform bisher verwirklicht wurden, kann ich mich sehr kurz fassen. Die Antwort, die der Herr Bundesarbeitsminister in dieser Hinsicht gegeben hat, hat meine politischen Freunde in keiner Weise befriedigt.

    (Abg. Frau Korspeter: Sehr richtig!)

    Herr Bundesarbeitsminister, ich darf Sie daran erinnern, daß Sie nahezu in jeder Rede, die Sie seit Ihrer Amtsübernahme im Jahre 1949 über


    (Dr. Schellenberg)

    soziale Probleme gehalten haben, von der Notwendigkeit einer umfassenden Sozialreform gesprochen haben. Dabei haben Sie wiederholt erklärt, daß die Neuordnung spätestens zu Beginn des kommenden Jahres erfolgen müßte. Das kann man durch Zitate beweisen. Ich möchte das hier nicht tun; ich habe einen ganzen Packen von etwa 40 verschiedenen Reden, die Sie über diese Frage gehalten haben. Wir geben zu: das spricht selbstverständlich für Ihr großes Interesse an diesen Problemen und für Ihre Sorge um diese Fragen. Aber wir müssen erklären: Reden, Versprechungen, Zusagen und weitere Prognosen genügen nicht; entscheidend sind allein die Taten.
    Zuerst will ich auf Ihre konkreten Maßnahmen bezüglich des Sozialbeirats eingehen. Mein Freund Preller hat hier bereits Ihre Rede, ich glaube, vom 21. Februar 1952 zitiert, in der Sie sehr bestimmte Zusagen hinsichtlich zeitlicher Termine gemacht haben. Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben das nicht nur bei Schaffung des Beirates getan; es mag sein, daß sich dann in der konkreten Arbeit gezeigt hat, daß es schwieriger war, als Sie ursprünglich annahmen. Sie haben aber auch bei den weiteren Sozialberatungen des Jahres 1953 auf die Arbeit des Beirates hingewiesen, und es wurde damals von den Herren der Regierungsparteien erklärt, man solle doch nicht durch Anträge sozialpolitischer Art die nun begonnene Arbeit dieses Beirates stören und beeinträchtigen. Das ist zu unseren Anträgen auf Erhöhung der Grundbeträge usw. gesagt worden.
    Heute müssen wir nun von Ihnen hören — wir stellen das mit großem Interesse fest —, daß Sie die Arbeit des Beirates stark intensiviert haben. Aber wir müssen den Vorwurf erheben, daß die Aktivierung der Arbeiten des Beirats mit großer Wahrscheinlichkeit, soweit wir es beurteilen können — wir sind nicht Mitglieder des Beirats, und bisher ist Vertraulichkeit geübt worden —, in einem gewissen Kausalzusammenhang — ich möchte mich vorsichtig ausdrücken — mit unserer Großen Anfrage steht, in der wir von Ihnen Auskunft über die Arbeiten dieses Beirats fordern. Deshalb befriedigt es uns nicht, Herr Minister ich möchte Ihnen das auch ganz offen sagen —, daß Sie uns hier nun von den weiteren Plänen dieses Beirats berichten und uns hier die Zusammensetzung des Beirats darlegen. Das haben wir bereits am 30. April dieses Jahres im Bulletin gelesen; da ist die Zusammensetzung der Arbeitsausschüsse unter Nennung der Persönlichkeiten aufgeführt. Uns interessieren hier neue, unbekannte Tatsachen und nicht Mitteilungen über Ihre weiteren Pläne und das Vorhaben dieses und jenes Unterausschusses; das ist nicht entscheidend. Heute muß Rechenschaft über die zwei Jahre gegeben werden;

    (Beifall bei der SPD)

    und, Herr Bundesarbeitsminister, über Ihre Tätigkeit in den letzten zwei Jahren haben Sie sehr wenig Bestimmtes und Konkretes gesagt.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Nun, Herr Bundesarbeitsminister, zur Frage der Altrenten. Sie haben sich zu dieser Frage nur ganz kurz geäußert. Sie haben gesagt, es werde daran gearbeitet, und Sie haben einen Termin genannt, von dem Sie glauben, daß der Gesetzentwurf dem Kabinett vorgelegt werden kann. Aber, Herr Bundesarbeitsminister, ich muß Ihnen sagen: auch das kann uns nicht befriedigen, und ich glaube, auch nicht die Öffentlichkeit; deshalb nicht, weil
    Sie in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit
    in der verschiedensten Weise über die Frage der
    Altrenten sehr konkret gesprochen und Erklärungen, um nicht zu sagen, Zusagen gemacht haben.
    Wenn wir heute eine Debatte über die Frage der
    Altrenten führen, dann müssen Sie die Auffassungen, die Sie in der Öffentlichkeit vertreten haben
    und mit denen sich die überwiegende Mehrzahl
    aller Rentner beschäftigt, weil es um die Erhöhung
    der ihnen gewährten Leistungen geht, auch hier
    vertreten und in klarer Weise hierzu Stellung nehmen. Sie müssen hier vor dem Bundestag vertreten, was Sie in der Öffentlichkeit gesagt haben.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Herr Bundesminister, was haben Sie alles über die Frage der Altrenten gesagt! Es begann etwa im Oktober/November vergangenen Jahres. Sie haben am 6. November 1953 in Frankfurt erklärt:
    Innerhalb des nächsten halben Jahres werde
    ich einen Gesetzentwurf über die Angleichung
    der alten Rentenansprüche an die gegenwärtige Kaufkraft vorlegen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Wir Sozialdemokraten haben dieser Auffassung voll und ganz zugestimmt, und um unbedingte Gewißheit darüber zu haben, wie es mit diesen Gedankengängen und Plänen steht, habe ich Sie in der Fragestunde im Dezember hier im Hause gefragt, ob Sie diese Frist von einem halben Jahr einhalten werden. Sie haben wörtlich erklärt: „Ja, wenn es irgendwie möglich ist,

    (Lachen bei der SPD)

    und ich glaube auch, daß es gelingt." Wir müssen heute feststellen, daß Sie sich bezüglich des Termins — ein halbes Jahr seit November 1953, also praktisch Mai 1954! — geirrt haben. Das ist besonders bedauerlich, Herr Minister, weil solche Zeitangaben, die Sie in der Öffentlichkeit machen und die die Presse natürlich verbreitet, bei Millionen von Rentnern Hoffnungen erwecken.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wenn Sie, Herr Minister, als der führende Sozialpolitiker der Regierung im November in der Öffentlichkeit sagen, in einem halben Jahre würden Sie einen Gesetzentwurf über Rentenerhöhungen vorlegen, dann rechnen sich die Rentner schon aus, was sie im Mai mehr an Rente erhalten. Das wissen wir doch alle; das ist doch die politische Praxis, die Praxis des täglichen Lebens!

    (Beifall bei der SPD.)

    Deshalb müssen wir Ihnen den Vorwurf machen, daß Sie über diese Dinge in einem Zeitpunkt gesprochen und damit Hoffnungen erweckt haben, als Ihre Vorbereitungen noch in den Kinderschuhen gesteckt haben.
    Jetzt sind Sie, Herr Minister, in eine schwierige Situation gekommen, nachdem Sie immer wieder darüber gesprochen haben. So sind Sie gezwungen, in dieser Hinsicht vieles zu improvisieren, und das führt zu Gesetzen — das wissen wir ja von dem Teuerungszulagengesetz, um nur das Beispiel zu nennen, das mein Freund Preller erwähnt hat, - -

    (Abg. Arndgen: Dafür ist der Minister nicht verantwortlich gewesen!)

    — Aber selbstverständlich, das ganze Haus ist dafür verantwortlich gewesen! Wir wollen doch gerade aus der Vergangenheit lernen, und deshalb sage ich, daß genaue und gründliche Vorbereitungen getroffen werden müssen. Wenn der Minister


    (Dr. Schellenberg)

    in der Öffentlichkeit erklärt, daß in einem halben
    Jahr eine Rentenerhöhung kommen werde, dann
    muß sein Ministerium praktisch schon so weit sein,
    daß er den Gesetzentwurf aus der Tasche zieht,

    (Beifall bei der SPD)

    und das war doch nicht der Fall.
    Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben — und das bedauere ich sehr — über diesen Termin auch noch später, nach dem Dezember, nachdem ich Sie hier gefragt habe, in der Öffentlichkeit verschiedene Mitteilungen gemacht, die diese Hoffnung immer wieder genährt haben. Sie haben beispielsweise am 11. Februar 1954 erklärt, daß die Gesetzentwürfe über die Erhöhung der Altrenten schon im März dem Kabinett zur Entscheidung vorgelegt würden. Vorhin haben Sie uns erklärt: im Juli. Das ist für die Rentner eine sehr entscheidende Verspätung; denn die Rentner rechnen im Hinblick auf die Sicherung ihres Lebensbedarfs mit diesen Erhöhungen.
    Herr Minister, ich darf Sie auch daran erinnern, daß Sie im April 1954 erklärt haben, die mathematischen Arbeiten würden in vierzehn Tagen abgeschlossen sein. Ich kann Ihnen nur sagen: Das entspricht nicht den Tatsachen. Sie haben sich da getäuscht. Sie haben Ihre Hoffnungen und Ihre Ziele für Wirklichkeit genommen; denn die mathematischen Arbeiten sind erst in den ersten Maitagen hinsichtlich der Auswertung auf volle Touren angelaufen, beispielsweise bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, bei der Sie eine große Erhebung darüber anstellen lassen.
    Es ist nach Auffassung meiner Fraktion nicht vertretbar, wenn Sie in der Öffentlichkeit erklären, daß die mathematischen Arbeiten in vierzehn Tagen abgeschlossen seien, während mit diesen Arbeiten, die mit Hollerithmaschinen auf Lochkarten gemacht werden müssen, zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal begonnen worden ist. Wir sind der Auffassung, daß all dies sehr unbefriedigend ist.
    Im übrigen müssen wir Ihnen, Herr Minister, den Vorwurf machen, daß nicht nur Ihre zeitliche Planung bezüglich der Gewährung von Rentenerhöhungen für die sogenannten Altrentner in Unordnung geraten ist, sondern daß auch die Vorstellungen darüber, wer eine Erhöhung wegen Anpassung der Renten an die gestiegene Kaufkraft erhalten soll, in Ihrem Hause sehr schwankend waren. Das mag noch angehen. Aber Sie haben darüber in der Öffentlichkeit unterschiedliche Erklärungen abgegeben, und das ist bedauerlich. Sie haben beispielsweise manchmal davon gesprochen, daß die Rentenansprüche für Versicherungszeiten bis 1933 aufgewertet werden sollen, dann haben Sie wieder davon gesprochen, daß Versicherungszeiten bis zu Beginn des zweiten Weltkrieges, also bis 1939, aufgewertet werden sollen. Ferner bin ich darüber unterrichtet, daß in anderem Zusammenhang erwogen wurde, sogar Versicherungszeiten bis 1954 aufzuwerten. Das alles zeugt doch von sehr starken Unklarheiten. Deshalb sind wir genötigt, Ihnen den Vorwurf — ich muß das hier in aller Offenheit sagen, denn wir wollen eine freimütige Aussprache — zu machen, daß Sie durch öffentliche Reden über Dinge, die noch nicht geklärt waren, die Rentner in eine Beunruhigung versetzt haben. Dieser Tatbestand hat zu einer Verwirrung bei den Rentnern geführt, und das ist besonders bedauerlich.
    Mit diesem etwas unklaren Begriff „Altrenten" ergeben sich viele Fragen für die einzelnen Rentner.
    Sie haben den Begriff Altrente geprägt. Gut, das ist ein Ausdruck. Aber da er nicht klar erläutert wurde — in Ihrem Hause selbst bestanden sogar unterschiedliche Auffassungen darüber —, haben viele Rentner angenommen und konnten es sehr leicht annehmen, Altrenten seien vielleicht die Renten, die bei Erreichung der Altersgrenze von 65 Jahren oder von 60 Jahren für Versicherte gewährt werden. Herr Atzenroth, Sie sind ein Sachkenner, und auch ich weiß, was der Herr Minister meint; aber wenn der Herr Minister einmal von Kaufkrafterhöhungen für Versicherungszeiten bis 1933 und ein andermal bis 1939 spricht, dann entsteht natürlich in dieser Hinsicht eine bedauerliche Unklarheit, Deshalb hatten wir erwartet, Herr Minister, daß Sie von der Tribüne dieses Hauses einmal klar sagen, war darunter verstanden werden soll, damit jetzt endlich bei den Rentnern und bei der Bevölkerung Klarheit über die Dinge erreicht wird.
    Im übrigen sind wir der Meinung, daß auch die Vorstellungen, die Sie in bezug auf die Beträge haben, welche die Rentner in Gestalt von Erhöhungen erhalten sollen, doch sehr unklar und sehr mißverständlich sind. Mein Freund Preller hat berichtet, daß Sie erklärt haben — und das ist durch die ganze Presse gegangen —, die Rente würde um durchschnittlich 30 DM erhöht. Sie haben weiter davon gesprochen, daß für die Erhöhung der Altrenten Mittel in Höhe von 750 bis 800 Millionen DM jährlich aufgewendet würden. Wir, die wir in der Materie stehen, wissen, daß 61/2 Millionen Renten laufen, daß also nur etwa ein Drittel aller Rentner eine Erhöhung dieser sogenannten Altrente erhalten kann, wenn diese Erhöhung, wie Sie laut Presse erklärt haben, 30 DM monatlich betragen soll. Wir wissen auch, daß noch nicht einmal alle über 65 Jahre alten Rentner bei diesem Aufwand und bei dieser Höhe in den Genuß der Altrentenerhöhung kommen können, denn nach den statistischen Feststellungen, die ich kenne, kommen etwa 31/2 Millionen Rentner in Frage, die das 65. Lebensjahr überschritten haben. Ich bitte, mich in dieser Hinsicht gegebenenfalls zu berichtigen.
    Es ergeben sich also aus all dem, was Sie bisher über die Altrenten gesagt haben, viele Unklarheiten. Deshalb bitte ich Sie, heute dem Hause und damit der Öffentlichkeit folgende Fragen zu beantworten.
    1. Wieviele Rentner sollen nach den Plänen Ihres Ministeriums als Altrentner angesehen werden und sollen nach Ihren Vorstellungen in den Genuß einer Erhöhung kommen?
    2. Wie hoch wird nach Ihren Plänen für den Durchschnitt für den Versicherten und auch für den Durchschnitt der Witwen diese Erhöhung tatsächlich sein, 30 DM oder wie hoch?
    3. Von welchem Zeitpunkt an soll nach Ihren Vorstellungen die Erhöhung der sogenannten Altrenten wirksam werden?
    4. Wann wird nach Ihren Auffassungen die überwiegende Zahl der Rentner praktisch diese Erhöhung ausgezahlt erhalten?
    Wie wir wissen, ist das Letzte sehr wichtig. Ich darf Sie nur an das Fremdrentengesetz erinnern, das am 1. April 1952 in Kraft trat, dessen praktische Durchführung wegen der Durchführungsbestimmungen aber heute noch nicht überall erfolgt ist.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Ich habe noch eine weitere Frage an Sie, Herr
    Minister, um deren Beantwortung ich bitte. Ist
    nach Ihren Plänen eine Anrechnung dieser Erhö-


    (Dr. Schellenberg)

    hung der Altrenten auf andere Sozialleistungen — beispielsweise auf Ausgleichsrenten in der Kriegsopferversorgung, Unfallrenten, Lastenausgleich usw. — in Aussicht genommen?
    Ich stelle die Frage deshalb, Herr Minister, weil, nachdem Sie in der Öffentlichkeit Erklärungen abgegeben haben, unbedingt Klarheit geschaffen werden muß. Ich bitte, sich nicht damit zu entschuldigen, daß Sie sagen, das alles hängt erst von dem Gesetz und von dem Gang der Gesetzgebung ab. Wenn ein Minister über eine Frage in der Öffentlichkeit wiederholt spricht, dann interessieren den Bundestag mindestens die genauen Pläne des Ministers. Was nachher praktisch herauskommt, das werden wir erarbeiten müssen. Ich glaube, die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, von Ihnen jetzt zu erfahren, welche eigenen Pläne und Vorstellungen Sie in dieser Sache haben.
    Nun zu einer weiteren Frage, der Frage der Aufbringung der Mittel. Es muß doch zweifelsfrei geklärt sein, wie diese Mittel, nämlich die 750 bis 800 Millionen DM beschafft werden. Ihre Erklärung, daß sie aus den Kassenüberschüssen der Rentenversicherung aufgebracht werden sollen, hat in vielen Fachkreisen und auch in Kreisen der Arbeitgeber, der Gewerkschaften usw. Beunruhigung hervorgerufen. In diesem Zusammenhang ist folgendes wichtig.
    Die von Ihnen vertretene Auffassung über die Aufbringung der Mittel aus den Kassenüberschüssen der Rentenversicherungsträger, die nach Ihren Angaben im letzten Jahr 1,2 Milliarden DM betragen haben, steht doch in erstaunlichem Widerspruch zu den Ausführungen, die Sie vor diesem Hause vor noch nicht einem Jahre, nämlich bei der Beratung des sozialdemokratischen Antrags auf Erhöhung der Grundbeträge gemacht haben. Sie haben am 11. Juni 1953 hier vor dem Hause erklärt, ein etwaiger jährlicher Überschuß werde unbedingt für spätere Rentenzahlungen benötigt, weil sich schon im Laufe der nächsten fünf Jahre die Zahl der Beitragszahler verringere, aber die der Rentner erhöhen werde. Sie haben erklärt, Herr Minister, die Überschüsse der Rentenversicherung seien eine Bagatelle im Vergleich mit den zur wirtschaftlichen Sicherung der für spätere Rentenleistungen benötigten Mittel. Herr Kollege Horn, Sie werden sich erinnern, daß Sie sich in der Debatte vom 11. Juni vergangenen Jahres auf statistisches Material des Bundesarbeitsministeriums gestützt und erklärt haben, daß die im Lebensalter über 65 Jahre Stehenden in den nächsten 25 Jahren um 70 % — also über den Daumen gerechnet pro Jahr um 3 % — anwachsen werden. Herr Kollege Hammer hat in der Debatte erklärt, daß die Erhöhung der Rentenleistungen aus den Mitteln der Rentenversicherung gewissermaßen unverantwortlich gegenüber den gegenwärtig Versicherten sei. Die gleiche Auffassung haben die Experten Ihres Ministeriums, haben die Sachverständigen des Verbandes der Rentenversicherungsträger in Reden und in wissenschaftlichen Abhandlungen vertreten.
    Wir müssen deshalb mit Erstaunen feststellen, daß sich die Auffassung des Bundesarbeitsministeriums über die Finanzlage der Rentenversicherung im Zeitraum noch nicht eines Jahres so fundamental geändert hat. Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben darüber — nach Pressemitteilungen — in der Öffentlichkeit gewisse Erklärungen abgegeben, weshalb vor einem Jahr in bezug auf den Altersaufbau noch grau in grau gemalt wurde und weshalb jetzt alles rosarot erscheint. Sie haben nämlich erklärt, daß sich die Bevölkerungspyramide, der Altersaufbau des deutschen Volkes doch wesentlich verbessert habe, und zwar durch Eintritt junger Jahrgänge in das Berufsleben.

    (Abg. Schmitt [Vockenhausen]: Durch die Ernennung von Wuermeling!)

    Herr Minister, diese Begründung zieht nicht; denn jeder Bevölkerungsstatistiker wußte natürlich infolge des Aufbaus der Alterspyramide genau, wann die Jahrgänge 1939 und 1940 in das Berufsleben eintreten werden und wie sich das auswirkt. Wir wissen heute auch, wann die zahlenmäßig geringeren Jahrgänge, beispielsweise 1942, ins Berufsleben kommen werden, und wir wissen, daß sich der jetzige Zustrom von jungen Jahrgängen auf Grund der Bevölkerungsentwicklung wieder ins Negative verkehren wird.
    Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben in diesem
    Zusammenhang auch von dem Zustrom junger
    Flüchtlinge aus der Sowjetzone gesprochen. Einer
    meiner Freunde, Kollege Rasch, hat bereits bei der
    Debatte des Haushalts diese Frage angeschnitten.
    Sie sind nicht darauf eingegangen. Ich muß gerade
    deshalb noch einmal um eine Auskunft darüber
    bitten. Sie haben erklärt, der Zustrom junger
    Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone
    schaffe in der Bundesrepublik einen günstigeren
    Altersaufbau. Wir sind der Auffassung, daß eine
    derartige Äußerung im Hinblick auf die gesamtdeutsche Verantwortung bedauerlich ist. Wir sind
    der Auffassung, daß wir gerade bei der Rentenversicherung, also bei Maßnahmen, die auf Jahre
    und Jahrzehnte abgestellt sind, doch alle eine gemeinsame Verantwortung auch für die alten Menschen tragen, die in der Sowjetzone zurückbleiben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Für die Zukunft ergeben sich daraus für uns alle, wie ich hoffe, doch eher Verpflichtungen als Entlastungen, die heute bei Aufbringung zukünftiger Mittel in Betracht gezogen werden müssen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Im übrigen darf ich Ihnen sagen: Nach meinen Berechnungen — und ich bitte mich zu belehren, wenn ich irre — ist Ihre Auffassung bezüglich der zahlenmäßigen Auswirkung des Zustroms der jungen Flüchtlinge aus der Sowjetzone auch irrtümlich. Ich habe versucht, mit Unterstützung der verschiedenen Stellen genaue Berechnungen darüber anzustellen. Ich habe errechnen können, daß sich durch den Zustrom der Sowjetzonenflüchtlinge seit der letzten Statistik über den Altersaufbau der Prozentsatz der Menschen im erwerbstätigen Alter von 67,1% auf 67,3% verbessert hat und daß der Prozentsatz der Alten von 9,3% auf 9,2% zurückgegangen ist.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Aber derartige Veränderungen haben für den Altersaufbau unseres Volkes überhaupt keine entscheidende Bedeutung.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Im übrigen, Herr Minister, steht doch Ihre Auffassung über den günstigeren Altersaufbau in striktem Gegensatz zu allen Erklärungen der Bundesregierung. Ich darf auf das Bezug nehmen, was der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung über den Altersaufbau gesagt hat. Er hat ausgeführt, daß sich die Zusammensetzung der Bevölkerung ständig zuungunsten der im produktiven Lebensalter Stehenden ändert. Herr Minister Wuermeling hat das noch vor zwei Monaten


    (Dr. Schellenberg)

    genau statistisch bewiesen. Er gründet ja geradezu die Existenz seines Ministeriums auf diese Tatsachen des Altersaufbaues.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es ist nach Auffassung meiner Freunde ein sehr unerfreulicher Zustand, wenn über so fundamentale Fragen wie den Altersaufbau unseres Volkes seitens der einzelnen Minister je nach Bedarf unterschiedliche Auffassungen in der Öffentlichkeit vertreten werden.
    Die sozialdemokratische Fraktion steht auf dem Standpunkt, daß der Ausgleich der Kaufkraftveränderungen, also der Änderungen im Währungs– gefüge, der hier durch die Altrentenerhöhung erreicht werden soll, nicht aus den laufenden Beiträgen, sondern grundsätzlich aus dem allgemeinen Steueraufkommen erfolgen muß. Für die sozialdemokratische Fraktion handelt es sich bei dieser Angelegenheit nicht nur um eine versicherungstechnische oder finanztheoretische Frage, sondern vor allen Dingen um eine sozialpolitische Notwendigkeit, die für die Deckung des Lebensbedarfs der alten Menschen von höchster Bedeutung ist. Deshalb sind wir der Auffassung, daß es vor allen Dingen darauf ankommt, die angekündigte Erhöhung der Altrenten schnellstens durchzuführen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Damit wir uns ein Urteil darüber bilden können, ob und wie weit die Rentenversicherung ganz oder teilweise an der Aufbringung der Mittel für die Erhöhung beteiligt werden kann und inwieweit Bundesmittel dafür in Anspruch genommen werden müssen, bitte ich den Herrn Bundesarbeitsminister, folgende Unterlagen unverzüglich vorzulegen:
    1. einen Rechnungsabschluß der Rentenversicherung mit Vermögensstand per 31. Dezember 1952;
    2. vorläufige Ergebnisse mit Stand vom 31. Dezember 1953; 3. Voranschlag der Rentenversicherung für das Rechnungsjahr 1954. Ich darf dazu erklären, daß es uns dabei, wenn Sie sagen, die Beschaffung der Unterlagen sei bis in die letzten Kommastellen noch nicht möglich, nicht auf die Stellen nach dem Komma, sondern auf die Millionen- und Milliardenbeträge ankommt. Darüber wollen wir Klarheit haben. Wir sind der Auffassung, daß auch die deutsche Öffentlichkeit und die Rentner einen Anspruch darauf haben, genau zu wissen, wie es um die Finanzlage der deutschen Rentenversicherung bestellt ist. Dann kann auch eine Entscheidung darüber gefällt werden, wie die 800 Millionen DM zu decken sind. Die Unterlagen müssen vorliegen, und wir bitten Sie deshalb, sie uns unverzüglich zur Verfügung zu stellen. Denn es darf auf keinen Fall wegen der Frage der Dek-kung zu einer Verzögerung in der Auszahlung der Erhöhung für die alten Rentner kommen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Herr Bundesarbeitsminister, ich muß nun noch zu der Frage bezüglich der Grundsätze einer kommenden Sozialreform Stellung nehmen. Aus der Presse habe ich entnommen, daß Sie die Auffassung vertreten, die Erhöhung der Altrenten habe nichts mit der von Ihnen angekündigten allgemeinen Sozialreform zu tun, da es sich dabei um eine Milderung dringendster Notstände handle. Dieser Auffassung stimmen wir voll und ganz zu. Aber in der Großen Anfrage, Herr Minister, haben wir Sie auch um Auskunft über weitere Maßnahmen einer umfassenden Sozialreform gebeten, und zwar haben wir konkret gefragt, welche Maßnahmen die Bundesregierung in dieser Hinsicht vorbereitet
    Darüber haben Sie nach unserer Auffassung viel zu wenig Genaues und Bestimmtes gesagt.
    Herr Minister, Sie haben auf die Sozialenquete verwiesen. Wir alle sind der Auffassung, daß die Sozialenquete von großer Bedeutung ist. Sie haben von dem ersten und dem zweiten Teil dieser Enquete gesprochen. Herr Minister, ich habe mich in den letzten Wochen eingehend mit der Sozialenquete beschäftigt, und zwar nicht nur in Unterhaltungen mit Herren, die diese Dinge an der Spitze durchführen, sondern ich bin dorthin gegangen, wo diese Sozialenquete praktisch bearbeitet wird, um mir selbst einmal ein Bild zu machen, wie die Sache läuft und was man dabei erwarten kann.
    Herr Minister, auch diesen Vorwurf muß ich heute erheben — vielleicht sind die Pressestimmen darüber irrtümlich gewesen —: Sie haben bezüglich der Enquete auch in zeitlicher Hinsicht falsche Prognosen gestellt. Ich berufe mich dabei auf eine Mitteilung, die über dpa am 6. Oktober 1953 erschienen ist:
    Die Untersuchung über die Repräsentativauswahl
    — das sind die bekannten 5 %, genau 620 000 Leistungsfälle —
    steht vor dem Abschluß, und man erwartet vom Sozialbeirat, daß er sich zu den erarbeiteten Ergebnissen äußert.
    Sie haben uns vorhin etwas ganz anderes gesagt. Sie haben nämlich erklärt: die Ergebnisse des ersten Teils der Erhebung werden im August dieses Jahres vorliegen. Auch bezüglich des zweiten Teils der Erhebung hieß es in der Pressemitteilung vom Oktober 1953:
    Nach Auskunft des Bundesministers für Arbeit wird das Ergebnis dieses zweiten Teils der Erhebung im Frühjahr 1954 erwartet.
    Tatsächlich wird aber mit diesem zweiten Teil der Erhebung erst im Herbst dieses Jahres begonnen, und Sachverständige sagen, daß die Ergebnisse nicht vor Frühjahr nächsten Jahres vorliegen können. Es ergibt sich also auch bezüglich der Prognosen über die Sozialenquete gegenüber dem, was Ihr Ministerium erklärt haben soll, ein Zeitverlust von einem Jahr. Das beeinträchtigt natürlich sehr die weiteren Arbeiten an der Sozialreform. Ich glaube, wir müssen darüber unsere Mißbilligung aussprechen; denn wir alle haben von der Sozialenquete viel für die weiteren Maßnahmen erwartet. Es ist natürlich sehr bedauerlich, wenn es jetzt heißt, es wird ein Jahr später, als man ursprünglich angenommen hat.
    Das erinnert mich — das muß ich sagen — an das, was bei der Schaffung des Beirates gesagt wurde. Da wurde nämlich erklärt: Jetzt warten wir mal, der Beirat wird bald etwas Positives schaffen. Wir möchten deshalb nicht wieder auf das vertröstet werden, was aus dem zweiten, dem, wie wir alle wissen, wichtigsten Teil der Sozialenquete nächstes Jahr herauskommen wird. Wir Sozialdemokraten stehen auf dem Standpunkt, daß über die Frage der Erhöhung der Altrenten hinaus und unabhängig von dem Ergebnis der Enquete schon jetzt gewisse weitere Maßnahmen zur Reform der sozialen Leistungen bearbeitet und vorwärtsgetrieben werden müssen. Da bei der Erörterung der Frage der Altrenten die Probleme der Sozialversicherung angeschnitten wurden, möchte ich mich bezüglich der nächsten Schritte, die zu machen sind, auf die Fragen der Sozialversicherung beschränken,


    (Dr. Schellenberg)

    die meiner Überzeugung nach, nach dem, was ich an den praktischen Arbeiten der Enquete gesehen habe, nicht vom Ergebnis der Enquete abhängig sind. Ich glaube, diese Schritte sollten und müssen jetzt getan werden. Deshalb möchte ich diese Dinge hier konkret ansprechen und Sie bitten, uns darüber eine Auskunft zu geben.
    Ich stelle mir darunter vor: Erstens die Schaffung eines bundeseinheitlichen Rechts in der Rentenversicherung. Mit dieser Frage hat sich der 1. Bundestag bereits im Jahre 1952 beschäftigt. Im Ausschuß wurde bittere Klage darüber geführt, daß wir in dieser Hinsicht noch von einem Recht abhängig sind, das in wesentlichen Grundlagen am 17. März 1945 geschaffen und zonal unterschiedlich geblieben ist. Es schafft deshalb in der praktischen Auswirkung viele Unterschiede und manche Ungerechtigkeiten für Rentner, die bei Frühinvalidität noch erwerbstätig sind, weil teilweise beispielsweise ein Arbeitgeberbeitrag angerechnet wird, aber dafür keine Leistung gewährt wird. Auch die Versicherungspflicht von Lehrlingen ohne Entgelt ist unterschiedlich. Wir haben diese Fachfragen im Ausschuß sehr eingehend erörtert. Der Bundestag hat am 26. November 1952 beschlossen, die Bundesregierung zu ersuchen, baldigst einen Gesetzentwurf über die Beseitigung des unterschiedlichen Länder- und Zonenrechts in der Invaliden- und Angestelltenversicherung vorzulegen.

    (Abg. Horn: Beziehen Sie das auch auf Berlin?)

    - Selbstverständlich auch in bezug auf Berlin. Ich spreche von den Fragen der Rentenversicherung, und darüber gibt es gar keine Meinungsverschiedenheit. Die Rentenversicherung ist, wie Sie wissen, Herr Kollege Horn, im Lastenausgleich drin, und die Berliner Rentenversicherung beruht grundsätzlich zwar nicht auf dem Bundesrecht, weil es das nicht gibt, aber auf dem Recht der britischen Zone mit der Abweichung der Regelungen für die 60jährigen Frauen,

    (Abg. Horn: Also nur grundsätzlich!)

    über die aus sozialpolitischen Gründen gesprochen wird. Das ist eine sozialpolitische Entscheidung in bezug auf die besondere Situation Berlins. Aber grundsätzlich stehen wir selbstverständlich auf dem Standpunkt, daß der Beschluß des Bundestages über das bundeseinheitliche Recht der Rentenversicherung durchgeführt werden muß.
    Ich will auf die weiteren Fragen zur Schaffung des bundeseinheitlichen Rechts nur ganz kurz eingehen. Wir haben hier wiederholt die Frage des § 397 des Angestelltenversicherungsgesetzes erörtert, nämlich die Zahlung von Ruhegeldern an über 60 Jahre alte Angestellte, die länger als ein Jahr arbeitslos sind. Das Haus hat dazu Beschlüsse gefaßt. Wir bedauern, daß die Angestellten der britischen Zone in dieser Hinsicht noch heute benachteiligt sind und die Bundesregierung bisher, jedenfalls nach dem, was wir gehört haben, die Schaffung eines einheitlichen Rechts auf diesem Gebiet verweigert. So haben wir — ich kann es nicht anders sagen — den tragikomischen Zustand, 'daß innerhalb der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ein Teil der Angestellten bei gleicher Beitragszahlung im 60. Lebensjahr und bei einem Jahr Arbeitslosigkeit Ruhegeld erhält und ein anderer Teil der Angestellten nicht. Der Angestellte in Bremen erhält sie und der Angestellte in Hamburg nicht. Das ist doch ein unmöglicher Zustand, und wir meinen, es ist wirklich dringend notwendig, hier bundeseinheitliche Vorschriften zu schaffen. Dazu gehört beispielsweise auch die Schaffung eines bundeseinheitlichen Knappschaftsrechtes. Die Industriegewerkschaft Bergbau hat dazu, wie mir von Freunden mitgeteilt wurde, in Ihrer Anwesenheit, Herr Minister, einen Beschluß gefaßt. Soweit ich unterrichtet bin, sind auch die Arbeitgeber in dieser Beziehung der Auffassung der Gewerkschaften. Ein bundeseinheitliches Knappschaftsrecht ist bisher noch nicht geschaffen. Wir sind der Überzeugung, daß die Schaffung eines bundeseinheitlichen Sozialrechtes, insbesondere in der Rentenversicherung, auch zur Vereinfachung der Sozialgesetzgebung beiträgt. Wir sehen nicht ein, weshalb diese Dinge immer wieder hinausgezögert werden.

    (Abg. Horn: Und das Krankenversicherungsrecht?)

    — Darüber können wir gern sprechen. Es ist ja ein Ausschuß eingesetzt, an dem das Bundesarbeitsministerium beteiligt ist.

    (Abg. Horn: Das ist mir bekannt!)

    Die zweite Forderung, die wir in bezug auf die nächsten Maßnahmen einer Reform der Sozialversicherung erheben müssen, ist die: Gleiche Leistungen für gleiche Beiträge.
    Es muß endlich der Zustand beseitigt werden, daß in der Sozialrentenversicherung bei gleichen Beitragssätzen von 10 % des Arbeitsentgelts unterschiedliche Leistungen . gewährt werden. Das schlägt dem Grundsatz der versicherungstechnischen Gerechtigkeit geradezu ins Gesicht. Sowohl gegenüber den Arbeitern als auch gegenüber den Angestellten gibt es da Ungerechtigkeiten.
    Ich möchte ein Beispiel dafür hinsichtlich der Arbeiter anführen. Sie kennen es von vielen Rentnern her, soweit Sie in der sozialpolitischen Praxis stehen. Es handelt sich um die Steigerungsbeträge des ersten Weltkriegs für die Arbeiter. Diese Jahrgänge kommen jetzt zum Rentenbezug. Der Umstand, daß diese Jahrgänge nur die Klasse II erhalten, führt zu einer Ungerechtigkeit.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Diese wird noch vervielfacht, Herr Minister, wenn Sie jetzt die Steigerungsbeträge aufwerten, da Sie die niedrige Klasse II, sagen wir mal, mit dem Multiplikator x, die höheren Klassen anders aufwerten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir richten deshalb an Sie die dringende Bitte, bei der Altrentenerhöhung diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. Sie haben früher gesagt, daß es verwaltungstechnisch schwierig sei. Jetzt müssen irgendwie die Unterlagen in die Hand genommen werden. Der Zeitpunkt ist gekommen, jene Ungerechtigkeit gegenüber den Arbeitern des ersten Weltkriegs zu beseitigen.
    Auch in bezug auf die Grund- und Steigerungsbeträge sind Reformen dringend notwendig. Wir wissen alle, wie hier der Arbeiter bei kurzer Versicherungszeit und niedrigem Arbeitsentgelt benachteiligt ist. Er kann, wenn er früh Invalide wird, bei seinem niedrigen Arbeitsentgelt über die Mindestrente von 55 DM praktisch nicht hinauskommen, während der Angestellte mit dem gleichen sozialen Schicksal, mit dem gleichen Beitrag, mit der gleichen Versicherungszeit von nur fünf Jahren und bei gleichem Einkommen durch den größeren Grundbetrag praktisch eine höhere Rente erhält. Das ist eine Ungerechtigkeit.
    Es gibt aber auch gegenüber den Angestellten Ungerechtigkeiten. Ich habe schon im 1. Bundestag


    (Dr. Schellenberg)

    darauf hingewiesen, daß der Steigerungsbetrag von 0,7 zu einer Ungerechtigkeit führt. Nach einer Versicherungszeit von 16 Jahren erhält ein Angestellter mit einem Durchschnittsgehalt von 300 DM wegen des Grundbetrags und Steigerungsbetrags eine niedrigere Rente als der Arbeiter. Bei einem Arbeitseinkommen von durchschnittlich 400 Mark tritt das schon nach zwölf Jahren ein. Das weiß Ihre versicherungsmathematische Abteilung ganz genau, Herr Minister. Aber es ist nichts geschehen, um diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. Ich befürchte, daß sich die Differenz noch vergrößert, wenn jetzt die Aufwertung der Steigerungsbeträge kommt. Allerdings weiß ich nicht, wie sie im einzelnen technisch aussehen wird. Wenn man nämlich den höheren Steigerungsbetrag aufwertet, kommt ein Vielfaches von dem heraus, was sich bei der Aufwertung der niedrigeren Steigerungsbeträge ergibt. Deshalb haben die Angestellten ein außerordentlich großes Interesse an der Klärung dieser Frage.
    Ich wiederhole, daß wir Sozialdemokraten im Rahmen der nächsten Schritte zu einer Reform der Sozialversicherung die Verwirklichung des Grundsatzes fordern: Bei gleicher Beitragszahlung gleiche Leistungen.
    Wir stehen weiter auf dem Standpunkt, daß es schnellstens zu einer Vereinfachung in der Rentenberechnung kommen muß. Heute besteht der Zustand, daß sich die Rente von sechs Millionen Menschen aus mindestens fünf Teilen zusammensetzt: Grundbetrag, Steigerungsbetrag, Zuschlag nach dem Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz, Zulage nach dem Rentenzulagengesetz, Grundbetragserhöhung. Für einen Teil der Rentner kommen außer diesen fünf Teilen noch drei weitere Teile hinzu, nämlich Kinderzuschuß, Auffüllungsbetrag und Teuerungszulage, so daß dann acht Teile entstehen. Und wenn Sie jetzt bezüglich der Altrenten etwas machen, ist es möglich — und ich befürchte es —, daß zu dem fünften Teil noch ein sechster Teil und zu dem achten Teil noch ein neunter Teil — Aufstockungsbetrag, wie er geschaffen werden soll — hinzukommt. Das wird besonders kompliziert bei den Angestellten, die Wanderversicherte sind und bei denen nun beide Versicherungszweige zusammentreffen.
    Heute kann praktisch kein Rentner übersehen, wie seine Rente berechnet wird. Das ist ein unmöglicher Zustand. Wir sind der Auffassung, daß es nicht vertreten werden kann, daß nahezu 20 Millionen Menschen, die wöchentlich oder monatlich Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von 10% ihres Arbeitsentgeltes entrichten, nicht übersehen können, sich überhaupt kein Bild davon machen können, wie hoch ihre Rente bei Erreichung der Altersgrenze einmal sein wird. Das sind untragbare Zustände, und wir sind der Meinung, daß eine Vereinfachung der Berechnungsgrundlage, die dem Versicherten eine möglichst gerechte Gegenleistung für die gezahlten Beiträge gibt, ein dringendes Bedürfnis sofortiger Maßnahmen für eine Reform der Sozialversicherung ist.
    In diesem Zusammenhang muß ich auch die Regelung der Altersversorgung für Handwerker erwähnen. Alle Parteien waren sich im 1. Bundestag darüber klar, daß die Altersversorgung reformiert werden muß. Alle Parteien waren der Meinung, daß die jetzige Regelung sowohl für die Handwerker wie für die Angestellten, in deren Versicherung die Handwerkerversicherung eingebaut ist, Nachteile und Schwierigkeiten schafft. Die
    I Bundesregierung hat darüber einen Entwurf vorgelegt, der von allen Seiten des Hauses als unbefriedigend bezeichnet wurde. Wir müssen deshalb von der Regierung verlangen, daß sie baldigst einen Gesetzentwurf über die Reform der Handwerkerversicherung vorlegt.
    Und eine letzte Forderung haben wir: Im Rahmen der Reform der Sozialversicherung muß auch Klarheit über die Grundsätze geschaffen werden, nach denen die zukünftigen Rentenleistungen finanziell gesichert werden sollen. Der Bundestag hat darüber am 1. März 1951 Grundsätze aufgestellt, die, wie wir alle wissen, noch nicht verwirklicht sind. Die lebhafte Debatte in der Öffentlichkeit über die Finanzierung der Altrenten zeigt eine Unruhe und eine Unsicherheit über die Grundsätze, die in dieser Hinsicht angewandt werden. Sachkenner machen der Bundesregierung den Vorwurf, daß sie in bezug auf die finanzwirtschaftlichen Prinzipien einen Zickzackkurs verfolge. Wir müssen deshalb darauf dringen, daß die versicherungstechnische Bilanz, von der Sie, Herr Minister, gesprochen haben, an der gearbeitet wird, nun wirklich bald vorgelegt wird. Herr Minister, die Vorarbeiten, die 1950 und 1951 dafür geleistet wurden, haben, soweit ich unterrichtet bin, nicht zur Veröffentlichung einer versicherungstechnischen Bilanz geführt. Schon im Jahre 1951 haben manche Kollegen gesagt: Jetzt kommt die versicherungstechnische Bilanz, und wir dürfen hoffen, daß sie nun wirklich vorgelegt wird, damit Klärung über die Grundsätze erfolgen kann. Dieses Haus muß eine Entscheidung über die weiteren Grundsätze der Finanzpolitik in der deutschen Sozialversicherung treffen; denn wir wissen, die Vorschriften des § 1391 der RVO stehen auf mehr schwankenden Füßen.
    Es gibt noch viele andere Fragen, deren Erörterung im Rahmen der nächsten Maßnahmen zur Reform der Sozialversicherung notwendig ist. Ich will nur an die Rentnerkrankenversicherung erinnern — mein Kollege Traub hat das bereits in der Haushaltsdebatte angeschnitten —, Fragen der Erhöhung der alten Unfallrenten usw. Diese und viele andere Fragen der Reform der Sozialversicherung sind — das müssen wir der Regierung zum Vorwurf machen — nicht mit der notwendigen Energie angepackt worden.
    Meine Fraktion muß deshalb an die Regierung die dringende Bitte richten, daß diese Grundsätze — Schaffung eines bundeseinheitlichen Rechtes in der Rentenversicherung, gleiche Leistungsgewährung bei gleichen Beiträgen, Vereinfachung der Rentenberechnung, Reform der Altersversorgung der Handwerker und Klarheit über die Finanzgrundlagen der Rentenversicherung — durchgeführt werden. Das sind keine Fragen, meine Damen und Herren der Regierungsparteien, bei denen Sie uns sagen können: Das erfordert ja Aufwendungen von Hunderten von Millionen; die Sozialdemokraten stellen wieder Anträge, die wirtschaftlich nicht durchführbar sind. Diese Dinge können verwirklicht werden. Es bedarf dazu auch nicht vieler Jahre. Sie können durchgeführt werden, und sie haben eine praktische Bedeutung für die Versicherten. Durch diese Maßnahmen, die ich nur im Rahmen der Sozialversicherung angeschnitten habe, wird eine größere soziale Gerechtigkeit erreicht. Darauf kommt es aber bei jeder Sozialreform, ob sie sich nun große oder kleine Sozialreform nennt, entscheidend an.

    (Beifall bei der SPD.)