Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will Sie gar nicht mehr lange aufhalten, sehe mich jedoch genötigt, auf einige Ausführungen insbesondere des Herrn Bundesarbeitsministers näher einzugehen. Zunächst aber möchte ich Herrn Dr. Atzenroth erwidern. Er hat ja an uns die Frage gestellt, weshalb wir keine positiven Vorschläge gebracht hätten. Ich antworte kurz: Zunächst einmal war es der Sinn dieser Großen Anfrage, aus der Regierung das herauszuholen, was Sie selbst auch herausholen wollen: Wie ist der Standpunkt der Regierung zu dieser uns alle bewegenden Frage? Im übrigen habe ich vor zwei Jahren bei der Beratung des Antrags betreffend die Soziale Studienkommission unsere Auffassung ungefähr entwickelt. Außerdem — und darauf mache ich Sie aufmerksam, Herr Atzenroth — habe ich heute acht Punkte genannt, von denen ich glaube, daß sie bei einer solchen Sozialreform von Bedeutung sind, und ich glaube, daß die in diesen Punkten genannten Anliegen durchgeführt
werden müssen. Vielleicht war Ihnen dies entgangen.
Zweitens. Sie hatten hinsichtlich der Altrenten ausgeführt, daß es sich nach Ihrer Auffassung um eine Art Fürsorge handle. Ich möchte das von unserer Seite nicht unwidersprochen lassen, und zwar deshalb, weil wir der Auffassung sind, daß diese Altrentenerhöhung eine Art Wiedergutmachung oder Aufwertung, wenn Sie wollen, darstellt. Diese Aufwertung ist allerdings immer ein Rechtsanspruch gewesen. Das möchte ich nur kurz herausstellen.
Nun aber zum Herrn Bundesarbeitsminister! Ich bedauere — und das betone ich —, daß er nicht da sein kann. Er hat sich bei uns entschuldigt, daß er jetzt zu irgendeiner Sitzung gehen müsse und daß er diese Sitzung leider nicht mehr aufschieben könne. Dem Herrn Bundesarbeitsminister ist es beinahe in den falschen Hals gekommen, daß ich einen Zwischenruf gemacht habe. Ich möchte deshalb doch einmal aus dem Protokoll rekapitulieren. Er hatte gesagt, bei dem Beirat sei dieser Wunsch — nämlich nach einem Arbeitsplan und nach Unterausschüssen — erst in letzter Zeit gereift, und ich hatte dazwischengerufen: „Ich nehme an, daß das nicht stimmt". Wenn der Herr Bundesarbeitsminister sich dadurch beleidigt gefühlt hat, nehme ich das gern zurück. Aber ich habe unterdessen von seiner sofort gegebenen Genehmigung Gebrauch gemacht, das Stillschweigen zu durchbrechen und mich zu erkundigen, wie die Dinge gewesen sind. Nun habe ich allerdings festgestellt, daß ich recht gehabt habe: der Wunsch nach einem Arbeitsplan und nach Unterausschüssen ist bereits in der allerersten Sitzung des Beirats vor über einem Jahr geäußert worden. Ich habe also mit meinem Zwischenruf absolut recht gehabt, und der Bundesarbeitsminister hat sich offensichtlich geirrt.
Ferner möchte ich folgendes feststellen. Der Beirat ist im Februar 1952 beschlossen worden. Er ist zufällig ein Jahr später, im Februar 1953, gebildet worden. Die Arbeitsausschüsse sind im Februar 1954 gebildet worden. Ich habe mir dazu am Rand bemerkt — ich gebe zu, daß das etwas übertrieben ist —: Das Ergebnis werden wir 1980 haben, wenn wir in dieser Weise fortfahren.
— Das ist ein bißchen übertrieben, das gebe ich ohne weiteres zu. Aber immerhin, in diesem Tempo können wir nicht fortfahren; ich glaube, da stimmen wir alle überein. Wir sollten uns alle miteinander Mühe geben, das, was sich aus der gesamten Disskussion als unser gemeinsames Anliegen ergeben hat, auch gemeinsam durchzuführen.
Wenn ich die Debatte überschaue, dann scheint es so, als ob tatsächlich die Altrentenerhöhung das einzige Konkrete — wenn auch noch nicht sehr konkret formuliert, aber immerhin doch das einzige in kürzerer Zeit Greifbare — ist, was man heute genannt hat. Diese Altrentenerhöhung ist ein Teil der Gesamtsozialreform, und das sollten wir niemals vergessen.
— Sicher müssen wir anfangen, Herr Albers. Aber ich glaube, auch einigermaßen das, was in Ihren Ausschüssen geschehen ist, überschauen zu können. Sie sind wie wir — und das wissen wir beide ganz genau — der Auffassung, daß man auch dadurch, daß man etwas präjudiziert, eine Gesamtreform
fragwürdig machen kann, und das möchten wir allerdings gemeinsam vermeiden. Wir müssen sehen, daß es sich um ein Gesamtproblem handelt und daß wir alle Teile in diese Gesamtheit einfügen. Dazu gehört — und deswegen habe ich es hier noch einmal gesagt — als erstes die Vorstellung, wie die Gesamtreform auszusehen hat, damit der Teil, den wir vorwegnehmen müssen — da sind wir ganz einer Meinung —, nicht etwa das Gesamte gefährdet. Ich hoffe, daß wir darin übereinstimmen.
Darum handelt es sich, und ich bitte doch, daß wir alle Polemik beiseite lassen. Herr Arndgen, ich habe Verständnis, daß Sie als getreuer Paladin vor Ihren Minister getreten sind; ich hätte es genau so gemacht, wenn ich in der gleichen Lage gewesen wäre wie Sie; es war nicht sehr schön, was Sie gesagt haben, aber das ist Ihnen alles vergeben und infolgedessen erledigt. Doch Sie können im Innersten Ihres sicher auch roten Herzens
— schwarz-roten, aha! —, im Innern Ihres Herzens sicher nicht verhehlen, daß auch Sie bedauern, nicht bereits vor zwei Jahren begonnen zu haben. Sie brauchen mir nicht zu antworten; das will ich gar nicht.
— Ja natürlich, Herr Winkelheide, wir machen alles im stillen Kämmerlein; aber wir sind ja hier im Parlament. damit die Bevölkerung auch einmal erfährt, was geschieht.
Die Notwendigkeit einer sozialen Reform und der Vorarbeiten dazu ist uns allen seit Jahren, nicht erst seit zwei Jahren, sondern seit vielen Jahren bewußt. Seit dem Zusammenbruch wissen wir, daß den Änderungen in der Sozialstruktur auch soziale Reformen folgen müssen, und um diese wirklich große Frage hat es sich hier gehandelt.
Abschließend würde ich hinsichtlich des Beirates an den Arbeitsminister, wenn er da wäre, einmal die Bitte richten: Geben Sie Meinungsfreiheit! Das ist das erste. Nicht die Bürokratie, sondern die Sachverständigen sollen sprechen. Zweitens: Arbeiten Sie systematisch! Das scheint mir nach allem, was wir besprochen haben, ebenfalls erforderlich zu sein. Drittens: Handeln Sie rasch! Und viertens: Geben Sie Lösungen, die man draußen versteht; denn das ist es, was wir alle erreichen sollten: daß dieses verworrene System einer sozialen Sicherung, das wir in diesen 80 Jahren in Gottes Namen bekommen haben, weil es so gewachsen ist, endlich dem Mann und der Frau, die es angeht, auch verständlich erscheint. Das sollte unser Anliegen sein.