Rede:
ID0203001300

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 6
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Feller.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 30. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Mai 1954 1373 30. Sitzung Bonn, Freitag, den 21. Mai 1954. Geschäftliche Mitteilungen 1374 A Mitteilung und Beschlußfassung über Verzicht auf erneute erste Beratung der Gesetzentwürfe betr. Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit (zu Drucksache 44), Einkommensgrenze für das Erlöschen der Versicherungsberechtigung in der gesetzlichen Krankenversicherung (zu Drucksache 67) und Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (zu Drucksache 68) 1374 B Mündliche Berichterstattung des Ausschusses für Petitionen gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung in Verbindung mit der Beratung der Übersicht 5 über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages betr. Petitionen nach dem Stand vom 7. Mai 1954 (Drucksache 508) 1374 B Frau Albertz (SPD), Berichterstatterin 1374 B Beschlußfassung 1378 B Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Pressepolitische Pläne der Bundesregierung (Drucksache 313; Antrag Umdruck 18) 1378 B Kalbitzer (SPD), Anfragender . . . 1378 B Dr. Schröder, Bundesminister des Innern . . 1380 D, 1396 D, 1400 B, 1401 D Dr. Dresbach (CDU/CSU) 1381 C Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein (FDP) 1385 B Brandt (Berlin) (SPD) 1388 D Feller (GB/BHE) 1392 C Becker (Hamburg) (DP) 1394 D Kühn (Köln) (SPD) 1399 B, 1400 B Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Sozialreform (Drucksache 314) 1402 A Dr. Preller (SPD), Anfragender 1402 A, 1429 B Storch, Bundesminister für Arbeit 1408 A, 1418 A, B Dr. Schellenberg (SPD) 1411 D, 1418 A, 1427 B Dr. Atzenroth (FDP) 1419 C Dr. Elbrächter (DP) 1421 D Frau Finselberger (GB/BHE) . . . 1422 D Arndgen (CDU/CSU) 1424 C Frau Korspeter (SPD) 1426 A Schüttler (CDU/CSU) 1428 C Absetzung der zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Beauftragung von Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege mit der nichtgewerbsmäßigen Arbeitsvermittlung zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Drucksachen 223, 419) von der Tagesordnung 1430 B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Gesetzes betr. die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und des Rabattgesetzes (Drucksache 475) 1430 C Überweisung an die Ausschüsse für Wirtschaftspolitik, für Geld und Kredit, für Rechtswesen und Verfassungsrecht und für Sonderfragen des Mittelstandes . . 1430 C Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. Juni 1953 über den FreundschaftsHandels- und Konsularvertrag zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 8. Dezember 1923 mit seinen Abänderungen (Drucksache 71); Mündlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (Drucksache Nr. 218) 1430 C Dr. Siemer (CDU/CSU), Berichterstatter 1430 D Dr. Lütkens (SPD) 1431 C Dr. Hammer (FDP) (zur Geschäftsordnung) 1433 C Abstimmung 1431 C Weiterberatung vertagt 1433 D Erste Beratung des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Behebung der Berufsnot der älteren Angestellten (Drucksache 346) . . 1433 D Horn (CDU/CSU) (zur Geschäftsordnung) 1434 A Beratung vertagt 1434 C Nächste Sitzung 1433 D, 1434 C Anlage: Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage betr. pressepolitische Pläne der Bundesregierung (Umdruck 18) 1435 Die Sitzung wird um 9 Uhr 9 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid eröffnet.
  • folderAnlagen
    Anlage Antrag der Fraktion der SPD (Umdruck 18) zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Pressepolitische Pläne der Bundesregierung (Drucksache 313) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, zu erklären, daß sie von allen Plänen Abstand nimmt, die geeignet sind, die Unabhängigkeit und die Freiheit der Presse zu beeinträchtigen. Bonn, den 31. März 1954 Ollenhauer und Fraktion
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Willy Brandt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde und ich haben gern zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung keine Pläne verfolgt, die ihrer Meinung nach geeignet sind, die Freiheit und die Unabhängigkeit der Presse zu beeinträchtigen. Nun könnte man vielleicht fragen, ob es dann so sei, daß manche von uns in diesem Hause auf der einen Seite und auf der andern Seite und manche in der Mitte Gespenster sähen. Ja, vielleicht ist es wirklich so. Vielleicht meint der eine und der andere von uns, daß aus der deutschen Wirklichkeit des Jahres 1954 manche Gespenster verscheucht werden müßten. Im übrigen ist sich, wie auch aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Prinz zu Löwenstein zu erkennen war, ja wohl nicht die ganze


    (Brandt [Berlin])

    Regierung darin einig — so habe ich es verstanden —, daß im Zusammenhang mit der Pressefreiheit kein akutes Problem vorliege.
    In einem Bulletin der Freien Demokratischen Partei, Bundesgeschäftsstelle Bonn, vom 31. März dieses Jahres war — ich zitiere — zu lesen:
    Der Generalangriff auf die Freiheit der Meinung hat überall dort begonnen, wo diese über ihre entscheidenden Bastionen verfügt: in der Presse, dem Film und am Ende dem Rundfunk. Der Bestand der Meinungsfreiheit
    — so hieß es an jener Stelle weiter —
    ist in seinem Kern bedroht. Es ist höchste Zeit, sich zur Wehr zu setzen.
    Vielleicht sind solche Worte nicht immer so ernst gemeint, wie sie geschrieben werden. Wir haben heute bemerkenswerte Worte in der Aussprache gehört, so auch das Wort von der Opposition in der Koalition. Aber es kam in dieser Debatte unabhängig von den Parteigrenzen doch wohl auch eine Sorge zum Ausdruck, die beträchtliche und, wie ich meine, nicht die schlechtesten Kreise unserer Bevölkerung erfaßt hat. Wir sollten darüber in aller Ruhe miteinander reden, zumal es um Dinge geht, die bei weitem nicht immer nur mit dem guten oder bösen Willen der Beteiligten, sondern auch und vielfach primär mit gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun haben, die nicht ganz leicht zu meistern sind und dennoch gemeistert werden müssen.
    Worauf ist denn die berechtigte Sorge zurückzuführen, von der ich gesprochen habe? Darauf, daß sich in unserer Gesellschaft die Tendenz zu bürokratischer Bevormundung verstärkt hat, daß die Neigung zur Unduldsamkeit zunimmt, daß obrigkeitsstaatlich vorgedacht wird, wo zu staatsbürgerlichem Nachdenken angeregt werden sollte.
    Meine Damen und Herren, ich möchte Ihre geschätzte Aufmerksamkeit auf eine Entschließung lenken, die die dritte Generalversammlung des Internationalen Presseinstituts in Wien vor etwa einer Woche angenommen hat und in der es heißt:
    Die Generalversammlung stellt mit ernster Sorge fest, daß auch in Ländern, die sich zur Demokratie bekennen und deren Regierungen den Gedanken, diktatorische Gewalt anzuwenden, weit von sich weisen würden, Tendenzen bestehen, die Freiheit der Presse durch neue oder durch die Auslegung bestehender Gesetze einzuschränken.
    Es geht hier gar nicht allein um eine Auseinandersetzung mit der Regierung. Es geht um bedenkliche Tendenzen in unserem gesamten öffentlichen Leben. Es geht nicht zuletzt auch um das vielfach anmaßende und wenig geistvolle Verhalten derer, die Schlüsselpositionen in den Zusammenballungen wirtschaftlicher und politischer Macht ausüben und die nicht immer besonders- geneigt sind, sich einer öffentlichen oder gar demokratischen Kontrolle zu unterwerfen.
    Manche Einzelvorgänge in unserem Land sollten uns zu denken geben und sollten von uns in ihrer weitreichenden grundsätzlichen Bedeutung richtig gewertet werden. Ich denke dabei wie mein Herr Vorredner an die Beschlagnahme von Zeitungen und Zeitschriften auf Grund reichlich rasch erwirkter einstweiliger Verfügungen.

    (Abg. Dr. Menzel: Sehr gut!) Ich denke an Fälle, in denen sich Amtsrichter ziemlich forsch zur Ausübung einer Zensur berufen fühlten.


    (Abg. Dr. Menzel: Sehr gut!)

    Ich denke an den Fall eines Oberstadtdirektors, der die Journalisten aufforderte, sich bei der Berichterstattung über bestimmte Sitzungen nur auf die Mitteilungen der Stadtverwaltung zu beschränken. Ich denke an andere Fälle, in denen Journalisten von städtischen Informationsmöglichkeiten ausgeschlossen worden sind, weil ihre Berichterstattung den Stadtgewaltigen nicht behagte. Ich denke an den sogenannten Maulkorb-Erlaß des Innen- und Sozialministers von Rheinland-Pfalz, der seinen Beamten die Auskunftserteilung an die Presse untersagte. Ich lasse den etwaigen Einwand nicht gelten, daß diese Dinge hier nicht hergehörten. Hier gehört alles her, was die Grundlagen und die Grundfragen der Demokratie betrifft!

    (Beifall bei der SPD.)

    Es geht darum, meine Damen und Herren, ob der Bund ein gutes oder ein schlechtes Beispiel gibt, ob in Bonn gute oder schlechte Normen gesetzt werden. Es war, wenn ich das sagen darf, gewiß kein gutes Vorbild, als draußen der Eindruck entstehen konnte, als wollte sich ein ohne jeden Zweifel überaus wohlmeinender, aber in dieser Sache doch wohl übereifriger Kollege zum Zensor über die von uns zu erwerbende Literatur aufschwingen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Es war keine gute Sache, als der Innenminister der vorigen Bundesregierung den Versuch unternahm, einen der bekannteren Rundfunkkommentatoren abzuservieren. Und man muß, ohne die Reden des Herrn Familienministers wichtiger zu nehmen, als die Auslassungen irgendeines Mitgliedes der Bundesregierung zu nehmen sind, sagen: es war gewissermaßen doch ein Schlag unter den Gürtel — ich muß hier in der Sache meinem Vorredner beipflichten —, als Herr W u e r m e l i n g seine sicherlich nicht immer sehr rücksichtsvollen Kritiker mit dem Kennwort „die ganze liberale Meute" abstempeln wollte, die angeblich ihren ,,Monopolanspruch auf Beherrschung der öffentlichen Meinung" bedroht fühle.

    (Zuruf von der SPD: Der sitzt da und lacht! — Abg. Dr. Menzel: Der spielt den Märtyrer!)

    Der Herr Bundeskanzler hat sich vor wenigen Wochen auf der Jahreshauptversammlung des Deutschen Journalistenverbandes zum Recht der Presse auf Kritik bekannt. Ich folge dabei einem Bericht im Mitteilungsblatt der im DGB zusammengeschlossenen Journalisten. Der Bundeskanzler erklärte, Kritik sei absolut notwendig, und er bat um gegenseitiges Vertrauen. Das sind Worte, die nicht stark genug unterstrichen werden können. Aber ich frage mich: berichtet denn niemand dem Herrn Bundeskanzler über Vorgänge, die das von ihm proklamierte und im Grundgesetz verbriefte Recht auf Kritik, auf freie Meinungsäußerung in Frage stellen? Weiß der Herr Bundeskanzler denn nicht und weiß der Herr Bundesminister des Innern nicht, daß sich hier in Bonn Vertreter der Presse in einer Mehrzahl von Fällen einem peinlichen und, wie ich sage, unstatthaften Druck ausgesetzt gefühlt haben? Ist es nicht so, daß sich untadelige Journalisten auf peinliche Weise überwacht, beschattet gefühlt haben und fühlen? Ist es nicht so, daß manche dieser Vertreter der Presse in Bonn eigenartigen Einflüssen ausgesetzt sein müssen, wenn von ihrer


    (Brandt [Berlin])

    ursprünglich geäußerten Kritik in den unter ihrem Namen veröffentlichten Berichten so gut wie nichts mehr zu spüren ist? Ist es nicht so, daß Journalisten mit Drohungen bedacht werden, wenn sie schreiben oder zu schreiben beabsichtigten, was dieser oder jener Stelle der Bundesregierung nicht behagt?

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Da gab es einen Berichterstatter, der etwas über die geplante und gestern hier erörterte Steuerreform erfahren hatte und sein Wissen zu einer Meldung verarbeitet hatte, wie es seiner journalistischen Aufgabe entsprach. Durch einen zunächst freundlichen Anruf, wenn ich recht informiert bin, nicht aus dem Finanzministerium, wurde ihm nahegelegt, sich diesem Thema zunächst nicht mehr zu nähern. Der Berichterstatter erfuhr jedoch mehr und er schrieb mehr, und was er schrieb, war nicht falsch. Daraufhin ein neuer Anruf: man wolle ihn darauf aufmerksam machen, daß er sich in bedenkliche Nähe gewisser Paragraphen des Strafgesetzbuchs begebe.

    (Zurufe von der SPD: Unerhört! — Hört! Hört! — Abg. Dr. Menzel: Das ist ja toll! Das ist ja Nötigung!)

    Sollte man nicht sehr, sehr vorsichtig sein mit der schwerwiegenden Beschuldigung des Geheimnisverrats? Und steht der Bürokratie überhaupt das Recht einer solchen Drohung zu?

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich will gern anerkennen, daß die Antwort, die der Herr Bundesminister des Innern heute früh hier erteilt hat, einige Zweifelsfragen geklärt hat. Wir haben zur Kenntnis genommen — schon durch die Erklärungen, die vor dieser Debatte abgegeben worden sind, und wir haben es heute bestätigt gehört —, daß gegenwärtig keine regierungsoffizielle Bundeskorrespondenz geplant ist und daß der sogenannten Bundeskorrespondenz, die als privates Unternehmen besteht, keine finanziellen Mittel des Bundespresse- und -informationsamts mehr zufließen sollen. Ich darf unterstellen — auch wenn sich der Herr Bundesminister des Innern dazu heute morgen nicht ausdrücklich geäußert hat —, daß eine regierungsamtliche Auslese von Journalisten für bestimmte Nachrichtenquellen nicht beabsichtigt ist.
    Vielleicht überprüft man aber doch einmal, Herr Bundesminister, die angebliche Bevorzugung, von der in Journalistenkreisen die Rede gewesen ist, von Journalisten, die keine bestimmte Zeitung vertreten, gegenüber anderen, die für große Blätter tätig sind. Vielleicht prüft man auch, ob die Bevorzugung dieser und die Hintansetzung jener ausländischen Korrespondenten den Erfordernissen der deutschen Politik und der deutschen Außenpolitik entspricht.
    Wir haben gehört, daß es nicht geplant sei, die Presse künftig über sämtliche Angelegenheiten der Bundesregierung und ihrer Ministerien nur noch durch das Presse- und Informationsamt zu unterrichten. Der Herr Bundesminister des Innern hat auf die Vorbereitungen hingewiesen, die zur Ausarbeitung einer neuen Geschäftsordnung des Kabinetts eingeleitet worden sind. Er hat sich auch auf die Grundsätze der Geschäftsordnung der Reichsregierung aus dem Jahre 1926 berufen und hat auf die gegenwärtige Geschäftsordnung verwiesen, die in diesem Punkt nicht verändert werden sollte und in der es sinngemäß heißt, daß alle Veröffentlichungen und alle Mitteilungen, die über fachliche Mitteilungen aus dem besonderen Arbeitsgebiet eines Ministeriums hinausgehen, namentlich solche, die politischen Charakter haben oder politische Wirkungen auslösen können, über das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung zu leiten sind. -
    Nun ist kaum etwas dagegen einzuwenden, daß das Presse- und Informationsamt als ein Sammelpunkt für Mitteilungen der Bundesregierung dient. Ich habe aber sehr schwere Bedenken gegen die noch immer bestehende Tendenz, das Presse- und Informationsamt zu einer Nachrichtenschleuse zu machen, von einer Nachrichtenbörse ganz zu schweigen; denn das, was auf dem Gebiet der Nachrichtenbörse bei der Boulettenbar des Presse-und Informationsamtes während der Berliner Konferenz herausgekommen ist, das sollte doch wohl trotz des erheblichen materiellen Aufwandes nicht all zu hoch eingeschätzt werden können.
    Bin ich ganz auf dem Holzweg, wenn ich die Frage aufwerfe, ob es wahr ist, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister, und ich füge hinzu: der pressefreundliche Herr Bundeswirtschaftsminister — Ehre, wem Ehre gebührt —, durch den Herrn Bundesminister des Innern korrigiert wurde, als er, der Bundesminister für Wirtschaft, kürzlich seinen Beamten die Anweisung gegeben hatte oder geben wollte, auf vernünftige Fragen vernünftig zu antworten?

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Kalbitzer: Sehr gut!)

    Im übrigen kommt es vom Standpunkt der Presse und vom Standpunkt der durch die Presse vertretenen und zu unterrichtenden Öffentlichkeit — ich beziehe mich noch einmal auf die Geschäftsordnung — natürlich mehr auf wichtige als auf unwichtige Angelegenheiten an, und das sind meist solche, die politischen Charakter haben und politische Wirkungen auslösen können.
    Hierbei ergibt sich nun die Frage: Wer entscheidet, was wichtig und was politisch ist, und was geschieht, wenn die Ministerialbeamten über Art, Inhalt und Umfang dieser oder jener Information wesentlich anders denken als diejenigen, die die Öffentlichkeit zu unterrichten haben? Wir können doch nicht einfach vom Anspruch der Ministerialbeamten oder auch der Herren Minister auf eine in jedem Fall bessere Einsicht ausgehen. Wir müssen doch wohl vom gesunden Wechselspiel der politischen und geistigen Kräfte ausgehen. Dieses Wechselspiel ist unmöglich ohne das Recht der Presse auf Auskunft, jenes Recht, dem auf der anderen Seite die Pflicht der Presse zur Information entspricht; und ich wünschte, daß sich auch die ganze deutsche Presse dieser Pflicht zur Information bewußt wäre.
    Meine politischen Freunde und ich teilen nicht die Meinung, daß es Sache des Bundeskanzleramtes oder irgendeiner anderen Bundesbehörde sei, darüber zu befinden, was der Bundesbürger wissen, was die Öffentlichkeit erfahren darf. Falls darüber einseitig auf der Behördenebene entschieden würde, dann wollte man sicherlich auch bald die andere Seite regeln, nämlich bestimmen, was den Bundesbürger sozusagen positiv zu interessieren hat. Gewiß, es gibt vertrauliche Dinge — Herr Kollege Dresbach hat schon darauf verwiesen —, über die man vertraulich informieren kann und vertraulich informieren sollte, und ich glaube, die


    (Brandt [Berlin])

    Damen und Herren der Presse werden selber diejenigen aus ihren Reihen auszuschalten wissen, die sich an eine solche Vertraulichkeit nicht halten würden. Aber wir billigen nicht und können nicht billigen die Neigung zu übertriebener Geheimhaltung. Zu übertriebener Geheimhaltung! Durch die Geheimniskrämerei erschwert man geradezu die vertrauliche Behandlung solcher Dinge, die zu Recht mit einem entsprechenden Stempel versehen sind.
    Und, Herr Bundesminister des Innern, wir haben auch kein Verständnis für Dementis, die keine sind. Im Ton der Empörung ist kürzlich dementiert worden, daß ein uns allen bekannter Universitätslehrer aus seiner Position im Auswärtigen Amt ausscheiden werde und daß der Chef der Organisationsabteilung in der Dienststelle Blank abgelöst werden solle. Und dann kam es genau so, wie berichtet worden war, und man lachte über die unbeholfenen amtlichen Zwischenmeldungen, und man lachte zu Recht, Herr Bundesminister.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Im übrigen: für die Propagierung parteipolitischer Ziele und gruppenmäßiger Interessen sind nicht die Organe des Staates da, die Partei mag noch so groß, die Gruppe mag noch so mächtig sein. Für diese durchaus legitimen Aufgaben sind auch nicht die Gelder der Steuerzahler da.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    In anderen demokratischen Ländern sind Gelder des Steuerzahlers auch nicht dazu da — ich muß den Punkt noch etwas verdeutlichen, den mein Freund Kalbitzer in seiner Begründung heute morgen schon angeschnitten hat —, daß Journalisten den Regierungschef auf seinen Reisen begleiten. Die Träger der Presse sollten selbst darauf achten, daß sie nicht Mißdeutungen ausgesetzt werden.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Die Unabhängigkeit der Presse beginnt bei der Haltung und der Würde der Presse selbst.

    (Beifall bei der SPD.)

    Niemand erwartet, daß eine Regierung ihr Licht unter den Scheffel stellt. Niemand wird es verübeln, wenn die Regierung von ihrem Tun und ihren Plänen durch das rednerische und womöglich schriftstellerische Talent ihrer Minister Zeugnis ablegt. Eins sollte die Regierung dabei nicht vergessen. Das Urteil über ihr Tun ist von den Bürgern unseres Staates zu fällen, und es sollte wahrlich unser gemeinsames Bestreben sein, daß eine immer größere Zahl unserer Mitbürger zur gestaltenden Mitwirkung am öffentlichen Leben ermuntert und auch wirklich befähigt wird, und zur Befähigung gehört die ausreichende Unterrichtung. Dazu bedarf es einer deutlichen Trennung notwendiger Information von einseitiger Propaganda. Dazu bedarf es eines unverrückbar positiven Verhältnisses zur Meinungs- und Pressefreiheit, die wir unter so schmerzvollen Umständen wiedererlangt haben.
    Der Kollege Dresbach hat hier zu Beginn der Debatte einige vorzügliche Worte über das Verhältnis zwischen Presse und Parlament, zwischen Presse und Politikern gesagt. Mir kam dieser Tage ein englisches Buch „Regierung im Kräftefeld der Gesellschaft" in die Hände. Darin ist von der gewaltigen Wandlung die Rede, die sich seit den Tagen der klassenbestimmten Oligarchien vollzogen hat. Damals hatten es die Regierungen im allgemeinen nicht nötig, der Aufnahme ihrer Politik beim Volk den Weg zu bereiten. Heute haben die Regierungen zum Unterrichten und zum Beeinflussen der öffentlichen Meinung mächtige Mittel zur Hand. Der Verfasser des von mir erwähnten Buches, R. M. McIver, sagt, solange die Regierungen nicht versuchten, andere Propagandastellen gleichzuschalten, könne sich hinsichtlich dieser Funktion, von der ich eben sprach, keine Frage erheben. Er verweist darauf, daß zahlreiche Organisationen im modernen Staat damit beschäftigt sind, die neuen Techniken der Nachrichtenübermittlung und die neue Kunst der Meinungsforschung auszuüben, und er schreibt weiter — und dem könnten wir doch hoffentlich auch alle zustimmen — folgendes. Ich zitiere:
    Die Regierungen müssen sich der gleichen Kunst bedienen; ob zum Guten oder zum Schlechten, hängt von ihrer Art ab. Soweit sie sich ihrer bedienen, um das Volk zu einem besseren Verständnis der Fragen, mit denen sie sich befassen, zu bringen und ein Gefühl der gemeinsamen Einheit über die Gruppenverschiedenheiten hinaus zu schaffen, dürfen wir es wagen, diese Aktivität der Liste der kulturellen Aufgaben beizufügen.
    Meine Damen und Herren, Sie sehen schon durch diesen Hinweis: ich bin kein Gegner amtlicher Pressestellen. Solche Stellen können nützliche Aufgaben erfüllen. Aber man fragt sich gelegentlich, ob nicht hier und da des Guten zuviel geschieht, ob nicht manche Überschneidungen vermieden werden können und ob nicht der Berufsstand der Zeitungsausschneider über Gebühr anwächst. Man verwechsle übrigens bitte nicht das Anliegen der Presse mit dem Interesse staatlicher Pressepolitik. Um in diesem Zusammenhang ein Wort Kurt Schumachers zu zitieren: Ein Kater, der einen Kanarienvogel verspeist hat, kann darum noch lange nicht schön singen. Ich glaube, das gilt auch für manche staatliche Pressestellen.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Aus Pressestellen dürfen keine Abwehrorgane, keine Büros zur Verhinderung der Information werden.
    Ich wende mich noch einmal an den Herrn Bundesminister des Innern, der sich von vornherein freundlicherweise bereit erklärt hat, in diese Debatte einzusteigen. Herr Bundesminister, schauen Sie sich doch bitte einmal in Ihrem eigenen Hause um! Ein Pressemann, der sich an Ihre Pressestelle im Bundesministerium des Innern wendet, bekommt zur Antwort — woraus dieser Stelle natürlich kein Vorwurf zu machen ist; ich denke nicht daran, ihr einen Vorwurf zu machen —, daß man dort nichts wisse. Der zuständige Sachbearbeiter erklärt, er dürfe nichts sagen, sondern könne sich nur über die Pressestelle äußern. Dann bekommt schließlich der Pressemann über die Pressestelle, die zunächst nichts wußte, seine Antwort. Aber da er mit dem Sachbearbeiter nicht selbst sprechen konnte, kann er keine Zusatzfragen stellen, wie wir es hier in unseren Fragestunden nennen würden,

    (Zuruf von der SPD: Manchmal doch! — weitere Zurufe)

    und er kann nicht so lebendig und genau berichten, wie er es vielleicht möchte und wie es ihm lieb sein müßte. Und was ergibt sich daraus, Herr Bundesminister? Dieser Journalist schnappt dann


    (Brandt [Berlin])

    diese oder jene Andeutung auf — in der Not frißt der Teufel Fliegen —, und schon sind wir unter Umständen bei einer falschen Meldung.
    Vor allem aber sollte streng darauf geachtet werden, daß Organe staatlicher Informationspolitik für den Staat da sind, für alle seine Teile, für die Gesamtheit seiner Bürger,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    das heißt, es gehört zu den Aufgaben solcher Organe, objektiv über beide Seiten zu berichten, wenn die Dinge im Staat unter den Trägern des Staates umstritten sind, und die Opposition ist einer der Träger, ja einer der Pfeiler eines demokratischen Staatswesens.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Gewiß, die Demokratie ist keine sehr bequeme Sache. Im Obrigkeitsstaat, in der Diktatur, ist es bequemer — für die oben. Aber zu deren Bequemlichkeit kommt dann neben vielem anderen, daß die Giftpflanzen der Gerüchte emporschießen über den Gräbern einer freien Presse.
    Es ist heute bei weitem nicht alles erfreulich in unserer deutschen Presse. Es gibt Entartungserscheinungen, es gibt Gangstermethoden, von denen sich jeder verantwortungsbewußte Journalist abgrenzt. Bei einem Teil der Presse gibt es leider auch eine Reaktion auf Tendenzen unserer Zeit, eine Reaktion, die einer stillen Gleichschaltung recht nahekommt. Es ist keine erfreuliche Sache, wenn ein beträchtlicher Teil unserer Presse der Behandlung mancher lebenswichtiger Themen ausweicht, weil man gewissermaßen glaubt, spüren zu können, daß eine Erörterung dieser Fragen oben nicht erwünscht sei.
    Aber es gibt auch einen echten Beitrag der Presse zum deutschen Aufbau und zur Sache der deutschen Demokratie. Die Presse hat wiederholt in den letzten Jahren und Monaten gegen Versuche und Versuchungen Front gemacht, aus denen eine Knebelung der freien Meinungsäußerung hätte erwachsen können. Auch der erste Entwurf des Bundespressegesetzes mußte nach leidenschaftlicher Kritik zurückgezogen werden, und wir sind sehr gespannt, Herr Bundesminister, ob der neue Entwurf, wenn er kommt, einen neuen Geist erkennen lassen wird. Diskussionen in den Organen und Organisationen der Presse, der Journalisten haben in der letzten Zeit gezeigt, daß es dort einen Willen gibt einerseits zur Unabhängigkeit und andererseits zur Abgrenzung von Mißständen. Dieser Wille ist da, ihn sollte die Bundesregierung respektieren, ihn fördern, denn es geht um einen der Grundwerte unserer staatlichen Ordnung.
    Meine Damen und Herren, ich habe auf manch kritisches Wort nicht verzichten können. Aber ich hoffe, deutlich gemacht zu haben, daß es mir—wie den anderen Herren, die sich geäußert haben—um eine Sache geht, die uns alle aufhorchen lassen sollte, alle, die auf dem Boden der Demokratie stehen, mögen die Meinungsverschiedenheiten unter ihnen sonst noch so groß sein. Die ehrlich Besorgten im Volke aber sollen wissen, daß sie in diesem Hause auf Bundesgenossen und Fürsprecher rechnen können, wenn es gilt, bedrohlichen Entwicklungen zu begegnen und gefahrvollen Anfängen zu wehren.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten in der Mitte.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Feller.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Erwin Feller


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (GB/BHE)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage, die uns heute in so lebhafter — teils humorvoller, aber auch ins Grundsätzliche gehender — Weise beschäftigt, geht von Vermutungen aus, die in der Antwort der Regierung als unzutreffend bezeichnet wurden. Wir als Partei verfügen leider nicht über die personellen Querverbindungen, um zu wissen oder feststellen zu können, ob für die Vermutungen der Anfrage berechtigte Anlässe bestehen oder bestanden haben. Wir konnten uns unsere Meinung zunächst nur aus dem bilden, was die hier gerade besonders interessierte Presse an Mitteilungen und Stellungnahmen in den letzten Wochen und Monaten geliefert hat. Aber wir hatten keine Ursache, nicht gutgläubig zu sein, und mußten ihr zumindest zubilligen, daß sie wenigstens in dieser Sache nicht falsch informiert worden ist. Wir freuen uns aber, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort durch den Herrn Bundesminister des Innern so eindeutig hat erkennen lassen, daß sie nicht beabsichtigt, den geäußerten Befürchtungen eine nachträgliche Berechtigung zu erteilen. Wir meinen auch, daß die bisher nach unserer Kenntnis — die allerdings, wie ich schon sagte, recht unvollkommen ist — von der Bundesregierung angewandten Methoden, Formen und gehegten Absichten der Unterrichtung der Presse noch keine Veranlassung geben, zu befürchten, daß die Freiheit der Meinungsäußerung und der Berichterstattung in einer grundgesetzwidrigen Weise beeinträchtigt werden könnte. Wir sind der Meinung, daß auch dann noch keine Gefahr in dieser Richtung gesehen werden müßte, wenn es sich aus rein technischen Gründen als notwendig erweisen würde, daß die Bundesregierung in ihrer publizistischen Apparatur einmal organisatorische Veränderungen vornehmen müßte, sei es aus Gründen der Rationalisierung, der Zusammenfassung oder der Vereinfachung. Man kann sich auch durchaus vorstellen, daß in den vergangenen Jahren Erfahrungen gesammelt wurden und daß sich vielleicht auch aus dieser Debatte Anregungen ergeben, die das Kabinett zu Maßnahmen auf diesem Gebiet veranlassen könnten, die der freien Meinungsbildung geradezu förderlich wären und von uns allen gutgeheißen werden könnten. Wir sind auch bereit, der jeweiligen Bundesregierung — und wenn sie einmal von der heutigen Opposition gebildet werden sollte, würde sie dasselbe Recht für sich in Anspruch nehmen — zuzubilligen, daß sie ihre Meinung in der ihr zweckmäßig erscheinenden Form in den allgemeinen Meinungsstreit hineinruft.
    Wenn wir also insoweit keine konkrete Veranlassung sehen, zu tadeln oder Befürchtungen zu äußern, so sind wir doch — und darin stimme ich mit dem Kollegen Brandt völlig überein — der Ansicht, daß hier ein stets akutes Problem vorliegt. Diese Debatte gibt uns eine erwünschte Gelegenheit, ein Bekenntnis zur unbedingten Wahrung der Freiheit von Presse und Berichterstattung abzulegen. Daß dies auch unabhängig von konkreten Veranlassungen durch etwa vorhandene oder vermutete Absichten notwendig ist, erweist sich gerade aus dem Vorliegen einer Resolution wie der, aus der der Kollege Brandt einige Sätze zitiert hat. Ich meine die auf der Tagung des Internationalen Presseinstituts in Wien gefaßte Resolution. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten und des


    (Feller)

    Herrn Kollegen Brandt darf ich seinem Zitat noch ein paar Sätze aus dieser Resolution hinzufügen. Da heißt es nämlich:
    Die im Internationalen Presseinstitut zusammengeschlossenen führenden Redaktoren der freien Presse stellen fest, daß die Beschränkung der Freiheit der Presse immer und überall den Weg ebnete zur Errichtung einer Herrschaft von Willkür und Ungerechtigkeit, auch wenn diese Beschränkungen oft aus achtbaren Überlegungen angestrebt werden. Sie warnen die Behörden aller freien Länder vor allen Versuchen, die Freiheit der Presse zu untergraben, da sie damit die Grundlage ihrer eigenen Existenz, ihrer eigenen Freiheit und der Gerechtigkeit zerstören.
    Angesichts eines so ernsten Mahnrufes an alle Staaten erscheint es doch geboten, daß auch wir unserer Meinung dahingehend Ausdruck verleihen, daß es in unserer Zeit, in unserer Lage keine verantwortungsvollere politische Aufgabe gibt, als der Idee und der Erhaltung der Freiheit, insbesondere der Freiheit der Meinungsbildung, zu dienen. Wo immer etwas geplant, gesagt oder getan werden sollte, was ihr Abbruch tun könnte, muß dies unseren leidenschaftlichen Widerstand entfachen. Denn die Idee der Freiheit ist die beste und vielleicht die einzig wirksame Waffe, die wir im Kampf gegen totalitäre Staatsformen besitzen. Sie hat überdies den ungeheuren Vorzug, daß sie nicht erst ad hoc erfunden zu werden braucht. Wenn in irgendeiner Form gegen die Prinzipien der menschlichen und geistigen Freiheit, wie wir sie im Grundgesetz garantiert haben, verstoßen würde, dann wäre das gleichbedeutend mit einem Verrat an der freien Welt zugunsten der Absichten der bolschewistischen Politik.
    Aber wir dürfen uns nicht damit begnügen, von der Freiheit zu reden und zu deklamieren. Wir müssen sie auch handhaben, und zwar unserer Lage entsprechend. Das gilt für die Repräsentanten und Vertreter des Staates vor allem; es gilt aber auch für die Vertreter der öffentlichen Meinung. Deshalb sei mir an dieser Stelle auch ein Wort an die zuletzt Genannten gestattet. Ich bin zwar selbst nicht Journalist; aber ich bin es gewesen. Ich bin dann später allerdings zur Schulmeisterei übergegangen. Deshalb habe ich aber doch nicht die Absicht, hier eine Belehrung zu erteilen; denn ich weiß aus Erfahrung, daß die, die sich belehren lassen, ohnehin immer des besten Willens sind. Der Herr Kollege Dresbach hat ja auch schon einige Bemerkungen zu dieser Frage gemacht, denen ich noch einige weitere hinzufügen möchte. Die in Presse und Publizistik Tätigen haben für die Wahrung der allgemeinen Freiheit, die auch die ihre umfaßt, genau so viel Verantwortung wie Parlament und Regierung, und sie werden ihr nicht n u r dadurch gerecht, daß sie, wo immer diese bedroht erscheint, nach der Freiheit rufen. Sie erhalten sie dadurch am besten, daß sie von den ihnen gegebenen Freiheiten den richtigen Gebrauch machen und damit allen Staatsbürgern ein Beispiel für die staatsbürgerliche Verantwortung zur Erhaltung der Freiheit geben.
    Es gibt auch heute wieder — Gott sei Dank — in den Reihen unserer Publizisten hervorragende Vorbilder, die unsere ganz besondere Hochachtung verdienen. Aber wir wünschten, daß sie gar nicht so sehr hervorragten, sondern als der herrschende Typus angesehen werden könnten, daß es in der deutschen Presse schlechthin keinen Journalisten gäbe, dem nicht der Staat und die Allgemeinheit uneingeschränktes Vertrauen schenken könnten. Das wäre möglich, wenn sich alle die freiwillige — die freiwillige! — Beschränkung auferlegten, das und nur das mitzuteilen, was im Interesse der Allgemeinheit mitgeteilt werden darf oder zur Erleichterung der öffentlichen Meinungsbildung mitgeteilt werden muß. Das schließt vor allen Dingen jegliche Neigung zur Sensationsmacherei aus. Vielleicht trägt auch die heutige Debatte in dieser Hinsicht zu einer gewissen Besinnung und Uberprüfung bei.
    Wir wissen, daß die deutsche Presse es ungeheuer schwer gehabt hat, nach den Zeiten der Knebelung und der Entartung und aus dem Zusammenbruch das zu werden, was sie heute erfreulicherweise wieder ist. Die Eingriffe des „Dritten Reichs" in die freie Entwicklung der deutschen Presse waren um so tragischer, als die in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg eben im Begriff war, eine Entwicklung zur politischen Mitarbeit und Mitverantwortung nachzuholen, die ihr im Gegensatz zu anderen Ländern im kaiserlichen Deutschland nicht möglich gewesen war. Ich weiß nicht, ob der Kollege Dr. Dresbach mit mir in diesem Punkt übereinstimmt. Er muß es ja besser wissen, er hat es miterlebt; ich kann es nur lesen. Aber ich kann mich auf einen wenigstens in diesem Punkt unverdächtigen Zeugen berufen, von dem ich allerdings nicht weiß, ob er wieder vollkommen couleurfähig ist. Das ist Oswald Spengler mit seinem berühmten Aufsatz „Zur Entwicklung des deutschen Pressewesens". Er führt dort allerdings an - das möchte ich hier auch erwähnen —, daß die Stärke der deutschen Presse vor dem ersten Weltkrieg dafür auf dem Gebiet der geistigen Bildungsfunktion gelegen habe, einer Funktion, die ihr während des Dritten Reiches auch verlorengegangen ist. Der deutschen Presse fehlen also heute zwangsläufig manche Elemente der Tradition, die der Presse anderer Länder noch Gesetz und Richtung geben.
    Es muß aber Sache der Presse sein, sich ihre innergesetzliche Ordnung selbst zu schaffen. Es ist berufs- und standespolitische Aufgabe der in der Presse Tätigen, gegen Auswüchse und Entartungen selber vorzugehen, Auswüchse und Entartungen, die niemals Maßstab für die Beurteilung der Presse im allgemeinen sein dürfen. Aber nur dann, wenn die Presse sich selbst davon freihält, hat es für uns als politisch Verantwortliche einen Sinn, für die unabdingbare Erhaltung ihrer Freiheit einzutreten.
    Dann scheint mir auch eine Frage müßig, wie sie unter 1 c der Großen Anfrage gestellt ist. Denn wenn es von der Mehrheit der in der Presse Tätigen als eine selbstverständliche Verpflichtung erachtet wird, sich in einer Art freiwilliger Selbstkontrolle von solchen Berufsgenossen zu distanzieren, welche gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstoßen oder nicht für sie einzutreten gewillt sind, dann braucht sich auch kein Verfassungsschutzamt mit der Presse zu befassen. Man darf doch wohl aus der Anfrage nicht entnehmen, in diesem Hause bestünden Divergenzen darüber, daß die verfassungsmäßige Ordnung mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gewahrt werden muß. Die Stellen, die dazu tätig werden können, unterstehen doch auch der parlamentarischen Kontrolle in Bund und Ländern. Wir haben ja hier im Hause sogar einen besonderen Ausschuß, der unter dem Vorsitz eines Mitglieds der Opposition steht.


    (Feller)

    Wir haben auch einen Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films, dem ich persönlich nicht angehöre, dessen Vorsitzender aber meines Wissens ein Mitglied der Regierungskoalition ist. Er wird sicher mit mir übereinstimmen, wenn ich sage, daß seine Aufgabe weniger darin besteht, der Publizistik Zensuren oder Richtlinien für ihr Wohlverhalten zu erteilen, als darin, der Regierung Vorschläge zu machen, wie sie dem öffentlichen Anliegen der freien Meinungsbildung gerecht werden kann.
    Wir glauben, daß es hier tatsächlich noch einiges zu tun gibt, weniger, um das Pressewesen zu beeinflussen — das seine Entwicklung, wie ich schon sagte, selber nach außerparlamentarischen Gesetzen vornehmen muß —, als vielmehr das Verhältnis von Regierung und Presse für die Allgemeinheit fruchtbarer zu gestalten. Das liegt wohl mehr auf dem Gebiet des Taktischen — und das Taktische hat ja zumindest sprachlich auch etwas mit „Takt" zu tun – als auf dem Gebiet des Organisatorisch-Technischen, dessen Zweckmäßigkeit zu beurteilen der Regierung selber obliegen muß. Wir glauben aber, daß es dazu nicht eines besonderen Ministeriums, schon gar nicht nach berühmten Mustern, oder eines großen bürokratischen Apparates bedarf. Dafür scheint uns eine kleine Schar sehr befähigter und geeigneter Mitarbeiter aus alle n politischen und weltanschaulichen Richtungen und eine echte parlamentarische Kontrolle ihrer Tätigkeit, wie sie auch Kollege Prinz zu Löwenstein vorhin schon gefordert hat, zu genügen.
    Noch ein Wort zu den Mitteln, die für diese Arbeit zur Verfügung stehen. Ihre Höhe war in den Haushaltsberatungen umstritten, es ist auch heute wieder darauf Bezug genommen worden. Ich bedauere das eigentlich, weil es a priori den Verdacht aufkommen lassen könnte, daß ihre Verwendung nicht im Interesse der Allgemeinheit, sondern nur unter speziellen Interessengesichtspunkten beabsichtigt ist. Wenn wir aber einmal überlegen, welcher Arbeit es noch bedarf, um die Teilnahme des einzelnen Bürgers an Staat und Politik zu erwecken, vor allem aber auch um das Ansehen des deutschen Staates und Volkes in der Welt wiederherzustellen — nicht nur im amerikanischen Mittelwesten, wie Herr Kollege Professor Gülich vor einigen Tagen gesagt hat —, dann sind acht oder zehn oder zwanzig Millionen DM ein Pappenstiel, vor allem wenn man die Mittel mit denen vergleicht, die von anderen Ländern gewissermaßen in Konkurrenz mit uns auf dem Weltmarkt der öffentlichen Meinung eingesetzt werden. Die ausländische Presse hat uns ja gerade in den letzten Wochen und Monaten Beweise dafür geliefert, wie wenig sie noch über unsere wahrhaften Ansichten und Anliegen im Bilde ist. Hier sollte es uns also weniger darauf ankommen, zu kritisieren und zu kontrollieren, als darauf, anzuregen und zu fördern. Sollten wir nicht in der Lage sein, den staatlichen Stellen wirksame Impulse zu geben, dann wäre es allerdings zweckmäßiger, wir diskutierten zunächst einmal über das Parlament und seine Funktionen. Die Presse scheint sich ebenfalls in letzter Zeit sehr dafür zu interessieren und sich kritischer mit uns zu beschäftigen, als wir es mit ihr zu tun überhaupt beabsichtigen. Ich stehe nicht an, ihr zuzugestehen, daß sie damit eine durchaus berechtigte Aufgabe erfüllt und ihre Freiheit richtig handhabt. Wir würden ebenso wie die Regierung eine schlechte Haltung einnehmen, wenn wir Maßnahmen zuließen, die sie daran hindern könnten, unser Handeln
    oder Nichthandeln zu kritisieren. Wir tun besser daran, sie durch unsere Haltung zwar nicht gerade zu ermuntern, aber doch zu veranlassen, so objektiv wie möglich zu sein.
    Objektivität aber ist nur in Freiheit möglich! Absolute Objektivität ist ebensowenig möglich wie absolute Freiheit. Beide unterliegen Bindungen, die nur dann eingehalten werden, wenn sie freiwillig gewählt und anerkannt sind. Das muß die Presse wissen, das müssen aber auch Staat, Regierung und Parlament wissen. Wir werden gemeinsam darüber zu wachen haben, daß dieses Wissen auch beachtet wird. Geben wir der Regierung Anregungen, Mittel und Möglichkeiten, eine ausreichende Informationstätigkeit für die in- und ausländische Presse zu entfalten und ein gutes Verhältnis zu allen Pressevertretern zu unterhalten, die sich im Rahmen der demokratischen Ordnung halten! Dann wird sie sich hoffentlich auch nicht einfallen lassen, eine eigene Pressekorrespondenz herauszugeben oder gar einen Teil der Presse anderen gegenüber zu bevorzugen. Es liegt aber an uns, wachsam zu sein, vor allem dafür zu sorgen, daß das Parlament seine Aufgabe als Hüter der demokratischen Rechte und in der Kontrolle des Staatsapparates in vollem Umfange wahrnimmt. Dann braucht uns um die Freiheit der Bildung der öffentlichen Meinung, die noch von ganz anderen Mächten als der des Staates bedroht ist, nicht weiter bange zu sein. Insoweit, meine Damen und Herren, hielten wir es für durchaus angebracht, erfreulich und fruchtbar, daß dieses Thema hier einmal diskutiert werden konnte und auch wir Gelegenheit hatten, unserer Meinung dazu Ausdruck zu verleihen.

    (Beifall beim GB/BHE.)