Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich bitte sehr um Entschuldigung. Die Technik scheint uns heute nicht hold zu sein. Das grüne Licht bleibt dunkel.
Selbst wenn ich den Knopf nach rechts drehe: es bleibt dunkel.
— Jetzt funktioniert die Technik wieder.
Frau Albertz , Berichterstatterin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider bestanden infolge der Haushaltsberatungen Terminschwierigkeiten, so daß es dem Petitionsausschuß erst jetzt möglich ist, seine ersten mündlichen Darlegungen in dieser Wahlperiode gemäß § 113 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu machen. Ich bitte Sie daher um Verständnis dafür, wenn die Ihnen vorliegenden statistischen Übersichten bereits mit dem Ende des ersten Kalendervierteljahres, nämlich mit dem 31. März 1954 abschließen. Wenn ich im Laufe meines Berichtes auf diese Übersichten verweise, so wollen Sie bitte berücksichtigen, daß inzwischen nach einem weiteren Ablauf von zwei Monaten sich die Endsumme der beim Bundestag eingegangenen Petitionen in der zweiten Wahlperiode auf 5927 erhöht hat.
Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, daß ich zunächst noch einmal in meinen Darlegungen auf die Rechtsnatur der Petitionen eingehe, insbesondere darum, weil sich die Zusammensetzung des Plenums in der zweiten Wahlperiode geändert hat und zahlreiche Damen und Herren über das Petitionsrecht in Kenntnis gesetzt werden sollten. Aus der Formulierung des Art. 17 des Grundgesetzes ergibt sich, daß „jedermann das Recht hat, sich mit Bitten und Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden". Damit wird deutlich, daß das Petitionsrecht eines der wichtigsten Grundrechte des Staatsbürgers ist, das erhalten und ausgebaut werden sollte; denn in sehr vielen Fällen können Petitionen eine wertvolle Unterstützung der Legislative bei der Ausübung ihres Kontrollrechts gegenüber der Exekutive sein.
Der Wortlaut des Art. 17 des Grundgesetzes allein genügt aber nicht, um das Wesen des Petitionsrechtes zu erfassen. Ergänzend müssen für die Frage der Behandlung der Petitionen auch die Bestimmungen der §§ 112 und 113 der Geschäftsordnung herangezogen werden. Auf Grund der Praxis des Petitionsausschusses sind diese Bestimmungen der Geschäftsordnung schon insoweit geändert worden, als Petitionen durch die Erklärung der Bundesregierung als erledigt angesehen werden können, als der Petitionsausschuß das Recht hat, sich laufend über die Erledigung der den Fachausschüssen überwiesenen Petitionen zu unterrichten, als der Petitionsausschuß vierteljährlich dem Plenum einen mündlichen Bericht über seine Tätigkeit zu erstatten hat und die Mitteilung über die Art der Erledigung einer Petition möglichst mit Gründen versehen sein soll. Mit dieser Änderung in der Geschäftsordnung ist zweifellos eine Straffung des Geschäftsgangs erreicht worden.
Der Bericht über die Petitionen im Plenum muß nach § 113 der Geschäftsordnung mit einem Antrag schließen, der in der Regel so lautet, wie es in der Geschäftsordnung vorgesehen ist. Der Antrag kann aber auch einen andern Wortlaut haben;
er ist nicht an diese Formulierung gebunden. Dies
ergibt sich schon aus der Fassung „in der Regel".
Darüber hinaus stehen dem Petitionsausschuß besondere Befugnisse zu, um die Petitionen behandlungsreif zu machen und dem Bundestag einen Entscheidungsvorschlag unterbreiten zu können. Hierzu gehört das Recht, unmittelbar Stellungnahmen einzuholen, wenn die Würdigung einer Eingabe besondere Anfragen zur Ergänzung des Tatbestandes erfordert.
Die im Hause gelegentlich vertretene Auffassung, nur dem Untersuchungsausschuß stünde gemäß Art. 44 des Grundgesetzes die Befugnis zu, durch besondere Beweiserhebung Feststellungen über den Tatbestand zu treffen, erscheint zu eng. In diesen Fällen können solche Anfragen, die doch etwas ganz anderes sind als die Beweiserhebungen nach Art. 44 des Grundgesetzes, erst das Problem der Zuständigkeit bzw. Unzuständigkeit des Bundes klären. Die Entscheidung dieser Frage kann aber nicht nur auf den Ausführungen des Petenten und allgemeinen Vermutungen basieren.
Die vom Petitionsausschuß gestellten Anträge werden vom Plenum im allgemeinen ohne Aussprache zum Beschluß erhoben. Eine Aussprache über Petitionen im Plenum konnte nach der vorläufigen Geschäftsordnung vom 20. September 1949 von einer Gruppe von 30 Abgeordneten oder vom Petitionsausschuß beantragt werden. Diese Möglichkeit ist in der neuen Geschäftsordnung leider nicht vorgesehen. Es heißt jetzt, daß über die Übersichten nur beraten wird, „wenn es beschlossen wird"; das heißt, daß die Mehrheit darüber beschließt. Es fragt sich, meine Damen und Herren, ob diese Regelung in der Geschäftsordnung unter Berücksichtigung der Parlamentspraxis der besonderen gegenwärtigen Bedeutung des Petitionsrechts entspricht. Die moderne Bedeutung der Petitionen sollte darin liegen, daß sie die einzige Möglichkeit für den einzelnen bieten, Einfluß auf die Legislative zu nehmen, daß sie der einzige Weg sind, auf dem Bitten und Beschwerden aus dem Volk in das Parlament als Ganzes dringen können.
Der Schwerpunkt des Petitionsverfahrens liegt beim Petitionsausschuß, der in seiner vierteljährlichen mündlichen Berichterstattung die Möglichkeit hat, dem Plenum einen Gesamtüberblick zu geben, wie es heute geschieht. Es müßte erreicht werden, daß vor allem diejenigen Petitionen, die ernste Anliegen und wertvolle Vorschläge enthalten, dem Plenum des Bundestages Bekanntwerden und daß darüber diskutiert werden könnte.
Ferner sollte die Geschäftsordnung dahin ergänzt werden, daß der Bescheid des Parlaments nicht nur „möglichst mit einer Begründung versehen sein soll", sondern mit einer Begründung zu versehen ist. Dadurch würde der Petent einmal ersehen können, daß sich das Parlament sachlich mit seinem Petitum beschäftigt hat; zum andern würde er durch den Bescheid des Parlaments in den meisten Fällen den Beschluß überhaupt erst verstehen können.
Es würde dadurch auch keine Mehrarbeit entstehen, da die Berichterstatter ihren Entscheidungsvorschlag für die Ausschußsitzung bereits mit einer kurzen Begründung versehen müssen, die in den meisten Fällen verwendbar sein dürfte.
Abschließend kann also festgestellt werden, daß das Petitionsverfahren im Bundestag der besonderen Aufgabe des Petitionsrechts nicht ganz gerecht wird. Es sollte daher eine Änderung der geltenden Bestimmung der Geschäftsordnung des Bundestages vorgesehen werden, wonach erstens eine Aussprache über Petitionen im Bundestag dann stattfinden soll, wenn es vom Petitionsausschuß oder von 30 Mitgliedern beantragt wird, und wonach zweitens — und das scheint dem Petitionsausschuß besonders wichtig — dem Petenten mit dem Beschluß des Bundestages eine kurze Begründung mitzuteilen ist.
Meine Damen und Herren, der Petitionsausschuß hat Ihnen heute wiederum einige Übersichten vorgelegt, aus denen Sie zunächst entnehmen wollen, daß den Ausschüssen des Deutschen Bundestages in der 1. Wahlperiode in der Zeit vom 1. September 1949 bis zum 5. September 1953 27 200 Petitionen zugeleitet worden sind. Hiervon konnten bis zum Abschluß der 1. Wahlperiode 99,9 % erledigt werden, so daß praktisch keine Rückstände mehr vorhanden waren. Nach dieser Ubersicht, die immerhin vier Jahre umfaßt, war der Petitionsausschuß mit 13 615 Eingaben, das sind 50%, beteiligt, während die insgesamt 43 Fachausschüsse mit 8177 Eingaben, das sind 30,04 %, die Bundesregierung und andere Behörden mit 3417 Eingaben, das sind 12,7%, und die Landtage der Bundesrepublik mit 1711 Eingaben, das sind 6,2%, beteiligt waren.
Daneben liegt Ihnen eine statistische Übersicht über das erste halbe Jahr der 2. Wahlperiode mit einer Gegenüberstellung des ersten halben Jahres der 1. Wahlperiode vor. Hieraus ersehen Sie, daß im ersten halben Jahr der 2. Wahlperiode 4876 Eingaben eingegangen sind, während im ersten halben Jahr der 1. Wahlperiode rund 1000 Eingaben weniger eingingen, nämlich 3926. Obwohl sich hiernach die Zahl der Petitionen im gleichen Zeitraum gegenüber der 1. Wahlperiode um 10,24 % erhöht hat und eine verwaltungstechnische Mehrarbeit für das Personal des Petitionsbüros um 13,57% entstanden ist, ist eine Personalvermehrung nicht vorgenommen worden. Wenn die Mehrarbeit im Petitionsbüro anhält, müßte unbedingt eine Personalvermehrung ins Auge gefaßt werden. Die Mehrarbeit ergibt sich auch daraus, daß es in der 2. Wahlperiode möglich war, 90% zu erledigen, während es in der 1. Wahlperiode im gleichen Zeitraum nur 46 % waren. Auffallend ist, daß die 35 Fachausschüsse in der 2. Wahlperiode nur noch mit 6,4 % beteiligt sind, während es in der 1. Wahlperiode noch 45 % waren. Hieraus ergibt sich deutlich eine Entlastung der Fachausschüsse. Diese Entlastung ist beabsichtigt und hat dazu geführt, daß die Bundesregierung und die Landtage mehr und mehr unmittelbar eingeschaltet werden konnten. So wurden an die Landtage im ersten halben Jahr 22 % zur Behandlung überwiesen und 31% an die Bundesregierung bzw. an die zuständigen Fachministerien. Von den Fachausschüssen des Deutschen Bundestags wurden in der zweiten Wahlperiode nur der Ausschuß für Sozialpolitik und der Ausschuß für Besatzungsfolgen an der Bearbeitung von Petitionen nennenswert beteiligt.
Daneben liegen Ihnen noch zwei Strukturen vor, die den wesentlichen Inhalt der im Ausschuß für Petitionen behandelten Eingaben betreffen. Während der vier Jahre der ersten Wahlperiode standen unter den 13 605 im Petitionsausschuß be-
handelten Eingaben an erster Stelle Petitionen, die sich mit Ansprüchen aus dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes, Pensionen und den übrigen Beamtenrechtsansprüchen befaßten. Anschließend kamen die Geltendmachung von Renten, die Ansprüche nach dem Bundesversorgungsgesetz und im Rahmen der Kriegsopferversorgung, Bitten um Beschleunigung eines eingeleiteten Verfahrens usw. Relativ viele Petitionen befaßten sich mit Gerichtsentscheidungen der Zivil-, Straf-, Verwaltungs-, Sozial- und Arbeitsgerichtsbarkeit. In diesen Fällen konnten die Petenten nur ganz allgemein auf die im Grundgesetz garantierte Unabhängigkeit der Rechtspflege hingewiesen werden; eine materielle Prüfung konnte in diesen Fällen nicht vorgenommen werden.
Die Struktur hat sich im ersten halben Jahr der zweiten Wahlperiode wesentlich verschoben. An erster Stelle stehen jetzt die Ansprüche aus dem Bundesversorgungsgesetz und der Kriegsopferversorgung, an zweiter Stelle die Ansprüche aus der Sozialversicherungsgesetzgebung, Altersversorgung und Arbeitslosenversicherung, an dritter Stelle folgen die Ansprüche aus dem Lastenausgleich, die sich in der Hauptsache mit der Hausratsentschädigung, Unterhaltshilfe und den Aufbaudarlehen befassen. Auffallend ist, daß bereits an vierter Stelle die Eingaben folgen, die Besatzungsschäden, Kriegsfolgelasten und die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts zum Inhalt haben. Die Eingaben zum BEG aus dem In-und Ausland haben ihre Ursache wohl in den noch immer fehlenden Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz. Ferner wird deutlich, daß weite Kreise des deutschen Volkes auf die Verabschiedung des Kriegsfolgeschlußgesetzes warten. Die Fälle der Geltendmachung von Ansprüchen nach dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes sind erheblich zurückgegangen. Den wesentlichen Inhalt der übrigen Petitionen bitte ich Sie aus der vorliegenden Struktur entnehmen zu wollen.
Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen noch einige Ausführungen darüber mache, was be der Durchsicht der Vielzahl der Petitionen besonders auffiel. Zunächst möchte ich an das anknüpfen, was Herr Kollege Sassnick bereits in seiner Berichterstattung vom März 1953 herausgestellt hat. Er sagte, aus der Fülle der Eingaben verdiene hervorgehoben zu werden, daß sich in letzter Zeit Anfragen wegen einer Rückkehr aus den unter polnischer Verwaltung stehenden Gebieten gehäuft haben. Diese Feststellung trifft auch heute noch, und zwar in erhöhtem Maße, zu. Die zwangsweise Zurückhaltung von Familienangehörigen deutscher Staatsangehörigkeit in Ostpreußen bzw. den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten ist ein Problem, das mehr als bisher sowohl in der öffentlichen Diskussion als auch bei den Verhandlungen auf internationaler Ebene angesprochen werden sollte. Hierfür hat sich in einem Brief an den Ausschuß auch die Kollegin Frau Dr. Probst eingesetzt.
Kürzlich schrieb uns ein Petent — er ist einer unter vielen —, daß er im Laufe der vergangenen neun Jahre alle möglichen Mittel und Wege erfolglos erschöpft habe, um seine 31jährige Frau mit ihren drei Kindern im Alter von 9 bis 14 Jahren, die nunmehr neun Jahre nach Beendigung des Krieges wider ihren Willen in Polen zurückgehalten werden, in die Heimat zurückzuführen. Wörtlich schreibt der Petent:
Die folgende kurze Schilderung meines Einzelschicksals hat den Zweck, die Aufmerksamkeit des Bundestages auf ein Unrecht zu lenken, unter welchem ich nicht nur allein zu leiden habe, sondern gleich mir noch viele aus dem deutschen Osten stammende Mitbürger in der Bundesrepublik. Ein Unrecht, das in der Geschichte des zeitnahen Weltgeschehens wohl ohne Beispiel dasteht, begangen von einer Nation, die als ganz besonders „ritterlich" unter den Völkern zu gelten für sich in Anspruch nimmt.
Der Petent führt weiter aus, daß seine Familie in denkbar dürftigsten Verhältnissen von dem kümmerlichen Verdienst seiner schwerste Männerarbeit verrichtenden Frau leben müsse. Seit neun Jahren flehten seine Frau und seine Kinder in herzerschütternden Briefen ihn an, ihrem traurigen Schicksal ein Ende zu bereiten.
Der Petent meint, und mit ihm auch viele andere, wenn nun das zweifellos traurige Schicksal der Kriegsgefangenen die deutsche Öffentlichkeit, die Volksvertretung und maßgebende Regierungsstellen veranlassen konnte, ihre Stimme mahnend und fordernd zu erheben, müßte dies im Falle der bedauernswerten Frauen und unschuldigen Kinder in den polnisch besetzten Ostgebieten auch geschehen.
Da die Bundesrepublik keine diplomatischen Beziehungen zur polnischen Regierung unterhält, bleibt nur die Möglichkeit, die Weltöffentlichkeit auf dieses Problem aufmerksam zu machen. In diesem Zusammenhang darf auf die erneute Behandlung der Gefangenenfrage durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 1953 hingewiesen werden.
In einem anderen Fall wurde inzwischen ein polnischer Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung der Interessen eines zu zwölf Jahren verurteilten Ministerialbeamten beauftragt. Der Rechtsanwalt wird versuchen, entweder die Wiederaufnahme des Verfahrens wegen neuer Tatsachen oder eine außerordentliche Revision im Hinblick auf die ungerechte und zu strenge Strafe zu betreiben.
Auffallend ist auch das verstärkte Drängen der Saar-Evakuierten, die eine Einbeziehung von im Saargebiet entstandenen Kriegssachschäden in die Lastenausgleichsregelung fordern. Der für diese Fragen federführende Bundesminister der Finanzen hat sich zu dem Problem bisher dahin geäußert, daß die Frage zur Zeit von den beteiligten Ressorts geprüft werde. Wenn auch die Monatszeitschrift „Der Evakuierte" in einer Veröffentlichung eine gewisse Polemik gegen den Bundestag und den Petitionsausschuß des Bundestags an den Tag legt, so wäre es im Interesse aller Betroffenen doch wünschenswert, wenn die angedeutete Überprüfung bald zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht werden könnte.
Fast in jeder Berichterstattung des Petitionsausschusses ist auf das Problem der älteren Angestellten hingewiesen worden. Die von der Bundesregierung vertretene Auffassung, daß der Staat bewußt auf eine Lenkung des Arbeitsmarktes verzichtet habe, weil sich nach den bisherigen Erfahrungen Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Arbeitsvermittlung für den Personenkreis, der durch diese Maßnahmen begünstigt sei, oft nachteilig ausgewirkt hätten, ist vom Petitionsausschuß nicht geteilt worden. Wenn man die Bemühungen einzelner dieses Personenkreises liest,
muß man es für fast unglaublich halten, daß immer noch keine Regelung gefunden worden ist, die das Los der älteren Angestellten erleichtert. Darum begrüßt es der Petitionsausschuß, daß sich das Hohe Haus in der heutigen Tagesordnung mit der Beratung eines Gesetzes zur Behebung der Berufsnot der älteren Angestellten befassen wird.
Es kann heute zu einem anderen Problem festgestellt werden, daß auf Grund der Vielzahl von Fällen, die dem Bundesminister für Arbeit vom Petitionsausschuß überwiesen worden waren, die Nachuntersuchungen von Kriegsbeschädigten des ersten Weltkrieges, die das 65. Lebensjahr vollendet haben — diese Nachuntersuchungen führten vielfach zum Entzug der Kriegsbeschädigtenrente —, nur dann noch vorgenommen werden, wenn nach dem versorgungsärztlichen Urteil die festgesetzte Minderung der Erwerbsfähigkeit in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu den tatsächlichen Verhältnissen steht.
In einem dieser Fälle, der ein klassisches Beispiel darstellt, lag es so, daß einem 86jährigen Invaliden, der 1890 auf SMS „Deutschland" einen Unfall erlitten und auf Grund seiner 40%igen Dienstbeschädigung zunächst eine Rente erhalten hatte, diese Rente nach der Kapitulation nicht mehr gezahlt wurde. Seine Bemühungen vom Jahre 1947 an, seine Rente wiederzuerhalten, waren erfolglos. Nun wurde ihm ein Zugunstenbescheid erteilt und die Kriegsbeschädigtenrente vom 1. August 1947 an wieder gewährt.
Auch in einem anderen Fall wurde erreicht, daß einem Petenten, der 35 Jahre lang auf Grund einer Verwundung im ersten Weltkrieg seine Rente erhalten und bei dem dann eine Nachuntersuchung zum Entzug der Rente geführt hatte, diese Rente belassen wurde.
Trotz dieser vom Bundesminister für Arbeit getroffenen Regelung sind dem Ausschuß aber doch noch Fälle bekanntgeworden, die im Widerspruch zu den Äußerungen des Ministers stehen, welche er in seiner Antwort vom 26. Februar 1954 auf die Kleine Anfrage 32 der Fraktion der SPD — Bundestagsdrucksache 297 — und in der Plenarsitzung vom 11. März 1954 gemacht hat. Der Ausschuß wird diese Fälle zusammenstellen und in Kürze nochmals dem Bundesminister für Arbeit zur Prüfung und Stellungnahme vorlegen.
Meine Damen und Herren! Ich könnte die Reihe von wirklich erfreulichen Erfolgen, die durch die Bearbeitung von Petitionen erreicht wurden, beliebig fortsetzen. Kürzlich noch schrieb ein Petent:
Der Menschen sind es wohl viele, die Ihre Hilfe suchen und auch wohl finden so wie wir. Denn schon einmal in diesem Jahre beanspruchten wir Ihre Hilfe und fanden diese überraschend schnell. Mein schwerkranker Mann und ich danken für Ihre Bemühungen von ganzem Herzen.
Eine andere Petentin schreibt launig:
. . . . so, jetzt habe ich mir meinen Ärger vom Herzen geschrieben, wenigstens teilweise, nun kann ich ruhiger leben, wenn ich meine Gedanken einmal zu Papier gebracht habe. Und man meint dann wenigstens, die Wartezeit wäre kürzer.
Lassen Sie mich noch kurz zu einem weiteren bedeutsamen Fall folgendes sagen. Es handelt sich um eine Petition auf dem Gebiet der Krankenversicherung der Rentner und der Besteuerung der Kriegsbeschädigtenrenten in den unter niederländische Verwaltung gestellten deutschen Gebieten von Elken, Selfkant sowie in den Ortschaften Suderwyk und Weyler. Der Bund Deutscher Kriegs-und Arbeitsopfer in Elken hatte auf einer Protestversammlung eine Resolution angenommen, in der er sich gegen den Zustand, daß die Krankenversicherung der Rentner immer noch nicht geregelt ist, und gegen die von holländischer Seite in Aussicht genommene Besteuerung deutscher Kriegsbeschädigtenrenten der dort wohnenden Kriegsbeschädigten wendet.
Der Bundesminister für Arbeit sagt in seiner Stellungnahme, daß auf Grund der erheblichen Unterschiede beider Länder in der Gesetzgebung mit einer zwischenstaatlichen Regelung in naher Zukunft nicht gerechnet werden könne. Er hat deshalb eine vorläufige Lösung veranlaßt, die darin besteht, daß die Betroffenen in diesen Gebieten unmittelbar durch die deutschen Krankenkassen betreut werden.
Hinsichtlich der Heranziehung der Empfänger der Versorgungsrenten mit ihren Einkünften, den aus deutschen öffentlichen Kassen gezahlten KB-Renten, die nach deutschem Steuerrecht steuerfrei sind, zur niederländischen Einkommensteuer, ist zur Vermeidung von Härten durch Vorstellungen bei der niederländischen Regierung erreicht worden, daß bis zum Abschluß eines Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und den Niederlanden die fälligen Steuerbeträge gestundet werden.
Ich darf im Auftrage des Petitionsausschusses darauf hinweisen, daß sich die Fälle häufen, in denen von den Hinterbliebenen die Fristen versäumt wurden, die mit § 2 des Gesetzes über den Ablauf der durch Kriegsvorschriften gehemmten Fristen in der Sozial- und Arbeitslosenversicherung vom 13. November 1952 zusammenhängen.
Ein weiterer Fall, der die Mitglieder des Petitionsausschusses zum Nachdenken veranlaßt hat, betrifft die Beschwerde eines Petenten darüber, daß die Flugzeuge der Alliierten im Tiefflug über Häuser und Ortschaften fliegen. Dies habe dazu geführt, daß seine Frau, eine Mutter von drei kleinen Kindern, einen Schock erlitten habe, körperlich zusammengebrochen sei und ein Arzt habe hinzugezogen werden müssen.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat sich hierzu dahin geäußert, daß die alliierten militärischen Dienststellen sich bereit erklärt hätten, Verstöße gegen die Luftverkehrsregeln zu unterbinden. Es sei aber erklärt worden, daß die Schuldigen nur dann zur Verantwortung gezogen werden könnten, wenn die Meldung über Verstöße unmittelbar im Anschluß an das Ereignis erstattet würde.
Die Angaben müßten neben Ort und Zeit des Überflugs die Nationalität, das Kennzeichen des Flugzeugs, seine Flugrichtung und zusätzlich auch noch die geschätzte Flughöhe enthalten.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß niemand
hier im Hause ist, der, wenn er wie diese Petentin
einen körperlichen Zusammenbruch erleiden würde,
in der Lage wäre, auch noch diese Feststellungen zu treffen.
Abschließend darf ich noch sagen: Die Aufgabe dieser Berichterstattung kann nur sein, die Probleme aufzuzeigen, damit der Gesetzgeber hieraus seine Schlüsse ziehen kann, um initiativ zu werden. Jedenfalls steht fest, daß das Material, das dem Petitionsausschuß zur Verfügung steht, eine Fundgrube ist. Es lohnt sich für den Gesetzgeber wirklich, dieses Material noch mehr als bisher auszuwerten und nutzbar zu machen.
Trotz aller Bitten, Nöte und Beschwerden, die aus der Flut von Petitionen zu entnehmen sind, kann angenommen werden, daß das Verhältnis des einzelnen zum Parlament und zur Verwaltung zwar in etwa normalisiert, aber damit noch nicht zu einer persönlichen Beziehung gekommen ist. Die Bürokratie ist noch immer für die meisten unserer Staatsbürger eine anonyme Macht,
welcher man im Notfall über Paragraphen zu Leibe rücken kann. Es sollte uns allen darauf ankommen, die Verwaltung ihrer Anonymität gegenüber dem Staatsbürger zu entkleiden
und damit auch Verantwortlichkeiten im Einzelnen und im Kleinen sichtbar zu machen. Das festgemauerte Gehäuse des Regierungsapparats, das in seinem Innern dem harmlosen Bürger ein Irrgarten von Zuständigkeiten scheint, sollte zu einem Glashaus werden,
durchsichtig, überschaubar und damit auch begreifbar für den, der sich nur die Mühe des ernsthaften Betrachtens macht. Die Verwirklichung solcher Maßnahmen könnte sehr wohl dazu dienen, ein echtes demokratisches Staatsgefühl zu wecken, das heute nur allzuoft von der Vorstellung niedergehalten wird, daß Staat und Verwaltung für den einzelnen ja doch unfaßbare Größen seien.