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ID0203003700

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    2. Deutscher Bundestag — 30. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Mai 1954 1373 30. Sitzung Bonn, Freitag, den 21. Mai 1954. Geschäftliche Mitteilungen 1374 A Mitteilung und Beschlußfassung über Verzicht auf erneute erste Beratung der Gesetzentwürfe betr. Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit (zu Drucksache 44), Einkommensgrenze für das Erlöschen der Versicherungsberechtigung in der gesetzlichen Krankenversicherung (zu Drucksache 67) und Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (zu Drucksache 68) 1374 B Mündliche Berichterstattung des Ausschusses für Petitionen gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung in Verbindung mit der Beratung der Übersicht 5 über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages betr. Petitionen nach dem Stand vom 7. Mai 1954 (Drucksache 508) 1374 B Frau Albertz (SPD), Berichterstatterin 1374 B Beschlußfassung 1378 B Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Pressepolitische Pläne der Bundesregierung (Drucksache 313; Antrag Umdruck 18) 1378 B Kalbitzer (SPD), Anfragender . . . 1378 B Dr. Schröder, Bundesminister des Innern . . 1380 D, 1396 D, 1400 B, 1401 D Dr. Dresbach (CDU/CSU) 1381 C Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein (FDP) 1385 B Brandt (Berlin) (SPD) 1388 D Feller (GB/BHE) 1392 C Becker (Hamburg) (DP) 1394 D Kühn (Köln) (SPD) 1399 B, 1400 B Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Sozialreform (Drucksache 314) 1402 A Dr. Preller (SPD), Anfragender 1402 A, 1429 B Storch, Bundesminister für Arbeit 1408 A, 1418 A, B Dr. Schellenberg (SPD) 1411 D, 1418 A, 1427 B Dr. Atzenroth (FDP) 1419 C Dr. Elbrächter (DP) 1421 D Frau Finselberger (GB/BHE) . . . 1422 D Arndgen (CDU/CSU) 1424 C Frau Korspeter (SPD) 1426 A Schüttler (CDU/CSU) 1428 C Absetzung der zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Beauftragung von Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege mit der nichtgewerbsmäßigen Arbeitsvermittlung zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Drucksachen 223, 419) von der Tagesordnung 1430 B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Gesetzes betr. die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und des Rabattgesetzes (Drucksache 475) 1430 C Überweisung an die Ausschüsse für Wirtschaftspolitik, für Geld und Kredit, für Rechtswesen und Verfassungsrecht und für Sonderfragen des Mittelstandes . . 1430 C Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. Juni 1953 über den FreundschaftsHandels- und Konsularvertrag zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 8. Dezember 1923 mit seinen Abänderungen (Drucksache 71); Mündlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (Drucksache Nr. 218) 1430 C Dr. Siemer (CDU/CSU), Berichterstatter 1430 D Dr. Lütkens (SPD) 1431 C Dr. Hammer (FDP) (zur Geschäftsordnung) 1433 C Abstimmung 1431 C Weiterberatung vertagt 1433 D Erste Beratung des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Behebung der Berufsnot der älteren Angestellten (Drucksache 346) . . 1433 D Horn (CDU/CSU) (zur Geschäftsordnung) 1434 A Beratung vertagt 1434 C Nächste Sitzung 1433 D, 1434 C Anlage: Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage betr. pressepolitische Pläne der Bundesregierung (Umdruck 18) 1435 Die Sitzung wird um 9 Uhr 9 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid eröffnet.
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    Anlage Antrag der Fraktion der SPD (Umdruck 18) zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Pressepolitische Pläne der Bundesregierung (Drucksache 313) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, zu erklären, daß sie von allen Plänen Abstand nimmt, die geeignet sind, die Unabhängigkeit und die Freiheit der Presse zu beeinträchtigen. Bonn, den 31. März 1954 Ollenhauer und Fraktion
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    Rede von Dr. Karl Atzenroth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Meine Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, nicht so lange zu reden wie die beiden Herren Professoren, die vorher gesprochen haben.
    Wir haben zunächst die Große Anfrage der Sozialdemokratischen Partei außerordentlich begrüßt.

    (Abg. Schmitt [Vockenhausen]: Der Minister hat es sich sehr einfach gemacht mit der Antwort!)


    (Sehr richtig! rechts.)

    Wir sind wie Sie der Meinung, daß ein Versäumnis der Bundesregierung vorliegt.

    (Aha-Rufe bei der SPD.)

    Es hätte aber mehr im Interesse dieser Sache und im Interesse der Versicherten gelegen, Herr. Professor Preller, wenn Sie uns hier an dieser Stelle I h r Programm für eine große, umfassende Sozialreform vorgetragen und zur Diskussion gestellt hätten, über das wir uns hätten sachlich unterhalten können. Es ist nicht damit getan, daß dieses Programm in gewissen Fachzeitschriften schon einmal veröffentlicht worden ist; hier vor der großen Öffentlichkeit soll es genau so vorgetragen werden, wie Sie Ihre Anfrage begründet haben oder wie Sie es von dem Herrn Bundesarbeitsminister erwarten.

    (Abg. Pohle [Eckernförde] : Aber Herr Atzenroth, die Arbeit der Bundesregierung steht doch hier zur Debatte!)

    — Nein, die steht nicht zur Debatte. Wenn ich hier eine Kritik an der Bundesregierung übe, dann habe ich als Abgeordneter die Pflicht und Schuldigkeit, meine Gedanken hier vorzutragen.

    (Abg. Dr. Preller: Vor zwei Jahren haben Sie die Kommission angeregt!)

    — Ja, Herr Professor Preller, wenn ich die Ausführungen und die Vorschläge, die Herr Professor Schellenberg gemacht hat, als Ihr Programm ansehen soll, dann kann ich dem aber weder die Bezeichnung „umfassend" noch „groß" noch sonst irgendein Prädikat geben. Das sind einige Palliativmittel am Rande, über die wir im Ausschuß sprechen können, über die wir uns auch verhältnismäßig schnell einigen werden, die aber an der großen Sache nichts ändern. Sie zeigen keine großen neuen Wege auf, die Sie von der Bundesregierung — mit Recht — erwarten.
    Aber da wir nun — und jetzt muß ich mich an den Herrn Bundesarbeitsminister wenden — leider seit fünf Jahren auf die angekündigte Sozialreform warten, müssen wir, Sie und wir, mindestens unsere Gedanken vortragen, in der Grundlinie und nicht in konkreten Einzelheiten. Ich habe das Gespräch, das hier zwischen dem Herrn Bundesarbeitsminister und den beiden Herren von der Sozialdemokratischen Partei geführt worden ist und das sich zum großen Teil auf die Arbeiten der Beiräte und technische Dinge beschränkt hat, mit Bedauern angehört. Denn uns bewegen nicht diese Einzelfragen, mindestens nicht hier vor dem Plenum; Sie sehen ja, wie groß das Interesse da-


    (Dr. Atzenroth)

    für in allen Fraktionen des Hauses bedauerlicherweise ist.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Uns bewegen die großen Fragen, und da vermisse
    ich von der Bundesregierung, nicht daß sie uns
    Einzelheiten vorgelegt hat, die in schwieriger Arbeit erst zu ermitteln wären, sondern daß sie uns
    ihre großen Ziele für die Reform vorgetragen hat.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Sie muß uns sagen, worin die große Reform bestehen soll. Sie kann nicht darin bestehen, daß, wie Herr Professor Schellenberg sagt, gleiche Leistungen bei gleichen Beiträgen gewährt werden. Das ist eine so selbstverständliche Forderung, daß wir darüber hier nicht zu reden brauchen. Wir müssen vielmehr die entscheidenden Fragen diskutieren, wie die Reform aussehen, was reformiert werden soll. Ich bin mit Ihnen darin einig, daß sich die Reform nicht auf die Sozialversicherung beschränken soll. Sie soll das gesamte Gebiet umfassen: die Kriegsopferversorgung, Teile des Lastenausgleichs, Heimkehrer, und was alles dazu gehört. Aber wir müssen eine Konzeption haben und müssen wissen, nach welchen Gesichtspunkten wir vorgehen wollen.
    Herr Preller hat nur in einem Falle so etwas durchblicken lassen. Er hat bestritten, daß eine untrennbare Verbindung zwischen der Höhe des Sozialprodukts und den Leistungen für den Sozialhaushalt bestünde. Wenn Sie das weiter bestreiten, dann ist schon eine große Differenz zwischen unseren Auffassungen vorhanden. Sie haben es eben nicht konkretisiert, und das ist ein Vorwurf, den ich Ihnen mache. Allerdings muß ich Ihnen zugeben, daß wir diesen Vorwurf in viel größerem Umfange der Bundesregierung machen müssen. Deren Pflicht wäre es an erster Stelle gewesen, Ihre (zur SPD) erst an zweiter Stelle, solche konkreten Vorschläge zu machen.

    (Zuruf von der SPD: Und Ihre!)

    — Ich bin ja dabei. Warten Sie nur ab! Ich habe sie noch zuletzt bei der Beratung des Haushalts des Arbeitsministeriums vorgetragen. Also das können Sie mir nicht vorwerfen.
    Ich möchte zunächst einmal zu der Frage sprechen, die in Ihrer Anfrage als Punkt 1 angeschnitten ist. Der Herr Bundesarbeitsminister hat in der' Öffentlichkeit angekündigt, daß er die Altrenten erhöhen will. Dabei ist es selbstverständlich, was man nach der ganzen Lage unter Altrenten verstehen muß. Es handelt sich hier tatsächlich um den Kreis von Menschen, deren Not am größten ist und für die in erster Linie „die soziale Frage" erhoben wird. Wir hätten uns manchmal viel mehr auf diesen Kreis konzentrieren und das Wort sozial nicht immer bei anderen Momenten verwenden sollen, wo es sich eigentlich nur um Interessen von gewissen, immerhin noch nicht so schlecht gestellten Gruppen handelte. Hier ist wirklich der Schwerpunkt in der sozialen Not, wo wir zuerst helfen müssen. Wir unterstützen den Herrn Bundesarbeitsminister durchaus darin, daß er uns demnächst geeignete Vorschläge — konkretisiert sind sie auch hier noch nicht — machen und eine Vorlage bringen will, wie eine Anhebung der Renten vorgenommen werden soll, die wirklich nicht mehr ausreichen. Wir sind allerdings nicht der Meinung, Herr Minister, daß es sich hier um einen Rechtsanspruch handelt. Deswegen können wir auch den Weg nicht billigen, auf dem Sie die Finanzierung dieser so notwendigen Aufgabe vornehmen wollen. Sie wollen aus den Kassenüberschüssen — Sie haben ganz klar und deutlich den Unterschied zwischen Kassenüberschüssen und Versicherungsüberschüssen herausgestellt — einen Betrag von 700 bis 800 Millionen jährlich herausnehmen, um diese alten Renten anzuheben, auf die kein versicherungs mäßiger Rechtsanspruch besteht; darüber müssen wir uns einig sein. Das ist falsch. Wir können nicht Beitragsaufkommen für eine Fürsorgemaßnahme verwenden. Denn es handelt sich hier um eine Fürsorgemaßnahme, und das sind Angelegenheiten des Staates.
    Ich bin aber auch mit Ihnen der Meinung, Herr Bundesarbeitsminister, daß wir, die wir gestern gerade im ganzen Hause Steuersenkungen gefordert haben, nicht heute hingehen und 800 Millionen aus dem Bundeshaushalt für diesen Zweck entnehmen können. Das wäre inkonsequent. Die Parallelität ergibt sich ja auch schon aus folgendem. Wir haben keine große Finanzreform, wir kriegen auch keine große Sozialreform, bedauerlicherweise. Schöner wäre es, wenn beides groß genannt werden könnte.
    Wir machen also einen anderen Vorschlag dafür, einen Vorschlag, der aus der Notlage heraus geboren ist, daß wir diese Summe zwar zur Behebung der Not brauchen, aber nicht den Kassenmitteln unseres Haushalts entnehmen können. Wir wollen den Vorschlag unterbreiten, der Herr Bundesfinanzminister, der ja der Zahlungsverpflichtete wäre, möge Rentenanstalten Schuldverschreibungen in der erforderlichen Höhe geben und sie damit in die Lage versetzen, diese Erhöhungen zu bezahlen. Diese Schuldverschreibungen müßten — das ist selbstverständlich, und das soll den ganzen Charakter dieser Maßnahme unterstreichen und unterstützen — verzinslich sein und in angemessener Zeit getilgt werden. Natürlich entsteht durch Verzinsung und Tilgung eine gewisse Belastung des Haushalts, aber die muß tragbar sein bei der Schwere der Not, die es hier zu lindern gilt und über die wir uns alle einig sind. Ich glaube, das ist immerhin ein konstruktiver Vorschlag, der mindestens der Debatte in diesem Hause wert ist.
    Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen auch über die Hauptfrage, die vor uns steht, einige Vorschläge unterbreiten, nicht nur, weil Sie mich dazu aufgefordert haben. Dabei möchte ich mich allerdings auf das Gebiet der Sozialversicherung beschränken, obwohl — ich wiederhole es — zur gesamten Sozialreform nach meiner Meinung auch die anderen Komplexe gehören. Wir fordern auf dem Gebiet der Sozialversicherung eine klarere Trennung zwischen echter Versicherung und Fürsorgemaßnahmen, als es bisher der Fall gewesen ist. Bei der Kranken- und Unfallversicherung sind dafür keine großen Änderungen erforderlich. Was dort an Einzelwünschen vorzutragen wäre, kann auf das Gebiet des Technischen beschränkt werden. Aber diese klare Trennung von echter Versicherung und Fürsorge ist insbesondere bei der Rentenversicherung niemals vorhanden gewesen. Wir erinnern uns daran, daß die Rentenversicherung vor 70 Jahren einen ganz anderen Zweck gehabt hat. Sie war keine Altersversorgung. Sie hatte nicht den Charakter der Altersversorgung, sondern es galt damals, gewisse zusätzliche Hilfsmaßnahmen für den Fall der Invalidität und der Erreichung eines bestimmten Alters zu treffen. Eine Vollversorgung als Altersversorgung war diese Rentenversicherung auch in der Bismarckschen Zeit nicht.


    (Dr. Atzenroth)

    Wir wollen diese Versicherung zu einer echten Versicherung machen. Die Beiträge müssen also in eine echte Relation zu den Leistungen gebracht werden. Gewisse Erhöhungen der Beiträge werden sich dabei sicherlich nicht vermeiden lassen. Allerdings, bei einer unmittelbaren Errechnung nach versicherungsmathematischen Grundsätzen kämen wir zu einem schwindelerregend hohen Betrag, den wir gar nicht aufbringen könnten. Ausweiche in andere, günstigere Versicherungen oder Doppelversicherungen müssen möglich sein. Die festen Rentenbestandteile sollten nach Möglichkeit nur insoweit gewährt werden, als sie wirklich erdient, d. h. durch vorhergegangene Beitragsentrichtung versicherungstechnisch belegt sind. Das wären einige Ziele, die bei der Rentenversicherung anzustreben sind.
    Wir möchten die Rentenversicherung in Zusammenhang mit einem anderen Versicherungszweig bringen, der auch dringend einer Änderung bedarf, nämlich der Arbeitslosenversicherung. Wir werden versuchen, nachzuweisen, daß aus diesem Zweig gewisse Mittel freigemacht werden können, die dann bei der Rentenversicherung eingesetzt werden könnten. Dadurch käme man eher zu dem echten Versicherungsprinzip, das vorläufig nicht besteht. Bei der Arbeitslosenversicherung muß man folgendes berücksichtigen. Man kann sich für die Gefahr der Krankheit, des Unfalls und des Alters einigermaßen versichern. Die Menschen sind davon ziemlich gleichmäßig bedroht. Das gilt nicht für die Arbeitslosigkeit. Ein großer Teil derjenigen, die zur Beitragsleistung herangezogen werden, ist von dieser Gefahr gar nicht bedroht. Sie stehen in so festen unkündbaren Arbeitsverhältnissen, daß sie von vornherein wissen, daß sie nur Beiträge zu zahlen haben. Damit wird der Charakter einer Versicherung schon völlig durchlöchert. Gegen eine Massenarbeitslosigkeit wie in den Jahren nach 1930 hilft kein noch so hoher Beitragssatz. Dagegen vermögen auch sicherlich die Mittel nichts, die in der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung für 30 Jahre angelegt sind und die in dem Augenblick, in dem eine wirtschaftliche Krisis eintritt, ganz bestimmt nicht zurückgefordert werden können. Hier sind also Mängel und Fehler im System, die beseitigt werden müssen. Auch die Höhe des Beitragssatzes, den wir zur Zeit in der Arbeitslosenversicherung erheben, nämlich 4 °/o, die je zur Hälfte von Arbeitgeber und Arbeitnehmer getragen werden, ist nicht notwendig, um für den Fall einer normalen oder auch schon starken Arbeitslosigkeit die Mittel zu behalten, um die Versicherung durchführen zu können. Wir werden in diesem Jahre voraussichtlich etwa 2 Milliarden DM an Beiträgen einnehmen, während wir in dem Jahre, in das der schnelle, vorübergehende Anstieg auf über 2 Millionen Arbeitslose fiel, höchstens 1 Milliarde DM ausgegeben haben. Sicherlich brauchen wir noch Verwaltungskosten; wir brauchen noch Kosten für die Arbeitsvermittlung. Aber eine Senkung des Beitragssatzes in der Arbeitslosenversicherung von 4 auf 3 % ist meiner Ansicht nach ohne weiteres möglich. Dieses 1 % könnte schon in die Rentenversicherung herübergenommen werden, um dort, wie ich schon sagte, zu einer Hilfe zu führen, die eine echte Versicherung ermöglicht.
    Das sind natürlich bei einer solchen allgemeinen Aussprache nur flüchtig entwickelte Gedanken. Aber das ist es, was ich von der Regierung vermisse. Sie sollte uns sagen, nach welchen Prinzipien sie die Sozialreform durchführen will. Was will sie
    in der Sozialversicherung tun? Will sie wirklich wie wir den echten Versicherungscharakter auf der größtmöglichen Breite zum Durchbruch bringen, oder will sie Methoden anwenden, die, wie ich glaube, auch auf dieser Seite des Hauses nicht mehr mit der Intensität gefordert werden, wie das früher der Fall war und wie wir sie unter dem Namen „Staatsbürgerversorgung" kennengelernt haben, vielleicht am allerdeutlichsten in den Berliner Verhältnissen?

    (Zuruf von der SPD: Wo bleiben denn die Vorschläge, die Sie machen wollten?)

    — Ich habe doch einige Vorschläge entwickelt! Vor allem habe ich sehr deutlich herausgestellt, daß wir überall dort, wo es überhaupt angängig ist, das Versicherungsprinzip an die erste Stelle stellen wollen und daß wir die Sorge des einzelnen, seine Vorkehrung für die Fälle der Not fördern wollen. Ihn wollen wir dabei unterstützen. Jeder einzelne Mensch soll in erster Linie selbst dafür sorgen. Dazu wollen wir ihm helfen. Es gibt einen Kreis, der es aus eigenem nicht kann; das sehe ich ohne weiteres ein. Dieser Kreis ist aber gegenüber der Zeit vor 70 Jahren wesentlich kleiner geworden. Er ist heute verhältnismäßig gering. Der bei weitem größte Teil ist durchaus in der Lage oder kann in die Lage versetzt werden, die Vorsorge selber zu treffen. Der dann noch übrigbleibende Kreis muß allerdings mit Fürsorge vorliebnehmen. Dieser Kreis kann keine Ansprüche erheben, wie es die können, die für ihr Alter, für ihren Krankheitsfall vorgesorgt haben. Der, der doppelt sorgt — etwa durch doppelte Versicherung —, soll auch in den ungeschmälerten und ungehinderten doppelten Genuß kommen.
    Das sind die Grundgedanken, die ich Ihnen vorzutragen hatte. Ich glaube, wenn wir ihnen folgen, lösen wir die soziale Frage viel schneller und viel leichter, als wenn wir uns damit begnügen, einige Verbesserungen — vielleicht sind es auch Verschlechterungen, je nach dem Standpunkt, von dem aus ich sie betrachte — an dem vorhandenen System vorzunehmen. Diese grundsätzliche Frage muß als erste geklärt werden, und dann erst können die Beiräte und Kommissionen in Tätigkeit treten.

    (Beifall bei der FDP.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Elbrächter.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alexander Elbrächter


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen meiner politischen Freunde möchte ich sagen, daß wir der sozialdemokratischen Opposition dankbar dafür sind, daß sie uns durch ihre Anfrage Gelegenheit gegeben hat, einmal ausführlicher über dieses wichtige Problem der Sozialpolitik zu sprechen. Auch meine Freunde sind der Auffassung, daß der Herr Bundesarbeitsminister durch seine Äußerungen in der deutschen Öffentlichkeit Hoffnungen erweckt hat, die leider bislang noch nicht erfüllt werden konnten. Wir wissen aus sehr vielen Zuschriften unserer Freunde — es ist schon wiederholt darauf hingewiesen worden; aber ich glaube, wir müssen es so stark herausstellen wie nur irgend möglich —, daß bei den Rentnern eine tiefe Unzufriedenheit herrscht, die nun — sei es berechtigter- oder unberechtigterweise — aus den Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers entnommen haben, daß sie mit einer baldigen Verbesserung ihrer wirklich mißlichen Lage rechnen können. Das ist der Sache


    (Dr. Elbrächter)

    wegen bedauerlich; denn ich stimme mit dem Herrn Bundesarbeitsminister insofern überein, als eine wirkliche Reform eine derartige Vorbereitung erfordert, daß wir in einer, sagen wir einmal, sehr kurzen Zeit nicht zu einer umfassenden Reform kommen können. Darüber sollten wir uns keinen Illusionen hingeben.
    Mit meinem Kollegen Atzenroth stimme ich insofern nicht ganz überein, als ich der Auffassung bin, daß durch die detaillierte Schilderung der Aufgaben der Arbeitskreise des Beirats doch schon etwa eine Vorstellung gegeben ist, wie sich der Herr Bundesarbeitsminister diese Reform denkt. Ich glaube, daß es nicht möglich ist, über die Zielsetzung einer umfassenden Reform der Sozialpolitik zu sprechen, wenn nicht zuvor die statistischen Daten vorliegen. Erst die Kenntnis dieser realen statistischen Daten gibt uns die Möglichkeit, zu entscheiden, welchen Weg wir in der Sozialpolitik gehen wollen. Ich glaube, daß die Erstellung solcher statistischen Unterlagen notwendig ist.
    Nun möchte ich zum Ausdruck bringen, daß ich
    mich außerordentlich über die Leidenschaft gefreut
    habe, mit der Herr Kollege Preller sein Anliegen vorgebracht hat. Sicherlich ist vieles richtig
    gewesen, was er gesagt hat. Aber ich möchte doch
    mit aller Deutlichkeit noch einmal darauf hinweisen, daß uns fromme Wünsche in der Sozialpolitik gar nichts nutzen. Vielmehr müssen wir
    dort immer damit rechnen, Herr Kollege Preller,
    daß die Mittel vorhanden sind. Insofern begreife
    ich nicht ganz — vielleicht habe ich Sie auch mißverstanden —, daß Sie den engen Zusammenhang
    zwischen Wirtschaftspolitik, Wirtschaftskraft unseres Landes und den Sozialleistungen nicht so anerkennen, wie das eigentlich der Fall sein müßte.

    (Abg. Dr. Preller: Wann habe ich das gesagt?)

    — Ich habe es eingeschränkt; vielleicht habe ich Sie mißverstanden. Ich freue mich, daß Sie es jetzt herausstellen und daß Sie das doch anerkennen wollen. Aber das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
    Ich will mich so kurz fassen, wie es nur irgendwie geht, und deshalb nur noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen. Eines scheint mir in der Tat eine Ungereimtheit zu sein: wenn wir wirklich diesen Menschen, von denen Sie mit Recht gesagt haben, daß sie nicht Nutznießer des Wirtschaftsaufstiegs gewesen sind, bevorzugt helfen wollen, dann müssen wir darauf verzichten, viele Wünsche anderer Gruppen zu erfüllen, die immer wieder an uns herangetragen werden. Es ist eine Ungereimtheit, wenn wir eine Steuerreform beschließen wollen, von der wir überzeugt sind, daß sie unbedingt notwendig ist, damit unser Wirtschaftsapparat Impulse bekommt, gleichzeitig aber mit Forderungen auftreten, die diese Wirkungen wieder zunichte machen können. Wir sind doch alle davon überzeugt, daß das soziale Elend am besten über eine gesunde Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik gelindert werden kann. Ich begreife nicht, Herr Kollege Preller, wie Sie die Auffassung vertreten können, daß die Arbeiter nicht an den Früchten des Aufstiegs Anteil hätten; Sie haben es nicht wörtlich gesagt, aber es klang aus Ihren Ausführungen heraus. Wir können uns im gegenwärtigen Augenblick nicht den Luxus leisten, daß für sozialpolitische Forderungen wie etwa die Familienausgleichskassen Summen von 350 oder 800 Millionen DM — je nachdem, wie wir es machen — aus der Wirtschaft oder aus Steuermitteln aufgebracht werden und im gleichen Augenblick, in dem wir, um der Wirtschaft zu helfen, Steuerermäßigungen beschließen, Lohnforderungen angemeldet werden. Diese Lohnforderungen sind nach meiner Meinung nicht gerechtfertigt. Es ist sozialpolitisch besser gedacht, wenn wir die Steuerermäßigungen, die wir der Wirtschaft zugute kommen lassen wollen, sich in einer Verbesserung der Arbeitsmarktverhältnisse auswirken lassen. Es war eines Ihrer Anliegen, Herr Professor Preller, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Dann können wir aber nicht die Mittel, die zur Verbesserung des Wirtschaftsapparats zur Verfügung stehen, direkt über den bisherigen Umfang hinaus in die Sozialpolitik stecken. Ich möchte Sie also bitten, meine Kollegen von der SPD, auf Ihre Freunde bei den Gewerkschaften dahin einzuwirken, daß in der Lohnpolitik eine gewisse Mäßigung gezeigt wird.

    (Lachen bei der SPD.)

    Denn wir sind überzeugt, daß wir wegen des engen sozialpolitischen Zusammenhangs den Rentnern und den anderen Kreisen, die hier angesprochen worden sind, nur helfen können, wenn auf der anderen Seite bei den Lohnforderungen eine gewisse Mäßigung Platz greift. Das ist die Bitte, die ich an Sie richte.
    Im übrigen hoffe ich, daß die vielen Anregungen, die der Kollege Schellenberg gegeben hat, sich verwirklichen lassen, glaube aber nicht, daß es Sinn hat, sie jetzt im einzelnen zu diskutieren. Ich würde mich jedoch freuen, wenn wir entsprechend den Vorschlägen, die auch Herr Kollege Atzenroth gemacht hat, über konkrete Anregungen im zuständigen Ausschuß beraten könnten, und hoffe, daß wir uns dann einig werden. Materiell bin ich mit vielem von dem, was Sie sagen, einig.