Rede von
Dr.
Gerhard
Lütkens
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt die Inkraftsetzung des alten FreunschaftsHandels- und Konsularvertrags mit den Vereinigten Staaten von 1923. Sie glaubt, daß sie den nachbarlichen Beziehungen zu der großen Republik jenseits des Wassers förderlich sein wird, die uns sowie allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses, wie ich meine, am Herzen liegen.
Für die Verhandlungen über eine Neufassung des Vertrags, die vorgesehen sind, sind von meiner Fraktion einige Wünsche vorzutragen. Das wird noch ein anderer Sprecher meiner Fraktion tun. Ich beschränke mich auf einige Bemerkungen zu der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 3. Juni 1953, die Sie auf Seite 7 der Drucksache '71 vorfinden.
Mit der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers und damit wohl auch der Bundesregierung wird darauf verzichtet, die Rückgabe des in den Vereinigten Staaten beschlagnahmten deutschen Vermögens mit Berufung auf den alten Freundschaftsvertrag von 1923 zu erwirken. Ich darf Ihnen den Art. I Abs. 4 dieses alten Vertrages in abgekürzter Form vorlesen: „Die Staatsangehörigen . . . sollen Schutz und Sicherheit für Person und Eigentum durchaus erhalten" — „most constant protection and security", wie es im englischen Text heißt — „und sollen ... in dem Umfange Schutz genießen,
I wie das Völkerrecht es vorschreibt." Das Völkerrecht sieht, wie ich hinzufügen darf. nach seiner neueren Entwicklung auch das individuelle Klagerecht von Staatsangehörigen der Unterzeichnerstaaten vor. Der Artikel fährt dann fort: „Ihr Eigentum soll ihnen nicht ohne ordentliches Rechtsverfahren und nicht ohne angemessene Entschädigung genommen werden."
Meine Damen und Herren, ich darf zunächst einige ergänzende Ausführungen zu dem soeben erstatteten Bericht über die Beratungen des Auswärtigen Ausschusses machen. Ich glaube, daß in diesem Bericht unterlassen worden ist, wenn ich mich so ausdrücken darf, Herr Kollege Dr. Siemer, auf einen Teil dieser Beratungen hinzuweisen, der, wie mir scheint, von einiger Bedeutung ist, weil aus ihm klar hervorgeht, daß die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 3. Juni 1953 nicht ein Teil der den gesetzgeberischen Körperschaften jetzt zur Ratifizierung unterbreiteten Vorlage ist. Auf eine Intervention im Auswärtigen Ausschuß hat die Bundesregierung — ich bedauere, daß sie nicht
vertreten ist, wieder einmal nicht, meine Damen und Herren! — —
— Welcher Staatssekretär? Das ist der Staatssekretär eines Ministeriums, aber nicht der des Auswärtigen Amts, das federführend ist. Sie werden sich erinnern, daß vor sechs Wochen dieses Abkommen schon einmal von der Tagesordnung abgesetzt werden mußte, weil kein Vertreter des Auswärtigen Amts in Bonn zu finden war, der die Angelegenheit hätte hier vertreten können.
In dieser Woche ist auf Wunsch des Auswärtigen Amts der Punkt trotz gewisser Schwierigkeiten infolge der Straßburger Verhandlungen auf der Tagesordnung festgehalten worden. Heute stelle ich fest, daß das Interesse des Auswärtigen Amts so groß ist, daß es nicht vertreten ist. Ich verzichte bei der Hoffnungslosigkeit des Falles darauf,
einen Antrag dahin zu stellen, einen Vertreter des Auswärtigen Amts vorzuladen, und überlasse es dem Urteil des Hohen Hauses in seiner Gänze, was für ein Verhalten von dieser Behörde in einem demokratischen Lande hier zur Schau getragen wird.
Ich darf auf das vorhin Ausgeführte zurückkommen. Der Vertreter des Auswärtigen Amts hat in jener Beratung im Auswärtigen Ausschuß ausdrücklich festgestellt, daß der Abdruck der Erklärung vom 3. Juni 1953 nur dokumentarischen Charakter habe, also nur zur Unterrichtung dieses Hohen Hauses und der anderen gesetzgebenden Körperschaften dienen solle und daß er nicht gleichzeitig mit dem uns vorliegenden Abkommen hier zur Ratifikation vorliege.
Ich glaube, die Klarstellung hätte vielleicht in den Bericht aufgenommen werden sollen, und ich sehe, daß der Herr Berichterstatter mir durch Nicken zustimmt. Er wird also mit mir auch darin übereinstimmen, daß es zur Ergänzung dieses Berichts von einiger Wichtigkeit ist, wenn die Erklärungen, die ich Ihnen hier zu diesem Fall abgegeben habe, protokollarisch festgehalten werden.
Meine Damen und Herren, das deutsche Eigentum in den Vereinigten Staaten ist nun entgegen dem Art. I Abs. 4, den ich hier verlesen habe, ohne ein ordentliches Rechtsverfahren, ohne das geheiligte due process of law, das es in den Vereinigten Staate gibt, und auch ohne eine angemessene Entschädigung fortgenommen worden. Unter diesem Vermögen befinden sich sehr viele kleine Vermögensstücke, besonders Nachlässe, viele Verfügungen von Erblassern, von amerikanischen Bürgern, zugunsten deutscher Verwandter. Wenn der Herr Familienminister damals schon eine Institution in diesem Lande gewesen wäre, hätte er vielleicht mit Rücksicht auf diese Verhältnisse einen Einspruch gegen die Erklärung vom 3. Juni erhoben, mit der ich mich hier zu beschäftigen habe. Jedenfalls scheint es mir schwer verständlich, wie eine Regierung ohne zwingenden Grund auf solche rechtlich und moralisch wohlbegründeten Ansprüche verzichten kann, nämlich auf Ansprüche auf deutsches privates Vermögen im Ausland. Solche Vermögensstücke sind durch allgemeine völkerrechtliche Regelungen geschützt. Sie sind in den Vereinigten Staaten durch die amerikanische Verfassung geschützt, die den Grundsatz der Unverletzlichkeit des privaten Eigentums ausdrücklich in sich verankert hat, und sie waren darüber hinaus durch diesen zusätzlichen Rechtstitel geschützt, den der Freundschaftsvertrag von 1923 deutschen Staatsangehörigen und insbesondere und in erster Linie der deutschen Regierung in dieser Hinsicht gab. Es handelt sich um einen Artikel, der nach dem ersten Weltkrieg auf Grund der unerfreulichen Erfahrungen in dieser Eigentumsfrage, die man im ersten Weltkrieg gemacht hatte, auf ausdrücklichen Wunsch und auf Anregung der Vertreter der amerikanischen Regierung in das Abkommen von 1923 eingesetzt worden war.
Die endgültige Enteignung des deutschen Vermögens in den Vereinigten Staaten ist nicht während, sondern nach dem Kriege erfolgt, und zwar durch den War Claims Act. Neuerdings liegt der Öffentlichkeit ein Bericht eines Senatsausschusses unter dem Vorsitz des Senators Dirksen vor, der sich mit den Vorgängen um das deutsche Privateigentum in den Vereinigten Staaten befaßt. In diesem Bericht werden drei Männer, darunter der auch sonst wenig vorteilhaft bekannte Herr H. Dexter White, als die drei Männer dargestellt — und ich darf zitieren —, „die die verursachenden Kräfte dafür waren, daß die Politik der entschädigungslosen Enteignung angenommen wurde, obwohl dies im Gegensatz zu der historischen Politik der Vereinigten Staaten stand". Der Bericht bezeichnet diese drei Männer als Agenten eines bolschewistischen Spionagerings.
Das ist ein offizielles Senatsdokument, auf das ich mich beziehe. Ich darf wohl annehmen, daß der Herr Bundeskanzler, als er die Erklärung unterschrieb, über diese Zusammenhänge noch nicht orientiert war, da er sich sonst doch wohl kaum in solch gefährliche Nachbarschaft begeben haben würde.
In der Tat, meine Damen und Herren, der Gegensatz zu den ehrwürdigen und tief verwurzelten Grundsätzen der amerikanischen Demokratie, der in dieser Behandlung des deutschen Eigentums nach dem letzten Kriege liegt, ist erschreckend. Es ist ein altes Prinzip. Schon in dem Friedensvertrag von 1783, den die eben befreiten Kolonien mit England schlossen, ist entsprechend diesen Grundsätzen der amerikanischen Demokratie ausdrücklich dafür Vorsorge getroffen worden, daß die Eigentumsverpflichtungen gegenüber Kriegführenden aufrechterhalten werden. Und wenige Jahre später, im Jahre 1794 schon, als die dann selbständigen Vereinigten Staaten auf dem Höhepunkt der Krise mit England wegen der Neutralitätsverletzungen den sogenannten Jay-Vertrag abschlossen, gab der bekannte und berühmte Hamilton im amerikanischen Senat folgende Erklärung ab — ich darf sie Ihnen verlesen —:
Keine Macht der Sprache, die mir zur Verfügung steht, kann den Abscheu ausdrücken, den ich bei dem Gedanken empfinde, daß das Eigentum eines Individuums, welches in rechtmäßiger Weise in Friedenszeiten dem Schutz unserer Regierung und unserer Gesetze anvertraut wurde, wegen Streitfragen zwischen Nationen verletzt wird. Nach meiner Ansicht vereinen sich Moral und politische Auffassung in der Verurteilung solcher Maßnahmen.
Ich glaube, wir alle können uns nur darüber
freuen, daß sich in den Vereinigten Staaten seit
Jahren in wachsendem Maße eine Einsicht in die
moralische und rechtliche Bedeutung dieser Frage durchsetzt, und zwar in der Bevölkerung und neuerdings erfreulicherweise auch in den gesetzgebenden Körperschaften, vor allen Dingen im amerikanischen Senat. Man kann nur hoffen, daß diese Tendenz sich durchsetzt, damit das Recht geheilt werde, das Recht, das das Herz der westlichen Welt ist, deren Führerschaft die Vereinigten Staaten als Vorkämpfer zu übernehmen glauben und übernehmen.
Meine Damen und Herren, die Begründung, die der Vorlage beigegeben wird, will glauben machen, es hätte der Inkraftsetzung des Vertrages von 1923 bedurft, und sie wäre nun als ein Erfolg der Reise des Herrn Bundeskanzlers in die Vereinigten Staaten Wirklichkeit geworden. Gegenüber solchen Behauptungen sind allerdings erhebliche Zweifel am Platze. Es ist doch wohl so, daß das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten, der Supreme Court, in der Entscheidung Clark versus Allen diesen Konsular- und Freundschaftsvertrag mit Deutschland vom Jahre 1923 als weiter in Kraft befindlich bezeichnet hat,
soweit nicht einzelne seiner Bestimmungen mit dem Trading-with-the-enemy-Act in Konflikt kämen. Der Trading-with-the-enemy-Act aus dem Kriege deckt aber nicht die Beschlagnahmemaßnahmen, die nach dem Kriege durch den War Claims Act durchgeführt worden sind. Insofern steht nach diesem Urteil Clark versus Allen des Supreme Court fest, daß der Vertrag von 1923 mit Deutschland noch in Kraft ist. Die Haltung des State Department, das auf Grund dieses Vertrags schon im Jahre 1950, also vor der Erklärung über die Beendigung des Kriegszustandes, Konsularvertretungen der Bundesrepublik Deutschland zugelassen hat, beruht implizite auf dem gleichen Standpunkt.
Ich habe zum Schluß nur noch eine Bemerkung zu machen. Damit die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 3. Juni 1953, wie sie auf Seite 7 abgedruckt ist, Wirksamkeit hätte, hätte die in ihr enthaltene Änderung des alten Abkommens in dem uns vorgelegten Abkommen niedergelegt werden müssen. Das ist nicht geschehen. Darüber besteht zwischen der Regierung und allen Fraktionen dieses Hohen Hauses Einstimmigkeit. Die Regierung hat es vielleicht nicht gewagt, diesem Hohen Hause ein zweites Mal offen einen rechtlich unbegründeten Verzicht auf rechtlich wohlbegründete Ansprüche auf deutsches Privateigentum im Ausland vorzulegen. Die Bundesregierung ist darüber hinaus aber nach Art. 14 Abs. 3 des Grundgesetzes zu einem solchen Rechtsverzicht nicht befugt. Denn dieser Artikel bestimmt, daß eine Enteignung nur durch ein Gesetz erfolgen kann, das gleichzeitig die Entschädigung regelt. Das wird in dem uns vorliegenden Fall im übrigen in keiner Weise getan. Die Änderung des Vertrags und dieser Verzicht bedürften staatsrechtlich der Ratifizierung durch den Bundestag und die gesetzgebenden Körperschaften. Diesem Hohen Hause liegt die Erklärung vom 3. Juni, wie ich ausgeführt habe, nicht mehr vor. Unter diesen Umständen kann die amerikanische Regierung die Erklärung vom 3. Juni nicht bona fide annehmen,
und sie kann sich nicht darauf verlassen, daß sie etwa in verfassungsmäßiger Ordnung wäre.
Meine Damen und Herren! Dem Abkommen als solchem wird meine Fraktion auch in dritter Lesung zustimmen, da für das Abkommen und seine sachliche Bedeutung die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 3. Juni 1953 unerheblich ist.