Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Im Rahmen der heutigen Debatte möchte ich noch zu einer Teilfrage Stellung nehmen, die auch von der Regierungskoalition als eine sozialpolitische Ungerechtigkeit erklärt worden ist und von der wir einmal wissen möchten, wie sie einer Regelung zugeführt werden soll. Ich hätte das Wort nicht ergriffen, wenn der Herr Bundesarbeitsminister heute davon gesprochen hätte oder wenn er überhaupt bei der Aufzählung der Probleme, die der Beirat bewältigen soll, etwas dazu gesagt hätte.
Wir sind uns alle darin einig, daß sich eine Sozialreform nicht in der Erhöhung der Altrenten erschöpfen kann, so wichtig diese Frage auch ist. Wir stehen noch vor einer Reihe anderer Regelungen auf diesem Gebiet, und da ist es ganz besonders eine Frage, von der die Frauen betroffen sind, die zweifellos einen Rechtsanspruch auf Leistungen besitzen, der aber nach den heute bestehenden gesetzlichen Regelungen nicht realisiert ist. Wir alle wissen, daß die augenblickliche Regelung draußen bei dem davon betroffenen Personenkreis eine große Verbitterung ausgelöst hat. Deshalb wären wir dem Herrn Bundesarbeitsminister sehr dankbar gewesen — ich nehme an, auch die Frauen, die darauf warten, daß sie endlich einmal von einer anderen Regelung etwas hören —, wenn er uns im Laufe dieser Debatte hätte sagen können oder sagen wollen, wie er diese Frage einmal zu regeln gedenkt und wie er dafür sorgen will, daß dieser Rechtsanspruch realisiert wird.
Es handelt sich um den § 21 Abs. 5 des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes, das im Frankfurter Wirtschaftsrat verabschiedet wurde und in dem auf Grund einer finanziellen Zwangssituation eine Regelung getroffen wurde, die niemanden von uns befriedigen konnte. Wir stellten bereits in der ersten Legislaturperiode einen entsprechenden Antrag, der aber nicht zu der gewünschten Änderung führte, da sich die Mehrheit des Hauses dagegen entschied. Deshalb sehe ich mich veranlaßt, heute im Auftrage meiner Fraktion angesichts dieser Debatte noch einmal zu dieser Gesetzesregelung Stellung zu nehmen und ihre sozialpolitische Ungerechtigkeit darzustellen in der Hoffnung, daß sich der Herr Bundesarbeitsminister auch mit dieser Frage befaßt und Überlegungen anstellt, wie sie einer gerechten Lösung entgegengeführt werden kann;
Beim § 21 Abs. 5 des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes handelt es sich um die Witwenversorgung der Invalidenversicherung und um den bekannten Stichtag vom 31. Mai 1949. Dahinter steckt für ungefähr 320 000 Witwen, deren Ehemänner in der Invalidenversicherung versichert waren, eine außerordentlich große Härte. Nachdem das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz die unterschiedliche Witwenversorgung in der Ange-
stellten- und in der Invalidenversicherung grundsätzlich beseitigt hatte — jeder muß anerkennen, daß das eine dringend notwendige Regelung war, da früher Unterschiede zuungunsten der Witwen der Invalidenversicherten bestanden —, blieb diese ungerechte Regelung noch weiterhin für die Witwen bestehen, deren Ehemänner bereits vor dem 31. Mai 1949 verstorben sind. Sie erhalten nicht, wie jetzt alle anderen Witwen sowohl aus der Invaliden- wie aus der Angestelltenversicherung, die unbedingte Witwenrente, d. h. sofort nach dem Tode des Ehemannes ohne jede Voraussetzung, sondern sie müssen noch die besonderen Voraussetzungen erfüllen, die früher ganz allgemein für die Witwen der Invalidenversicherung bestanden. Sie müssen also entweder selbst erwerbsunfähig sein oder das 60. Lebensjahr vollendet haben oder vier Kinder gehabt haben, ehe sie Anspruch auf eine Witwenrente haben.
Die Bestimmung, wonach diese Witwen, deren Ehemänner vor dem 31. Mai 1949 verstorben sind, schon vom 60., nicht erst vom 65. Lebensjahr ab die Witwenrente erhalten, beruht auf einem Kompromiß, der damals auf Grund eines Antrages der SPD im Frankfurter Wirtschaftsrat bei der Verabschiedung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes angenommen wurde. Aber, meine Herren und Damen, es war ein mehr als bescheidener Kompromiß. Wir stellten deshalb im Dezember 1952 hier in diesem Hause noch einmal den Antrag, wenigstens den Witwen, deren Männer vor dem 31. Mai 1949 verstorben sind, das Witwengeld zu geben und die Einschränkung dieses ungerechten Stichtages aufzuheben, sofern sie das 40. Lebensjahr erreicht haben. Dieser Antrag wurde von der Mehrheit des Hauses, und zwar aus finanziellen Gründen, nicht etwa weil man die sozialpolitische Situation nicht anerkannt hätte, abgelehnt. Ich glaube, diese Ablehnung ist kaum verständlich für die davon betroffenen Witwen und auch für diejenigen, meine Herren und Damen, deren sozialpolitisches Gerechtigkeitsgefühl dadurch verletzt wurde, zumal sich diese Regelung in vielen Fällen als geradezu widersinnig erwies.
Erschwerend kommt noch hinzu — auch das möchte ich in diesem Zusammenhang sagen —, daß alle Kriegerwitwen, deren Ehemänner invalidenversichert waren, unter diesen Stichtag fallen; sie bleiben nach der augenblicklichen Regelung ohne Witwenrentenanspruch aus der Sozialversicherung, bis sie selbst entweder das 60. Lebensjahr vollendet haben oder erwerbsunfähig sind. Hinzu kommt weiter, daß sie keinen Rechtsanspruch auf Rentner-Krankenversicherung haben, so daß sie doppelt geschädigt sind.
Wir stehen jedenfalls auf dem Standpunkt, daß das völlig unmöglich ist. Wir werden in der kommenden Sozialreform darauf zu achten haben, daß dieser Stichtag, der damals aus einer 'Zwangssituation heraus eingeführt wurde, für die Zukunft nicht bestehen bleiben kann. Es handelt sich gewiß um einen Teilbereich innerhalb unserer Sozialleistungen: aber es ist eine bedeutsame Frage und betrifft Hunderttausende von Frauen, die auf eine Lösung warten.
Außerdem entsteht aber auch noch die Frage, ob man bereit ist. für gleiche Beiträge die gleichen Leistungen zu sichern und zu gewähren. Herr Kollege Atzenroth hat vorhin gesagt, es sei eine Selbstverständlichkeit, eine solche Regelung zu treffen. Aber hier ist ein Schulbeispiel dafür, daß wir eben für gleiche Beiträge nicht die gleichen
Leistungen gewähren. Da muß eine gerechte Lösung gefunden werden.
Eine weitere Frage ist die des § 1279 der Reichsversicherungsordnung. Auch hier sind wir im Bundestag bei einer Regelung, die die sozialdemokratische Fraktion beantragt hatte, auf halbem Wege steckengeblieben, so daß die Lösung in keiner Weise befriedigt.
Diese Frage hängt eng zusammen mit den gegenseitigen Anrechnungen beim Bezug mehrerer Renten. Es ist vorhin schon von meinem Kollegen davon gesprochen worden, welche Verbitterung bei dem davon betroffenen Personenkreis hervorgerufen wurde, wenn wir Rentenerhöhungen durchführten, dabei aber die zweite Rente, die ein Rentner bezog, wieder anrechnen ließen. Wie oft wurde von den Betroffenen zum Ausdruck gebracht, sie fühlten sich dadurch betrogen, daß ihnen mit der einen Hand gegeben und mit der anderen wieder genommen werde. Auch hier würden wir gern hören, welche Vorstellungen über diese Anrechnungsfragen bestehen. Man kann diese Seite unserer Sozialleistungen nur dann regeln, wenn man bereit ist, Renten zu gewähren, die dem Rentner wirklich eine Existenzsicherung bieten. Wir hoffen, daß bei der kommenden Sozialreform die genannten sozialpolitischen Ungerechtigkeiten, von denen besonders die Frauen betroffen sind, beseitigt werden. Grundsatz und Ziel all unserer sozialpolitischen Überlegungen und Maßnahmen muß dabei das Wohlergehen der Menschen sein.