Rede:
ID0203003000

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 5
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Bundesarbeitsminister.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 30. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Mai 1954 1373 30. Sitzung Bonn, Freitag, den 21. Mai 1954. Geschäftliche Mitteilungen 1374 A Mitteilung und Beschlußfassung über Verzicht auf erneute erste Beratung der Gesetzentwürfe betr. Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit (zu Drucksache 44), Einkommensgrenze für das Erlöschen der Versicherungsberechtigung in der gesetzlichen Krankenversicherung (zu Drucksache 67) und Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (zu Drucksache 68) 1374 B Mündliche Berichterstattung des Ausschusses für Petitionen gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung in Verbindung mit der Beratung der Übersicht 5 über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages betr. Petitionen nach dem Stand vom 7. Mai 1954 (Drucksache 508) 1374 B Frau Albertz (SPD), Berichterstatterin 1374 B Beschlußfassung 1378 B Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Pressepolitische Pläne der Bundesregierung (Drucksache 313; Antrag Umdruck 18) 1378 B Kalbitzer (SPD), Anfragender . . . 1378 B Dr. Schröder, Bundesminister des Innern . . 1380 D, 1396 D, 1400 B, 1401 D Dr. Dresbach (CDU/CSU) 1381 C Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein (FDP) 1385 B Brandt (Berlin) (SPD) 1388 D Feller (GB/BHE) 1392 C Becker (Hamburg) (DP) 1394 D Kühn (Köln) (SPD) 1399 B, 1400 B Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Sozialreform (Drucksache 314) 1402 A Dr. Preller (SPD), Anfragender 1402 A, 1429 B Storch, Bundesminister für Arbeit 1408 A, 1418 A, B Dr. Schellenberg (SPD) 1411 D, 1418 A, 1427 B Dr. Atzenroth (FDP) 1419 C Dr. Elbrächter (DP) 1421 D Frau Finselberger (GB/BHE) . . . 1422 D Arndgen (CDU/CSU) 1424 C Frau Korspeter (SPD) 1426 A Schüttler (CDU/CSU) 1428 C Absetzung der zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Beauftragung von Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege mit der nichtgewerbsmäßigen Arbeitsvermittlung zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Drucksachen 223, 419) von der Tagesordnung 1430 B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Gesetzes betr. die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und des Rabattgesetzes (Drucksache 475) 1430 C Überweisung an die Ausschüsse für Wirtschaftspolitik, für Geld und Kredit, für Rechtswesen und Verfassungsrecht und für Sonderfragen des Mittelstandes . . 1430 C Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. Juni 1953 über den FreundschaftsHandels- und Konsularvertrag zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 8. Dezember 1923 mit seinen Abänderungen (Drucksache 71); Mündlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (Drucksache Nr. 218) 1430 C Dr. Siemer (CDU/CSU), Berichterstatter 1430 D Dr. Lütkens (SPD) 1431 C Dr. Hammer (FDP) (zur Geschäftsordnung) 1433 C Abstimmung 1431 C Weiterberatung vertagt 1433 D Erste Beratung des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Behebung der Berufsnot der älteren Angestellten (Drucksache 346) . . 1433 D Horn (CDU/CSU) (zur Geschäftsordnung) 1434 A Beratung vertagt 1434 C Nächste Sitzung 1433 D, 1434 C Anlage: Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage betr. pressepolitische Pläne der Bundesregierung (Umdruck 18) 1435 Die Sitzung wird um 9 Uhr 9 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid eröffnet.
  • folderAnlagen
    Anlage Antrag der Fraktion der SPD (Umdruck 18) zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Pressepolitische Pläne der Bundesregierung (Drucksache 313) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, zu erklären, daß sie von allen Plänen Abstand nimmt, die geeignet sind, die Unabhängigkeit und die Freiheit der Presse zu beeinträchtigen. Bonn, den 31. März 1954 Ollenhauer und Fraktion
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ernst Schellenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Beratung der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion müssen doch wohl drei Fragen im Vordergrund stehen: erstens die Frage bezüglich der von der Regierung bisher gegebenen Versprechungen und Zusagen, insbesondere hinsichtlich des Sozialbeirats; zweitens die für die Reform der sozialen Leistungen in der nächsten Zeit vorgesehenen Maßnahmen, also, konkret gesagt, die Frage der Erhöhung der Altrenten; drittens die Grundsätze einer kommenden Sozialreform.
    Zu der ersten Frage, inwieweit die von der Regierung vertretenen Zielsetzungen über die Sozialreform bisher verwirklicht wurden, kann ich mich sehr kurz fassen. Die Antwort, die der Herr Bundesarbeitsminister in dieser Hinsicht gegeben hat, hat meine politischen Freunde in keiner Weise befriedigt.

    (Abg. Frau Korspeter: Sehr richtig!)

    Herr Bundesarbeitsminister, ich darf Sie daran erinnern, daß Sie nahezu in jeder Rede, die Sie seit Ihrer Amtsübernahme im Jahre 1949 über


    (Dr. Schellenberg)

    soziale Probleme gehalten haben, von der Notwendigkeit einer umfassenden Sozialreform gesprochen haben. Dabei haben Sie wiederholt erklärt, daß die Neuordnung spätestens zu Beginn des kommenden Jahres erfolgen müßte. Das kann man durch Zitate beweisen. Ich möchte das hier nicht tun; ich habe einen ganzen Packen von etwa 40 verschiedenen Reden, die Sie über diese Frage gehalten haben. Wir geben zu: das spricht selbstverständlich für Ihr großes Interesse an diesen Problemen und für Ihre Sorge um diese Fragen. Aber wir müssen erklären: Reden, Versprechungen, Zusagen und weitere Prognosen genügen nicht; entscheidend sind allein die Taten.
    Zuerst will ich auf Ihre konkreten Maßnahmen bezüglich des Sozialbeirats eingehen. Mein Freund Preller hat hier bereits Ihre Rede, ich glaube, vom 21. Februar 1952 zitiert, in der Sie sehr bestimmte Zusagen hinsichtlich zeitlicher Termine gemacht haben. Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben das nicht nur bei Schaffung des Beirates getan; es mag sein, daß sich dann in der konkreten Arbeit gezeigt hat, daß es schwieriger war, als Sie ursprünglich annahmen. Sie haben aber auch bei den weiteren Sozialberatungen des Jahres 1953 auf die Arbeit des Beirates hingewiesen, und es wurde damals von den Herren der Regierungsparteien erklärt, man solle doch nicht durch Anträge sozialpolitischer Art die nun begonnene Arbeit dieses Beirates stören und beeinträchtigen. Das ist zu unseren Anträgen auf Erhöhung der Grundbeträge usw. gesagt worden.
    Heute müssen wir nun von Ihnen hören — wir stellen das mit großem Interesse fest —, daß Sie die Arbeit des Beirates stark intensiviert haben. Aber wir müssen den Vorwurf erheben, daß die Aktivierung der Arbeiten des Beirats mit großer Wahrscheinlichkeit, soweit wir es beurteilen können — wir sind nicht Mitglieder des Beirats, und bisher ist Vertraulichkeit geübt worden —, in einem gewissen Kausalzusammenhang — ich möchte mich vorsichtig ausdrücken — mit unserer Großen Anfrage steht, in der wir von Ihnen Auskunft über die Arbeiten dieses Beirats fordern. Deshalb befriedigt es uns nicht, Herr Minister ich möchte Ihnen das auch ganz offen sagen —, daß Sie uns hier nun von den weiteren Plänen dieses Beirats berichten und uns hier die Zusammensetzung des Beirats darlegen. Das haben wir bereits am 30. April dieses Jahres im Bulletin gelesen; da ist die Zusammensetzung der Arbeitsausschüsse unter Nennung der Persönlichkeiten aufgeführt. Uns interessieren hier neue, unbekannte Tatsachen und nicht Mitteilungen über Ihre weiteren Pläne und das Vorhaben dieses und jenes Unterausschusses; das ist nicht entscheidend. Heute muß Rechenschaft über die zwei Jahre gegeben werden;

    (Beifall bei der SPD)

    und, Herr Bundesarbeitsminister, über Ihre Tätigkeit in den letzten zwei Jahren haben Sie sehr wenig Bestimmtes und Konkretes gesagt.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Nun, Herr Bundesarbeitsminister, zur Frage der Altrenten. Sie haben sich zu dieser Frage nur ganz kurz geäußert. Sie haben gesagt, es werde daran gearbeitet, und Sie haben einen Termin genannt, von dem Sie glauben, daß der Gesetzentwurf dem Kabinett vorgelegt werden kann. Aber, Herr Bundesarbeitsminister, ich muß Ihnen sagen: auch das kann uns nicht befriedigen, und ich glaube, auch nicht die Öffentlichkeit; deshalb nicht, weil
    Sie in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit
    in der verschiedensten Weise über die Frage der
    Altrenten sehr konkret gesprochen und Erklärungen, um nicht zu sagen, Zusagen gemacht haben.
    Wenn wir heute eine Debatte über die Frage der
    Altrenten führen, dann müssen Sie die Auffassungen, die Sie in der Öffentlichkeit vertreten haben
    und mit denen sich die überwiegende Mehrzahl
    aller Rentner beschäftigt, weil es um die Erhöhung
    der ihnen gewährten Leistungen geht, auch hier
    vertreten und in klarer Weise hierzu Stellung nehmen. Sie müssen hier vor dem Bundestag vertreten, was Sie in der Öffentlichkeit gesagt haben.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Herr Bundesminister, was haben Sie alles über die Frage der Altrenten gesagt! Es begann etwa im Oktober/November vergangenen Jahres. Sie haben am 6. November 1953 in Frankfurt erklärt:
    Innerhalb des nächsten halben Jahres werde
    ich einen Gesetzentwurf über die Angleichung
    der alten Rentenansprüche an die gegenwärtige Kaufkraft vorlegen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Wir Sozialdemokraten haben dieser Auffassung voll und ganz zugestimmt, und um unbedingte Gewißheit darüber zu haben, wie es mit diesen Gedankengängen und Plänen steht, habe ich Sie in der Fragestunde im Dezember hier im Hause gefragt, ob Sie diese Frist von einem halben Jahr einhalten werden. Sie haben wörtlich erklärt: „Ja, wenn es irgendwie möglich ist,

    (Lachen bei der SPD)

    und ich glaube auch, daß es gelingt." Wir müssen heute feststellen, daß Sie sich bezüglich des Termins — ein halbes Jahr seit November 1953, also praktisch Mai 1954! — geirrt haben. Das ist besonders bedauerlich, Herr Minister, weil solche Zeitangaben, die Sie in der Öffentlichkeit machen und die die Presse natürlich verbreitet, bei Millionen von Rentnern Hoffnungen erwecken.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wenn Sie, Herr Minister, als der führende Sozialpolitiker der Regierung im November in der Öffentlichkeit sagen, in einem halben Jahre würden Sie einen Gesetzentwurf über Rentenerhöhungen vorlegen, dann rechnen sich die Rentner schon aus, was sie im Mai mehr an Rente erhalten. Das wissen wir doch alle; das ist doch die politische Praxis, die Praxis des täglichen Lebens!

    (Beifall bei der SPD.)

    Deshalb müssen wir Ihnen den Vorwurf machen, daß Sie über diese Dinge in einem Zeitpunkt gesprochen und damit Hoffnungen erweckt haben, als Ihre Vorbereitungen noch in den Kinderschuhen gesteckt haben.
    Jetzt sind Sie, Herr Minister, in eine schwierige Situation gekommen, nachdem Sie immer wieder darüber gesprochen haben. So sind Sie gezwungen, in dieser Hinsicht vieles zu improvisieren, und das führt zu Gesetzen — das wissen wir ja von dem Teuerungszulagengesetz, um nur das Beispiel zu nennen, das mein Freund Preller erwähnt hat, - -

    (Abg. Arndgen: Dafür ist der Minister nicht verantwortlich gewesen!)

    — Aber selbstverständlich, das ganze Haus ist dafür verantwortlich gewesen! Wir wollen doch gerade aus der Vergangenheit lernen, und deshalb sage ich, daß genaue und gründliche Vorbereitungen getroffen werden müssen. Wenn der Minister


    (Dr. Schellenberg)

    in der Öffentlichkeit erklärt, daß in einem halben
    Jahr eine Rentenerhöhung kommen werde, dann
    muß sein Ministerium praktisch schon so weit sein,
    daß er den Gesetzentwurf aus der Tasche zieht,

    (Beifall bei der SPD)

    und das war doch nicht der Fall.
    Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben — und das bedauere ich sehr — über diesen Termin auch noch später, nach dem Dezember, nachdem ich Sie hier gefragt habe, in der Öffentlichkeit verschiedene Mitteilungen gemacht, die diese Hoffnung immer wieder genährt haben. Sie haben beispielsweise am 11. Februar 1954 erklärt, daß die Gesetzentwürfe über die Erhöhung der Altrenten schon im März dem Kabinett zur Entscheidung vorgelegt würden. Vorhin haben Sie uns erklärt: im Juli. Das ist für die Rentner eine sehr entscheidende Verspätung; denn die Rentner rechnen im Hinblick auf die Sicherung ihres Lebensbedarfs mit diesen Erhöhungen.
    Herr Minister, ich darf Sie auch daran erinnern, daß Sie im April 1954 erklärt haben, die mathematischen Arbeiten würden in vierzehn Tagen abgeschlossen sein. Ich kann Ihnen nur sagen: Das entspricht nicht den Tatsachen. Sie haben sich da getäuscht. Sie haben Ihre Hoffnungen und Ihre Ziele für Wirklichkeit genommen; denn die mathematischen Arbeiten sind erst in den ersten Maitagen hinsichtlich der Auswertung auf volle Touren angelaufen, beispielsweise bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, bei der Sie eine große Erhebung darüber anstellen lassen.
    Es ist nach Auffassung meiner Fraktion nicht vertretbar, wenn Sie in der Öffentlichkeit erklären, daß die mathematischen Arbeiten in vierzehn Tagen abgeschlossen seien, während mit diesen Arbeiten, die mit Hollerithmaschinen auf Lochkarten gemacht werden müssen, zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal begonnen worden ist. Wir sind der Auffassung, daß all dies sehr unbefriedigend ist.
    Im übrigen müssen wir Ihnen, Herr Minister, den Vorwurf machen, daß nicht nur Ihre zeitliche Planung bezüglich der Gewährung von Rentenerhöhungen für die sogenannten Altrentner in Unordnung geraten ist, sondern daß auch die Vorstellungen darüber, wer eine Erhöhung wegen Anpassung der Renten an die gestiegene Kaufkraft erhalten soll, in Ihrem Hause sehr schwankend waren. Das mag noch angehen. Aber Sie haben darüber in der Öffentlichkeit unterschiedliche Erklärungen abgegeben, und das ist bedauerlich. Sie haben beispielsweise manchmal davon gesprochen, daß die Rentenansprüche für Versicherungszeiten bis 1933 aufgewertet werden sollen, dann haben Sie wieder davon gesprochen, daß Versicherungszeiten bis zu Beginn des zweiten Weltkrieges, also bis 1939, aufgewertet werden sollen. Ferner bin ich darüber unterrichtet, daß in anderem Zusammenhang erwogen wurde, sogar Versicherungszeiten bis 1954 aufzuwerten. Das alles zeugt doch von sehr starken Unklarheiten. Deshalb sind wir genötigt, Ihnen den Vorwurf — ich muß das hier in aller Offenheit sagen, denn wir wollen eine freimütige Aussprache — zu machen, daß Sie durch öffentliche Reden über Dinge, die noch nicht geklärt waren, die Rentner in eine Beunruhigung versetzt haben. Dieser Tatbestand hat zu einer Verwirrung bei den Rentnern geführt, und das ist besonders bedauerlich.
    Mit diesem etwas unklaren Begriff „Altrenten" ergeben sich viele Fragen für die einzelnen Rentner.
    Sie haben den Begriff Altrente geprägt. Gut, das ist ein Ausdruck. Aber da er nicht klar erläutert wurde — in Ihrem Hause selbst bestanden sogar unterschiedliche Auffassungen darüber —, haben viele Rentner angenommen und konnten es sehr leicht annehmen, Altrenten seien vielleicht die Renten, die bei Erreichung der Altersgrenze von 65 Jahren oder von 60 Jahren für Versicherte gewährt werden. Herr Atzenroth, Sie sind ein Sachkenner, und auch ich weiß, was der Herr Minister meint; aber wenn der Herr Minister einmal von Kaufkrafterhöhungen für Versicherungszeiten bis 1933 und ein andermal bis 1939 spricht, dann entsteht natürlich in dieser Hinsicht eine bedauerliche Unklarheit, Deshalb hatten wir erwartet, Herr Minister, daß Sie von der Tribüne dieses Hauses einmal klar sagen, war darunter verstanden werden soll, damit jetzt endlich bei den Rentnern und bei der Bevölkerung Klarheit über die Dinge erreicht wird.
    Im übrigen sind wir der Meinung, daß auch die Vorstellungen, die Sie in bezug auf die Beträge haben, welche die Rentner in Gestalt von Erhöhungen erhalten sollen, doch sehr unklar und sehr mißverständlich sind. Mein Freund Preller hat berichtet, daß Sie erklärt haben — und das ist durch die ganze Presse gegangen —, die Rente würde um durchschnittlich 30 DM erhöht. Sie haben weiter davon gesprochen, daß für die Erhöhung der Altrenten Mittel in Höhe von 750 bis 800 Millionen DM jährlich aufgewendet würden. Wir, die wir in der Materie stehen, wissen, daß 61/2 Millionen Renten laufen, daß also nur etwa ein Drittel aller Rentner eine Erhöhung dieser sogenannten Altrente erhalten kann, wenn diese Erhöhung, wie Sie laut Presse erklärt haben, 30 DM monatlich betragen soll. Wir wissen auch, daß noch nicht einmal alle über 65 Jahre alten Rentner bei diesem Aufwand und bei dieser Höhe in den Genuß der Altrentenerhöhung kommen können, denn nach den statistischen Feststellungen, die ich kenne, kommen etwa 31/2 Millionen Rentner in Frage, die das 65. Lebensjahr überschritten haben. Ich bitte, mich in dieser Hinsicht gegebenenfalls zu berichtigen.
    Es ergeben sich also aus all dem, was Sie bisher über die Altrenten gesagt haben, viele Unklarheiten. Deshalb bitte ich Sie, heute dem Hause und damit der Öffentlichkeit folgende Fragen zu beantworten.
    1. Wieviele Rentner sollen nach den Plänen Ihres Ministeriums als Altrentner angesehen werden und sollen nach Ihren Vorstellungen in den Genuß einer Erhöhung kommen?
    2. Wie hoch wird nach Ihren Plänen für den Durchschnitt für den Versicherten und auch für den Durchschnitt der Witwen diese Erhöhung tatsächlich sein, 30 DM oder wie hoch?
    3. Von welchem Zeitpunkt an soll nach Ihren Vorstellungen die Erhöhung der sogenannten Altrenten wirksam werden?
    4. Wann wird nach Ihren Auffassungen die überwiegende Zahl der Rentner praktisch diese Erhöhung ausgezahlt erhalten?
    Wie wir wissen, ist das Letzte sehr wichtig. Ich darf Sie nur an das Fremdrentengesetz erinnern, das am 1. April 1952 in Kraft trat, dessen praktische Durchführung wegen der Durchführungsbestimmungen aber heute noch nicht überall erfolgt ist.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Ich habe noch eine weitere Frage an Sie, Herr
    Minister, um deren Beantwortung ich bitte. Ist
    nach Ihren Plänen eine Anrechnung dieser Erhö-


    (Dr. Schellenberg)

    hung der Altrenten auf andere Sozialleistungen — beispielsweise auf Ausgleichsrenten in der Kriegsopferversorgung, Unfallrenten, Lastenausgleich usw. — in Aussicht genommen?
    Ich stelle die Frage deshalb, Herr Minister, weil, nachdem Sie in der Öffentlichkeit Erklärungen abgegeben haben, unbedingt Klarheit geschaffen werden muß. Ich bitte, sich nicht damit zu entschuldigen, daß Sie sagen, das alles hängt erst von dem Gesetz und von dem Gang der Gesetzgebung ab. Wenn ein Minister über eine Frage in der Öffentlichkeit wiederholt spricht, dann interessieren den Bundestag mindestens die genauen Pläne des Ministers. Was nachher praktisch herauskommt, das werden wir erarbeiten müssen. Ich glaube, die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, von Ihnen jetzt zu erfahren, welche eigenen Pläne und Vorstellungen Sie in dieser Sache haben.
    Nun zu einer weiteren Frage, der Frage der Aufbringung der Mittel. Es muß doch zweifelsfrei geklärt sein, wie diese Mittel, nämlich die 750 bis 800 Millionen DM beschafft werden. Ihre Erklärung, daß sie aus den Kassenüberschüssen der Rentenversicherung aufgebracht werden sollen, hat in vielen Fachkreisen und auch in Kreisen der Arbeitgeber, der Gewerkschaften usw. Beunruhigung hervorgerufen. In diesem Zusammenhang ist folgendes wichtig.
    Die von Ihnen vertretene Auffassung über die Aufbringung der Mittel aus den Kassenüberschüssen der Rentenversicherungsträger, die nach Ihren Angaben im letzten Jahr 1,2 Milliarden DM betragen haben, steht doch in erstaunlichem Widerspruch zu den Ausführungen, die Sie vor diesem Hause vor noch nicht einem Jahre, nämlich bei der Beratung des sozialdemokratischen Antrags auf Erhöhung der Grundbeträge gemacht haben. Sie haben am 11. Juni 1953 hier vor dem Hause erklärt, ein etwaiger jährlicher Überschuß werde unbedingt für spätere Rentenzahlungen benötigt, weil sich schon im Laufe der nächsten fünf Jahre die Zahl der Beitragszahler verringere, aber die der Rentner erhöhen werde. Sie haben erklärt, Herr Minister, die Überschüsse der Rentenversicherung seien eine Bagatelle im Vergleich mit den zur wirtschaftlichen Sicherung der für spätere Rentenleistungen benötigten Mittel. Herr Kollege Horn, Sie werden sich erinnern, daß Sie sich in der Debatte vom 11. Juni vergangenen Jahres auf statistisches Material des Bundesarbeitsministeriums gestützt und erklärt haben, daß die im Lebensalter über 65 Jahre Stehenden in den nächsten 25 Jahren um 70 % — also über den Daumen gerechnet pro Jahr um 3 % — anwachsen werden. Herr Kollege Hammer hat in der Debatte erklärt, daß die Erhöhung der Rentenleistungen aus den Mitteln der Rentenversicherung gewissermaßen unverantwortlich gegenüber den gegenwärtig Versicherten sei. Die gleiche Auffassung haben die Experten Ihres Ministeriums, haben die Sachverständigen des Verbandes der Rentenversicherungsträger in Reden und in wissenschaftlichen Abhandlungen vertreten.
    Wir müssen deshalb mit Erstaunen feststellen, daß sich die Auffassung des Bundesarbeitsministeriums über die Finanzlage der Rentenversicherung im Zeitraum noch nicht eines Jahres so fundamental geändert hat. Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben darüber — nach Pressemitteilungen — in der Öffentlichkeit gewisse Erklärungen abgegeben, weshalb vor einem Jahr in bezug auf den Altersaufbau noch grau in grau gemalt wurde und weshalb jetzt alles rosarot erscheint. Sie haben nämlich erklärt, daß sich die Bevölkerungspyramide, der Altersaufbau des deutschen Volkes doch wesentlich verbessert habe, und zwar durch Eintritt junger Jahrgänge in das Berufsleben.

    (Abg. Schmitt [Vockenhausen]: Durch die Ernennung von Wuermeling!)

    Herr Minister, diese Begründung zieht nicht; denn jeder Bevölkerungsstatistiker wußte natürlich infolge des Aufbaus der Alterspyramide genau, wann die Jahrgänge 1939 und 1940 in das Berufsleben eintreten werden und wie sich das auswirkt. Wir wissen heute auch, wann die zahlenmäßig geringeren Jahrgänge, beispielsweise 1942, ins Berufsleben kommen werden, und wir wissen, daß sich der jetzige Zustrom von jungen Jahrgängen auf Grund der Bevölkerungsentwicklung wieder ins Negative verkehren wird.
    Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben in diesem
    Zusammenhang auch von dem Zustrom junger
    Flüchtlinge aus der Sowjetzone gesprochen. Einer
    meiner Freunde, Kollege Rasch, hat bereits bei der
    Debatte des Haushalts diese Frage angeschnitten.
    Sie sind nicht darauf eingegangen. Ich muß gerade
    deshalb noch einmal um eine Auskunft darüber
    bitten. Sie haben erklärt, der Zustrom junger
    Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone
    schaffe in der Bundesrepublik einen günstigeren
    Altersaufbau. Wir sind der Auffassung, daß eine
    derartige Äußerung im Hinblick auf die gesamtdeutsche Verantwortung bedauerlich ist. Wir sind
    der Auffassung, daß wir gerade bei der Rentenversicherung, also bei Maßnahmen, die auf Jahre
    und Jahrzehnte abgestellt sind, doch alle eine gemeinsame Verantwortung auch für die alten Menschen tragen, die in der Sowjetzone zurückbleiben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Für die Zukunft ergeben sich daraus für uns alle, wie ich hoffe, doch eher Verpflichtungen als Entlastungen, die heute bei Aufbringung zukünftiger Mittel in Betracht gezogen werden müssen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Im übrigen darf ich Ihnen sagen: Nach meinen Berechnungen — und ich bitte mich zu belehren, wenn ich irre — ist Ihre Auffassung bezüglich der zahlenmäßigen Auswirkung des Zustroms der jungen Flüchtlinge aus der Sowjetzone auch irrtümlich. Ich habe versucht, mit Unterstützung der verschiedenen Stellen genaue Berechnungen darüber anzustellen. Ich habe errechnen können, daß sich durch den Zustrom der Sowjetzonenflüchtlinge seit der letzten Statistik über den Altersaufbau der Prozentsatz der Menschen im erwerbstätigen Alter von 67,1% auf 67,3% verbessert hat und daß der Prozentsatz der Alten von 9,3% auf 9,2% zurückgegangen ist.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Aber derartige Veränderungen haben für den Altersaufbau unseres Volkes überhaupt keine entscheidende Bedeutung.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Im übrigen, Herr Minister, steht doch Ihre Auffassung über den günstigeren Altersaufbau in striktem Gegensatz zu allen Erklärungen der Bundesregierung. Ich darf auf das Bezug nehmen, was der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung über den Altersaufbau gesagt hat. Er hat ausgeführt, daß sich die Zusammensetzung der Bevölkerung ständig zuungunsten der im produktiven Lebensalter Stehenden ändert. Herr Minister Wuermeling hat das noch vor zwei Monaten


    (Dr. Schellenberg)

    genau statistisch bewiesen. Er gründet ja geradezu die Existenz seines Ministeriums auf diese Tatsachen des Altersaufbaues.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es ist nach Auffassung meiner Freunde ein sehr unerfreulicher Zustand, wenn über so fundamentale Fragen wie den Altersaufbau unseres Volkes seitens der einzelnen Minister je nach Bedarf unterschiedliche Auffassungen in der Öffentlichkeit vertreten werden.
    Die sozialdemokratische Fraktion steht auf dem Standpunkt, daß der Ausgleich der Kaufkraftveränderungen, also der Änderungen im Währungs– gefüge, der hier durch die Altrentenerhöhung erreicht werden soll, nicht aus den laufenden Beiträgen, sondern grundsätzlich aus dem allgemeinen Steueraufkommen erfolgen muß. Für die sozialdemokratische Fraktion handelt es sich bei dieser Angelegenheit nicht nur um eine versicherungstechnische oder finanztheoretische Frage, sondern vor allen Dingen um eine sozialpolitische Notwendigkeit, die für die Deckung des Lebensbedarfs der alten Menschen von höchster Bedeutung ist. Deshalb sind wir der Auffassung, daß es vor allen Dingen darauf ankommt, die angekündigte Erhöhung der Altrenten schnellstens durchzuführen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Damit wir uns ein Urteil darüber bilden können, ob und wie weit die Rentenversicherung ganz oder teilweise an der Aufbringung der Mittel für die Erhöhung beteiligt werden kann und inwieweit Bundesmittel dafür in Anspruch genommen werden müssen, bitte ich den Herrn Bundesarbeitsminister, folgende Unterlagen unverzüglich vorzulegen:
    1. einen Rechnungsabschluß der Rentenversicherung mit Vermögensstand per 31. Dezember 1952;
    2. vorläufige Ergebnisse mit Stand vom 31. Dezember 1953; 3. Voranschlag der Rentenversicherung für das Rechnungsjahr 1954. Ich darf dazu erklären, daß es uns dabei, wenn Sie sagen, die Beschaffung der Unterlagen sei bis in die letzten Kommastellen noch nicht möglich, nicht auf die Stellen nach dem Komma, sondern auf die Millionen- und Milliardenbeträge ankommt. Darüber wollen wir Klarheit haben. Wir sind der Auffassung, daß auch die deutsche Öffentlichkeit und die Rentner einen Anspruch darauf haben, genau zu wissen, wie es um die Finanzlage der deutschen Rentenversicherung bestellt ist. Dann kann auch eine Entscheidung darüber gefällt werden, wie die 800 Millionen DM zu decken sind. Die Unterlagen müssen vorliegen, und wir bitten Sie deshalb, sie uns unverzüglich zur Verfügung zu stellen. Denn es darf auf keinen Fall wegen der Frage der Dek-kung zu einer Verzögerung in der Auszahlung der Erhöhung für die alten Rentner kommen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Herr Bundesarbeitsminister, ich muß nun noch zu der Frage bezüglich der Grundsätze einer kommenden Sozialreform Stellung nehmen. Aus der Presse habe ich entnommen, daß Sie die Auffassung vertreten, die Erhöhung der Altrenten habe nichts mit der von Ihnen angekündigten allgemeinen Sozialreform zu tun, da es sich dabei um eine Milderung dringendster Notstände handle. Dieser Auffassung stimmen wir voll und ganz zu. Aber in der Großen Anfrage, Herr Minister, haben wir Sie auch um Auskunft über weitere Maßnahmen einer umfassenden Sozialreform gebeten, und zwar haben wir konkret gefragt, welche Maßnahmen die Bundesregierung in dieser Hinsicht vorbereitet
    Darüber haben Sie nach unserer Auffassung viel zu wenig Genaues und Bestimmtes gesagt.
    Herr Minister, Sie haben auf die Sozialenquete verwiesen. Wir alle sind der Auffassung, daß die Sozialenquete von großer Bedeutung ist. Sie haben von dem ersten und dem zweiten Teil dieser Enquete gesprochen. Herr Minister, ich habe mich in den letzten Wochen eingehend mit der Sozialenquete beschäftigt, und zwar nicht nur in Unterhaltungen mit Herren, die diese Dinge an der Spitze durchführen, sondern ich bin dorthin gegangen, wo diese Sozialenquete praktisch bearbeitet wird, um mir selbst einmal ein Bild zu machen, wie die Sache läuft und was man dabei erwarten kann.
    Herr Minister, auch diesen Vorwurf muß ich heute erheben — vielleicht sind die Pressestimmen darüber irrtümlich gewesen —: Sie haben bezüglich der Enquete auch in zeitlicher Hinsicht falsche Prognosen gestellt. Ich berufe mich dabei auf eine Mitteilung, die über dpa am 6. Oktober 1953 erschienen ist:
    Die Untersuchung über die Repräsentativauswahl
    — das sind die bekannten 5 %, genau 620 000 Leistungsfälle —
    steht vor dem Abschluß, und man erwartet vom Sozialbeirat, daß er sich zu den erarbeiteten Ergebnissen äußert.
    Sie haben uns vorhin etwas ganz anderes gesagt. Sie haben nämlich erklärt: die Ergebnisse des ersten Teils der Erhebung werden im August dieses Jahres vorliegen. Auch bezüglich des zweiten Teils der Erhebung hieß es in der Pressemitteilung vom Oktober 1953:
    Nach Auskunft des Bundesministers für Arbeit wird das Ergebnis dieses zweiten Teils der Erhebung im Frühjahr 1954 erwartet.
    Tatsächlich wird aber mit diesem zweiten Teil der Erhebung erst im Herbst dieses Jahres begonnen, und Sachverständige sagen, daß die Ergebnisse nicht vor Frühjahr nächsten Jahres vorliegen können. Es ergibt sich also auch bezüglich der Prognosen über die Sozialenquete gegenüber dem, was Ihr Ministerium erklärt haben soll, ein Zeitverlust von einem Jahr. Das beeinträchtigt natürlich sehr die weiteren Arbeiten an der Sozialreform. Ich glaube, wir müssen darüber unsere Mißbilligung aussprechen; denn wir alle haben von der Sozialenquete viel für die weiteren Maßnahmen erwartet. Es ist natürlich sehr bedauerlich, wenn es jetzt heißt, es wird ein Jahr später, als man ursprünglich angenommen hat.
    Das erinnert mich — das muß ich sagen — an das, was bei der Schaffung des Beirates gesagt wurde. Da wurde nämlich erklärt: Jetzt warten wir mal, der Beirat wird bald etwas Positives schaffen. Wir möchten deshalb nicht wieder auf das vertröstet werden, was aus dem zweiten, dem, wie wir alle wissen, wichtigsten Teil der Sozialenquete nächstes Jahr herauskommen wird. Wir Sozialdemokraten stehen auf dem Standpunkt, daß über die Frage der Erhöhung der Altrenten hinaus und unabhängig von dem Ergebnis der Enquete schon jetzt gewisse weitere Maßnahmen zur Reform der sozialen Leistungen bearbeitet und vorwärtsgetrieben werden müssen. Da bei der Erörterung der Frage der Altrenten die Probleme der Sozialversicherung angeschnitten wurden, möchte ich mich bezüglich der nächsten Schritte, die zu machen sind, auf die Fragen der Sozialversicherung beschränken,


    (Dr. Schellenberg)

    die meiner Überzeugung nach, nach dem, was ich an den praktischen Arbeiten der Enquete gesehen habe, nicht vom Ergebnis der Enquete abhängig sind. Ich glaube, diese Schritte sollten und müssen jetzt getan werden. Deshalb möchte ich diese Dinge hier konkret ansprechen und Sie bitten, uns darüber eine Auskunft zu geben.
    Ich stelle mir darunter vor: Erstens die Schaffung eines bundeseinheitlichen Rechts in der Rentenversicherung. Mit dieser Frage hat sich der 1. Bundestag bereits im Jahre 1952 beschäftigt. Im Ausschuß wurde bittere Klage darüber geführt, daß wir in dieser Hinsicht noch von einem Recht abhängig sind, das in wesentlichen Grundlagen am 17. März 1945 geschaffen und zonal unterschiedlich geblieben ist. Es schafft deshalb in der praktischen Auswirkung viele Unterschiede und manche Ungerechtigkeiten für Rentner, die bei Frühinvalidität noch erwerbstätig sind, weil teilweise beispielsweise ein Arbeitgeberbeitrag angerechnet wird, aber dafür keine Leistung gewährt wird. Auch die Versicherungspflicht von Lehrlingen ohne Entgelt ist unterschiedlich. Wir haben diese Fachfragen im Ausschuß sehr eingehend erörtert. Der Bundestag hat am 26. November 1952 beschlossen, die Bundesregierung zu ersuchen, baldigst einen Gesetzentwurf über die Beseitigung des unterschiedlichen Länder- und Zonenrechts in der Invaliden- und Angestelltenversicherung vorzulegen.

    (Abg. Horn: Beziehen Sie das auch auf Berlin?)

    - Selbstverständlich auch in bezug auf Berlin. Ich spreche von den Fragen der Rentenversicherung, und darüber gibt es gar keine Meinungsverschiedenheit. Die Rentenversicherung ist, wie Sie wissen, Herr Kollege Horn, im Lastenausgleich drin, und die Berliner Rentenversicherung beruht grundsätzlich zwar nicht auf dem Bundesrecht, weil es das nicht gibt, aber auf dem Recht der britischen Zone mit der Abweichung der Regelungen für die 60jährigen Frauen,

    (Abg. Horn: Also nur grundsätzlich!)

    über die aus sozialpolitischen Gründen gesprochen wird. Das ist eine sozialpolitische Entscheidung in bezug auf die besondere Situation Berlins. Aber grundsätzlich stehen wir selbstverständlich auf dem Standpunkt, daß der Beschluß des Bundestages über das bundeseinheitliche Recht der Rentenversicherung durchgeführt werden muß.
    Ich will auf die weiteren Fragen zur Schaffung des bundeseinheitlichen Rechts nur ganz kurz eingehen. Wir haben hier wiederholt die Frage des § 397 des Angestelltenversicherungsgesetzes erörtert, nämlich die Zahlung von Ruhegeldern an über 60 Jahre alte Angestellte, die länger als ein Jahr arbeitslos sind. Das Haus hat dazu Beschlüsse gefaßt. Wir bedauern, daß die Angestellten der britischen Zone in dieser Hinsicht noch heute benachteiligt sind und die Bundesregierung bisher, jedenfalls nach dem, was wir gehört haben, die Schaffung eines einheitlichen Rechts auf diesem Gebiet verweigert. So haben wir — ich kann es nicht anders sagen — den tragikomischen Zustand, 'daß innerhalb der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ein Teil der Angestellten bei gleicher Beitragszahlung im 60. Lebensjahr und bei einem Jahr Arbeitslosigkeit Ruhegeld erhält und ein anderer Teil der Angestellten nicht. Der Angestellte in Bremen erhält sie und der Angestellte in Hamburg nicht. Das ist doch ein unmöglicher Zustand, und wir meinen, es ist wirklich dringend notwendig, hier bundeseinheitliche Vorschriften zu schaffen. Dazu gehört beispielsweise auch die Schaffung eines bundeseinheitlichen Knappschaftsrechtes. Die Industriegewerkschaft Bergbau hat dazu, wie mir von Freunden mitgeteilt wurde, in Ihrer Anwesenheit, Herr Minister, einen Beschluß gefaßt. Soweit ich unterrichtet bin, sind auch die Arbeitgeber in dieser Beziehung der Auffassung der Gewerkschaften. Ein bundeseinheitliches Knappschaftsrecht ist bisher noch nicht geschaffen. Wir sind der Überzeugung, daß die Schaffung eines bundeseinheitlichen Sozialrechtes, insbesondere in der Rentenversicherung, auch zur Vereinfachung der Sozialgesetzgebung beiträgt. Wir sehen nicht ein, weshalb diese Dinge immer wieder hinausgezögert werden.

    (Abg. Horn: Und das Krankenversicherungsrecht?)

    — Darüber können wir gern sprechen. Es ist ja ein Ausschuß eingesetzt, an dem das Bundesarbeitsministerium beteiligt ist.

    (Abg. Horn: Das ist mir bekannt!)

    Die zweite Forderung, die wir in bezug auf die nächsten Maßnahmen einer Reform der Sozialversicherung erheben müssen, ist die: Gleiche Leistungen für gleiche Beiträge.
    Es muß endlich der Zustand beseitigt werden, daß in der Sozialrentenversicherung bei gleichen Beitragssätzen von 10 % des Arbeitsentgelts unterschiedliche Leistungen . gewährt werden. Das schlägt dem Grundsatz der versicherungstechnischen Gerechtigkeit geradezu ins Gesicht. Sowohl gegenüber den Arbeitern als auch gegenüber den Angestellten gibt es da Ungerechtigkeiten.
    Ich möchte ein Beispiel dafür hinsichtlich der Arbeiter anführen. Sie kennen es von vielen Rentnern her, soweit Sie in der sozialpolitischen Praxis stehen. Es handelt sich um die Steigerungsbeträge des ersten Weltkriegs für die Arbeiter. Diese Jahrgänge kommen jetzt zum Rentenbezug. Der Umstand, daß diese Jahrgänge nur die Klasse II erhalten, führt zu einer Ungerechtigkeit.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Diese wird noch vervielfacht, Herr Minister, wenn Sie jetzt die Steigerungsbeträge aufwerten, da Sie die niedrige Klasse II, sagen wir mal, mit dem Multiplikator x, die höheren Klassen anders aufwerten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir richten deshalb an Sie die dringende Bitte, bei der Altrentenerhöhung diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. Sie haben früher gesagt, daß es verwaltungstechnisch schwierig sei. Jetzt müssen irgendwie die Unterlagen in die Hand genommen werden. Der Zeitpunkt ist gekommen, jene Ungerechtigkeit gegenüber den Arbeitern des ersten Weltkriegs zu beseitigen.
    Auch in bezug auf die Grund- und Steigerungsbeträge sind Reformen dringend notwendig. Wir wissen alle, wie hier der Arbeiter bei kurzer Versicherungszeit und niedrigem Arbeitsentgelt benachteiligt ist. Er kann, wenn er früh Invalide wird, bei seinem niedrigen Arbeitsentgelt über die Mindestrente von 55 DM praktisch nicht hinauskommen, während der Angestellte mit dem gleichen sozialen Schicksal, mit dem gleichen Beitrag, mit der gleichen Versicherungszeit von nur fünf Jahren und bei gleichem Einkommen durch den größeren Grundbetrag praktisch eine höhere Rente erhält. Das ist eine Ungerechtigkeit.
    Es gibt aber auch gegenüber den Angestellten Ungerechtigkeiten. Ich habe schon im 1. Bundestag


    (Dr. Schellenberg)

    darauf hingewiesen, daß der Steigerungsbetrag von 0,7 zu einer Ungerechtigkeit führt. Nach einer Versicherungszeit von 16 Jahren erhält ein Angestellter mit einem Durchschnittsgehalt von 300 DM wegen des Grundbetrags und Steigerungsbetrags eine niedrigere Rente als der Arbeiter. Bei einem Arbeitseinkommen von durchschnittlich 400 Mark tritt das schon nach zwölf Jahren ein. Das weiß Ihre versicherungsmathematische Abteilung ganz genau, Herr Minister. Aber es ist nichts geschehen, um diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. Ich befürchte, daß sich die Differenz noch vergrößert, wenn jetzt die Aufwertung der Steigerungsbeträge kommt. Allerdings weiß ich nicht, wie sie im einzelnen technisch aussehen wird. Wenn man nämlich den höheren Steigerungsbetrag aufwertet, kommt ein Vielfaches von dem heraus, was sich bei der Aufwertung der niedrigeren Steigerungsbeträge ergibt. Deshalb haben die Angestellten ein außerordentlich großes Interesse an der Klärung dieser Frage.
    Ich wiederhole, daß wir Sozialdemokraten im Rahmen der nächsten Schritte zu einer Reform der Sozialversicherung die Verwirklichung des Grundsatzes fordern: Bei gleicher Beitragszahlung gleiche Leistungen.
    Wir stehen weiter auf dem Standpunkt, daß es schnellstens zu einer Vereinfachung in der Rentenberechnung kommen muß. Heute besteht der Zustand, daß sich die Rente von sechs Millionen Menschen aus mindestens fünf Teilen zusammensetzt: Grundbetrag, Steigerungsbetrag, Zuschlag nach dem Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz, Zulage nach dem Rentenzulagengesetz, Grundbetragserhöhung. Für einen Teil der Rentner kommen außer diesen fünf Teilen noch drei weitere Teile hinzu, nämlich Kinderzuschuß, Auffüllungsbetrag und Teuerungszulage, so daß dann acht Teile entstehen. Und wenn Sie jetzt bezüglich der Altrenten etwas machen, ist es möglich — und ich befürchte es —, daß zu dem fünften Teil noch ein sechster Teil und zu dem achten Teil noch ein neunter Teil — Aufstockungsbetrag, wie er geschaffen werden soll — hinzukommt. Das wird besonders kompliziert bei den Angestellten, die Wanderversicherte sind und bei denen nun beide Versicherungszweige zusammentreffen.
    Heute kann praktisch kein Rentner übersehen, wie seine Rente berechnet wird. Das ist ein unmöglicher Zustand. Wir sind der Auffassung, daß es nicht vertreten werden kann, daß nahezu 20 Millionen Menschen, die wöchentlich oder monatlich Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von 10% ihres Arbeitsentgeltes entrichten, nicht übersehen können, sich überhaupt kein Bild davon machen können, wie hoch ihre Rente bei Erreichung der Altersgrenze einmal sein wird. Das sind untragbare Zustände, und wir sind der Meinung, daß eine Vereinfachung der Berechnungsgrundlage, die dem Versicherten eine möglichst gerechte Gegenleistung für die gezahlten Beiträge gibt, ein dringendes Bedürfnis sofortiger Maßnahmen für eine Reform der Sozialversicherung ist.
    In diesem Zusammenhang muß ich auch die Regelung der Altersversorgung für Handwerker erwähnen. Alle Parteien waren sich im 1. Bundestag darüber klar, daß die Altersversorgung reformiert werden muß. Alle Parteien waren der Meinung, daß die jetzige Regelung sowohl für die Handwerker wie für die Angestellten, in deren Versicherung die Handwerkerversicherung eingebaut ist, Nachteile und Schwierigkeiten schafft. Die
    I Bundesregierung hat darüber einen Entwurf vorgelegt, der von allen Seiten des Hauses als unbefriedigend bezeichnet wurde. Wir müssen deshalb von der Regierung verlangen, daß sie baldigst einen Gesetzentwurf über die Reform der Handwerkerversicherung vorlegt.
    Und eine letzte Forderung haben wir: Im Rahmen der Reform der Sozialversicherung muß auch Klarheit über die Grundsätze geschaffen werden, nach denen die zukünftigen Rentenleistungen finanziell gesichert werden sollen. Der Bundestag hat darüber am 1. März 1951 Grundsätze aufgestellt, die, wie wir alle wissen, noch nicht verwirklicht sind. Die lebhafte Debatte in der Öffentlichkeit über die Finanzierung der Altrenten zeigt eine Unruhe und eine Unsicherheit über die Grundsätze, die in dieser Hinsicht angewandt werden. Sachkenner machen der Bundesregierung den Vorwurf, daß sie in bezug auf die finanzwirtschaftlichen Prinzipien einen Zickzackkurs verfolge. Wir müssen deshalb darauf dringen, daß die versicherungstechnische Bilanz, von der Sie, Herr Minister, gesprochen haben, an der gearbeitet wird, nun wirklich bald vorgelegt wird. Herr Minister, die Vorarbeiten, die 1950 und 1951 dafür geleistet wurden, haben, soweit ich unterrichtet bin, nicht zur Veröffentlichung einer versicherungstechnischen Bilanz geführt. Schon im Jahre 1951 haben manche Kollegen gesagt: Jetzt kommt die versicherungstechnische Bilanz, und wir dürfen hoffen, daß sie nun wirklich vorgelegt wird, damit Klärung über die Grundsätze erfolgen kann. Dieses Haus muß eine Entscheidung über die weiteren Grundsätze der Finanzpolitik in der deutschen Sozialversicherung treffen; denn wir wissen, die Vorschriften des § 1391 der RVO stehen auf mehr schwankenden Füßen.
    Es gibt noch viele andere Fragen, deren Erörterung im Rahmen der nächsten Maßnahmen zur Reform der Sozialversicherung notwendig ist. Ich will nur an die Rentnerkrankenversicherung erinnern — mein Kollege Traub hat das bereits in der Haushaltsdebatte angeschnitten —, Fragen der Erhöhung der alten Unfallrenten usw. Diese und viele andere Fragen der Reform der Sozialversicherung sind — das müssen wir der Regierung zum Vorwurf machen — nicht mit der notwendigen Energie angepackt worden.
    Meine Fraktion muß deshalb an die Regierung die dringende Bitte richten, daß diese Grundsätze — Schaffung eines bundeseinheitlichen Rechtes in der Rentenversicherung, gleiche Leistungsgewährung bei gleichen Beiträgen, Vereinfachung der Rentenberechnung, Reform der Altersversorgung der Handwerker und Klarheit über die Finanzgrundlagen der Rentenversicherung — durchgeführt werden. Das sind keine Fragen, meine Damen und Herren der Regierungsparteien, bei denen Sie uns sagen können: Das erfordert ja Aufwendungen von Hunderten von Millionen; die Sozialdemokraten stellen wieder Anträge, die wirtschaftlich nicht durchführbar sind. Diese Dinge können verwirklicht werden. Es bedarf dazu auch nicht vieler Jahre. Sie können durchgeführt werden, und sie haben eine praktische Bedeutung für die Versicherten. Durch diese Maßnahmen, die ich nur im Rahmen der Sozialversicherung angeschnitten habe, wird eine größere soziale Gerechtigkeit erreicht. Darauf kommt es aber bei jeder Sozialreform, ob sie sich nun große oder kleine Sozialreform nennt, entscheidend an.

    (Beifall bei der SPD.)




Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Bundesarbeitsminister.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Anton Storch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Professor Schellenberg hat mir den Vorwurf gemacht, daß ich bei der Beantwortung der Großen Anfrage nichts über die Struktur der von mir angestrebten Erhöhung der Altrenten vorgetragen habe. Herr Professor Schellenberg, ich weiß nicht, ob von Ihnen zwei Anfragen vorliegen. Die, die mir vorliegt, fragt mich folgendes: Wann wird der entsprechende Gesetzentwurf über die Erhöhung der Altrenten dem Bundestag vorgelegt? In dieser Anfrage steht kein Wort darüber, daß ich Auskunft geben sollte, wie die Struktur dieses Gesetzes sein solle.

    (Abg. Dr. Schellenberg: Ich habe eine Zwischenfrage, Herr Präsident!)