Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Beratungen um Große Anfragen, die sich mit einem in Vorbereitung befindlichen Gegenstand beschäftigen, sind und können Dynamik sein. Aber diese Dynamik kann einen bitteren Geschmack hinterlassen, wenn man die Begleitmusik, mit der diese Beratungen begonnen worden sind, auf sich wirken läßt. Nach meinem Dafürhalten ist es nicht tunlich, anderen bei den Beratungen sozialpolitische Gesinnung abzusprechen. Es ist weiter nicht tunlich, anderen vorzuwerfen, sie benutzten die Rentner als Spielball für politische Reden. Ich meine, bei einer derartig ernsten Beratung wie der, in der wir heute stehen, sollte man diese Ausdrücke vermeiden.
— Ihr Hintermann, Frau Korspeter! — Auch, glaube ich, sollte man keinem einen Vorwurf machen — wie es Herr Professor Schellenberg getan hat —, wenn er von Sozialreform spricht. Herr Professor Schellenberg, von Sozialreform ist gesprochen worden, da hatten wir noch kein Bundesarbeitsministerium; und ich habe einen Professor Schellenberg erlebt, der — im Jahre 1946, glaube ich, war es — auf Einladung des Herrn Ministerpräsidenten Geiler in Wiesbaden in der Staatskanzlei auch schon über Sozialreform gesprochen hat, ohne daß er damals in der Lage gewesen wäre, uns irgendeine Konstruktion für diese Reform vorzutragen.
Man soll auch nicht jemanden den Vorwurf machen, er trage Pläne vor, die die Rentner in Aufregung brächten, und im gleichen Atemzug die Kenntnisnahme dieser Pläne verlangen. Das ist auch nicht logisch. Ich meine den Vorwurf, Herr Professor Schellenberg, den Sie hier gemacht haben.
Sie haben in Ihren Ausführungen zu den Finanzierungsmöglichkeitaen und -notwendigkeiten bei
der Altrentenaufbesserung kritisiert, daß die Mittel der Versicherungsträger in Anspruch genommen werden sollen. Ich möchte doch darauf verweisen, daß die SPD-Fraktion im 1. Bundestag bei Anträgen auf Erhöhung der Renten immer und immer wieder auf die Millionen verwiesen hat, die die Rentenversicherung noch zur Verfügung hat.
Wenn man das getan hat und wenn man sogar mehrfach eine Inanspruchnahme dieser Mittel verlangt hat, dann glaube ich, sollte man sich jetzt nicht hier hinsteilen und den Herrn Minister kritisieren, wenn er die anfallenden Finanzen der Rentenversicherungsträger für diese Dinge in Anspruch nehmen will.
Nun noch ein ganz kurzes Wort zu der Großen oder Kleinen, überhaupt zu der Sozialreform. Sowohl von Herrn Professor Preller als auch von Herrn Professor Schellenberg sind dem Herrn Arbeitsminister Vorwürfe gemacht worden. Es ist behauptet worden, der Beirat der hierfür eingesetzt ist, habe versagt. Wer sich seit dem Jahre 1945 mit sozialpolitischen Fragen beschäftigt hat, der weiß, daß dieser Beirat nicht die einzige Institution ist, die sich mit diesen Fragen beschäftigt. Wir haben außer diesem Beirat eine ganze Reihe Institutionen, die frei sind, die also nicht von einer Regierung abhängig sind, die sich mit diesen Fragen intensiv beschäftigen. Ich nenne den Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge, ich nenne die Gesellschaft für sozialen Fortschritt, die dem Herrn Preller nicht unbekannt sein wird, ich nenne die Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung. Ich nenne weiter sonstige Institute, die sich bei Universitäten befinden. Ich erinnere an den Herrn Professor Mackenrodt, der hier schon genannt worden ist, ich erinnere an den Herrn Professor Neuendörfer, ich erinnere an den Herrn Professor Achinger, — Menschen und Institute, die sich in Freiheit, also nicht einer Regierungsinstitution irgendwie verpflichtet oder unterstellt, mit allen diesen Fragen schon seit Jahren beschäftigen. Trotz der Arbeiten, die in den hinter uns liegenden Jahren von diesen Stellen dankenswerterweise geleistet worden sind, ist es bis heute noch nicht zu einer Konstruktion gekommen, wie man die Sozialreform durchführen soll. Wenn dem so ist, dann geht daraus hervor, wie schwierig und wie außerordentlich kompliziert die ganze Angelegenheit ist.
Mir scheint, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund deswegen sehr vorsichtig gewesen ist.
Auf dem Kongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes — ich glaube, im Jahre 1952 — in Berlin ist beschlossen worden, auch von dieser Organisation aus eine Kommission zusammenzusetzen, die sich mit all diesen Fragen beschäftigen sollte. Erst vor einigen Wochen hat der Deutsche Gewerkschaftsbund diese Kommission gebildet, vielleicht aus dem Gedanken heraus, wie schwierig es heute ist, die Dinge in Ordnung zu bringen. Ich kann mich noch daran erinnern, als Goebbels während des Krieges den totalen Krieg proklamiert und über alle Lautsprecher damals ausgerufen hat: „Wenn wir einmal abtreten, dann schlagen wir die Tür mit einem Krach zu, daß diejenigen, die das in Ordnung bringen müssen, was dann übrigbleibt, in Gefahr geraten, von ihrer eigenen Bevölkerung zur Verantwortung gezogen zu werden." Gerade
auf dem Gebiete der Sozialpolitik sind wir durch das „Dritte Reich" in eine Situation hineingekommen, die es sehr schwierig macht, die Dinge alle in Ordnung zu bringen. Die Verantwortung nun aber auf unseren Bundesarbeitsminister abwälzen zu wollen, das ist doch ein sehr starkes Stück!
Ich meine, wenn es all den Einrichtungen, die ich vorhin genannt habe, in all den Jahren, die hinter uns liegen, nicht gelungen ist, eine entsprechende Konstruktion zu finden und zu formen, dann sollte man es nicht tragisch nehmen, wenn der Beirat bisher in den zwei Jahren erst bis zu dem gekommen ist, was der Herr Arbeitsminister hier vorgetragen hat. Ich weiß nicht, meine sehr verehrten Kollegen von der Opposition, ob Sie heute den Mund so voll genommen hätten, wenn einer Ihrer Herren an der Stelle des Herrn Arbeitsministers säße.
Alle diejenigen, die sich in den hinter uns liegenden Jahren seit 1945 — dazu rechne ich Preller, dazu rechne ich Pohle, dazu rechne ich auch Schellenberg — eingehend mit all den Dingen auf sozialpolitischem Gebiet beschäftigt haben, die wissen um die Schwierigkeit dieser Fragen. Daher soll man nicht Menschen, die sich in dieser Richtung mit Ernst bemüht haben und weiter bemühen, mit solchen Formulierungen anreden, wie es hier geschehen ist.
Ich glaube, wenn wir die Diskussion um diese Dinge in einer etwas anderen Atmosphäre geführt hätten, wären wir weiter gekommen. Gestern habe ich gehört, daß Herr Professor Schellenberg davon gesprochen hat, wir sollten weniger reden und mehr arbeiten.
Wenn, meine ich, der Herr Professor Schellenberg von dieser seiner Auffassung heute Gebrauch gemacht hätte und wir hätten uns, statt hier zu reden, im Ausschuß für Sozialpolitik auf den Hosenboden gesetzt und wären an die Arbeiten, die wir im Ausschuß schon vorliegen haben, herangegangen,
dann, meine sehr verehrten Damen und Herren, glaube ich, wären wir weiter gekommen!
Wir hätten die Dinge, die heute hier im Interesse der Rentner und auch im Interesse der Öffentlichkeit besprochen worden sind, in einem kürzeren Zeitraum erledigen können; dann wären wir mit unserer Arbeit hier zeitlich fertig gewesen und hätten an die richtige Arbeit herangehen können, von der Herr Professor Schellenberg gestern gesprochen hat.
Ich glaube, daß Frau Finselberger in ihren Schlußausführungen den richtigen Ton gefunden hat, und zwar, daß wir, nachdem wir diese Dinge
jetzt im einzelnen besprochen haben, nun gemeinsam an die Arbeit gehen sollen, die berechtigten Anliegen der Rentner so bald wie möglich in Ordnung zu bringen. Das ist auch meine Auffassung, und ich bin der Meinung, daß der Herr Arbeitsminister mit seinen Mitarbeitern uns dabei zur Seite stehen wird.