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ID0203002600

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  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 30. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Mai 1954 1373 30. Sitzung Bonn, Freitag, den 21. Mai 1954. Geschäftliche Mitteilungen 1374 A Mitteilung und Beschlußfassung über Verzicht auf erneute erste Beratung der Gesetzentwürfe betr. Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit (zu Drucksache 44), Einkommensgrenze für das Erlöschen der Versicherungsberechtigung in der gesetzlichen Krankenversicherung (zu Drucksache 67) und Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (zu Drucksache 68) 1374 B Mündliche Berichterstattung des Ausschusses für Petitionen gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung in Verbindung mit der Beratung der Übersicht 5 über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages betr. Petitionen nach dem Stand vom 7. Mai 1954 (Drucksache 508) 1374 B Frau Albertz (SPD), Berichterstatterin 1374 B Beschlußfassung 1378 B Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Pressepolitische Pläne der Bundesregierung (Drucksache 313; Antrag Umdruck 18) 1378 B Kalbitzer (SPD), Anfragender . . . 1378 B Dr. Schröder, Bundesminister des Innern . . 1380 D, 1396 D, 1400 B, 1401 D Dr. Dresbach (CDU/CSU) 1381 C Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein (FDP) 1385 B Brandt (Berlin) (SPD) 1388 D Feller (GB/BHE) 1392 C Becker (Hamburg) (DP) 1394 D Kühn (Köln) (SPD) 1399 B, 1400 B Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Sozialreform (Drucksache 314) 1402 A Dr. Preller (SPD), Anfragender 1402 A, 1429 B Storch, Bundesminister für Arbeit 1408 A, 1418 A, B Dr. Schellenberg (SPD) 1411 D, 1418 A, 1427 B Dr. Atzenroth (FDP) 1419 C Dr. Elbrächter (DP) 1421 D Frau Finselberger (GB/BHE) . . . 1422 D Arndgen (CDU/CSU) 1424 C Frau Korspeter (SPD) 1426 A Schüttler (CDU/CSU) 1428 C Absetzung der zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Beauftragung von Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege mit der nichtgewerbsmäßigen Arbeitsvermittlung zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Drucksachen 223, 419) von der Tagesordnung 1430 B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Gesetzes betr. die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und des Rabattgesetzes (Drucksache 475) 1430 C Überweisung an die Ausschüsse für Wirtschaftspolitik, für Geld und Kredit, für Rechtswesen und Verfassungsrecht und für Sonderfragen des Mittelstandes . . 1430 C Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. Juni 1953 über den FreundschaftsHandels- und Konsularvertrag zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 8. Dezember 1923 mit seinen Abänderungen (Drucksache 71); Mündlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (Drucksache Nr. 218) 1430 C Dr. Siemer (CDU/CSU), Berichterstatter 1430 D Dr. Lütkens (SPD) 1431 C Dr. Hammer (FDP) (zur Geschäftsordnung) 1433 C Abstimmung 1431 C Weiterberatung vertagt 1433 D Erste Beratung des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Behebung der Berufsnot der älteren Angestellten (Drucksache 346) . . 1433 D Horn (CDU/CSU) (zur Geschäftsordnung) 1434 A Beratung vertagt 1434 C Nächste Sitzung 1433 D, 1434 C Anlage: Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage betr. pressepolitische Pläne der Bundesregierung (Umdruck 18) 1435 Die Sitzung wird um 9 Uhr 9 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid eröffnet.
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    Anlage Antrag der Fraktion der SPD (Umdruck 18) zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Pressepolitische Pläne der Bundesregierung (Drucksache 313) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, zu erklären, daß sie von allen Plänen Abstand nimmt, die geeignet sind, die Unabhängigkeit und die Freiheit der Presse zu beeinträchtigen. Bonn, den 31. März 1954 Ollenhauer und Fraktion
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    Rede von Dr. Richard Jaeger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Da die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei ihren Antrag Umdruck 18 als erledigt erklärt hat, kann ich diesen Punkt der Tagesordnung abschließen.
    Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung: Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Sozialreform (Drucksache 314).
    Wer soll den Antrag begründen? — Herr Abgeordneter Preller!
    Dr. Preller (SPD), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, die Große Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion über den Stand der Sozialreform zu begründen, die wir am 10. März 1954 eingebracht haben. Die sozialdemokratische Fraktion ist sich dabei bewußt, daß auf die Debatte, die nun zu folgen hat, draußen die Alten und die Gebrechlichen, die Witwen und die Waisen, die Invaliden, Kranken, Kriegsopfer und Vertriebenen hören, d. h. jene, die einen so überaus großen Teil unseres Volkes ausmachen, einen Teil, der in einer viel tieferen Weise von dem betroffen worden ist, was sich in den letzten acht Jahren ergeben hat, als etwa die Beschäftigten oder auch die kleine Schicht derer, die recht eigentlich die Früchte des Wiederaufbaus davongetragen haben. Aber wir wissen auch, daß weit über die Kreise der SPD hinaus eine sozialpolitisch interessierte Öffentlichkeit — ich meine damit jene, die aktiv an einer positiven Sozialpolitik arbeiten — nach diesem Plenarsaale sieht, eine Öffentlichkeit, die ich nicht allein aus Wissenschaft oder Verwaltung, Zeitungen und Zeitschriften und der Presse, sondern aus Sozialpolitikern aller Parteien, einschließlich der Regierungsparteien, zusammengesetzt sehe; denn bis in die Regierungsparteien hinein ist, wenn ich recht sehe, das Wort des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung von der notwendigen umfassenden Sozialreform so verstanden worden, daß mindestens nunmehr im 2. Bundestag die bisher notwendig im Vorrang stehende Außenpolitik durch eine aktive Innenpolitik ergänzt werden solle, eine Innenpolitik, die dem tiefen Einbruch in das soziale Gefüge, den Nazismus und Krieg bewirkt haben, eine positive Sozialpolitik gegenüberstellen soll, die die Wunden heilt und darüber hinaus eine neue soziale Ordnung herbeiführt. Nicht umsonst, glauben wir, hat der Herr Bundeskanzler am 20. Oktober das Wort „umfassend" vor die Sozialreform gestellt. Als er dieses Beiwort verwandte, hat er zweifellos nicht allein an eine Reform der bestehenden Sozialversicherung gedacht. Ich mache diese Feststellung, und wir werden zu der damit zusammenhängenden Frage, der Frage nach der Art der gedachten Sozialreform durch gewisse Äußerungen des zuständigen Ressortministers und des Ministers Storch genötigt, wie er sie z. B. kürzlich in der Haushaltsdebatte getan hat, die darauf schließen lassen, daß er offenbar die Reform der Sozialversicherung vor den Beginn einer allgemeinen Sozialreform gesetzt sehen möchte.
    Unsere erste grundsätzliche Frage auf Grund unserer Anfrage lautet deshalb: Wie soll die Sozialreform aussehen und welchen Umfang soll sie haben? Soll sie sich auf die gegenwärtig in der Sozialversicherung Betreuten beziehen oder beschränken? Soll sie in ihren Problemkreis die Selbständigen einbeziehen, von denen wir ja wissen, daß sie heute insbesondere nach einer Altersversorgung allenthalben rufen? Wird sie die Krankenversicherung und das Arztproblem erfassen? Wird die Sozialreform sich auch auf die Kriegsopfer und eventuell auf die Vertriebenen erstrecken? Wie ist das Verhältnis einer Sozialreform dieser Art zur Fürsorge gedacht? Endlich: Wie steht sie zu dem großen Problem der Vorbeugung und Vorsorge gegen gesundheitliche Schädigung, d. h. zu der Verwirklichung jener großartigen Idee, die insbesondere die Weltgesundheitsorganisation immer wieder in den Vordergrund gestellt hat, nämlich daß Gesundheit ein Gut sei, auf dessen Erhaltung und Förderung nicht erst Bedacht genommen werden sollte, wenn der Mensch von Krankheit befallen ist, wenn er Schaden an Leib und Seele nehmen muß?
    Meine Damen und Herren, Sozialreform ist ein großes Wort, das wissen wir alle. Sie mögen es uns nicht übelnehmen, wenn wir ein wenig Skepsis in oder gegen dieses Wort des Herrn Bundeskanzlers einfließen lassen, nachdem wir doch erleben mußten, daß die Parole des Bundeskanzlers im 1. Bundestag, er wolle „so sozial wie möglich" sein, mindestens oder überhaupt von der Regierungskoalition offensichtlich mehr im einschränkenden Teile verstanden worden ist.

    (Abg. Horn: Das müssen Sie erst beweisen!)

    — Das kann ich Ihnen sehr leicht beweisen, Herr Kollege Horn.

    (Abg. Horn: Nein, das können Sie gar nicht beweisen!)

    — Ich denke etwa daran, daß Sie die 25%ige Rentenzulage gefordert haben, daß aber entgegen Ihrem Beschluß nur die Hälfte all derer, die in Betracht kommen, eine 25%ige Rentenzulage bekommen haben. Oder ich denke an das unglückselige Dreimarkgesetz, das wir selbst alle bedauern.

    (Abg. Winkelheide: Das haben Sie ja mit beschlossen!)

    - Nein, da sind wir damals an jenem Nachmittag
    unter Druck gesetzt worden, Herr Winkelheide.
    Ich glaube, Sie waren noch gar nicht im Bundestag,

    (Lachen in der Mitte)

    Sie sind ja erst später eingetreten, als wir damals sozusagen binnen fünf Minuten ein solches Gesetz beschließen sollten. Oder ich denke an die Erhöhung der Grundrenten, wo ja auch von Ihnen zunächst einmal diese Frage aufgegriffen wurde. Was herauskam, waren die fünf Mark, die der Herr Bundesfinanzminister dann trotz der Weihnachtszeit nicht einmal ohne weiteres auszahlen wollte. Wir haben Beispiele genug.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)



    (Dr. Preller)

    Die Zurückhaltung gegenüber diesem Bundeskanzlerwort beruht im übrigen auf mehreren Feststellungen. Einmal hat der Bundeskanzler selbst in der Regierungserklärung eine Beschränkung des Sozialhaushalts auf den gegenwärtigen Anteil am Sozialprodukt vorgenommen, d. h. er erklärte, daß eine Ausweitung des Sozialhaushalts an das Ansteigen des Sozialprodukts gebunden sei. Das ist ganz offenbar die These des Finanzministers, der in seinem Bundeshaushalt, obwohl doch die Notstände der Versicherten und Versorgten von uns allen anerkannt sind, keinerlei Vorsorge für irgendwelche Leistungserhöhungen getroffen hat, im Gegenteil, wie wir wissen, diese halbe Milliarde noch aus den Versicherungsträgern herausgeholt hat. Draußen sind Millionen von Menschen auf das angewiesen, was sie von den Schaffenden aus dem Sozialprodukt erhalten werden. Die Bundesregierung hat darin offenbar bisher mehr ein fiskalisch es Problem gesehen. Wir müssen Ihnen dazu sagen, daß das kein fiskalisches Problem ist. Es ist einmal eine volkswirtschaftliche Frage und zum andern — darauf legen wir besonderen Wert — eine Frage menschlicher Gesinnung in einer Zeit, in der wir doch in Deutschland alle zusammenstehen sollten.
    Zum zweiten. Der Bundeskanzler sprach von einer Umschichtung innerhalb des Sozialhaushalts. Dieses reichlich undurchsichtige Wort mußte jeden Sozialpolitiker aufhorchen lassen. ,Man kann sich natürlich vorstellen, daß in erster Linie die niedrigsten Renten aufgebessert werden; aber das wäre eine Art Phasenverschiebung, keine Umschichtung. Umschichtung heißt doch offenbar, um hier gewisse Presseäußerungen unter die Lupe zu nehmen, daß dem einen etwas genommen werden
    soll, um es dem andern zu geben. Das müßte man darunter verstehen, wenn dieses Wort überhaupt einen Sinn haben soll.
    Ich möchte mich hier auf die „Hannoversche Allgemeine Zeitung" beziehen, die am 14. April schrieb, daß derjenige, der eine Rente aus der Sozialversicherung bekomme, künftig Nebenrenten aller Art nicht mehr erhalten solle, so daß, wie die „Hannoversche Allgemeine Zeitung" weiter schreibt, wahrscheinlich Hunderte von Millionen Mark eingespart werden könnten.

    (Zuruf von der Mitte: Ist das ein Regierungsorgan?)

    Entspricht das Ihren Absichten, Herr Minister?
    Das möchte ich in diesem Zusammenhang fragen.

    (Weitere Zurufe von der Mitte.)

    Weiter ist zu fragen: Wo soll gekürzt werden, um anderweit aufstocken zu können? Sind es etwa die Mindestrenten, denen man zu Leibe rücken will? Sollen die unglückseligen Anrechnungsbestimmungen erneut vermehrt werden? Ist es der in diesem Hause von dem Herrn Kollegen Atzenroth, der von der FDP vorgetragene Gedanke einer Umschichtung von der Arbeitslosenversicherung auf die Rentenversicherung? Steckt das etwa hinter diesen Worten des Bundeskanzlers? Oder will man, worauf das Finanzministerium offenbar abzielt, die Bedürftigkeitsprüfung ganz oder teilweise an die Stelle des heutigen Rechtsanspruchs setzen?
    Wir haben den Eindruck, daß in dieser doch wohl entscheidenden Frage außerordentliche Unklarheit, ja, ich glaube, sogar Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Regierung und der Koalitionsparteien bestehen. Aber die Menschen draußen, die es angeht, wollen ja schließlich wissen, wohin diese sozialpolitische Reise gehen soll.
    Ein Drittes, was uns Sorge macht, das ist — gestatten Sie, daß ich es so ausdrücke — die durchsichtige Undurchsichtigkeit der Äußerungen des Arbeitsministers über die Arbeiten an der Sozialreform. Wir wissen alle, daß unser Kollege Storch nicht unberedt ist. Wir werden heute wohl noch einige Proben davon bekommen. Bezüglich der Sozialreform haben wir aber seit Monaten nur Worte, nur Redewendungen gehört. Ich habe niemanden gefunden, auch nicht bei der Koalition, der sich den rechten Vers aus diesen vielen Worten hätte machen können. Acht Tage nach der Regierungserklärung, am 22. Oktober, hat Herr Minister Storch vor Pressevertretern erklärt, daß sein Plan der Altrentenerhöhung die erste Maßnahme zur Sozialreform darstellte. Es folgten in fast regelmäßigen Abständen weitere Aussagen über die Altrentenerhöhung. Unterdessen konnte der Eindruck entstehen, daß nach der Auffassung unseres Kollegen Storch die umfassende Sozialreform, die der Bundeskanzler angekündigt hatte, sich in der Altrentenerhöhung, in Maßnahmen auf dem Gebiet des Arztrechts und vielleicht noch der Rentenkrankenversicherung erschöpfen könne. Gewisse Äußerungen von Ministerialdirektor Eckert lassen darauf schließen — er ist ja der zuständige Ressortdirektor —, daß diese drei Dinge gemeint sind, wenn von Sozialreform gesprochen wird.
    Der Minister hat schließlich bei der Haushaltsdebatte erklärt, daß die Sozialreform seit langem angesagt sei. Ja, meine Damen und Herren, angesagt ist sie, weiß Gott, schon sehr lange. Aber wir fragen, was über dieses Ansagen hinaus geschehen ist, und ich glaube, da ist die andere Äußerung von Ihnen, Herr Minister, bei dieser Haushaltsdebatte aufschlußreicher, wo Sie präzis sagten, zunächst müßten die „größten Notstände" in der Sozialversicherung beseitigt werden, und erst dann, so sagten Sie, könne man an grundsätzlichere Fragen herangehen.
    Soll das bedeuten, Herr Minister — und das möchten wir hier wiederum fragen —, daß Sie zunächst eine Reform der Sozialversicherung durchführen und erst dann das Problem der Sozialreform in Angriff nehmen wollen? Wenn dies Ihre Absicht sein sollte, so trennen sich nicht nur Ihre und unsere Auffassungen, sondern ich fürchte, daß Sie sich auch in einem grundlegenden Widerspruch zu den seit langem geäußerten Auffassungen in der sozialpolitischen Wissenschaft und auch in der sozialpolitischen Publizistik befinden.
    Ich möchte in diesem Zusammenhang mit Genehmigung des Herrn Präsidenten den „Arbeitgeber", die Zeitschrift der Arbeitgeberverbände, vom April dieses Jahres zitieren, wo ausgeführt wurde, daß der Herr Minister offenkundig — so heißt es dort — sein Interesse an der Sozialreform hartnäckig auf die Sozialversicherung begrenze. Schon sagt dieses Blatt — die Kriegsopferversorgung liege ihm fern, und mit Dingen der Fürsorge wolle er gleich gar nichts zu tun haben. Und das Blatt fährt unter Hinweis auf die Mackenrodtschen Untersuchungen über die Rentenkumulation fort:
    Soweit diese Verflechtungen von Sozialrenten mit Sozialleistungen anderer Art nicht


    (Dr. Preller)

    zur Kenntnis genommen werden, wird die
    große Aufgabe der Sozialreform nicht erkannt.
    Wir können uns dem weitgehend anschließen.
    Ich verkenne im übrigen nicht, daß der Herr Arbeitsminister mindestens einen Zusammenhang zwischen der Reform der Sozialversicherung und dem, was er in jener Debatte im Zusammenhang mit dem Problem der Invalidität Gesundheitsdienst — wahrscheinlich nach dem englischen Vorbild — genannt hat, gesehen hat. Aber, Herr Minister, läßt sich die Frage der gesundheitlichen Vorbeugung überhaupt noch innerhalb der Sozialversicherung lösen? Müssen dann nicht auch die vorbeugenden Maßnahmen der Kriegsopferversorgung, der Fürsorge, des öffentlichen Gesundheitswesens mit in diese Betrachtung einbezogen werden?
    Ich möchte hier erinnern an die Bestrebungen der Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitswesen unter Prof. Coerper in Frankfurt, die doch ganz deutlich gemacht haben, daß eine Verflechtung der Fragen der sozialen Sicherung, im engeren Sinne, mit den Fragen der Gesundheitsförderung im weiteren Sinne besteht.
    Wir fragen also den Herrn Bundesarbeitsminister, welche Vorarbeiten zur Sozialreform er bereits geleistet hat. Es ist uns durchaus bekannt, daß seit dem Tage unserer Großen Anfrage im Hause Storch fieberhaft gearbeitet wird. Aber uns kommt es darauf an, was der Herr Bundesarbeitsminister aus eigener Initiative — nicht erst weil die SPD eine Initiative ergriffen hat —, also vor dem 10. März 1954, vorbereitet hatte, und zwar zur Sozialreform und nicht nur zur Reform der Sozialversicherung. Ich möchte gar keinen Zweifel daran lassen, daß wir Sozialdemokraten, wie ich sagte, zusammen mit einer weiten sozialpolitischen Öffentlichkeit eine Trennung der Arbeiten an der Reform der Sozialversicherung und der Arbeiten an der Sozialreform für verhängnisvoll halten würden. Wir glauben, daß damit der Weg zu der vom Bundeskanzler angekündigten umfassenden Sozialreform praktisch verbaut würde.
    Wir möchten aber vor allem und entscheidend zum Ausdruck bringen, daß sofort jetzt mit der Durchleuchtung des gesamten schwierigen Stoffes begonnen werden müßte, daß über die zweifellos verdienstvolle sogenannte L-Enquete des Statistischen Bundesamtes dabei noch hinausgegangen werden muß und daß aus einer solchen freien, wir betonen: freien Untersuchung eine Durchforstung dieses üppigen Gestrüpps von Paragraphen und Systemen der gegenwärtigen sozialen Sicherung in Deutschland herauskommen müßte, damit die Leute draußen endlich einmal ein übersichtliches System vorfinden, etwas, wonach sie sich ihre Rente berechnen können, damit sie nicht auf die Beamten irgendwelcher Ämter angewiesen sind, sondern damit sie wissen, woran sie sind.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Das fordert man. Sie wissen, daß wir Sozialdemokraten eine eigene Vorstellung über ein solches Sozialprogramm erarbeitet haben; aber davon wollen wir hier und heute nicht sprechen. Uns kommt es heute darauf an, festzustellen, welche Vorarbeiten geleistet worden sind und wie wir beschleunigt zu der Sozialreform, die dringend erforderlich ist, kommen.
    In diesem Zusammenhang zwei Worte über die Altrentenerhöhung. Ich darf vorweg bemerken, daß meine Fraktion diesen Gedanken absolut bejaht, weil er ja im Grunde eine Wiedergutmachung des Unrechts an älteren Renten bedeutet oder bedeuten soll. Wir möchten mit unserer Großen Anfrage eine genaue — ich betone: eine genaue — Antwort des Herrn Bundesarbeitsministers erbitten, wie er sich diese Altrentenerhöhung vorstellt und, vor allen Dingen, wann er mit dem entsprechenden Gesetzentwurf vor dieses Haus treten will. Der Herr Bundesarbeitsminister hat in der Haushaltsdebatte erwähnt — es ist kürzlich auch noch einmal durch das Bulletin und die Presse wiederholt worden —, er habe der zuständigen Abteilung seines Hauses, wie er sagte, Sperre für jede andere Arbeit auferlegt. Das bestärkt allerdings unsere Befürchtung, daß der Herr Minister über diese Sache vorerst nur geredet, sich aber damals noch keine konkreten Vorstellungen über die Verwirklichung erarbeitet hatte. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal den „Arbeitgeber", die Zeitschrift der Verbände der Arbeitgeber, zitieren, die ausführte, daß „der Herr Bundesarbeitsminister unausgesetzt von der Altrentenerhöhung spricht, obwohl, wie er zugibt, auch dafür die versicherungsmathematischen Grundlagen und alle davon abhängenden Details der Anspruchsberechtigung noch nicht erarbeitet sind." Wir glauben, daß diese Aussage auch heute noch zu Recht besteht. Aber, Herr Minister, sicher haben Sie genau so wie wir Abgeordneten alle die Briefe von den alten Leuten bekommen, die nun fragen, wann sie denn die 30 Mark erhalten, die seinerzeit nach einer Rede von Ihnen als die Rentenerhöhung durch die Presse gegangen sind. Wir wären selbstverständlich erfreut, wenn es zu diesen 30 Mark monatlich käme; aber Sie erlauben, daß wir nach den vorhin genannten Erfahrungen mit dem Rentenzulagengesetz es für außerordentlich bedenklich halten, daß Hoffnungen mit konkreten Zahlenangaben in einer Zeit erweckt worden sind, zu der Sie — notorisch — die erforderlichen Unterlagen noch gar nicht in der Hand gehalten haben. Uns sind die alten Leute jedenfalls zu gut dazu, um ihre Angelegenheiten zum Spielball politischer Reden zu machen.

    (Zurufe von der Mitte: Na! na!)

    Ferner: wie steht es denn mit den entsprechenden Aufwertungsklauseln für die Renten derjenigen, die nach 1945 ihre Rente bekommen haben? Wie steht es mit der so lange schon fälligen Gleichstellung der sogenannten älteren Witwen, jenen, die also vor dem Juni 1949 verwitwet sind, mit den jüngeren Witwen? Wie steht es mit der Vermehrung der Mittel für die Gesundheitsvorsorge, die Sie, Herr Minister, erfreulicherweise ebenfalls für erforderlich halten? Wie steht es mit der Angleichung von Grundbetrag und Steigerungsbeträgen in der Arbeiter- und Angestelltenversicherung, also mit der Erfüllung des Grundsatzes, daß für gleichen Beitrag auch eine gleiche Leistung gegeben werden soll?
    Wenn man in der Art, wie es bisher den Anschein hat, Stück für Stück und ohne eine rechte Vorstellung von der Gesamtordnung vorgeht, hier mal etwas gibt, dort etwas gibt, dann wird es allerdings nicht ausbleiben, daß weitere Mittel im Haushalt benötigt werden. Gerade darum halten wir eine organische Sozialreform für so dringend notwendig, weil nur durch eine solche Reform festgestellt werden kann, was an Mitteln tatsächlich gebraucht


    (Dr. Preller)

    wird und wie sie sinnvoll verteilt werden können. Es geht uns, um ein Wort von Professor Nell-Breuning, der auch von uns hoch verehrt wird, zu gebrauchen, darum, daß eine soziale Strukturpolitik betrieben wird und nicht eine Politik des Denkens in Stückchen und in Flicken.
    Will man aber eine solche umfassende Sozialreform, wie der Bundeskanzler sie angekündigt hat, so wird auch der Weg ungangbar, den die Bundestagsmehrheit seinerzeit mit der Schaffung des sogenannten „Beirates für die Neuordnung der sozialen Leistungen" im Februar 1952 gehen wollte. Wir werden j a die Antwort des Herrn Bundesarbeitsministers auf unsere Fragen hören. Herr Bundesarbeitsminister, wenn Sie diese Antwort mit einer letzten Aufrichtigkeit, und um die bitten wir Sie, geben, dann müßten Sie das Versagen dieser Institution, dieses Beirates feststellen, ein Versagen — das möchte ich gleich sagen, und das wissen wir alle —, das nicht etwa auf die unglückseligen Mitglieder dieses Beirates zurückzuführen ist, sondern auf den Deckel, der auf diese Medizinflasche aufgepfropft worden ist durch die Bestimmung, daß der Minister oder sein Stellvertreter den Beirat leiten sollen.
    Wenn Sie wollen, kann ich das vielleicht auch in etwas freundlicherer Weise sagen. Mir kommt dieser Beirat vor wie ein Frühlingsbeet aus Blumenzwiebeln, deren Keime durch einen Stein gehindert werden, nach oben zu kommen, nämlich durch den Stein des Anstoßes, den die Bürokratie des Ministeriums diesem Beirat bedeutet hat.

    (Abg. Frau Korspeter: Sehr richtig!)

    Es ist uns bekannt — das möchte ich gleich bemerken, Herr Minister —, daß Verhandlungen im Gange sind, wenigstens die Unterausschüsse dieses Beirats, die jetzt vor wenigen Wochen nach unserer Anfrage eingerichtet worden sind, ein wenig unabhängiger vom Ministerium zu machen. Aber, Herr Minister, wir wissen auch, welcher Kraftanstrengungen der Beiratsmitglieder, aber auch zum Teil der Mitglieder der Koalitionsparteien es bedurfte, um die Bürokratie Ihres Ministeriums auf diesem Gebiet zu Zugeständnissen zu bewegen. Wir wissen, daß erst die Sitzung vom 3. Juni, die folgen wird, auf diesem Gebiet wirkliche Entscheidungen bringen kann. Wir möchten Sie also bitten, Herr Minister, uns nicht etwa hier vorzutragen, daß bereits alle Schwierigkeiten überwunden seien, geschweige denn, daß die Unterausschüsse, wie das Bulletin vom 30. April behauptete, ihre Aufgaben bereits aufgenommen hätten. Nein, nein, sie sind erst am Anfang ihres Beginns.
    Das andere große Hemmnis dieses Beirats ist die Marschroute, die ihm bezüglich des Systems mit auf den Weg gegeben worden ist. Professor Mackenroth hat in seiner unterdessen ja bekanntgewordenen Untersuchung festgestellt, daß höchstens die Hälfte aller Sozialleistungsempfänger nur eine Rente beziehen, daß aber alle anderen mehrere solcher Leistungen aus Versicherung, Versorgung oder Fürsorge erhalten. An Hand des begrenzten Materials, das er in Kiel hatte, mußte er bereits feststellen, daß es 171 Möglichkeiten der Kombination von zwei Renten gibt

    (Abg. Mellies: Hört! Hört!)

    und daß es 83 Kombinationsmöglichkeiten von drei Renten gibt, ferner, daß im Höchstfall für eine Familie zwölf Renten nebeneinander legal gewährt und bezogen werden können. Diese Untersuchungen von Mackenroth sowie von den Professoren Achinger, Neundörfer und anderen haben doch mit Deutlichkeit gezeigt, daß wir auf dem Weg dieser Systeme, die zu solchen Zuständen geführt haben, nicht weiterkommen. Diese Marschroute ist eben keine Konzeption, sondern sie ist praktisch ein Hindernis für eine unbefangene Erkenntnis des Notwendigen und des Möglichen.
    Ganz offenbar sind auch andere Stellen als wir dafür, daß den untersuchenden Stellen eine solche Bewegungsfreiheit gegeben werden müsse. Ich brauche hier nur an die Beschlüsse des Bundesausschusses der CDU vom März dieses Jahres zu erinnern, die nach eingehender Sitzung und, wie man gelesen hat, auf Grund eines Referats des Herrn Kollegen Horn wenigstens die Unabhängigkeit des Beirats vom Bundesarbeitsminister gefordert haben, ein Wunsch, dem sich, soviel ich weiß, auch der Sozialpolitische Arbeitskreis der CDU-Fraktion angeschlossen hat, der aber offensichtlich auf Einspruch des Bundesarbeitsministers Storch bisher nicht verwirklicht worden ist.
    Die sozialpolitische Publizistik ist noch viel weiter gegangen, als es begreiflicherweise der Sozialpolitische Ausschuß der CDU tun konnte. Professor Achinger schrieb in der „Wirtschaftszeitung" vom 12. Dezember 1953:
    Als der Bundestag den Antrag der SPD auf Schaffung einer sozialen Studienkommission verwarf, um diesen Beirat an ihre Stelle zu setzen, erschien dies vielen als ein Sieg der Bürokratie des Bundesarbeitsministeriums, die ungestört zu bleiben wünschte.
    Professor Achinger fährt in der „Wirtschaftszeitung" fort:
    Dieser Erfolg scheint nach dem bisherigen Verlauf gesichert. Zwischen der Sozialverwaltung und der Wirklichkeit
    — sagt Achinger —
    ist eine Wand aus Milchglas errichtet.
    Aus der Fülle der überaus heftigen Kritik, die
    die faktische Lähmung dieses Beirats gefunden hat,
    möchte ich nur noch das „Handelsblatt" vom
    22. März dieses Jahres zitieren. Dort heißt es:
    Dem beim Bundesarbeitsminister gebildeten Beirat haben wir auf Grund seiner Konstruktion eine große Chance nie gegeben. Was dieser Beirat aber bisher an tatsächlicher Arbeit geleistet hat, ist erschütternd. Das ist nicht die Schuld seiner Mitglieder, vielmehr
    — sagt das „Handelsblatt" —
    hat der Bundesarbeitsminister offensichtlich nichts getan, um ihm Entfaltungsmöglichkeiten zu geben. Wenn
    — so fährt das Blatt fort —
    schon heute einige seiner Mitglieder die dem Beirat gewidmeten Stunden zu den verlorenen ihres Lebens zählen

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    und sich ernsthaft überlegen, ob sie sich als Aushängeschild des Bundesarbeitsministers
    — das Blatt sagt: „man verzeihe diesen Ausdruck" —
    verschleißen lassen wollen, — —
    So das „Handelsblatt", das ja wohl nicht im Geruch steht, sozialdemokratisch zu sein.
    Diese Lähmung, die seitens des Arbeitsministeriums über den Beirat gelegt worden ist


    (Dr. Preller)

    und die nun auch nicht etwa durch die Galvanisierungsversuche des Herrn Arbeitsministers in den letzten Wochen beseitigt werden kann, hat praktisch bereits dazu geführt, daß andere Ministerien dieses Kabinetts sich unterdessen mit der Sozialreform befaßt haben. Der von mir schon mehrfach zitierte Referent des Bundesfinanzministeriums hat in seinem bekannten Artikel in der „Welt" im November am Schluß die Forderung erhoben nach der sofortigen Einsetzung einer Regierungskommission für die Reform der sozialen Hilfe nach Art einer Royal Commission, und zwar beim Bundeskanzleramt. Ich möchte dies als einen Ausweg aus der Verzweiflung über das Nichtfunktionieren des Bundesarbeitsministers bezeichnen.
    Dieser Weg wurde wiederum vom „Arbeitgeber" dahin interpretiert, daß der Gedanke einer Studienkommission, den der „Arbeitgeber" ausdrücklich als den Gedanken der sozialdemokratischen Fraktion Anfang 1952 bezeichnet, inzwischen
    — wörtlich zitiert —
    auch die Zustimmung besonders des Bundeskanzleramtes, des Innen-, des Vertriebenen-und des Wohnungsbauministeriums gefunden hat. Hier
    — sagt das Arbeitgeberblatt —
    bekommt der Arbeitsminister den Weg vorgetreten.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Wir wissen, daß das stimmt, auch aus anderen Quellen. Sie besagen im Grunde nichts anderes, und das ist das überaus Bedauerliche, als daß der zuständige Ressortminister sich die ihm zukommende Initiative hat aus der Hand nehmen lassen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    In diesem entscheidenden Augenblick, wo er seit zwei Jahren bereits diesem Hause Vorschläge sollte unterbreiten können, steht er quasi mit ,leeren Händen vor Volk und Parlament. Und selbst, Herr Minister, wenn Sie sich, wie wir glauben, unterdessen eines Besseren besonnen haben, kann Sie doch niemand — und ich bedauere das als erster — von der Schuld dieser verlorenen zwei Jahre freisprechen, zweier Jahre, die die Alten und die Gebrechlichen ohne Notwendigkeit in Not gelassen haben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Herr Minister, ich möchte noch einmal — bei aller Sympathie — betonen: wir sind die ersten, die eine solche Entwicklung bedauern, weil wir glauben, daß damit die notwendige Autorität eines Bundesarbeitsministers in einem Kabinett geschmälert wird. Aber, Herr Minister, Sie selbst haben der SPD die neutrale Studienkommission, die wir im Februar 1952 gefordert haben, damals mit folgenden Worten verweigert:
    Ich bin der Meinung, daß die Zusammenarbeit zwischen diesem Beirat und dem zuständigen Ministerium viel schneller zu positiven Ergebnissen führt, als wenn man eine Studienkommission einsetzt.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Das war vor zwei Jahren, Herr Minister. Sie haben damals prophezeit, daß in einem halben Jahre, wie sie sagten, in der zweiten Hälfte des Jahres 1952, eine Gesetzesvorlage über die Neuordnung der Sozialversicherung vorgelegt werden würde. Tag für Tag in diesen zwei Jahren haben
    die Notleidenden und hat auch das ganze Haus auf dieses Gesetz gewartet.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Bei der Haushaltsdebatte vor wenigen Wochen haben wir dagegen aus Ihrem Munde gehört, daß nun erst an die Neuordnung der Sozialversicherung herangegangen werden solle. Herr Minister, stimmt nun Ihre Aussage vor zwei Jahren, daß Sie die Sozialversicherungsreform in einem halben Jahre vorlegen könnten, oder stimmt Ihre Aussage vor Ostern, daß Sie jetzt erst an die Reform der Sozialversicherung herantreten?

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Aber nicht einmal zur Prüfung der laufenden Gesetzesvorlagen durch den Beirat ist es gekommen. Sie haben, Herr Minister, auf die Anfrage meines Freundes Schellenberg in der 261. Sitzung des Bundestages geantwortet, die Frage der Beseitigung unterschiedlichen Rechtes in der Invaliden- und Angestelltenversicherung gehöre vor den Beirat. Sie haben die gleiche Antwort auf unsere damaligen Anträge zur Verbesserung der Steigerungsbeträge in der Angestelltenversicherung und zur Erhöhung der Grundbeträge gegeben. Merkwürdigerweise steht der Beirat ja unter Geheimhaltungspflicht. Warum, das weiß kein Mensch. Aber neulich hat ein Mitglied, der Staatssekretär Auerbach, auf eine Anzapfung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" mitgeteilt, daß dem Beirat bisher weder Gelegenheit gegeben wurde, das Problem der Kinderbeihilfen noch das der Aufwertung der sogenannten Altrenten auch nur zu erörtern.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Das heißt doch, Sie, Herr Kollege Storch, haben Zusicherungen gegeben, und Ihr Ministerium hat sie nicht gehalten.
    Wenn wir heute erneut den Gedanken einer unabhängigen Sozialen Studienkommission aufgreifen, so wissen wir uns in dieser Forderung nicht nur mit sozialpolitisch maßgebenden Kreisen auch der Regierungspartei CDU einig, sondern auch mit der gesamten sozialpolitischen Wissenschaft und Presse. Der Verein für öffentliche und private Fürsorge hat z. B. auf dem Deutschen Fürsorgetag im Oktober 1953 einen unabhängigen Rat von Persönlichkeiten aus Wissenschaft, sozialer Praxis und Verwaltung gefordert. Der Verein hat diese Forderung dem Herrn Bundeskanzler bzw. dem Bundeskanzleramt übermittelt, und wenige Tage danach, im November, hat das Bundeskanzleramt bereits geantwortet, daß dieser Vorschlag die besondere Aufmerksamkeit des Bundeskanzlers gefunden habe und deshalb einer genauen Prüfung unterzogen werde. Die Verwirklichung auch dieses Vorschlags des Vereins ist aber, wenn wir richtig unterrichtet sind, wiederum am Bundesarbeitsministerium gescheitert. Herr Minister, geben Sie dem Verein nun eine Zusage, einen solchen unabhängigen Rat der Studienkommission zu errichten! Sie haben diese Möglichkeit. Sie brauchen nicht einmal einen Beschluß des Bundestags dazu. Die Bundesminister für Wirtschaft, der Finanzen, für Wohnungsbau haben sich Beiräte angegliedert, ohne daß irgendein Beschluß des Hauses vorlag. Geben Sie die Möglichkeit, einen wirklich unabhängigen Rat zu bilden, der Ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht! Wir sind dabei auf Prioritätsrechte in keiner Weise erpicht. Geben Sie dem Verein diese Antwort! Uns kommt es darauf an, daß nun endlich einmal eine obiektive Untersuchung stattfindet und daß Vorschläge


    (Dr. Preller)

    von Sachverständigen, die außerhalb der Sphäre des Ministeriums stehen und die in einer freien Atmosphäre arbeiten, diesem Hause in Kürze vorgelegt werden. Es sind bei der Debatte im Februar 1952 Bedenken wegen unseres Vorschlags einer Royal Commission erhoben worden. Nun, unterdessen hat der Abgeordnete Vogel von der CDU in der Haushaltsdebatte eine solche Royal Commission für das notwendige Instrument derartiger Untersuchungen angesprochen. Ich hoffe also, daß die CDU nicht mehr gegen Royal Commissions ist. Außerdem hat der Bundesinnenminister Schröder für die Wahlrechtsreform nach Pressemeldungen ebenfalls solch ein Instrument vorgeschlagen. Daher möchte ich Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, bitten, etwa begreifliche Prestigeerwägungen zurückzustellen. Ich erkläre unsererseits, daß es uns nur darauf ankommt, eine unabhängige Studienkommission zu erhalten. Über deren Form sollten wir im einzelnen durchaus miteinander reden, schon deshalb, weil wir keinen King oder Roi haben, an den wir eine solche Kommission angliedern könnten. Aber, Herr Minister und meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, handeln Sie rasch und ergreifen Sie die von Ihnen in diesem Sinne so oft angesprochene Hand der Opposition, die mit Ihnen zusammen eine gemeinsame Sorge beseitigen möchte!

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir hoffen, meine Damen und Herren, daß wir mit dem ganzen Hause einig sind in der Forderung auf eine baldmögliche Vorlage von Untersuchungen, die Aufschluß geben über die Verkettung und Verflechtung der heutigen sozialen Leistungen, und zum anderen eine Ordnung der sozialen Leistungen, die wenigstens — ich glaube, da können Sie alle zustimmen — folgende Mindesterfordernisse bringt: 1. Klarheit und Übersichtlichkeit der sozialen Leistungen, 2. kein Systemdogmatismus, wie er leider manchmal hier gepredigt worden ist, 3. Aufstockung vor allem der niedrigen Renten von langjährigen Beitragszahlern und deren Angehörigen, 4. Anpasung der rentenähnlichen Leistungen aller Art aneinander, 5. Erhaltung erworbener Rechtsansprüche, 6. umfassende Vorbeugung zur Erhaltung der Gesundheit der Bevölkerung und 7. Beseitigung langfristiger Arbeitslosigkeit.
    Meine Damen und Herren, draußen warten Millionen von Menschen darauf, daß sie endlich mehr als Worte und Versprechungen hören, daß sie nicht immer nur stückweise und damit letztlich doch unzulängliche Verbesserungen erhalten. Ich darf noch hinzufügen, es entspricht ja einem begreiflichen Wunsch und einer begreiflichen Sehnsucht der Menschen, von ihren bittersten Sorgen befreit zu werden, und um diese Sehnsucht eines notleidenden großen Teils deutscher Menschen handelt es sich heute bei dem Gespräch über die Sozialreform. Ich erinnere mich an eine der entscheidenden Szenen in dem bekannten Buche „Vom Winde verweht" von Margret Mithell. Dort sagt dann eine Frau in der Verzweiflung: „Nie wieder hungern! Nie wieder frieren!" Nun, das ist die Situation von vielen Menschen draußen. Ich möchte aber ausdrücklich hinzufügen, es geht diesen Menschen und uns nicht nur um diese materiellen Werte, sondern darum, daß hier ein echtes sittliches Anliegen an die Gemeinschaft vorliegt. Es geht um einen Block von mindestens 6 Millionen Menschen, die allein auf Renten und Unterstützungen angewiesen sind. Es geht darüber hin-
    aus um weitere Millionen von Menschen, deren Einkommen aus Rente oder Unterstützung so niedrig ist, daß sie häufig nicht einmal die Richtsätze der Fürsorge erreichen, so daß die Fürsorge dann noch eingreifen muß. Dieser Block aus materieller und aus seelischer Not ist außerdem politisch gefährdet durch den Kalten Krieg zwischen Ost und West. Wir wissen, der Kommunismus ist in der Bundesrepublik weitgehend zurückgedämmt. Aber seine Ursache, die Verzweiflung, lebt doch heute noch in Millionen deutscher Menschen. In der Hitlerzeit hat man davon gesprochen, diese Menschen würden wegsterben, ja, man hat damals das frivole Wort vom Friedhofsgemüse für die Rentner geprägt. Meine Damen und Herren, heute sollten wir doch darin einig sein, daß jeder Mensch, der unverdient in Not geraten ist, unserer sofortigen aktiven und bedingungslosen Hilfe bedarf, weil der Mensch, der unsere Zeit bewußt durchlebt hat, für uns ein unersetzlicher Wert ist, weil er eben nicht ein Almosenempfänger ist, sondern weil er ein Mensch ist, dem wir Dank für das schulden, was er für uns geleistet hat.
    Lord Pakenham hat im übrigen neulich in Bonn geäußert, Waffengewalt allein genüge nicht, es müsse auch sozialer Einfluß in den Völkern lebendig sein.
    Das alles wollen Sie bitte bedenken, wenn hier etwa davon gesprochen wird, daß die Sozialreform noch eine gute Weile habe. Wir meinen, daß zwar gründlich untersucht, aber dann rasch und vor allem durchgreifend gehandelt werden muß. Seit jenem Februar 1952, wo wir die Soziale Studienkommission und damals bereits auch die umfassende Sozialreform forderten, sind zwei Jahre verstrichen.
    Heute wollen wir nicht über diese zwei Jahre im einzelnen rechten. Aber, Herr Minister, wir dürfen Sie bitten — und wir vertrauen darauf, daß Sie es tun —, Ihre Antwort auf unsere Große Anfrage so zu geben, daß daraus die Erkenntnis dieser zwei Jahre spricht, daß sie verwertet werden kann und daß die berechtigten Erwartungen von nicht weniger als 12 Millionen Menschen erfüllt werden, Erwartungen, die wir alle — und die sozialdemokratische Fraktion im besonderen — in unseren Herzen tragen. Diese Erwartungen — das darf ich zum Schluß sagen — bedeuten uns mehr als nur den Wunsch nach einer Erhöhung von Renten. Sie setzen uns, die wir doch als Volksvertreter nicht nur eine Verantwortung vor der Gegenwart, sondern ebenso auch vor der Zukunft haben, in die Gewissensaufgabe, eine Neuordnung zu schaffen, die den großen Mahnungen zweier Weltkriege und dem Umbruch eines Jahrhunderts gemäß ist. Das heißt nicht, daß die Bewahrung bestehender Systeme unsere letzte Aufrichtigkeit befriedigen kann, sondern nur die mutige Erkenntnis eines neuen Zeitalters, dessen gesunde Lebensgrundlage im sittlichen wie im materiellen Raum uns, den Volksvertretern, anvertraut ist. Die Vorsorge für diese Zukunft, die den seelischen und politischen Frieden begründen soll, sollte das Menetekel für uns bedeuten, um uns über alle Parteirichtungen, über alle Gesellschaftsordnungen hinweg zusammenzufinden und eine Ordnung zu schaffen, die den Menschen schlechthin wieder in seine Lebensrechte und in seine Menschenwürde einsetzt.

    (Beifall bei der SPD.)




Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Herr Bundesminister für Arbeit.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Anton Storch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich einmal die Große Anfrage so, wie sie schriftlich vor mir liegt, beantworten, ohne auf alle die Fragen, die der Herr Professor Preller im Anschluß an die Begründung der Anfrage hier vorgetragen hat, einzugehen.
    Zu Abs. I Ziffer 1 der Großen Anfrage habe ich folgendes zu sagen. Die Arbeiten zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Rentenangleichung werden mit besonderem Nachdruck und in Zusammenarbeit mit den erfahrensten Praktikern der Rentenversicherung durchgeführt. Sie stehen unmittelbar vor dem Abschluß. Es kann damit gerechnet werden, daß der Entwurf nach Durchsprache im Beirat und nach Rücksprache mit den Sozialpartnern und den sonstigen Beteiligten im Juli dieses Jahres dem Kabinett vorgelegt wird.
    Zu Ziffer 2. Der Vorbereitung einer Großen Sozialreform dienen folgende Maßnahmen:
    a) Auf Grund der Verordnung über die Durchführung einer einmaligen Statistik über die sozialen Verhältnisse der Rentner und Unterstützungsempfänger vom 12. August 1953 wird eine statistische Erhebung mit dem Ziel durchgeführt, Unterlagen über die sozialen Verhältnisse der Renten- und Unterstützungsempfänger zu gewinnen. Bei der technischen Durchführung sind zwei Abschnitte zu unterscheiden: In dem ersten Abschnitt werden die Unterlagen rein aktenmäßig erfaßt. In dem zweiten Abschnitt erfolgt eine persönliche Befragung. Innerhalb des ersten Abschnitts sind von allen Stellen, die im Rahmen der Unfallversicherung und Invalidenversicherung, der Angestelltenversicherung, der knappschaftlichen Rentenversicherung, der versicherungsmäßigen Arbeitslosenunterstützung, der Kriegsopferversorgung, der Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen, des Lastenausgleichs, der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung und der öffentlichen Fürsorge Renten oder laufende Unterstützungen gewähren, für eine repräsentative Auswahl aller Empfänger solcher Leistungen auf Grund der Akten Zählblätter anzufertigen. Das heißt mit anderen Worten: Wir wollen alle die Leistungen, die der einzelne oder der einzelne innerhalb seiner Familiengemeinschaft aus diesen 10 Rechtssphären bekommt, zusammenstellen, um zu sehen, wie groß der Kreis derjenigen Menschen ist, die eine einzelne Rente als Lebensgrundlage haben oder die kombinierte Renten zu beanspruchen haben. Diese Auswahl soll etwa auf 5 % der Sozialleistungsempfänger erstreckt werden. Die Zählblätter müssen Angaben über ihre Personalien sowie über die Art und die monatliche Höhe der Sozialleistungsansprüche und der Auszahlungsbeträge enthalten. Die ersten Ergebnisse dieses Teiles der Repräsentativerhebungen sind im August dieses Jahres zu erwarten. Allein das Statistische Amt benötigt also ein Jahr, um eine solche Statistik zu erstellen.
    Sodann soll bei 20 vom Hundert der erfaßten Sozialrentenempfänger eine persönliche Befragung mit dem Ziel durchgeführt werden, ein abgerundetes Bild der sozialen Verhältnisse der Sozialrentenempfänger und der zum gleichen Haushalt gehörenden Personen zu gewinnen. Es gibt ja Leute, deren Kinder ein sehr großes Einkommen haben, die sich aber nicht mehr dazu verpflichtet fühlen,
    auch noch etwas für ihre alten Eltern, die manchmal ein ganzes Leben lang die Lebensgrundlagen für sie geschaffen haben, zu tun.

    (Vizepräsident Dr. Schmid übernimmt wieder den Vorsitz.)

    b) Im Ministerium für Arbeit wird seit Monaten an einer versicherungsmathematischen Bilanz gearbeitet.

    (Zuruf von der SPD: Erst seit Monaten?)

    Mit dem Abschluß dieser Arbeiten ist Mitte dieses Jahres zu rechnen. Eine versicherungsmathematische Bilanz können wir doch letzten Endes nur dann durchführen, wenn wir einen festen Jahresabschluß der einzelnen Versicherungsträger haben. Ich kann damit nicht jederzeit beginnen.
    Zu den Arbeiten zur Sozialreform ist einleitend noch folgendes zu sagen. Der Beirat für die Neuordnung der sozialen Leistungen hat eine Reihe von Arbeitsausschüssen gebildet. Die Arbeiten dieser Ausschüsse sind in vollem Gange. Die Zusammenarbeit aller beteiligten Bundesressorts mit dem Beirat und seinen Ausschüssen ist gewährleistet. Der Beirat hat kürzlich auf Grund einer vorausgegangenen internen Besprechung der Beiratsmitglieder in der anschließenden offiziellen Beiratssitzung eine Entschließung über die künftige Arbeitsweise und Organisation gefaßt. Diese Entschließung, die ich Ihnen nachher noch wörtlich vorlesen werde, hat sofort meine persönliche Zustimmung gefunden.
    Ich möchte nun zunächst die in der Großen Anfrage im einzelnen gestellten Fragen beantworten.
    Der Beirat für die Neuordnung der sozialen Leistungen hat eine Reihe von Sitzungen durchgeführt. In Zusammenhang mit der ersten Sitzung am 3. März 1953 wurden den Beiratsmitgliedern folgende Unterlagen ausgehändigt: 1. eine von meinem Ministerium herausgegebene statistische Aufarbeitung über „Wohnbevölkerung mid Erwerbspersonen nach den Ergebnissen der Volks- und Berufszählung des Statistischen Bundesamts"; 2. eine im Ministerium erarbeitete „Übersicht über die Leistungen der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge"; 3. eine gleichfalls im Ministerium fertiggestellte Darstellung über die Versorgung der Kriegsopfer.
    In der Sitzung am 13. April 1953 hielt das Mitglied des Beirats Professor Dr. Neundörfer ein Referat über das Thema: „Einige Tatbestände zur Bevölkerungsstruktur der Bundesrepublik". Vielleicht mag der eine oder andere sagen, das seien ausgefallene Dinge; aber wenn man eine Sozialreform durchführen will, muß man hierfür die richtigen Grundbegriffe haben, und die Damen und Herren im Beirat hielten das geradezu für die erste Grunderkenntnis, die man haben müsse. Die anschließende Beratung führte zu dem Ergebnis, daß das Referat den Ausgangspunkt für weitere statistische Untersuchungen bilden und ergänzt werden sollte.
    Diese Ergänzung erfolgte in der Sitzung am 6. Mai 1953 unter dem Thema: „Die Erwerbstätigkeit von Jugendlichen unter 20 Jahren und Alten über 65 Jahren". Auf der gleichen Sitzung hielt der damalige Leiter der ärztlichen- Abteilung meines Hauses, Herr Professor Dr. Dr. Bauer, ein Referat über das Thema: „Die gesundheitliche Wiederherstellung als soziale Leistung". Dieses Referat wurde ergänzt durch die Ausführungen von Oberregierungsrat Dr. Scharmann über „Grundsätzliche und praktische Bedeutung der beruflichen und


    (Bundesarbeitsminister Storch)

    sozialen Wiedereingliederung in das Arbeitsleben", ein Problem, das ja vor allen Dingen für den großen Kreis der Schwerbeschädigten eine eminente Bedeutung hat. Der Beirat kam nach eingehender Aussprache überein, in Ergänzung zu den behandelten Themen eine Untersuchung über die Vorbeugung, veranschaulicht durch einen Besuch von Krankenhäusern und Heilstätten, folgen zu lassen.
    Dieser Aufgabe diente die nächste Sitzung des Beirats, die in der Zeit vom 26. bis 28. September 1953 durchgeführt wurde. Auf ihr sprach Herr Professor Bauer über das Thema: „Vorbeugung als soziale Leistung — Stand und Aufgaben der Vorbeugung in der Bundesrepublik". Im Anschluß an die Besichtigung des Versehrtenkrankenhauses in Bad Tölz und des Unfallkrankenhauses in Murnau sprachen die leitenden Ärzte über ihre Aufgaben, Erfahrungen und Erfolge.
    In der Sitzung am 11. Februar 1954 hat der Beirat beschlossen, für die Fortführung der Untersuchungen Arbeitsausschüsse zu bilden. Es sind zunächst drei Arbeitsausschüsse errichtet worden, ein Arbeitsausschuß für Grundsatzfragen, ein Arbeitsausschuß für Fragen der Rentenversicherung und ein Arbeitsausschuß für Fragen der Frühinvalidität.
    Dem Arbeitsausschuß für Grundsatzfragen gehören an Herr Professor Dr. Achinger, Herr Staatssekretär Dr. Auerbach, Herr Senatspräsident Dr. Brebeck, Dr. Geisler aus Kassel, Professor Dr. Höffner aus Münster, Ministerialrat Dr. Imhof aus München, Herr Professor Dr. Mackenroth aus Kiel, Herr Professor Dr. Muthesius aus Frankfurt, Herr Professor Dr. Rohrbeck aus Köln und Herr Direktor Dr. Lauterbach aus Bonn.
    Dem Arbeitsausschuß für Fragen der Rentenversicherung gehören folgende Personen an: Ministerialrat Brackmann aus Hannover, Dr. Coll-mer aus Stuttgart, Herr Regierungsdirektor Deneffe aus Wiesbaden, Herr Max Erhardt aus Stuttgart, Dr. Gaber aus Berlin, Frau Dr. Kiep-Altenloh aus Hamburg, Franz Lepinski aus Düsseldorf, Direktor Liebing aus Frankfurt, Herr Professor Dr. Noack aus Köln, Herr Dr. Oberwinster aus Köln und Direktor Schein aus Bochum.
    Dem Arbeitsausschuß für Fragen der Frühinvalidität gehören folgende Personen an: Herr Professor Dr. Dr. Bauer aus Bonn, Herr Debus aus Kassel, Herr Professor Dr. Heyde aus Köln, Herr Regierungsdirektor Dr. Horstmann aus Wiesbaden, Frau Kalinke aus Bonn bzw. Hannover,

    (Lachen bei der SPD)

    Herr Professor Dr. Neunhöfer aus Frankfurt und Herr Dr. med. Weirauch aus Düsseldorf.
    Der Arbeitsausschuß für Fragen der Rentenversicherung hat seine Arbeit in der Sitzung vom 30. März aufgenommen. Der Arbeitsausschuß hat beschlossen, von seinen Mitgliedern Gutachten über folgende Fragen ausarbeiten zu lassen: 1. Wie ist der versicherungspflichtige Personenkreis abzugrenzen? 2. Wie soll die Rentenformel gestaltet werden, wie sind Vorschläge zur Einführung von Bedürftigkeits- und Einkommensprüfungen zu beurteilen? 3. Wie sollen die Voraussetzungen für die Rentengewährung gestaltet werden? Insbesondere: a) Sollen die Vorschriften über die Anwartschaft und über die Wartezeit gestrichen werden? b) Sollen die Ruhensvorschriften gestrichen werden? c) Sollen die Vorschriften über die Wanderversicherung beseitigt werden? d) Wie soll das Recht der freiwilligen Versicherung und die Frage der Beitragsberechnung für die freiwillig Versicherten geregelt werden? 4. Welche Regelung ist hinsichtlich der Voraussetzungen, der Höhe und der Dauer der Hinterbliebenenrenten sozial gerechtfertigt? Soll Hinterbliebenenrente auch bei einer zweiten Eheschließung gewährt werden? 5. Technik des Beitragseinzugs. 6. Versicherungsmathematische Auswertungen der Bevölkerungsstatistiken.
    Der Arbeitsausschuß für Grundsatzfragen hat seine Arbeit am 6. April aufgenommen. Die Aussprache über die zunächst vom Ausschuß zu erörternden Probleme führte zu folgendem Ergebnis:
    1. Zu dem jetzt eingegangenen Gutachten von Prof. Dr. Bogs über das Thema „Untersuchung über die gegenwärtige Lage der Sozialversicherung und die Möglichkeit einer Reform des geltenden Rechts über die soziale Sicherheit unter Beibehaltung der Unterscheidung von Versicherung, Versorgung und Fürsorge" soll eine Grundsatzerörterung stattfinden.

    (Abg. Richter: Warum denn mit Bedingungen verknüpft? Warum denn „unter Beibehaltung"?)

    — „Unter Beibehaltung", das ist eben die grundsätzliche Frage, die auch hier in diesem Hause in der nächsten Zeit wieder einmal erörtert werden wird, vielleicht heute schon. Wollen wir heute hingehen und ein Gebäude, wie wir es in unserer Sozialversicherung haben, das uns Gott sei Dank über die ersten Schwierigkeiten nach den beiden Weltkriegen hinweggeholfen hat, einfach über Bord werfen?

    (Abg. Dr. Schellenberg: Wer sagt denn das?! — Abg. Dr. Preller: Wer hat denn das gesagt?!)

    Ich habe ja gar nicht gesagt, daß Sie das gesagt hätten. Herr Kollege Richter hat mich gefragt, warum diese Einschränkung, unter Begrenzung der drei Möglichkeiten —

    (Zuruf des Abg. Richter. — Weitere Zurufe von der SPD. — Glocke des Präsidenten.)

    — Es handelt sich doch um die Abgrenzung der drei Möglichkeiten und um sonst gar nichts. Wenn ich hier etwas gesagt habe, dann geht es nicht darum, daß ich Ihnen in Ihren Auffassungen irgendwelche Vorschläge oder Ratschläge erteilen oder überhaupt Belehrungen geben wollte. Jeder hat im Bundestag und auch draußen im Leben des Volkes das Recht, das, was er für das Günstigste hält, letzten Endes auch anzubieten. Darüber sind wir uns doch wahrscheinlich einig, und wir brauchen uns deshalb nicht gegenseitig irgendwelche Vorwürfe zu machen.
    2. In Zusammenarbeit mit Mitgliedern des Ausschusses für Fragen der Rentenversicherung und des noch zu bildenden Ausschusses für Krankheitsbekämpfung sowie weiteren Sachverständigen auf den verschiedensten Gebieten sozialer Leistungen soll folgendes Thema erörtert werden: „Das Verhältnis der produktiven zu den konsumtiven Sozialleistungen".
    Als weitere Themen sind zunächst vorgesehen: 1. Abgrenzung der Fürsorge gegenüber den übrigen Zweigen der sozialen Sicherheit. 2. Vorbeugende und wiederherstellende Gesundheitsfürsorge in der Sozialversicherung, ihr künftiger Ausbau und ihre Zusammenarbeit mit der Arbeitsverwaltung und der Gesundheitsverwaltung. 3. Beteili-


    (Bundesarbeitsminister Storch)

    gung der Allgemeinheit an der Finanzierung der Leistungen der Sozialversicherung unter Berücksichtigung der Wirtschaftskraft des Volkes. 4. Das Verhältnis der Leistungen der Sozialversicherungsträger untereinander und der Sozialversicherung zu sonstigen Sozialleistungen unter Berücksichtigung des Vorranges der Sozialversicherung. 5. Welche Altersgrenze soll gewählt werden? a) Soll die Altersgrenze heraufgesetzt werden, wie es in England gemacht worden ist? b) Soll die Altersgrenze herabgesetzt werden, wie es beispielsweise für unsere alten Angestellten gefordert wird? c) Soll eine elastische Altersgrenze gewählt werden mit der Möglichkeit der Weiterarbeit nach einem bestimmten Lebensalter zur Erzielung einer höheren Altersrente für die Zukunft? d) Soll die Altersgrenze für Männer und Frauen verschieden sein? Die nächste Sitzung dieses Arbeitsausschusses ist am 3. Juni.
    Der Arbeitsausschuß für Fragen der Frühinvalidität hat seine Arbeiten in der Sitzung vom 7. April 1954 aufgenommen. Er hat beschlossen, folgende Untersuchungen durchzuführen: 1. Soziale Analyse der Frühinvalidität. 2. Gründe und Umfang der Frühinvalidität bei weiblichen Arbeitnehmern. 3. Durch welche Maßnahmen kann der Frühinvalidität begegnet werden? 4. Erfahrungen bei der Durchführung der vorbeugenden Gesundheitsfürsorge. 5. In welcher Weise kann erreicht werden, daß für Minderleistungsfähige geeignete Arbeitsplätze geschaffen werden? — Die nächste Sitzung dieses Ausschusses ist am 23. Juni.
    Wie ich schon gesagt habe, haben sich am 3. Mai dieses Jahres die Mitglieder des Beirates zu einer internen Besprechung zusammengefunden. In der sich anschließenden offiziellen Sitzung des Beirates, die unter meinem Vorsitz und in Anwesenheit von Vertretern der beteiligten Ministerien stattfand, hat der Sprecher des Beirates, Herr Professor Dr. Heyde, folgende einstimmige Auffassung der Beiratsmitglieder vorgetragen: Es erscheint zweckmäßig, daß die Federführung der Arbeit beim Bundesministerium für Arbeit verbleibt, weil dort rein sachlich das Schwergewicht liegt. Der Sprecher des Beirates hat ausdrücklich hervorgehoben, daß sich der Beirat damit in Übereinstimmung mit dem bekannten Beschluß des 1. Bundestages befindet, auf dem seine Arbeit beruht. Es ist weiter zum Ausdruck gebracht worden, daß entsprechend diesem Beschluß den Vorsitz im Beirat der Bundesminister für Arbeit hat. Als weiteren Wunsch, dem ich sofort meine Zustimmung gegeben habe, hat der Sprecher des Beirats vorgebracht, daß sich die Arbeitsausschüsse ihre Vorsitzenden selbst wählen wollen. Dieser Wunsch des Beirates ist in der Sitzung in Übereinstimmung mit meiner Auffassung zum einstimmigen Beschluß erhoben worden. Im Beirat wird die Auffassung vertreten, daß sich damit weitere organisatorische Veränderungen erübrigen.
    Zu Punkt II 2 der Großen Anfrage möchte ich folgendes erklären. Wie sich aus dem bisher Gesagten ergibt, handelt es sich um sehr umfassende und vielschichtige Untersuchungen. Es muß gründliche Arbeit geleistet werden. Eine genaue Bestimmung des Zeitpunktes für die Vorlage der Ergebnisse kann bei Art und Umfang der Arbeiten naturgemäß nicht gegeben werden. Das hängt wesentlich davon ab, wie die Arbeitsausschüsse unter ihren selbstgewählten Vorsitzenden die Arbeiten durchführen. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, daß die ersten Gutachten zu einer Reihe
    grundsätzlicher Themen eingetroffen und die Beteiligten mit größtem Eifer an die Arbeit gegangen sind. Die Arbeiten werden so beschleunigt durchgeführt, wie es bei der erforderlichen Gründlichkeit vertretbar ist.
    Zu Punkt II 3 habe ich zu sagen: a) Die Erörterungen im Beirat haben zu dem Ergebnis geführt, daß die Bekämpfung der Frühinvalidität von entscheidender medizinischer, sozialer und finanzieller Bedeutung ist. Aus diesem Grunde ist aus den, Arbeiten des Beirates ein Forschungsauftrag für Prof. Dr. Neundörfer über das Thema „Soziale Analyse der Frühinvalidität" erwachsen. b) In den Arbeitsausschüssen des Beirats sind die vorhin genannten Grundsatzgutachten vergeben worden.
    c) Professor Dr. Bogs von der Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft in WilhelmshavenRüstersiel hat vom Bundesministerium für Arbeit den Auftrag erhalten, ein Gutachten über folgendes Thema zu erstatten: „Untersuchung über die gegenwärtige Lage der Sozialversicherung und die Möglichkeit einer Reform des geltenden Rechts über die soziale Sicherung unter Beibehaltung der Unterscheidung von Versicherung, Versorgung und Fürsorge". Dieses Thema entsprach dem Wortlaut des Beschlusses des Deutschen Bundestages, durch welchen der Beirat bei meinem Ministerium gebildet worden ist. Das Gutachten ist fertiggestellt.
    d) Die Gesellschaft für sozialen Fortschritt hat bereits vor Zusammentritt des Beirats Mittel erhalten, um grundsätzliche Fragen der Reform der Krankenversicherung zu untersuchen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen liegen bereits vor und sind veröffentlicht.
    Zusammenfassend kann ich folgendes sagen:
    1. Die Arbeiten der vom Beirat gebildeten Ausschüsse sind in vollem Gange.
    2. Die vom Beirat in seiner letzten Sitzung beschlossene Organisation der Arbeitsweise gewährleistet im Rahmen des Bundestagsbeschlusses die nötige Beweglichkeit und Freiheit für die Arbeiten.
    3. Das Zusammenwirken der beteiligten Bundesministerien mit dem Beirat und seinen Arbeitsausschüssen sichert die Zusammenfassung aller laufenden Gesetzgebungsarbeiten bei der Gesamtreform.
    Dies offiziell zur Beantwortung Ihrer schriftlich vorliegenden Fragen.
    Nun gestatten Sie mir, ganz kurz auf die Dinge einzugehen, die Herr Professor Preller hier vorgetragen hat. Er hat recht, wenn er sagt: Es ist viel Zeit vergangen, seitdem wir uns mit der Frage einer sozialen Neuordnung beschäftigt haben. Aber wenn Sie gut hingehört haben, dann haben Sie allein aus den Problemen, die die Unterausschüsse sich selbst gestellt haben, ersehen, welch eminent unterschiedliche Fragen vorbehandelt werden müssen, wenn man zu einer Gesamtreform in dem Sinne kommen will, wie sie Herr Professor Preller vorgeschlagen hat.

    (Abg. Frau Korspeter: Herr Minister, wir haben gehört, daß sie erst vor kurzem angefangen haben!)

    — Ja, Sie haben doch gehört, Frau Abgeordnete, daß ich Ihnen gesagt habe, daß die ersten Sitzungen im März des vergangenen Jahres stattgefunden haben; und Sie werden es wohl verstehen, daß die Leute, wenn sie in einen Beirat mit einer derartigen Aufgabe berufen werden, sich vorher selbst


    (Bundesarbeitsminister Storch)

    über die verschiedensten Grundlagen ein Bild machen müssen.

    (Abg. Dr. Preller: Ganze fünf Sitzungen in einem Jahr!)

    — Darauf kommt's ja in Wirklichkeit gar nicht an, Herr Professor Preller. Es kommt darauf an, welche Unterlagen den Leuten bei den Sitzungen für ihre eigene Arbeit während der Zwischenzeit bis zur nächsten Sitzung mitgegeben wurden. Und daß diese Sitzungen nicht dichter aufeinander gefolgt sind, hat eben seinen Grund darin, daß die Leute mit Recht gesagt haben: Ehe wir grundsätzlich zu den Dingen gemeinschaftlich Stellung nehmen, wollen wir uns selbst orientieren. Es hat sich herausgestellt, daß die Leute in Wirklichkeit das Material, welches sie von uns bekommen oder welches sie sich anderwärts erworben, das sie aber gemeinschaftlich verwendet haben, sehr gut kannten. Es brauchte nicht über jedes Teilproblem wer weiß wie lange diskutiert zu werden, so daß in den eigentlichen Sitzungen eine sehr starke Konzentration der Arbeit festzustellen war. Das scheint mir doch letzten Endes bei einer derartigen Arbeit etwas sehr Wesentliches zu sein.

    (Abg. Frau Korspeter: Warum, Herr Minister, erst jetzt die Unterausschüsse?)

    — Aus dem einfachen Grunde, weil im Beirat dieser Wunsch in bezug auf Unterausschüsse erst in der letzten Zeit gereift ist.

    (Abg. Dr. Preller: Ich nehme an, daß das nicht stimmt!)

    — Herr Professor Preller, das ist ein Zuruf, den ich eigentlich nicht behandeln möchte. Da müßte ich Ihnen schon eine sehr deutliche Antwort geben, und das will ich doch im Interesse des weiteren guten Fortgangs unserer Besprechungen nicht tun. Ich kann Ihnen nur eines sagen. Sie können — und nunmehr nehme ich die Vertraulichkeit hier nicht in Anspruch - Ihre Freunde aus dem Ausschuß fragen, ob das, was ich hier gesagt habe, stimmt. Hoffentlich haben Sie dann den Mut, das nächste Mal hier zu erklären, daß es, gelinde gesagt, eine kleine Ungezogenheit war, mich der wissentlichen Lüge zu bezichtigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir wollen doch nicht Dinge zusammenbringen, die nicht zusammengehören. Bei der Frage der sozialen Neuordnung sollte in diesem Hause keine politische Kampfstimmung bestehen. Hier sollten wir, die doch letzten Endes alle guten Willens sind — und das spreche ich allen Mitgliedern dec Hauses aus —, zu einer Atmosphäre des wirklich guten Willens und des guten Zusammenarbeitens kommen. Es ist nicht gut, wenn dabei der eine dem anderen hier im Plenum vorwirft, er sage wissentlich die Unwahrheit. Wir wollen also die Dinge ruhig an uns herankommen lassen. Wir wollen sie diskutieren, und wir wollen alles tun, damit die große Sozialreform so bald wie möglich Wirklichkeit werden kann.
    Dabei möchte ich allerdings eines von mir aus in aller Deutlichkeit sagen. Die große Sozialreform, wie wir sie durchführen müssen, ist ein Kind unserer Zeit und eine Folge von zwei furchtbaren Weltkriegen, die wir hinter uns gebracht haben. Aber bei der ganzen sozialen Aufgabe, die uns vor Augen geführt wird, müssen wir immer und immer wieder daran denken, daß es eine soziale Verpflichtung gibt, die, wie man so sagt, ewig ist, die nicht an die Zeitumstände gebunden ist. Das ist die Frage der Sicherstellung unserer arbeitenden Menschen für die Wechselfälle des Lebens. Ich habe niemals gesagt, man solle eine Reform der Sozialversicherung vorziehen, aber ich habe immer die Priorität für die Sozialversicherung in Anspruch genommen, weil diese Probleme in die nächsten Jahrzehnte hineinreichen. Wenn man eine Sozialreform organisch durchführen will, muß man doch irgendwo das Fundament setzen, und auf das Fundament baut man dann die erste und die zweite Etage auf. Man kann doch nicht beim Dach anfangen, und man kann auch nicht die Dinge durcheinanderwürfeln.
    Ich habe mich an und für sich gewundert, daß Herr Professor Preller ausgerechnet das „Handelsblatt" und den „Arbeitgeber" so stark in den Vordergrund gerückt hat. Jawohl, ich sage es hier in aller Offenheit: diese Leute wünschen eine Sozialreform von der Art, daß man alle die Mittel, die momentan zur Verfügung stehen, in einen Topf wirft, tüchtig rührt und jedem seine Kelle voll gibt. Von dem sozialen Recht, das sich der Mann durch seine Beitragszahlung in der Sozialversicherung erworben hat, ist dabei keine Rede mehr.

    (Hört! Hört! und Unruhe bei der SPD.) Wenn man das will, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann muß man die gesamte soziale Leistung aus den Steuermitteln des Staates nehmen und darf nicht einen Teil der Beteiligten zu einer Beitragszahlung, d. h. zu einer Sondersteuer heranziehen!


    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich sage Ihnen das in aller Offenheit, und ich will
    hoffen, daß unsere Aussprache heute dazu führt,
    daß wir uns gegenseitig verstehen und daß wir
    nicht irgendwelche Pressedarlegungen — kommen
    sie von dieser oder von jener Seite — dazu gebrauchen, unser Einvernehmen stören zu lassen.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)