Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich begrüße Sie alle herzlich und rufe unseren Zusatz-punkt 5, den Tagesordnungspunkt 17 sowie den Zusatz-punkt 6 auf:ZP 5 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur Einführung beschleunigter Asylver-fahrenDrucksache 18/7538Überweisungsvorschlag: Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit17 . Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur erleichterten Ausweisung vonstraffälligen Ausländern und zum erweitertenAusschluss der Flüchtlingsanerkennung beistraffälligen AsylbewerbernDrucksache 18/7537Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe HaushaltsausschussZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten LuiseAmtsberg, Dr . Franziska Brantner, Beate Wal-ter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENRechte von Kindern im Asylverfahren stärkenDrucksache 18/7549Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist hierfüreine Aussprache von 96 Minuten vorgesehen . – Dazustelle ich Ihr Einvernehmen fest . Dann verfahren wir so .Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demBundesinnenminister Thomas de Maizière .
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Beim Thema Flüchtlingeerleben wir in unserem Land eine breite, tiefe Band-breite von Stimmungen und Gefühlen, ja vielleicht eineSpaltung zwischen Optimismus und Ernüchterung,Tatendrang und Müdigkeit, Mit- und Gegeneinander,Akzeptanz und Ablehnung, Gewalt und Versöhnung,schwierigem Abwägen und einfachen Parolen, Hoffnungauf Europa und Enttäuschung über Europa . All das istkein bloßes Beiwerk zu der großen Aufgabe, an derenLösung wir seit Monaten beharrlich arbeiten; es ist füruns alle Anstoß und Mahnung . Wir werden unsere Ver-antwortung nach außen nur wahrnehmen können, wennwir in unserem Land und in unserer Gesellschaft den Zu-sammenhalt nach innen erhalten . Die Bundesregierungtut alles dafür, diese Situation national, europäisch undinternational zu bewältigen – unter Achtung unserer ei-genen Interessen und mit Achtung gegenüber den zu unskommenden Menschen .Lassen Sie mich ein paar Beispiele von vielen nennen .Allein in den vier Monaten seit Oktober haben wir dieZugangszahlen der Menschen aus dem Westbalkan dras-tisch reduziert . Insgesamt sind die Zahlen der Flüchtlingezurückgegangen . Das reicht noch nicht; aber die Rich-tung stimmt . Wir haben die Digitalisierung des Asylver-fahrens geschaffen und geben seit kurzem einheitlicheAnkunftsausweise aus . Damit erhalten wir Klarheit überdie, die zu uns kommen, wo sie hingehören und was siekönnen . Doppelzählungen hören auf und Selbstzuwei-sungen an einen Ort eigener Wahl auch . All das ist auchfür die Sicherheit unseres Landes wichtig .
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Wir haben über den Bundeshaushalt massiv in Integ-ration investiert . Auch hier ein Beispiel: In kürzester Zeithaben wir 8 000 weitere Lehrkräfte für Integrationskursezugesagt .Wir haben das Personal beim Bundesamt für Migra-tion und Flüchtlinge aufgestockt . Seit Oktober wurdendort 300 000 Nachregistrierungen durchgeführt sowieRückstände aus rund 130 000 Altverfahren abgebaut . Mitfast 50 000 Entscheidungen im BAMF allein im Januarwurde eine neue Rekordzahl erreicht . Ich weiß, auch hierist noch viel zu tun und zu verbessern, aber auch hierstimmt die Richtung .
Meine Damen und Herren, mit dem heute vorliegen-den Gesetzespaket verbinde ich drei Botschaften:Die erste richtet sich direkt an die Menschen in un-serem Land . Ihnen sage ich heute Folgendes: Wir ar-beiten hart dafür, den Flüchtlingszustrom in unser Landzu begrenzen und zu verringern, vorneweg die Bundes-kanzlerin . Die Wahrnehmung von internationaler Verant-wortung und das Eintreten für eine europäische Lösungliegen in unserem nationalen Interesse .Wir wissen, dass Ihre Bereitschaft zur Aufnahmevon Flüchtlingen auch davon abhängt, wie schnell überStraftäter, Wirtschaftsflüchtlinge und andere Nicht-schutzbedürftige entschieden wird und dass diese wiederin ihre Heimat zurückgeführt werden . Ja, wir werdenmit den Menschen härter umgehen, die nur behaupten,Schutz zu brauchen, aber in Wahrheit aus anderen Grün-den nach Deutschland kommen oder mit Tricks oder fal-schen Angaben ihren Aufenthalt in Deutschland zu ver-längern versuchen .
Wir begegnen allen Menschen, die zu uns kommen,mit Respekt, aber ohne Naivität .
Wir regeln ein faires Asylverfahren und eine schnellereAbschiebung der Menschen, die keinen Anspruch aufSchutz haben .Die vorliegenden Maßnahmen bilden einen gerechtenAusgleich zwischen dem berechtigten Interesse an Be-grenzung und unseren selbstverständlichen Verpflichtun-gen gegenüber Menschen, die Schutz brauchen . Es liegtin der Verantwortung und im Interesse unseres Landes,so lange wie möglich an Schengen festzuhalten . Dasheißt: Schutz der Außengrenzen und möglichst wenigeKontrollen innerhalb Europas .
Wir werden weiterhin für einen europäischen Weg ausder Flüchtlingskrise kämpfen, solange er auch bei derVerringerung der Flüchtlingszahlen Erfolg verspricht .Falls aber einige Länder versuchen sollten, das gemein-same Problem einseitig und zusätzlich auf den RückenDeutschlands zu verlagern, so wäre das inakzeptabel undwürde von uns auf Dauer nicht ohne Folgen hingenom-men .
Meine zweite Botschaft richtet sich an die Menschen,die in den letzten Monaten in unser Land gekommensind . Auch an Sie wende ich mich direkt . Für die gro-ße Mehrheit von Ihnen ist es selbstverständlich, sich inDeutschland, in dem Land, das Sie aufnimmt, anständigund rechtstreu zu verhalten . Das ist gut, und das müssenwir alle auch laut gemeinsam sagen .
Sie erhalten hier ein faires Asylverfahren, und dieBehörden werden so schnell wie möglich prüfen, ob Siein unserem Land bleiben können . Wenn Sie aber ausasylfremden Gründen nach Deutschland kommen oderversuchen, ohne Aussicht auf Erfolg einen Aufenthaltzu begründen oder zu verlängern, werden Sie dieses Zielnicht erreichen . Wenn Sie versuchen, sich einem geregel-ten Verfahren an dem Ort zu entziehen, wohin Sie verteiltwerden, oder wenn Sie Ihre Chancen durch Täuschungverbessern wollen, wird Ihnen das nicht gelingen . WennSie im Asylverfahren nicht mitwirkungsbereit sind, führtdas zu Nachteilen in Ihren Verfahren .Für diejenigen unter Ihnen, die aus sicheren Herkunfts-staaten kommen oder sich einem ordentlichen Verfahrenverweigern, führen wir ein beschleunigtes Verfahren ein,das mit weiteren Auflagen verbunden ist und nach Ableh-nung Ihres Antrags in einer raschen Rückführung endenwird .Die vollen Asylbewerberleistungen erhalten Sie künf-tig nur dann, wenn Sie registriert sind und in der Ihnenzugewiesenen Unterkunft wohnen . Wer sich an die Re-geln hält, hat das schnell erreicht . Das gilt – ich wieder-hole es – für die große Mehrheit der Asylsuchenden inunserem Land . Für Sie ändert sich durch das neue Ge-setz eigentlich ziemlich wenig . Wenn Ihr Asylantrag aberrechtskräftig abgelehnt worden ist und es keinen wirkli-chen Duldungsgrund gibt, müssen Sie unser Land ver-lassen . Gehen Sie nicht freiwillig, werden die BehördenIhre Ausreisepflicht durchsetzen.
Meine Damen und Herren, Rückführungsversuchescheitern oft daran, dass medizinische Gründe vorge-bracht werden. Häufig wird geltend gemacht, dass diemedizinische Versorgung im Herkunftsland eine Rück-führung ausschließt, weil sie nicht dem deutschen Stan-dard entspricht . Auch manche medizinischen Attestescheinen nicht wirklich begründet zu sein, vor allem so-genannte Vorratsatteste . Wir regeln jetzt, dass es für eineAbschiebung eine solide medizinische Versorgung imZielstaat geben muss, ausreichend und angemessen .
Das hohe Niveau der medizinischen Versorgung inDeutschland muss aber nicht erfüllt werden .
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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Die medizinischen Standards in den Herkunftsländernmüssen so sein, dass den Menschen auch nach der Rück-kehr gut geholfen werden kann . Gleichheit mit deutschenStandards können und werden wir aber nicht gewährleis-ten . Das ist ehrlich, und das ist auch angemessen .
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf siehtaußerdem eine Änderung beim Recht auf den Familien-nachzug vor; darüber haben wir ja seit einigen Wochensehr heftig diskutiert .
Die Einschränkung des Familiennachzugs mag hart er-scheinen .
– Sie ist hart, einverstanden . – Sie ist aber notwendig, umeine Überlastung der Aufnahmesysteme in unserem Landzu verhindern .
– Hören Sie gut zu! Der nächste Satz wird Sie vielleichtnoch mehr ärgern; aber ich halte ihn trotzdem für rich-tig . – Wir wollen nicht, dass Eltern ihre Kinder vorschi-cken, teilweise einer Lebensgefahr aussetzen, um an-schließend selbst nachzukommen . Das wollen wir nicht .
Trotzdem gilt: Wenn es Härtefälle gibt, dann werdenwir sie auch weiterhin besonders berücksichtigen . Daswar ein wesentliches Ergebnis der Gespräche, die derKollege Maas und ich, um das Asylpaket II insgesamt aufden Weg zu bringen, geführt haben . Das Außenministeri-um und das Innenministerium werden im Einvernehmendie entsprechenden Entscheidungen treffen .
Mit der dritten Botschaft richte ich mich an dieStraftäter der Silvesternacht, die Asylbewerber sind . Ih-nen sage ich heute klipp und klar: Für Sie ist kein Platzin Deutschland .
Es gibt keinen dauerhaften Schutz in unserem Land fürdie, die hier erhebliche Straftaten oder bestimmte Strafta-ten in Serie begehen . Ich sage Ihnen auch: Sie haben Ihreeigenen Landsleute und Ihre wunderbaren Herkunftslän-der in Misskredit gebracht . Sie haben dem Ansehen derFlüchtlinge geschadet . Sie haben auch die in Deutsch-land schon lange lebenden Zuwanderer insgesamt derGefahr eines Generalverdachts ausgesetzt, was wir jedenTag auf den Straßen erleben .
Und Sie haben den Populisten, Demagogen und anderenScharfmachern Futter für ihre einfachen Denkmuster ge-geben . All das haben diese Straftäter erreicht .
Wir haben Ihre Taten jetzt zum Anlass genommen,das Ausweisungs- und Asylrecht gegenüber kriminellenAusländern zu verschärfen . Wir begründen ein schwer-wiegendes Ausweisungsinteresse früher als bisher .Wir werden auch die Anerkennung als Flüchtling, denFlüchtlingsstatus, bei der Erreichung bestimmter Straf-barkeitsschwellen leichter versagen als bisher . All das isteine deutliche Botschaft, nicht nur an die Straftäter in derSilvesternacht, sondern das ist auch für all die Menschenmit ausländischen Wurzeln und die vielen Flüchtlingewichtig, die sich hier anständig verhalten und die sichnichts haben zu Schulden kommen lassen . Auch dieseMenschen sind mittelbar Opfer der Neujahrsnacht . Auchihnen gegenüber tragen wir eine Verantwortung, die wirmit diesem Gesetzespaket jetzt übernehmen .
Meine Damen und Herren, das Asylpaket II und dervorliegende Entwurf eines Gesetzes zur erleichtertenAusweisung sind ein harter und wichtiger Schritt eineslangen Weges . Ja, es ist eine Verschärfung des Asyl-rechts; da muss man gar nicht darum herumreden . Aberdiese Verschärfung ist nötig, und sie ist angemessen . Die-ser Gesetzentwurf löst nicht alle Probleme – das hat auchniemand behauptet –, aber einige wichtige .Vor uns liegen weitere Aufgaben, vor allem die Re-duzierung der Flüchtlingszahlen . Wir brauchen dafürZusammenhalt, Ausdauer und Augenmaß . Deutschlandbleibt ein Land mit Herz und ein Land mit Regeln .Vielen Dank .
So viel Antrittsapplaus hatten Sie selten, Herr KollegeBartsch .
Das geht auch nicht von Ihrer Redezeit ab . – Der KollegeBartsch hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke .Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! HerrKauder hat in dieser Woche nach der Regierungserklä-rung festgestellt:Das Jahr 2016 wird zu einem Schicksalsjahr fürEuropa und damit auch zu einem Schicksalsjahr fürunser Land . Im Jahr 2016 entscheidet sich wie nochin keinem . . . Jahr zuvor, ob die Europäische Unionin Zukunft in der Lage ist, große Herausforderungenzu bewältigen . . .Ich glaube, angesichts der vielen Krisen – die Euro-Kri-se, das Erstarken nationalistischer Bewegungen und ins-besondere die Herausforderungen durch die Flüchten-den – hat Herr Kauder hier recht .
Diese Herausforderungen – das ist auch völlig klar –sind alles andere als leicht, und nicht auf alle Fragenwissen wir hier die besten Antworten . Eine Aufgabesollte für uns alle aber klar sein: Keinesfalls dürfen wirdas vielfältige, ungebrochene Engagement – Herr deMaizière hat von „Tatendrang“ gesprochen – der Tausen-den durch Entscheidungen des Deutschen Bundestagesin irgendeiner Weise konterkarieren .
Das Engagement der Ehrenamtlichen und auch der Men-schen in Behörden müssen und sollten wir unterstützen .In dieser Situation ist eine Politik gefordert, die sichdurch Gradlinigkeit, Entschlossenheit und Sachlichkeitauszeichnet und nicht von Stimmungsschwankungenoder Stammtischen bestimmt wird . Von der Erfüllunggenau dieser Anforderung ist die Bundesregierung mei-lenweit entfernt .
In großer Hektik taumeln Sie mit Ihrer Politik durchdas Land und beschließen Sie ein Asylpaket nach demanderen . Heute erfolgt die erste Lesung des zweitenAsylpakets, welches in einer Wahnsinnsgeschwindigkeitganz schnell vorgelegt worden ist . Das erste ist bereitsbeschlossen, das dritte und das vierte werden folgen . Na-hezu wöchentlich gibt es von der Bundesregierung neueIdeen und Vorschläge . Chaos in der Bundesregierung!
Sie produzieren damit Zweifel und Ängste, und das istder Nährboden für rechtspopulistische Kräfte .
Offensichtlich ist einigen die humanistische Haltungabhandengekommen . Ich will das einmal konkret für dasAsylpaket II darstellen: Im November haben die Vorsit-zenden Merkel, Seehofer und Gabriel etwas beschlossen .Dem Vizekanzler musste dann dreimal gesagt werden,was er beschlossen hat . Danach gab es 27 verschiedenePirouetten . Am Ende liegt nun mehr oder weniger unver-ändert das auf dem Tisch, was im November behandeltworden ist, und auf einmal muss es diese wahnsinnigeGeschwindigkeit geben . Aus der SPD wurde zehnmalNein gerufen, und am Ende haben Sie Ja gesagt . Das istso nicht zu akzeptieren .
Bei all diesem Chaos gibt es dann noch die besonde-re Partei CSU, deren Vorsitzender von „Herrschaft desUnrechts“ spricht, Ultimaten stellt und mit dem Bundes-verfassungsgericht droht . Das alles ist doch bundespoli-tischer Wahnsinn!
Offenbar haben in der CSU einige nicht begriffen, dass esein Grundrecht auf Asyl gibt .Frau Merkel, obwohl Sie jetzt nicht hier sind, fordereich Sie auf: Schicken Sie die CSU in ihr Herkunftslandzurück!
– Toni, du musst da durch . Ich weiß, das ist hart für dich .
Meine Damen und Herren, für uns alle muss der Satzgelten: „Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigenzu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundli-ches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land .“ Die-ser Satz sollte für uns alle und immer gelten .
Aber mit dem Asylpaket II bewegen Sie sich davonweit weg . Herr de Maizière, das stimmt eben nicht, dassSie Probleme lösen . Die wirklichen Lösungen wärenschnelle Integration und Teilhabe, rechtsstaatliche undzügige Verfahren . Ja, tun Sie das! Aber nehmen Sie vorallen Dingen auch eine Korrektur der Fehlentwicklungenbeim Wohnungsbau, im Bildungswesen usw . und insbe-sondere bei der Finanzierung vor . Ihr Petitum ist: Ver-schärfung, Verschärfung, Verschärfung . Das kann nichtsein .
Das Ergebnis wird sein, dass wir unzählige Rechtsstreit-verfahren produzieren, dass Behörden und Gerichte zu-sätzlich belastet werden – von den Belastungen der be-troffenen Menschen einmal ganz zu schweigen .Ganz konkret wollen Sie handeln, indem Sie die Zu-zugsbeschränkungen für Familienangehörige, sprich: fürAngehörige der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlin-
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ge, verschärfen . Nach unserer Auffassung ist das rechts-widrig . Aber vor allen Dingen ist das doch unchristlich,und es ist auch unmoralisch .
Sie haben von Respekt gesprochen . Was ist denn aus derFamilienpartei CDU und aus der Familienpartei CSU ge-worden, meine Damen und Herren?
Und wo ist der Aufschrei von der SPD geblieben?
Ich vermute, dass jeder hier im Haus schon mit un-begleiteten minderjährigen Flüchtlingen gesprochen hat .Auch ich habe das unlängst in Dargelütz, einem kleinenDorf in meinem Wahlkreis, gemacht . Das sind erschüt-ternde Gespräche . Da gibt es einerseits Zufriedenheit,dass die Menschen hier sein können, aber andererseitseben auch ganz viele Tränen . Da frage ich mich: Was wardenn da in den Kabinettssitzungen? Offensichtlich habendie SPD-Minister zuerst gepennt und dann doch der inhu-manen Regelung der CDU/CSU zugestimmt . Härtefälle,Herr de Maizière? Jedes Flüchtlingskind in Deutschland,das auf seine Eltern wartet, ist ein humanitärer Härtefallund nichts anderes .
Die Verweigerung des Flüchtlingsnachzugs bleibt grund-gesetz- und menschenrechtswidrig .Ein besonderer Skandal ist der Umgang mit krankenFlüchtlingen . Das ist eine Schande und unseres Rechts-staates unwürdig, meine Damen und Herren .
Künftig soll, ungeachtet der Gefahren für Leib und Le-ben, abgeschoben werden, wenn ein ärztliches Attestnicht unverzüglich vorgelegt wurde .
Das ist allein objektiv an vielen Stellen schlicht unmög-lich . Aber noch schlimmer: Fachliche Gutachten undStellungnahmen von Psychologinnen und Psychologenüber vorliegende Traumatisierungen sollen im Gegensatzzu ärztlichen Attests überhaupt nicht mehr berücksichtigtwerden . Ja, im Gesetz steht künftig eine Regelvermu-tung, nämlich dass keine gesundheitsbedingten Abschie-bungshindernisse vorliegen .Die Verschärfungen sind ein in Paragrafen gegosse-nes, pauschales behördliches Misstrauen, sowohl gegendie erkrankten und traumatisierten Flüchtlinge als auchim Übrigen gegen die behandelnden Ärzte . Hierfür gibtes überhaupt keine Rechtfertigung .
Alle Studien zeigen, dass 40 Prozent der AsylsuchendenOpfer traumatischer Erlebnisse wurden . Wenn wir in dieLänder schauen, zum Beispiel nach Syrien, werden dieGründe dafür doch deutlich sichtbar .Lassen Sie mich – obwohl ich weiß, dass das heutehier nicht behandelt wird – noch eine Bemerkung zu densicheren Herkunftsstaaten machen . Es ist doch sehr be-zeichnend, dass Sie dieses Thema jetzt hier ausklammernund warten wollen, bis es vielleicht wieder einen grünenMinisterpräsidenten in Baden-Württemberg gibt .
– Es gibt schlechtere Varianten; sagen wir es einmal so .
Meine lieben grünen Kolleginnen und Kollegen, ich fin-de es trotzdem inakzeptabel, so zu tun, als ob eine Alt-fallregelung das aufwiegen könnte . Das geht überhauptnicht . Entweder man hat eine Haltung, oder man hat kei-ne Haltung .
Die drei Länder, um die es geht, sind nun einmal kei-ne sicheren Herkunftsländer . In allen dreien gibt es dieTodesstrafe . In Marokko und Algerien steht Homosexua-lität unter Strafe . Schwule und Lesben kommen vor Ge-richt und müssen sogar ins Gefängnis . Diskriminierungist in diesen Ländern Gesetz . Ich würde sogar die Thesewagen, dass das verfassungswidrig sein könnte .Meine Damen und Herren, wir brauchen ein ande-res Agieren . Wir dürfen nicht zulassen, dass in unseremLand die Schwachen gegen die Schwächsten ausgespieltwerden .
Wirksame Maßnahmen zur Integration und Bekämpfungvon Fluchtursachen, das darf nicht nur eine Überschriftbleiben . Eine soziale Offensive, mit der wir die Zukunftin diesem Land gestalten, wäre notwendig . In diese Rich-tung sollten Sie handeln, statt hier falsche Aktivitätenvorzugaukeln .Deshalb werden wir als Linke diesem Gesetzentwurfnicht zustimmen .Dr. Dietmar Bartsch
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Herzlichen Dank .
Das Wort erhält nun die Kollegin Eva Högl für die
SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Am 27 . Januar dieses Jahres hat die Schrift-stellerin Ruth Klüger in diesem Haus eine bemerkens-werte Rede gehalten .
Sicherlich erinnern sich viele von Ihnen, liebe Kollegin-nen und Kollegen, noch an den Schluss ihrer Rede . MitIhrer Erlaubnis, Herr Präsident, möchte ich gerne zitie-ren: . . . dieses Land, das vor 80 Jahren für die schlimms-ten Verbrechen des Jahrhunderts verantwortlichwar, hat heute den Beifall der Welt gewonnen, dankseiner geöffneten Grenzen und der Großzügigkeit,mit der Sie syrische und andere Flüchtlinge aufge-nommen haben und noch aufnehmen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle hier im Landkönnen gemeinsam sehr stolz auf die Willkommenskul-tur, auf die Hilfsbereitschaft und auf den gemeinsamenWillen sein, dass wir Menschen, die ihre Heimat verlas-sen mussten, weil sie durch Krieg bedroht sind, weil sievor Folter und Verfolgung fliehen, hier in unserem LandSchutz bieten .Das Asylrecht und auch die Genfer Flüchtlingskon-vention sind für uns kein Blatt Papier, sondern sie sindeine gemeinsame Verpflichtung, die wir aus Überzeu-gung eingegangen sind . Deswegen, liebe Kolleginnenund Kollegen, ist es richtig, dass wir unsere gemeinsamenAnstrengungen darauf konzentrieren, die Fluchtursachenzu bekämpfen und zu verringern und eine gemeinsameAsylpolitik in Europa zu gestalten .
Wir reden heute über das Asylpaket II . Aber ich möch-te ein paar Bemerkungen zu Europa machen . Es erschüt-tert uns alle gemeinsam, glaube ich, dass die 28 Mit-gliedstaaten in der EU zurzeit weder den Willen noch dieKraft haben, eine gemeinsame Asylpolitik zu gestaltenund das Thema Flüchtlinge gemeinsam anzugehen . Ichfinde, es kann doch wohl nicht sein, dass eine so reiche,so wohlhabende und so starke Region wie Europa mitüber 500 Millionen Menschen sich so schwertut, Men-schen Schutz zu bieten, und zwar überall in Europa: inLondon, in Riga, in Prag und in Lissabon. Das finde ichwirklich erschütternd .
Ich möchte einen weiteren Punkt erwähnen, weil erauch für unsere Politik in Deutschland wichtig ist . Dieallgemeine Lage gefährdet gegenwärtig das, was Europaausmacht und was es so wertvoll macht, nämlich unsereoffenen Grenzen . Das ist das Beste und das Wertvollste,was Europa hat . Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassenSie uns alle gemeinsam daran arbeiten, dass wir dieseoffenen Grenzen nicht aufs Spiel setzen . Das erfordertunsere gemeinsame Energie und unsere ganze Anstren-gung .
Ich habe diese Vorbemerkungen extra deshalb ge-macht, weil das der Rahmen ist, in dem wir heute überdas Asylpaket II diskutieren . Wir müssen hier in Deutsch-land dafür sorgen, dass die Menschen, die zu uns kom-men, registriert werden, dass sie ordentlich untergebrachtwerden und dass sie versorgt werden . Wir müssen dafürsorgen, dass die Verfahren zügig geführt werden;
denn wir wissen – das gehört zur Wahrheit dazu –: Nichtalle können bleiben, nicht alle können Schutz bekommen .Deswegen – das ist das A und O – müssen wir schnell da-rüber entscheiden, ob Menschen hierbleiben können, obsie hier Schutz erhalten können oder ob sie unser Landwieder verlassen müssen .
Die beschleunigten Verfahren sind der Kernpunkt desAsylpakets II; denn wir wissen auch: Viele Menschenkommen zu uns, die leider keine Bleibeperspektive ha-ben . Sie warten zurzeit monatelang darauf, ihr Anliegenbeim BAMF überhaupt vortragen zu können . Sie wartendann wieder monatelang auf eine Entscheidung . Dieserlange Zeitraum liegt an der hohen Arbeitsbelastung desBAMF, auch an dem enormen Rückstand bei den unbear-beiteten Verfahren . Er liegt auch daran, dass das BAMFauf diese Vielzahl von Menschen, die in kurzer Zeit zuuns gekommen sind, nicht vorbereitet war . Deswegenstelle ich fest: Diese Situation – ich denke, das sehen wiralle so – ist nicht tragbar . Deshalb brauchen wir Ände-rungen in den Verfahren .
Schnelle Entscheidungen sind nicht unmenschlich .Schnelle Entscheidungen sind richtig und wichtig .Schnelle Entscheidungen sind nicht das Ende unsererWillkommenskultur, sondern sie sind die Voraussetzungfür eine Willkommenskultur und die Voraussetzung fürein Gelingen der Integration .
Dr. Dietmar Bartsch
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Natürlich ist es für uns alle hier im Haus, wie ich den-ke, keine einfache Entscheidung, den Familiennachzugfür subsidiär Schutzberechtigte für zwei Jahre auszuset-zen . Darüber haben wir auch intensiv diskutiert; denn wiralle miteinander wissen – das hat insbesondere die SPDhervorgehoben –, dass Familie die Voraussetzung für einGelingen der Integration in Deutschland ist .
Diese Entscheidung ist uns schwergefallen . Wir setzenden Nachzug nur für subsidiär Schutzberechtigte fürzwei Jahre aus .
Wir erlauben eine Härtefallregelung .
Ich denke, dass das eine maßvolle Regelung ist, die manhier auch verabschieden kann .
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass wir die Rück-führung erleichtern müssen .
Auch das gehört dazu . Diejenigen, die nicht hierbleibenkönnen, müssen unser Land schneller verlassen . Auchdas gehört zur Wahrheit dazu .
Deswegen schaffen wir mit dem Asylpaket II die Vo-raussetzungen, dass diese Rückführung wirksamer undschneller erfolgen kann . Dazu gehört auch, kriminelleAusländer schneller auszuweisen . Auch das ist Bestand-teil der Vorschläge, die heute beraten werden .Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ichnoch etwas sagen, das mir sehr wichtig ist und wor-über wir, denke ich, gemeinsam nachdenken sollten .Wir haben in dieser Legislaturperiode viel auf den Weggebracht . Wir haben im Asylrecht viel geändert und imAufenthaltsrecht die Verfahren verbessert
und hoffentlich optimiert. Ich finde, wir sollten jetzt allegemeinsam dazu übergehen, diese Veränderungen wir-ken zu lassen .
Sie müssen jetzt erst einmal in Kraft treten und ihre Wir-kung entfalten . Die Verwaltung muss sich darauf einstel-len, und ich gehe davon aus, dass sie auch die richtigeWirkung entfalten werden . Dann sollten wir uns alle ge-meinsam in den nächsten Beratungen voll und ganz, mitunserer ganzen Energie nicht nur auf die Fluchtursachenund die Asylpolitik in Europa, sondern vor allen Dingenauch auf die Integration konzentrieren .
Zu den nächsten Schritten, die wir gemeinsam verabre-den, muss ein gutes Integrationskonzept gehören .Herzlichen Dank .
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-lege Konstantin von Notz das Wort .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es sind zwei-fellos ernste und herausfordernde Zeiten für unsere Ge-sellschaft, für Europa und für unsere Demokratie . Kriegund Not in der Welt lassen so viele Menschen flüchtenwie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr .Von diesen Geflüchteten kommt ein Teil nach Europaund auch zu uns nach Deutschland . Die Herausforde-rungen sind gigantisch .Das verlangt von uns im Deutschen Bundestag eineseriöse, verantwortungsvolle und ernsthafte Debatte .Das, was heute vorliegt, das sogenannte Asylpaket II,entspricht erneut diesen Anforderungen leider nicht .Deswegen werden wir es ablehnen, meine Damen undHerren .
Längst wissen wir doch, was es dringend zu tun gäbe .Wir brauchen schnellere Asylverfahren, eine Stärkungder Haupt- und Ehrenamtlichen und eine entschlosseneBekämpfung der Fluchtursachen . Und vor allen Dingenbrauchen wir ein klares Bekenntnis zur Integration mitWort und Tat . Letzteres vermisst man heute ganz beson-ders, meine Damen und Herren .
Mit diesem überhastet erarbeiteten und sowohl parla-mentarisch als auch mit den Verbänden vollkommen un-genügend beratenen Entwurf kommen wir nicht weiter .Er ist aller Voraussicht nach verfassungswidrig, geht anden tatsächlichen Problemen vorbei und leistet Populis-mus und Ressentiments Vorschub .
Während die Bundeskanzlerin – wie auch geradeheute wieder – echte Lösungen sucht, ergehen Sie sichseit Monaten in Scheindebatten um Obergrenzen, Grenz-schließungen, Verabschiedungskultur, vermeintlich si-Dr. Eva Högl
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chere Herkunftsländer und, ganz neu im Programm, nati-onale Abschiebepläne .Der Familiennachzug nach frühestens zwei Jahrenfügt sich nahtlos ein . Dieses Vorgehen wird noch mehrFrauen und Kinder auf die Schlauchboote treiben, meinelieben Kolleginnen und Kollegen . Das ist Ihr Verständnisvom Schutz der Familie . Das ist Ihr Bild, wie man derFamilie mit Achtung begegnet . Ich sage Ihnen: Es ist zy-nisch und schäbig, dass Sie das so machen .
Mit einer Verschärfung der Residenzpflicht bürokrati-sieren Sie weiter . Zusätzlich erleichtern Sie die Abschie-bung von kranken und schwerkranken Flüchtlingen .Dabei nehmen Sie billigend in Kauf, dass traumatisierteMenschen, zum Beispiel Frauen, die Opfer von Verge-waltigungen wurden, schutzlos gestellt werden . Das istweder human, noch ist es christlich . Ich empfehle die Ta-geslosung vom heutigen Tag . Es ist Populismus, und esist hilflos sowie kontraproduktiv, und wir lehnen es aufsSchärfste ab, meine Damen und Herren .
Bei den weiteren Einschränkungen der Leistungen fürAsylsuchende ignorieren Sie erneut die Vorgaben desBundesverfassungsgerichts . Dabei wissen Sie – so sagtes das Bundesverfassungsgericht –: Die Menschenwür-de ist migrationspolitisch nicht relativierbar . Schließlichversagen Sie beim ausreichenden Schutz für Kinder, Ju-gendliche, Frauen und andere Personengruppen mit er-höhtem Diskriminierungsrisiko . Der eigens von der Bun-desregierung Beauftragte mahnt dies so verzweifelt wieerfolglos an . Das ist ein unhaltbarer Zustand .
Was ist eigentlich, liebe SPD, mit den versprochenenVerbesserungen des letzten Pakets, gerade noch einmalvon Sigmar Gabriel öffentlich zugesagt? Wo befinden siesich? Nicht in diesem Paket! Klar ist doch: Menschen,die über Jahre fliehen, alles zurücklassen und ihr Lebenvielfach riskieren, entscheiden sich bestimmt nicht, um-zukehren, wenn sie für einen Sprachkurs, der nach IhrenWorten, Herr Innenminister, oft gar nicht angeboten wer-den kann, zukünftig 10 Euro mehr zahlen müssen . Das istnaive, träumerische, realitätsferne Politik .
Zusätzlich legen Sie heute einen Gesetzentwurf vor –im Ministerium bezeichnenderweise Köln-Gesetz ge-nannt –, mit dem Sie lediglich suggerieren, dass Sie zu-künftig mehr und schneller abschieben . Faktisch ist eineAbschiebung oft aber gar nicht möglich, weil zum Bei-spiel die Herkunftsstaaten nicht kooperieren und keinePapiere ausstellen . Das wissen Sie, trauen sich aber nicht,eine offene und ehrliche Debatte hierüber zu führen .
Stattdessen Abschiebepopulismus und komplettes Irr-lichtern, leider besonders bei der CSU, Herr Mayer! Jetztwird es traurig: Orban und Putin, das sind nun die po-litischen Partner bzw . Koalitionspartner der CSU . Dieeigene Bundeskanzlerin, die eigene Regierung inklusiveIhrer CSU-Minister, das ist die Herrschaft des Unrechts .Das ist die Welt des Horst Seehofer im Jahr 2016 . Derunlängst verstorbene Helmut Schmidt hat gesagt: „In derKrise beweist sich der Charakter .“ Die Flüchtlingskrisehat diesen Effekt im Guten wie im Schlechten . Wir erle-ben bis heute eine unfassbare Solidarität und Hilfsbereit-schaft gegenüber den zu uns Kommenden . Aber das, wasdie CSU hier seit Monaten abliefert, ist zum Schämen,und es ist Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremistenin diesem Land .
Statt sich weiterhin in Scheindebatten und im wahrs-ten Sinne des Wortes in brandgefährlichem Populismuszu ergehen, lassen Sie uns gemeinsam an tatsächlichenLösungen arbeiten . Herr Innenminister, wir bieten Ihnendas wirklich an . Lassen Sie uns Integration gestalten! Wirhaben immer wieder Vorschläge gemacht . Lassen Sie unsgemeinsam mit der Kanzlerin für Europa kämpfen, bevores zu spät ist . Wenn Sie dafür bereit sind, dann sind wiran Ihrer Seite . Bis dahin sind wir es aber nicht .Ganz herzlichen Dank .
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Strobl für die
CDU/CSU .
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Mit allen Entscheidungen und Maßnahmen, die wir inden letzten Monaten getroffen oder ergriffen haben, ver-folgen wir ein einziges Ziel: eine spürbare und nachhal-tige Reduzierung des Flüchtlingszustroms . Die Gesetze,über deren Entwürfe wir heute beraten, sind nicht der ein-zige, wohl aber ein weiterer wichtiger Schritt auf diesemWeg . Zur Reduzierung der Zahl gehört, dass wir beimFlüchtlingszustrom konsequent unterscheiden zwischendenen, die schutzbedürftig sind und hier Schutz bekom-men sollen, und denen, die offensichtlich nicht schutz-bedürftig sind und deswegen möglichst unverzüglich inihre Heimat zurückkehren müssen .
Dieser Gedanke hat uns beim ersten Asylpaket geleitetund führt uns auch heute die Feder . Mit der Schaffungbesonderer Aufnahmeeinrichtungen, der Schaffung eineszusätzlich beschleunigten Asylverfahrens für Migrantenaus sicheren Herkunftsstaaten und der Einführung ver-schärfter Sanktionen bei Verstößen gegen die Residenz-pflicht werden wir die Anreize für eine Antragstellungvon offenkundig Nichtschutzbedürftigen noch einmaldeutlich reduzieren und nunmehr auf nahe null senken .Hinzu treten die Einschränkungen beim Familien-nachzug für neu ankommende subsidiär Schutzberech-Dr. Konstantin von Notz
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tigte . Diese Einschränkungen beim Familiennachzugsind unvermeidlich .
– Ich will Ihnen auf diesen Zwischenruf mit dem„Quatsch“ einmal ein Zitat vorhalten . Ich zitiere:‚Es ist nicht die unbedingte Voraussetzung, dass derFamilienclan aus Kabul oder Kandahar dann hierhernachkommt‘,
… Alle seien sich bewusst, dass Flüchtlingszahlenbegrenzt werden müssten . Dazu gebe es jedoch nurganz wenige Möglichkeiten .Ich zitiere weiter:‚Eine davon ist die Begrenzung des Familiennach-zugs für unbegleitete Minderjährige .‘ Wenn die Po-litik das nicht tue, müsse sie dem Volk sagen, dassdie Flüchtlingszahlen in den nächsten Monatennicht zurückgehen würden .
Die Schlepperbanden wüssten sehr genau von denDiskussionen in Deutschland . Sie sammelten un-begleitete Kinder von 12 bis 18 Jahren ‚und schaf-fen damit ein neues großes Kontingent, das zu unskommt‘ . Es sei eine Realität, dass Familien Kinderlosschickten in der Hoffnung, später nachkommenzu können . So sei es auch vor 36 Jahren in Vietnamgewesen .Dieser „Brandstifter“ – um Ihren Zwischenruf auf-zugreifen – ist Rupert Neudeck, der 1979 mit Unter-stützung des Schriftstellers Heinrich Böll – vielleichtsagt Ihnen das noch etwas – das deutsche Komitee „EinSchiff für Vietnam“ gegründet hat, das im Rahmen derspäteren Flüchtlingsorganisation „Cap Anamur“ allein11 000 Flüchtlinge vor der Küste Vietnams gerettet hat .Ich finde, Rupert Neudeck ist unverdächtig.
Und das ist kein „Quatsch“ und das ist auch kein „Brand-stifter“, sondern das ist eine Notwendigkeit im Interesseder Flüchtlinge, die bei uns leben .
Wir schränken den Familiennachzug für subsidiärSchutzberechtigte im Übrigen nicht aus Hartherzigkeitein, sondern aus der Einsicht in die Grenzen unsererMöglichkeiten . Bis 2015 sind mehrere HunderttausendSyrer nach Deutschland geflohen, denen bereits heuteoder in Kürze das Recht auf vollen Familiennachzug zu-steht .
Niemand weiß, wie viele Menschen in den Anrainer-staaten oder in Syrien selbst auf den Familiennachzugwarten und ihn geltend machen . Wir können jetzt beieinem hohen Flüchtlingszustrom die Zahlen nicht auchnoch einmal durch Familiennachzug verdoppeln oderverdreifachen .
Das ist der Kern: Wir brauchen eine Atempause . Wirmüssen auch einmal Luft holen können .
– Herr Hofreiter, da Sie in Ihren Interviews die Ein-schränkung des Familiennachzugs
als ein Integrationshindernis bezeichnen,
will ich Ihnen einmal sagen, was ein Integrationshinder-nis ist .Das ist eine Regelung aus dem Jahr 2004, die Sie mitdem damaligen Zuwanderungsgesetz geschaffen haben,eine Regelung, die heute dafür sorgt, dass nach bestehen-der Gesetzeslage anerkannte Flüchtlinge ein unbefriste-tes Daueraufenthaltsrecht voraussetzungslos nach demAblauf von drei Jahren erhalten . Gleichviel, ob man sichauch nur irgendwie um Integration bemüht hat, gleich-viel, ob man sich auch nur ein bisschen bemüht hat, diedeutsche Sprache zu lernen,
gleichviel, ob man sich nur ein bisschen bemüht hat,für seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu sorgen,gleichviel, ob man straffällig geworden ist: Es gibt auto-matisch nach drei Jahren ein Daueraufenthaltsrecht . Einesolche Regelung schafft keine Integrationsanreize, sie istein Integrationshindernis . Und das sollten wir aus demWeg räumen .
Herr Kollege Strobl, lassen Sie eine Zwischenfragedes Kollegen Beck zu?Thomas Strobl
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 156 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Februar 201615352
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Bitte .
Herr Strobl, grundsätzlich ist natürlich die Aufnahme
von Flüchtlingen etwas anderes als die Aufnahme von
Arbeitsmigranten . Deshalb wurde bis zum jetzigen Zeit-
punkt vom Gesetzgeber von den Flüchtlingen, weil sie
ohnehin aufgrund ihres Schutzstatus dauerhaft bleiben
können, nichts zusätzlich verlangt .
Man kann natürlich diese Frage anders sehen und
sagen: Wir verlangen von Flüchtlingen und Migranten
bei der Integration das Gleiche . Aber wenn man das tut,
müsste man auch bei der Frage des Charakters der unbe-
fristeten Aufenthaltserlaubnis rechtlich das Gleiche ver-
langen . Das unbefristete Aufenthaltsrecht eines Flücht-
lings ist nämlich durch Wegfall des Asylgrunds jederzeit
widerrufbar; das ist bei Migranten nicht der Fall .
Wollen Sie die Gleichstellung bei den Integrations-
anforderungen damit verbinden, dass Flüchtlinge in Zu-
kunft nicht mehr das Damoklesschwert über sich spüren,
selbst bei einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, dass
womöglich zum Zeitpunkt der Einbürgerung vom BAMF
die Flüchtlingseigenschaft wieder aberkannt wird? Das
wäre vielleicht ein konsistenter Vorschlag, dem man zu-
mindest etwas abgewinnen könnte .
Herr Kollege Beck, es gibt möglicherweise einengrundsätzlichen Unterschied in der Betrachtungsweise .
– Sie haben die Frage doch gestellt; jetzt müssen Sieschon die Geduld haben, sich auch die Antwort anzuhö-ren .
Für uns bedeuten Flüchtlingsschutz und die Gewäh-rung von Asyl zunächst einmal ein Bleiberecht auf Zeit .Wenn die Fluchtursachen beseitigt sind, wenn der Asyl-grund wegfällt, dann ist es nach unserer Vorstellung so,dass der Flüchtling wieder in seine Heimat zurückgehtund beispielsweise beim Aufbau in seiner Heimat hilft .Flüchtlingsschutz ist zunächst einmal ein Recht auf Zeit .Deswegen ist eine Aufenthaltserlaubnis in Deutsch-land auch befristet . Wenn wir nun dazu übergehen, demFlüchtling ein Daueraufenthaltsrecht zu geben, dannmuss das doch sinnvollerweise zumindest an eine Inte-grationsbemühung geknüpft sein . Sonst macht das dochkeinen Sinn .
Jede Integrationspflicht läuft ins Leere, wenn wir dasnicht so machen . Deswegen müssen wir dieses Gesetzzwingend ändern .
Mit Blick auf die Reduzierung des Flüchtlingsstroms –das hat auch etwas mit der Grünenfraktion zu tun –
bedauere ich sehr, dass wir heute die Erweiterung derListe der sicheren Herkunftsstaaten nicht im DeutschenBundestag beraten können . Es sind ganz überwiegendökonomische Motive, die Migranten aus Marokko, ausAlgerien und aus Tunesien zur Stellung eines Asylan-trags in Deutschland veranlassen .
Die Anerkennungsquoten sind verschwindend gering .Sie betrugen im Jahr 2015 für Marokko 2,29 Prozent, fürAlgerien 0,98 Prozent und für die Tunesische Republik0,00 Prozent . Mit der raschen Einstufung dieser Staatenals sichere Herkunftsstaaten hätten wir frühzeitig auf dieseit kurzem stark steigenden Zahlen reagieren können .
Wenn auch immer und immer wieder anderes behaup-tet wird, auch wenn insbesondere Sie, meine Damen undHerren von den Grünen, es nicht wahrhaben wollen – dieErfahrung, die wir im Zusammenhang mit den Balkan-staaten gesammelt haben, macht eines ganz deutlich:Eine Einstufung als sicheres Herkunftsland zeitigt un-mittelbar Konsequenzen . Seit der Aufnahme der West-balkan-Staaten in die Liste der sicheren Herkunftsstaatensind die Asylbewerberzahlen aus dieser Region drastischzurückgegangen . Heute kommen monatlich nur noch we-nige Hundert Menschen von dort . Anfang 2015 waren esnoch 25 000 im Monat .
Wir hätten den Kreis der sicheren Herkunftsstaaten,was den Westbalkan angeht, im Übrigen besser ein Jahrfrüher erweitert . Doch das im Bundesrat zustimmungs-pflichtige Gesetz ist von Ihnen blockiert worden. Sie wa-ren dagegen .
Das hatte im Übrigen eine unmittelbare Folge: Imvergangenen Jahr kamen 150 000 Migranten aus demWestbalkan nach Deutschland, um hier einen Asylantragzu stellen . Den allergrößten Teil von ihnen werden wirin einem komplizierten Verfahren zurückführen müs-sen . Die Entwicklung, die wir im Zusammenhang mitdem Westbalkan erleben, darf sich im Hinblick auf dieMaghreb-Staaten und Nordafrika nicht wiederholen . DerMaghreb darf kein zweiter Westbalkan werden .
Deswegen müssen wir in dieser Frage schnell handeln .
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Es war schon ein bemerkenswerter Vorgang – Herr In-nenminister Jäger kann gleich etwas dazu sagen –: DasAsylverfahrensbeschleunigungsgesetz war noch nichtbeschlossen, da kündigten einige Länder bereits an, dasssie wesentliche Teile dieses Gesetzes gar nicht umzuset-zen gedenken: die dauerhafte Unterbringung von Asyl-bewerbern ohne Bleibeperspektive in den Erstaufnahme-einrichtungen, Sachleistungen statt Bargeld . „Mit uns istdas nicht zu machen“, erklärten einige Bundesländer .
Ich kann an dieser Stelle nur an die Länder appel-lieren, alle Teile der Asylgesetzgebung konsequent undauch streng umzusetzen .
Dies gilt insbesondere für die schärferen Regeln der Ab-schiebung, wie sie im Asylpaket II festgelegt sind .Alle gesetzlichen Regelungen laufen nämlich ins Lee-re, wenn es an dem Willen fehlt, das geltende Recht an-zuwenden und ablehnende Bescheide konsequent durch-zusetzen . Ich weiß: Abschiebungen sind nicht einfach;sie sind auch nicht populär . Doch erst mit der konsequen-ten Durchsetzung negativer Bescheide können wir daseindeutige Signal senden: Wer keines Schutzes bedarf,der hat keine Bleibeperspektive in Deutschland und dermuss in seine Heimat zurückkehren .
Die Kollegin Jelpke hat nun das Wort für die Fraktion
Die Linke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! HerrStrobl, es ist wirklich zynisch, wenn man hier immerwieder den Eindruck erweckt, als wenn Menschen, dieSchutz suchen, ob vor Krieg oder vor Armut, einfachso herkommen, um hier unsere Sozialstrukturen in An-spruch zu nehmen . Damit wird hier immer wieder Miss-trauen geschürt .
Das ist einfach unerträglich .Meine Damen und Herren, ich möchte zunächst ein-mal sagen: Dies ist wirklich keine Sternstunde des Par-laments . Heute wird das Asylpaket II eingebracht, undinnerhalb von wenigen Tagen, nämlich schon nächsteWoche, soll es hier verabschiedet werden . Ich halte es füreinen ausgesprochen undemokratischen Vorgang,
dass sich die Regierung monatelang Zeit nimmt und ih-ren Showkampf und ihre Streitereien austrägt, währenddieses Parlament überhaupt keine Zeit haben soll, demo-kratisch und sorgfältig darüber zu beraten, was wirklichnötig ist .
Das ist wirklich ein Skandal .Es wird hier nur noch über Fragen diskutiert wie: Wiekönnen wir am schnellsten abschieben? Wie können wiruns am besten abschotten? Wie können wir am bestenabschrecken? Genau dem entspricht der Inhalt diesesPakets: Das Asylrecht wird bis zum Gehtnichtmehr aus-gehöhlt . Beispielsweise werden EU-Richtlinien einfachzur Seite gelegt . Mitmenschlichkeit spielt hier überhauptkeine Rolle mehr . Integrationsvorschläge gibt es von Ih-rer Seite überhaupt nicht .
Das ist wirklich ein Schlag ins Gesicht all derjenigenMenschen, die sich in diesem Land um Flüchtlinge be-mühen .Schauen Sie sich die vielen Stellungnahmen an – vonden Wohlfahrtsverbänden, von den Kirchen, von denFlüchtlingsorganisationen .
Sie gehen von einer Willkommenskultur zu einer Will-kommensunkultur über . Das machen wir nicht mit .
Beschleunigte Verfahren: Was passiert hier eigent-lich? Ganz schnell werden weitere Staaten als sichereHerkunftsstaaten eingestuft . Sonderlager mit 3 000 Plät-zen und mehr werden eingerichtet .
Dann werden Menschen dorthin verbracht . Innerhalbvon drei Wochen soll das Asylverfahren einschließlichgerichtlichem Verfahren abgeschlossen sein .
Diese Sonderlager, meine Damen und Herren, sind ein-fach nur ein Grauen . Dass ein Land wie Deutschland sichso etwas wieder leistet, kann man einfach nur zurück-weisen;
denn das individuelle Asylrecht haben auch diese Men-schen, und das muss vernünftig geprüft werden .
Thomas Strobl
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Nicht weniger perfide ist beispielsweise, dass schonein zweimaliger Verstoß gegen die Residenzpflicht – einsolcher Verstoß liegt vor, wenn jemand zum Beispielohne Genehmigung einfach mal von Berlin nach Bran-denburg fährt – dazu führen kann, dass ein Asylantrag fürnichtig erklärt wird .
Wo sind wir denn, dass ein Grundrecht einfach mal ebenso ausgehebelt wird, nur weil ein Mensch vielleichtFreunde besuchen will? Das kann ja wohl nicht wahrsein!
Gleichzeitig haben Sie vor, die Standards für Abschie-bungshindernisse zu senken, wenn es um den Gesund-heitszustand geht . Sie gehen sogar so weit, festzulegen,dass es demnächst kein Abschiebungshindernis mehrsein soll, wenn Menschen von Bürgerkrieg und Fluchttraumatisiert sind . Das kann ja wohl nicht wahr sein!Wissen Sie eigentlich, was es bedeutet, wenn das Ge-setz fordert, innerhalb von zwei Wochen ein fachärztli-ches Gutachten beizubringen? Wie soll jemand, der derdeutschen Sprache nicht mächtig ist, in zwei Wochen einsolches Fachgutachten beibringen? Auch der Psycholo-genverband kritisiert es ganz scharf, dass im Grunde ge-nommen Menschen, die schwer krank sind, in Zukunfteinfach abgeschoben werden sollen . Diese Regelung istein Skandal .
Was den Familiennachzug angeht: Sie haben immerwieder versprochen, legale Wege zu schaffen, auf denenMenschen hierherkommen können, nach Europa, nachDeutschland kommen können . Und was machen Sie? Siebetreiben hier wieder das Geschäft der Schleuser, indemSie die Menschen genau zu diesen Schleusern treiben,weil die Menschen sonst überhaupt keine Möglichkeithaben, hierherzukommen . Wir sehen tagtäglich, wieFrauen und Kinder im Mittelmeer ertrinken . Auch hiermuss man wirklich fragen: Was ist das eigentlich für einZynismus?Sie haben ein Gesetz zum Beispiel mit den Kölner Er-eignissen begründet .
Frau Kollegin .
Zu Recht werden die Kölner Ereignisse kritisiert . Und
was machen Sie jetzt? Den Schutz von Frauen und Kin-
dern finden wir in diesem Gesetzentwurf heute nicht wie-
der, obwohl das versprochen wurde, sowohl von der SPD
als auch von der Union .
Meine Damen und Herren, es ist hier schon gesagt
worden: Jedes Kind, das aus einem Land flüchtet, ist ein
Härtefall . Was haben Sie eigentlich für eine Vorstellung
von der Situation, wenn Eltern ihre Kinder losschicken?
In Afghanistan zum Beispiel ist es so, dass die Warlords
und andere Kriegstreiber Jugendliche einkassieren und
ausbilden, um sie für den Krieg fit zu machen. Es kann
ja wohl nicht sein, dass wir so etwas mittragen bzw . dass
hier die UN-Kinderrechts-konvention einfach außer
Kraft gesetzt wird!
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen .
Ich komme zum letzten Satz .
Das Asylpaket ist ein Paket von Grausamkeiten . Wir
werden es auf gar keinen Fall mittragen, und wir werden
den Widerstand in der Bevölkerung unterstützen .
Ich danke Ihnen .
Nächster Redner ist der Bundesminister der Justiz,Heiko Maas .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Ich sitze regelmäßig mit dem Kollegen de Maizièrein Brüssel im JI-Rat . Dort vertreten wir die Flüchtlings-politik der deutschen Bundesregierung . Ich würde Ihnenwünschen, dass Sie sich einmal das anhören müssen, waswir uns dort anhören müssen .
Sie sagen hier zur Flüchtlingspolitik der Bundesre-gierung: schäbig, inhuman, unchristlich, Skandal, Zy-nismus, Grausamkeiten . Schauen Sie sich mal in Europaum! Es gibt kein anderes Land, das seiner humanitärenVerpflichtung gegenwärtig so gerecht wird wie Deutsch-land .
Die beiden Gesetzentwürfe, die heute vorliegen, ha-ben ein gemeinsames großes Ziel:
Sie stärken die Handlungsfähigkeit des Staates . Das ist,finde ich, ein ganz grundlegendes Problem geworden.Wenn in Deutschland zu viele Menschen den Eindruckgewonnen haben, dass der Staat die Kontrolle über dieFlüchtlingspolitik verloren hat, wenn zu viele Menschenden Eindruck gewonnen haben, dass nach den Ereig-Ulla Jelpke
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nissen in Köln der Staat nicht mehr handlungsfähig ist,weil er seine Gesetze dort nicht durchgesetzt hat, danngeht es hier nicht mehr um eine Angelegenheit zwischenRegierung und Opposition . Glauben Sie im Ernst, dassdie Bürgerinnen und Bürger zwischen Ihnen und uns un-terscheiden? Jede der hier vertretenen Parteien ist in derVerantwortung, entweder irgendwo in den Ländern oderhier .
Es geht um die Handlungsfähigkeit des Staates .
Wenn Menschen den Glauben daran verloren haben,dann ist es ihnen egal, welche Antworten sie von unsoder von Ihnen bekommen .
Deshalb müssen wir mit dem, was wir hier vorlegen, vorallen Dingen eins dokumentieren: Der Staat ist hand-lungsfähig, und er ist in der Lage, auf Herausforderungenzu reagieren . Genau das tun wir .
Wir stellen sicher, dass unsere Behörden die Aufnah-me der geflüchteten Menschen besser bewältigen kön-nen, als das bisher der Fall gewesen ist . Mit Blick auf dieSilvestervorfälle in Köln senden wir auch eine klare Bot-schaft aus, und zwar an alle – egal ob mit oder ohne Pass;egal was für einen Pass sie haben –: Wer vor Verfolgung,Krieg und Terror flieht, der findet bei uns Schutz. Aberwer hierherkommt und dabei diesen Schutz ausnutzt, umschwere Straftaten zu begehen, für den ist bei uns keinPlatz . Wir sind hilfsbereit, aber nicht blind .
Was die Veränderungen im Ausweisungsrecht angeht,sage ich: Ja, sie sind eine Reaktion auf die Ereignisse inKöln . Für sexuelle Übergriffe auf Frauen gibt es keineRechtfertigung und auch keine Entschuldigung .
Ich sage aber auch: Ein besserer Schutz für Frauen vorsexueller Gewalt ist bitter nötig . Das hat mit Köln über-haupt nichts zu tun .
Dieses Bedürfnis gibt es nicht erst seit den Ereignissenin Köln .
Das, was wir im Ausweisungsrecht verändert haben,ist:
Wer schwere Straftaten begeht, wer vorsätzlich Strafta-ten gegen Leib und Leben, die körperliche Unversehrt-heit, die sexuelle Selbstbestimmung oder gegen Ord-nungskräfte begeht, wer als Serientäter Eigentumsdeliktebegeht, wird in Zukunft leichter ausgewiesen werdenkönnen, und das ist auch richtig .
Wir haben die Voraussetzungen dafür herabgesetzt: InZukunft kann bei der Abwägung der Frage – es ist nichtdie Entscheidung –, ob eine Ausweisungsverfügung er-geht, bereits die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafeauch auf Bewährung als ein schweres Ausweisungsin-teresse zu einer Ausweisungsverfügung führen . Ich sagedas nicht nur mit Blick auf die Straftaten, für die wir dasqualifiziert haben, sondern auch mit Blick darauf, dassin Deutschland niemand wegen Bagatelldelikten zu einerFreiheitsstrafe verurteilt wird . Deshalb ist es auch ge-rechtfertigt, daran anzuknüpfen .
Herr von Notz, ja, die Ausweisungsverfügung hat nochnichts mit der Abschiebung zu tun . Aber es ist nicht so,dass wir die Probleme, die es dort gibt, einfach bestehenlassen . Wir reden mit den Staaten, die nicht bereit sind,ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen, weil sie ihrePapiere weggeworfen haben . Wir wollen Laissez-pas-ser-Abkommen, wie wir sie mit anderen Staaten, etwaauf dem Balkan, geschlossen haben, auch mit nordafri-kanischen Staaten schließen . Natürlich muss eine Aus-weisungsverfügung auch umgesetzt werden . Wir arbei-ten daran genauso intensiv wie an diesem Gesetzentwurf,weil wir nicht nur Verfügungen erlassen wollen, sondernweil wir die Verfügungen auch durchsetzen wollen . Dasgehört dazu .Meine Damen und Herren, die vorgeschlagenen Än-derungen sind, wie ich finde, nicht nur verhältnismäßig,sondern sie sind richtig, notwendig und maßvoll . Aberich sage auch: Das Gleiche kann ich nicht von allenWortmeldungen behaupten, die es in jüngster Zeit zu die-sem Thema gegeben hat .
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfra-
ge der Kollegin Keul?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Gerne .
Vielen Dank für die Zulassung der Zwischenfrage . –Herr Maas, Sie haben uns gerade erklärt, wie sinnvollund notwendig die Änderungen im AusweisungsrechtBundesminister Heiko Maas
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sind . Wir hatten ja eine Rechtsänderung gehabt, die ge-rade erst, zum 1 . Januar 2016, in Kraft getreten ist undbereits ganz deutlich die Ausweisungsmöglichkeiten beiStraftaten erhöht hat . Nur wenige Tage nach dem Inkraft-treten dieser Norm ändern wir diese Norm noch einmal .Ich frage Sie daher: Haben Sie Erkenntnisse darüber,dass die Rechtslage, wie sie ab dem 1 . Januar 2016 inDeutschland gilt, in irgendeiner Weise zur Anwendunggekommen wäre und sich gezeigt hätte, dass es dort De-fizite gibt? Die Änderung eines Gesetzes wenige Tagenach seinem Inkrafttreten scheint mir doch nicht wirklichdie Handlungsfähigkeit des Staates zu belegen, sonderndas scheint mir vielmehr die Simulation von Handlungs-fähigkeit zu sein .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Doch, ich finde schon. Und ich mache auch gar keinenHehl daraus, dass diese Gesetzesänderung eine Reaktionauf die Ereignisse in Köln gewesen ist . Es gibt Situatio-nen, in denen der Staat – auch aus übergeordneten Moti-ven heraus – in der Lage sein muss, schnell zu reagierenund Gesetze, die noch nicht lange in Kraft sind, noch ein-mal zu verändern .
Wir haben das getan . Ich bitte, das nicht auf die leichteSchulter zu nehmen, weil wir nach diesen Ereignisseneine schwierige Debatte, eine sehr emotionale Debatte inDeutschland geführt haben . Es wurde von uns getan, weilich es für richtig halte, dass ein großes Ausweisungsinte-resse schon vorliegen kann, wenn in Deutschland jemandzu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird .Im Übrigen sage ich auch das: Wir wollen damit nichtnur mögliche Opfer – sie hat es in Köln gegeben – bes-ser vor Straftätern schützen, sondern wir wollen auch dieHunderttausende von Flüchtlingen, die in diesem Landangekommen sind und hier unbescholten leben, davorschützen, dass sie mit solchen Kriminellen in einen Topfgeworfen werden . Deshalb mussten wir schnell reagie-ren .
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfra-
ge der Kollegin Haßelmann?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Nein, ich würde jetzt erst gerne selbst noch ein biss-
chen erzählen .
– Ja, ich komme auch schon zum Schluss . Über das Se-
xualstrafrecht werden wir hier, glaube ich, bei anderer
Gelegenheit noch einmal reden können . Darauf bin ich
schon sehr gespannt .
Meine Damen und Herren, ich will noch Folgendes
sagen: Über den richtigen Weg in der Flüchtlingspolitik
können wir alle lebhaft streiten . Auch das gehört zur De-
mokratie .
Ich finde es, ehrlich gesagt, gar nicht so schlecht, dass in
Deutschland wieder über Werte und nicht nur über Wohl-
stand und Wohlfahrt – das war in der letzten Zeit immer
so – diskutiert wird .
Natürlich: Diese Diskussion kann und soll auch lei-
denschaftlich geführt werden . Wenn man über Werte
und Überzeugungen redet, dann geht das nur mit Lei-
denschaft . Aber der Tonfall, mit dem das in der letzten
Zeit teilweise geschehen ist, bereitet mir auch als Justiz-
minister Sorgen . Wenn es um die Flüchtlingspolitik der
Bundesregierung geht, dann greifen manche Kritiker zu
einer Rhetorik, die jedes Maß verloren hat . „Notstand“,
„Rechtsbruch des Staates“, „Herrschaft des Unrechts“:
Diese Parolen sind nicht nur juristisch hanebüchen, sie
sind politisch brandgefährlich .
In der Flüchtlingspolitik wird zu Recht Realismus
eingefordert . Zu diesem Realismus gehört für mich aber
auch, dass man eben nicht in hysterische Krisenrhetorik
verfällt . Solche Dinge, die dabei in den Raum gestellt
werden, lösen kein einziges Problem, sie schüren dage-
gen viele, viele Ängste . Vor allen Dingen: Wer mit sol-
chen Worten die Legalität des Staates permanent infra-
ge stellt, der stärkt Recht und Gesetz nicht, sondern er
schwächt sie .
Meine Damen und Herren, auch da haben wir als poli-
tisch Verantwortliche eine besondere Verantwortung für
das, was wir in der Diskussion in Deutschland – die ich
für notwendig halte – sagen . Ich halte es für gut, dass in
Deutschland wieder über Werte diskutiert wird und nicht
nur über Wachstumsprognosen . Aber wir alle, die wir uns
an dieser Debatte beteiligen, haben auch eine besondere
Verantwortung, mit den Worten, mit denen wir uns be-
teiligen, nicht dafür zu sorgen, dass die Spaltung größer
wird, sondern dafür zu sorgen, dass das, was in diesem
Land zurzeit geschieht, dazu führt, dass Menschen fried-
lich und gut zusammenleben .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Luise Amtsberg fürBündnis 90/Die Grünen .Katja Keul
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Zu den zwin-gend erforderlichen Reformen im Sexualstrafrecht habenSie jetzt leider nichts gesagt . Insofern fällt es mir nachwie vor schwer, zu glauben, dass im Fokus dieser ganzenInitiativen tatsächlich der Schutz von Frauen vor sexuel-ler Gewalt steht .
Aber kommen wir zu dem vorliegenden Entwurf . EinGesetzentwurf, der den Wert der Familie infrage stellt,der die Rechte und den Schutz von Kindern hintanstellt,der Integration wissentlich auf Jahre behindert, der dieBetroffenen über ihre Zukunft in Deutschland verunsi-chert – auf einen solchen Gesetzentwurf kennt meineFraktion nur eine Antwort, und die ist Nein .
Nein, weil Humanität eben nicht für ein paar Monateoder zwei Jahre mal pausieren kann, nur weil es innen-politisch etwas unbequemer wird, nein, weil es nicht seindarf, dass Grundrechte gerade dann, wenn sie gebrauchtwerden, wenn sie sich beweisen müssen, preisgegebenwerden .Das Recht auf Familienleben ist nicht nur im Grund-gesetz, sondern auch in der Europäischen Menschen-rechtskonvention und zahlreichen weiteren Vereinbarun-gen, wie zum Beispiel der UN-Kinderrechtskonvention,verbrieft . Und trotzdem: Mit Ihrem Gesetz verweigernSie Menschen, die aufgrund von Lebensgefahr, von dro-hender Folter, Todesstrafe oder infolge von Bürgerkrie-gen nicht in ihre Heimat zurückkehren können, das Zu-sammenleben mit ihren Familien .
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktionfindet, dass das Recht darauf, mit seiner Familie zusam-menzuleben, ausnahmslos für alle Menschen gilt, auchfür Flüchtlinge, allem voran für Kinder .
Denn Kinder – darüber wurde hier wenig gesagt – sinddie Hauptopfer von Krieg . Sie sind besonders verletzlich,sie brauchen besonderen Schutz, in bewaffneten Konflik-ten, aber auch auf der Flucht . Sie brauchen besonderenSchutz und unsere ungeteilte Aufmerksamkeit, auch hierin Deutschland .Kinder haben Kriege nicht zu verantworten . Deshalbist Ihr Plan, gerade bei Kindern, die alleine nach Deutsch-land gekommen sind, den Nachzug der Verwandten ein-zuschränken bzw . nicht zu erlauben, nichts anderes alsgemein und verantwortungslos .
Auf Ihrem Weg, die Zahl der Flüchtlinge in Deutsch-land zu reduzieren, setzen Sie bei den Schwächsten an,ohne Wenn und Aber . Das kann einen eigentlich nursprachlos machen; denn wir wissen, dass die Folge ist,dass insbesondere Frauen und Kinder – die Abgeordne-ten, die derzeit vor Ort sind, werden das bestätigen kön-nen – auf die Boote über das Mittelmeer gehen . Das istauch logisch .Ich finde es wirklich bigott, wenn man sich am Anfangder Debatte hinstellt und sagt: „Hier kommen nur jungeMänner nach Deutschland . Was ist denn eigentlich los?“,und später, wenn sich sozusagen der Wind dreht und vie-le Kinder kommen, auf einmal sagt: „Die Eltern in denKriegs- und Krisengebieten, die ihre Kinder losschick-ten, sind verantwortungslos“, vor allen Dingen, wennman weiß – Frau Jelpke hat darauf hingewiesen –, dasses manchmal der einzige Weg ist, sein Kind zu schützen .
Es ist falsch, Frau Högl, zu sagen, dass es nur zweiJahre sind. Für geflüchtete Erwachsene bedeutet der aus-gesetzte Familiennachzug, dass sie im schlimmsten Fallbis zu fünf Jahre von ihren Familien getrennt werden,was nach meiner Auffassung einer dauerhaften Trennunggleichkommt . Das Asylverfahren dauert ab Stellung desAsylgesuchs meist mehr als zwölf Monate . Zwei Jahrebeträgt die Wartefrist für Familienangehörige . Zudemmüssen die Nachzugsberechtigten häufig länger als einJahr auf einen Termin bei der jeweiligen deutschen Bot-schaft warten . Das macht am Ende vier bis fünf Jahre,und deshalb müssen wir hier von einer dauerhaften Tren-nung von Familien sprechen .
Vielleicht noch mal zu den Zahlen . Ich habe dazu jaeine Kleine Anfrage gestellt, Herr Strobl . Deshalb weißich: Das Szenario, das Sie hier zeichnen, dass Millionenvon Familien nachkommen, ist einfach falsch .
Bedauerlicherweise ist es so, dass lediglich gut18 000 Menschen im vergangenen Jahr von diesem RechtGebrauch machen konnten . Es ist doch nicht so, dass wirüberrannt werden von einer Situation, mit der wir nichtumgehen können .
Integration ist ein Familienprojekt . Wer keine Hoff-nung hat, seine Kinder und Partner zügig in Sicherheitzu bringen, der wird sich in Deutschland nicht integrie-ren, der wird nicht glücklich, der wird hier auch nichtwirklich ankommen können . Von daher sind Einschrän-kungen beim Familiennachzug nicht nur menschenrecht-lich verantwortungslos, sondern auch mit Blick auf dieIntegration und den gesellschaftlichen Zusammenhaltverantwortungslos und kurzsichtig .
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Das gilt im Übrigen auch für eine weitere Regelungin Ihrem Gesetzentwurf: Sie möchten künftig pauschalvon allen Flüchtlingen Geld einbehalten, um Sprachkur-se zu finanzieren – wohlgemerkt von allen, sogar vondenen, die überhaupt gar kein Anrecht auf Sprachkursehaben . Das heißt, obwohl das Bundesverfassungsgerichtunmissverständlich klargemacht hat, dass die Menschen-würde migrationspolitisch nicht zu relativieren ist, ver-langen Sie künftig sogar Geld für etwas, was gar nichtallen zusteht . Dazu möchte ich sagen: Die Unterschei-dung bezieht sich eben nicht auf „schutzberechtigt“ und„nicht schutzberechtigt“, sondern auf die Schutzquote .Das zeigt sich ganz wunderbar bei den Sprachkursen,auf die nur Syrer, Iraner, Iraker und Eritreer ein Anrechthaben, zum Beispiel Afghanen aber nicht . Herr Strobl,Sie können mir sicherlich beispringen, wenn ich sage,dass ein großer Teil dieser Menschen durchaus schutz-berechtigt ist, hier für immer bleiben wird, also hier eineZukunft haben muss und deswegen an den Sprachkursenpartizipieren muss .
Lassen Sie mich zum Schluss – weil das in der De-batte traurigerweise umgeht – die verschärfte Regelungfür jene Flüchtlinge ansprechen, die aufgrund einer Er-krankung aus humanitären Gründen eigentlich nicht zu-rückgeschickt werden können . Man beruft sich dabei aufinnerstaatliche bzw . inländische Gesundheitsalternativenund darauf, dass Behandlungen von schweren Krank-heiten grundsätzlich in dem betreffenden Land möglichsind . Fragen, ob kranke Menschen die Gesundheitsver-sorgung vor Ort überhaupt erreichen können, ob sie ge-nügend Mittel zur Verfügung haben, wenn sie zurückge-schickt werden, ob es überhaupt die Möglichkeit gibt,sich innerhalb des Landes ohne Gefahr zu bewegen, umdie Gesundheitsversorgung in Anspruch zu nehmen, ha-ben überhaupt keinen Platz . Genauso befremdlich ist es,dass es in Ihrem vorliegenden Gesetzentwurf heißt, dassposttraumatische Belastungsstörungen keine schwerwie-genden Erkrankungen darstellen, wenn sie medikamen-tös behandelt werden können . Ich weiß nicht, wie vieleÄrzte und Therapeuten heute im Parlament anwesendsind: Ich habe mir sagen lassen, dass das mit der Realitätsehr wenig zu tun hat .
Kurzum: Auch diese geplante Regelung wird zu einerAusweitung der Abschiebungen von kranken Menschenführen . Das kritisieren wir aufs Schärfste . Ich würde mirwirklich wünschen, Herr Strobl, dass Sie an dieser Stellevielleicht auch ein paar Menschenrechtler zitieren .
Man kann sich das nicht immer aussuchen, und es gehtnicht, dass man nur zitiert, wenn es gerade passt, an an-derer Stelle jedoch gar nicht hinhört bzw . Verfahren imParlament durchführt, in denen wir nur eine Woche Zeithaben, um uns mit Experten auszutauschen .
Ich komme zum Schluss . Neue Gesetze, die nicht ein-mal einen Tag die Luft der Inkraftsetzung atmen, bevorsie durch ein neues ersetzt werden sollen, durchnumme-rierte Sammelpakete, die in Eilverfahren durch die par-lamentarischen Beratungen gejagt werden, das kategori-sche Ignorieren der Bedenken aus der Zivilgesellschaftund der Experten und auch das notorische Abwehren vonVorschlägen, die wir durchaus vorgelegt haben – all daswird Sie nicht zu Ihrem Ziel bringen,
dass Asylverfahren beschleunigt werden, dass geordneteVerfahren stattfinden und dass wir wissen – das ist ja IhrHauptanliegen –, wer sich hier in unserem Land befindet.All das wird dazu nicht beitragen . Ihr Vorhaben ist ein-seitig und gegen die Rechte von Schutzsuchenden . Daslehnen wir entschieden ab .
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Stephan
Mayer .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin-nen! Sehr geehrte Kollegen! Ich bin der festen Überzeu-gung, dass unser Land derzeit vor einer der größten He-rausforderungen seit Bestehen der Bundesrepublik steht .Es geht aus meiner Sicht so stark wie schon lange nichtmehr darum,
dass wir alle an den Stellen, an denen wir Verantwortungtragen, dazu beitragen, dass der innere Zusammenhaltunseres Landes nicht verloren geht . Ich sehe die großeGefahr einer zunehmenden Polarisierung unserer Gesell-schaft, einer Stärkung der Zentrifugalkräfte und einesAuseinanderdiffundierens unserer Gesellschaft .
Das kann nicht in unserem Interesse sein . Das kann nichtim Interesse der hier vertretenen Parteien sein .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ins-besondere Herr Kollege Bartsch und Herr Kollege vonNotz, Sie können die CSU verunglimpfen, Sie könnenLuise Amtsberg
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die CSU und den bayerischen Ministerpräsidenten be-schimpfen .
Ich sehe das sehr gelassen – das sage ich Ihnen ganzehrlich –; denn das hilft uns in Bayern . Je mehr Sie unsbeschimpfen, desto mehr profitiert die CSU in Bayerndavon . Aber ich sage auch – und das meine ich ganzernsthaft –: Wenn Sie dazu auffordern, nicht die Proble-me zu benennen,
die sich in unserem Land stellen, wenn Sie dazu auffor-dern, die Ängste und Bedenken unserer Bevölkerung zuignorieren,
dann machen Sie genau das Gegenteil dessen, was wireigentlich wollen . Sie leiten Wasser auf die Mühlen derRechtspopulisten,
und Sie tragen mit dazu bei, dass sich unsere Bevölke-rung weiter von der Politik abgrenzt .
Herr Bartsch, Sie fordern dazu auf, dass die CSU wie-der in ihr Herkunftsland zurückkehren soll .
Ich bin der festen Überzeugung: Deutschland fährt gutdamit, dass Bayern ein fester Bestandteil Deutschlandsist . Das meine ich ernst . Seit der Wiedervereinigung sindüber 2 Millionen Bundesbürger nach Bayern gezogen .Also, so schlecht können die Bedingungen in Bayernnicht sein. Bayern zahlt über die Hälfte des Länderfinanz-ausgleiches .
Herr Bartsch, was Sie mehr besorgen sollte – das mei-ne ich auch ernst – als die CSU, ist, dass offenbar einFraktionskollege von Ihnen einen ehemaligen RAF-Ter-roristen als Angestellten beschäftigen will, der wegenneunfachen Mordes und elffachen Mordversuches verur-teilt wurde .
Das ist schäbig . Das ist schändlich . Herr Bartsch, küm-mern Sie sich um diese Angelegenheit und nicht um dieBefindlichkeiten der CSU!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen vonder Opposition, ich sage Ihnen ganz klar: Es wird Ih-nen nicht gelingen – so sehr Sie hier auch über die CSUund über die Haltung der bayerischen Staatsregierungschwadronieren –,
die CDU und die CSU auseinanderzudividieren . CDUund CSU sind die Taktgeber, wenn es darum geht, dieAsylgesetzgebung sachgerecht und angemessen voran-zubringen .
Herr Kollege Mayer, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Dr . von Notz?
Sehr gerne . Selbstverständlich .
Herr Kollege Mayer, vielen Dank, dass Sie die Zwi-
schenfrage zulassen . – Weil Sie mich direkt angespro-
chen haben, will ich Sie etwas fragen . Man kann die Lin-
ke ja immer kritisieren, für Praktikanten und so;
aber in Zeiten, in denen Ihr Ministerpräsident zu Wladi-
mir Putin reist und mit ihm auf enge Kooperation macht,
sollte man sich zurückhalten .
Deswegen erwarte ich von Ihnen als innenpolitischer
Sprecher von der CSU eine Interpretation, ein klares Sta-
tement, wie denn bitte die Aussage von Herrn Seehofer –
„Herrschaft des Unrechts“ – zu interpretieren ist . Legen
Sie mir das einmal aus, damit ich das verstehe!
Vielen Dank, sehr geehrter Herr Kollege von Notz . –Um auf Ihre erste Einlassung einzugehen: Ich sehe dasbeileibe nicht so lapidar . Wenn ein ehemaliger RAF-Ter-rorist, der sich des neunfachen Mordes schuldig gemachthat, von einem Kollegen in diesem Haus als Angestellterbeschäftigt werden soll,
dann ist das aus meiner Sicht ein Skandal . Sonst zitierenSie ja doch immer so gerne Skandale .
Stephan Mayer
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Jetzt zu Ihren beiden konkreten Fragen .
Der russische Präsident Putin ist mit Sicherheit kein ein-facher Verhandlungspartner .
Ich sage auch ganz offen: Er hat zutiefst völkerrechts-widrig gehandelt, als die Krim annektiert wurde . Abereines gehört aus meiner Sicht auch mit zur Wahrheit: Wirhaben derzeit derart viele globale Konfliktherde,
und wir werden die Russen bei der Lösung dieser Kon-flikte brauchen, ob wir wollen oder nicht.
Man muss mit den Russen und auch mit dem russischenPräsidenten sprechen, wenn es darum geht, die Situationim Mittleren und im Nahen Osten in den Griff zu be-kommen . Auch wenn es darum geht, den Ukraine-Russ-land-Konflikt zu lösen, muss man den Gesprächsfadenmit den Russen wieder aufnehmen .
Herr Kollege von Notz, ich glaube nicht, dass in derWeltgemeinschaft und zwischen den Staats- und Regie-rungschefs momentan zu viel gesprochen wird, sondernich glaube, dass zu wenig gesprochen wird, um das klarzu sagen .
Der bayerische Ministerpräsident hat die Punkte, die esanzusprechen gilt, bei seinem Besuch in Moskau sehrwohl kritisch angesprochen .
Aber eines muss klar sein: Man muss miteinander reden .Nur wenn wir miteinander reden, kommen wir bei derLösung dieser Konflikte weiter.
Zu Ihrer zweiten Frage, Herr Kollege von Notz, zumThema „Herrschaft des Unrechts“ .
Es ist nun einmal so – das ist auch die abgestimmteRechtsposition der Bundesregierung –, dass die Vorgän-ge an den deutschen Außengrenzen, insbesondere an derbayerisch-österreichischen Grenze, derzeit so sind, dassZurückweisungen rechtlich möglich wären .
Es ist eine politische Frage, ob man zu dieser Maßnahmegreift .
Ich würde nicht zuallererst zu dieser Maßnahme greifen;aber der Hinweis darauf, dass diese größtenteils unkon-trollierte und unregistrierte Zuwanderung, insbesondereEnde letzten Jahres,
nicht im Einklang mit deutschem Recht war, ist aus mei-ner Sicht vollkommen richtig und legitim .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,CDU und CSU sind gemeinsam Taktgeber, wenn es da-rum geht, diese große Herausforderung in den Griff zubekommen . Vieles von dem, was jetzt im Rahmen desAsylpakets II ansteht, hätten wir gerne – auch das sageich hier ganz offen – schon weitaus früher verabschiedet .
Nun hat es etwas länger gedauert; aber was lange währt,wird endlich gut .Wir verfolgen ganz deutlich drei Ziele:Zum einen geht es darum, falsche Anreize zu reduzie-ren – mit Blick auf diejenigen, die kein Recht haben, inDeutschland Asyl zu bekommen oder als Flüchtling an-erkannt zu werden . Wir haben dazu – dies ist auch einmalklar zu sagen – im letzten Jahr weitreichende Maßnah-men ergriffen . Ich bin der festen Überzeugung, wir soll-ten alle stärker über das reden, was wir im vergangenenJahr an gesetzlichen Maßnahmen verabschiedet haben,zum Beispiel darüber, dass der gesamte Westbalkan jetzteine sichere Herkunftsregion ist, was dazu geführt hat,dass kaum mehr ein Bewerber aus den sechs Ländern deswestlichen Balkans kommt; dass wir wieder zum Sach-leistungsprinzip zurückgekehrt sind – das Sachleistungs-prinzip hat Vorrang vor dem Geldleistungsprinzip –; dasses die Möglichkeit gibt, Sozialleistungen für diejenigenzu reduzieren, die ausreisepflichtig sind, unser Land abernicht verlassen . Das meine ich mit Reduzierung falscherAnreize . Das ist ein elementares Ziel .
Stephan Mayer
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Des Weiteren geht es darum, die Verfahren zu be-schleunigen . Auch hier haben wir durchaus sehr weit-reichende und auch sehr zielgerichtete Maßnahmenvorangebracht . Wir haben im letzten Monat das Daten-austauschverbesserungsgesetz verabschiedet . Das führtdazu, dass jetzt eine lückenlose Registrierung ermöglichtwird – unmittelbar nach dem Eintritt in das Bundesge-biet .Wir reichen ab Beginn des Februars einen Ankunfts-nachweis an alle Flüchtlinge aus, die neu zu uns kom-men . Auch dies ist ein wichtiger Bestandteil im Maßnah-menkatalog der Bundesregierung und der sie tragendenFraktionen .Das dritte Ziel ist – das gehört auch zur Wahrheit mitdazu –, dass wir natürlich alles dafür tun müssen, dassdie hohe Zahl derjenigen, die nach wie vor unser Landerreichen, deutlich, drastisch und schnell reduziert wird .Ich sage auch ganz offen: Natürlich ist mir eine euro-päische und internationale Lösung lieber, als es mir na-tionale Maßnahmen sind . Ich unterstütze nachdrücklichunsere Bundeskanzlerin, wenn es darum geht, in Europaund gegenüber vielen europäischen Hauptstädten dafürzu werben, dass wir einen konzertierten gemeinsamenAnsatz an den Tag legen, wenn es darum geht, dieseepochale Herausforderung, die auch Europa in die größteKrise seit seinem Bestehen gestürzt hat, in den Griff zubekommen .Nur – das gehört zur Wahrheit eben auch dazu –: Dieeuropäische Lösung lässt auf sich warten . Das liegt nichtam fehlenden Einsatz und am fehlenden Engagement derBundeskanzlerin, sondern das liegt bedauerlicherweisedaran, dass immer mehr nationale Egoismen in vielenHauptstädten der Europäischen Union um sich greifen .Deshalb – das sage ich ganz deutlich – müssen wirauch als Nationalstaat weiterhin handeln . Das Asylpa-ket II ist ein wichtiger und maßvoller Bestandteil in die-sem Maßnahmenkatalog .Noch eines zum Thema „Aussetzung des Familien-nachzugs“, weil das von Ihnen vielmals als inhuman undskandalös diskreditiert wurde .
Bis zum 1 . August letzten Jahres war der Familiennach-zug für subsidiär Schutzberechtigte ausgesetzt . Wir keh-ren schlichtweg nur zu dem Rechtszustand zurück, derbis zum 1 . August 2015 gegolten hat,
an dem Sie auch nie irgendeinen Anstoß genommen ha-ben .
Jetzt plötzlich sagen Sie, alles wäre unheimlich un-menschlich und skandalös . Bis zum 1 . August haben Siedaran überhaupt keine Kritik geübt .
Um das auch zu sagen: Es ist bedauerlicherweise einhäufig praktiziertes Geschäftsmodell der Schlepper undSchleuser, dass sie minderjährige Kinder voranschicken,um damit zu erreichen, dass diese ihre Eltern nachziehenlassen können .
Wir dürfen dieses Geschäftsmodell der Schlepper undSchleuser hier nicht zum Tragen kommen lassen . Ganzim Gegenteil: Wir müssen ihnen einen Strich durch dieRechnung machen .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werdenmit diesem Gesetzespaket auch die Abschiebungen er-leichtern . Gestatten Sie einige Bemerkungen zum The-ma Abschiebungen . Die Abschiebungen haben sich vomJahr 2014 auf das Jahr 2015 verdoppelt . Das ist gut, aberich sage ganz offen: Da sind alle Länder aufgefordert,sich noch mehr nach der Decke zu strecken und mehrzu tun .15 Bundesländer haben es geschafft, die Abschiebe-zahlen zu erhöhen . Bayern zum Beispiel hat sie vervier-facht . Ein einziges Bundesland war so erfolgreich – inAnführungszeichen – und hat es geschafft, im Jahr 2015weniger Personen abzuschieben als im Jahr 2014 . Daswar, Herr Bartsch, ausgerechnet das Bundesland, in demein Linker Ministerpräsident ist – Gratulation!
Wenn dann dieser linke Ministerpräsident noch dazuankündigt, dass er nicht bereit ist, der Aufforderung desBundesinnenministers zu folgen, ausreisepflichte afgha-nische Staatsbürger zu melden und diese in ihr Heimat-land abzuschieben, halte ich das für skandalös; das sageich klar, Herr Bartsch .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch eineletzte kurze Bemerkung zum Ausweisungsrecht . Diejetzt beabsichtigte Verschärfung des Ausweisungsrechtsist sachgerecht, weil auch eines zur Wahrheit gehört: Wersich ein derart schädliches und schäbiges Verbrechen hatzuschulden kommen lassen – –Stephan Mayer
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Herr Kollege Mayer, gestatten Sie noch eine Zwi-
schenfrage der Kollegin Brantner?
Selbstverständlich, sehr gerne .
Herr Kollege Mayer, ich wollte Sie fragen zu den Ab-
schiebungen, die Sie erwähnt haben – vierfach höhere
Abschiebungszahlen in Bayern –, und zur Statistik . Ist
Ihnen bewusst, dass die Bayern als einzige alle, die sie
nicht mehr auffinden, mit zu denjenigen zählen, die frei-
willig ausgereist sind?
Wenn man diese Zahlen herausrechnet – alle anderen
Bundesländer sagen nicht, dass diejenigen, die sie nicht
mehr auffinden, offensichtlich ausgereist sind –, ist der
Unterschied zwischen Bayern und den anderen Bundes-
ländern gar nicht mehr so groß . Sind Sie auch dafür, dass
man das harmonisiert und sich darauf einigt, dass nur
noch die, von denen man sicher ist, dass sie ausgereist
sind, auch als Ausgereiste zählen?
Sehr verehrte Frau Kollegin Brantner, mir geht es jagar nicht darum, Bayern zu glorifizieren.
– Nein, das meine ich wirklich sehr ernst . – Ich habe zuBeginn meiner Rede wirklich ernsthaft darauf hingewie-sen, dass wir alle ein Interesse daran haben müssen, dassder innere Zusammenhalt unseres Landes so bleibt, wieer jetzt ist .
Ich sehe die große Gefahr, dass nicht nur Parteien aus-einanderdiffundieren, sondern dass wir momentan auchunser Land auf einen Weg bringen, auf dem es sich eherauseinanderentwickelt als beieinanderbleibt .Aber um eines klar zu sagen: Es ist nun einmal so,dass die Abschiebepolitik in Bayern konsequenter undeffektiver ist als in vielen anderen Bundesländern .
Es gibt manche Bundesländer, die nicht einmal mehrüber entsprechende Möglichkeiten verfügen, abzuschie-bende Personen in Gewahrsam zu nehmen . Manche Bun-desländer wie Schleswig-Holstein machen es sich ganzeinfach: Sie haben überhaupt kein Abschiebegefängnis .In der Konsequenz werden natürlich auch deutlich we-niger Abschiebungen durchgeführt als in anderen Bun-desländern .
Bayern und vor allem der bayerische Innenminister ma-chen eine sehr konsequente Abschiebepolitik .Um auch dies klar zu sagen: Nur durch konsequen-te und effektive Abschiebungen wird auch das richtigeSignal an die Länder gesetzt, in denen sich potenzielleFlüchtlinge aufhalten – dass es unter diesen Gegeben-heiten keinen Sinn mehr macht, sich auf diesen gefahr-vollen, für viele bedauerlicherweise sogar tödlichen Wegnach Europa zu machen –, weil dadurch festgestellt wird:Wenn eine Person ausreisepflichtig ist, dann muss sie un-ser Land in der Konsequenz schnell und zügig verlassen .
Natürlich sind mir freiwillige Ausreisen lieber alszwangsweise Abschiebungen . Natürlich wäre es schön,wenn mehr Personen der Aufforderung nachkämen,unser Land freiwillig zu verlassen . Aber in der letztenKonsequenz muss der Staat natürlich handlungsfähigbleiben und die Personen, die nicht bereit sind, freiwilligdie Rückreise anzutreten, zwangsweise in ihr Heimatlandzurückführen .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,eine letzte Bemerkung zum Thema Ausweisungsrecht .Die vorgeschlagene gesetzliche Regelung zur Verschär-fung des Ausweisungsrechts ist alles andere als Symbol-politik oder Aktionismus . Sie ist aus meiner Sicht einesehr maßvolle, sachgerechte Ergänzung des bisherigenAusweisungsrechts, weil klargemacht wird: Wenn sichjemand ein schändliches Verbrechen gegen die sexuel-le Integrität, gegen die körperliche Unversehrtheit, ge-gen das Leben oder gegen das Eigentum hat zuschuldenkommen lassen, dann hat er damit auch sein Bleiberechtin Deutschland verwirkt und muss unser Land zügig ver-lassen .
In diesem Sinne: Ich glaube, das Gesetzespaket, dasheute eingebracht wird – das Asylpaket II und die Ver-schärfung des Ausweisungsrechts –, ist sachgerecht undmaßvoll . An diesem Gesetzespaket wird auch deutlich:Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionensind handlungsfähig . Wir stehen vor einer großen He-rausforderung . Wir haben noch weitere große Herausfor-
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derungen und Probleme vor uns . Aber mit diesem Paketwerden wir konsequent reagieren . Deshalb bitte ich umeine zügige Behandlung in den Ausschüssen und dannauch um eine zügige Verabschiedung hier im DeutschenBundestag .
Nächster Redner ist Herr Landesinnenminister Ralf
Jäger .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Herr Präsident . – Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Der Satz „Wir schaffen das“ wirdirgendwann vermutlich in die Geschichtsbücher einge-hen . Dieser Satz beinhaltet zunächst ein Versprechen, einVersprechen an die Flüchtlinge, die nach Deutschlandfliehen. Er ist zugleich aber auch eine Verpflichtung fürdiejenigen, die ihn umsetzen sollen und müssen .Wer ist eigentlich „wir“? Ein Dach über dem Kopforganisieren, die Versorgung sicherstellen, die Flüchtlin-ge registrieren, sie medizinisch betreuen, die Sprachver-mittlung organisieren, Kindergartenplätze zur Verfügungstellen, die Beschulung organisieren, schlichtweg Inte-gration leisten, das ist die Leistung der Länder, aber vorallem der Kommunen .
Der Bund hat eine wichtige Aufgabe: Asylanträge zu be-arbeiten .
Meine Damen und Herren, die Länder und ich selbsterkennen die besonderen Bemühungen der Kanzlerin,von Außenminister Steinmeier und auch von Herrn Bun-desinnenminister de Maizière, eine europäische Lösungim Hinblick auf den Flüchtlingsstrom nach Europa undnach Deutschland zu suchen, ausdrücklich an . Aber in derZeit dieser Bemühungen geht das Tagesgeschäft für Län-der und Kommunen weiter . Das bedeutet, dass sie jedenTag weitere, zusätzliche Menschen unterzubringen ha-ben – jeden Tag zusätzliche . Von einer entspannten Lagekann definitiv nicht gesprochen werden, auch wenn dieZahlen jetzt etwas zurückgegangen sind . Allein in Nord-rhein-Westfalen haben wir nur im Januar 19 000 Men-schen nach dem Königsteiner Schlüssel untergebracht .Tatsächlich sind übrigens 27 000 angekommen . All diesemüssen registriert, geröntgt und untergebracht bzw . be-herbergt werden . Mit dem „wir“ im Satz „Wir schaffendas“ sind auch unsere Kommunen gemeint, die Unglaub-liches leisten .
Der Alltag in den Städten und Gemeinden ist zurzeit24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche, Obdach-losigkeit zu vermeiden . Das ist im letzten Jahr gelun-gen – im Übrigen auch durch unzählige Freiwillige, diezum Teil ihren Jahresurlaub genommen oder mit ihremArbeitgeber das Agreement getroffen haben, statt zuarbeiten, in der Flüchtlingsunterbringung tätig zu sein .Nach meinem Eindruck lässt das auch nicht nach . Dasalles ist in den Kommunen dieses Landes geleistet wor-den. In denselben Kommunen finden aktuell aber auchDiskussionen darüber statt, die Grundsteuer B oder dieGewerbesteuer erhöhen und Bibliotheken oder Jugend-zentren schließen zu müssen, weil die Kosten der Flücht-lingsunterbringung so hoch geworden sind . Deshalbmeine Anregung: Man kann Haushaltsüberschüsse auchdafür nutzen, die Kommunen in diesem Land zu entlas-ten .
Die Kommunen haben die größte Last zu tragen; siemüssen die Menschen unterbringen und ihnen das vorOrt auch erklären .Das Asylpaket II ist wichtig . Das gilt auch in Bezugauf das Thema Rückführung; denn ich bin zutiefst davonüberzeugt, dass es die große Akzeptanz, diese Willkom-menskultur, die in Deutschland herrscht – allein im letz-ten Jahr wurden 1 Million Flüchtlinge aufgenommen –,nur dann weiterhin geben wird, wenn der Rechtsstaatdeutlich macht, dass diejenigen, die keinen Schutz brau-chen, zurückkehren müssen, und zwar so schnell wiemöglich, weil das nur fair ist, bevor Integrationsprozessebeginnen und später abgebrochen werden müssen .
Das, was heute hier zum Asylpaket II und zur Rück-führung beraten wird, kann nur der erste Schritt sein .Auch wenn es zukünftig leichter sein soll, schneller zu-rückzuführen, steht die Rückführung immer nur am Endeeines Asylverfahrens, und die Asylverfahren in Deutsch-land dauern trotz aller Anstrengungen und trotz aller Be-mühungen des Bundesamtes für Migration und Flücht-linge nach wie vor viel zu lange .
Herr Strobl, die durchschnittliche Bearbeitungs-dauer des Asylantrags eines Asylsuchenden aus denMaghreb-Staaten dauert ganz konkret 14,7 Monate nachAntragstellung .
Bis zur Antragstellung hat dieser Mensch acht Monatezu warten . Das heißt, weil diese Verfahren zu lange dau-Stephan Mayer
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ern, sind Menschen, die eigentlich keinen Anspruch aufSchutz haben, fast zwei Jahre hier .
Um auch das deutlich zu sagen, Herr Strobl: Ihre Ar-gumentation, dass die Aufnahme der Westbalkanstaa-ten in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu einemRückgang der Asylbewerber aus diesen Staaten geführthat, ist falsch .
Nicht dadurch, dass diese Staaten zu sicheren Herkunfts-ländern erklärt wurden, sondern lange davor – durchMaßnahmen des Bundesinnenministers, des Bundesau-ßenministers und vieler anderer Beteiligte – ist es insbe-sondere in Albanien gelungen, die Menschen davor zubewahren, ihre eigene Existenz aufzugeben, Hab und Gutzu verkaufen und die Schleuser zu finanzieren, um sichdann irgendwann vor dem Nichts dort wiederzufinden.
– Herr Strobl, wenn Sie sich die Zahlen anschauen, wer-den Sie feststellen, dass diese Zahlen, lange bevor derDeutsche Bundestag die Liste der sicheren Herkunfts-staaten erweitert hat, deutlich gesunken sind . Herr Strobl,Ihre Argumentation hält einem Realitätscheck nichtstand .
Meine Damen und Herren, die Ausweisung ist nichtzugleich die Abschiebung .
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Strobl?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Von Herrn Strobl immer .
Verehrter Herr Minister Jäger, sind Sie bereit, Fol-
gendes zur Kenntnis zu nehmen: Natürlich hat es viele
flankierende Maßnahmen – durch den Bundesinnenmi-
nister, durch den Bundesaußenminister – in den Westbal-
kanstaaten gegeben . Gleichwohl hatten wir die Situation,
dass über das gesamte Jahr 2014 knapp die Hälfte aller
Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind, vom
Westbalkan kamen – Schutzquote: null . Das ging noch
bis zum August des Jahres 2015 so . Im Herbst ist dann
unsere Gesetzgebung in Kraft getreten, mit der wir den
gesamten Westbalkan zu einer sicheren Herkunftsregion
gemacht haben, und exakt ab diesem Zeitpunkt sind die
Zahlen
auf nahezu null zurückgegangen .
Allein aufgrund dieses zeitlichen Zusammenhangs
finde ich, dass es eine gute Gesetzgebung gewesen ist,
die SPD und CDU/CSU im Deutschen Bundestag ge-
macht haben und der verschiedene Länder mit SPD-Re-
gierungsbeteiligung zu Recht im Bundesrat zugestimmt
haben . Diese gute Gesetzgebung sollten wir aus den von
Ihnen zu Recht genannten Gründen schnellstmöglich
auch auf die Maghreb-Staaten übertragen .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Strobl, Sie haben mich gefragt, ob ich bereitbin, das zur Kenntnis zu nehmen: eindeutig nein, weiles falsch ist .
Herr Strobl, Sie bekommen als Bundestagsabgeordnetermonatlich die statistischen Daten des Bundesamtes fürMigration und Flüchtlinge . Schauen Sie rein!
Dann werden Sie feststellen, dass im Februar 2015 –exakt zur Zeit des rheinischen Karnevals – die Zahl derAsylsuchenden aus dem Kosovo extrem gestiegen ist
– in der Tat: 1 500 am Tag, allein in Nordrhein-Westfalen300 bis 400 pro Tag – und dass es durch Maßnahmenim Kosovo, durch Kommunikation, durch Gespräche, dieBundesminister und Landesminister im Kosovo geführthaben, gelungen ist, diese Zahlen bis April/Anfang Maideutlich zu senken .
– Herr Strobl, Sie haben doch eine Frage gestellt undwollen die beantwortet bekommen .
In der Zwischenzeit stiegen die Zahlen aus Albanienab April/Mai extrem an, über den ganzen Sommer . Eshat uns wirklich vor eine extreme Herausforderung ge-stellt, für diese Menschen Betten und ein Dach über demMinister Ralf Jäger
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Kopf zu organisieren . Aber Tatsache ist: Als der Deut-sche Bundestag das Gesetz über sichere Herkunftsstaatenbeschlossen hat, waren diese Zahlen schon längst wiederunten .
Ich will damit ja nicht sagen, dass dieses Gesetz falschist . Ich will damit nur sagen: Allein ein Land in die Listeder sicheren Herkunftsländer aufzunehmen, führt nichtdazu, dass die Menschen dieses Land nicht verlassenwollen, Herr Strobl .
Das müssen Sie jetzt bitte einmal zur Kenntnis nehmen .Wir waren bei der Debatte an dem Punkt – –
Herr Minister, der Kollege Beck möchte ebenfalls
eine Frage an Sie richten .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Selbstverständlich .
Einen Teil meiner Frage haben Sie schon durch die
Frage von Herrn Strobl beantwortet . Ich wollte Sie fra-
gen, ob Sie sich mit mir gemeinsam auch daran erinnern,
dass zum Jahresanfang, nach der Erweiterung der Liste
der sicheren Herkunftsstaaten um drei Länder, einerseits
im Fall des Kosovo die Zahlen drastisch zurückgegangen
sind –
das haben Sie gerade bestätigt – und andererseits im Fall
von Serbien, obwohl es zu diesem Zeitpunkt ein sicherer
Herkunftsstaat war, die Zahlen praktisch stabil geblieben
sind, was zeigt, dass es offensichtlich mehr auf die In-
formationspolitik in den Ländern ankommt als auf die
Einstufung als sicherer Herkunftsstaat, wenn man ver-
hindern will, dass Menschen, die keinen Schutzanspruch
haben, sich auf die Reise machen .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Beck, das ist präzise zutreffend .
Meine Damen und Herren, ich bin bei dem Punkt,dass Ausweisung noch keine Abschiebung ist . Wenndie Heimatstaaten ihre Staatsbürger nämlich nicht zu-rücknehmen – weil sie unkooperativ sind, weil sie sichverweigern, Passersatzpapiere, die für die Rückführungzwingend erforderlich sind, auszustellen –, dann helfenauch im Gesetz verankerte leichtere Ausweisungen nichtweiter . Im Gegenteil: Im Ergebnis werden die Zahlen derGeduldeten in den Bundesländern steigen . Ich weiß, dassder Bundesinnenminister und der Bundesaußenministerzurzeit viele Flugmeilen leisten, um in dieser Frage Lö-sungen zu finden. Aber wir brauchen auch Ergebnisse.Diskussionen über leichtere Rückführungen in sichereHerkunftsstaaten, Herr Strobl, sind nur Makulatur, wennam Ende eine Abschiebung nicht durchgeführt werdenkann .Meine Damen und Herren, all das sind Probleme, mitderen Folgen die Länder, aber vor allem unsere Kom-munen umgehen müssen, die sie aber selbst nicht lösenkönnen . Deshalb eine Bitte: Wir brauchen wirkliche Lö-sungen . Wir brauchen eine Aufrichtigkeit in der Flücht-lingspolitik .
Wir brauchen die Solidarität der Verantwortlichen . Zudieser Solidarität gehört auch, dass die Europäische Uni-on keine Arbeitsgemeinschaft zur Verteilung von Förder-mitteln ist, sondern auf Grundlage von Werten wie Hu-manität und Solidarität gegründet wurde .
Dieses Land verändert sich durch den Zustrom von1 Million Flüchtlinge – wir wissen nicht, wie viele esdieses Jahr sein werden – rasant . Dieses unglaublicheTempo gehen viele in diesem Land mit, manche sogarmit Begeisterung . Manche Menschen in diesem Land ha-ben Skepsis, andere machen sich Sorgen, manche habensogar Angst . Ich glaube, wenn man Menschen, die Angsthaben, nicht aus unserem gemeinsamen demokratischenund politischen Koordinatensystem treiben will, dannsollte man polternde Stammtischparolen und narkotisie-rende Scheinlösungen unterlassen .
Das gilt auch, Herr Strobl, für die Politik . Das bedeutet,bei diesem Thema nicht gegenseitig mit dem Finger aufsich zu zeigen . Vielmehr erwarten die Bürgerinnen undBürger von uns gemeinsame Lösungen .
Wer mit den Ängsten der Menschen spielt und glaubt,dass man damit politische Geländegewinne erzielenkann, der wird sich nach dem 13 . März dieses Jahres viel-leicht darüber wundern, dass davon ganz andere profitiert
und Geländegewinne gemacht haben, obwohl wir dochgemeinsam wollen, dass diese in einem demokratischenParlament nicht vertreten sind .
Minister Ralf Jäger
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Meine Damen und Herren, zu dieser Sachlichkeit undEhrlichkeit gehört auch, zu sagen, dass es eine schnelleLösung für den Flüchtlingsstrom nach Deutschland nichtgeben wird, sondern dass wir weiterhin einen langenAtem brauchen, dass wir aber im Rahmen dieser Sach-lichkeit zugleich das wahrnehmen, was draußen pas-siert, Herr Strobl, und gelegentlich einen Realitätscheckdurchführen .Es war für Länder und Kommunen ein hartesJahr 2015 . Die Länder haben inzwischen fast durchwegstabile Aufnahmesysteme . Das kriegen wir hin .
Aber daran, ob unsere Kommunen ein solches Jahr nocheinmal schaffen, gibt es wirklich Zweifel .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin
Nina Warken .
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! In den letzten Tagen war vielKritik bezüglich der Gesetzentwürfe, die wir heute be-raten, zu hören; auch in der Debatte wurde damit nichtgespart . Wir hörten, das Asylpaket II sei gesetzeswidrig,eine ungerechte Verschärfung – von einer Gängelung derFlüchtlinge und einer Aushöhlung des Asylrechts war dieRede; „Populismus“, „hilflos“ und „schäbig“ waren dieWorte – und dass das alles nichts bringen würde .Wenn man aber so argumentiert, darf man sich fol-genden Tatsachen nicht versperren: Tausende Menschenkommen täglich zu uns, obwohl sie bereits in einem an-deren Land Schutz gefunden haben oder Schutz findenkönnten .
Unter den Asylbewerbern sind auch Kriminelle, die beiuns Straftaten begehen . In manchen Fällen wird ein Asyl-antrag nur gestellt, um Sozialleistungen zu bekommen .Kinder und Jugendliche werden auf eine lebensgefähr-liche Reise geschickt, damit dann auch ihre Eltern nachDeutschland kommen dürfen . Abgelehnte Asylbewerberwerden vor allem in rot-grün regierten Bundesländernnur unzureichend abgeschoben . – All das ist inzwischenAlltag in Deutschland geworden und findet deshalb keinVerständnis in der Bevölkerung . Die Bürger erwartenvon uns, dass wir gegen Missbrauch und Fehlentwick-lungen vorgehen, die mit dem Schutz vor Verfolgung reingar nichts zu tun haben .
Genau das tun wir mit den Gesetzentwürfen, die wir heu-te hier beraten .Was Sie, werte Kollegen von der Opposition, wollen,um die Lage zu bewältigen, ist auch heute offengeblie-ben . Außer Kritik war nicht viel zu hören .
Herr Jäger hat zwar Lösungen angesprochen, aber keineLösungen präsentiert . Kritisieren ist einfacher als kon-struktive Mitarbeit, hilft uns aber kein Stück weiter .
Meine Damen und Herren, betrachten wir das Ganzedoch einmal vom Ende her: Wie würde es ohne die Maß-nahmen weitergehen, die wir heute beschließen wollen?Fangen wir mit dem beschleunigten Verfahren fürAsylbewerber an, die keine Bleibeaussicht haben . 2015sind 1,1 Millionen Menschen nach Deutschland gekom-men, die sich auf das Asylrecht berufen . Das sind abernicht nur Flüchtlinge, die Anspruch auf Schutz haben .Nur 49 Prozent der 2015 gestellten Asylanträge wurdenpositiv entschieden . Das heißt, dass bei mehr als der Hälf-te keine Schutzbedürftigkeit festgestellt werden konnte .Wenn wir bei Asylbewerbern, bei denen schon beider Ankunft absehbar ist, dass sie keine Bleibeaussichthaben, nicht in kürzester Zeit entscheiden und sie inihre Herkunftsländer zurückführen, werden wir nochmehr Anreize schaffen, ohne berechtigten Grund nachDeutschland zu kommen . Deshalb ist es wichtig, dassAsylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten, Folgean-tragsteller und diejenigen, die gegen ihre Mitwirkungs-pflichten verstoßen oder die betrügen, für die Dauer desVerfahrens in speziellen Einrichtungen – idealerweise inGrenznähe – bleiben müssen . Das ist nicht nur ein klaresSignal im Sinne von „Wir nehmen nur wirklich Schutz-bedürftige auf“, sondern entlastet auch deutlich unsereKommunen bei der Unterbringung .
Man kann dabei auch nicht von Gängelung oder Aushöh-lung des Asylrechts sprechen . Nein, das sind wirkungs-volle Maßnahmen, die im Übrigen mit EU-Recht verein-bar sind .Kommen wir zur Aussetzung des Familiennachzugsfür subsidiär Schutzbedürftige . Bei diesem Thema ha-ben sich Grüne und Linke mit ihrer Kritik ja fast schonüberschlagen . Schauen wir uns aber einmal die Faktenan: Seit Anfang des Jahres kommen weiterhin 2 000 bis5 000 Menschen täglich bei uns an . Wir müssen davonausgehen, dass die Zahl der subsidiär Schutzbedürftigensteigen wird . Wenn dann noch jeder ein Recht auf Fami-liennachzug hat, werden wir am Jahresende 2 MillionenFlüchtlinge oder noch mehr haben . Die Aussetzung desFamiliennachzugs bei subsidiär Schutzbedürftigen ist da-her in der jetzigen Situation notwendig .Minister Ralf Jäger
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 156 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Februar 2016 15367
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Europarechtlich ist der Familiennachzug für dieseGruppe nicht geboten . Wir sind das einzige Land in Eu-ropa, das subsidiär Schutzbedürftigen das Recht auf Fa-miliennachzug gewährt, und es hat sich gezeigt, dass diesein Grund ist, warum Schutzsuchende unbedingt nachDeutschland wollen .
Aus unserer Sicht ist es daher geboten, die im Übrigen –auch das darf ich noch einmal klar sagen – erst zum1 . August 2015 geschaffene Rechtslage wieder auszuset-zen .Lassen Sie mich im Zusammenhang mit dem Famili-ennachzug auch klarstellen: Unter optimalen Umständenist es natürlich wünschenswert und das Beste, wenn eineFamilie zusammenbleiben kann . Da bin ich ganz bei Ih-nen . Die Forderung, dass wir beim Familiennachzug fürunbegleitete Minderjährige mit subsidiärem Schutz eineAusnahme machen und sie alle ihre Familien nachholenkönnen, wäre aber ein verheerendes Signal und unver-antwortlich . Wir würden die falschen Anreize setzen, diedazu führen, dass künftig noch mehr Kinder und Jugend-liche alleine auf eine gefährliche Reise geschickt wer-den, damit sie dann ihre Eltern nachholen können . NeueSchleppergeschäftsmodelle, die sich darauf konzentrie-ren, wären vorprogrammiert . Das sagt auch der schonerwähnte Experte Rupert Neudeck .Es ist auch schlichtweg falsch, zu behaupten, dass dieAussetzung des Familiennachzugs für unbegleitete Min-derjährige gegen das Grundgesetz, die UN-Kinderrechts-konvention oder die europäische Grundrechtechartaverstößt . Die UN-Kinderrechtskonvention zum Beispielschreibt nicht vor, dass die Familienzusammenführungin Deutschland erfolgen muss, und gewährt auch nichtunmittelbar einen Anspruch darauf . Sie hat das Wohlder Kinder und Jugendlichen im Blick, und das ist inDeutschland gegeben . Kinder und Jugendliche werden inObhut genommen, betreut und versorgt und haben hiereine Chance auf eine gute Ausbildung .Liebe Kollegen, wenn auch Sie den Schutz und dasWohl der Kinder und Jugendlichen im Blick haben, kön-nen Sie nicht ernsthaft eine solche Gefährdung der Kin-der und Jugendlichen in Kauf nehmen wollen .
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, betrachtenwir schließlich noch die geplanten Maßnahmen zur Be-seitigung von Rückführungshindernissen . Es leben zur-zeit rund 200 000 Menschen in Deutschland, die eigent-lich ausreisen müssten . Es mag in vielen Fällen zutreffen,dass eine Ausreise, zum Beispiel aus gesundheitlichenGründen, nicht möglich ist . Aber wir müssen leider fest-stellen, dass in vielen Fällen Krankheiten vorgetäuschtwerden, nur um nicht abgeschoben zu werden . Das istgegenüber denjenigen, die tatsächlich unseren Schutzbrauchen, nicht gerecht . Wir müssen diesen Missbrauchdringend abstellen . Das tun wir mit klaren gesetzlichenAnforderungen an ärztliche Atteste und der Regelung,dass Abschiebungshindernisse aus gesundheitlichenGründen nur noch bei lebensbedrohlichen Krankheitenbestehen . Letzten Endes kommt es aber auf den politi-schen Willen der Landesregierungen an, die Ausreise-pflichtigen tatsächlich abzuschieben. Wenn dort der Wil-le fehlt – auch das sage ich ganz deutlich –, können wirauf Bundesebene noch so viel regeln .Meine Damen und Herren, Sie sehen, wie wichtig undgleichermaßen wirksam die Maßnahmen sind, über diewir hier heute diskutieren, und dass sie auch rechtmäßigsind . Kaum ein Land auf der Welt hat das Recht auf Asylin seiner Verfassung festgeschrieben wie wir in unseremGrundgesetz . Wir behandeln die Menschen, die zu unskommen und Schutz suchen, anständig und haben diehöchsten Standards bei der Unterbringung und Versor-gung von Flüchtlingen . Damit wir das alles aufrechter-halten können, müssen wir noch stärker differenzieren,wer tatsächlich auf unseren Schutz angewiesen ist . Wirmüssen Missstände und Fehlentwicklungen korrigieren .Lassen Sie uns deshalb die vorliegenden Gesetzentwürfein den Ausschüssen zügig beraten und beschließen .Vielen Dank .
Nächster Redner ist der Kollege Burkhard Lischka für
die SPD .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sindnicht die ersten und werden wohl auch nicht die letztenGesetzentwürfe zum Thema „Asyl und Flüchtlinge“ sein,über die wir im Deutschen Bundestag beraten . Dafür istdas Thema zu beherrschend . Das Thema polarisiert undverunsichert viele . Es stellt aber auch sehr grundlegendeFragen an uns: Was hält uns in Deutschland eigentlichzusammen? Was verbindet uns in Europa? Welche Re-geln müssen wir alle, egal ob Einheimische oder Einwan-derer, akzeptieren? Was ist wünschenswert, und wo setztuns die Realität Grenzen?Es gibt in diesen Tagen – genauso wie in anderenbesonders schwierigen Debatten – Protagonisten, diedie Illusion nähren, es gebe auf all diese Fragen eineganz einfache Antwort: Grenzen dicht und, wenn nötig,auch Schusswaffengebrauch . Das ist die Alternative fürDeutschland, die in diesen Tagen aufgezeigt wird . Aus-gerechnet Deutschland, ein Land, in dem bis vor gut25 Jahren Schusswaffengebrauch und Schießbefehl trau-rige und menschenverachtende Realität an einem Teilseiner Grenzen waren! Gerade dieses Land sollte sichdarin einig sein, nie wieder über Schüsse an der deut-schen Grenze zu reden . Eine erbärmliche Alternative fürDeutschland wäre das sonst .
Nein, es sind viele Mosaiksteine, die wir in diesenTagen und Wochen für eine Lösung zusammensetzenmüssen, indem wir beispielsweise für eine zügige Re-Nina Warken
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gistrierung der hier Ankommenden sorgen, für schnelleAsylverfahren und Entscheidungen . Wer vor Krieg undBürgerkrieg flieht, genießt Schutz. Die anderen werdenwir zurückführen . Für all das präzisieren wir im Asylpa-ket II unsere gesetzlichen Grundlagen und Instrumente;das ist auch richtig so . Aber es liegt jetzt am zuständigenBundesinnenminister, all das, was wir in den vergange-nen Wochen und Monaten beschlossen haben, konse-quent umzusetzen .
Das erwarten wir von Ihnen, Herr de Maizière, und daranwerden wir Sie in den nächsten Monaten auch messen .
Ein weiteres Signal geht von den heutigen Gesetzent-würfen insbesondere beim Ausweisungsrecht aus . Einefreie Gesellschaft muss nicht homogen sein . Sie hat Platzfür unterschiedliche Ethnien, Religionen und auch Mei-nungen . Aber es muss klar sein, welche Regeln gelten .Dazu gehört: Wer hier nach Deutschland kommt, mussunsere Gesetze respektieren . Wenn er grob dagegen ver-stößt, indem er schwere Straftaten begeht, muss er unserLand wieder verlassen . Ja, Einwanderung bietet vieleChancen für eine Gesellschaft, die älter wird und der inden nächsten Jahren Millionen Fachkräfte fehlen werden .Aber eine Einwanderungsgesellschaft ist auch anstren-gend . Wir müssen uns darauf einlassen, denjenigen, diezu uns kommen, unsere Regeln zu erklären . Andershe-rum müssen sich die Einwanderer darauf einlassen, ihreneue Heimat zu verstehen und unsere Gesetze zu respek-tieren . Beides gehört zusammen, und beides wird unsnoch viel Mühe kosten .Eines ist aber auch klar: Wer das Flüchtlingsproblemnicht als europäisches Problem sieht, belügt in diesenTagen sein Publikum . Natürlich können wir Grenzenschließen und ignorieren, dass Millionen Flüchtlingeunter erbärmlichen Bedingungen leben . Klar geht das .Augen zu und durch . Die Frage ist nur: Und dann? Wielange geht das gut? Wie lange geht es uns gut?Deutschland ist ein Land, das gut dasteht . Das hat vielmit offenen Grenzen, mit offenen Handelswegen, mit ei-nem freien Reise- und Warenverkehr zu tun, mit stabilenNachbarländern . Da steht in diesen Tagen verdammt vielauf dem Spiel . Deshalb war und ist es richtig, dass geradedie deutsche Bundesregierung immer und immer wiederversucht, zumindest in Ansätzen zu einer europäischenLösung zu kommen . Reden, verhandeln, streiten, wiederreden und verhandeln – alles ohne Erfolgsgarantie, wohlwissend, dass dieses Europa gerade in der Flüchtlingsfra-ge auch krachend scheitern kann .Aber ist das wirklich schwache Politik, ist das naivePolitik, oder ist es nicht naiv, zu glauben, bei einem Eu-ropa der geschlossenen Grenzen und der Grenzzäune wä-ren alle Probleme gelöst?
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, es zeichnet gera-de demokratische Politik aus, dass sie die Fähigkeit be-sitzt, Dinge, auch wenn sie schwierig sind, zum Guten zuwenden. Ich finde, dieses Bemühen hat gerade in diesenTagen jedwede Unterstützung verdient .Recht herzlichen Dank .
Abschließende Rednerin in dieser Debatte ist die Kol-
legin Andrea Lindholz für die CDU/CSU .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die In-tegration der vielen Schutzbedürftigen in Deutschlandkann nur funktionieren, wenn wir die viel zu hohen Zu-wanderungszahlen spürbar und dauerhaft senken; dennnur eine kontrollierte Migration ermöglicht auch einevernünftige Integration .
Wir müssen aber auch unsere demokratischen Grundwer-te wie die Religionsfreiheit, die Meinungsfreiheit, aberauch die Gleichberechtigung von Mann und Frau kom-promisslos vertreten und einfordern .Die Übergriffe in der Silvesternacht in Köln und ande-ren Städten waren ein gezielter Angriff auf die Würde derbetroffenen Frauen . Sehr geehrter Herr Minister Jäger,ich hätte mir heute von Ihnen gewünscht und es auch er-wartet, dass Sie hier zwei, drei Sätze zu den Übergriffenin Köln sagen,
vielleicht auch etwas zu den Frauen und zu dem, was ih-nen dort passiert ist . Stattdessen ergießen Sie sich in ei-nem Zahlenspiel, was die Frage der Rückführungen oderdes Rückgangs der Zahlen aus dem Westbalkan angeht .Ich will Ihnen eines sagen: Sie haben sicherlich recht,wenn viele Maßnahmen dazu beigetragen haben, abereine Maßnahme ist die Einordnung als sichere Her-kunftsstaaten,
weil sie zu einer Beweislastumkehr führt und weil sie –das sage ich Ihnen als Juristin, aber das haben uns auchSachverständige bestätigt – natürlich zu schnelleren Ver-fahren, zu kürzeren Zeiten bei den Bescheiden und damitauch zu einer gewissen – –
– Das ist überhaupt keine Märchenstunde, Herr KollegeNotz . Sie sind, glaube ich, auch Jurist, und Sie wissen,dass es genauso ist, dass es zu einer Beweislastumkehrführt .
Burkhard Lischka
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Das alles zusammen genommen führt zu einem Rück-gang . Es ist richtig und wichtig, dass wir bei einer An-erkennungsquote von noch nicht einmal 1 Prozent, vonunter 1 Prozent, diese Schritte gegangen sind .
Frau Kollegin Lindholz, gestatten Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Brantner?
Ich lege diesen einen Gedanken noch zu Ende dar .
Ein weiterer Hinweis: In keiner Weise sind Sie darauf
eingegangen, wie die Abschiebungen in Nordrhein-West-
falen vorgenommen werden . Dort kommt auf zwölf Aus-
reisepflichtige eine Abschiebung. In Bayern liegt das
Verhältnis bei eins zu vier .
Auch dazu haben Sie heute nichts gesagt . Ich würde
hier von Ihnen auch erwarten, dass Sie Vorschläge an
die Bundesregierung machen, die hier seit Monaten ver-
schiedenste Gesetzespakete, die auch gewirkt haben und
wirken werden, auf den Weg gebracht hat .
Jetzt kann die Kollegin Brantner die Zwischenfrage
stellen .
Über die Zahlen und über die Statistikbildung der
Bayern haben wir schon gesprochen . Aber ich möchte,
weil Sie die Frauenrechte und den Schutz von Frauen an-
gesprochen haben, von Ihnen gern noch einmal hören,
warum es die CDU wirklich verhindert hat, dass es zum
Schutz von Frauen und Kindern in Flüchtlingsunterkünf-
ten kommt, dass dort das Bundeskinderschutzgesetz gilt,
wenn Sie doch die Frauenrechte so hochhalten .
Frau Kollegin, bei uns in Deutschland gilt das Kindes-wohl nach dem Gesetz überall und in allen Einrichtungenin Bayern und in Deutschland .
Ich erwarte von Ihnen einen Blick ins Gesetz; da könnenSie es nämlich nachlesen . Ich muss Ihnen das hier alsonicht noch erklären .
– Schauen Sie doch in das SGB; da steht es drin .
– Ich habe Ihnen die Frage beantwortet .In der Debatte, so auch heute, wird oft über die Tätergeredet, und es gab schnell auch Forderungen nach mehrIntegrationshilfen . Was wir aber brauchen, sind Signalean die Frauen, sind Signale an die Opfer und klare Si-gnale des Gesetzgebers . Wer die deutsche Gastfreund-schaft derartig missbraucht, der hat keine Hilfe verdient,sondern der muss gehen .
Ich kann Ihnen als Fachanwältin für Familienrecht,die zwölf Jahre lang auch viele Frauen vertreten hat,nur sagen: Solche Übergriffe auf Frauen haben für dieseBetroffenen ganz gravierende Folgen . Sexuelle Gewaltist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen . Ich begrüßees ausdrücklich, dass der Bundesjustizminister mit unsgemeinsam an einer Verschärfung des Sexualstrafrechtsarbeitet . Ich hoffe und wünsche mir auch, dass wir daszeitnah umsetzen können und in diesem Zusammenhangauch unsere Asylgesetze entsprechend anpassen undauch noch verschärfen, weil nur dann Übergriffe wie dievon Köln im Wiederholungsfall zur Ausweisung führenkönnen . Ich bitte, das nicht zu vergessen .Fast alle der bisher ermittelten Tatverdächtigen ausder Silvesternacht haben Migrationshintergrund . Straf-taten wie diese sind Gift für die Aufnahme- und Hilfs-bereitschaft in Deutschland . Sie schaffen ein Gefühl derUnsicherheit im öffentlichen Raum, und sie gefährdenden sozialen Frieden und die Akzeptanz . Die Mehrheitder Migrantinnen und Migranten und der Flüchtlinge inDeutschland – ich will das ausdrücklich sagen – lebt hierfriedlich und ist um Integration bemüht . Sie ist genausowie die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger inDeutschland daran interessiert, dass wir klare Auswei-sungen von Straftätern aus Deutschland fordern und auchdurchführen .Wir dürfen solch kriminelles Verhalten gegen das Ei-gentum, das Leben, die körperliche Unversehrtheit, diesexuelle Selbstbestimmung und die Angriffe auf Voll-zugsbeamte nicht einfach dulden . Es ist daher richtig,dass wir in Zukunft auch solche Verurteilungen immer alsschweres Ausweisungsinteresse gewichten oder dass dieVerurteilung zu einem Jahr, auch wenn die Strafe zur Be-währung ausgesetzt wird, künftig ein besonders schwe-res Ausweisungsinteresse darstellt . Das ist ein wichtigesSignal . Ich habe für keinen Verständnis, der jetzt schonwieder in den Raum wirft, unsere Gesetze seien verfas-sungswidrig . Wir müssen den Opfern erklären, wie wirAndrea Lindholz
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als Rechtsstaat damit umgehen wollen, und das muss imVordergrund stehen .
Sehr geehrter Herr Kollege Beck, ich will Ihnen einessagen: Ich erwarte von den Menschen, die hierherkom-men und die vor Flucht und Verfolgung fliehen oder ausanderen Gründen zu uns kommen, dass sie sich integrie-ren und an unsere Gesetze halten . Das ist kein Wider-spruch, sondern das ist ein Zweiklang .
Daher muss ich auch keine Asylgesetze ändern, wenn ichIntegration einfordere .
Unsere Gesetze, alles, was wir hier beschließen, wer-den nur wirken, wenn sich auch die Abschiebepraxis inden Ländern verbessern wird und wenn die zuständigenBehörden rechtzeitig – auch in dem Fall der Verschär-fung – über Ermittlungsverfahren informiert werden . Wirregeln jetzt aktuell, dass erst die Einleitung eines Straf-verfahrens dem Bundesamt für Migration und Flüchtlin-ge gemeldet wird . Wir haben aber jetzt schon in § 72 desAufenthaltsgesetzes geregelt, dass die Ausländerbehördeüber ein Ermittlungsverfahren zu informieren ist . Es istdaher ein Widerspruch, wenn die Ermittlungsverfahrenden Ausländerbehörden praktisch sofort gemeldet wer-den müssen, aber das Bundesamt für Migration undFlüchtlinge die Kenntnis erst mit Einleitung eines Straf-verfahrens erhält .
Frau Kollegin, gestatten Sie noch zum Schluss Ihrer
Redezeit eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?
Ich wäre dafür, dass wir an dieser Stelle nochmals eine
Änderung erwägen .
Zum Abschluss: Ich begrüße ganz ausdrücklich die
verschärften Regelungen im Asylpaket II . Es ist wichtig,
dass wir klarmachen, dass wir Schnellverfahren einleiten
und Abschiebehindernisse beseitigen . Auch das haben
wir in den letzten Monaten genügend ermittelt . Wir müs-
sen jetzt endlich die Ergebnisse umsetzen . Das tun wir
hiermit .
Ich gestatte nun die Zwischenfrage des Herrn Kolle-
gen Beck .
Das war jetzt besonders klug, weil es somit die Mög-
lichkeit der Erwiderung gibt . – Herr Kollege Beck, Sie
haben das Wort .
Obwohl Frau Lindholz so eindeutig für die Einhaltung
von Regeln ist, scheint sie selber sie besonders leger aus-
zulegen .
Frau Lindholz, Sie haben gerade gesagt, Sie wollten
von den Flüchtlingen jetzt auch ein bisschen mehr Inte-
grationsbereitschaft verlangen . Wären Sie bereit, jedem
Geflüchteten und nicht nur den Geflüchteten aus vier
Ländern einen Rechtsanspruch auf einen Integrations-
kurs einzuräumen?
Das Entscheidende ist doch, dass sich die Leute in-
tegrieren wollen, wir aber die Integrationskapazitäten
nicht zur Verfügung stellen . Deshalb ist es doch politi-
scher Klamauk für den Stammtisch und für das AfD-Pu-
blikum, wenn Sie hier neue Pflichten gerieren, statt den
Leuten die Chance zu geben, sich zu integrieren, Deutsch
zu lernen und unsere Werte kennenzulernen .
Ich bedanke mich ausdrücklich für diese Zwischenfra-ge; ich kann Ihnen damit ausführlicher antworten . SehenSie, das ist genau der Unterschied zwischen Ihnen unduns . Sie würden am liebsten jedem, der hierherkommt,von Anfang an das volle Integrationsprogramm zubilli-gen .
Wir sagen: Wir müssen klar unterscheiden zwischen den-jenigen, die einen Schutzanspruch haben, Herr KollegeBeck, und denjenigen, die keinen Schutzanspruch haben .Dazwischen werden wir auch weiterhin unterscheidenmüssen, weil nach wie vor ungefähr jeder dritte Asylan-trag unberechtigt ist . Ich möchte den Menschen nicht dasSignal geben, sie könnten dauerhaft hierbleiben,
sondern ich will ihnen das Signal geben, dass sie zurück-müssen . Deutschland kann nicht alle Flüchtlinge dieserWelt aufnehmen, erst recht nicht die ohne einen An-spruch nach dem Asylgesetz und nach der Genfer Flücht-lingskonvention .
Andrea Lindholz
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Herr Kollege Beck, sagen Sie doch einfach, Sie würdengern die Türen aufmachen und alle hereinlassen!
Dann erklären Sie den Bürgerinnen und Bürgern, wiewir Millionen von Menschen in diesem Land integrierenwollen!Vielen Dank .
Damit schließe ich die Aussprache in dieser Debatte .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/7538, 18/7537 und 18/7549 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen . – Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so
beschlossen .
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 18:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe
zu dem Entwurf des EU-Jahresberichts 2014
über Menschenrechte und Demokratie in der
Welt
Ratsdok. 9593/15
Drucksachen 18/5982 Nr. A.47, 18/7552
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Daher gehe ich auch hier davon aus,
dass Sie alle damit einverstanden sind . Dann ist das so
beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem
Redner für die Bundesregierung Herrn Staatsminister
Michael Roth das Wort .
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Jahresbericht der Europäischen Union über Men-schenrechte und Demokratie in der Welt sagt schon eineganze Menge über das Selbstverständnis der EU aus .Wir verstehen uns eben nicht als ein reiner Binnenmarkt,sondern wir sind vor allem eine Wertegemeinschaft .Grundwerte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, kultu-relle und religiöse Vielfalt sowie vor allem Minderhei-tenschutz müssen wir nicht nur bei uns in Europa vor-leben, sondern wir setzen uns auch dafür ein, dass dieseWerte weltweit Bestand haben .Auch wenn der Bericht nicht mehr ganz druckfrischist, so ist er doch in vielen Teilen unvermindert aktuell .Dass Menschenrechte an vielen Orten dieser Welt miss-achtet, gebrochen, verletzt werden, ist leider auch indiesem Jahr, in diesen Stunden traurige Realität . Unsergemeinsames Engagement, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, bleibt also weiterhin dringend geboten .Deshalb setzen wir uns mit unseren europäischenPartnern auf vielfältige Art und Weise für die Menschen-rechte ein . Wir tun dies bilateral in politischen Gesprä-chen, in Menschenrechtsdialogen und in vertrauensvollerZusammenarbeit mit vielen Nichtregierungsorganisatio-nen in aller Welt . Wir tun dies aber auch in den multilate-ralen Gremien: in den Vereinten Nationen, im Europaratund – in diesem Jahr möchte ich das ganz besonders er-wähnen – in der OSZE .Wir nutzen bei unserer Menschenrechtspolitik denganzen Instrumentenkasten: mal mit deutlichen, offenenWorten, beispielsweise in Resolutionen des Menschen-rechtsrats, die Missstände klar benennen und notfallsauch Sanktionen nach sich ziehen, und in anderen Fällensuchen wir eher das direkte Gespräch hinter verschlosse-nen Türen . Wir gehen dabei stets so vor, wie es die be-sondere Lage erfordert und wie wir den Betroffenen ambesten helfen können; denn unser oberster Leitsatz ist:Wir wollen denjenigen, die wir vor Menschenrechtsver-letzungen schützen wollen, keinen Schaden zufügen .Das Auswärtige Amt ist das Menschenrechtsminis-terium . Aber eines ist auch klar: Wir sind keine Nicht-regierungsorganisation wie Amnesty International . Unsdarf es nicht darum gehen, mit plakativen Kampagnenmöglichst viel öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen;auch das ist wichtig . Opfern von Menschenrechtsver-letzungen nachhaltig zu helfen, gelingt aber nur seltenmit dem Lautsprecher, sondern eher im vertraulichenGespräch . Dafür müssen wir auch mit den schwierigenPartnern reden: mit China, Russland, Iran, Saudi-Arabienund derzeit auch mit der Türkei . Beziehungen abbrechen,Reisen absagen, Belehrungen über die heimischen Me-dien erteilen, ja, das ist einfach . Aber wer glaubt, dassAußenpolitik so funktioniert, der irrt .Wenn wir wirklich etwas bewirken wollen, wenn wirtatsächlich politische Prozesse anstoßen wollen, danngelingt das nur, wenn wir miteinander reden . Das ge-meinsame Auftreten und Handeln mit unseren Partnernund Freunden in der Europäischen Union und durch denEuropäischen Auswärtigen Dienst ist sehr wichtig; dennnur, wenn wir geschlossen auftreten, können wir etwaserreichen und werden wir auch ernst genommen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, im vergangenenJahr hatte unser Botschafter Rücker in Genf den Vorsitzim Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen . Wir ha-ben damit an sehr sichtbarer Stelle Verantwortung über-nommen und in einem zunehmend polarisierten Umfeldunseren Ruf als Brückenbauer gefestigt . Einer unsererSchwerpunkte war dabei die engere Beteiligung der Zi-vilgesellschaft an der Arbeit des Menschenrechtsrats .Ich weiß, dass das unsere Menschenrechtspolitiker und-politikerinnen hier in besonderer Weise umtreibt; dennweltweit werden zivilgesellschaftliches Engagement zu-nehmend eingeschränkt und Menschenrechtsverteidigereingeschüchtert. Die Mittel sind perfide, und sie sindteilweise erbärmlich . Sie fangen bei restriktiver Gesetz-gebung zur Finanzierung von Nichtregierungsorganisati-onen an und reichen bis zu willkürlichen Inhaftierungenoder gar Entführungen im Ausland .Andrea Lindholz
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Thema möchteich hier erwähnen, das nicht nur mir, sondern auch vie-len anderen besonders am Herzen liegt; es taucht auchim Bericht der EU prononciert auf . Es ist die Lage derLGBTI, der Schwulen und Lesben . Es ist beschämend: Inmehr als 70 Staaten auf der Welt werden Lesben, Schwu-le, Bisexuelle, Transgender-Personen und Intersexuelleimmer noch strafrechtlich verfolgt. Häufig drohen ihnenlange Haftstrafen – und in einigen Staaten in Afrika undin der arabischen Welt sogar das Todesurteil .Doch lassen wir uns von diesen furchtbaren Nachrich-ten nicht entmutigen! Über die vergangenen Jahrzehntegab es in vielen Ländern beeindruckende Fortschrittebei der Durchsetzung der Menschenrechte von LGBTI .Wer hätte denn vor ein paar Jahren wirklich gedacht,dass Länder wie Brasilien, Argentinien oder Südafrikamit den skandinavischen Ländern gleichziehen und diegleichgeschlechtliche Ehe einführen?Die Bundesregierung setzt sich weltweit für LGBTI-Rechte ein, mit öffentlichkeitswirksamen Pro-jekten ebenso wie in Gesprächen mit Regierungen undvor allem mit der Zivilgesellschaft . Auf vielen meinerReisen begegne ich Vertreterinnen und Vertretern derLGBTI-Gruppen, die mir von Gewalt, Verfolgung undeinem Leben in dauerhafter Angst berichten . Das erlebeich gerade dort, wo sexuelle Minderheiten noch viel stär-ker unter Druck stehen als hierzulande, wie in der Türkei,in Bulgarien oder auf dem westlichen Balkan .Meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht zuletztangesichts der politischen Entwicklung der vergange-nen Jahre, insbesondere des wachsenden islamistischenTerrors, aber auch der wachsenden Islamfeindlichkeit inEuropa, werden wir uns der Religions- und Weltanschau-ungsfreiheit weiter annehmen müssen . Die Bundesregie-rung wird dem Bundestag im Sommer einen Bericht dazuvorlegen . Die Formen der Unterdrückung des Rechts aufReligions- und Weltanschauungsfreiheit sind vielfältig .Dabei ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechtedoch ganz eindeutig: Jeder hat das Recht auf Gedanken-,Gewissens- und Religionsfreiheit . Dieses Recht schließteben auch die Freiheit ein, seine Religion bzw . Weltan-schauung zu wechseln oder auch gar keiner Religionmehr angehören zu wollen . Diese Freiheit gilt für Chris-ten, Juden, Muslime genauso wie für andere Menschen,und sie gilt eben auch weltweit .Wir können die Werte im Ausland nur dann glaubwür-dig einfordern, wenn wir sie auch zu Hause strikt achten .Es reicht eben nicht, wenn Menschenrechte nur auf demPapier Bestand haben . Sie müssen im täglichen Mitei-nander gepflegt und verteidigt werden. In einer offenen,liberalen Gesellschaft ist das nicht nur die Kür, sondernauch die Pflicht für jeden von uns. Menschenrechte sindeben kein generöses Geschenk, das man irgendjeman-dem einmal so mit auf den Weg geben kann .Menschenrechte sind eine unverhandelbare Grundla-ge unseres Zusammenlebens . Dafür stehen wir ein . Ichgebe zu: Das ist nicht immer ganz einfach . Aber es istvor allem auch für die Europäische Union unerlässlich,wenn wir das bleiben wollen, was wir immer waren: eineWertegemeinschaft .Vielen Dank .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Annette Groth für
die Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-be Zuhörerinnen auf der Tribüne! Herr Roth, Sie habenleider vergessen, die Europäische Menschenrechtskon-vention zu erwähnen; denn die EU ist vertraglich ver-pflichtet, dieser Europäischen Menschenrechtskonven-tion beizutreten . Aber der Prozess wird blockiert – erstvon den Mitgliedstaaten und jetzt vom EuropäischenGerichtshof . Was heißt das? Es gibt derzeit und auch inabsehbarer Zukunft keinen individuellen Rechtsschutzgegen Menschenrechtsverletzungen durch EU-Organe .Das muss wirklich dringend korrigiert werden . Ich bitteSie: Setzen Sie sich dafür ein!
Es ist nicht neu, dass der EU-Menschenrechtsberichtinsbesondere die Menschenrechtsverletzungen außerhalbder EU anprangert . Dagegen werden die Menschenrechts-verletzungen in den EU-Mitgliedstaaten weithin unterden Tisch gekehrt . Das nenne ich heuchlerisch . Heutesind in nahezu allen EU-Staaten Armut, Ausgrenzungund Arbeitslosigkeit für viele Menschen Realität . Alleinin Griechenland sind mehr als 3,5 Millionen Menschendirekt von Armut bedroht . Über 20 Prozent der Kinderund älteren Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze .Das ist doch ein Skandal im reichen Europa .
Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer grö-ßer, weil das neoliberale Wirtschaftssystem einige weni-ge bevorteilt – zum Beispiel Banken und Großkonzer-ne – und andere – die Mehrheit, wie Kleinbäuerinnen,Rentnerinnen und Arbeitnehmerinnen – stark benachtei-ligt . Auch das muss geändert werden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, an mehreren Stel-len des Menschenrechtsberichts ist von Flüchtlingen dieRede – wir hatten gerade die Debatte dazu –, aber keinWort davon, dass 2014 über 3 400 Menschen im Mittel-meer ertrunken sind, weil sie in die EU wollten . Das istdoch der große Skandal vor unserer eigenen Tür, der sichseit der Zeit immer weiter verschlimmert hat . Seit demJahr 2000 sind mindestens 25 000 Menschen im Mittel-meer gestorben . Das ist entsetzlich . Es wird so weiterge-hen, wenn wir keine legalen Einreisemöglichkeiten in dieEU schaffen .
Das Dublin-System muss endlich durch eine soli-darische Flüchtlingspolitik ersetzt werden . Stattdessenwerden immer neue Polizei- und Militäreinsätze zurFlüchtlingsbekämpfung beschlossen, als könnte die Be-Staatsminister Michael Roth
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kämpfung von Schleppern oder die Zerstörung von Boo-ten die Flüchtlinge davon abhalten, über das Meer zu unszu kommen . Wir brauchen legale und sichere Fluchtwegeund Einreisemöglichkeiten . Das ist eine Forderung, diedie Linke schon lange stellt .
Jetzt werden an den EU-Außengrenzen „Hotspots“eingerichtet. In ihnen wird eine Klassifizierung der Ge-flüchteten in „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge vorge-nommen. Ziel dieser Klassifizierung ist, viele daran zuhindern, überhaupt zu uns zu kommen . Aber wohin sol-len sie denn gehen? In meiner Funktion als Berichterstat-terin für den Europarat war ich letzte Woche im Libanonund in Jordanien . Diese beiden Länder haben, wie allge-mein bekannt, die meisten Geflüchteten aus Syrien auf-genommen . Viele Flüchtlinge leiden an Hunger, weil dieNahrungsmittelversorgung aufgrund fehlender Geldernicht ausreicht . Ich habe gerade viele Frauen getroffen,die sichtlich unterernährt waren . In den letzten beidenWochen eines Monats reicht das Geld von der internatio-nalen Gemeinschaft nur noch für Brot . „Wir haben Hun-ger“, haben mir viele gesagt .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es um die so-genannte Abwehr der Flüchtlinge geht, scheint für dieEU die Einhaltung der Menschenrechte keine Rolle zuspielen . Das zeigt sich insbesondere an der unerträgli-chen Taktiererei mit dem türkischen MinisterpräsidentenErdogan . Jetzt soll die deutsche Polizei sogar mit der tür-kischen bei der Fluchtabwehr zusammenarbeiten . Skan-dalös!Erdogan führt einen furchtbaren Krieg gegen die eige-ne Bevölkerung, insbesondere gegen die Kurdinnen undKurden, und er schiebt sogar Flüchtlinge nach Syrien ab .Wissen Sie, dass in etlichen kurdischen Gebieten seit Wo-chen ein 24-stündiges Ausgehverbot besteht? Das heißt,Menschen erhalten keine medizinische Versorgung, kön-nen nicht einkaufen . Teilweise ist die Wasser- und Strom-versorgung unterbrochen . Das ist ein Verbrechen, das wirwirklich lautstark anprangern müssen!
Darum empfinde ich es mehr als schändlich, dass derTürkei Visaerleichterungen für türkische Staatsangehöri-ge und 3 Milliarden Euro als Belohnung für die Flücht-lingsabwehr versprochen wurden . Stattdessen solltenwir Druck auf die türkische Regierung ausüben und sienachdrücklich auffordern, die Kampfhandlungen und dieextralegalen Hinrichtungen, die es auch gibt, sofort ein-zustellen und den Dialog mit den Kurdinnen und Kurdenwieder aufzunehmen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie bei der Tür-kei werden die Menschenrechtsverletzungen, die auchvon anderen EU-Partnern begangen werden, teilwei-se schweigend hingenommen . So werden im aktuellenEU-Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 Projekteder EU-Sicherheitsforschung gemeinsam mit Israel be-trieben und finanziert, obwohl Israel massiv Menschen-rechtsverletzungen in den palästinensischen Gebietenbegeht . Israelische Rüstungsunternehmen, die von derBesatzungspolitik im großen Stil profitieren und dazubeitragen, werden im Rahmen von Horizon 2020 geför-dert . So sind auch wir mit unseren europäischen Steuer-geldern an den Menschenrechtsverletzungen in der Re-gion beteiligt .Viele NGOs und kirchliche Organisationen forderndarum schon seit Jahren die Aussetzung des EU-Isra-el-Assoziierungsabkommens, das in Artikel 2 alle Ver-tragspartner zur Einhaltung der Menschenrechte ver-pflichtet. Wir machen uns mitschuldig, wenn wir zudiesen Menschenrechtsverletzungen in Israel/Palästinaschweigen . Wir sollten wirklich alles versuchen, diesesEU-Assoziierungsabkommen mit Israel auszusetzen .
– Das wäre das richtige Signal! Das hatten wir schon ein-mal bei Sri Lanka .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir unterstützenausdrücklich die Aussagen im Bericht zur Todesstrafe .Die Linke fordert seit vielen Jahren die Bundesregierungauf, sich in allen Gesprächen mit Staaten, die die Todes-strafe verhängen, klar für ihre Abschaffung einzusetzen .Doch stattdessen scheinen wirtschaftliche Interessen im-mer mehr vor Menschenrechte gestellt zu werden . DieWaffenlieferungen an Saudi-Arabien sind dafür ein be-sonders krasses Beispiel; sie sollten sofort aufhören .
Nicht erwähnt wird der völkerrechtswidrige Einsatzvon Kampfdrohnen zur Tötung von Menschen . Seit vie-len Jahren verletzen die USA die Souveränität andererStaaten und bringen Menschen durch Kampfdrohnenum, ohne Anklage, ohne Gerichtsurteil und ohne denBetroffenen die Möglichkeit zu geben, sich zu verteidi-gen . Besonders skandalös ist, dass für dieses Morden dieUS-amerikanischen Stützpunkte in Deutschland miss-braucht werden . Die US-Basis in Ramstein spielt dabeieine besonders große Rolle .Nicht genug: Jetzt will die Bundesregierung auchnoch waffenfähige Drohnen anschaffen . Will sie sichan diesen völkerrechtswidrigen Morden beteiligen, oderwozu brauchen wir überhaupt Kampfdrohnen?
Das ist eine echte Frage, auf die ich eine Antwort habenmöchte .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fordern seitlangem die Bundesregierung auf, sich für eine grund-legende Weiterentwicklung des EU-Menschenrechtsbe-richts einzusetzen . Wir erwarten, dass in einem solchenBericht auch die Menschenrechtsverletzungen aufgrundder EU-Handels- und Finanzpolitik sowie der Waffenex-porte der EU-Mitgliedstaaten klar benannt werden . So-lange aber mit zweierlei Maß gemessen wird und unseregeopolitischen und wirtschaftlichen Interessen im Vor-dergrund stehen, ist es um die Menschenrechte nicht gutbestellt . Das müssen wir alle zusammen ändern .Annette Groth
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Danke schön .
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin
Erika Steinbach .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! FrauKollegin Groth, Ihre einseitige Sicht auf den Staat Israelhat schon etwas Unanständiges .
Man mag nicht alles für richtig halten; aber Ihre Kritik istzu plakativ und zu einseitig . Das möchte ich einmal ganzdeutlich sagen .
Der EU-Jahresbericht 2014 über Menschenrechte undDemokratie in der Welt zeigt das Engagement der Eu-ropäischen Union für Menschenrechte auch außerhalbunserer eigenen Grenzen und macht auch die Fülle vonInitiativen und das Engagement deutlich, mit denen dieEuropäische Union für Menschenrechte eintritt . Aber derBericht zeigt auch – das ist für den, der es sehen will, deut-lich erkennbar –, dass sich die menschenrechtspolitischenHerausforderungen, was Fluchtbewegungen in RichtungEU anbelangt, bereits im Berichtszeitraum 2014 abge-zeichnet haben . Diese Erkenntnisse haben leider seitensder Europäischen Union nicht dazu geführt, rechtzeitigpolitisch darauf zu reagieren und Vorsorgemaßnahmenzu ergreifen . Man hat weggeschaut .Heute haben wir – die vorangegangene Debatte hatdas deutlich gemacht – mit den Folgen dieser Unterlas-sung der Europäischen Union in Form der Flüchtlings-ströme zu tun und müssen in einer Situation, in der mandem fast ausgeliefert ist, damit umgehen . Man hätte dasverhindern können . Da stellt sich schon die Frage, wa-rum die Europäische Union weltweit agiert, aber nichtdie für sie selbst wichtigen, elementaren Schlüsse ausihren Erkenntnissen zieht, um diesen Kontinent, dieseEuropäische Union letzten Endes zu schützen .In Deutschland und auch in Europa ist die politischeDebatte in den vergangenen Monaten – das zeigt jedePlenardebatte – von keinem anderen Thema so geprägtworden wie von der aktuellen Flüchtlingskrise . Nachden Zahlen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Na-tionen sind weltweit inzwischen mehr als 60 MillionenMenschen auf der Flucht vor Gewalt, vor Krieg, vorArmut und massiven Menschenrechtsverletzungen wiezum Beispiel den Terroraktionen des sogenannten „Is-lamischen Staates“ . Aber wir wissen auch – das zeigenStudien –, dass bei 400 Millionen Menschen der Wunschvorhanden ist, sich auf den Weg zu machen . Sie sitzengeistig sozusagen auf gepackten Koffern .
Wir wissen das, und darauf muss man auch reagieren .Noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wur-den so viele Menschen Opfer von Flucht, Vertreibungund Armut wie in diesen Jahren . Über 1 Million dieserMigranten sind im vergangenen Jahr allein zu uns nachDeutschland gekommen . Die Aufnahme und Unterbrin-gung so vieler Menschen in so kurzer Zeit stellt unseregesamte Gesellschaft vor gigantische Herausforderung-en . Wir können den vielen ehrenamtlichen Helfern im-mer wieder nur ganz herzlich danken . Sie leisten Her-vorragendes .
Die Integration all derer, die eine Bleibeperspektivehaben, wird eine ungleich noch größere Aufgabe sein alsdas pure Unterbringen .
Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf, das ist der ein-fachere Teil der Situation . Hätte die Europäische Uniondie Kenntnisse, die im vorliegenden Bericht nachzulesensind, rechtzeitig in Handlungen und konkrete Maßnah-men umgesetzt, wäre die jetzige akute Massenwande-rung in Richtung Europa wahrscheinlich so gar nichtnötig gewesen . Man hätte den Menschen vor Ort Essenund Trinken in ausreichendem Maße geben können . Siehaben recht, Frau Groth, wenn Sie darauf hinweisen, dassdie Mittel nicht bereitgestellt worden sind .Viele der Ankommenden sind in autoritären, patriar-chalischen Gesellschaften aufgewachsen und geprägtworden . Die massiven Menschenrechtsverletzungen, mitdenen wir uns im Menschenrechtsausschuss permanent,immer und immer wieder auseinandersetzen müssen –sie spiegeln sich auch im EU-Menschenrechtsbericht wi-der –, haben das Leben und den Alltag dieser Menschenin ihren jeweiligen Herkunftsländern bestimmt und ge-prägt . Gerade vor diesem Hintergrund muss der Werteka-non unseres Grundgesetzes die unverhandelbare Grund-lage für jede Integration sein . Zentrale Freiheitsrechtewie die Religions- und die Meinungsfreiheit, die RechteHomosexueller, aber auch die Gleichstellung von Mannund Frau, das muss den Ankommenden vermittelt wer-den . Wir müssen das am Ende durchsetzen, auch durch-setzen wollen und nicht – laissez faire – sagen: Jeder sollso leben, wie er es aus seinem Herkunftsland gewohntist . Das ist keine einfache Aufgabe .Wir müssen heute selbstkritisch feststellen, dass es inden vergangenen Jahrzehnten leider nicht ausreichendgelungen ist, eine wirkliche Integration aller bisherigenZuwanderer in unsere deutsche Gesellschaft zu errei-chen . Gerade in der zweiten und dritten Generation mus-limischer Familien zeichnen sich aktuell sogar Rück-schritte ab, was man eigentlich nicht für möglich hält .Das hat eine repräsentative Studie des Wissenschafts-Annette Groth
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zentrums Berlin für Sozialforschung unter der Leitungdes Soziologen Ruud Koopmans ergeben . Er hat einenForschungsbericht über religiösen Fundamentalismus insechs westeuropäischen Ländern, darunter auch Deutsch-land, erstellt . Nach diesem Bericht ist fast die Hälfte derMuslime, die in diesen sechs europäischen Ländern le-ben, der Auffassung, dass es nur eine gültige Auslegungdes Korans gibt, dass Muslime zu den Wurzeln ihrer Re-ligion zurückkehren sollen und dass religiöse Gesetzewichtiger sind als weltliche . Diesen Befund für Europahalte ich für besorgniserregend .Deutliche Integrationsdefizite zeigen sich hier bei unsin Deutschland auch in der Zunahme einer gewachsenenParalleljustiz . Sie entsteht überall dort, wo auf Stam-mes- und Clanstrukturen zurückgegriffen werden kann,nicht nur im Bereich des Zivil- und Strafrechts, sondernvermehrt auch im Bereich der Familiengerichtsbarkeit .Das steht in weiten Teilen im Widerspruch zu unseremGrundgesetz und zu unserem Familienrecht . Die kras-sesten Abweichungen sind hier die Missachtung desHeiratsfähigkeitsalters bei Kinderehen, die es hier inDeutschland gibt – sie werden abseits unserer normalenRegularien geschlossen –, die Vielehen und die Duldungvon Zwangsehen . Experten schätzen den Anteil soge-nannter Imam-Ehen hier in Deutschland auf mindestens10 bis 20 Prozent .Die zusätzliche Aufnahme von 1 Million Zuwanderernaus stark autoritären, patriarchal geprägten muslimischenStaaten stellt unsere Gesellschaft vor eine umso größereintegrationspolitische Herausforderung . Wichtig ist gera-de vor dem Hintergrund dieser starken Zuwanderung ausdiesen Kulturkreisen – das sind ja sehr unterschiedlichstrukturierte Gegenden – die offensive Einforderung derAnerkennung und Befolgung deutscher Gesetze . Das isteine zentrale Integrationsherausforderung .Mit Blick auf die aktuelle Flüchtlingskrise muss unsallen eines bewusst sein: Integration kann jetzt nur dannerfolgreich sein, wenn es gelingt, die Zahl der ankom-menden Flüchtlinge und Migranten deutlich zu reduzie-ren . Nur dann besteht auch eine Chance, die bislang An-gekommenen in unsere Gesellschaft zu integrieren .
Warum sage ich das? An die Europäische Union müs-sen wir die Forderung richten, weitsichtiger und verant-wortungsvoller als bislang gewonnene Erkenntnisse inpolitisches Handeln umzusetzen . Die Europäische Uni-on muss, um diese Zuwanderung zu bewältigen – sie istschwer zu bewältigen, auch bei allerbestem Willen; undder gute Wille ist in Deutschland ja erkennbar –, jetzt mitder Afrikanischen Union in einen permanenten, dauer-haften Dialog eintreten . Sie muss das tun, um den Men-schen in Afrika eine Zukunftsperspektive zu geben unddie Afrikanische Union nicht aus ihrer Verantwortung zuentlassen. Das ist ein Defizit der Europäischen Union.Dieses Defizit hat auch dazu geführt, dass wir in der heu-tigen Lage sind . Im Interesse Europas, aber auch Afrikas,aber insbesondere im Interesse der Menschen – die meis-ten möchten ja gerne in ihrer Heimat bleiben – braucht esdiesen offensiven Dialog .Danke schön .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege Tom
Koenigs für Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Es ist Freitagmittag . Da kann man über alles reden:
Europäische Union, Afrikanische Union, Paralleljustiz .
Das zeigt ein bisschen, wie beliebig das Thema genom-
men wird . Der Bericht, der der Diskussion heute zugrun-
de liegt, ist auch relativ beliebig . Das Unbehagen, das
man in einer solchen Diskussion hat, liegt daran, dass
der Entschließungsantrag eigentlich auch beliebig ist . Da
wird von allem ein bisschen geredet, über das, was wirk-
lich ist, wird aber nicht geredet .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Das Auswärtige Amt ist das Menschenrechtsministe-rium .“ Wie eine menschenrechtsgeleitete Außenpolitikeigentlich aussehen sollte, könnte und müsste, steht aberleider weder in dem Bericht der Kommission von 2014noch in dem Entschließungsantrag . Auch in Ihrer Redehaben Sie nicht gesagt, ob es wirklich eine Perspektivefür die deutsche auswärtige Politik ist, das in den Mittel-punkt zu stellen .
Der Bericht befasst sich leider nicht mit den Staatender Europäischen Gemeinschaft selbst, sondern richtetsich nur nach außen . Gut, das kann man machen; aberman muss dann auch der Kohärenz wegen sagen: Passtdas denn zu dem, was wir in unseren Mitgliedstaaten ma-chen, was die Europäische Kommission den Mitglied-staaten abfordert? Oder wird irgendetwas über die Per-formance, über den Umgang mit früheren Empfehlungengesagt? Dazu gibt es eigentlich nichts . In dem Antrag,den Sie vorgelegt haben, wird behauptet, Menschenrech-te gewinnen ein immer größeres Gewicht in der Europä-ischen Gemeinschaft .
Stimmt das eigentlich?
Stimmt das eigentlich, dass wir da als Menschenrecht-ler sozusagen auf dem Vormarsch sind? Wenn man sichansieht, dass es auf der Welt Organisationen wie Boko Haram oder ISIS gibt, die sich explizit auf ihre schwarzenFahnen geschrieben haben: „Wir sind gegen Menschen-rechte; wir kämpfen gegen die Menschenrechte“, dannkann man eigentlich nicht sagen, dass man FortschritteErika Steinbach
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gemacht hätte . Ich glaube eher, dass wir in einer Abwehr-schlacht sind – wenn man das so militärisch sieht .
Gegen Boko Haram und ISIS ist bisher übrigens nur et-was Militärisches erfunden worden . Wie man damit men-schenrechtlich umgeht? Ich weiß es nicht .Im Antrag steht, die Menschenrechtspolitik der EU sei„kohärenter und effizienter“ geworden. Es wäre schön,wenn das so wäre .
Wenn Sie die Effizienz überhaupt prüfen würden,müssten Sie die Instrumente mit dem, was erreicht wor-den ist, vergleichen . Ein Instrument, auf das Sie sichauch in Ihrem Antrag intensiv beziehen, sind die 37 Men-schenrechtsdialoge . Helfen sie eigentlich etwas? Hat ein-mal jemand eine Analyse gemacht, was diese Menschen-rechtsdialoge wirklich bringen?
Der Staatssekretär hat gesagt, man verhandele lieberhinter geschlossenen Türen . Die Menschenrechtsdialogesind öffentlich . Bringen sie irgendetwas?
Haben andererseits die ganz starken Mittel, die Sanktio-nen, jemals etwas gebracht für die Menschenrechte, oderbringen sie wirklich etwas? Was ist da erreicht worden?Der Bericht bringt leider auch keine Projektevaluie-rung . Die Europäische Gemeinschaft hat auch keine In-stitution, um Menschenrechtsprojekte zu evaluieren .
Aber ist es nicht eigentlich so, dass die wirklich har-ten Instrumente der Menschenrechtspolitik, Sanktionen,immer nur genutzt worden sind, wenn es um geostrategi-sche Machtpositionen ging, etwa in der Ukraine, in Syri-en, aber auch beim gemeinsamen Standpunkt Kuba?Ich frage mich auch: Ist bei der Kampagne gegen dieTodesstrafe das, was wir da machen, eigentlich effektiv?Bringt das irgendetwas? Denken wir darüber nach, wel-che Auswirkungen das eigentlich hat?Das Europaparlament hat in seiner Entschließung – inIhrer ist das leider nicht der Fall – zu Recht gesagt, einebessere Übersicht über die Auswirkungen der EU-Maß-nahmen sowie über die erzielten Fortschritte wäre sinn-voll . Übrigens: Die Entschließung des Europaparlamentsist sehr viel gehaltvoller als das, was hier gesagt wird .
Schließlich zur Kohärenz: Ist die europäische Politikkohärent mit dem, was über Menschenrechte gesagt wird,
zum Beispiel die Fischereipolitik mit dem Kampf gegenden Hunger? Oder die Handels- und Freihandelspolitikmit dem Transparenzgebot? Nehmen wir nur einmalTTIP: Ist das eigentlich ein kohärentes Verfahren? Odersind die Menschenrechte vielleicht nur Zierrat von eineranderen, sehr viel wichtigeren Politik?Ich sehe bei der Europäischen Gemeinschaft, bei dergemeinsamen europäischen Außenpolitik, leider nichtdiese Kohärenz, auch nicht die Leitfunktion, die bei derWertedebatte immer wieder genannt wird .Wenn man dann nach innen schaut, sieht man – dabröckelt es an allen Stellen; das ist wirklich des Berichteswert – das Vordringen von menschenrechtsfeindlichenGruppen und von nationalistischen Parteien. Wo findetsich noch das Diskriminierungsverbot in Ungarn oder beiParteien wie der Le-Pen-Partei, Front National? Das isteine Partei, die sich auf Diskriminierungen aufbaut, dieAfD ebenfalls . Diese Bewegungen entstehen gegen dasDiskriminierungsverbot .Es geht aber auch um solche Tendenzen wie in Groß-britannien, das nicht nur irgendwann vielleicht aus derEU austreten will, sondern sich auch nicht mehr denUrteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschen-rechte unterwerfen will . Auch das sind Tendenzen, diedie Europäische Kommission in ihrem Bericht eigentlichbetrachten würde .Deshalb würde ich mir wünschen, dass der nächsteBericht den Blick nach innen und nach außen wendet,auf Effizienz und Kohärenz wirklich Wert legt und sichdarüber Gedanken macht, kritisch bei den Ursachen undWirkungen ist, Maßnahmen evaluiert und die Mitglied-staaten in die Pflicht nimmt. Das wäre ein Bericht, derdann auch der breiteren Diskussion an einem schönenDonnerstagmittag mit einer Beteiligung von mehr als36 Kolleginnen und Kollegen wert wäre . Ich hoffe, dasswir bei das beim nächsten Bericht über 2015 haben wer-den .Dass der Bericht die gesamte Flüchtlingsfrage über-haupt nicht erwähnt, ist bedauerlich . Anderseits: IhrEntschließungsantrag, den Sie vorlegen, ist so „mother-ly love and apple pie“, dass man gar nicht dagegen seinkann .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Angelika Glöckner,SPD .
Tom Koenigs
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Menschenrechtsverletzungen vonheute sind die Flüchtlingsströme von morgen; das wa-ren vor wenigen Wochen meine Worte in diesem HohenHause . Vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlings-bewegungen, glaube ich, hat dieser Satz an Aktualitätnichts verloren .
Nach wie vor sind 60 Millionen Menschen weltweitauf der Flucht . Freiheitsrechte haben in den letzten Jah-ren weltweit stetig abgenommen . Mehr als die Hälfte derWeltbevölkerung lebt noch immer unterdrückt und inundemokratischen Regimen . Terror, Kriege und Gewaltnehmen weltweit zu . Dies alles zeigt uns: Eine umfas-sende Menschenrechtspolitik sowie der Einsatz für mehrDemokratie in der Welt sind wichtiger denn je .
Die grundlegenden Menschen- und Freiheitsrechtebilden das Fundament einer Gesellschaft . Die EU mussdaher ihre Außenbeziehungen und ihre gesamte Politiknach diesen Werten ausrichten . Deutschland hat sichzudem in Artikel 21 des Vertrages über die EuropäischeUnion dazu verpflichtet. Ich befürworte es außerordent-lich, dass wir heute über den uns vorgelegten EU-Jahres-bericht aus dem Jahr 2014 debattieren – den Blick nachvorne gerichtet, Herr Koenigs – und dass wir auch er-kennen, wo Handlungsbedarfe sind . Ich glaube, niemandhat heute gesagt, dass alles, was bisher getan wurde, inOrdnung ist . Ich habe eher das Gefühl, dass viele ver-sucht sind, einzuschätzen, wo wir etwas zum Besserenverändern können .Der Rechenschaftsbericht zeigt zunächst die vielenAktivitäten der Europäischen Union im Bereich derMenschenrechtspolitik auf . Er schafft Transparenz . Ervergleicht den Istzustand mit den gesteckten Zielen . Vorallem aber bietet er eine sehr gute Diskussionsgrundlagefür die zukünftige Ausrichtung unserer Menschenrechts-politik .Die EU hat für Menschenrechte und Demokratieent-wicklung vieles getan . Zu nennen ist beispielsweise dasgroße Engagement der Hohen Vertreterin Frau FedericaMogherini in der Außenpolitik . Sie hat eigens einen Son-derbeauftragten für die Europäische Union installiert,der die Aufgabe hat, die Menschenrechtspolitik nach au-ßen hin spürbarer und sichtbarer zu machen . Auch derAusbau der Menschenrechtsdialoge und der vielfältigenKonsultationen sind Beispiele, die belegen, dass vielesunternommen wird .Was der Bericht aber auch zeigt, ist, dass wir uns nochstärker auf die Umsetzung konkreter Ziele konzentrierenmüssen . Ziele zu beschreiben, ist ein erster wichtigerSchritt . Die Ziele auch zu erreichen, wird ein weitererwesentlicher Schritt sein, den wir machen müssen . Ziel-gerichtetes Agieren ist wichtig . Denn noch immer sindviel zu viele Menschen von Hunger und größter Armutbetroffen . Noch immer werden Kinder gezwungen, mitWaffen zu kämpfen oder als Kindersklaven zu arbeiten .Noch immer werden Frauen unterdrückt; sie sind wehr-los Willkür und Gewalt ausgesetzt . Hier muss die EU mitihrer Menschenrechtspolitik vorankommen . Daher musssie die Menschenrechte in ihre gesamten Wirtschafts-und Handelsbeziehungen stärker einbeziehen .
Es ist zum Beispiel sehr wichtig, im Vorfeld von Han-dels- und Investitionsabkommen Folgeabschätzungenfür die Menschenrechte vorzunehmen; das gilt auch mitBlick auf TTIP . Natürlich erwarten wir für unsere Uni-on auch immer positive Wachstumseffekte durch unsereHandels- und Wirtschaftsaktivitäten mit Ländern außer-halb der EU . Dies muss aber eng einhergehen mit derVerbesserung der menschenrechtlichen Situation in an-deren Ländern . Handelsabkommen sind und bleiben einwichtiges Instrument, das Armut und Unterdrückung ineiner globalisierten Welt zurückdrängen kann, wenn die-se für die Ärmsten in der Welt positive Effekte hervor-rufen .Wichtig für ein effektives Handeln ist auch, dass sichdie Mitgliedstaaten und die EU in ihrem Handeln mitei-nander abstimmen . Deshalb ist es gut, dass die EU ih-ren Mitgliedstaaten verbindlich vorgibt, nationale Akti-onspläne zu erstellen . Diese sind ein ganz wesentlichesInstrument zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien fürWirtschaft und Menschenrechte, die von allen Mitglied-staaten der Europäischen Union garantiert werden .Neben diesen nationalen Aktionsplänen gibt es wei-tere Instrumente, zum Beispiel die Europäische Nach-barschaftspolitik und die Entwicklungszusammenarbeit .Nach dem Prinzip „Mehr für mehr“ werden hier Anreizegeschaffen . Wenn sich Partnerländer menschenrechts-konform verhalten, werden sie bevorzugt behandelt . Ichfinde, es ist ein guter Ansatz, Anreizsysteme zu schaffen,anstatt in der Hoffnung, dass irgendwo ein zartes Pflänz-chen wächst, mit der Gießkanne zu verteilen . Danebenmuss das wirtschaftliche Betätigungsfeld in der globali-sierten Welt mehr auf faire und rechtsbasierte Grundla-gen gestellt werden .Doch nicht nur die Nationalparlamente und die EUtragen Verantwortung für die Entwicklung der Men-schenrechte in der Welt, sondern gerade auch die welt-weit agierenden Unternehmen können und müssen beiihrem globalen Handeln entscheidende Akzente setzen .Das Europäische Parlament hat nunmehr dieCSR-Richtlinie zur sozialen Verantwortung von Unter-nehmen verabschiedet . Mit der Umsetzung in nationalesRecht in allen EU-Mitgliedstaaten wird hier ein ersterwichtiger Schritt hin zu mehr Unternehmensverantwor-tung vollzogen .Es kann nicht angehen, dass Unternehmen in fernenLändern Kinder für einen Hungerlohn arbeiten und Men-schen in baufälligen Gebäuden produzieren lassen sowieauf Kosten der Umwelt und der Gesundheit der Men-schen produzieren . Die Unternehmen werden sich mit ih-ren Lieferketten auseinandersetzen müssen und könnensich nicht mehr hinter ihrer Unwissenheit verstecken . Sie
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müssen in die Pflicht genommen werden, Verantwortungfür die Menschenrechte zu übernehmen .Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Instrumentefür die Stärkung von Menschenrechten stehen bereit . Esgilt jedoch, sie auszubauen, aufeinander abzustimmenund vor allem mit hinreichenden Ressourcen auszustat-ten und intelligent zu nutzen . Wenn uns das gelingt, dannhaben wir für die Zukunft eine Chance, Hunger und man-gelnder Gesundheitsversorgung, krankmachenden undlebensbedrohenden Umwelteinflüssen und einem Lebenohne Bildung und in Perspektivlosigkeit entgegenzuwir-ken . Genau diese Umstände fördern fragile Gesellschaf-ten und Strukturen und sind letztlich auch geeignet, wei-tere Menschenrechtsverletzungen hervorzurufen und imschlimmsten Fall sogar neue Flüchtlingsbewegungen inGang zu setzen, und das darf die EU und dürfen wir nichtzulassen .
Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass wir selbstmit gutem Beispiel vorangehen müssen, wenn wir nachaußen etwas vorgeben . Wer die Befolgung von Freiheits-rechten im Ausland fordert, der muss sie auch selbsteinhalten . Hier haben wir in einigen Mitgliedstaaten derEU in den letzten Jahren einen deutlichen Nachholbedarfgesehen .Wenn man die Diskussionen in den letzten Tagen undWochen verfolgt hat – auch die aktuelle Diskussion überden möglichen Austritt Großbritanniens aus der EU –,dann hat man teilweise schon den Eindruck gewonnen,dass die EU nichts anderes als eine Wirtschaftsgemein-schaft ist . Die Europäische Union ist aber eben nicht nureine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch ein gemein-sames Wertegebilde . Zusammenhalt, Offenheit und To-leranz gegenüber Neuem haben die Europäische Unionstark gemacht . Genau das sind die Werte, die uns nunauch helfen können, die schwierigen Zeiten zu überwin-den .Eine erfolgreiche europäische Außenpolitik für mehrMenschenrechte und Demokratie in der Welt hilft denMenschen in der Welt und auch der EU und ihren Mit-gliedstaaten, den Zusammenhalt zu stärken . Abschottungund Intoleranz, wie von der AfD immer wieder propa-giert, haben weder unser Land noch die EU erfolgreichergemacht .Eine Welt mit mehr Menschenrechten und Demokratiegibt es nur mit einer starken EU .
Ich bitte Sie deshalb um Ihre Zustimmung zur Beschluss-empfehlung der Koalition .Herzlichen Dank .
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Thorsten
Frei .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Dass wir heute den EU-Jahresbericht 2014 über Men-schenrechte und Demokratie in der Welt diskutieren, magin einer schnelllebigen und digitalisierten Welt geradezuseltsam anmuten . Vieles davon ist ja Geschichte .Andererseits, Herr Staatsminister, ist das aber ebentatsächlich auch ein starkes Dokument und ein starkerAusdruck dafür, dass Europa eben nicht nur eine Wirt-schaftsgemeinschaft ist, sondern ganz im Gegenteil aucheine wertegeleitete Gemeinschaft, in deren Mitglied-staaten die Menschenrechte nicht nur Verfassungsranghaben, sondern in der auch der Anspruch besteht, einMindestmaß an Menschenrechten über den Kontinenthinaus in der gesamten Welt durchzusetzen . Das ist derwesentliche Punkt, um den es geht .Wenn man sich den Bericht anschaut, findet maneindrücklich dargelegt, wie mit ausdifferenzierten In-strumentarien versucht wird, auf die unterschiedlichenVerhältnisse einzugehen: Dialogformen, Fördermöglich-keiten, institutionelle Möglichkeiten, Aktionen und Akti-onspläne, die passgenau auf die einzelnen Erfordernissezugeschnitten sind .Das aus meiner Sicht Stärkste und Überzeugendste ist,dass wir in Europa starke, aufgeklärte und auch selbst-bewusste Zivilgesellschaften haben, die die Basis dafürbilden, dass das letztlich passieren kann .
Ich glaube, dass das der Exportschlager für Menschen-rechte in der Welt schlechthin ist, meine sehr verehrtenDamen und Herren .
Für die Politik ist natürlich auch entscheidend, dasssie Menschenrechte nicht bloß als schmückendes Bei-werk betrachtet, sondern als essenzielle Prämisse für dieDurchsetzung der eigenen Politik . Wenn wir uns dazudrei Beispiele anschauen, wird, glaube ich, deutlich, dassdas auch so praktiziert wird: etwa gegenüber Russland,wo man aufgrund der Lage den institutionalisierten Men-schenrechtsdialog aussetzen musste; etwa gegenüber Eri-trea, wo man seit 2008 die Entwicklungszusammenarbeiteingestellt hat, weil ansonsten die Gefahr bestandenhätte, dass der dortige Diktator, Isayas Afewerki, dieseMittel für Repressionen gegen die eigene Bevölkerungeingesetzt hätte . Und es gibt auch das umgekehrte Bei-spiel, etwa gegenüber Weißrussland, wo man aufgrundder Verbesserung der Lage Sanktionen wieder aufhebenkonnte . Ich bin wirklich davon überzeugt, dass ein dau-erhafter, konzentrierter Dialog letztlich dazu führt, dassman nach und nach deutliche Verbesserungen erreicht .Angelika Glöckner
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Mir ist natürlich klar, dass man immer wieder auch anGrenzen stoßen wird . Beispielsweise in Syrien, wo wirMenschenrechtsverletzungen von ganz unterschiedlicherSeite haben, sowohl vom Assad-Regime wie auch vomsogenannten „Islamischen Staat“ . Natürlich darf man dieMenschen dort in dieser Situation nicht im Stich lassen,auch wenn die klassischen Dialogformen und Dialogfo-ren der Menschenrechtspolitik dort nichts mehr ausrich-ten können .Ich glaube, dass gerade an dieser Stelle deutlichwird, dass Menschenrechtspolitik immer auch Bestand-teil eines ganzen Instrumentenkastens der Außenpo-litik ist, dass es immer auch um Diplomatie geht, dasses um wirtschaftliche Zusammenarbeit geht – und dasses manchmal auch notwendig ist, an einzelnen Stellenmit militärischen Mitteln einzugreifen . Ich will das andrei Beispielen verdeutlichen: Menschenrechtspolitik indiesem Sinne ist es dann eben auch, wenn man den ISmilitärisch bekämpft . Menschenrechtspolitik ist es auch,wenn man Pufferzonen schafft, in denen die Zivilbevöl-kerung sicher leben kann . Und Menschenrechtspolitik istes auch, wenn man gerade in dieser Region die Anrai-nerstaaten so unterstützt, dass Flüchtlinge möglichst inder Region bleiben können . Wenn man sich die Debattedarüber anschaut, dann wird deutlich – Frau KolleginSteinbach hat das in ihrer Rede ja ventiliert –, dass wirdie Schwerpunkte vielleicht nicht immer ganz richtigsetzen . Wir könnten mit unserer Politik sehr viel mehrerreichen, wenn wir die Schwerpunkte so setzten, dassdie Menschen in der Region blieben, anstatt dass sie sichnach Europa und nach Deutschland aufmachten .Anfang des Monats war in der Tageszeitung Die Weltzu lesen, dass wir in Deutschland für dieses und für daskommende Jahr für die Flüchtlingsunterbringung ge-samtstaatlich etwa 50 Milliarden Euro aufwenden müs-sen . Schauen wir uns einmal an, was man mit diesenMitteln in den Herkunftsländern erreichen könnte . Ichwill da einfach nur die Zahl erwähnen, die der Bundes-minister Müller immer wieder nennt; er sagte: Wenn dieEuropäische Union die Kraft hätte, 10 Milliarden Euroaufzuwenden, dann bestünde die Chance, 8 MillionenMenschen ein ganzes Jahr lang nicht nur zu ernähren,sondern auch für Gesundheitsversorgung und Bildungs-perspektiven zu sorgen .
Was würde es denn bedeuten, die Menschen in der Re-gion zu unterstützen? Da gelänge es, mit 350 Euro einganzes Jahr lang die Ernährung für einen Flüchtling si-cherzustellen, mit 150 Euro ein Zelt mit entsprechenderInfrastruktur zur Verfügung zu stellen und mit weiteren500 Euro jedem Flüchtling Perspektiven in Bildung undArbeit aufzuzeigen . Daran wird deutlich, dass man schonmit 1 000 Euro ein ganzes Jahr lang alle grundlegendenmenschenrechtlichen Bedürfnissen eines Flüchtlings zu-friedenstellen könnte . Deshalb müssen wir, glaube ich, indiesem Bereich noch deutlich mehr tun, als wir es heutemachen .Wenn ich demgegenüber die genannten 50 Milliar-den Euro zugrunde lege, dann bedeutet das in Wahrheitnichts anderes, als dass man alle 60 Millionen Menschen,die weltweit auf der Flucht sind, tatsächlich in den Her-kunftsländern und -regionen angemessen versorgen undunterbringen könnte . Vor dieser Wahrheit darf man dochden Blick nicht verschließen . Deswegen muss auch klarsein, dass wir für die Menschen mit Geld viel mehr inden Herkunftsregionen erreichen können, als wenn sieals Flüchtlinge zu uns kommen .
Vor diesem Hintergrund möchte ich noch zwei Bemer-kungen machen .Ich glaube, dass es ein schönes Ergebnis der LondonerGeberkonferenz am 4 . Februar war, knapp 10 MilliardenEuro zusammenzutragen . Es war ein starkes Zeichen derBundesregierung, dazu 2,3 Milliarden Euro beizusteu-ern . Es ist eher beschämend, andere Beiträge zu sehen,etwa den der USA in Höhe von 850 Millionen Euro, etwaden Beitrag Russlands – nämlich gar nichts . Auch derBeitrag der Europäischen Union insgesamt könnte deut-lich höher sein .Im europäischen Kontext müssen wir uns verstärktdarüber Gedanken machen, ob wir mit unserer Politik ei-gentlich die richtigen Schwerpunkte setzen . Wir machendoch letztlich weiter so wie gehabt, als ob nichts gewesenwäre . Es kann doch nicht sein, dass sich beispielswei-se in den Strukturfonds der Europäischen Union weiter80 Milliarden Euro befinden, die letztlich für die Opti-mierung von Rad- und Wanderwegen ausgegeben wer-den, anstatt dass das Geld dort konzentriert wird, wo wirtatsächlich etwas erreichen könnten, wo wir tatsächlichetwas zur Bewältigung der Flüchtlingskrise unternehmenkönnten, die eben keine deutsche ist, sondern eine euro-päische . Deshalb erwarte ich auch, dass Deutschland indiesem Fall die Probleme und die Lasten, die sich darausergeben, nicht alleine schultern und tragen muss, sonderndass wir dafür die notwendige europäische Solidaritätfinden. Das täte hier not. Auch das gehört zum Kontext,wenn wir über den Menschenrechtsbericht 2014 spre-chen .Herzlichen Dank .
Der Kollege Frank Heinrich hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Es gibt Themen, die sind von großer Bedeu-tung, und doch führen sie politisch ein Schattendasein;der eine oder andere Kollege hat darauf schon hingewie-sen . Menschenrechte gehören sehr oft dazu .Auch wenn wir die Bedeutung der Menschenrechteals ein Querschnittsthema, das alle Politikfelder durch-zieht , in unserem Parlament begreifen und als solchesformuliert haben – machen wir uns da doch nichts vor –:Thorsten Frei
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Debatten zu Menschenrechtsthemen finden oft vor leerenRängen statt –
Sie haben hier vorhin 36 Abgeordnete im Saal gezählt;ich weiß nicht, ob es inzwischen ein paar mehr gewordensind – und oft zu Zeiten, die nicht unbedingt zentral amTag liegen .Die humanitäre Hilfe oder auch die Entwicklungszu-sammenarbeit sind im Ranking der politischen Bedeut-samkeit ebenfalls ziemlich weit unten angesiedelt . Dochdann – plötzlich! – stehen ebendiese Themen direkt vorunseren Augen, im Zentrum der politischen Debatte .Man möchte fast sagen: im Auge des Sturms . Auch heuteist das so, nicht nur allein wegen des Menschenrechts-berichts, den wir heute behandeln und anlässlich dessenwir heute reden. Im Februar 2016 findet diese Debattefreilich unter einem neuen Namen statt, nämlich unterdem Begriff „Fluchtursachen bekämpfen“ . Fluchtursa-chenbekämpfung ist das Gebot der Stunde; mein Kolle-ge Thorsten Frei hat das eben sehr deutlich gemacht . Ichmöchte daran hautnah anknüpfen .Wir debattieren den Entwurf des EU-Jahresberichts 2014über Menschenrechte und Demokratie in der Welt . Des-halb stimmt natürlich, dass wir sowohl die ganze Weltals auch uns selbst in Augenschein nehmen müssen . DieWelt hat sich seither aber gravierend verändert . Der Som-mer 2015 war eine Zäsur für die Flüchtlingspolitik . Aberschon 2014 hat der Bericht festgestellt – ich zitiere –,dass die verschiedenen Formen von Migration einebedeutende Herausforderung für die Außenpolitikder EU darstellen, für die sofortige, wirksame unddauerhafte Lösungen erforderlich sind, damit si-chergestellt werden kann, dass die Menschenrechtevon Menschen in Not, wie etwa denjenigen, die vorKrieg und Gewalt fliehen, entsprechend den europä-ischen Werten und internationalen Menschenrechts-normen geachtet werden .Deshalb bekundet der Berichtseine große Besorgnis und seine Solidarität mit denzahlreichen Flüchtlingen und Migranten, die als Op-fer von Konflikten, Verfolgung, Versäumnissen derRegierungen, Schleusernetzen, Menschenhandel,extremistischen Gruppen und kriminellen Vereini-gungen gravierenden Menschenrechtsverletzungenausgesetzt sind;– insofern kommt das in dem Bericht doch vor; denn da-ran wird erinnert –bekundet zudem tiefe Trauer angesichts der tragi-schen Todesfälle unter den Menschen, die versuchthaben, die Außengrenzen der EU zu erreichen; …Auch entsprechende Forderungen wurden in dem Berichtaufgestellt, nämlich – ich zitiere weiter -dass es dringend notwendig ist, die Ursachen derMigrationsflüsse zu beseitigen und dazu die exter-nen Aspekte der Flüchtlingskrise anzugehen …Damit sind wir genau an dem Punkt, den mein Vorrednergenannt hat . Wie gesagt, die Feststellungen und die For-derungen, die daraus abgeleitet wurden, sind schon imRückblick auf das Jahr 2014 formuliert worden .Schauen wir uns heute um, stellen wir uns die Fra-ge: Wie steht die Welt an diesem Tag im Jahr 2016 da?Menschen ertrinken auf dem Weg über das Mittelmeer .Menschen werden auf der Balkanroute missbraucht undgedemütigt . Menschen sterben im Kugel- und Granaten-hagel von Islamisten . Menschen verhungern als Folgevon Bürgerkriegen und Umweltkatastrophen . Menschenflüchten, weil sie die Hoffnung auf eine Zukunft für ihreKinder verloren haben . – Das kann und darf uns nichtkaltlassen, und – das zeigt auch unsere Debatte – das tutes auch nicht . Sowohl die Zivilgesellschaft als auch diePolitik lässt das nicht kalt .Ich kann mich erinnern: Im vergangenen Jahr – nochvor dem Sommer – haben wir darüber gesprochen, undzwar kurz nach der Katastrophe mit den 700 Toten aufdem Mittelmeer . Ich erinnere mich, dass ich damalsmeine emotionalste Rede gehalten habe . Ich habe davongesprochen, dass die Propheten des Alten Testaments ineinem solchen Fall von Trauer und Elend ihren Mantelzerrissen haben, um auch anderen deutlich zu machen,was in ihnen vorgeht .Wir müssen handeln . An dieser Stelle kann ich derFrau Bundeskanzlerin nur zustimmen, die gesagt hat:Wenn wir jetzt noch anfangen müssen, uns dafürzu entschuldigen, dass wir in Notsituationen einfreundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht meinLand .Schön ist, dass wir uns eben nicht zu entschuldigenbrauchen . Um es klar zu sagen: Deutschland zeigt einfreundliches Gesicht . Die Welt schaut auf uns . Wir ha-ben Verantwortung übernommen . Ich bin stolz auf das,was vor allem Bürger des Landes, aber inzwischen auchVerwaltungen bzw . viele Menschen an den Schaltstellenund auch die Politik auf den Weg gebracht haben . NavidKermani hat es an dieser Stelle zu uns als Parlamentariergesagt: „Danke, Deutschland .“Dabei dürfen wir aber nicht naiv sein . Wir müssendie Befürchtungen ernst nehmen . Wir müssen unsereRessourcen im Blick behalten . Wir müssen den sozialenFrieden im Inneren und in Europa sichern . Und wir müs-sen den Rechtsstaat ertüchtigen, um ihn handlungsfähigzu erhalten . Dazu gehört auch, dass wir am Schluss nurwirklich Schutzbedürftige aufnehmen .Joachim Gauck hat es am Tag der Deutschen Einheitin einen, wie ich finde, prägnanten Satz gefasst: „UnserHerz ist weit . Aber unsere Möglichkeiten sind endlich .“Darum hat der Deutsche Bundestag Asylpakete auf denWeg gebracht; wir haben ja unter anderem auch heuteMorgen darüber diskutiert . Wir werden weiterhin Maß-nahmen ergreifen, damit unsere Hilfe wirklich bei denenankommt, die sie am dringendsten brauchen, bzw . da,wo die Menschenrechtsverletzungen gravierendst sind .Darum müssen und werden wir alles tun, soweit es inunserer Macht steht, um die Fluchtursachen konkret undnachhaltig zu bekämpfen .Der EU-Jahresbericht weist dabei an vielen Stellenden richtigen Weg . Es steht zugleich außer Zweifel: AnFrank Heinrich
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vielen Stellen bleibt er zu weich, und an anderen Stellenlegt er da, wo noch kräftig etwas zu bearbeiten ist, denFinger in die Wunde . Dieser Bericht sagt auch, dass wirdiesen Weg mit viel Elan und der nötigen finanziellenAusstattung weitergehen müssen . Es sei daran erinnert,dass jeder Euro, den wir in die Fluchtursachenbekämp-fung vor Ort investieren, ein Vielfaches an Geld spartgegenüber dem, was wir für die Unterbringung und Ver-sorgung von Flüchtlingen in der EU investieren müssen .Noch einmal – die vom Kollegen Frei genannten Zah-len waren einprägsam –: Die 1 000 Euro, mit denen wirjedem vor Ort nach allen Maßstäben der europäischenMenschenrechtswahrnehmung Sicherheit und Versor-gung bieten können, reichen hier bei uns möglicherweisenur für einen Monat . Jeder Euro verringert menschlichesLeid . Im Bericht wird deutlich, dass die EU und die Welt-gemeinschaft einheitlich handeln und zusammenarbeitenmüssen . Deshalb drängt Deutschland auf eine gemeinsa-me Lösung .Der Bericht erinnert daran, dass die EU „verpflichtetist, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik . . . zuentwickeln“ . Gefordert werden „eine verstärkte Kohä-renz“ – das Wort fiel mehrfach; da stimme ich laut zu –„zwischen der Innen- und Außenpolitik der EU“ – ichdenke, das gilt auch für unser Land –, der „Ausbau derZusammenarbeit und Partnerschaften mit den betroffe-nen Drittländern“ und eine engere Zusammenarbeit „mitden Vereinten Nationen und ihren Organisationen“, alsodenen, die auch daran arbeiten . Dafür muss sichergestelltwerden, dass „die EU und ihre Mitgliedstaaten . . . mit ei-ner Stimme sprechen“, sodass man deren Botschaft dannauch tatsächlich hört .Während wir hier debattieren und ich hier spreche, tagtder Europäische Rat . Bundeskanzlerin Angela Merkelwird dort genau diese Position vertreten; sie hat uns dashier vor zwei Tagen deutlich gemacht . Wir brauchen einegemeinsame europäische Strategie zur Verteilung derFlüchtlinge, zur Sicherung der EU-Außengrenzen undzur Bekämpfung der genannten Fluchtursachen .Was heißt das konkret? Das Hauptwerkzeug ist undbleibt der Menschenrechtsdialog; mehrere meiner Vor-redner, auch der Staatsminister Roth, haben genau daserwähnt . Ein zentraler Gesprächspartner muss die Zivil-gesellschaft sein . Doch wir müssen auch grundsätzlicherdenken: Damit eine Zivilgesellschaft überhaupt Men-schenrechtsverteidiger, Initiativen und NGOs hervor-bringen kann, müssen die Grundbedürfnisse gestillt unddie Grundmenschenrechte gewahrt sein, ohne das einegegen das andere aufzuwiegen . Ich stimme vollkommenmit dem Entwicklungsminister überein, der die Schwer-punkte der EZ bei der Grundversorgung setzt . Der Grün-der der Heilsarmee, William Booth, hat einmal gesagt:Einem hungrigen Magen kann man nicht predigen . –Übersetzt auf unser heutiges Thema bedeutet das: Voneinem Menschen, der täglich um seine Existenz kämpft,kann ich nicht erwarten, dass er seine demokratischenGrundrechte wahrnimmt und eine veränderte Gesell-schaft mitgestaltet . Das sind die drei Themen: Leben,Nahrung, Grundversorgung . Es ist keine Relativierung,wenn wir das eine und das andere fordern .Es ist sicherlich richtig, dass in einem solchen wer-tenden Bericht mehrere Staaten, beispielsweise China,wegen Verletzung von Menschenrechten, die uns sehrwichtig sind, kritisiert werden . Aber wir müssen auchwürdigen, dass in China in demselben Jahrzehnt, überdas wir da reden, mehr als 100 Millionen Menschen ausextremer Armut herausgekommen sind .
Kollege Heinrich, kommen Sie bitte zum Schluss .
Ich komme zum letzten Absatz . Danke schön .
Um die elementaren Bedürfnisse wirklich zu erfassen
und wirksam zu helfen, müssen wir die Schnittstelle zwi-
schen humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenar-
beit neu und eleganter definieren; das ist eine spannen-
de Herausforderung . In der Anhörung am vergangenen
Mittwoch waren sich alle Experten darin einig .
Kollege Heinrich, Sie haben zwar nichts über die
Länge des Absatzes gesagt . Aber Sie müssen jetzt einen
Punkt setzen .
Wir dürfen nicht nur Brände löschen, sondern müs-
sen auch Brandursachen beseitigen . Ich schließe mich
der Forderung an, dass wir das im Zusammenspiel von
Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft tun müssen und
diese nicht gegeneinander ausspielen dürfen . Nur dann
werden wir Fluchtursachen wirklich wirksam beseitigen .
Ich danke Ihnen für Geduld und Aufmerksamkeit .
Danke schön .
Ich schließe die Aussprache .Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Ausschusses für Menschenrechte undhumanitäre Hilfe auf Drucksache 18/7552 zu dem Ent-wurf des EU-Jahresberichts 2014 über Menschenrechteund Demokratie in der Welt. Der Ausschuss empfiehlt, inKenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzuneh-men . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-empfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Frakti-on, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke an-genommen .Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten SabineZimmermann , Matthias W . Birkwald,Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneterund der Fraktion DIE LINKEFrank Heinrich
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Schutzfunktion der ArbeitslosenversicherungstärkenDrucksache 18/7425Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und Energieb) Beratung der Beschlussempfehlung und desBerichts des Ausschusses für Arbeit und Sozi-ales zu dem Antrag der Abge-ordneten Sabine Zimmermann , JuttaKrellmann, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneterund der Fraktion DIE LINKEProgramm für gute öffentlich geförderte Be-schäftigung auflegenDrucksachen 18/4449, 18/5158Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die KolleginSabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Erinnern Sie sich noch: Vor zwölf Jahren bekamein Facharbeiter, wenn er arbeitslos wurde, erst Arbeits-losengeld und dann Arbeitslosenhilfe . Sie hatten alle indie Arbeitslosenversicherung eingezahlt und konntensich auf die Solidarleistung im Fall von Arbeitslosigkeitverlassen . Und dann kamen Sie, liebe Kolleginnen undKollegen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen
– die CDU/CSU hat zugestimmt –, mit Ihren unsäglichenHartz-IV-Gesetzen . Ich muss das hier so deutlich sagen:mit diesen unsäglichen Hartz-IV-Gesetzen .
– Warten Sie einmal, Herr Whittaker, was ich dazu zusagen habe .Ein Facharbeiter, ein Ingenieur oder jeder, der heutearbeitslos wird, geht im Regelfall nach zwölf Monatengnadenlos in Hartz IV, obwohl er nach wie vor mitunterJahrzehnte in die Arbeitslosenversicherung eingezahlthat . Dazu, meine Damen und Herren, sagt die Linke: Dasist ungerecht, und vor allen Dingen stürzt es viele Leutein Armut .
Soll ich Ihnen einmal sagen, wie ich das nenne? Ichnenne das eine der wirklich größten politischen Fehlleis-tungen der letzten zwölf Jahre mit katastrophalen Aus-wirkungen auf den Sozialstaat .
– Ja, Sie können da lachen, Kollege Bartke,
aber diejenigen, die in diesem Hartz-IV-System gefangensind, können nicht mehr lachen .Ihre unsozialen Gesetze haben auch zur Folge, dassmittlerweile über zwei Drittel der Erwerbslosen nicht imBereich der Arbeitslosenversicherung betreut werden,sondern im Hartz-IV-System . Sie brauchen sich dochbloß die Zahlen anzuschauen . So ist es doch . – Ich weiß,dass Sie das nicht hören wollen .
Aber wer die Geister rief . . . – es ist einfach so .
Fast ein Viertel der Beschäftigten, die erwerbslos wer-den, bekommen direkt Hartz IV . Immer mehr Erwerbslo-se können nämlich keine Ansprüche auf Arbeitslosengelderwerben, oder das Arbeitslosengeld ist so niedrig, dasssie zusätzlich noch mit Hartz-IV-Leistungen aufstockenmüssen .Ich möchte Sie wirklich einmal fragen, meine Damenund Herren von der SPD und vom Bündnis 90/Die Grü-nen: Wie können Sie das eigentlich mit Ihrem Gewissenvereinbaren? Das würde mich wirklich einmal interessie-ren .
Sie haben die Rahmenfrist, in der Ansprüche auf Arbeits-losengeld erworben werden können, von drei auf zweiJahre verkürzt, die Arbeitslosenhilfe abgeschafft und pre-käre Beschäftigung wie Leiharbeit und Minijobs ausge-weitet . Und wir haben den größten Niedriglohnsektor inganz Europa . Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Ichmuss es an dieser Stelle sagen .
Mittlerweile ist für jeden – egal ob hoch qualifiziert,jahrelang studiert oder Facharbeiter – jede Arbeit zu-mutbar . Arbeit zu jedem Preis ist angesagt, und das istauf der Tagesordnung, meine Damen und Herren . Wenneiner nicht spurt – das kommt ja noch dazu; da habenSie sich ja noch etwas „Gutes“ einfallen lassen –, dannkommen noch Sperrzeiten und Sanktionen darauf, damitnoch richtig Druck auf die Menschen gemacht werdenkann . Und dann werden sie unter dem Strich noch drang-saliert . Das ist das Monster, das Sie hier in Deutschlandinstalliert haben, meine Damen und Herren .
Hier wurden und werden Qualifikationen in Größenord-nungen vernichtet, Menschen werden regelrecht gebro-Vizepräsidentin Petra Pau
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chen . Ich weiß nicht, ob Sie fern von der Realität sind,aber ich weiß das von sehr vielen Menschen .Dieses Monster, dieses Geschwür Hartz IV schwächtdauerhaft das soziale Immunsystem unseres Landes, undSie geben immer noch die falsche Medizin darauf .
Sie können die Langzeitarbeitslosigkeit nicht bekämp-fen, wir haben immer noch mehr als 3 Millionen Men-schen, die einen Zweitjob und einen Drittjob brauchen .Und da sagen Sie: „Die Welt ist in Ordnung“? Nein, dieWelt ist eben nicht in Ordnung .
Durch das enorme Schleifen der Arbeitslosenversi-cherung wurde eine gewaltige Lohnspirale in Gang ge-setzt . Das führte dazu, dass wir einen der größten Nied-riglohnsektoren in Europa haben . Das, meine Damen undHerren – das muss ich Ihnen so deutlich sagen –, ist nichtunsere Vorstellung von einer guten Arbeitsmarktpolitik .
Stellen Sie sich vor, Sie selbst würden in diese Situationkommen . Wie unwürdig ist es doch eigentlich, dass Men-schen von ihrem Lohn nicht leben können. Ich finde dasunanständig . Wenn man darüber nachdenkt, erkennt man,dass das auch noch verdeckte Wirtschaftsförderung ist .Ich habe mir die Zahlen herausgesucht: Jährlich werden10 Milliarden Euro an Steuergeldern für Lohnsubventi-onierung gezahlt . Das ist eine verdeckte Wirtschaftsför-derung. Das können Sie doch nicht gutheißen. Ich finde,das ist ein Skandal .
Die Arbeitslosenversicherung muss wieder gestärktwerden, und sie muss auch zum Hauptinstrument der so-zialen Sicherung bei Erwerbslosigkeit werden . Dazu willich Ihnen einige unserer Vorschläge nennen: Erweiterungder Rahmenfrist von zwei auf drei Jahre, Anspruch aufArbeitslosengeld bereits nach vier Monaten Beitragszeit,für langjährige Beitragszahlerinnen und -zahler wird dieAnspruchsdauer auf Arbeitslosengeld erweitert, ebensofür ältere Erwerbslose und auch für Menschen mit Behin-derungen, und zur Vermeidung von ergänzendem Hartz-IV-Bezug wird ein Mindestarbeitslosengeld eingeführt .Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt gilt selbstver-ständlich auch für Flüchtlinge . Nun suchen Sie wiedereinmal nach Wegen, um bei Flüchtlingen durch die Hin-tertür den Mindestlohn zu unterlaufen .
– Die CDU zum Beispiel .
– Ja, aber es wird trotzdem nicht besser . Das, was Sievorhaben, wird ja schlimmer; es heißt ja, sie sollen jetzterst Praktika machen, und da bekommen sie noch nichteinmal Lohn, sondern nur eine Praktikumsvergütung .Das ist doch die Schweinerei dabei . Es ist doch blankerPopulismus, was Sie hier machen .
Eine starke Arbeitslosenversicherung und eine guteArbeitsförderung – das sind die Hauptpfeiler eines So-zialstaates, wie wir ihn uns vorstellen . Wie der Rest desHauses dieses sieht und wie er zum Sozialstaat steht,werden wir sehen und hören .Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
Das Wort hat der Kollege Albert Weiler für die CDU/
CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Verehrte Damen und Herren auf der Tri-büne! Liebe Fernsehzuschauer! Bevor ich inhaltlichstarte, muss ich hier meine Bestürzung und Ablehnungzum Ausdruck bringen: Der Abgeordnete Diether Dehm,Linkspartei, beschäftigt seit einigen Jahren aus Steuer-mitteln den Ex-RAF-Terroristen und verurteilten MörderChristian Klar . Dieser sollte uneingeschränkt Zugangzum Bundestag bekommen .
Der Feind der Demokratie hat nichts im Herzstück un-serer Demokratie zu suchen, meine Damen und Herren!
Die Linkspartei sollte sich gut überlegen, wen sie auf IhreListenplätze setzt . Herr Dehm sollte sich überlegen, ob erhier im Deutschen Bundestag an der richtigen Stelle ist .
Nun zum eigentlichen Thema . Liebe Kolleginnen undKollegen von der Linksfraktion, unter dem DeckmantelIhres Antrags zur Stärkung der Schutzfunktion der Ar-beitslosenversicherung steckt mal wieder jede Mengedüstere Wahlkampfpolemik,
die nicht widerspruchslos hingenommen werden kann .
Sabine Zimmermann
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Ihre Antragsbegründung ist derart widersprüchlich und –Märchenhaftigkeit – teilweise realitätsfern, dass es einemdie Socken auszieht .
In Ihrem Antrag monieren Sie, dass die Senkung derArbeitslosenversicherungsbeiträge von 6,5 Prozent imJahr 2006 auf heute 3 Prozent die Arbeitgeber in Deutsch-land entlastet habe . Das stimmt . Allerdings sind die vie-len Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerebenso Nutznießer dieser Senkung . Ich sage da nur: mehrNetto vom Brutto . Dass diese Beitragssenkung natürlichauch mit der enormen Reduzierung der Arbeitslosigkeitin Deutschland zu tun hatte, verschweigen Sie . Ebensoverschweigen Sie, dass die Unternehmen in Deutschlanddie eingesparten Gelder investiert und Arbeitsplätze ge-schaffen haben .
Der aktuelle Jahreswirtschaftsbericht der Bundesre-gierung bestätigt dies eindrucksvoll . 43,3 Millionen Er-werbstätige, eine solche Zahl gab es in der Geschichteder Bundesrepublik noch nie, und die Tendenz ist stei-gend . Ihre Mär von der Zunahme unsicherer Arbeitsver-hältnisse ist schlichtweg falsch . Das Gegenteil ist aktuellder Fall .
Richtig ist – hier muss ich mich wiederholen –: Es gibtimmer mehr Normalarbeitszeitverhältnisse . Seit 2010gab es eine Zunahme regulärer Arbeitsverhältnisse um1,5 Millionen . Dagegen sind die Zahlen bei befristeterund geringfügiger Beschäftigung sowie bei der Zeitar-beit gesunken . Das bestätigt das Statistische Bundesamt .Wenn Sie in Ihrem Antrag davon schreiben, dass einViertel aller Beschäftigten, die nach einer sozialversi-cherten Arbeit arbeitslos werden, direkt in das Hartz-IV-System fallen, dann heißt das doch im Umkehrschluss,dass die Arbeitslosenversicherung für drei Viertel allerBeschäftigten funktioniert .
Die Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung ist alsostark .Sie argumentieren in Ihrem Antrag vom Januar 2016mit Zahlen von 2014 . Damit verblenden Sie die Wahr-heit, weil Sie anscheinend der Bundesregierung den Er-folg nicht gönnen .
Durch unsere gute und stabile Politik hat sich auch dieZahl der ALG-I-Bezieher mit zusätzlichem Hartz-IV-Be-zug verringert . Die Zahlen der BA belegen das deutlich .Aktuell sind 85 500 ALG-I-Bezieher auf zusätzlicheLeistungen aus dem SGB II angewiesen . Es sind alsonicht, wie Sie mit Ihrer veralteten Zahl von 2014 vortäu-schen wollen, 96 593 . Aktuell sind es zwar immer nochzu viele ALG-I-Bezieher, aber die Tendenz geht deutlichnach unten .Man muss stark bezweifeln, dass mit Ihren Vorschlä-gen die Arbeitslosenversicherung gestärkt wird . Sie for-dern unter anderem ein Recht auf Arbeit .
Aber wo bleibt die Pflicht zur Arbeit? Sie wollen Sperr-zeiten und Sanktionen abschaffen;
entsprechende Vorlagen bringen Sie immer wieder inden Bundestag ein . Jeder Arbeitnehmer – und auch jederBundestagsabgeordnete – wird sanktioniert, wenn er sei-ner Arbeit nicht nachkommt oder die Arbeit ablehnt . Siefordern das generelle Recht für Arbeitslose, sanktions-los auch gute Arbeit ablehnen zu dürfen . Das kann nachmeinem gesellschaftlichen Verständnis nicht richtig sein,und es ist beschämend für jeden, der arbeitet .
Zudem wollen Sie die Arbeit in Deutschland teurermachen, indem Sie die – in Anführungszeichen – „ka-pitalistischen Arbeitgeber“ Sonderabgaben zahlen lassenwollen . Die Absenkung der Hürden für den Bezug vonArbeitslosengeld wäre mit Kosten in dreistelliger Milli-onenhöhe verbunden . Ihre Vorschläge zur Änderung derRahmenfristen würden der Agentur für Arbeit zwischen300 Millionen und 450 Millionen Euro Mehrkosten auf-erlegen . Diese Vorschläge schaden der Arbeitslosenversi-cherung . Deshalb müssen wir den Antrag ablehnen .
Wir sollten aber gemeinsam unsere Bemühungen da-rauf konzentrieren – das gebe ich Ihnen als Rat mit –,dass wir die Menschen aus der Arbeitslosigkeit in Arbeitbringen . Deshalb ist es gut und richtig, dass die Bundes-regierung mit dem Arbeitslosenversicherungsschutz- undWeiterbildungsstärkungsgesetz den Zugang zur berufli-chen Weiterbildung insbesondere für Geringverdiener,für Geringqualifizierte, für Langzeitarbeitslose und fürältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessernwill und wird .
Das macht den entscheidenden Unterschied aus: Siewollen möglichst viele Menschen in die Arbeitslosenver-sicherung hineinziehen . Wir wollen den Menschen Wegeaus der Arbeitslosigkeit ermöglichen und sie in Arbeitbringen .Vielen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Brigitte Pothmer für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf demroten Teppich hat die Berlinale gerade die glamouröseSeite des Films präsentiert . Aber der Film und übrigensAlbert Weiler
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auch andere Bereiche der Kunst und Kultur haben eineüberaus dunkle Seite . Nicht alle gehen mit Gagen wieGeorge Clooney nach Hause . Viele arbeiten unter höchstprekären Bedingungen am Rande der Armutsgrenze . Überdiese Schattenseite des Films habe ich in dieser Wochemit zwei Vertretern des Berufsverbandes Kinematografiegesprochen . Sie haben mir erzählt, dass Filmschaffendeim Regelfall Höchstbeträge in die Arbeitslosenversiche-rung einzahlen und im Falle der Arbeitslosigkeit keinenCent herausbekommen .
Das hat damit zu tun, dass diese Leute befristet arbeitenund die Befristungen sogar nur von sehr kurzer Dauersind . Filmschaffende, aber nicht nur die, sondern auchandere in der Kunst und Kultur, brauchen dringend einebessere Absicherung bei Arbeitslosigkeit .
Die, meine Damen und Herren, haben Sie von derGroKo ihnen auch versprochen, und zwar bereits fürEnde 2014 .
Passiert ist nichts . Es gibt diese unwirksame Regelung,mit der Sie 0,7 Prozent – in Worten: null Komma siebenProzent – derjenigen erreichen, die Sie selber als betrof-fen definiert haben. Herr Weiler, wenn man eine solcheBilanz vorgelegt hat, dann sollte man sich mit Kritik andenjenigen etwas zurückhalten, die hier konkrete Vor-schläge machen .
Jetzt haben Sie vor der Lösung des Problems, das Sieselber identifiziert haben – deswegen haben Sie im Ko-alitionsvertrag eine Vereinbarung dazu getroffen –, end-gültig kapituliert . Lieber Herr Weiler, wissen Sie, wasdas in einem normalen Betrieb bedeuten würde? Daswäre Arbeitsverweigerung! Ich wünschte mir, Sie bekä-men dafür endlich mal eine Sanktion .
Markus Paschke – du redest gleich nach mir –, was ichbesonders peinlich finde, ist: Ihr habt zu diesem Themaeine Pressemitteilung gemacht, und in dieser Pressemit-teilung rühmt ihr euch tatsächlich, die Phase der Unsi-cherheit für diese Menschen beendet zu haben . MeineDamen und Herren, da muss ich noch einmal die lachen-de Koralle bemühen .
Ihr habt nicht Unsicherheit beendet, ihr habt die letzteHoffnung begraben, und zwar nicht nur für die Film-schaffenden . Film- und Kulturschaffende sind in diesemBereich eine negative Avantgarde . Ihr alle wisst selber,dass solche Beschäftigungsverhältnisse zunehmen . Be-fristungen, Projektarbeit, Selbstständigkeit, das sindkeine Zukunftsszenarien, die man gemütlich unter demStichwort „Arbeiten 4 .0“ diskutiert; das ist gesellschaft-liche Realität für sehr viele Menschen .
Sabine Zimmermann hat es gesagt: Ein Viertel derje-nigen, die in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, be-kommen keinen Cent heraus . Das ist nicht nur eine großeGerechtigkeitslücke, Herr Weiler; das delegitimiert dasSystem der Arbeitslosenversicherung . Jeder, der nichtsherausbekommt, wird sich doch überlegen, ob er nichtWege findet, in Zukunft nicht mehr einzahlen zu müssen.Frau Nahles hat den Dialogprozess „Arbeiten 4 .0“ ge-startet . Im Rahmen dieses Dialogprozesses hat sie auchein eigenes kleines Filmfestival zum Thema „Zukunftder Arbeit“ veranstaltet . Ich kritisiere das gar nicht; ichgehe gern ins Kino, und das ist mal wieder eine Gele-genheit . Aber ihr solltet euch bewusst sein, dass jede undjeder, die in dem Abspann genannt wird, prekär arbeitet,in die Arbeitslosenversicherung einzahlt und keinen Centherausbekommt. Ich finde, es ist einer Arbeitsministerinunwürdig, sich mit diesen Themen zu schmücken, aberfür die Filmschaffenden nichts, aber auch gar nichts zutun .
Sie werden nicht nur dafür bezahlt, dass Sie hier überZukunftsprobleme reden; Sie werden auch dafür bezahlt,dass Sie heutige Probleme lösen . Wir haben Ihnen schon2015 einen Vorschlag vorgelegt, wie diese Probleme zulösen sind . Übernehmen Sie diese Vorschläge! Und ichverspreche Ihnen: Ich werde keine Urheberrechte geltendmachen . Ich bitte Sie: Tun Sie endlich was, in Gottes Na-men!Danke schön .
Das Wort hat der Kollege Markus Paschke für die
SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kol-legin Zimmermann, das einzige Monster hier in Deutsch-land ist das, das Sie immer wieder an die Wand malen .
Ich würde vorschlagen: Lassen Sie uns doch lieberschauen, wo wir etwas verbessern können, und darüberBrigitte Pothmer
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diskutieren, statt immer die Monster an die Wand zu ma-len, die es eigentlich gar nicht gibt .
Ich habe auch etwas zu loben . In dem Antrag gibt eseinige Punkte, die sich ganz gut anhören, und Sie benen-nen auch einige wichtige Baustellen . Damit hatte IhreRede aber leider nicht ganz so viel zu tun .
Die Verlängerung der Rahmenfrist zum Beispiel oderauch generell die Idee eines erweiterten Zugangs zur Ar-beitslosenversicherung finden unsere Zustimmung; dasist kein Geheimnis . Dazu gehört für mich noch ein ganzzentraler Punkt, nämlich eine Antwort auf die Frage: Wasmachen wir mit denen, die den Anforderungen auf demersten Arbeitsmarkt zurzeit nicht gewachsen sind? Auchdiesen Menschen müssen wir eine Chance zur gesell-schaftlichen Teilhabe bieten; denn das Gefühl, gebrauchtzu werden und seinen Beitrag leisten zu können, ist einwesentlicher Bestandteil unseres gesellschaftlichen Zu-sammenlebens .
Dabei geht es manchmal einfach nur um Teilhabe oderdarum, einen sinnvollen Beitrag für diese Gesellschaft zuleisten. Ich finde, da gibt es eine kluge Idee: Statt Ar-beitslosigkeit finanzieren wir einfach Arbeit. Passiv-Ak-tiv-Tausch nennt sich das .
Es ist ein ganzheitliches Konzept, bei dem wir die Men-schen in den Mittelpunkt stellen .
Das wird auch in einem Ihrer Anträge gefordert . Aber ichsage an dieser Stelle noch einmal: Es ist ein bisschen zueinfach, 200 000 Plätze für ein Förderprogramm, wie esin Ihrem Antrag steht, zu fordern, und dies völlig ohneKriterien, die zum Beispiel Mitnahmeeffekte ausschlie-ßen .Zum Passiv-Aktiv-Tausch gilt es hier noch dicke Bret-ter zu bohren, auch und insbesondere bei unserem Koa-litionspartner . In einer idealen Welt wäre es ja ganz ein-fach: Die Fachpolitiker sind sich weitgehend einig, dassdas ein gutes Instrument ist, und wir brauchen eigentlichnur noch den Bundesfinanzminister an unserer Seite.
Kollege Paschke, gestatten Sie eine Frage oder Be-
merkung der Kollegin Zimmermann?
Ich würde das gerne erst zu Ende führen .
Natürlich muss man ehrlich sein und feststellen: DerPassiv-Aktiv-Tausch kostet erst einmal Geld .
Daran, den Bundesfinanzminister vom langfristigen Nut-zen einer so klugen Investition zu überzeugen, arbeitenwir unermüdlich .
Lasst es uns doch einfach einmal tun, und dann werdenwir auch feststellen – davon bin ich überzeugt –, dass eslangfristig volkswirtschaftlich günstiger ist, Arbeit stattArbeitslosigkeit zu finanzieren. Denn wir verhindern da-mit auch die Spaltung unserer Gesellschaft in die, die vielarbeiten, und in die, die nicht arbeiten dürfen .Kommen wir zurück zu Ihrem Antrag zur Arbeitslo-senversicherung . Wirklich zukunftsorientiert sind dieVorschläge in Gänze dann leider doch nicht . Oder andersausgedrückt: Sie beschäftigen sich eher mit der Frage„Wie können wir die Asche bewahren?“, während dieSPD mehr die Frage stellt: Wie können wir das Feuerweitertragen?
Für mich ist klar: Wir stärken die Arbeitslosenversiche-rung nur, wenn wir sie zu einer Arbeitsversicherung wei-terentwickeln und so Schritt halten mit den Anforderun-gen unserer Zeit .Die Gefahr einer Dequalifikation wächst für Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer . Die immer schnellerfortschreitende Entwicklung von Technik, Maschinenund Arbeitsprozessen verlangt nach erweiterten undteilweise auch völlig neuen Kenntnissen . Hier gilt es an-zusetzen und die Menschen aktiv dabei zu unterstützen,ihre Qualifikationen zu halten und zu erweitern. Das seheich – neben der Absicherung im Falle von Arbeitslosig-keit – als zentrale Aufgabe einer zukunftsorientierten Ar-beitsversicherung . Das Feuer weitertragen – das machenwir .Mit dem von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahlesvorgelegten Gesetzentwurf zur Stärkung der beruflichenWeiterbildung und des Versicherungsschutzes in der Ar-beitslosenversicherung tun wir nämlich genau das: Wirinvestieren in eine berufliche Weiterentwicklung undWeiterbildung . Wir öffnen die Aus- und Weiterbildungauch für Menschen, die bisher nicht so viele Erfolge inunserem Bildungssystem hatten . Außerdem belohnen wirGrund- und Weiterbildung und motivieren zum Weiter-machen bis zu einem erfolgreichen Abschluss .Markus Paschke
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 156 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Februar 2016 15387
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Außerdem verbessern wir die Möglichkeit einer frei-willigen Weiterversicherung in der Arbeitslosenversiche-rung, damit wir gerade die Menschen, die sich selbst-ständig gemacht haben oder Verwandte pflegen, davorschützen, ihre Ansprüche zu verlieren .
Das sind nur einige Punkte, Brigitte, die mit diesem Ge-setz umgesetzt werden . Damit machen wir einen erstenSchritt in Richtung einer zukünftigen Arbeitsversiche-rung .
Die Rolle der Opposition ist da ein wenig einfacher .Sie kann immer sagen: Der Schritt ist zu kurz . Oder: Esist zu wenig bzw . zu viel . – Ich bin da ganz pragmatisch:Lieber viele kleine Schritte in die richtige Richtung alsein großer Schritt zurück . Daher werden wir den Antragheute ablehnen .Danke .
Der Kollege Kai Whittaker hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Wenn man Ihnen,Frau Kollegin Zimmermann, in dieser Debatte zugehörthat – das gilt aber auch für andere Debatten –, kann mansagen, dass Mark Twain mit folgender Feststellung dochrecht hatte:Das Problem mit der Linken ist, daß die meisten ausHaß gegen die Reichen Kommunisten gewordensind und nicht aus Liebe zu den Armen .Denn nur so ist es zu erklären, warum Sie eine so liebloseIdee haben, Arbeitslose in Arbeitsbeschaffungsmaßnah-men parken zu wollen . 200 000 Menschen sollen nachIhren Vorstellungen Bauklötzchen stapeln oder Super-markt spielen .
In Ihrem Antrag steht aber kein Wort, wie Sie dieWirtschaft stärken und Arbeitsplätze schaffen wollen .Aber das wundert mich, ehrlich gesagt, nicht wirklich .Die Linke hat es noch nie verstanden, in diesem LandArbeitsplätze zu schaffen . Deshalb konzentrieren Siesich auch darauf, Arbeitslosigkeit in Ihrer Wahrnehmungerträglicher zu machen . So erleichtern Sie Ihr Gewissen .Das ist alles, was Sie tun . Sie wollen Geld sozusagen aufdas Problem schmeißen . Das hilft aber, ehrlich gesagt,nicht .
Ich bin nicht der Einzige, der das so sieht . Schauen wiruns ein paar Studien an: Das ifo-Institut hat 2009 – ichzitiere – Folgendes festgestellt:Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass negativeEffekte aus öffentlich geförderter Beschäftigung . . . insbesondere in Ostdeutschland zu verzeichnensind .Auch die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung hat 2012festgehalten:Die bisherigen Evaluationsergebnisse geben Anlasszur Skepsis, ob öffentlich geförderte Beschäftigungin großem Umfang zum Marktersatz dienen kann .Und für die letzten Zweifler hier im Plenum habe ichauch noch eine Studie vom IAB aus dem Jahr 2012 . Inihr wurde festgestellt:Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen haben nachweis-lich keine Beschäftigungswirkung, sind also wir-kungslos .Ich halte fest: Sie, die Linken, wollen Menschen inArbeitslosigkeit parken, anstatt ihnen Chancen zu bieten .
Wir als Union haben, Frau Kollegin Pothmer, 2015 eben-falls Vorschläge gemacht, wie wir mit diesem Themaumgehen wollen . Wir sind felsenfest davon überzeugt,dass wir noch einmal an den Instrumentenkasten heran-gehen müssen .Ich möchte ein paar Beispiele bringen . Die freie För-derung ist immer noch zu starr . Gute Ideen vor Ort inden Jobcentern werden durch Paragrafenreiter sozusa-gen aus dem Sattel gehoben . Echte Begleitungen fehlen .Nicht jeder Langzeitarbeitslose, der zwei, drei oder vierschwerwiegende persönliche Probleme hat, schafft alleinden Weg zurück in den Arbeitsmarkt . Er braucht Hilfe,Begleitung, Assistenz und Beratung .
Ich möchte noch einen weiteren Aspekt ansprechen .Die Hälfte der Langzeitarbeitslosen hat keine Berufsaus-bildung . Deshalb treten wir dafür ein, dass Langzeitar-beitslose eine Ausbildung machen können . Denn die Al-ternative dazu wäre doch, dass sie einen perspektivlosenAushilfsjob annehmen . Es ist nicht mein Anspruch, es istnicht der Anspruch der Unionsfraktion, Perspektivlosig-keit zu verwalten; wir wollen Perspektiven schaffen .
Auch die schwersten Fälle geben wir nicht so schnellauf wie Sie . Wir haben vorgeschlagen, die Integrations-betriebe für Langzeitarbeitslose zu öffnen, ihnen einenMarkus Paschke
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geschützten Raum anzubieten, in dem sie echte Arbeitam ersten Arbeitsmarkt haben,
anstatt geparkt zu werden, wie in Ihrem Antrag vorge-schlagen .
Ich finde, auch ein anderes Thema müssen wir ein-mal grundsätzlicher ansprechen . Die Frage, die sichmir stellt, ist folgende: Ist es wirklich sinnvoll, dass dieHälfte der Jobcentermitarbeiter ihre Zeit damit verbringt, exakt auszurechnen, wer wie viel Geld bekommt? Wärees nicht viel besser, wenn sie Arbeitslose tatsächlich inJobs vermitteln würden?
Ich finde, diese Frage ist nicht trivial, gerade vor demHintergrund der vielen Flüchtlinge, die jetzt in diesesLand kommen und bald in den Jobcentern aufschlagenwerden .Die Logik des SGB II war es doch, jedem arbeitslo-sen Bürger eine pauschale Leistung zu zahlen; aber dieBilanz nach zehn Jahren ist doch etwas ernüchternd,wie ich kurz an einem Beispiel zeigen möchte: Bei derWarmwasserzuschlagsberechnung wird geschaut, ob einHartz-IV-Empfänger das Warmwasser in seiner Woh-nung mit einem Boiler erhitzt oder nicht . Wenn er es tut,dann wird nachgeschaut, ob sich mit diesem Warmwas-ser nur ein Erwachsener oder noch ein Jugendlicher oderein Kind duscht, weil es dann Zuschläge gibt .
Vor kurzem hat das Jobcenter im Unstrut-Hai-nich-Kreis wegen einer nicht geleisteten Nachzahlungvon 10 Cent darüber nachgedacht, das Bundessozialge-richt anzurufen .
Das muss man sich einmal vorstellen: Wegen 10 Centwerden Gerichte angerufen, weil uns Einzelgerechtig-keit wichtiger erscheint und weil es im Gesetz steht, abernicht, weil irgendwelche wild gewordenen Jobcentermit-arbeiter Arbeitslose drangsalieren wollen .Ich weiß, das ist ein Extrembeispiel – gar keine Fra-ge –, aber es zeigt, dass wir oft mit Hartz-IV-Empfängernum Kleinstbeträge ringen . Es macht deutlich, dass wirmehr Pauschalierungen im Hartz-IV-System brauchen .Es macht auch deutlich, dass wir aufhören müssen, unsbei Hartz IV um Kleinigkeiten zu kümmern . Dazu gehö-ren eben solche Placeboprogramme, wie Sie sie in IhremAntrag vorschlagen .Wir müssen die Jobcenter in Deutschland endlich indie Lage versetzen, sich um die Menschen zu kümmernanstatt um sich selbst .
Denn es ist nicht so entscheidend, wie viel Geld wir ineinen Menschen investieren, sondern, wie viel Zeit wiruns für ihn nehmen .Danke schön .
Der Kollege Dr . Matthias Bartke hat für die SPD-Frak-
tion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LieberHerr Whittaker, es ist nicht richtig, dass Beschäftigungs-maßnahmen im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitikein Parken von Arbeitslosen sind .
Das ist es mit Sicherheit nicht . Da muss ich direkt dieLinke in Schutz nehmen .Angesichts der Kritik, die Sie an den teilweise nichtvorhandenen Pauschalierungen und Bagatellgrenzen ge-äußert haben, möchte ich sagen: Nach meiner Kenntniswar es insbesondere die CDU im Bundesrat, die dieseRegelung verhindert hat .
Bevor ich jetzt zu viel Beifall von Ihnen kriege, möch-te ich ganz grundsätzlich etwas zur Agenda 2010 sagen .Das, was Sie, Frau Zimmermann, hier gesagt haben, istin meinen Augen völlig geschichtsvergessen .
Als Gerhard Schröder die Agenda 2010 eingeführt hat,war Deutschland der kranke Mann Europas . Heute sindwir der prosperierendste Sozialstaat auf dem ganzenKontinent .
Das ist unweigerlich mit dem Namen Gerhard Schröderverbunden .Ich sage Ihnen auch: Es hat bei der Agenda 2010 zweiFehlentwicklungen gegeben . Die erste Fehlentwicklungwar, dass wir den Niedriglohnsektor deutlich zu groß ge-macht haben .
Kai Whittaker
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Um dem entgegenzuwirken, haben wir den Mindestlohneingeführt .
In Deutschland verdient jetzt jeder mindestens 8,50 Europro Stunde . Da gab es eine Partei, die dem nicht zuge-stimmt hat, und das war Ihre Partei .
Die zweite Fehlentwicklung war, dass die Leiharbeitdeutlich ausgebaut wurde, dass da zu viel passiert ist . Umdem entgegenzuwirken, werden wir jetzt eine völlig neueRegelung im Bereich des Arbeitnehmerüberlassungsge-setzes vorlegen . Da sollten Sie sich nicht schon wiederenthalten; denn dann würde die Geschichte schon wiedergegen Sie sein .
Frau Zimmermann, Ihr Antrag ist deutlich besser alsdas, was Sie hier gesagt haben .
Auch ich sage: Menschen in prekären und flexiblenBeschäftigungsformen brauchen natürlich eine Absi-cherung . Auch wir glauben: Wenn wir diese Menschenschützen wollen, dann muss die Arbeitslosenversiche-rung völlig neu aufgestellt werden .
Besonderen Bedarf sehe ich bei den überwiegendkurzfristig Beschäftigten . Im letzten Jahr hat mich eineSchauspielerin aus meinem Wahlkreis Hamburg-Altonaangeschrieben . Ich kann ihren Unmut absolut nachvoll-ziehen: Sie wird für einzelne Theaterstücke engagiert,führt dafür hohe Beiträge an die Arbeitslosenversiche-rung ab und erhält nach Ende des Engagements trotzdemnur Hartz IV . Das ist frustrierend .
– Das, was Frau Pothmer dazu gesagt hat, stimmt ja auch .
Im Koalitionsvertrag haben wir daher vereinbart, dasswir für die Sonderregelung für überwiegend kurzfristigBeschäftigte eine Anschlussregelung finden. Geplant warzum Beispiel eine Verlängerung der Rahmenfrist auf dreiJahre . Leider haben wir mit unserem Koalitionspartnerin diesem Punkt keine Einigung erreicht . Stattdessen hatdas Bundeskabinett die Sonderregelung bis 2018 verlän-gert . Das ist besser als nichts – das muss man auch ein-mal sagen –,
aber das hilft natürlich nur der Gruppe, bei der die Son-derregelung auch greift . Der Schauspielerin aus Altonahilft das leider nicht . Eine weiter gehende Nachfolgere-gelung ist daher unbedingt notwendig .
Wir werden zu Ihrem Antrag und zu einem Antrag derGrünen im April eine Anhörung im Ausschuss durchfüh-ren . Dabei werden wir uns mit den Details befassen undüberlegen, wo wirklich Handlungsbedarf besteht .Unsere Aufgabe ist es, Arbeitslosigkeit zu vermeiden .Unser Ziel ist es daher, die Arbeitslosenversicherung zueiner Arbeitsversicherung weiterzuentwickeln. Qualifi-zierung und Weiterbildung, das sind die Stichworte . Siesind für den gesamten Verlauf des Erwerbslebens zentral .Sie sorgen für den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit .Nach unserer Vorstellung geht es zum einen um den so-zialrechtlichen Anspruch auf Qualifizierung im Fall vonArbeitslosigkeit, es geht aber auch um den arbeitsrechtli-chen Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber, um Qualifi-kation zu sichern und zu erhalten .Wir haben schon in der letzten Legislatur einen ent-sprechenden Vorschlag gemacht . Ministerin Nahles ver-folgt ihn mit dem Dialogprozess „Arbeiten 4 .0“ weiter .Sie will die Arbeitslosenversicherung um Elemente er-gänzen, die einen Anspruch auf Qualifikations- und Wei-terbildungsberatung für Arbeitnehmer schaffen . Sie sagt:„Die Kunst wird darin bestehen, im Wandel alle an Bordzu behalten .“Wir müssen die Risiken von beruflichen Übergängenund Erwerbsunterbrechung besser absichern . Gleichzei-tig wollen wir Chancen für Neuanfänge und beruflichesFortkommen eröffnen; denn immer seltener üben Men-schen denselben Beruf ein Leben lang am selben Ort fürdasselbe Unternehmen aus . Nur ein präventiver Ansatzkann daher diesen Risiken ausreichend entgegenwirken .Aber im Dialogprozess „Arbeiten 4 .0“ denken wirnoch viel weiter . Wir stellen nicht nur die Frage der Absi-cherung, sondern auch die Frage: Wie wollen wir morgenarbeiten? Inwiefern wird Technik die Arbeit verändernund wie den Bedarf an Berufen und Qualifikationen? Wirwollen mit unseren Antworten die Chancen, nicht dieÄngste in den Vordergrund stellen .Der Dialogprozess ist im vergangenen Jahr gestartetund soll dieses Jahr abgeschlossen werden . Das Arbeits-ministerium hat dafür unter anderem einen Beraterkreismit Experten aus Wissenschaft und betrieblicher Praxiszusammengestellt . Die Sozialpartner und alle Bürger sindeingeladen, sich einzubringen . Meine Bitte am Schluss:Beteiligen auch Sie sich dabei .Vielen Dank .
Dr. Matthias Bartke
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Matthäus
Strebl das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Im vierten Quartal 2015 gab es einen kräfti-
gen Zuwachs der Erwerbstätigenzahl . Die sozialversi-
cherungspflichtige Beschäftigung verzeichnete sowohl
in Westdeutschland wie auch in Ostdeutschland ein
erhebliches Wachstum . Die Arbeitslosenquote ist zum
Anfang des Jahres erneut gesunken . Zum Vergleich: Im
Januar 2015 lag die Zahl der Arbeitslosen bei 3,03 Milli-
onen, ein Jahr später, also im Januar dieses Jahres, redu-
zierte sich die Zahl auf rund 2,9 Millionen . Diese Zahlen
sprechen für eine gute, erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik
dieser Koalition . Die Arbeitslosenversicherung und ihre
Finanzierung sind gut aufgestellt . Deshalb erkenne ich
keinen Änderungsbedarf .
Es bestätigt sich auch – wie schon gesagt wurde –,
dass die Reformen aus früheren Jahren sinnvoll und
richtig waren . Natürlich gibt es auch eine Stagnation bei
der Zahl der Langzeitarbeitslosen . Wir müssen deshalb
weiterhin für Langzeitarbeitslose und hinzukommend
verstärkt auch für Flüchtlinge geeignete Programme ent-
wickeln und anbieten .
Allein im Januar 2016 haben 791 000 Personen an ei-
ner arbeitsmarktpolitischen Maßnahme teilgenommen .
Öffentlich geförderte Beschäftigung ist eines der klas-
sischen Instrumente der Arbeitsmarktpolitik . Der Anteil
der öffentlich geförderten Beschäftigung ist in den letz-
ten Jahren jedoch rückläufig.
Während der Anteil der öffentlich geförderten Beschäfti-
gung im August 2012 noch bei etwa 129 000 Stellen lag,
lag er im August 2015 bei etwa 98 000. Diese rückläufige
Tendenz lässt sich auf einen Rückgang der Arbeitslosen-
zahlen und auf Maßnahmen nach § 45 SGB III zurück-
führen .
Über den Nutzen dieser Beschäftigung außerhalb des
ersten Arbeitsmarktes gibt es die unterschiedlichsten
Auffassungen . Ich halte öffentlich geförderte Beschäfti-
gung nicht für ein Allheilmittel gegen Langzeitarbeits-
losigkeit . Aufgrund der niedrigen Integrationsquoten
und der hohen Kosten hätte ich bei einem Ausbau der
öffentlich geförderten Beschäftigung Bedenken . Es be-
stünde die Gefahr, dass Langzeitarbeitslose dauerhaft in
subventionierten Beschäftigungsverhältnissen gelassen
würden, ohne dass neue Perspektiven in Betracht gezo-
gen würden . Öffentlich geförderte Beschäftigung sollte
nur als Ultima Ratio in Betracht kommen, nämlich dann,
wenn eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt nach
mehrfachen Versuchen unmöglich erscheint .
Ich halte es für äußerst zielführend, dass für junge Er-
wachsene unter 25 Jahren die öffentlich geförderte Be-
schäftigung nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt .
Gerade für diese Altersklasse kommen durchaus effekti-
vere Arbeitsmarktinstrumente infrage .
Bei der Integration von Langzeitarbeitslosen in den
ersten Arbeitsmarkt müssen wir uns stärker auf folgende
Fragen konzentrieren und individuelle Antworten geben:
Was können wir tun, damit eine Integration in den ers-
ten Arbeitsmarkt gelingt? Welche Stärken müssen wir
fördern, und welche Arbeitsmarktinstrumente sind viel-
leicht sinnvoll?
Werte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich ei-
nige Sätze zu den Veränderungen der Arbeitslosenzahlen
sagen . Uns allen ist bewusst, dass sich durch den Zuzug
von vielen Flüchtlingen die Anzahl der SGB-II-Leis-
tungsbezieher erheblich erhöhen wird . Wir müssen ver-
schiedene Instrumente für Menschen mit einer Bleibe-
rechtperspektive anbieten . Arbeitsgelegenheiten können
für sie ein erster Einstieg sein . Gleichwohl sollten an-
dere Möglichkeiten wie Sprachkurse, Anerkennung von
Zeugnissen und Praktika nicht vernachlässigt werden .
Ein Arbeitsplatz ist und bleibt der Schlüssel für eine er-
folgreiche Integration .
Mit dem Gesetz zur Stärkung der beruflichen Wei-
terbildung und des Versicherungsschutzes in der Ar-
beitslosenversicherung werden wir die Instrumente
der beruflichen Weiterbildung weiter stärken. Zu den
Förderungsprogrammen zählen insbesondere umschu-
lungsbegleitende Maßnahmen, die Förderung von
Grundkompetenzen in den Bereichen Lesen, Schreiben
und Mathematik, Weiterbildungsprämien und Weiterbil-
dungsförderung in kleineren und mittleren Unternehmen .
Gerade geringqualifizierte Menschen ohne Schul- oder
Berufsabschluss haben damit die Möglichkeit, ihre Fä-
higkeiten zu erweitern . Auch die zeitliche Verlängerung
von Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Ein-
gliederung bei einem Arbeitgeber halte ich für Menschen
mit mehreren Vermittlungshemmnissen für besonders
sinnvoll .
Ich bin davon überzeugt, dass wir mit unserem Ge-
setzentwurf gut aufgestellt sind . Wir werden die beiden
Anträge der Fraktion Die Linke deshalb ablehnen .
Herzlichen Dank .
Ich schließe die Aussprache .Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/7425 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisungso beschlossen .Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialeszu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel„Programm für gute öffentlich geförderte Beschäftigungauflegen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
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empfehlung auf Drucksache 18/5158, den Antrag derFraktion Die Linke auf Drucksache 18/4449 abzuleh-nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-nen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen dieStimmen der Fraktion Die Linke angenommen .Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Kultur und Medien
zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Ulle Schauws, Tabea Rößner, Katja Dörner,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENGrundlagen für Gleichstellung im Kulturbe-trieb schaffenDrucksachen 18/2881, 18/7351Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die KolleginUrsula Groden-Kranich für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Das Thema Gleich-stellung – ob im Kulturbetrieb oder ganz allgemein – be-schäftigt dieses Parlament und andere Parlamente schonseit vielen Jahren .In der letzten Wahlperiode gab es schon einmal ei-nen fast wortgleichen Antrag der Grünen, und am27 . Juni 2012 gab es auch schon einmal eine öffentlicheAnhörung mit ganz ähnlichen Leitfragen und Experten,wie wir sie im letzten Jahr, am 11 . November, erlebten .
Um es gleich vorwegzunehmen: Auch in dieser letztenAnhörung gab es keine bahnbrechenden neuen Erkennt-nisse, und auch die wirklich namhaften Sachverständigenkonnten uns keine konkreten Rezepte für neue Gesetzes-maßnahmen nennen .Genau das aber war mit Blick auf unsere Rechtssi-tuation auch zu erwarten . Denn wir haben schließlichschon das Allgemeine Gleichstellungsgesetz, wir habenein Grundgesetz, das Diskriminierung verbietet, und wirhaben ein Bundesgremienbesetzungsgesetz . Woran liegtes also, dass Gleichstellung immer noch ein Problem ist?
– Ich komme gleich auf Rheinland-Pfalz zu sprechen,Frau Rößner . Das kommt gleich . – Wurden die bestehen-den Gesetze nicht konsequent angewendet? Oder reichenselbst die besten Gesetze bei bestmöglicher Anwendungallein noch nicht aus? Ich denke, beides ist der Fall . Wirmüssen die bereits vorhandenen Gesetze besser anwen-den, und wir müssen darüber hinausgehen und dürfenuns nicht oder zumindest nicht ausschließlich auf eineBundesgesetzgebung verlassen .Um wirkliche Gleichstellung zu erreichen, müssenwir außerdem eine gesamtgesellschaftliche Debatte füh-ren, nicht nur eine politische . Dabei will ich in aller Deut-lichkeit sagen, dass dies natürlich keine Entschuldigungfür politische Versäumnisse sein darf .Aber nochmals: Gleichstellung ist nicht nur Aufgabedes Gesetzgebers, sondern der gesamten Gesellschaft,genauso wie im Übrigen Gleichstellung nicht nur Frau-ensache ist, sondern die Männer mindestens ebenso starkfordert und im Idealfall ebenso gewinnen lässt . Geradedeshalb bin ich – vermutlich nicht nur ich – immer wie-der erstaunt, dass insbesondere im Kulturbetrieb das The-ma Gleichstellung noch derart optimierungsbedürftig ist .Gerade bei den Kulturschaffenden, die sich doch selbstgern als die Vorreiter einer modernen Gesellschaft undeines emanzipierten Frauenbildes verstehen, sollte mandoch den höchsten Grad an real existierender Gleichbe-rechtigung vermuten .
Nicht nur die scheinbar aufmüpfigen Schauspielerin-nen in Hollywood weisen in den letzten Jahren vermehrtdarauf hin, dass Rückständigkeit, Chauvinismus und pa-triarchalische Strukturen keineswegs auf konservativeBerufsbranchen beschränkt sind, wo man dies erwarte .
Was können und sollten wir als Politikerinnen alsokonkret tun, um die Gleichstellung nicht nur im Kultur-betrieb voranzubringen?
Lassen Sie mich dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen,etwas genauer auf den vorliegenden Antrag der Grüneneingehen . Die erste und vielleicht wichtigste Forderungnach validem Datenmaterial zur Situation weiblicherKulturschaffender wird, so denke ich, von allen Frakti-onen unterstützt . Zu diesem Zweck hatte der DeutscheKulturrat bereits für die Jahre 1994 bis 2014 in der Un-tersuchung „Frauen im Kultur- und Medienbetrieb“ denAnteil von Frauen in Führungspositionen betrachtet .
Die Forderung nach aktuellem Datenmaterial ist eben-falls so gut wie erfüllt; denn die Studie wird vom Deut-schen Kulturrat fortgesetzt . Wir erwarten die Ergebnissenoch in diesem Quartal .Bemerkenswert ist allerdings Folgendes: Als der Kul-turrat 2005 wegen der Fortsetzung der Studie „Frauenin Kunst und Kultur“ auf die Kultusministerkonferenzzugegangen ist, hatte diese zunächst kein Interesse . Nurdank der Initiative der Kulturstaatsministerin ProfessorGrütters
Vizepräsidentin Petra Pau
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wurde die Studie nun doch umfänglich fortgesetzt .
Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Länder, geradeauch die rot-grün regierten, leider auch im Kulturbetrieboftmals ihrer eigenen Verantwortung nicht nachkommen,gleichzeitig aber den Bund zum Handeln auffordern .Wie dem auch sei: Die Ergebnisse der Studie „Frauenim Kultur- und Medienbetrieb“ werden in den nächstenWochen erwartet . Insofern war der vorliegende Antragzum jetzigen Zeitpunkt ohnehin nicht zielführend . Den-noch sind wir uns, denke ich, alle einig, dass die Gleich-stellung im Kulturbetrieb zügig und drastisch verbessertwerden muss . Denn schon die heute verfügbaren Statis-tiken, zum Beispiel die der Künstlersozialkasse, zeigendeutlich, dass sich die Situation von Frauen im Kunst-betrieb zumindest in einigen Sparten zwar durchaus ver-bessert hat, dass es aber noch längst keinen Anlass zurEntwarnung gibt .
Hier wie auch in anderen Bereichen sollten vor allemzwei Ziele angestrebt werden:Erstens sollte der Bund mit gutem Beispiel vorange-hen und die Umsetzung des Bundesgremienbesetzungs-gesetzes sehr viel strenger als bisher kontrollieren .
Zweitens ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie –mit längeren Öffnungszeiten von Behörden, flexi blerenArbeitszeiten und hochwertiger Kinderbetreuung – ge-rade für Frauen in Kunst und Medien von essenziellerBedeutung . Denn ähnlich wie in der Politik sind auchin diesen Branchen per definitionem höchst familienun-freundliche Arbeitszeiten Fakt; das war übrigens auch inder öffentlichen Anhörung ein Thema .
Auch die Forderung der Grünen, mehr Frauen in Juryszu entsenden, ist absolut nachvollziehbar . Dies würdeendlich der Tatsache Rechnung tragen, dass Frauen einenGroßteil der Produzenten und Konsumenten ausmachen .Nicht nachvollziehbar ist dagegen der Ruf nach einerparitätischen Vergabe von Preisen und Förderprojekten .Der Garant künstlerischer Freiheit sollte hier immer Vor-rang haben .
Für mich steht fest: Frauen dürfen nicht dafür bestraftwerden, dass sie Frauen sind . Sich aber nur durch dasFrausein für ein Stipendium oder einen Preis zu quali-fizieren
– das gilt übrigens genauso umgekehrt –, das haben diehervorragenden Künstlerinnen in unserem Land ganz be-stimmt nicht nötig .
Dazu passt ein Erlebnis, das ich genau heute vor einerWoche in Aachen hatte . Dort wurde der Deutsch-Franzö-sische Parlamentspreis verlieren . Es hat mich besondersgefreut, dass alle drei Preise an Frauen gingen . Wie unser
Dieser Fall ist im Statut nicht vorgesehen . – Er ist aberauch nicht ausgeschlossen und von daher umso erfreuli-cher .
Genau diese Offenheit im Ergebnis wünsche ich mir anganz vielen Stellen .
Dass es leider auch die Länder mit grüner Regierungs-beteiligung versäumen, mehr an Frauen zu denken, zeigtdie Verleihung der Carl-Zuckmayer-Medaille des LandesRheinland-Pfalz .
In den letzten drei Jahren wurden ausschließlich Männerdamit geehrt .
– Ja, sorry; aber es ist ein Landespreis, Frau Rößner . Dasind Sie durchaus beteiligt . Es liegt also nicht immer nuram Bund .
Sinnvoll finde ich beispielsweise die Forderung derInitiative „Pro Quote Regie“ nach einer Erhöhung desFrauenanteils bei Regisseuren
bis 2020 auf 42 Prozent . Ein solches Quorum ist im Ge-gensatz zur starren Quote eine durchaus vernünftige undrealitätsnahe Forderung, die ich, ebenso, wie es auchStaatsministerin Grütters tut, nur unterstützen kann .
Die Beauftragte für Kultur und Medien geht übrigensauch im eigenen Haus mit gutem Beispiel voran . Vonden Führungspositionen in ihren 27 Fachreferaten sindinzwischen 12 mit Frauen und 15 mit Männern besetzt,
Ursula Groden-Kranich
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was immerhin einem Frauenanteil von 44 Prozent ent-spricht .
Mit diesem guten Beispiel sollten eigentlich alle Minis-terien und alle Häuser in öffentlicher Hand auf allen Ebe-nen vorangehen .
– Ich schließe doch niemanden aus . Das ist doch völligentspannt .
– Das ist auch schön .Mir bleibt also Folgendes festzuhalten: GesetzlicheMaßnahmen und vor allen Dingen ihre konsequenteUmsetzung auf Bundesebene sind sicherlich sinnvoll .Gerade im Kulturbetrieb unterliegen viele wichtige Ent-scheidungen aber der Länderhoheit . Hier kann der Bundgar nicht alles regeln, selbst dann nicht, wenn es gewolltoder wünschenswert wäre . Von daher appelliere ich aus-drücklich auch an die Oppositionsparteien, Forderungen,wie die aus dem heutigen Antrag, vehement auch in deneigenen Reihen und in den von Ihnen mitregierten Län-dern zu vertreten;
denn egal ob im Bund oder in den Ländern: Die Gleich-stellung von Männern und Frauen muss eine Selbstver-ständlichkeit werden . Dazu können wir alle beitragen:
als Politikerinnen, als Mütter, als Töchter, als Arbeitge-berinnen, als Erzieherinnen und in jeder anderen Rolle,die wir unserem Privat- und Berufsleben ausfüllen .
Als Mentorinnen müssen wir Frauen auch dazu ani-mieren, eine mögliche Niederlage in Kauf zu nehmen,sich aber auf jeden Fall dem Wettbewerb zu stellen .Den vorliegenden Antrag der Grünen lehnen wir ab .Ich bin aber zuversichtlich, dass wir mit einer konse-quenten Umsetzung der vorhandenen Rechtsmittel, miteiner breit geführten Gleichstellungsdebatte und mit ei-nem kritischen Blick bei der Gremienbesetzung noch ei-niges für die Gleichstellung im Kulturbetrieb erreichenkönnen .Vielen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Sigrid Hupach für die Frak-
tion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie allewissen, ist derzeit Berlinale . Letzten Montag war ich inder Bubble der Initiative Pro Quote Regie am PotsdamerPlatz .
Diese Initiative hatte zu Gesprächen, Diskussionen undStatements rund um die Gleichstellung eingeladen . Imvergangenen Jahr hat sie für viel Aufregung gesorgt,indem sie einfach pure Fakten zur Benachteiligung vonFrauen im Filmbereich in die breite Öffentlichkeit getra-gen hat .Seit dem Wochenende liegt nun auch der zweite Di-versitätsbericht des Bundesverbandes Regie vor . Danachsind die Zahlen für 2014 noch schlimmer als die der Jah-re 2010 bis 2013 . 2014 führten Frauen bei der ARD nurbei 11,2 Prozent aller Filme und Serien in der PrimetimeRegie . Beim ZDF waren es sogar nur 8,4 Prozent .Eine Ursache dafür liegt unter anderem in der unglei-chen Verteilung der Fördermittel . 83 Prozent aller Film-fördermittel gehen in Deutschland an Männer, und nur17 Prozent werden für Filme bereitgestellt, bei denenFrauen Regie führen . Bei Filmen mit einem Budget vonüber 5 Millionen Euro hat 2014 übrigens keine einzigeFrau Regie geführt, und das liegt nicht daran, dass es zuwenige Frauen in diesem Bereich gibt; denn 42 Prozentder Absolventinnen und Absolventen der Filmhochschu-len sind Frauen .Keineswegs büßen diese sehr gut ausgebildeten Ab-solventinnen kurz nach dem Diplom auf geheimnisvolleWeise einen Großteil ihres Könnens und ihrer Kreativitätein . Nein, es liegt daran, dass die Gremien und die Jurys,die über die Vergabe von Projekten und Fördermittelnentscheiden, männlich dominiert sind .
Das belegen auch die Zahlen einer Studie der Filmuni-versität Babelsberg: Fünf Jahre nach Studienabschlussarbeiteten 100 Prozent der Regisseure in ihrem Beruf,aber nur 25 Prozent der Frauen . Die Aufträge bekamendie Männer, so ihre Angabe in der Studie, auf Empfeh-lung .Diese Zahlen sollten uns vor allem deswegen alarmie-ren, weil es hier um die Vergabe von öffentlichen Gel-dern geht .In Kürze wird, wie meine Kollegin schon sagte, derDeutsche Kulturrat eine Studie vorlegen, die wohl auchdie strukturellen Hürden aufzeigen wird, mit denen dieFrauen im Kultur- und Medienbereich zu kämpfen ha-ben .Als wir im Ausschuss den vorliegenden Antrag derGrünen beraten haben, hat die CDU/CSU-Fraktion ihreAblehnung damit begründet, dass man erst einmal dasZahlenmaterial abwarten müsse, um dann konkreteSchlussfolgerungen ziehen zu können . Und um wirklichUrsula Groden-Kranich
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nichts verändern zu müssen, fügte sie noch hinzu, dassman nicht in den künstlerischen Wettbewerb eingreifendürfe – ein altbekanntes Totschlagargument: Der Besse-re setzt sich durch . Aber wenn man sich nur etwas mitder Situation von Frauen im Kultur- und Medienbetriebauseinandergesetzt hätte, wüsste man schon längst, waszu tun ist .Wir Linke sagen deshalb: Wir brauchen verbindlicheVorgaben für die Vergabe von Fördergeldern, Preisen undStipendien und für die Zusammensetzung der Auswahl-gremien .
Unter den 15 Nominierungen für den Preis der LeipzigerBuchmesse sind übrigens auch nur fünf Frauen, im Be-reich Sachbuch/Essayistik keine einzige .Wir brauchen außerdem die Aufhebung von Alters-grenzen bei Stipendien und Preisen . Denn Frauen über35 und mit Kindern haben es besonders schwer .Wir brauchen ein regelmäßiges Gender-Monitoring,
auch, um den Erfolg oder das Nichtwirksamwerden vonMaßnahmen transparent nachverfolgen und gegebenen-falls korrigieren zu können .Weiterhin brauchen wir kluge Ideen wie zum Beispieldas Vorspielen hinter dem Vorhang. Denn findet das Pro-bespiel von Orchestermusikerinnen und -musikern hinterdem Vorhang statt, erhöht sich die Chance für Frauen, inden Vorrunden weiterzukommen, um 50 Prozent, in derFinalrunde sogar um 300 Prozent .Wir brauchen auch wirksame Mittel gegen prekäreLebens- und Arbeitsverhältnisse im Kultur- und Medien-bereich;
denn Frauen sind wie immer auch da stärker betroffen .Helfen könnten da gleiche Löhne, Ausstellungsvergütun-gen, Mindesthonorare oder auch neue Arbeitszeitmodel-le .Und ja: Vor allem brauchen wir die Quote bei der Be-setzung von Leitungsfunktionen, Gremien und Jurys undvor allen Dingen wirksame Sanktionen bei deren Nicht-einhaltung .
Die Filmemacherin Maria Mohr sagte bei der Anhö-rung zum vorliegenden Antrag den aufschlussreichenSatz: „Kunst ist immer Training und Talent .“ Frauenwird die Gelegenheit zum Training jedoch systematischgenommen .Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen von der Koalition, bei der anstehenden Novel-le des Filmförderungsgesetzes bietet sich nun eine guteChance, mit ganz konkreten Maßnahmen die festgefahre-nen Strukturen endlich aufzubrechen und damit für mehrGleichstellung und mehr Gerechtigkeit zu sorgen . Dazugehört auch eine Quotenregelung, die keineswegs einenvermeintlich freien Wettbewerb verzerrt, sondern einenverzerrten Wettbewerb korrigiert .
Denn Qualität entsteht durch Vielfalt . Eine Quote ge-währleistet diese Vielfalt und damit eben auch die Qua-lität .
Die Kollegin Hiltrud Lotze hat für die SPD-Fraktion
das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren auf der Besu-chertribüne! Ich sehe auch eine Menge junger Frauen, diedieses Thema vielleicht ganz besonders interessiert .
Vor 115 Jahren, 1901, hat der Karikaturist Bruno Paul ineiner Satirezeitschrift geschrieben:Sehen Sie, Fräulein, es giebt zwei Arten von Male-rinnen, die einen möchten heiraten und die anderenhaben auch kein Talent .
Damals war die Überzeugung weit verbreitet, dass esgegen die Natur der Frau ist, künstlerisch tätig zu sein .Das hat sich Gott sei Dank geändert . Damals gab es tolleKünstlerinnen, und auch heute gibt es viele großartigeKünstlerinnen und einflussreiche Frauen in der Kunst-und Kulturszene .2012 dann fragte die Wochenzeitung Die Zeit in ei-nem Artikel: „Haben Frauen die Macht im Kunstbetriebübernommen?“ Nun, wenn das so wäre, dann würden wirheute nicht hier stehen, sondern könnten uns zufriedenzurücklehnen . Stattdessen debattieren wir heute zu Rechtden Antrag der Grünen zum Thema „Gleichstellung imKulturbetrieb“ .Man könnte denken, dass der moderne und auch ex-perimentierfreudige Kunst- und Kulturbereich die tra-dierten Rollenbilder längst abgestreift hat und dass es indiesem Bereich allein auf Kompetenz, Kreativität undIdeenreichtum ankommt, wenn es ums Weiterkommengeht . Schön wär’s! Noch heute sind viele Frauen imKunst- und Kulturbereich strukturell benachteiligt .Gerade im Kunstbereich bleibt Erfolg männlich . Öf-fentliche Museen und private Sammler kaufen mehrheit-lich Werke männlicher Künstler . Die Arbeiten männli-Sigrid Hupach
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cher Künstler erzielen höhere Verkaufspreise . MännlicheKünstler sind bekannter . Die Künstlerin Sibylle Zeh hatsich einmal das Künstlerlexikon von Reclam zur Handgenommen und den Status quo festgestellt . Sie hat alleNamen männlicher Künstler übertüncht . Am Ende bliebeine Handvoll Namen weiblicher Künstler übrig .In unserer Fachanhörung im November 2015 im Aus-schuss haben wir Erkenntnisse gewonnen, mit denen wirjetzt weiterarbeiten können . Die Grünen fordern in ihremAntrag eine verbesserte und vor allem aktuelle Daten-grundlage zu Frauen im Kunst- und Kulturbereich; dashaben wir hier eben schon gehört . Das können wir imPrinzip abhaken, weil wir in Kürze die Studie des Deut-schen Kulturrates erwarten, die von der BKM mitfinan-ziert wurde .Viele der Punkte, die von den Expertinnen angespro-chen worden sind, kennen wir auch aus anderen Berufs-sparten: die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie, derKarriereknick wegen der Familie, die ungleiche Bezah-lung von Frauen und Männern und die berühmte gläserneDecke . All das sind Symptome, die in unserer Berufs-gesellschaft branchenübergreifend vorkommen . Ein Bei-spiel ist die Buchbranche . Sie ist weiblich . Über 80 Pro-zent der Beschäftigten in dieser Branche sind Frauen .Aber auf der Leitungsebene sind es nur 16 Prozent Frau-en . Der Gender Pay Gap ist in der Buchbranche sogarnoch größer als in anderen Bereichen .Für uns von der SPD ist Geschlechtergerechtigkeitkeine Worthülse . Mit der Frauenquote für die Wirtschafthaben wir einen Meilenstein gesetzt . Ein Entgeltgleich-heitsgesetz wurde von der Familienministerin ManuelaSchwesig auf den Weg gebracht .
Die beiden Ministerinnen Andrea Nahles und ManuelaSchwesig haben mit dem Programm „Kita Plus“ einüberzeugendes Konzept vorgelegt, mit dem es Eltern er-leichtert werden soll, in den Randzeiten eine Betreuungfür ihr Kind zu bekommen . Sie sehen also: Wir drehen anden Stellschrauben, die die Situation auch für die Frauenim Kunst- und Kulturbereich verbessern werden .Nun wissen wir: Kunst und Kultur haben für unsereGesellschaft eine enorme Bedeutung . Sie hinterfragengesellschaftliche Entwicklungen kritisch . Sie begleitensie . Sie provozieren oder befördern sie . Sie schaffen aufjeden Fall ein Bewusstsein, unter anderem auch in derGeschlechterdebatte . Es ist doch klar: Es würde etwasWichtiges fehlen, nämlich die Hälfte der Welt, wenn die-ser Prozess nur alleine durch die männliche Sichtweisegeprägt wäre . Wir müssen es Frauen ermöglichen, in dieSchlüssel- und Leitungspositionen zu kommen, damiteben in Kunst und Kultur auch die weibliche Sicht ver-treten wird und zum Ausdruck kommt .Während ich hier stehe und darüber rede, merke ich,dass ich ein Unbehagen dabei verspüre, dass wir auch imJahr 2016 immer noch begründen müssen, warum undwieso Frauen in allen Bereichen gleichberechtigt vertre-ten sein müssen .
Eigentlich müssten wir diesen Zustand doch irgendwannhinter uns lassen . Wir sind die Hälfte der Welt . Deswegenmüssen wir auch überall zur Hälfte repräsentiert sein .
Gleichzeitig sind der Kultur- und auch der Medien-betrieb, den ich immer mit einschließe, sehr heterogen .Genauso heterogen und so differenziert muss man ihnbetrachten und untersuchen . Die Frage ist nämlich: Re-den wir von öffentlichen Kultureinrichtungen, von kul-turwirtschaftlichen Betrieben oder von freiberuflicherTätigkeit?Der Antrag der Grünen benennt zu Recht einzelneMissstände . In ihm werden auch analog einzelne Maß-nahmen vorgeschlagen . Diese gehen in die richtigeRichtung, aber sie erfassen eben nicht das Bild in seinerGesamtheit . Ich habe schon aufgezählt, was die Knack-punkte sind: Vereinbarkeit von Familie und Beruf durchBetreuungsmöglichkeiten außerhalb der gängigen Zei-ten, transparente Kostenstrukturen usw . Auch die Alters-armut von Künstlerinnen der ersten Stunde und prekäreArbeitsbedingungen bleiben unerwähnt .
Auch diese Kriterien können und müssen bei den vomBund finanzierten und bezuschussten Institutionen, För-derprogrammen und Projekten berücksichtigt werden .
Für den Medienbereich seien beispielhaft eine Anpas-sung des Urheberrechtsvertrages mit dem Ziel der ange-messenen Vergütung und die Zahlung von Mindesthono-raren bei der Fördermittelvergabe zu nennen .
Wir haben daher im Ausschuss aus den eben genann-ten Gründen den Antrag abgelehnt
und haben uns vorgenommen, sobald die Studie desDeutschen Kulturrates vorliegt, in der die Thematik um-fassend analysiert und aufbereitet wird, zielgerichtetereMaßnahmen zu formulieren .Wir haben uns im Koalitionsvertrag klar zum Grund-satz „Kultur für alle“ bekannt . Geschlechtergerechtigkeitgehört ebenso dazu wie Inklusion und die kulturelle Öff-Hiltrud Lotze
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nung . Jede und jeder Einzelne soll ohne Barrieren, seienes die in den Köpfen oder die tatsächlich vorhandenen,an der Kultur teilhaben können .Ich habe es schon gesagt und wiederhole es gerne: Na-türlich müssen Frauen auch in Kunst und Kultur gleich-berechtigt vertreten sein und auch die guten Jobs errei-chen können .Vielen Dank .
Die Kollegin Ulle Schauws hat für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . Vielen Dank, HerrKollege . – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ichweiß nicht, wer von Ihnen schon den Film „Suffragette“gesehen hat .
Er ist gerade Anfang Februar angelaufen . Darin geht esum den erbitterten Kampf für das Wahlrecht von Frauenin England . Die Suffragetten haben etwas sehr Richtigesgefordert, und zwar Taten statt Worte .
Und sie waren damit am Ende erfolgreich . Das wissenwir .Genau darum geht es . Wenn es um die Gleichstellungvon Frauen geht – auch im Kulturbetrieb –, dann brauchtes Taten . Dann braucht es auch die Taten dieser Bundes-regierung .Frau Grütters, Sie haben genau vor einem Jahr in IhrerEröffnungsrede zur 65 . Berlinale gesagt, der Anteil vonFrauen dürfe gerne höher sein . Darin stimme ich Ihnenvoll und ganz zu .
Doch wie steht es aktuell um die Präsenz von Frauenim deutschen Film? Die aktuellen Zahlen vom Bundes-verband Regie sind ziemlich niederschmetternd – dieKollegin hat es schon erwähnt –: Die Benachteiligungvon Frauen hat weiter zugenommen . Der Anteil von Re-gisseurinnen bei deutschen Kinofilmen ist von 22 Prozentauf 19 Prozent gesunken . Weiterhin führt nur bei einemvon fünf Kinofilmen eine Frau Regie. Im High-Bud-get-Bereich, also bei Filmen mit einem Budget ab 5 Mil-lionen Euro, saß 2014 keine einzige Frau mehr auf demRegiestuhl, und das alles, obwohl 42 Prozent derjenigen,die an den Filmhochschulen ihren Abschluss machen,Frauen sind . Das macht das Ausmaß der Benachteiligungnoch deutlicher. Ich finde, so geht es nicht weiter.
Meine Damen und Herren, der Tagesspiegel fragt ineinem Artikel ganz aktuell zu Recht: „Wo sind eigentlichdie Regisseurinnen?“ Gute Frage . Ich gebe sie weiter andie zuständige Ministerin: Was hat die Bundesregierungbisher getan, um die Situation von Frauen im Kulturbe-trieb zu verbessern?An der Stelle möchte ich Frau Groden-Kranich korri-gieren: Die Studie des Kulturates erfasste den Zeitraumvon 1995 bis 2000, das heißt, auch die letzten Jahre derRegierung der CDU/CSU . An der Stelle ist nichts pas-siert . Deswegen ist es mehr als überfällig, dass die Be-auftragte für Kultur und Medien nach diesem langenZeitraum endlich die Ursachen für diese Schieflage mitneuen Zahlen angeht, auch damit nicht der Eindruck er-weckt wird, hier würde ein Automatismus weitergeführt .Das müssen wir klarstellen, weil Sie sich eben auf2014 bezogen haben . Es war ein kürzerer Zeitraum, undin den elf Jahren der CDU/CSU-Regierung ist nicht vielpassiert .Auch die aktuellen Zahlen aus anderen Bereichen derKultur zeigen kein positives Bild . Insbesondere an The-atern und in Orchestern sind Frauen in Führungspositio-nen ebenfalls stark unterrepräsentiert .Ein aktueller Blick nach NRW zeigt: Nur 7 Prozentder Intendantenstellen an kommunalen Theatern waren2009 bis 2011 mit Frauen besetzt . Was glauben Sie, wiehoch der Anteil bei den Philharmonien war? Ich sagees Ihnen: Es gab keine einzige Generalmusikdirektorin .Chancengleichheit sieht anders aus .
Fakt ist, dass Frauen in vielen Kultursparten, insbe-sondere in den Leitungspositionen – also da, wo es umMacht und Entscheidungsbefugnisse geht –, stark un-terrepräsentiert sind . Das haben übrigens alle Sachver-ständigen im Ausschuss bestätigt . Da steht die Kultur derWirtschaft in nichts nach .Deswegen haben wir Grünen den Antrag von 2014 mitentsprechenden Änderungen und weiter gehenden For-derungen noch einmal eingebracht, damit sich endlichetwas ändert . Wir fordern Sie noch einmal eindrücklichauf: Verteilen Sie öffentliche Gelder endlich geschlech-tergerecht!
Dafür müssen die Kriterien für den Etat der Bundesbe-auftragten für Kultur und Medien so angepasst werden,dass sie Frauen und Männer gleichermaßen berücksich-tigen .Wir brauchen auch eine paritätische Besetzung vonFührungspositionen und Intendanzen in Kultureinrich-tungen, die vom BKM gefördert werden . Schließlich istauch bei der Vergabe von Preisen und FörderprojektenHiltrud Lotze
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eine geschlechtergerechte Verteilung notwendig . Nur sokann mehr künstlerische Freiheit für Frauen entstehenund damit logischerweise auch mehr kulturelle Vielfalt .Auch wenn ich es angesichts der Unterrepräsentanzvon Frauen im Kulturbetrieb und der fehlenden Tatender Bundesregierung unangebracht finde, immer wiederdarüber sprechen zu müssen, ob eine Quote zu Wettbe-werbsverzerrungen oder Qualitätsverlusten führt, möchteich noch einmal deutlich sagen: Nein, führt sie nicht, imGegenteil .
Denn gerade die Tatsache, dass Frauen in allen Spartenfast nur 10 Prozent des Etats der Männer haben, ist et-was, was doch offenkundig nichts mit Qualität zu tun hat,rein gar nichts . Ein Beispiel sind preisvergebende Jurys .Beim ECHO Jazz 2016 wurden 4 Frauen, aber 52 Män-ner nominiert . Erzählen Sie mir nichts von Qualität!
Ich wiederhole es: Die Schieflage besteht trotz einer stei-genden Zahl von Absolventinnen in den künstlerischenund filmischen Studiengängen. Es mangelt auch nicht angut ausgebildeten und talentierten Frauen .Die Regisseurin Maria Mohr von Pro Quote Re-gie – diese Gleichstellungsinitiative muss man explizithervorheben; sie leistet hervorragende Arbeit, auch aufder Berlinale – hat es in unserer Anhörung im Ausschusstreffend auf den Punkt gebracht: „Die Quote ist nichtwettbewerbsverzerrend . Sie korrigiert einen verzerrtenWettbewerb .“
Es kann nicht sein, dass uns die künstlerische Qualitätund Kreativität von Frauen verloren geht, weil strukturel-le Hürden beim Zugang und im weiteren Verlauf des Be-rufslebens nicht beseitigt werden . Diskriminierung vonFrauen kann und darf nicht unter dem Scheinargumentder künstlerischen Freiheit gerechtfertigt werden . SorgenSie also mit gezielten Maßnahmen endlich für Chancen-gleichheit für Frauen im Filmbereich, in der Musikbran-che, an den Theatern und bei den Philharmonien . DieZeit ist mehr als reif dafür .
Frau Kollegin Schauws, das Wort „Zeit“ war ein gutes
Stichwort . Sie müssen jetzt einen Punkt setzen .
Ich komme jetzt zum Schluss .
Das Frauenwahlrecht wurde aus vielen Gründen lange
verhindert . Ein Grund war sicherlich Angst vor Verän-
derungen . Ich sage Ihnen allen dazu nur: Seien Sie doch
ein bisschen mutig, und bringen Sie zusammen mit uns
gerechte Strukturen im Kulturbetrieb auf den Weg . In
zweieinhalb Jahren wird das Frauenwahlrecht 100 Jahre
alt . Es wäre schön, wenn wir uns bis dahin auf den Weg
gemacht hätten, die Lage für Frauen zu verbessern und
den Kulturbetrieb vielfältiger zu machen .
Vielen Dank .
Das Wort hat die Kollegin Dr . Astrid Freudenstein für
die Unionsfraktion .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Unser Thema kommt komisch daher . Aus-gerechnet im Kulturbereich sollen es Frauen besondersschwer haben . Ausgerechnet im Kulturbereich gibt esweniger weibliche als männliche Führungskräfte . Aus-gerechnet im Kulturbereich verdienen Frauen schlechterals Männer . Ausgerechnet im Kulturbereich – so über-schreiben Sie Ihren Antrag, liebe Kolleginnen und Kol-legen von den Grünen – müssen die Grundlagen für dieGleichstellung von Männern und Frauen überhaupt erstgeschaffen werden, und das im Jahre 2016. Ich finde dasseltsam, und viele, mit denen ich über dieses Thema ge-sprochen habe, finden das ebenfalls seltsam, vermutlichdeshalb, weil wir der Kultur eigentlich das Andersseinzuschreiben, weil wir dort keine Hierarchien, keine glä-sernen Decken und keine Männerbünde vermuten,
weil wir männliche Strukturen immer sehr stark in derWirtschaft und auch in der Politik ansiedeln, aber eigent-lich nicht so sehr im Bereich des Kulturellen . Und dannso etwas: Sie zeichnen das Bild einer Kulturszene, diesich quer durch alle Sparten als rückständige Machozoneentpuppt . Dafür werden Zahlen bemüht und Statistikenherangezogen .Das kommt für mich komisch daher und ist auch un-glaubwürdig . Auf jeden Fall ist es das Thema wert, sichgenauer damit zu befassen . Denn fest steht, dass FrauenKarriereprobleme haben . Sie haben Probleme, an Auf-träge zu kommen, und sie haben Probleme, richtig gutesGeld zu verdienen .
Welche Gründe kann es dafür geben? Mir fallen mehrereein . Ein Grund kann sein, dass diejenigen, die entschei-den, die Drehbücher, die Kunstwerke oder die Bewerbe-rin schlichtweg nicht gut finden. Sie meinen, dass das,was angeboten wird, den Publikumsgeschmack nichttrifft, dass es nicht spannend genug ist, dass es sich nichtgut verkauft, dass die Bewerberin nicht die notwendigeQualifikation mitbringt.Das ist zunächst ein ganz normaler Vorgang und keineUngerechtigkeit . Das passiert jeden Tag in Personalab-Ulle Schauws
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teilungen in dieser Republik, das läuft dann auch in derKultur unter dem Begriff der „Freiheit der Kunst“ . Dennüber Geschmack kann man streiten – auch über den Ge-schmack von Redaktionen und Findungskommissionen .
Es gibt auch eine zweite Möglichkeit, warum Frauenim Kulturbereich nicht zum Zuge kommen: Die Drehbü-cher, die Kunstwerke, die Bewerberinnen sind gut, aberdie, die entscheiden, haben schlichtweg keine Ahnung,
oder es sind durchgängig Frauenhasser, Frauenhasserin-nen; sie geben den Zuschlag der Bewerberin deswegennicht, weil sie eine Frau ist .
Dafür fehlt mir zugegebenermaßen so ein bisschen dieFantasie . Das wäre auch verboten, und das wäre strafbe-wehrt – Gott sei Dank .
Oder es sind einfach nur zu viele Männer in den Ent-scheidungsgremien .An dem Punkt wollen Sie ja ansetzen .
Sie unterstellen nämlich, dass mehr Frauen in die Jurysund Gremien müssten, weil die sich dann wiederum öfterfür Frauen entscheiden würden .
Ich muss Ihnen sagen, dass es dafür bisher keinen An-haltspunkt gibt . Zum Beispiel sind die Redaktionen dergroßen Fernsehanstalten, von denen Sie sprachen – ARDund ZDF –, überwiegend schon weiblich besetzt . Ob sichdas auswirkt, das zeigt uns vielleicht die neue Studie, aufdie wir alle warten .
Möglichkeit drei, warum Frauen nicht so sehr zumZuge kommen, ist, dass es vielleicht tatsächlich so ist,dass das, was Frauen anbieten, nicht passt . Die Frage,ob die Unterrepräsentanz von Frauen im Kulturbereichdamit zu tun hat, dass Frauen öfter als Männer am Publi-kumsgeschmack vorbeiproduzieren, darf man zumindeststellen, meine ich .
Eine Studie der Uni Rostock hat zum Beispiel erge-ben, dass Frauen besonders häufig Dramen inszenieren,Männer sich hingegen lieber mit Komödien beschäftigen .Das sagt natürlich nichts über die Qualität der Arbeit vonFrauen aus, aber fest steht, dass Komödien beim Publi-kum besser ankommen . Daran werden wir allerdings mitQuoten auch nichts ändern können .Dann gibt es noch eine vierte Möglichkeit: Die Frauenkönnen gar nicht so sehr zum Zuge kommen wie Männer,weil sie sich nämlich nicht so oft bewerben wie Männer .
Das ist ein Punkt, der mir tatsächlich wichtig ist . Ichsitze seit acht Jahren im Personalausschuss meiner Hei-matstadt, in Regensburg . Und eine Konstante gibt esdort, und zwar quer durch alle Bereiche der öffentlichenVerwaltung und durch den gesamten Kulturbereich: Woauch immer eine Führungsposition ausgeschrieben ist,bewerben sich deutlich weniger Frauen als Männer .
Selbstzweifel sind offenbar zunächst einmal eine weibli-che Eigenschaft . Ich meine aber schon, dass wir erst danneine paritätische Besetzung einfordern können, wenn sichauf die Positionen, für die großen Projekte auch wirklichso viele Frauen wie Männer bewerben .
Bis dahin müssen wir Frauen immer und immer wiederermutigen, ihren Hut auch wirklich in den Ring zu wer-fen .
Ich meine tatsächlich, dass die Frauen an dem Punktan sich arbeiten müssen, sie müssen sich bewerben . Dasglaube ich tatsächlich .
Im Kulturbereich kommt erschwerend hinzu, dass dieArbeitszeiten alles andere als familienfreundlich sind .Film, Tanz, Theater – all das findet abends statt. DasMuseum hat am Montag zu, ist aber am Wochenende of-fen . Und zur Vernissage kann man auch nicht am Diens-tagmittag einladen, wenn der Sohn im Kindergarten ist .Mütter von kleinen Kindern haben es in der Kultur aus-gesprochen schwer . Und an diesen zeitlich ungünstigenRahmenbedingungen können auch alle Quoten nichtsändern .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich meine, dass wirbei dem Thema in erster Linie dort ansetzen müssen, wowir der Branche und dann auch den Frauen wirklich hel-fen können: Wir brauchen höhere Produktionsetats beiden Fernsehanstalten und bessere Honorarvereinbarun-gen, wir brauchen im Sozialversicherungsrecht Regelun-gen, die dem freien Dasein der Künstler gerecht werden,und wir brauchen vor allem eine dauerhaft gute finan-Dr. Astrid Freudenstein
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zielle Ausstattung der Kommunen, die nämlich einenGroßteil der Kulturförderung in unserem Land tragen .Und das schaut in den Bundesländern sehr unterschied-lich gut aus .Geschlechterquoten können hilfreich sein, um Pro-zesse anzustoßen . Bei der Vergabe von Aufträgen sindsie jedoch mit Sicherheit nicht hilfreich . Wir vergebennämlich auch öffentliche Bauaufträge nicht paritätisch anFrauen und Männer, sondern an die Firma, die die gefor-derte Qualität zum besten Preis anbietet .Wir lassen bei öffentlichen Architektenwettbewerbenauch nicht gleich viele Frauen und Männer gewinnen . Ichfinde das im Übrigen richtig, und ich würde mir wün-schen, dass auch in der Kultur die Qualität das entschei-dende Kriterium bleibt .Herzlichen Dank .
Das Wort hat der Kollege Burkhard Blienert für die
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Be-
mühen um Gleichberechtigung von Frauen und Männern
ist ein ursozialdemokratisches Anliegen, das sich wie ein
roter Faden durch die Geschichte meiner Partei und de-
ren Politik zieht . Aktuell ist das auch durch die Arbeit
von Ministerin Manuela Schwesig wieder sehr deutlich
geworden . Dass dieses Feld immer noch beackert werden
muss, zeigt uns aber auch, wie zäh und tief verwurzelt
die Widerstände sind, mit denen wir es hier zu tun haben .
In Politik und Parteien, in Verwaltung, Wirtschaft und
im gesellschaftlichen Zusammenleben hat sich in den
vergangenen Jahrzehnten in der Genderfrage vieles zum
Besseren entwickelt . Aber – keine Frage – es gibt im-
mer noch jede Menge zu tun, auch im Kultur- und Me-
dienbereich. Als filmpolitischer Sprecher richte ich den
Blick speziell auf den Filmbereich, weil das ein Bereich
ist, den wir uns in Kürze genauer anschauen werden . Am
Sonntag werden bei der Berlinale die Silbernen und Gol-
denen Bären verliehen . Die Chance, dass eine Regisseu-
rin geehrt wird, ist auch in diesem Jahr wiederum nicht
sehr groß; denn von 23 Filmen im Wettbewerb sind nur 2
von Frauen gemacht .
Das hat jetzt aber nichts mit der Auswahl von Dieter
Kosslick zu tun . Er war Pressesprecher der Leitstelle für
die Gleichstellung der Frau, wie es in seiner Biografie
heißt, und ist daher über jeden Verdacht erhaben . Er setzt
sich sehr stark für die Gleichstellung ein . Das zeigt auch
die Besetzung der Berlinale-Jury: Vier Frauen und drei
Männer entscheiden über die Preise, und Meryl Streep
hat den Vorsitz . Es zeigt sich aber auch, dass die interna-
tionale Situation von Filmemacherinnen sehr schwierig
ist .
Auch bei der Oscar-Verleihung werden wir das glei-
che Bild haben . Es ist nicht nur so, dass schwarze Filme-
macher dort kaum vertreten sind – dieses Mal gar nicht –,
sondern dass es auch zu wenige Frauen gibt . Auch dort ist
es kein Wunder, wenn 77 Prozent der Stimmberechtigten
in der Academy Männer sind . Die deutsche Film- und
TV-Branche befindet sich daher leider Gottes in bester
Gesellschaft, wenn es um fehlende Gleichstellung geht .
Das haben die Zahlen deutlich gemacht, die hier schon
präsentiert worden sind . Sowohl bei den Produktionen
von ARD und ZDF als auch im Kinobereich ist der Anteil
der Regisseurinnen 2014 sogar von 22 auf 19 Prozent zu-
rückgegangen . Bei den Filmen mit Budgets über 5 Milli-
onen Euro sinkt ihr Anteil tatsächlich auf null . Das heißt,
man kann nicht verneinen, dass wir da noch eine Menge
zu tun haben . Das sind Hausaufgaben, die wir machen
müssen .
Wir haben eine gute Anhörung im Ausschuss gehabt .
Darüber bin ich froh . Es hat eine sehr interessante und
ausgewogene Diskussion stattgefunden . Meine Kolle-
gin Hiltrud Lotze ist eben in ihrem Redebeitrag darauf
eingegangen . In der Debatte über die Novellierung des
Filmförderungsgesetzes werden wir entsprechende Maß-
nahmen ergreifen . Im ersten Diskussionsentwurf ist ent-
halten, dass die Fördergremien paritätisch besetzt werden
sollen .
Auch der Verwaltungsrat und das Präsidium der FFA
sollen sich analog zum Bundesgremienbesetzungsgesetz
am Gleichstellungsgebot orientieren . Dann werden wir
den Blick noch auf andere Instrumente richten müssen,
zum Beispiel auf die Gleichstellung im Aufgabenkatalog
der FFA sowie auf ein regelmäßiges Monitoring, das an
der Stelle zwingend geboten ist .
Einiges ist schon passiert, und das sollte man auch er-
wähnen, zum Beispiel der Maßnahmenkatalog der ARD .
Auch bei der Degeto gibt es nun eine Selbstverpflichtung;
sie will 20 Prozent der Regiestühle mit Regisseurinnen
besetzen – ein erster Ansatz, um die Gleichstellung vo-
ranzubringen . Das Thema wird uns noch weiter verfol-
gen . Es ist auch mit der Ablehnung des Antrags hier noch
nicht beendet . Ich glaube, dass wir bei der Novellierung
des FFG notwendige und sinnvolle Ergänzungen parla-
mentarisch umsetzen können . Die Argumente sind auf
der Seite der Gleichstellung, und das werden wir auch
nutzen .
Vielen Dank .
Ich schließe die Aussprache .Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-ses für Kultur und Medien zu dem Antrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Grundlagen fürGleichstellung im Kulturbetrieb schaffen“ . Der Aus-schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 18/7351, den Antrag der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2881 abzuleh-nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – WerDr. Astrid Freudenstein
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stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-empfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktionund der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FraktionDie Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-genommen .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu-nität und Geschäftsordnung zudem Antrag der Abgeordneten Richard Pitterle,Dr . Gerhard Schick, Dr . Sahra Wagenknecht,Dr . Dietmar Bartsch, Katrin Göring-Eckardt,Dr . Anton Hofreiter, Jan van Aken, LuiseAmtsberg und weiterer AbgeordneterEinsetzung eines UntersuchungsausschussesDrucksachen 18/6839, 18/7601Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der KollegeRichard Pitterle für die Fraktion Die Linke .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kollegin-nen und Kollegen! Cum-ex, das klingt nicht nur suspekt,sondern ist, drastisch gesagt, schlicht eine Schweinerei .Heute setzen wir auf gemeinsamen Antrag von Linkenund Bündnis 90/Die Grünen einen Untersuchungsaus-schuss zu den Cum-ex-Geschäften ein .Cum-ex-Geschäfte waren Aktiengeschäfte schwer-reicher Investoren, die im Zeitraum von 1999 bis 2012praktiziert wurden . Aktien wurden um den Dividenden-stichtag kurz hintereinander einmal mit – „cum“ – undeinmal ohne – „ex“ – Dividende gehandelt . Das führtedazu, dass am Ende der Transaktionen zwei Personenjeweils eine Bescheinigung über die auf die Dividendegezahlte Kapitalertragsteuer erhielten, obwohl diese nureinmal gezahlt worden war . Beide konnten sich dieseZahlung dann jeweils erstatten oder anrechnen lassen . ImKlartext: Einmal in die Staatskasse einzahlen, zweimalaus der Staatskasse kassieren . Der dadurch entstandeneSchaden für den Fiskus und damit für die Steuerzah-lerinnen und Steuerzahler dürfte sich nach bisherigenSchätzungen auf 12 Milliarden Euro belaufen . Erst 2012wurden diese Geschäfte durch eine Gesetzesänderungunterbunden .Die wichtigsten Fragen, die der Untersuchungsaus-schuss zu klären haben wird, sind folgende: Wie kann essein, dass die Bundesregierung, allem voran das Bundes-finanzministerium, jahrelang keine wirksamen Maßnah-men gegen diese Machenschaften getroffen hat, obwohldas Ministerium schon 2002 in einem Schreiben desBankenverbandes auf die Cum-ex-Geschäfte hingewie-sen wurde?
Was haben die zuständigen Finanzminister Steinbrückund Eichel davon gewusst?
Für mich geht es nicht nur darum, subjektives Ver-sagen der einzelnen Akteure herauszuarbeiten, sondernauch darum – das ist viel wichtiger –, die Mechanismenaufzuspüren, die einen Fehler so lange fortwirken ließen .
Es geht nicht allein um die Aufarbeitung der Vergangen-heit, sondern auch um die Lehren für heute und für dieZukunft. Denn aus der Branche wird mir zugeflüstert,dass die Cum-cum-Geschäfte, die zurzeit laufen, auchnicht besser seien als Cum-ex .
Bei Cum-ex sollen mehr als 100 Finanzdienstleisterim In- und Ausland in diese Machenschaften verwickeltgewesen sein . Nach und nach kommt die Lawine insRollen . Die DZ Bank, das Zentralinstitut der Genossen-schaftsbanken, will sich von Mitarbeitern trennen, die inCum-ex-Geschäfte verstrickt waren . Sie musste bereits100 Millionen Euro an das Finanzamt nachzahlen .Die HypoVereinsbank musste ebenfalls bereits 1 Mil-lion Euro Bußgeld zahlen . Der Maple Bank sind dieCum-ex-Geschäfte nun vollends zum Verhängnis gewor-den . Sie musste wegen hoher Steuerrückforderungen vonder BaFin, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-aufsicht, geschlossen werden .Wir Linke können übrigens stolz darauf sein, dass wireinen großen Anteil daran haben, dass diese Geschichteüberhaupt aufgearbeitet wird . Bereits in der letzten Le-gislaturperiode haben wir durch unsere Fragen zu demThema die Bundesregierung ins Schwitzen gebracht, undes zeigt sich immer mehr, dass wir den Nagel auf denKopf getroffen haben .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der GroßenKoalition, den von uns geforderten Sonderermittler zurAufarbeitung der Cum-ex-Geschäfte haben Sie leiderverhindert und stattdessen selbst einen Untersuchungs-ausschuss vorgeschlagen . In der ersten Lesung des An-trags haben Sie dann mehrfach betont, dass Sie an derAufklärung konstruktiv mitarbeiten wollen .
Es hat mich gefreut, dass die SPD entgegen ihrer ur-sprünglichen Ankündigung einer Enthaltung gestern imGO-Ausschuss für den Antrag in der heute vorliegendenFassung gestimmt hat .
Auch die CDU sollte sich hier einen Ruck geben;
Vizepräsidentin Petra Pau
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denn es geht um eine Aufklärung im Interesse der Steuer-zahlerinnen und Steuerzahler .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Das Wort hat der Kollege Christian Hirte für die CDU/
CSU-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! 30 Millionen Euro – so viel soll Uli Hoeneßan Steuern hinterzogen haben; ein hübsches Sümmchen .
Der Fall des einstigen Präsidenten des FC Bayern löstein Deutschland eine polarisierende Debatte über Steuer-betrug und Steuerflucht aus. Doch angesichts möglicherEnthüllungen rund um die sogenannten Cum-ex-Ge-schäfte sind Uli Hoeneß und andere Steuersünder wahr-lich ganz kleine Fische .Heute entscheiden wir über die Einsetzung eines Un-tersuchungsausschusses zu Cum-ex-Aktiengeschäften .Der GO-Ausschuss hat die notwendigen Vorarbeiten ge-leistet, sodass wir nun über einen kompetenz- und verfas-sungskonformen Einsetzungsantrag entscheiden können .Dank an die Kollegen aus dem GO-Ausschuss, nament-lich vor allem an den Kollegen Dr . Stefan Heck, der füruns dort Berichterstatter war und darauf verzichtet hat,hier zu sprechen, sodass ich das heute tun darf .
Was sich gelegentlich wie ein Trinkspruch anhört –cum und ex –, könnte sich durchaus zu einem der span-nendsten Wirtschaftskrimis der Bundesrepublik entwi-ckeln . Es sollen Banken aus dem In- und Ausland dendeutschen Fiskus jahrelang mit dubiosen Aktiengeschäf-ten um Milliarden von Euro gebracht haben, indem siesich durch Finanztransaktionen um den Dividendenstich-tag herum eine einmal entrichtete Kapitalertragsteuervom Finanzamt gleich mehrfach erstatten ließen . WeilAktien so schnell gehandelt werden, dass offenbar nichtalle hinterherkommen, ist bei solchen Geschäften gele-gentlich unklar, wem die Aktien am Dividendenstichtageigentlich gehören, sodass wirtschaftliches und rechtli-ches Eigentum auseinanderfallen können . So könnengleich zwei Handelspartner von ihren Banken in den Ge-nuss einer Steuerbescheinigung kommen, die bares Geldwert ist .Als erste deutsche Bank hat im Dezember letzten Jah-res – wir haben es gerade schon gehört – die HypoVer-einsbank aus München einen Bußgeldbescheid wegenCum-ex-Geschäften akzeptiert . Die von der HVB eigent-lich erhoffte Erstattung blieb aus, weil das Bundeszen-tralamt für Steuern zu ermitteln begann und Steuerfahn-der hinter den gewaltigen Summen der Aktientransfersillegale Cum-ex-Geschäfte witterten . Nun musste dieBank nicht nur die Steuern zurückzahlen, sondern aucheine Geldbuße in Höhe von knapp 10 Millionen Eurozahlen .Wegen zweifelhafter Steuergeschäfte mit Dividenden-titeln stehen für Banken und andere Investoren Millionen-beträge auf dem Spiel . Nicht nur die HypoVereinsbank,auch die Commerzbank bzw . Dresdner Bank, die HSHNordbank und die Schweizer Bank Sarasin haben soge-nannte Cum-ex-Geschäfte mittlerweile eingeräumt . Inder letzten Woche setzte die BaFin – auch das haben wirgehört – wegen Steuerrückforderungen in dreistelligerMillionenhöhe und der damit einhergehenden bilanzi-ellen Überschuldung sogar den Handel der Maple Bankaus . Eine Reihe früherer Bankenvorstände muss sich aufRegressforderungen einstellen . Nicht zuletzt die WestLBund viele andere Institute und Beteiligte sind im Fokusder Ermittler .Die Kreditinstitute und Beteiligten stellen sich aufhohe Steuernachzahlungen ein . Das wird wohl auch nö-tig sein, wie die Causa HVB zeigt . Liegen nämlich Um-gehungstatbestände mit Verschleierungscharakter undkollusiven Absprachen vor, sind diese Cum-ex-Dealsnicht nur illegal, sondern auch steuer- und strafbar . Hiersind bislang die Steuer- und Strafermittlungsbehördenaber genau ihren Aufgaben nachgekommen . Darüber hi-naus sollen jetzt neben den genauen tatsächlichen undrechtlichen Umständen mit dem neu zu bildendendenUntersuchungsausschuss auch die Verantwortlichkeitenvon Politik und anderen Beteiligten aufgeklärt werden .Das Wort „Skandal“ wird ja meist inflationär benutzt,und auch die Kollegen Schick und Pitterle nutzen diesesWort sehr gern – vielleicht etwas zu gern .
Und wer weiß: Möglicherweise werden wir im Laufe un-serer Untersuchungen noch so manches finden, was unsmit dem Kopf schütteln lässt .
Wir sollten daher die Arbeit des Untersuchungsaus-schusses nicht mit allzu großen Tönen, Superlativen undPathos belasten . Wir sind hier nämlich nicht auf Skalp-jagd, sondern wir sollten versuchen, unvoreingenommenSachverhalte, Rechtslage und Verantwortlichkeiten auf-zuklären .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen vor einerschwierigen Aufgabe, die sich anders als bei Uli Hoeneßvielleicht nicht im allergrellsten Scheinwerferlicht derPresse und der Medien abspielen wird . Deshalb möchteich dringend davor warnen, dass Linke und Grüne Vor-verurteilungen in skandalisierender Weise vornehmen .Das soll der Ausschuss ja eigentlich erst aufklären .
Richard Pitterle
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Wer dies tut, weil es ihm in den politischen Kram passt,kann der Arbeit des Untersuchungsausschusses nicht ge-recht werden .
Der Themenkomplex ist schwierig, die Aktenlage un-übersichtlich, und die Rechtslage lässt Raum für man-cherlei Interpretationen, vielleicht auch für Überraschun-gen . Gerade deshalb sollten wir sehr sorgfältig prüfen .In diesem Sinn werden wir als Union konstruktiv an derAufarbeitung mitarbeiten .
Ich persönlich freue mich darauf .Vielen Dank .
Das Wort hat der Kollege Dr . Gerhard Schick für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ab kommender Woche werden wir den wohl größtenSteuerskandal untersuchen,
den die Bundesrepublik Deutschland bislang erlebt hatund hoffentlich je erleben wird . Unser Ziel ist, dass wirendlich aufhören, unsere Steuergelder an Trickser undBetrüger am Finanzmarkt zu verschleudern .
Es ist zahlreichen Millionären und über 120 Finanzin-stituten gelungen, uns Steuerzahlern und Steuerzahlerin-nen zwischen 2002 und 2012 geschätzte 12 MilliardenEuro aus der Tasche zu ziehen . 12 Milliarden Euro: Damithätten wir in diesen zehn Jahren 24 000 Lehrerinnen undLehrer kontinuierlich beschäftigen und bezahlen können .Das ging nicht, weil einige Leute eine große Umvertei-lungsmaschine von Bürgern zu Banken und Millionärenin Gang gesetzt haben, die sozusagen kontinuierlich Geldvon unten nach oben pumpt . Wir Grünen wollen, dassdiese Umverteilungsmaschine gestoppt wird .
Denn das Problem ist ja – das hat der Kollege Pitterleangesprochen –, dass diese damalige Umverteilungsma-schine leider in wohl nur leicht veränderter Form heuteweiter arbeitet und weiter viel Steuergeld von uns allenverloren geht an Leute, die am Finanzmarkt tricksen . Ichwill, dass der Staat seine redlichen Bürgerinnen und Bür-ger vor solchen Betrügereien schützt; denn diese skru-pellosen Banker, Steuerberater und Investoren gefährdenden Zusammenhalt unserer Gesellschaft .
Doch wir als Abgeordnete dürfen uns nicht damitbegnügen, die Missetäter zu verurteilen, sondern wirmüssen uns fragen, was alles schiefgelaufen ist, damitdiese über zehn Jahre ungeschoren ihr Unwesen treibenkonnten . Genau dies soll im Untersuchungsausschussgeschehen . Wir wollen untersuchen, und zwar ohne Vor-verurteilungen, vielmehr Fragen stellen, warum das Bun-desministerium der Finanzen über zehn Jahre brauchte,dem Treiben ein Ende zu gebieten, obwohl es an Hin-weisen nicht mangelte . Warum hat auch die Bankenauf-sicht nur zugesehen, obwohl Banken solch hohe Risikeneingegangen sind, dass eine erste jetzt schon deswegengeschlossen wurde? Wieso wurde eigentlich die Steu-erverwaltung so spät aktiv, obschon Steuererstattungenbeansprucht wurden, die an Höhe überhaupt keinen Sinnmehr ergaben? Und warum haben wir eigentlich Landes-banken im öffentlichen Eigentum, wenn auch diese dieÖffentlichkeit ausplündern? Das sind keine Vorverurtei-lungen, sondern das sind ganz konkrete Fragen .Herr Hirte, den Begriff „Schweinereien“ für all dieshat Ihr eigener Kollege Olav Gutting – und nicht ich – ineiner der früheren Debatten, die wir zu diesem Themabeantragt hatten, genannt .
Aber ich finde, recht hat er. Eine Schweinerei ist es. Des-halb soll man es auch so benennen .
Leider wird die Koalition unserem Antrag zur Einset-zung eines Untersuchungsausschusses heute nicht zu-stimmen . Sie haben, Herr Hirte, keinerlei Begründungdafür genannt, warum Sie meinen, dass man diese Fra-gen nicht aufklären sollte . Ich würde mich freuen, wenndie Vertreterinnen und Vertreter der Koalition uns malerklären würden, warum sie nicht mit uns zustimmen .Ich hoffe, dass Sie – nachdem Sie unseren Antrag aufEinsetzung eines Sonderermittlers abgelehnt haben undauch andere Wege der gemeinsamen Aufarbeitung mituns nicht gehen wollten – jetzt trotzdem konstruktiv diegemeinsame Aufarbeitung im Ausschuss mittragen wer-den . So habe ich Sie verstanden . Ich hoffe, dass das in derPraxis dann auch so sein wird .
Denn diese Aufarbeitung ist zentral .Noch immer wissen viele Bürgerinnen und Bürgernichts von dem, was da passiert ist . Und immer, wennich davon spreche, fragen mich Menschen erschüttert,warum sie eigentlich noch nichts davon erfahren haben .Ich meine, Politik und Medien dürfen sich nicht immernur mit den einfachen Dingen beschäftigen . Wir müssenChristian Hirte
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die großen Probleme angehen, auch wenn es kompliziertwird .
Wie gesagt, diese Geschäfte gehen in einer etwas an-deren Form weiter . Und es gibt immer noch Leute an denFinanzmärkten, die skrupellos genug sind, die Allge-meinheit zu schädigen und jede Schwäche, die es da gibt,zu nutzen . Dieses ewige Hase-und-Igel-Spiel zwischeneinigen Experten am Finanzmarkt und uns als Gesell-schaft muss endlich beendet werden . Für uns Grüne gehtes bei dieser ungewollten Umverteilung von unten nachoben um Fairness und Gerechtigkeit, aber letztlich auchum die Verlässlichkeit unseres Staates . Für diese Wertetreten wir ein .Danke .
Das Wort hat der Kollege Andreas Schwarz für die
SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wirwerden noch heute die Einsetzung eines Untersuchungs-ausschusses zu den sogenannten Cum-ex-Geschäftenbeschließen . Dabei handelt es sich um Geschäftsmodellevon Banken und Anlageberatern, deren Renditeverspre-chen allein auf einer mehrfachen Erstattung und Anrech-nung von Kapitalertragsteuern beruhte .Der Gesetzgeber hat diesen Gestaltungen der Finanz-industrie durch eine Umstellung der Kapitalertragsteue-rerhebung ab 2012 faktisch den Boden entzogen . Diesbedeutet aber nicht, dass sie bis dahin legal waren . ImGegenteil: Auch der Direktor des Max-Planck-Institutsfür Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, WolfgangSchön, bezeichnet diese Geschäfte als illegal . Er gehtsogar – ich zitiere – noch weiter: Hier wurde nicht nurversucht, Steuern zu sparen, sondern man hat den Fiskussogar systematisch gemolken .Es ist für mich völlig unverständlich, dass findige Fi-nanzberater noch immer der Auffassung sind, diese Artvon Betrug sei legal . Nein, das ist es nicht . Man musssich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Wie kannman es für legal halten, sich die Kapitalertragsteuer zumTeil gleich mehrfach erstatten zu lassen, obwohl sie nureinmal gezahlt wurde und folglich die Finanzämter – aufKosten der Allgemeinheit – mehr Steuern erstatteten, alssie einnahmen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, das istnicht legal, das ist kriminell .Richtig ist, dass die steuerfachliche Bewertung derfraglichen Cum-ex-Geschäfte im Schrifttum umstrittenist . Auch steht höchstrichterliche Rechtsprechung hier-zu noch aus . Inzwischen liegen uns aber Urteile zweierKölner Gerichte vor, die den Anfangsverdacht der Steu-erhinterziehung von Banken bei Cum-ex-Geschäften be-stätigen . Norbert Walter-Bojans hat vollkommen Recht,wenn er laut FAZ vom 15 . Dezember 2015 – ich zitiere –sagt:Die Banken können sich nach eindeutigen Gerichts-urteilen jetzt nicht mehr mit unklarer Rechtslageherausreden .Die Cum-ex-Geschäfte sind mit tatkräftiger Unter-stützung der Banken allesamt von sehr wohlhabendenMenschen getätigt worden, die sich gerne zur Elite un-seres Landes zählen . Ich frage: Was ist daran Elite, seinVermögen auf Kosten der Allgemeinheit auf solch dreisteArt und Weise unrechtmäßig zu vermehren? Es ist an derZeit, dass diese Leute endlich zur Besinnung kommen .Um eines klarzustellen: Niemand möchte es vermö-genden Menschen verwehren, ihr Geld gewinnbringendanzulegen . Gleichwohl gilt aber auch, dass sie ihrenPflichten nachkommen und ihre Steuern zahlen müssenund nicht der Allgemeinheit die Mittel beispielsweise fürdie Finanzierung wichtiger Infrastrukturprojekte vorent-halten dürfen .Gern zitiere ich hierzu noch einmal Norbert Walter- Borjans:Banken und Investoren, die sich einmal gezahl-te Steuern trickreich mehrfach vom Staat erstattenlassen, begehen keine lässliche Sünde, sondern un-ternehmen einen systematischen Raubzug in Milli-ardenhöhe bei öffentlichen Kassen, in die ehrlicheSteuerzahler zuvor eingezahlt haben .Er sagte weiter:Ich kann nur dazu raten, dass die Täter jetzt ihreLehren daraus ziehen, für die Vergangenheit reinenTisch machen und sich von kriminellen Geschäfts-modellen zum Schaden der Allgemeinheit verab-schieden .Aus dem Ankauf der letzten Steuer-CD durch dasLand NRW haben sich Anhaltspunkte gegen 129 Bankenund Finanzdienstleister ergeben . Dies wird die bereitslaufenden umfangreichen Ermittlungen der Strafverfol-gungsbehörden natürlich nochmals forcieren . Dafür giltdem Land NRW ausdrücklich Dank .Liebe Kolleginnen und Kollegen, der ursprünglicheAntrag der Opposition auf Einsetzung des Untersu-chungsausschusses wies diverse verfassungsrechtlicheProbleme auf . Diese haben die Abgeordneten des 1 . Aus-schusses intensiv diskutiert und mit der vorgelegten Neu-fassung behoben . Insbesondere musste die Untersuchungauf den Kompetenzbereich des Bundes beschränkt wer-den .Für uns als SPD war es zudem wichtig, nicht nur dieRolle der öffentlichen Banken, sondern auch die der pri-vaten Banken und Finanzdienstleister zum Gegenstandder Aufklärung zu machen . Wenn man ein Bild interpre-tieren und bewerten möchte, muss man das Gesamtbildbetrachten und nicht nur einzelne Facetten . Nur so kön-Dr. Gerhard Schick
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nen wir dem Untersuchungsauftrag auch wirklich ge-recht werden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hegen Zweifel,ob wir das parlamentarische Instrument des Untersu-chungsausschusses hier tatsächlich brauchen; denn wirhaben Strafverfolgungsbehörden, die inzwischen dieArbeit sehr intensiv aufgenommen haben . Dieser Auffas-sung sind nicht nur wir in der Politik, sondern ist auchbeispielsweise Klaus Ott, der als Redakteur der Süddeut-schen Zeitung auf Grundlage des Informationsfreiheits-gesetzes des Bundes Zugang zu den Akten des BMF er-hielt .Dennoch gilt: Unter Vorsitz unseres KollegenDr . Hans-Ulrich Krüger werden wir die Aufklärungsauf-gabe, die uns das Parlament heute übertragen wird, mitgroßem Engagement verfolgen und vorantreiben . Wirhaben in dieser Legislaturperiode bei der Bekämpfungder Steuerkriminalität schon viele wichtige Erfolge er-zielt – gemeinsame Erfolge dieses Hauses . Wir haben dieRegelungen zur strafbefreienden Selbstanzeige deutlichverschärft und den internationalen Datenaustausch durchdie Implementierung der OECD-Standards deutlich ver-bessert, erfreulicherweise auch mit den Stimmen derGrünen . Sogar die Linken haben diese Gesetzesverschär-fungen nicht abgeschreckt; sie haben sie zum Teil mit-getragen . Es gibt also in diesem Haus offenkundig einesehr gute Chance auf breite Mehrheiten für Maßnahmengegen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug . Da kannman ja schon fast von einem Konsens sprechen .Meine Bitte: Lassen Sie uns doch in der bevorste-henden Ausschussarbeit daran anknüpfen und die Auf-klärungsarbeit gemeinsam vorantreiben . Wer weiß –womöglich ergeben sich auch noch Ideen für künftigegemeinsame Gesetzesinitiativen . Denn eines ist klar:Wer gegen Steuerkriminalität vorgeht, hat die SPD-Bun-destagsfraktion immer an seiner Seite .
Ich komme zum Schluss . Sehr geehrter Herr KollegeHirte, Herr Kollege Pitterle, Herr Kollege Dr . Schick, wirfreuen uns auf die gemeinsame Arbeit und bieten allenBeteiligten unsere gute Zusammenarbeit an .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Das Wort hat der Kollege Philipp Graf Lerchenfeld für
die CDU/CSU-Fraktion .
Verehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Mit dem Un-tersuchungsausschuss, den wir heute einsetzen und dersich in der kommenden Woche konstituieren wird, wer-den wir uns auf eine Zeitreise begeben . Die Zeitreise be-ginnt im Jahr 1998, als Steuergesetze geändert wurden,die dazu geführt haben, dass Türen geöffnet wurden fürdiese Machenschaften .Kollege Schick, es war der von Ihnen gestützte Fi-nanzminister Eichel, der diese Sachen vorbereitet hat .
Sie waren an der Regierung beteiligt . Insofern kann ichIhnen nur sagen: Hätten Sie damals ein bisschen weitervorausgeschaut, dann hätten Sie vielleicht auch erkannt,welche unsäglichen Tätigkeiten Sie ausgelöst haben .
Lassen Sie mich zurückkommen zum Cum-ex-Ge-schäft und zur Änderung des Einkommensteuergesetzesin den 90er-Jahren, die, wie gesagt, diesen dubiosen Ge-schäften die Tür geöffnet hat .Im Jahr 2002 – damit sind wir beim nächsten Punktunserer Zeitreise – wurden dem Bundesfinanzministeri-um erste Hinweise gegeben, dass ungerechtfertigte Er-stattungen von Banken in großem Umfang vorgenom-men wurden . Es wurde aber nichts gemacht . Man hatnicht reagiert . Nun, man kann vielleicht sagen, dass esimmer eine Zeit dauert, bis Steuererklärungen abgege-ben, Steuerbescheide erlassen und die notwendigen Be-triebsprüfungen bei den Steuerpflichtigen durchgeführtwerden; dann gibt es eventuell noch Gerichtsverfahrenvor Finanzgerichten . Alles das zieht sich hin . Finanzbe-hörden haben nur eine verzögerte Möglichkeit, gesicher-te Kenntnisse über Steuergestaltungen zu erlangen .Ich denke, es ist wirklich an der Zeit, dass wir uns mitdiesem Thema beschäftigen . Ich freue mich, im Untersu-chungsausschuss die Gelegenheit zu haben, diese hoch-komplizierte Materie zu durchleuchten .So einfach, wie es den Anschein hat und wie derzeitauch immer berichtet wird, ist der Sachverhalt dochnicht; denn es gab immer wieder höchstgerichtliche Ur-teile, die deutlich gemacht haben, dass eben kein Fall ge-mäß § 42 AO vorliegt . Der BFH hat unter Berufung auf§ 50 c Einkommensteuergesetz, der inzwischen wegge-fallen ist, festgestellt, dass kein missbräuchlicher Tatbe-stand beim Dividendenstripping vorlag . Insofern wird esinteressant werden, sich auch mit den Finanzgerichtsur-teilen – heute ist wieder eines vom Hessischen Finanzge-richt in der FAZ veröffentlicht worden – zu beschäftigen,um festzustellen: Was ist denn der Hintergrund? Was istdie rechtliche Frage? Ich denke, dass wir in den Finanz-gerichtsurteilen durchaus Erhellendes für unseren Unter-suchungsausschuss finden werden.Es wurde schon gesagt, dass inzwischen Geldbußenverhängt wurden . Die HVB hat – lieber Kollege Pitterle,das zur Korrektur – 9,8 Millionen Euro Geldbuße bezahltund nicht 1 Million Euro, wie Sie vorhin gesagt haben .Die Maple Bank ist, wie gesagt, inzwischen unter Mora-torium gestellt worden, weil sie die Rückstellungen nichtbilden konnte, die notwendig wären für die entsprechen-den Rückerstattungen der Steuern . Spektakuläre FälleAndreas Schwarz
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wie der des Unternehmers Müller, der die Bank Sarasinin der Schweiz verklagt hat und damit deutlich machenwollte, dass er von der Bank falsch beraten wurde, habenöffentliche Aufmerksamkeit erregt .Ich denke, wir haben eine große Aufgabe vor uns, umdie Sachverhalte, die im Fragenkatalog aufgeführt sind,aufzuklären . Ich wünsche uns dazu gute Beratungen . Ichhoffe, dass wir mit den Erkenntnissen, die wir gewinnenwerden, dazu beitragen, in Zukunft kriminelle Machen-schaften bei missbräuchlicher Steuergestaltung zu ver-hindern .Vielen Dank .
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immuni-
tät und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeord-
neten Richard Pitterle, Dr . Gerhard Schick, Dr . Sahra
Wagenknecht, Dr . Dietmar Bartsch, Katrin Göring-
Eckardt, Dr . Anton Hofreiter, Jan van Aken, Luise
Amtsberg und weiterer Abgeordneter zur Einsetzung ei-
nes Untersuchungsausschusses. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7601,
den Antrag auf Drucksache 18/6839 in der Ausschuss-
fassung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Koalitionsfraktionen ange-
nommen .
Damit ist der 4 . Untersuchungsausschuss der 18 . Wahl-
periode eingesetzt .
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 24 . Februar 2016, 13 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen alles
Gute bis dahin .