Protokoll:
18156

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 156

  • date_rangeDatum: 19. Februar 2016

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:19 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/156 Textrahmenoptionen: 16 mm Abstand oben Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 156. Sitzung Berlin, Freitag, den 19. Februar 2016 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung beschleunig- ter Asylverfahren Drucksache 18/7538 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15343 A in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum er- weiterten Ausschluss der Flüchtlingsaner- kennung bei straffälligen Asylbewerbern Drucksache 18/7537 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15343 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Dr . Franziska Brantner, Beate Walter- Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rech- te von Kindern im Asylverfahren stärken Drucksache 18/7549 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15343 B Dr . Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15343 C Dr . Dietmar Bartsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 15346 A Dr . Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15348 A Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15349 C Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . . 15350 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15352 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 15353 B Heiko Maas, Bundesminister BMJV . . . . . . . 15354 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15355 D Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15357 A Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 15358 D Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15359 C Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15362 A Ralf Jäger, Minister (Nordrhein-Westfalen) . . 15363 A Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . . 15364 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15365 A Nina Warken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15366 B Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15367 D Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15368 C Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15369 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15370 C Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe: zu dem Entwurf des EU-Jahresbe- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 156 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Februar 2016II richts 2014 über Menschenrechte und De- mokratie in der Welt – Ratsdok. 9593/15 Drucksachen 18/5982 Nr . A .47, 18/7552 . . . . 15371 A Michael Roth, Staatsminister AA . . . . . . . . . . 15371 B Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 15372 C Erika Steinbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 15374 A Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15375 C Angelika Glöckner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 15377 A Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15378 C Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) . . . . 15379 D Tagesordnungspunkt 19: a) Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- KE: Schutzfunktion der Arbeitslosen- versicherung stärken Drucksache 18/7425 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15382 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Jutta Krellmann, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Programm für gute öffentlich geförderte Beschäftigung auflegen Drucksachen 18/4449, 18/5158 . . . . . . . . . 15382 A Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15382 A Albert Weiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15383 C Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15384 D Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15385 D Kai Whittaker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15387 B Dr . Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 15388 C Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 15390 A Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Kultur und Medien zu dem An- trag der Abgeordneten Ulle Schauws, Tabea Rößner, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Grundlagen für Gleichstellung im Kulturbetrieb schaffen Drucksachen 18/2881, 18/7351 . . . . . . . . . . . 15391 A Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) . . . . . . . 15391 A Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 15393 C Hiltrud Lotze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15394 C Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15396 A Dr . Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 15397 C Burkhard Blienert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15399 A Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abge- ordneten Richard Pitterle, Dr . Gerhard Schick, Dr . Sahra Wagenknecht, Dr . Dietmar Bartsch, Katrin Göring-Eckardt, Dr . Anton Hofreiter, Jan van Aken, Luise Amtsberg und weiterer Abgeordneter: Einsetzung eines Untersu- chungsausschusses Drucksachen 18/6839, 18/7601 . . . . . . . . . . . 15400 A Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 15400 A Christian Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15401 A Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15402 A Andreas Schwarz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15403 A Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) . . . . . . 15404 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15405 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 15407 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15407 D Textrahmenoptionen: 30,5 mm Abstand oben (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 156 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Februar 2016 15343 156. Sitzung Berlin, Freitag, den 19. Februar 2016 Beginn: 9 .00 Uhr
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    Philipp Graf Lerchenfeld (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 156 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Februar 2016 15407 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 19 .02 .2016 Bär, Dorothee CDU/CSU 19 .02 .2016 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19 .02 .2016 Diaby, Dr . Karamba SPD 19 .02 .2016 Ferner, Elke SPD 19 .02 .2016 Gastel, Matthias BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19 .02 .2016 Gehring, Kai BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19 .02 .2016 Gohlke, Nicole DIE LINKE 19 .02 .2016 Grindel, Reinhard CDU/CSU 19 .02 .2016 Hampel, Ulrich SPD 19 .02 .2016 Hein, Dr . Rosemarie DIE LINKE 19 .02 .2016 Heinrich, Gabriela SPD 19 .02 .2016 Held, Marcus SPD 19 .02 .2016 Hoffmann, Alexander CDU/CSU 19 .02 .2016 Holzenkamp, Franz- Josef CDU/CSU 19 .02 .2016 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 19 .02 .2016 Jantz, Christina SPD 19 .02 .2016 Karawanskij, Susanna DIE LINKE 19 .02 .2016 Kolbe, Daniela SPD 19 .02 .2016 Kühn (Dresden), Stephan BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19 .02 .2016 Kühn-Mengel, Helga SPD 19 .02 .2016 Leutert, Michael DIE LINKE 19 .02 .2016 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19 .02 .2016 Mast, Katja SPD 19 .02 .2016 Merkel, Dr . Angela CDU/CSU 19 .02 .2016 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Möhring, Cornelia DIE LINKE 19 .02 .2016 Nahles, Andrea SPD 19 .02 .2016 Röring, Johannes CDU/CSU 19 .02 .2016 Rüffer, Corinna BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19 .02 .2016 Schlecht, Michael DIE LINKE 19 .02 .2016 Schön (St . Wendel), Nadine CDU/CSU 19 .02 .2016 Ulrich, Alexander DIE LINKE 19 .02 .2016 Veit, Rüdiger SPD 19 .02 .2016 Wagenknecht, Dr . Sahra DIE LINKE 19 .02 .2016 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19 .02 .2016 Weber, Gabi SPD 19 .02 .2016 Wicklein, Andrea SPD 19 .02 .2016 Wittke, Oliver CDU/CSU 19 .02 .2016 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 19 .02 .2016 Zimmer, Dr . Matthias CDU/CSU 19 .02 .2016 Anlage 21) Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE 23. Jahrestagung der Parlamentarischen Ver- sammlung der OSZE vom 28. Juni bis 2. Juli 2014 in Baku, Aserbaidschan Drucksachen 18/6733, 18/6847 Nr. 2 1) Siehe Neudruck, 157. Sitzung, Anlage 2, Seite 15453 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 156 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Februar 201615408 (A) (C) (B) (D) – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE 24. Jahrestagung der Parlamentarischen Versamm- lung der OSZE vom 5. bis 9. Juli 2015 in Helsinki, Finnland Drucksachen 18/6734, 18/6847 Nr. 3 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der In- terparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Tagung der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspo- litik am 5. und 6. September 2015 in Luxemburg Drucksachen 18/6899, 18/7276 Nr. 1 – Unterrichtung durch die Delegation des Deutschen Bundestages in der Ostseeparlamentarierkonferenz 24. Jahrestagung der Ostseeparlamentarierkon- ferenz vom 30. August bis 1. September 2015 in Rostock-Warnemünde, Deutschland Drucksachen 18/7033, 18/7276 Nr. 6 – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepu- blik Deutschland in der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 21. bis 25. Januar 2013 in Straß- burg Drucksachen 18/7128, 18/7276 Nr. 9 – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepu- blik Deutschland in der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 22. bis 26. April 2013 in Straß- burg Drucksachen 18/7129, 18/7276 Nr. 10 – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepu- blik Deutschland in der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 24. bis 28. Juni 2013 in Straßburg Drucksachen 18/7130, 18/7276 Nr. 11 – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepu- blik Deutschland in der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 30. September bis 4. Oktober 2013 in Straßburg Drucksachen 18/7131, 18/7276 Nr. 12 Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2015 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaus- haltsordnung über die Einwilligung in eine über- planmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 02 Titel 636 85 – Zuschüsse zu den Beiträgen zur Rentenversi- cherung der in Werkstätten und Integrationspro- jekten beschäftigten Menschen – bis zu einer Höhe von 30,428 Mio. Euro Drucksachen 18/6323, 18/6605 Nr. 1.2 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2015 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaus- haltsordnung über die Einwilligung in eine außer- planmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 28 Titel 532 06 – Unterstützungsleistungen des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe bei der Verteilung von Flüchtlingen – bis zur Höhe von 32,7 Mio. Euro Drucksachen 18/6324, 18/6605 Nr. 1.3 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2015 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaus- haltsordnung über die Einwilligung in eine über- planmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 25 Titel 532 06 – Verwendung, Einsätze und Maßnahmen der Bundespolizei zur Bewältigung der Flüchtlingsla- ge in Deutschland – bis zur Höhe von 42,981 Mio. Euro Drucksachen 18/6523, 18/6605 Nr. 1.10 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2015 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaus- haltsordnung über die Einwilligung in eine über- planmäßige Ausgabe bei Kapitel 05 01 Titel 687 10 – Beitrag an die Vereinten Nationen – bis zur Höhe von 39,540 Mio. Euro Drucksachen 18/6524, 18/6605 Nr. 1.11 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2015 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaus- haltsordnung über die Einwilligung in eine über- planmäßige Ausgabe bei Kapitel 08 01 Titel 699 31 – Abschließende Leistungen zur Abgeltung von Härten in Einzelfällen – bis zur Höhe von 48,6 Mio. Euro Drucksachen 18/6953, 18/7116 Nr. 4 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 156 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 19 . Februar 201615409 (A) (C) (B) (D) Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpo- litik für konventionelle Rüstungsgüter im ersten Halbjahr 2015 Drucksachen 18/6460, 18/6605 Nr. 1.6 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat . Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 18/419 Nr . A .48 Ratsdokument 16749/13 Drucksache 18/419 Nr . C .3 Ratsdokument 6580/12 Drucksache 18/419 Nr . C .7 Ratsdokument 7708/13 Drucksache 18/419 Nr . C .8 Ratsdokument 7710/13 Drucksache 18/419 Nr . C .14 Ratsdokument 8638/13 Drucksache 18/419 Nr . C .27 Ratsdokument 17876/12 Drucksache 18/419 Nr . C .28 Ratsdokument 17883/12 Drucksache 18/1393 Nr . A .25 Ratsdokument 7859/14 Drucksache 18/5982 Nr . A .13 Ratsdokument 9969/15 Drucksache 18/5982 Nr . A .14 Ratsdokument 9975/15 Drucksache 18/6711 Nr . A .4 Ratsdokument 13106/15 Drucksache 18/7286 Nr . A .10 Ratsdokument 15264/15 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 18/419 Nr . C .40 Ratsdokument 7452/13 Drucksache 18/4857 Nr . A .7 Ratsdokument 7682/15 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksache 18/6607 Nr . A .24 Ratsdokument 12683/15 Drucksache 18/7127 Nr . A .5 Ratsdokument 14337/15 In der Amtlichen Mitteilung ohne Verlesung, 150 . Sit- zung, Seite 14831 (C), ist „Ratsdokument 12683/15“ zu streichen . Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 156. Sitzung Inhaltsverzeichnis ZP 5,TOP 17 Einführung beschleunigter Asylverfahren TOP 18 EU-Jahresbericht über Menschenrechte und Demokratie TOP 19 Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung TOP 10 Gleichstellung im Kulturbetrieb TOP 21 Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (cum-ex) Anlagen Anlage 1 Anlage 2
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815600000

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich begrüße Sie alle herzlich und rufe unseren Zusatz-
punkt 5, den Tagesordnungspunkt 17 sowie den Zusatz-
punkt 6 auf:

ZP 5 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Einführung beschleunigter Asylver-
fahren

Drucksache 18/7538
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit

17 . Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von
straffälligen Ausländern und zum erweiterten
Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei
straffälligen Asylbewerbern

Drucksache 18/7537
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise
Amtsberg, Dr . Franziska Brantner, Beate Wal-
ter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rechte von Kindern im Asylverfahren stärken

Drucksache 18/7549
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist hierfür
eine Aussprache von 96 Minuten vorgesehen . – Dazu
stelle ich Ihr Einvernehmen fest . Dann verfahren wir so .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesinnenminister Thomas de Maizière .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Beim Thema Flüchtlinge
erleben wir in unserem Land eine breite, tiefe Band-
breite von Stimmungen und Gefühlen, ja vielleicht eine
Spaltung zwischen Optimismus und Ernüchterung,
Tatendrang und Müdigkeit, Mit- und Gegeneinander,
Akzeptanz und Ablehnung, Gewalt und Versöhnung,
schwierigem Abwägen und einfachen Parolen, Hoffnung
auf Europa und Enttäuschung über Europa . All das ist
kein bloßes Beiwerk zu der großen Aufgabe, an deren
Lösung wir seit Monaten beharrlich arbeiten; es ist für
uns alle Anstoß und Mahnung . Wir werden unsere Ver-
antwortung nach außen nur wahrnehmen können, wenn
wir in unserem Land und in unserer Gesellschaft den Zu-
sammenhalt nach innen erhalten . Die Bundesregierung
tut alles dafür, diese Situation national, europäisch und
international zu bewältigen – unter Achtung unserer ei-
genen Interessen und mit Achtung gegenüber den zu uns
kommenden Menschen .

Lassen Sie mich ein paar Beispiele von vielen nennen .
Allein in den vier Monaten seit Oktober haben wir die
Zugangszahlen der Menschen aus dem Westbalkan dras-
tisch reduziert . Insgesamt sind die Zahlen der Flüchtlinge
zurückgegangen . Das reicht noch nicht; aber die Rich-
tung stimmt . Wir haben die Digitalisierung des Asylver-
fahrens geschaffen und geben seit kurzem einheitliche
Ankunftsausweise aus . Damit erhalten wir Klarheit über
die, die zu uns kommen, wo sie hingehören und was sie
können . Doppelzählungen hören auf und Selbstzuwei-
sungen an einen Ort eigener Wahl auch . All das ist auch
für die Sicherheit unseres Landes wichtig .






(A) (C)



(B) (D)


Wir haben über den Bundeshaushalt massiv in Integ-
ration investiert . Auch hier ein Beispiel: In kürzester Zeit
haben wir 8 000 weitere Lehrkräfte für Integrationskurse
zugesagt .

Wir haben das Personal beim Bundesamt für Migra-
tion und Flüchtlinge aufgestockt . Seit Oktober wurden
dort 300 000 Nachregistrierungen durchgeführt sowie
Rückstände aus rund 130 000 Altverfahren abgebaut . Mit
fast 50 000 Entscheidungen im BAMF allein im Januar
wurde eine neue Rekordzahl erreicht . Ich weiß, auch hier
ist noch viel zu tun und zu verbessern, aber auch hier
stimmt die Richtung .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, mit dem heute vorliegen-
den Gesetzespaket verbinde ich drei Botschaften:

Die erste richtet sich direkt an die Menschen in un-
serem Land . Ihnen sage ich heute Folgendes: Wir ar-
beiten hart dafür, den Flüchtlingszustrom in unser Land
zu begrenzen und zu verringern, vorneweg die Bundes-
kanzlerin . Die Wahrnehmung von internationaler Verant-
wortung und das Eintreten für eine europäische Lösung
liegen in unserem nationalen Interesse .

Wir wissen, dass Ihre Bereitschaft zur Aufnahme
von Flüchtlingen auch davon abhängt, wie schnell über
Straftäter, Wirtschaftsflüchtlinge und andere Nicht-
schutzbedürftige entschieden wird und dass diese wieder
in ihre Heimat zurückgeführt werden . Ja, wir werden
mit den Menschen härter umgehen, die nur behaupten,
Schutz zu brauchen, aber in Wahrheit aus anderen Grün-
den nach Deutschland kommen oder mit Tricks oder fal-
schen Angaben ihren Aufenthalt in Deutschland zu ver-
längern versuchen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir begegnen allen Menschen, die zu uns kommen,
mit Respekt, aber ohne Naivität .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Hat sich ja gerade gezeigt!)


Wir regeln ein faires Asylverfahren und eine schnellere
Abschiebung der Menschen, die keinen Anspruch auf
Schutz haben .

Die vorliegenden Maßnahmen bilden einen gerechten
Ausgleich zwischen dem berechtigten Interesse an Be-
grenzung und unseren selbstverständlichen Verpflichtun-
gen gegenüber Menschen, die Schutz brauchen . Es liegt
in der Verantwortung und im Interesse unseres Landes,
so lange wie möglich an Schengen festzuhalten . Das
heißt: Schutz der Außengrenzen und möglichst wenige
Kontrollen innerhalb Europas .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden weiterhin für einen europäischen Weg aus
der Flüchtlingskrise kämpfen, solange er auch bei der
Verringerung der Flüchtlingszahlen Erfolg verspricht .
Falls aber einige Länder versuchen sollten, das gemein-
same Problem einseitig und zusätzlich auf den Rücken
Deutschlands zu verlagern, so wäre das inakzeptabel und

würde von uns auf Dauer nicht ohne Folgen hingenom-
men .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine zweite Botschaft richtet sich an die Menschen,
die in den letzten Monaten in unser Land gekommen
sind . Auch an Sie wende ich mich direkt . Für die gro-
ße Mehrheit von Ihnen ist es selbstverständlich, sich in
Deutschland, in dem Land, das Sie aufnimmt, anständig
und rechtstreu zu verhalten . Das ist gut, und das müssen
wir alle auch laut gemeinsam sagen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Sie erhalten hier ein faires Asylverfahren, und die
Behörden werden so schnell wie möglich prüfen, ob Sie
in unserem Land bleiben können . Wenn Sie aber aus
asylfremden Gründen nach Deutschland kommen oder
versuchen, ohne Aussicht auf Erfolg einen Aufenthalt
zu begründen oder zu verlängern, werden Sie dieses Ziel
nicht erreichen . Wenn Sie versuchen, sich einem geregel-
ten Verfahren an dem Ort zu entziehen, wohin Sie verteilt
werden, oder wenn Sie Ihre Chancen durch Täuschung
verbessern wollen, wird Ihnen das nicht gelingen . Wenn
Sie im Asylverfahren nicht mitwirkungsbereit sind, führt
das zu Nachteilen in Ihren Verfahren .

Für diejenigen unter Ihnen, die aus sicheren Herkunfts-
staaten kommen oder sich einem ordentlichen Verfahren
verweigern, führen wir ein beschleunigtes Verfahren ein,
das mit weiteren Auflagen verbunden ist und nach Ableh-
nung Ihres Antrags in einer raschen Rückführung enden
wird .

Die vollen Asylbewerberleistungen erhalten Sie künf-
tig nur dann, wenn Sie registriert sind und in der Ihnen
zugewiesenen Unterkunft wohnen . Wer sich an die Re-
geln hält, hat das schnell erreicht . Das gilt – ich wieder-
hole es – für die große Mehrheit der Asylsuchenden in
unserem Land . Für Sie ändert sich durch das neue Ge-
setz eigentlich ziemlich wenig . Wenn Ihr Asylantrag aber
rechtskräftig abgelehnt worden ist und es keinen wirkli-
chen Duldungsgrund gibt, müssen Sie unser Land ver-
lassen . Gehen Sie nicht freiwillig, werden die Behörden
Ihre Ausreisepflicht durchsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, Rückführungsversuche
scheitern oft daran, dass medizinische Gründe vorge-
bracht werden. Häufig wird geltend gemacht, dass die
medizinische Versorgung im Herkunftsland eine Rück-
führung ausschließt, weil sie nicht dem deutschen Stan-
dard entspricht . Auch manche medizinischen Atteste
scheinen nicht wirklich begründet zu sein, vor allem so-
genannte Vorratsatteste . Wir regeln jetzt, dass es für eine
Abschiebung eine solide medizinische Versorgung im
Zielstaat geben muss, ausreichend und angemessen .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Das hohe Niveau der medizinischen Versorgung in
Deutschland muss aber nicht erfüllt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bundesminister Dr. Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


Die medizinischen Standards in den Herkunftsländern
müssen so sein, dass den Menschen auch nach der Rück-
kehr gut geholfen werden kann . Gleichheit mit deutschen
Standards können und werden wir aber nicht gewährleis-
ten . Das ist ehrlich, und das ist auch angemessen .


(Zurufe von der LINKEN: Das sind doch Nebelkerzen! – Ein Pappkamerad!)


Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf sieht
außerdem eine Änderung beim Recht auf den Familien-
nachzug vor; darüber haben wir ja seit einigen Wochen
sehr heftig diskutiert .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Seit Monaten!)


Die Einschränkung des Familiennachzugs mag hart er-
scheinen .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie ist hart! – Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sie ist hart!)


– Sie ist hart, einverstanden . – Sie ist aber notwendig, um
eine Überlastung der Aufnahmesysteme in unserem Land
zu verhindern .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Thomas Oppermann [SPD] – Katrin GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das wird ein riesiges Sicherheitsproblem! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


– Hören Sie gut zu! Der nächste Satz wird Sie vielleicht
noch mehr ärgern; aber ich halte ihn trotzdem für rich-
tig . – Wir wollen nicht, dass Eltern ihre Kinder vorschi-
cken, teilweise einer Lebensgefahr aussetzen, um an-
schließend selbst nachzukommen . Das wollen wir nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Zyniker! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Trotzdem gilt: Wenn es Härtefälle gibt, dann werden
wir sie auch weiterhin besonders berücksichtigen . Das
war ein wesentliches Ergebnis der Gespräche, die der
Kollege Maas und ich, um das Asylpaket II insgesamt auf
den Weg zu bringen, geführt haben . Das Außenministeri-
um und das Innenministerium werden im Einvernehmen
die entsprechenden Entscheidungen treffen .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Haben Sie schon mal die UN-Kinderrechtskonvention gelesen?)


Mit der dritten Botschaft richte ich mich an die
Straftäter der Silvesternacht, die Asylbewerber sind . Ih-
nen sage ich heute klipp und klar: Für Sie ist kein Platz
in Deutschland .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt keinen dauerhaften Schutz in unserem Land für
die, die hier erhebliche Straftaten oder bestimmte Strafta-
ten in Serie begehen . Ich sage Ihnen auch: Sie haben Ihre
eigenen Landsleute und Ihre wunderbaren Herkunftslän-

der in Misskredit gebracht . Sie haben dem Ansehen der
Flüchtlinge geschadet . Sie haben auch die in Deutsch-
land schon lange lebenden Zuwanderer insgesamt der
Gefahr eines Generalverdachts ausgesetzt, was wir jeden
Tag auf den Straßen erleben .


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Sie schüren den Verdacht, Herr Minister!)


Und Sie haben den Populisten, Demagogen und anderen
Scharfmachern Futter für ihre einfachen Denkmuster ge-
geben . All das haben diese Straftäter erreicht .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben Ihre Taten jetzt zum Anlass genommen,
das Ausweisungs- und Asylrecht gegenüber kriminellen
Ausländern zu verschärfen . Wir begründen ein schwer-
wiegendes Ausweisungsinteresse früher als bisher .
Wir werden auch die Anerkennung als Flüchtling, den
Flüchtlingsstatus, bei der Erreichung bestimmter Straf-
barkeitsschwellen leichter versagen als bisher . All das ist
eine deutliche Botschaft, nicht nur an die Straftäter in der
Silvesternacht, sondern das ist auch für all die Menschen
mit ausländischen Wurzeln und die vielen Flüchtlinge
wichtig, die sich hier anständig verhalten und die sich
nichts haben zu Schulden kommen lassen . Auch diese
Menschen sind mittelbar Opfer der Neujahrsnacht . Auch
ihnen gegenüber tragen wir eine Verantwortung, die wir
mit diesem Gesetzespaket jetzt übernehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, das Asylpaket II und der
vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur erleichterten
Ausweisung sind ein harter und wichtiger Schritt eines
langen Weges . Ja, es ist eine Verschärfung des Asyl-
rechts; da muss man gar nicht darum herumreden . Aber
diese Verschärfung ist nötig, und sie ist angemessen . Die-
ser Gesetzentwurf löst nicht alle Probleme – das hat auch
niemand behauptet –, aber einige wichtige .

Vor uns liegen weitere Aufgaben, vor allem die Re-
duzierung der Flüchtlingszahlen . Wir brauchen dafür
Zusammenhalt, Ausdauer und Augenmaß . Deutschland
bleibt ein Land mit Herz und ein Land mit Regeln .

Vielen Dank .


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg . Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE] erhebt sich und wartet auf die Worterteilung)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815600100

So viel Antrittsapplaus hatten Sie selten, Herr Kollege

Bartsch .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ CSU – Beifall bei der LINKEN)


Das geht auch nicht von Ihrer Redezeit ab . – Der Kollege
Bartsch hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke .

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815600200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

Kauder hat in dieser Woche nach der Regierungserklä-
rung festgestellt:

Das Jahr 2016 wird zu einem Schicksalsjahr für
Europa und damit auch zu einem Schicksalsjahr für
unser Land . Im Jahr 2016 entscheidet sich wie noch
in keinem . . . Jahr zuvor, ob die Europäische Union
in Zukunft in der Lage ist, große Herausforderungen
zu bewältigen . . .

Ich glaube, angesichts der vielen Krisen – die Euro-Kri-
se, das Erstarken nationalistischer Bewegungen und ins-
besondere die Herausforderungen durch die Flüchten-
den – hat Herr Kauder hier recht .


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wie meistens!)


Diese Herausforderungen – das ist auch völlig klar –
sind alles andere als leicht, und nicht auf alle Fragen
wissen wir hier die besten Antworten . Eine Aufgabe
sollte für uns alle aber klar sein: Keinesfalls dürfen wir
das vielfältige, ungebrochene Engagement – Herr de
Maizière hat von „Tatendrang“ gesprochen – der Tausen-
den durch Entscheidungen des Deutschen Bundestages
in irgendeiner Weise konterkarieren .


(Beifall bei der LINKEN)


Das Engagement der Ehrenamtlichen und auch der Men-
schen in Behörden müssen und sollten wir unterstützen .

In dieser Situation ist eine Politik gefordert, die sich
durch Gradlinigkeit, Entschlossenheit und Sachlichkeit
auszeichnet und nicht von Stimmungsschwankungen
oder Stammtischen bestimmt wird . Von der Erfüllung
genau dieser Anforderung ist die Bundesregierung mei-
lenweit entfernt .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In großer Hektik taumeln Sie mit Ihrer Politik durch
das Land und beschließen Sie ein Asylpaket nach dem
anderen . Heute erfolgt die erste Lesung des zweiten
Asylpakets, welches in einer Wahnsinnsgeschwindigkeit
ganz schnell vorgelegt worden ist . Das erste ist bereits
beschlossen, das dritte und das vierte werden folgen . Na-
hezu wöchentlich gibt es von der Bundesregierung neue
Ideen und Vorschläge . Chaos in der Bundesregierung!


(Volkmar Klein [CDU/CSU]: Von euch kommt nichts!)


Sie produzieren damit Zweifel und Ängste, und das ist
der Nährboden für rechtspopulistische Kräfte .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Offensichtlich ist einigen die humanistische Haltung
abhandengekommen . Ich will das einmal konkret für das
Asylpaket II darstellen: Im November haben die Vorsit-
zenden Merkel, Seehofer und Gabriel etwas beschlossen .
Dem Vizekanzler musste dann dreimal gesagt werden,
was er beschlossen hat . Danach gab es 27 verschiedene
Pirouetten . Am Ende liegt nun mehr oder weniger unver-

ändert das auf dem Tisch, was im November behandelt
worden ist, und auf einmal muss es diese wahnsinnige
Geschwindigkeit geben . Aus der SPD wurde zehnmal
Nein gerufen, und am Ende haben Sie Ja gesagt . Das ist
so nicht zu akzeptieren .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Bei all diesem Chaos gibt es dann noch die besonde-
re Partei CSU, deren Vorsitzender von „Herrschaft des
Unrechts“ spricht, Ultimaten stellt und mit dem Bundes-
verfassungsgericht droht . Das alles ist doch bundespoli-
tischer Wahnsinn!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Offenbar haben in der CSU einige nicht begriffen, dass es
ein Grundrecht auf Asyl gibt .

Frau Merkel, obwohl Sie jetzt nicht hier sind, fordere
ich Sie auf: Schicken Sie die CSU in ihr Herkunftsland
zurück!


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, wir haben genug von denen! Wir brauchen die auch nicht!)


– Toni, du musst da durch . Ich weiß, das ist hart für dich .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das lehnen wir rundweg ab! Wir machen die Grenze dicht!)


Meine Damen und Herren, für uns alle muss der Satz
gelten: „Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen
zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundli-
ches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land .“ Die-
ser Satz sollte für uns alle und immer gelten .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber mit dem Asylpaket II bewegen Sie sich davon
weit weg . Herr de Maizière, das stimmt eben nicht, dass
Sie Probleme lösen . Die wirklichen Lösungen wären
schnelle Integration und Teilhabe, rechtsstaatliche und
zügige Verfahren . Ja, tun Sie das! Aber nehmen Sie vor
allen Dingen auch eine Korrektur der Fehlentwicklungen
beim Wohnungsbau, im Bildungswesen usw . und insbe-
sondere bei der Finanzierung vor . Ihr Petitum ist: Ver-
schärfung, Verschärfung, Verschärfung . Das kann nicht
sein .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Ergebnis wird sein, dass wir unzählige Rechtsstreit-
verfahren produzieren, dass Behörden und Gerichte zu-
sätzlich belastet werden – von den Belastungen der be-
troffenen Menschen einmal ganz zu schweigen .

Ganz konkret wollen Sie handeln, indem Sie die Zu-
zugsbeschränkungen für Familienangehörige, sprich: für
Angehörige der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlin-






(A) (C)



(B) (D)


ge, verschärfen . Nach unserer Auffassung ist das rechts-
widrig . Aber vor allen Dingen ist das doch unchristlich,
und es ist auch unmoralisch .


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Sie haben von Respekt gesprochen . Was ist denn aus der
Familienpartei CDU und aus der Familienpartei CSU ge-
worden, meine Damen und Herren?


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Wenn wir von den Linken christliche Belehrungen bekommen, wird es immer spannend!)


Und wo ist der Aufschrei von der SPD geblieben?


(Dr . Eva Högl [SPD]: Den hat es ja wohl gegeben!)


Ich vermute, dass jeder hier im Haus schon mit un-
begleiteten minderjährigen Flüchtlingen gesprochen hat .
Auch ich habe das unlängst in Dargelütz, einem kleinen
Dorf in meinem Wahlkreis, gemacht . Das sind erschüt-
ternde Gespräche . Da gibt es einerseits Zufriedenheit,
dass die Menschen hier sein können, aber andererseits
eben auch ganz viele Tränen . Da frage ich mich: Was war
denn da in den Kabinettssitzungen? Offensichtlich haben
die SPD-Minister zuerst gepennt und dann doch der inhu-
manen Regelung der CDU/CSU zugestimmt . Härtefälle,
Herr de Maizière? Jedes Flüchtlingskind in Deutschland,
das auf seine Eltern wartet, ist ein humanitärer Härtefall
und nichts anderes .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Verweigerung des Flüchtlingsnachzugs bleibt grund-
gesetz- und menschenrechtswidrig .

Ein besonderer Skandal ist der Umgang mit kranken
Flüchtlingen . Das ist eine Schande und unseres Rechts-
staates unwürdig, meine Damen und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Künftig soll, ungeachtet der Gefahren für Leib und Le-
ben, abgeschoben werden, wenn ein ärztliches Attest
nicht unverzüglich vorgelegt wurde .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)


Das ist allein objektiv an vielen Stellen schlicht unmög-
lich . Aber noch schlimmer: Fachliche Gutachten und
Stellungnahmen von Psychologinnen und Psychologen
über vorliegende Traumatisierungen sollen im Gegensatz
zu ärztlichen Attests überhaupt nicht mehr berücksichtigt
werden . Ja, im Gesetz steht künftig eine Regelvermu-
tung, nämlich dass keine gesundheitsbedingten Abschie-
bungshindernisse vorliegen .

Die Verschärfungen sind ein in Paragrafen gegosse-
nes, pauschales behördliches Misstrauen, sowohl gegen
die erkrankten und traumatisierten Flüchtlinge als auch

im Übrigen gegen die behandelnden Ärzte . Hierfür gibt
es überhaupt keine Rechtfertigung .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Alle Studien zeigen, dass 40 Prozent der Asylsuchenden
Opfer traumatischer Erlebnisse wurden . Wenn wir in die
Länder schauen, zum Beispiel nach Syrien, werden die
Gründe dafür doch deutlich sichtbar .

Lassen Sie mich – obwohl ich weiß, dass das heute
hier nicht behandelt wird – noch eine Bemerkung zu den
sicheren Herkunftsstaaten machen . Es ist doch sehr be-
zeichnend, dass Sie dieses Thema jetzt hier ausklammern
und warten wollen, bis es vielleicht wieder einen grünen
Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg gibt .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ja nicht schlecht wäre!)


– Es gibt schlechtere Varianten; sagen wir es einmal so .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Beste, was dem Land passieren kann! – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätten Sie gerne jemanden von der CSU?)


Meine lieben grünen Kolleginnen und Kollegen, ich fin-
de es trotzdem inakzeptabel, so zu tun, als ob eine Alt-
fallregelung das aufwiegen könnte . Das geht überhaupt
nicht . Entweder man hat eine Haltung, oder man hat kei-
ne Haltung .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katrin GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie sich um unsere Haltung mal keine Sorgen!)


Die drei Länder, um die es geht, sind nun einmal kei-
ne sicheren Herkunftsländer . In allen dreien gibt es die
Todesstrafe . In Marokko und Algerien steht Homosexua-
lität unter Strafe . Schwule und Lesben kommen vor Ge-
richt und müssen sogar ins Gefängnis . Diskriminierung
ist in diesen Ländern Gesetz . Ich würde sogar die These
wagen, dass das verfassungswidrig sein könnte .

Meine Damen und Herren, wir brauchen ein ande-
res Agieren . Wir dürfen nicht zulassen, dass in unserem
Land die Schwachen gegen die Schwächsten ausgespielt
werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wirksame Maßnahmen zur Integration und Bekämpfung
von Fluchtursachen, das darf nicht nur eine Überschrift
bleiben . Eine soziale Offensive, mit der wir die Zukunft
in diesem Land gestalten, wäre notwendig . In diese Rich-
tung sollten Sie handeln, statt hier falsche Aktivitäten
vorzugaukeln .

Deshalb werden wir als Linke diesem Gesetzentwurf
nicht zustimmen .

Dr. Dietmar Bartsch






(A) (C)



(B) (D)


Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815600300

Das Wort erhält nun die Kollegin Eva Högl für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1815600400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Am 27 . Januar dieses Jahres hat die Schrift-
stellerin Ruth Klüger in diesem Haus eine bemerkens-
werte Rede gehalten .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Stimmt!)


Sicherlich erinnern sich viele von Ihnen, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, noch an den Schluss ihrer Rede . Mit
Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, möchte ich gerne zitie-
ren:

. . . dieses Land, das vor 80 Jahren für die schlimms-
ten Verbrechen des Jahrhunderts verantwortlich
war, hat heute den Beifall der Welt gewonnen, dank
seiner geöffneten Grenzen und der Großzügigkeit,
mit der Sie syrische und andere Flüchtlinge aufge-
nommen haben und noch aufnehmen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle hier im Land
können gemeinsam sehr stolz auf die Willkommenskul-
tur, auf die Hilfsbereitschaft und auf den gemeinsamen
Willen sein, dass wir Menschen, die ihre Heimat verlas-
sen mussten, weil sie durch Krieg bedroht sind, weil sie
vor Folter und Verfolgung fliehen, hier in unserem Land
Schutz bieten .

Das Asylrecht und auch die Genfer Flüchtlingskon-
vention sind für uns kein Blatt Papier, sondern sie sind
eine gemeinsame Verpflichtung, die wir aus Überzeu-
gung eingegangen sind . Deswegen, liebe Kolleginnen
und Kollegen, ist es richtig, dass wir unsere gemeinsamen
Anstrengungen darauf konzentrieren, die Fluchtursachen
zu bekämpfen und zu verringern und eine gemeinsame
Asylpolitik in Europa zu gestalten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir reden heute über das Asylpaket II . Aber ich möch-
te ein paar Bemerkungen zu Europa machen . Es erschüt-
tert uns alle gemeinsam, glaube ich, dass die 28 Mit-
gliedstaaten in der EU zurzeit weder den Willen noch die
Kraft haben, eine gemeinsame Asylpolitik zu gestalten
und das Thema Flüchtlinge gemeinsam anzugehen . Ich
finde, es kann doch wohl nicht sein, dass eine so reiche,
so wohlhabende und so starke Region wie Europa mit
über 500 Millionen Menschen sich so schwertut, Men-
schen Schutz zu bieten, und zwar überall in Europa: in

London, in Riga, in Prag und in Lissabon. Das finde ich
wirklich erschütternd .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Ich möchte einen weiteren Punkt erwähnen, weil er
auch für unsere Politik in Deutschland wichtig ist . Die
allgemeine Lage gefährdet gegenwärtig das, was Europa
ausmacht und was es so wertvoll macht, nämlich unsere
offenen Grenzen . Das ist das Beste und das Wertvollste,
was Europa hat . Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen
Sie uns alle gemeinsam daran arbeiten, dass wir diese
offenen Grenzen nicht aufs Spiel setzen . Das erfordert
unsere gemeinsame Energie und unsere ganze Anstren-
gung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe diese Vorbemerkungen extra deshalb ge-
macht, weil das der Rahmen ist, in dem wir heute über
das Asylpaket II diskutieren . Wir müssen hier in Deutsch-
land dafür sorgen, dass die Menschen, die zu uns kom-
men, registriert werden, dass sie ordentlich untergebracht
werden und dass sie versorgt werden . Wir müssen dafür
sorgen, dass die Verfahren zügig geführt werden;


(Beifall der Abg. Elfi Scho-Antwerpes [SPD])


denn wir wissen – das gehört zur Wahrheit dazu –: Nicht
alle können bleiben, nicht alle können Schutz bekommen .
Deswegen – das ist das A und O – müssen wir schnell da-
rüber entscheiden, ob Menschen hierbleiben können, ob
sie hier Schutz erhalten können oder ob sie unser Land
wieder verlassen müssen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die beschleunigten Verfahren sind der Kernpunkt des
Asylpakets II; denn wir wissen auch: Viele Menschen
kommen zu uns, die leider keine Bleibeperspektive ha-
ben . Sie warten zurzeit monatelang darauf, ihr Anliegen
beim BAMF überhaupt vortragen zu können . Sie warten
dann wieder monatelang auf eine Entscheidung . Dieser
lange Zeitraum liegt an der hohen Arbeitsbelastung des
BAMF, auch an dem enormen Rückstand bei den unbear-
beiteten Verfahren . Er liegt auch daran, dass das BAMF
auf diese Vielzahl von Menschen, die in kurzer Zeit zu
uns gekommen sind, nicht vorbereitet war . Deswegen
stelle ich fest: Diese Situation – ich denke, das sehen wir
alle so – ist nicht tragbar . Deshalb brauchen wir Ände-
rungen in den Verfahren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Schnelle Entscheidungen sind nicht unmenschlich .
Schnelle Entscheidungen sind richtig und wichtig .
Schnelle Entscheidungen sind nicht das Ende unserer
Willkommenskultur, sondern sie sind die Voraussetzung
für eine Willkommenskultur und die Voraussetzung für
ein Gelingen der Integration .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Dietmar Bartsch






(A) (C)



(B) (D)


Natürlich ist es für uns alle hier im Haus, wie ich den-
ke, keine einfache Entscheidung, den Familiennachzug
für subsidiär Schutzberechtigte für zwei Jahre auszuset-
zen . Darüber haben wir auch intensiv diskutiert; denn wir
alle miteinander wissen – das hat insbesondere die SPD
hervorgehoben –, dass Familie die Voraussetzung für ein
Gelingen der Integration in Deutschland ist .


(Beifall bei der SPD – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben! – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um Gottes willen! Warum macht ihr es denn dann?)


Diese Entscheidung ist uns schwergefallen . Wir setzen
den Nachzug nur für subsidiär Schutzberechtigte für
zwei Jahre aus .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur zwei Jahre!)


Wir erlauben eine Härtefallregelung .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Jedes Kind ist ein Härtefall!)


Ich denke, dass das eine maßvolle Regelung ist, die man
hier auch verabschieden kann .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr habt es nicht mal auf die Reihe gekriegt, den Gesetzentwurf richtig zu lesen, Frau Högl! Das ist doch peinlich!)


Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass wir die Rück-
führung erleichtern müssen .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist peinlich!)


Auch das gehört dazu . Diejenigen, die nicht hierbleiben
können, müssen unser Land schneller verlassen . Auch
das gehört zur Wahrheit dazu .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Deswegen schaffen wir mit dem Asylpaket II die Vo-
raussetzungen, dass diese Rückführung wirksamer und
schneller erfolgen kann . Dazu gehört auch, kriminelle
Ausländer schneller auszuweisen . Auch das ist Bestand-
teil der Vorschläge, die heute beraten werden .

Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich
noch etwas sagen, das mir sehr wichtig ist und wor-
über wir, denke ich, gemeinsam nachdenken sollten .
Wir haben in dieser Legislaturperiode viel auf den Weg
gebracht . Wir haben im Asylrecht viel geändert und im
Aufenthaltsrecht die Verfahren verbessert


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Verwässert!)


und hoffentlich optimiert. Ich finde, wir sollten jetzt alle
gemeinsam dazu übergehen, diese Veränderungen wir-
ken zu lassen .


(Beifall bei der SPD)


Sie müssen jetzt erst einmal in Kraft treten und ihre Wir-
kung entfalten . Die Verwaltung muss sich darauf einstel-
len, und ich gehe davon aus, dass sie auch die richtige

Wirkung entfalten werden . Dann sollten wir uns alle ge-
meinsam in den nächsten Beratungen voll und ganz, mit
unserer ganzen Energie nicht nur auf die Fluchtursachen
und die Asylpolitik in Europa, sondern vor allen Dingen
auch auf die Integration konzentrieren .


(Beifall bei der SPD)


Zu den nächsten Schritten, die wir gemeinsam verabre-
den, muss ein gutes Integrationskonzept gehören .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815600500

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-

lege Konstantin von Notz das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es sind zwei-
fellos ernste und herausfordernde Zeiten für unsere Ge-
sellschaft, für Europa und für unsere Demokratie . Krieg
und Not in der Welt lassen so viele Menschen flüchten
wie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr .
Von diesen Geflüchteten kommt ein Teil nach Europa
und auch zu uns nach Deutschland . Die Herausforde-
rungen sind gigantisch .

Das verlangt von uns im Deutschen Bundestag eine
seriöse, verantwortungsvolle und ernsthafte Debatte .
Das, was heute vorliegt, das sogenannte Asylpaket II,
entspricht erneut diesen Anforderungen leider nicht .
Deswegen werden wir es ablehnen, meine Damen und
Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Längst wissen wir doch, was es dringend zu tun gäbe .
Wir brauchen schnellere Asylverfahren, eine Stärkung
der Haupt- und Ehrenamtlichen und eine entschlossene
Bekämpfung der Fluchtursachen . Und vor allen Dingen
brauchen wir ein klares Bekenntnis zur Integration mit
Wort und Tat . Letzteres vermisst man heute ganz beson-
ders, meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Mit diesem überhastet erarbeiteten und sowohl parla-
mentarisch als auch mit den Verbänden vollkommen un-
genügend beratenen Entwurf kommen wir nicht weiter .
Er ist aller Voraussicht nach verfassungswidrig, geht an
den tatsächlichen Problemen vorbei und leistet Populis-
mus und Ressentiments Vorschub .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Während die Bundeskanzlerin – wie auch gerade
heute wieder – echte Lösungen sucht, ergehen Sie sich
seit Monaten in Scheindebatten um Obergrenzen, Grenz-
schließungen, Verabschiedungskultur, vermeintlich si-

Dr. Eva Högl






(A) (C)



(B) (D)


chere Herkunftsländer und, ganz neu im Programm, nati-
onale Abschiebepläne .

Der Familiennachzug nach frühestens zwei Jahren
fügt sich nahtlos ein . Dieses Vorgehen wird noch mehr
Frauen und Kinder auf die Schlauchboote treiben, meine
lieben Kolleginnen und Kollegen . Das ist Ihr Verständnis
vom Schutz der Familie . Das ist Ihr Bild, wie man der
Familie mit Achtung begegnet . Ich sage Ihnen: Es ist zy-
nisch und schäbig, dass Sie das so machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Mit einer Verschärfung der Residenzpflicht bürokrati-
sieren Sie weiter . Zusätzlich erleichtern Sie die Abschie-
bung von kranken und schwerkranken Flüchtlingen .
Dabei nehmen Sie billigend in Kauf, dass traumatisierte
Menschen, zum Beispiel Frauen, die Opfer von Verge-
waltigungen wurden, schutzlos gestellt werden . Das ist
weder human, noch ist es christlich . Ich empfehle die Ta-
geslosung vom heutigen Tag . Es ist Populismus, und es
ist hilflos sowie kontraproduktiv, und wir lehnen es aufs
Schärfste ab, meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei den weiteren Einschränkungen der Leistungen für
Asylsuchende ignorieren Sie erneut die Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts . Dabei wissen Sie – so sagt
es das Bundesverfassungsgericht –: Die Menschenwür-
de ist migrationspolitisch nicht relativierbar . Schließlich
versagen Sie beim ausreichenden Schutz für Kinder, Ju-
gendliche, Frauen und andere Personengruppen mit er-
höhtem Diskriminierungsrisiko . Der eigens von der Bun-
desregierung Beauftragte mahnt dies so verzweifelt wie
erfolglos an . Das ist ein unhaltbarer Zustand .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was ist eigentlich, liebe SPD, mit den versprochenen
Verbesserungen des letzten Pakets, gerade noch einmal
von Sigmar Gabriel öffentlich zugesagt? Wo befinden sie
sich? Nicht in diesem Paket! Klar ist doch: Menschen,
die über Jahre fliehen, alles zurücklassen und ihr Leben
vielfach riskieren, entscheiden sich bestimmt nicht, um-
zukehren, wenn sie für einen Sprachkurs, der nach Ihren
Worten, Herr Innenminister, oft gar nicht angeboten wer-
den kann, zukünftig 10 Euro mehr zahlen müssen . Das ist
naive, träumerische, realitätsferne Politik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zusätzlich legen Sie heute einen Gesetzentwurf vor –
im Ministerium bezeichnenderweise Köln-Gesetz ge-
nannt –, mit dem Sie lediglich suggerieren, dass Sie zu-
künftig mehr und schneller abschieben . Faktisch ist eine
Abschiebung oft aber gar nicht möglich, weil zum Bei-
spiel die Herkunftsstaaten nicht kooperieren und keine
Papiere ausstellen . Das wissen Sie, trauen sich aber nicht,
eine offene und ehrliche Debatte hierüber zu führen .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)


Stattdessen Abschiebepopulismus und komplettes Irr-
lichtern, leider besonders bei der CSU, Herr Mayer! Jetzt
wird es traurig: Orban und Putin, das sind nun die po-

litischen Partner bzw . Koalitionspartner der CSU . Die
eigene Bundeskanzlerin, die eigene Regierung inklusive
Ihrer CSU-Minister, das ist die Herrschaft des Unrechts .
Das ist die Welt des Horst Seehofer im Jahr 2016 . Der
unlängst verstorbene Helmut Schmidt hat gesagt: „In der
Krise beweist sich der Charakter .“ Die Flüchtlingskrise
hat diesen Effekt im Guten wie im Schlechten . Wir erle-
ben bis heute eine unfassbare Solidarität und Hilfsbereit-
schaft gegenüber den zu uns Kommenden . Aber das, was
die CSU hier seit Monaten abliefert, ist zum Schämen,
und es ist Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremisten
in diesem Land .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Statt sich weiterhin in Scheindebatten und im wahrs-
ten Sinne des Wortes in brandgefährlichem Populismus
zu ergehen, lassen Sie uns gemeinsam an tatsächlichen
Lösungen arbeiten . Herr Innenminister, wir bieten Ihnen
das wirklich an . Lassen Sie uns Integration gestalten! Wir
haben immer wieder Vorschläge gemacht . Lassen Sie uns
gemeinsam mit der Kanzlerin für Europa kämpfen, bevor
es zu spät ist . Wenn Sie dafür bereit sind, dann sind wir
an Ihrer Seite . Bis dahin sind wir es aber nicht .

Ganz herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815600600

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Strobl für die

CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Strobl (CDU):
Rede ID: ID1815600700

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Mit allen Entscheidungen und Maßnahmen, die wir in
den letzten Monaten getroffen oder ergriffen haben, ver-
folgen wir ein einziges Ziel: eine spürbare und nachhal-
tige Reduzierung des Flüchtlingszustroms . Die Gesetze,
über deren Entwürfe wir heute beraten, sind nicht der ein-
zige, wohl aber ein weiterer wichtiger Schritt auf diesem
Weg . Zur Reduzierung der Zahl gehört, dass wir beim
Flüchtlingszustrom konsequent unterscheiden zwischen
denen, die schutzbedürftig sind und hier Schutz bekom-
men sollen, und denen, die offensichtlich nicht schutz-
bedürftig sind und deswegen möglichst unverzüglich in
ihre Heimat zurückkehren müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dieser Gedanke hat uns beim ersten Asylpaket geleitet
und führt uns auch heute die Feder . Mit der Schaffung
besonderer Aufnahmeeinrichtungen, der Schaffung eines
zusätzlich beschleunigten Asylverfahrens für Migranten
aus sicheren Herkunftsstaaten und der Einführung ver-
schärfter Sanktionen bei Verstößen gegen die Residenz-
pflicht werden wir die Anreize für eine Antragstellung
von offenkundig Nichtschutzbedürftigen noch einmal
deutlich reduzieren und nunmehr auf nahe null senken .

Hinzu treten die Einschränkungen beim Familien-
nachzug für neu ankommende subsidiär Schutzberech-

Dr. Konstantin von Notz






(A) (C)



(B) (D)


tigte . Diese Einschränkungen beim Familiennachzug
sind unvermeidlich .


(Zuruf von der LINKEN: Warum? – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So ein Quatsch! – Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gegenruf des Abg . Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Sie können sich hier nicht so benehmen wie zu Hause!)


– Ich will Ihnen auf diesen Zwischenruf mit dem
„Quatsch“ einmal ein Zitat vorhalten . Ich zitiere:

‚Es ist nicht die unbedingte Voraussetzung, dass der
Familienclan aus Kabul oder Kandahar dann hierher
nachkommt‘,


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Es geht um Kinder und Frauen! Das ist geistige Brandstiftung, Herr Strobl!)


… Alle seien sich bewusst, dass Flüchtlingszahlen
begrenzt werden müssten . Dazu gebe es jedoch nur
ganz wenige Möglichkeiten .

Ich zitiere weiter:

‚Eine davon ist die Begrenzung des Familiennach-
zugs für unbegleitete Minderjährige .‘ Wenn die Po-
litik das nicht tue, müsse sie dem Volk sagen, dass
die Flüchtlingszahlen in den nächsten Monaten
nicht zurückgehen würden .


(Zurufe von der LINKEN)


Die Schlepperbanden wüssten sehr genau von den
Diskussionen in Deutschland . Sie sammelten un-
begleitete Kinder von 12 bis 18 Jahren ‚und schaf-
fen damit ein neues großes Kontingent, das zu uns
kommt‘ . Es sei eine Realität, dass Familien Kinder
losschickten in der Hoffnung, später nachkommen
zu können . So sei es auch vor 36 Jahren in Vietnam
gewesen .

Dieser „Brandstifter“ – um Ihren Zwischenruf auf-
zugreifen – ist Rupert Neudeck, der 1979 mit Unter-
stützung des Schriftstellers Heinrich Böll – vielleicht
sagt Ihnen das noch etwas – das deutsche Komitee „Ein
Schiff für Vietnam“ gegründet hat, das im Rahmen der
späteren Flüchtlingsorganisation „Cap Anamur“ allein
11 000 Flüchtlinge vor der Küste Vietnams gerettet hat .
Ich finde, Rupert Neudeck ist unverdächtig.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Und das ist kein „Quatsch“ und das ist auch kein „Brand-
stifter“, sondern das ist eine Notwendigkeit im Interesse
der Flüchtlinge, die bei uns leben .


(Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir schränken den Familiennachzug für subsidiär
Schutzberechtigte im Übrigen nicht aus Hartherzigkeit
ein, sondern aus der Einsicht in die Grenzen unserer
Möglichkeiten . Bis 2015 sind mehrere Hunderttausend
Syrer nach Deutschland geflohen, denen bereits heute

oder in Kürze das Recht auf vollen Familiennachzug zu-
steht .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Peinlich! Wir haben mehr Vertrauen in Deutschland als Sie, Herr Strobl!)


Niemand weiß, wie viele Menschen in den Anrainer-
staaten oder in Syrien selbst auf den Familiennachzug
warten und ihn geltend machen . Wir können jetzt bei
einem hohen Flüchtlingszustrom die Zahlen nicht auch
noch einmal durch Familiennachzug verdoppeln oder
verdreifachen .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist durch nichts belegt, Herr Strobl!)


Das ist der Kern: Wir brauchen eine Atempause . Wir
müssen auch einmal Luft holen können .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine schreckliche Art von Sprache! Haben Sie denn gerade ein Problem? Kriegen Sie gar keine Luft? Was ist das denn für eine Sprache bezüglich Menschen? Das ist einfach unanständig!)


– Herr Hofreiter, da Sie in Ihren Interviews die Ein-
schränkung des Familiennachzugs


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist einfach unanständig!)


als ein Integrationshindernis bezeichnen,


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Tat! Genau! – Zuruf von der LINKEN)


will ich Ihnen einmal sagen, was ein Integrationshinder-
nis ist .

Das ist eine Regelung aus dem Jahr 2004, die Sie mit
dem damaligen Zuwanderungsgesetz geschaffen haben,
eine Regelung, die heute dafür sorgt, dass nach bestehen-
der Gesetzeslage anerkannte Flüchtlinge ein unbefriste-
tes Daueraufenthaltsrecht voraussetzungslos nach dem
Ablauf von drei Jahren erhalten . Gleichviel, ob man sich
auch nur irgendwie um Integration bemüht hat, gleich-
viel, ob man sich auch nur ein bisschen bemüht hat, die
deutsche Sprache zu lernen,


(Unruhe bei der LINKEN)


gleichviel, ob man sich nur ein bisschen bemüht hat,
für seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu sorgen,
gleichviel, ob man straffällig geworden ist: Es gibt auto-
matisch nach drei Jahren ein Daueraufenthaltsrecht . Eine
solche Regelung schafft keine Integrationsanreize, sie ist
ein Integrationshindernis . Und das sollten wir aus dem
Weg räumen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815600800

Herr Kollege Strobl, lassen Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Beck zu?

Thomas Strobl (Heilbronn)







(A) (C)



(B) (D)



Thomas Strobl (CDU):
Rede ID: ID1815600900

Bitte .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815601000

Herr Strobl, grundsätzlich ist natürlich die Aufnahme

von Flüchtlingen etwas anderes als die Aufnahme von
Arbeitsmigranten . Deshalb wurde bis zum jetzigen Zeit-
punkt vom Gesetzgeber von den Flüchtlingen, weil sie
ohnehin aufgrund ihres Schutzstatus dauerhaft bleiben
können, nichts zusätzlich verlangt .

Man kann natürlich diese Frage anders sehen und
sagen: Wir verlangen von Flüchtlingen und Migranten
bei der Integration das Gleiche . Aber wenn man das tut,
müsste man auch bei der Frage des Charakters der unbe-
fristeten Aufenthaltserlaubnis rechtlich das Gleiche ver-
langen . Das unbefristete Aufenthaltsrecht eines Flücht-
lings ist nämlich durch Wegfall des Asylgrunds jederzeit
widerrufbar; das ist bei Migranten nicht der Fall .

Wollen Sie die Gleichstellung bei den Integrations-
anforderungen damit verbinden, dass Flüchtlinge in Zu-
kunft nicht mehr das Damoklesschwert über sich spüren,
selbst bei einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, dass
womöglich zum Zeitpunkt der Einbürgerung vom BAMF
die Flüchtlingseigenschaft wieder aberkannt wird? Das
wäre vielleicht ein konsistenter Vorschlag, dem man zu-
mindest etwas abgewinnen könnte .


Thomas Strobl (CDU):
Rede ID: ID1815601100

Herr Kollege Beck, es gibt möglicherweise einen

grundsätzlichen Unterschied in der Betrachtungsweise .


(Zuruf des Abg . Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Sie haben die Frage doch gestellt; jetzt müssen Sie
schon die Geduld haben, sich auch die Antwort anzuhö-
ren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für uns bedeuten Flüchtlingsschutz und die Gewäh-
rung von Asyl zunächst einmal ein Bleiberecht auf Zeit .
Wenn die Fluchtursachen beseitigt sind, wenn der Asyl-
grund wegfällt, dann ist es nach unserer Vorstellung so,
dass der Flüchtling wieder in seine Heimat zurückgeht
und beispielsweise beim Aufbau in seiner Heimat hilft .
Flüchtlingsschutz ist zunächst einmal ein Recht auf Zeit .
Deswegen ist eine Aufenthaltserlaubnis in Deutsch-
land auch befristet . Wenn wir nun dazu übergehen, dem
Flüchtling ein Daueraufenthaltsrecht zu geben, dann
muss das doch sinnvollerweise zumindest an eine Inte-
grationsbemühung geknüpft sein . Sonst macht das doch
keinen Sinn .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Jede Integrationspflicht läuft ins Leere, wenn wir das
nicht so machen . Deswegen müssen wir dieses Gesetz
zwingend ändern .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich verstehe, warum die CDU in Baden-Württemberg keinen guten Trend hat, sondern die Grünen! Sie haben einfach keine Ahnung! Das ist kein Strom! Das sind Menschen!)


Mit Blick auf die Reduzierung des Flüchtlingsstroms –
das hat auch etwas mit der Grünenfraktion zu tun –


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Menschen und keine Ströme! Das ist keine Naturkatastrophe!)


bedauere ich sehr, dass wir heute die Erweiterung der
Liste der sicheren Herkunftsstaaten nicht im Deutschen
Bundestag beraten können . Es sind ganz überwiegend
ökonomische Motive, die Migranten aus Marokko, aus
Algerien und aus Tunesien zur Stellung eines Asylan-
trags in Deutschland veranlassen .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das ist selbst bei Leuten, die aus Vorpommern nach Bayern gehen, so!)


Die Anerkennungsquoten sind verschwindend gering .
Sie betrugen im Jahr 2015 für Marokko 2,29 Prozent, für
Algerien 0,98 Prozent und für die Tunesische Republik
0,00 Prozent . Mit der raschen Einstufung dieser Staaten
als sichere Herkunftsstaaten hätten wir frühzeitig auf die
seit kurzem stark steigenden Zahlen reagieren können .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn auch immer und immer wieder anderes behaup-
tet wird, auch wenn insbesondere Sie, meine Damen und
Herren von den Grünen, es nicht wahrhaben wollen – die
Erfahrung, die wir im Zusammenhang mit den Balkan-
staaten gesammelt haben, macht eines ganz deutlich:
Eine Einstufung als sicheres Herkunftsland zeitigt un-
mittelbar Konsequenzen . Seit der Aufnahme der West-
balkan-Staaten in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten
sind die Asylbewerberzahlen aus dieser Region drastisch
zurückgegangen . Heute kommen monatlich nur noch we-
nige Hundert Menschen von dort . Anfang 2015 waren es
noch 25 000 im Monat .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben echt keine Ahnung! Sie verstehen den Unterschied noch nicht mal!)


Wir hätten den Kreis der sicheren Herkunftsstaaten,
was den Westbalkan angeht, im Übrigen besser ein Jahr
früher erweitert . Doch das im Bundesrat zustimmungs-
pflichtige Gesetz ist von Ihnen blockiert worden. Sie wa-
ren dagegen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das hatte im Übrigen eine unmittelbare Folge: Im
vergangenen Jahr kamen 150 000 Migranten aus dem
Westbalkan nach Deutschland, um hier einen Asylantrag
zu stellen . Den allergrößten Teil von ihnen werden wir
in einem komplizierten Verfahren zurückführen müs-
sen . Die Entwicklung, die wir im Zusammenhang mit
dem Westbalkan erleben, darf sich im Hinblick auf die
Maghreb-Staaten und Nordafrika nicht wiederholen . Der
Maghreb darf kein zweiter Westbalkan werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen müssen wir in dieser Frage schnell handeln .






(A) (C)



(B) (D)


Es war schon ein bemerkenswerter Vorgang – Herr In-
nenminister Jäger kann gleich etwas dazu sagen –: Das
Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz war noch nicht
beschlossen, da kündigten einige Länder bereits an, dass
sie wesentliche Teile dieses Gesetzes gar nicht umzuset-
zen gedenken: die dauerhafte Unterbringung von Asyl-
bewerbern ohne Bleibeperspektive in den Erstaufnahme-
einrichtungen, Sachleistungen statt Bargeld . „Mit uns ist
das nicht zu machen“, erklärten einige Bundesländer .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aus gutem Grund!)


Ich kann an dieser Stelle nur an die Länder appel-
lieren, alle Teile der Asylgesetzgebung konsequent und
auch streng umzusetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dies gilt insbesondere für die schärferen Regeln der Ab-
schiebung, wie sie im Asylpaket II festgelegt sind .

Alle gesetzlichen Regelungen laufen nämlich ins Lee-
re, wenn es an dem Willen fehlt, das geltende Recht an-
zuwenden und ablehnende Bescheide konsequent durch-
zusetzen . Ich weiß: Abschiebungen sind nicht einfach;
sie sind auch nicht populär . Doch erst mit der konsequen-
ten Durchsetzung negativer Bescheide können wir das
eindeutige Signal senden: Wer keines Schutzes bedarf,
der hat keine Bleibeperspektive in Deutschland und der
muss in seine Heimat zurückkehren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815601200

Die Kollegin Jelpke hat nun das Wort für die Fraktion

Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815601300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

Strobl, es ist wirklich zynisch, wenn man hier immer
wieder den Eindruck erweckt, als wenn Menschen, die
Schutz suchen, ob vor Krieg oder vor Armut, einfach
so herkommen, um hier unsere Sozialstrukturen in An-
spruch zu nehmen . Damit wird hier immer wieder Miss-
trauen geschürt .


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Die gibt es aber auch!)


Das ist einfach unerträglich .

Meine Damen und Herren, ich möchte zunächst ein-
mal sagen: Dies ist wirklich keine Sternstunde des Par-
laments . Heute wird das Asylpaket II eingebracht, und
innerhalb von wenigen Tagen, nämlich schon nächste
Woche, soll es hier verabschiedet werden . Ich halte es für
einen ausgesprochen undemokratischen Vorgang,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Dass die Mehrheit entscheidet, oder?)


dass sich die Regierung monatelang Zeit nimmt und ih-
ren Showkampf und ihre Streitereien austrägt, während

dieses Parlament überhaupt keine Zeit haben soll, demo-
kratisch und sorgfältig darüber zu beraten, was wirklich
nötig ist .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Das ist wirklich eine Frechheit in der Demokratie, dass die Mehrheit entscheidet!)


Das ist wirklich ein Skandal .

Es wird hier nur noch über Fragen diskutiert wie: Wie
können wir am schnellsten abschieben? Wie können wir
uns am besten abschotten? Wie können wir am besten
abschrecken? Genau dem entspricht der Inhalt dieses
Pakets: Das Asylrecht wird bis zum Gehtnichtmehr aus-
gehöhlt . Beispielsweise werden EU-Richtlinien einfach
zur Seite gelegt . Mitmenschlichkeit spielt hier überhaupt
keine Rolle mehr . Integrationsvorschläge gibt es von Ih-
rer Seite überhaupt nicht .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mit Lesen haben Sie es nicht so, oder?)


Das ist wirklich ein Schlag ins Gesicht all derjenigen
Menschen, die sich in diesem Land um Flüchtlinge be-
mühen .

Schauen Sie sich die vielen Stellungnahmen an – von
den Wohlfahrtsverbänden, von den Kirchen, von den
Flüchtlingsorganisationen .


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Haben Sie bei dem Zitat von Rupert Neudeck zugehört?)


Sie gehen von einer Willkommenskultur zu einer Will-
kommensunkultur über . Das machen wir nicht mit .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Beschleunigte Verfahren: Was passiert hier eigent-
lich? Ganz schnell werden weitere Staaten als sichere
Herkunftsstaaten eingestuft . Sonderlager mit 3 000 Plät-
zen und mehr werden eingerichtet .


(Thomas Oppermann [SPD]: „Sonderlager“?)


Dann werden Menschen dorthin verbracht . Innerhalb
von drei Wochen soll das Asylverfahren einschließlich
gerichtlichem Verfahren abgeschlossen sein .


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Genau!)


Diese Sonderlager, meine Damen und Herren, sind ein-
fach nur ein Grauen . Dass ein Land wie Deutschland sich
so etwas wieder leistet, kann man einfach nur zurück-
weisen;


(Beifall bei der LINKEN)


denn das individuelle Asylrecht haben auch diese Men-
schen, und das muss vernünftig geprüft werden .


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wird es auch!)


Thomas Strobl (Heilbronn)







(A) (C)



(B) (D)


Nicht weniger perfide ist beispielsweise, dass schon
ein zweimaliger Verstoß gegen die Residenzpflicht – ein
solcher Verstoß liegt vor, wenn jemand zum Beispiel
ohne Genehmigung einfach mal von Berlin nach Bran-
denburg fährt – dazu führen kann, dass ein Asylantrag für
nichtig erklärt wird .


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Bei uns gibt es Regeln, und die muss man beachten! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Dann soll er es nicht machen!)


Wo sind wir denn, dass ein Grundrecht einfach mal eben
so ausgehebelt wird, nur weil ein Mensch vielleicht
Freunde besuchen will? Das kann ja wohl nicht wahr
sein!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gleichzeitig haben Sie vor, die Standards für Abschie-
bungshindernisse zu senken, wenn es um den Gesund-
heitszustand geht . Sie gehen sogar so weit, festzulegen,
dass es demnächst kein Abschiebungshindernis mehr
sein soll, wenn Menschen von Bürgerkrieg und Flucht
traumatisiert sind . Das kann ja wohl nicht wahr sein!
Wissen Sie eigentlich, was es bedeutet, wenn das Ge-
setz fordert, innerhalb von zwei Wochen ein fachärztli-
ches Gutachten beizubringen? Wie soll jemand, der der
deutschen Sprache nicht mächtig ist, in zwei Wochen ein
solches Fachgutachten beibringen? Auch der Psycholo-
genverband kritisiert es ganz scharf, dass im Grunde ge-
nommen Menschen, die schwer krank sind, in Zukunft
einfach abgeschoben werden sollen . Diese Regelung ist
ein Skandal .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was den Familiennachzug angeht: Sie haben immer
wieder versprochen, legale Wege zu schaffen, auf denen
Menschen hierherkommen können, nach Europa, nach
Deutschland kommen können . Und was machen Sie? Sie
betreiben hier wieder das Geschäft der Schleuser, indem
Sie die Menschen genau zu diesen Schleusern treiben,
weil die Menschen sonst überhaupt keine Möglichkeit
haben, hierherzukommen . Wir sehen tagtäglich, wie
Frauen und Kinder im Mittelmeer ertrinken . Auch hier
muss man wirklich fragen: Was ist das eigentlich für ein
Zynismus?

Sie haben ein Gesetz zum Beispiel mit den Kölner Er-
eignissen begründet .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815601400

Frau Kollegin .


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815601500

Zu Recht werden die Kölner Ereignisse kritisiert . Und

was machen Sie jetzt? Den Schutz von Frauen und Kin-
dern finden wir in diesem Gesetzentwurf heute nicht wie-
der, obwohl das versprochen wurde, sowohl von der SPD
als auch von der Union .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, es ist hier schon gesagt
worden: Jedes Kind, das aus einem Land flüchtet, ist ein
Härtefall . Was haben Sie eigentlich für eine Vorstellung
von der Situation, wenn Eltern ihre Kinder losschicken?
In Afghanistan zum Beispiel ist es so, dass die Warlords
und andere Kriegstreiber Jugendliche einkassieren und
ausbilden, um sie für den Krieg fit zu machen. Es kann
ja wohl nicht sein, dass wir so etwas mittragen bzw . dass
hier die UN-Kinderrechts-konvention einfach außer
Kraft gesetzt wird!


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815601600

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen .


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815601700

Ich komme zum letzten Satz .

Das Asylpaket ist ein Paket von Grausamkeiten . Wir
werden es auf gar keinen Fall mittragen, und wir werden
den Widerstand in der Bevölkerung unterstützen .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815601800

Nächster Redner ist der Bundesminister der Justiz,

Heiko Maas .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Ich sitze regelmäßig mit dem Kollegen de Maizière
in Brüssel im JI-Rat . Dort vertreten wir die Flüchtlings-
politik der deutschen Bundesregierung . Ich würde Ihnen
wünschen, dass Sie sich einmal das anhören müssen, was
wir uns dort anhören müssen .


(Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Nächste Legislaturperiode!)


Sie sagen hier zur Flüchtlingspolitik der Bundesre-
gierung: schäbig, inhuman, unchristlich, Skandal, Zy-
nismus, Grausamkeiten . Schauen Sie sich mal in Europa
um! Es gibt kein anderes Land, das seiner humanitären
Verpflichtung gegenwärtig so gerecht wird wie Deutsch-
land .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die beiden Gesetzentwürfe, die heute vorliegen, ha-
ben ein gemeinsames großes Ziel:


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Familien spalten, das ist das Ziel!)


Sie stärken die Handlungsfähigkeit des Staates . Das ist,
finde ich, ein ganz grundlegendes Problem geworden.
Wenn in Deutschland zu viele Menschen den Eindruck
gewonnen haben, dass der Staat die Kontrolle über die
Flüchtlingspolitik verloren hat, wenn zu viele Menschen
den Eindruck gewonnen haben, dass nach den Ereig-

Ulla Jelpke






(A) (C)



(B) (D)


nissen in Köln der Staat nicht mehr handlungsfähig ist,
weil er seine Gesetze dort nicht durchgesetzt hat, dann
geht es hier nicht mehr um eine Angelegenheit zwischen
Regierung und Opposition . Glauben Sie im Ernst, dass
die Bürgerinnen und Bürger zwischen Ihnen und uns un-
terscheiden? Jede der hier vertretenen Parteien ist in der
Verantwortung, entweder irgendwo in den Ländern oder
hier .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb ist es ja so peinlich!)


Es geht um die Handlungsfähigkeit des Staates .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich will nicht dafür in Haftung genommen werden, dass Sie Familien spalten!)


Wenn Menschen den Glauben daran verloren haben,
dann ist es ihnen egal, welche Antworten sie von uns
oder von Ihnen bekommen .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür lasse ich mich nicht in Haftung nehmen!)


Deshalb müssen wir mit dem, was wir hier vorlegen, vor
allen Dingen eins dokumentieren: Der Staat ist hand-
lungsfähig, und er ist in der Lage, auf Herausforderungen
zu reagieren . Genau das tun wir .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir stellen sicher, dass unsere Behörden die Aufnah-
me der geflüchteten Menschen besser bewältigen kön-
nen, als das bisher der Fall gewesen ist . Mit Blick auf die
Silvestervorfälle in Köln senden wir auch eine klare Bot-
schaft aus, und zwar an alle – egal ob mit oder ohne Pass;
egal was für einen Pass sie haben –: Wer vor Verfolgung,
Krieg und Terror flieht, der findet bei uns Schutz. Aber
wer hierherkommt und dabei diesen Schutz ausnutzt, um
schwere Straftaten zu begehen, für den ist bei uns kein
Platz . Wir sind hilfsbereit, aber nicht blind .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Was die Veränderungen im Ausweisungsrecht angeht,
sage ich: Ja, sie sind eine Reaktion auf die Ereignisse in
Köln . Für sexuelle Übergriffe auf Frauen gibt es keine
Rechtfertigung und auch keine Entschuldigung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sage aber auch: Ein besserer Schutz für Frauen vor
sexueller Gewalt ist bitter nötig . Das hat mit Köln über-
haupt nichts zu tun .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn der Gesetzentwurf dazu?)


Dieses Bedürfnis gibt es nicht erst seit den Ereignissen
in Köln .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist der Gesetzentwurf dazu, Herr Maas?)


Das, was wir im Ausweisungsrecht verändert haben,
ist:


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sexualstrafrecht!)


Wer schwere Straftaten begeht, wer vorsätzlich Strafta-
ten gegen Leib und Leben, die körperliche Unversehrt-
heit, die sexuelle Selbstbestimmung oder gegen Ord-
nungskräfte begeht, wer als Serientäter Eigentumsdelikte
begeht, wird in Zukunft leichter ausgewiesen werden
können, und das ist auch richtig .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben die Voraussetzungen dafür herabgesetzt: In
Zukunft kann bei der Abwägung der Frage – es ist nicht
die Entscheidung –, ob eine Ausweisungsverfügung er-
geht, bereits die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe
auch auf Bewährung als ein schweres Ausweisungsin-
teresse zu einer Ausweisungsverfügung führen . Ich sage
das nicht nur mit Blick auf die Straftaten, für die wir das
qualifiziert haben, sondern auch mit Blick darauf, dass
in Deutschland niemand wegen Bagatelldelikten zu einer
Freiheitsstrafe verurteilt wird . Deshalb ist es auch ge-
rechtfertigt, daran anzuknüpfen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr von Notz, ja, die Ausweisungsverfügung hat noch
nichts mit der Abschiebung zu tun . Aber es ist nicht so,
dass wir die Probleme, die es dort gibt, einfach bestehen
lassen . Wir reden mit den Staaten, die nicht bereit sind,
ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen, weil sie ihre
Papiere weggeworfen haben . Wir wollen Laissez-pas-
ser-Abkommen, wie wir sie mit anderen Staaten, etwa
auf dem Balkan, geschlossen haben, auch mit nordafri-
kanischen Staaten schließen . Natürlich muss eine Aus-
weisungsverfügung auch umgesetzt werden . Wir arbei-
ten daran genauso intensiv wie an diesem Gesetzentwurf,
weil wir nicht nur Verfügungen erlassen wollen, sondern
weil wir die Verfügungen auch durchsetzen wollen . Das
gehört dazu .

Meine Damen und Herren, die vorgeschlagenen Än-
derungen sind, wie ich finde, nicht nur verhältnismäßig,
sondern sie sind richtig, notwendig und maßvoll . Aber
ich sage auch: Das Gleiche kann ich nicht von allen
Wortmeldungen behaupten, die es in jüngster Zeit zu die-
sem Thema gegeben hat .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815601900

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfra-

ge der Kollegin Keul?

Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:

Gerne .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815602000

Vielen Dank für die Zulassung der Zwischenfrage . –

Herr Maas, Sie haben uns gerade erklärt, wie sinnvoll
und notwendig die Änderungen im Ausweisungsrecht

Bundesminister Heiko Maas






(A) (C)



(B) (D)


sind . Wir hatten ja eine Rechtsänderung gehabt, die ge-
rade erst, zum 1 . Januar 2016, in Kraft getreten ist und
bereits ganz deutlich die Ausweisungsmöglichkeiten bei
Straftaten erhöht hat . Nur wenige Tage nach dem Inkraft-
treten dieser Norm ändern wir diese Norm noch einmal .
Ich frage Sie daher: Haben Sie Erkenntnisse darüber,
dass die Rechtslage, wie sie ab dem 1 . Januar 2016 in
Deutschland gilt, in irgendeiner Weise zur Anwendung
gekommen wäre und sich gezeigt hätte, dass es dort De-
fizite gibt? Die Änderung eines Gesetzes wenige Tage
nach seinem Inkrafttreten scheint mir doch nicht wirklich
die Handlungsfähigkeit des Staates zu belegen, sondern
das scheint mir vielmehr die Simulation von Handlungs-
fähigkeit zu sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:

Doch, ich finde schon. Und ich mache auch gar keinen
Hehl daraus, dass diese Gesetzesänderung eine Reaktion
auf die Ereignisse in Köln gewesen ist . Es gibt Situatio-
nen, in denen der Staat – auch aus übergeordneten Moti-
ven heraus – in der Lage sein muss, schnell zu reagieren
und Gesetze, die noch nicht lange in Kraft sind, noch ein-
mal zu verändern .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben das getan . Ich bitte, das nicht auf die leichte
Schulter zu nehmen, weil wir nach diesen Ereignissen
eine schwierige Debatte, eine sehr emotionale Debatte in
Deutschland geführt haben . Es wurde von uns getan, weil
ich es für richtig halte, dass ein großes Ausweisungsinte-
resse schon vorliegen kann, wenn in Deutschland jemand
zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird .

Im Übrigen sage ich auch das: Wir wollen damit nicht
nur mögliche Opfer – sie hat es in Köln gegeben – bes-
ser vor Straftätern schützen, sondern wir wollen auch die
Hunderttausende von Flüchtlingen, die in diesem Land
angekommen sind und hier unbescholten leben, davor
schützen, dass sie mit solchen Kriminellen in einen Topf
geworfen werden . Deshalb mussten wir schnell reagie-
ren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815602100

Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfra-

ge der Kollegin Haßelmann?

Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:

Nein, ich würde jetzt erst gerne selbst noch ein biss-
chen erzählen .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal was zum Sexualstrafrecht, Herr Maas! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Ja, ich komme auch schon zum Schluss . Über das Se-
xualstrafrecht werden wir hier, glaube ich, bei anderer
Gelegenheit noch einmal reden können . Darauf bin ich
schon sehr gespannt .

Meine Damen und Herren, ich will noch Folgendes
sagen: Über den richtigen Weg in der Flüchtlingspolitik
können wir alle lebhaft streiten . Auch das gehört zur De-
mokratie .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!)


Ich finde es, ehrlich gesagt, gar nicht so schlecht, dass in
Deutschland wieder über Werte und nicht nur über Wohl-
stand und Wohlfahrt – das war in der letzten Zeit immer
so – diskutiert wird .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Natürlich: Diese Diskussion kann und soll auch lei-
denschaftlich geführt werden . Wenn man über Werte
und Überzeugungen redet, dann geht das nur mit Lei-
denschaft . Aber der Tonfall, mit dem das in der letzten
Zeit teilweise geschehen ist, bereitet mir auch als Justiz-
minister Sorgen . Wenn es um die Flüchtlingspolitik der
Bundesregierung geht, dann greifen manche Kritiker zu
einer Rhetorik, die jedes Maß verloren hat . „Notstand“,
„Rechtsbruch des Staates“, „Herrschaft des Unrechts“:
Diese Parolen sind nicht nur juristisch hanebüchen, sie
sind politisch brandgefährlich .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In der Flüchtlingspolitik wird zu Recht Realismus
eingefordert . Zu diesem Realismus gehört für mich aber
auch, dass man eben nicht in hysterische Krisenrhetorik
verfällt . Solche Dinge, die dabei in den Raum gestellt
werden, lösen kein einziges Problem, sie schüren dage-
gen viele, viele Ängste . Vor allen Dingen: Wer mit sol-
chen Worten die Legalität des Staates permanent infra-
ge stellt, der stärkt Recht und Gesetz nicht, sondern er
schwächt sie .


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, auch da haben wir als poli-
tisch Verantwortliche eine besondere Verantwortung für
das, was wir in der Diskussion in Deutschland – die ich
für notwendig halte – sagen . Ich halte es für gut, dass in
Deutschland wieder über Werte diskutiert wird und nicht
nur über Wachstumsprognosen . Aber wir alle, die wir uns
an dieser Debatte beteiligen, haben auch eine besondere
Verantwortung, mit den Worten, mit denen wir uns be-
teiligen, nicht dafür zu sorgen, dass die Spaltung größer
wird, sondern dafür zu sorgen, dass das, was in diesem
Land zurzeit geschieht, dazu führt, dass Menschen fried-
lich und gut zusammenleben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815602200

Nächste Rednerin ist die Kollegin Luise Amtsberg für

Bündnis 90/Die Grünen .

Katja Keul






(A) (C)



(B) (D)



Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815602300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Zu den zwin-
gend erforderlichen Reformen im Sexualstrafrecht haben
Sie jetzt leider nichts gesagt . Insofern fällt es mir nach
wie vor schwer, zu glauben, dass im Fokus dieser ganzen
Initiativen tatsächlich der Schutz von Frauen vor sexuel-
ler Gewalt steht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber kommen wir zu dem vorliegenden Entwurf . Ein
Gesetzentwurf, der den Wert der Familie infrage stellt,
der die Rechte und den Schutz von Kindern hintanstellt,
der Integration wissentlich auf Jahre behindert, der die
Betroffenen über ihre Zukunft in Deutschland verunsi-
chert – auf einen solchen Gesetzentwurf kennt meine
Fraktion nur eine Antwort, und die ist Nein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nein, weil Humanität eben nicht für ein paar Monate
oder zwei Jahre mal pausieren kann, nur weil es innen-
politisch etwas unbequemer wird, nein, weil es nicht sein
darf, dass Grundrechte gerade dann, wenn sie gebraucht
werden, wenn sie sich beweisen müssen, preisgegeben
werden .

Das Recht auf Familienleben ist nicht nur im Grund-
gesetz, sondern auch in der Europäischen Menschen-
rechtskonvention und zahlreichen weiteren Vereinbarun-
gen, wie zum Beispiel der UN-Kinderrechtskonvention,
verbrieft . Und trotzdem: Mit Ihrem Gesetz verweigern
Sie Menschen, die aufgrund von Lebensgefahr, von dro-
hender Folter, Todesstrafe oder infolge von Bürgerkrie-
gen nicht in ihre Heimat zurückkehren können, das Zu-
sammenleben mit ihren Familien .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion
findet, dass das Recht darauf, mit seiner Familie zusam-
menzuleben, ausnahmslos für alle Menschen gilt, auch
für Flüchtlinge, allem voran für Kinder .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Denn Kinder – darüber wurde hier wenig gesagt – sind
die Hauptopfer von Krieg . Sie sind besonders verletzlich,
sie brauchen besonderen Schutz, in bewaffneten Konflik-
ten, aber auch auf der Flucht . Sie brauchen besonderen
Schutz und unsere ungeteilte Aufmerksamkeit, auch hier
in Deutschland .

Kinder haben Kriege nicht zu verantworten . Deshalb
ist Ihr Plan, gerade bei Kindern, die alleine nach Deutsch-
land gekommen sind, den Nachzug der Verwandten ein-
zuschränken bzw . nicht zu erlauben, nichts anderes als
gemein und verantwortungslos .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Auf Ihrem Weg, die Zahl der Flüchtlinge in Deutsch-
land zu reduzieren, setzen Sie bei den Schwächsten an,

ohne Wenn und Aber . Das kann einen eigentlich nur
sprachlos machen; denn wir wissen, dass die Folge ist,
dass insbesondere Frauen und Kinder – die Abgeordne-
ten, die derzeit vor Ort sind, werden das bestätigen kön-
nen – auf die Boote über das Mittelmeer gehen . Das ist
auch logisch .

Ich finde es wirklich bigott, wenn man sich am Anfang
der Debatte hinstellt und sagt: „Hier kommen nur junge
Männer nach Deutschland . Was ist denn eigentlich los?“,
und später, wenn sich sozusagen der Wind dreht und vie-
le Kinder kommen, auf einmal sagt: „Die Eltern in den
Kriegs- und Krisengebieten, die ihre Kinder losschick-
ten, sind verantwortungslos“, vor allen Dingen, wenn
man weiß – Frau Jelpke hat darauf hingewiesen –, dass
es manchmal der einzige Weg ist, sein Kind zu schützen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es ist falsch, Frau Högl, zu sagen, dass es nur zwei
Jahre sind. Für geflüchtete Erwachsene bedeutet der aus-
gesetzte Familiennachzug, dass sie im schlimmsten Fall
bis zu fünf Jahre von ihren Familien getrennt werden,
was nach meiner Auffassung einer dauerhaften Trennung
gleichkommt . Das Asylverfahren dauert ab Stellung des
Asylgesuchs meist mehr als zwölf Monate . Zwei Jahre
beträgt die Wartefrist für Familienangehörige . Zudem
müssen die Nachzugsberechtigten häufig länger als ein
Jahr auf einen Termin bei der jeweiligen deutschen Bot-
schaft warten . Das macht am Ende vier bis fünf Jahre,
und deshalb müssen wir hier von einer dauerhaften Tren-
nung von Familien sprechen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht noch mal zu den Zahlen . Ich habe dazu ja
eine Kleine Anfrage gestellt, Herr Strobl . Deshalb weiß
ich: Das Szenario, das Sie hier zeichnen, dass Millionen
von Familien nachkommen, ist einfach falsch .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bedauerlicherweise ist es so, dass lediglich gut
18 000 Menschen im vergangenen Jahr von diesem Recht
Gebrauch machen konnten . Es ist doch nicht so, dass wir
überrannt werden von einer Situation, mit der wir nicht
umgehen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: 500 000 Syrer haben das Recht auf sofortigen Familiennachzug!)


Integration ist ein Familienprojekt . Wer keine Hoff-
nung hat, seine Kinder und Partner zügig in Sicherheit
zu bringen, der wird sich in Deutschland nicht integrie-
ren, der wird nicht glücklich, der wird hier auch nicht
wirklich ankommen können . Von daher sind Einschrän-
kungen beim Familiennachzug nicht nur menschenrecht-
lich verantwortungslos, sondern auch mit Blick auf die
Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt
verantwortungslos und kurzsichtig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Das gilt im Übrigen auch für eine weitere Regelung
in Ihrem Gesetzentwurf: Sie möchten künftig pauschal
von allen Flüchtlingen Geld einbehalten, um Sprachkur-
se zu finanzieren – wohlgemerkt von allen, sogar von
denen, die überhaupt gar kein Anrecht auf Sprachkurse
haben . Das heißt, obwohl das Bundesverfassungsgericht
unmissverständlich klargemacht hat, dass die Menschen-
würde migrationspolitisch nicht zu relativieren ist, ver-
langen Sie künftig sogar Geld für etwas, was gar nicht
allen zusteht . Dazu möchte ich sagen: Die Unterschei-
dung bezieht sich eben nicht auf „schutzberechtigt“ und
„nicht schutzberechtigt“, sondern auf die Schutzquote .
Das zeigt sich ganz wunderbar bei den Sprachkursen,
auf die nur Syrer, Iraner, Iraker und Eritreer ein Anrecht
haben, zum Beispiel Afghanen aber nicht . Herr Strobl,
Sie können mir sicherlich beispringen, wenn ich sage,
dass ein großer Teil dieser Menschen durchaus schutz-
berechtigt ist, hier für immer bleiben wird, also hier eine
Zukunft haben muss und deswegen an den Sprachkursen
partizipieren muss .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Lassen Sie mich zum Schluss – weil das in der De-
batte traurigerweise umgeht – die verschärfte Regelung
für jene Flüchtlinge ansprechen, die aufgrund einer Er-
krankung aus humanitären Gründen eigentlich nicht zu-
rückgeschickt werden können . Man beruft sich dabei auf
innerstaatliche bzw . inländische Gesundheitsalternativen
und darauf, dass Behandlungen von schweren Krank-
heiten grundsätzlich in dem betreffenden Land möglich
sind . Fragen, ob kranke Menschen die Gesundheitsver-
sorgung vor Ort überhaupt erreichen können, ob sie ge-
nügend Mittel zur Verfügung haben, wenn sie zurückge-
schickt werden, ob es überhaupt die Möglichkeit gibt,
sich innerhalb des Landes ohne Gefahr zu bewegen, um
die Gesundheitsversorgung in Anspruch zu nehmen, ha-
ben überhaupt keinen Platz . Genauso befremdlich ist es,
dass es in Ihrem vorliegenden Gesetzentwurf heißt, dass
posttraumatische Belastungsstörungen keine schwerwie-
genden Erkrankungen darstellen, wenn sie medikamen-
tös behandelt werden können . Ich weiß nicht, wie viele
Ärzte und Therapeuten heute im Parlament anwesend
sind: Ich habe mir sagen lassen, dass das mit der Realität
sehr wenig zu tun hat .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Kurzum: Auch diese geplante Regelung wird zu einer
Ausweitung der Abschiebungen von kranken Menschen
führen . Das kritisieren wir aufs Schärfste . Ich würde mir
wirklich wünschen, Herr Strobl, dass Sie an dieser Stelle
vielleicht auch ein paar Menschenrechtler zitieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sie haben wenigstens zugehört, im Gegensatz zu anderen!)


Man kann sich das nicht immer aussuchen, und es geht
nicht, dass man nur zitiert, wenn es gerade passt, an an-
derer Stelle jedoch gar nicht hinhört bzw . Verfahren im

Parlament durchführt, in denen wir nur eine Woche Zeit
haben, um uns mit Experten auszutauschen .


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Zwei Wochen!)


Ich komme zum Schluss . Neue Gesetze, die nicht ein-
mal einen Tag die Luft der Inkraftsetzung atmen, bevor
sie durch ein neues ersetzt werden sollen, durchnumme-
rierte Sammelpakete, die in Eilverfahren durch die par-
lamentarischen Beratungen gejagt werden, das kategori-
sche Ignorieren der Bedenken aus der Zivilgesellschaft
und der Experten und auch das notorische Abwehren von
Vorschlägen, die wir durchaus vorgelegt haben – all das
wird Sie nicht zu Ihrem Ziel bringen,


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wir haben ja noch die Ausschussberatungen!)


dass Asylverfahren beschleunigt werden, dass geordnete
Verfahren stattfinden und dass wir wissen – das ist ja Ihr
Hauptanliegen –, wer sich hier in unserem Land befindet.
All das wird dazu nicht beitragen . Ihr Vorhaben ist ein-
seitig und gegen die Rechte von Schutzsuchenden . Das
lehnen wir entschieden ab .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815602400

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Stephan

Mayer .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Burkhard Lischka [SPD])



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1815602500

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin-

nen! Sehr geehrte Kollegen! Ich bin der festen Überzeu-
gung, dass unser Land derzeit vor einer der größten He-
rausforderungen seit Bestehen der Bundesrepublik steht .
Es geht aus meiner Sicht so stark wie schon lange nicht
mehr darum,


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um die „Herrschaft des Unrechts“!)


dass wir alle an den Stellen, an denen wir Verantwortung
tragen, dazu beitragen, dass der innere Zusammenhalt
unseres Landes nicht verloren geht . Ich sehe die große
Gefahr einer zunehmenden Polarisierung unserer Gesell-
schaft, einer Stärkung der Zentrifugalkräfte und eines
Auseinanderdiffundierens unserer Gesellschaft .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie sie teilen mit der „Herrschaft des Unrechts“!)


Das kann nicht in unserem Interesse sein . Das kann nicht
im Interesse der hier vertretenen Parteien sein .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ins-
besondere Herr Kollege Bartsch und Herr Kollege von
Notz, Sie können die CSU verunglimpfen, Sie können

Luise Amtsberg






(A) (C)



(B) (D)


die CSU und den bayerischen Ministerpräsidenten be-
schimpfen .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Nicht verunglimpfen, beschreiben! – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ver unglimpfen? Das war Herr Seehofer!)


Ich sehe das sehr gelassen – das sage ich Ihnen ganz
ehrlich –; denn das hilft uns in Bayern . Je mehr Sie uns
beschimpfen, desto mehr profitiert die CSU in Bayern
davon . Aber ich sage auch – und das meine ich ganz
ernsthaft –: Wenn Sie dazu auffordern, nicht die Proble-
me zu benennen,


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn das gesagt?)


die sich in unserem Land stellen, wenn Sie dazu auffor-
dern, die Ängste und Bedenken unserer Bevölkerung zu
ignorieren,


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das macht doch keiner!)


dann machen Sie genau das Gegenteil dessen, was wir
eigentlich wollen . Sie leiten Wasser auf die Mühlen der
Rechtspopulisten,


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Herrschaft des Unrechts“!)


und Sie tragen mit dazu bei, dass sich unsere Bevölke-
rung weiter von der Politik abgrenzt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die „Herrschaft des Unrechts“ in Bayern!)


Herr Bartsch, Sie fordern dazu auf, dass die CSU wie-
der in ihr Herkunftsland zurückkehren soll .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Genau!)


Ich bin der festen Überzeugung: Deutschland fährt gut
damit, dass Bayern ein fester Bestandteil Deutschlands
ist . Das meine ich ernst . Seit der Wiedervereinigung sind
über 2 Millionen Bundesbürger nach Bayern gezogen .
Also, so schlecht können die Bedingungen in Bayern
nicht sein. Bayern zahlt über die Hälfte des Länderfinanz-
ausgleiches .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Herr Bartsch, was Sie mehr besorgen sollte – das mei-
ne ich auch ernst – als die CSU, ist, dass offenbar ein
Fraktionskollege von Ihnen einen ehemaligen RAF-Ter-
roristen als Angestellten beschäftigen will, der wegen
neunfachen Mordes und elffachen Mordversuches verur-
teilt wurde .


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Oh!)


Das ist schäbig . Das ist schändlich . Herr Bartsch, küm-
mern Sie sich um diese Angelegenheit und nicht um die
Befindlichkeiten der CSU!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von
der Opposition, ich sage Ihnen ganz klar: Es wird Ih-
nen nicht gelingen – so sehr Sie hier auch über die CSU

und über die Haltung der bayerischen Staatsregierung
schwadronieren –,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir schwadronieren nicht! Wir setzen uns mit dem Dreck auseinander, den Sie verbreiten!)


die CDU und die CSU auseinanderzudividieren . CDU
und CSU sind die Taktgeber, wenn es darum geht, die
Asylgesetzgebung sachgerecht und angemessen voran-
zubringen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815602600

Herr Kollege Mayer, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Dr . von Notz?


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1815602700

Sehr gerne . Selbstverständlich .


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Na ja, „sehr gerne“ nicht gerade!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Mayer, vielen Dank, dass Sie die Zwi-
schenfrage zulassen . – Weil Sie mich direkt angespro-
chen haben, will ich Sie etwas fragen . Man kann die Lin-
ke ja immer kritisieren, für Praktikanten und so;


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Mitarbeiter!)


aber in Zeiten, in denen Ihr Ministerpräsident zu Wladi-
mir Putin reist und mit ihm auf enge Kooperation macht,
sollte man sich zurückhalten .


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen erwarte ich von Ihnen als innenpolitischer
Sprecher von der CSU eine Interpretation, ein klares Sta-
tement, wie denn bitte die Aussage von Herrn Seehofer –
„Herrschaft des Unrechts“ – zu interpretieren ist . Legen
Sie mir das einmal aus, damit ich das verstehe!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1815602800

Vielen Dank, sehr geehrter Herr Kollege von Notz . –

Um auf Ihre erste Einlassung einzugehen: Ich sehe das
beileibe nicht so lapidar . Wenn ein ehemaliger RAF-Ter-
rorist, der sich des neunfachen Mordes schuldig gemacht
hat, von einem Kollegen in diesem Haus als Angestellter
beschäftigt werden soll,


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Wird!)


dann ist das aus meiner Sicht ein Skandal . Sonst zitieren
Sie ja doch immer so gerne Skandale .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)


Jetzt zu Ihren beiden konkreten Fragen .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Putin!)


Der russische Präsident Putin ist mit Sicherheit kein ein-
facher Verhandlungspartner .


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katrin GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Ich sage auch ganz offen: Er hat zutiefst völkerrechts-
widrig gehandelt, als die Krim annektiert wurde . Aber
eines gehört aus meiner Sicht auch mit zur Wahrheit: Wir
haben derzeit derart viele globale Konfliktherde,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und da brauchen wir Herrn Seehofer, der hier von einem Unrechtsstaat redet, oder was?)


und wir werden die Russen bei der Lösung dieser Kon-
flikte brauchen, ob wir wollen oder nicht.


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie klingen wie Sahra Wagenknecht! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind wir ein Unrechtsstaat? Ja oder nein?)


Man muss mit den Russen und auch mit dem russischen
Präsidenten sprechen, wenn es darum geht, die Situation
im Mittleren und im Nahen Osten in den Griff zu be-
kommen . Auch wenn es darum geht, den Ukraine-Russ-
land-Konflikt zu lösen, muss man den Gesprächsfaden
mit den Russen wieder aufnehmen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht Herr Seehofer?)


Herr Kollege von Notz, ich glaube nicht, dass in der
Weltgemeinschaft und zwischen den Staats- und Regie-
rungschefs momentan zu viel gesprochen wird, sondern
ich glaube, dass zu wenig gesprochen wird, um das klar
zu sagen .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind wir ein Unrechtsstaat oder nicht?)


Der bayerische Ministerpräsident hat die Punkte, die es
anzusprechen gilt, bei seinem Besuch in Moskau sehr
wohl kritisch angesprochen .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind wir ein Unrechtsstaat? Ja oder nein?)


Aber eines muss klar sein: Man muss miteinander reden .
Nur wenn wir miteinander reden, kommen wir bei der
Lösung dieser Konflikte weiter.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit dem Unrechtsstaat?)


Zu Ihrer zweiten Frage, Herr Kollege von Notz, zum
Thema „Herrschaft des Unrechts“ .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, sehr gut!)


Es ist nun einmal so – das ist auch die abgestimmte
Rechtsposition der Bundesregierung –, dass die Vorgän-
ge an den deutschen Außengrenzen, insbesondere an der
bayerisch-österreichischen Grenze, derzeit so sind, dass
Zurückweisungen rechtlich möglich wären .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so, Bayern ist ein Unrechtsstaat! Jetzt verstehe ich das!)


Es ist eine politische Frage, ob man zu dieser Maßnahme
greift .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz dünnes Eis!)


Ich würde nicht zuallererst zu dieser Maßnahme greifen;
aber der Hinweis darauf, dass diese größtenteils unkon-
trollierte und unregistrierte Zuwanderung, insbesondere
Ende letzten Jahres,


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz dünnes Eis, Herr Mayer!)


nicht im Einklang mit deutschem Recht war, ist aus mei-
ner Sicht vollkommen richtig und legitim .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
CDU und CSU sind gemeinsam Taktgeber, wenn es da-
rum geht, diese große Herausforderung in den Griff zu
bekommen . Vieles von dem, was jetzt im Rahmen des
Asylpakets II ansteht, hätten wir gerne – auch das sage
ich hier ganz offen – schon weitaus früher verabschiedet .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nun hat es etwas länger gedauert; aber was lange währt,
wird endlich gut .

Wir verfolgen ganz deutlich drei Ziele:

Zum einen geht es darum, falsche Anreize zu reduzie-
ren – mit Blick auf diejenigen, die kein Recht haben, in
Deutschland Asyl zu bekommen oder als Flüchtling an-
erkannt zu werden . Wir haben dazu – dies ist auch einmal
klar zu sagen – im letzten Jahr weitreichende Maßnah-
men ergriffen . Ich bin der festen Überzeugung, wir soll-
ten alle stärker über das reden, was wir im vergangenen
Jahr an gesetzlichen Maßnahmen verabschiedet haben,
zum Beispiel darüber, dass der gesamte Westbalkan jetzt
eine sichere Herkunftsregion ist, was dazu geführt hat,
dass kaum mehr ein Bewerber aus den sechs Ländern des
westlichen Balkans kommt; dass wir wieder zum Sach-
leistungsprinzip zurückgekehrt sind – das Sachleistungs-
prinzip hat Vorrang vor dem Geldleistungsprinzip –; dass
es die Möglichkeit gibt, Sozialleistungen für diejenigen
zu reduzieren, die ausreisepflichtig sind, unser Land aber
nicht verlassen . Das meine ich mit Reduzierung falscher
Anreize . Das ist ein elementares Ziel .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)


Des Weiteren geht es darum, die Verfahren zu be-
schleunigen . Auch hier haben wir durchaus sehr weit-
reichende und auch sehr zielgerichtete Maßnahmen
vorangebracht . Wir haben im letzten Monat das Daten-
austauschverbesserungsgesetz verabschiedet . Das führt
dazu, dass jetzt eine lückenlose Registrierung ermöglicht
wird – unmittelbar nach dem Eintritt in das Bundesge-
biet .

Wir reichen ab Beginn des Februars einen Ankunfts-
nachweis an alle Flüchtlinge aus, die neu zu uns kom-
men . Auch dies ist ein wichtiger Bestandteil im Maßnah-
menkatalog der Bundesregierung und der sie tragenden
Fraktionen .

Das dritte Ziel ist – das gehört auch zur Wahrheit mit
dazu –, dass wir natürlich alles dafür tun müssen, dass
die hohe Zahl derjenigen, die nach wie vor unser Land
erreichen, deutlich, drastisch und schnell reduziert wird .

Ich sage auch ganz offen: Natürlich ist mir eine euro-
päische und internationale Lösung lieber, als es mir na-
tionale Maßnahmen sind . Ich unterstütze nachdrücklich
unsere Bundeskanzlerin, wenn es darum geht, in Europa
und gegenüber vielen europäischen Hauptstädten dafür
zu werben, dass wir einen konzertierten gemeinsamen
Ansatz an den Tag legen, wenn es darum geht, diese
epochale Herausforderung, die auch Europa in die größte
Krise seit seinem Bestehen gestürzt hat, in den Griff zu
bekommen .

Nur – das gehört zur Wahrheit eben auch dazu –: Die
europäische Lösung lässt auf sich warten . Das liegt nicht
am fehlenden Einsatz und am fehlenden Engagement der
Bundeskanzlerin, sondern das liegt bedauerlicherweise
daran, dass immer mehr nationale Egoismen in vielen
Hauptstädten der Europäischen Union um sich greifen .

Deshalb – das sage ich ganz deutlich – müssen wir
auch als Nationalstaat weiterhin handeln . Das Asylpa-
ket II ist ein wichtiger und maßvoller Bestandteil in die-
sem Maßnahmenkatalog .

Noch eines zum Thema „Aussetzung des Familien-
nachzugs“, weil das von Ihnen vielmals als inhuman und
skandalös diskreditiert wurde .


(Zustimmung des Abg . Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das sind Brandstifter!)


Bis zum 1 . August letzten Jahres war der Familiennach-
zug für subsidiär Schutzberechtigte ausgesetzt . Wir keh-
ren schlichtweg nur zu dem Rechtszustand zurück, der
bis zum 1 . August 2015 gegolten hat,


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Genauso ist das!)


an dem Sie auch nie irgendeinen Anstoß genommen ha-
ben .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg . Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Jetzt plötzlich sagen Sie, alles wäre unheimlich un-
menschlich und skandalös . Bis zum 1 . August haben Sie
daran überhaupt keine Kritik geübt .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist überhaupt nicht wahr!)


Um das auch zu sagen: Es ist bedauerlicherweise ein
häufig praktiziertes Geschäftsmodell der Schlepper und
Schleuser, dass sie minderjährige Kinder voranschicken,
um damit zu erreichen, dass diese ihre Eltern nachziehen
lassen können .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür bestrafen Sie jetzt die Kinder in Deutschland!)


Wir dürfen dieses Geschäftsmodell der Schlepper und
Schleuser hier nicht zum Tragen kommen lassen . Ganz
im Gegenteil: Wir müssen ihnen einen Strich durch die
Rechnung machen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erklären Sie den Kindern mal! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon mal mit einem solchen Kind geredet, Herr Mayer? Haben Sie schon mal mit einem solchen Kind geredet? – Zuruf von der CDU/CSU: Dieses Geschäftsmodell zerstören wir! – Weitere Zurufe)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden
mit diesem Gesetzespaket auch die Abschiebungen er-
leichtern . Gestatten Sie einige Bemerkungen zum The-
ma Abschiebungen . Die Abschiebungen haben sich vom
Jahr 2014 auf das Jahr 2015 verdoppelt . Das ist gut, aber
ich sage ganz offen: Da sind alle Länder aufgefordert,
sich noch mehr nach der Decke zu strecken und mehr
zu tun .

15 Bundesländer haben es geschafft, die Abschiebe-
zahlen zu erhöhen . Bayern zum Beispiel hat sie vervier-
facht . Ein einziges Bundesland war so erfolgreich – in
Anführungszeichen – und hat es geschafft, im Jahr 2015
weniger Personen abzuschieben als im Jahr 2014 . Das
war, Herr Bartsch, ausgerechnet das Bundesland, in dem
ein Linker Ministerpräsident ist – Gratulation!


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn dann dieser linke Ministerpräsident noch dazu
ankündigt, dass er nicht bereit ist, der Aufforderung des
Bundesinnenministers zu folgen, ausreisepflichte afgha-
nische Staatsbürger zu melden und diese in ihr Heimat-
land abzuschieben, halte ich das für skandalös; das sage
ich klar, Herr Bartsch .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch eine
letzte kurze Bemerkung zum Ausweisungsrecht . Die
jetzt beabsichtigte Verschärfung des Ausweisungsrechts
ist sachgerecht, weil auch eines zur Wahrheit gehört: Wer
sich ein derart schädliches und schäbiges Verbrechen hat
zuschulden kommen lassen – –

Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815602900

Herr Kollege Mayer, gestatten Sie noch eine Zwi-

schenfrage der Kollegin Brantner?


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1815603000

Selbstverständlich, sehr gerne .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Mayer, ich wollte Sie fragen zu den Ab-
schiebungen, die Sie erwähnt haben – vierfach höhere
Abschiebungszahlen in Bayern –, und zur Statistik . Ist
Ihnen bewusst, dass die Bayern als einzige alle, die sie
nicht mehr auffinden, mit zu denjenigen zählen, die frei-
willig ausgereist sind?

Wenn man diese Zahlen herausrechnet – alle anderen
Bundesländer sagen nicht, dass diejenigen, die sie nicht
mehr auffinden, offensichtlich ausgereist sind –, ist der
Unterschied zwischen Bayern und den anderen Bundes-
ländern gar nicht mehr so groß . Sind Sie auch dafür, dass
man das harmonisiert und sich darauf einigt, dass nur
noch die, von denen man sicher ist, dass sie ausgereist
sind, auch als Ausgereiste zählen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schummelnummer!)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1815603100

Sehr verehrte Frau Kollegin Brantner, mir geht es ja

gar nicht darum, Bayern zu glorifizieren.


(Lachen bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh nein! Wie kann man das nur denken? – Burkhard Lischka [SPD]: Eigentlich schade!)


– Nein, das meine ich wirklich sehr ernst . – Ich habe zu
Beginn meiner Rede wirklich ernsthaft darauf hingewie-
sen, dass wir alle ein Interesse daran haben müssen, dass
der innere Zusammenhalt unseres Landes so bleibt, wie
er jetzt ist .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, Gott sei Dank! Das ist ja auch der Bundestag hier!)


Ich sehe die große Gefahr, dass nicht nur Parteien aus-
einanderdiffundieren, sondern dass wir momentan auch
unser Land auf einen Weg bringen, auf dem es sich eher
auseinanderentwickelt als beieinanderbleibt .

Aber um eines klar zu sagen: Es ist nun einmal so,
dass die Abschiebepolitik in Bayern konsequenter und
effektiver ist als in vielen anderen Bundesländern .


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das stimmt!)


Es gibt manche Bundesländer, die nicht einmal mehr
über entsprechende Möglichkeiten verfügen, abzuschie-
bende Personen in Gewahrsam zu nehmen . Manche Bun-

desländer wie Schleswig-Holstein machen es sich ganz
einfach: Sie haben überhaupt kein Abschiebegefängnis .
In der Konsequenz werden natürlich auch deutlich we-
niger Abschiebungen durchgeführt als in anderen Bun-
desländern .


(Widerspruch bei der LINKEN – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schummeln bei Ihrer Statistik, Herr Mayer!)


Bayern und vor allem der bayerische Innenminister ma-
chen eine sehr konsequente Abschiebepolitik .

Um auch dies klar zu sagen: Nur durch konsequen-
te und effektive Abschiebungen wird auch das richtige
Signal an die Länder gesetzt, in denen sich potenzielle
Flüchtlinge aufhalten – dass es unter diesen Gegeben-
heiten keinen Sinn mehr macht, sich auf diesen gefahr-
vollen, für viele bedauerlicherweise sogar tödlichen Weg
nach Europa zu machen –, weil dadurch festgestellt wird:
Wenn eine Person ausreisepflichtig ist, dann muss sie un-
ser Land in der Konsequenz schnell und zügig verlassen .


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war keine Antwort auf die Frage!)


Natürlich sind mir freiwillige Ausreisen lieber als
zwangsweise Abschiebungen . Natürlich wäre es schön,
wenn mehr Personen der Aufforderung nachkämen,
unser Land freiwillig zu verlassen . Aber in der letzten
Konsequenz muss der Staat natürlich handlungsfähig
bleiben und die Personen, die nicht bereit sind, freiwillig
die Rückreise anzutreten, zwangsweise in ihr Heimatland
zurückführen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das war nicht die Frage, Herr Mayer! – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frage war eine andere!)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
eine letzte Bemerkung zum Thema Ausweisungsrecht .
Die vorgeschlagene gesetzliche Regelung zur Verschär-
fung des Ausweisungsrechts ist alles andere als Symbol-
politik oder Aktionismus . Sie ist aus meiner Sicht eine
sehr maßvolle, sachgerechte Ergänzung des bisherigen
Ausweisungsrechts, weil klargemacht wird: Wenn sich
jemand ein schändliches Verbrechen gegen die sexuel-
le Integrität, gegen die körperliche Unversehrtheit, ge-
gen das Leben oder gegen das Eigentum hat zuschulden
kommen lassen, dann hat er damit auch sein Bleiberecht
in Deutschland verwirkt und muss unser Land zügig ver-
lassen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Burkhard Lischka [SPD])


In diesem Sinne: Ich glaube, das Gesetzespaket, das
heute eingebracht wird – das Asylpaket II und die Ver-
schärfung des Ausweisungsrechts –, ist sachgerecht und
maßvoll . An diesem Gesetzespaket wird auch deutlich:
Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen
sind handlungsfähig . Wir stehen vor einer großen He-
rausforderung . Wir haben noch weitere große Herausfor-






(A) (C)



(B) (D)


derungen und Probleme vor uns . Aber mit diesem Paket
werden wir konsequent reagieren . Deshalb bitte ich um
eine zügige Behandlung in den Ausschüssen und dann
auch um eine zügige Verabschiedung hier im Deutschen
Bundestag .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815603200

Nächster Redner ist Herr Landesinnenminister Ralf

Jäger .


(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1815603300

Vielen Dank, Herr Präsident . – Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Der Satz „Wir schaffen das“ wird
irgendwann vermutlich in die Geschichtsbücher einge-
hen . Dieser Satz beinhaltet zunächst ein Versprechen, ein
Versprechen an die Flüchtlinge, die nach Deutschland
fliehen. Er ist zugleich aber auch eine Verpflichtung für
diejenigen, die ihn umsetzen sollen und müssen .

Wer ist eigentlich „wir“? Ein Dach über dem Kopf
organisieren, die Versorgung sicherstellen, die Flüchtlin-
ge registrieren, sie medizinisch betreuen, die Sprachver-
mittlung organisieren, Kindergartenplätze zur Verfügung
stellen, die Beschulung organisieren, schlichtweg Inte-
gration leisten, das ist die Leistung der Länder, aber vor
allem der Kommunen .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Richtig!)


Der Bund hat eine wichtige Aufgabe: Asylanträge zu be-
arbeiten .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, die die Länder umsetzen sollen!)


Meine Damen und Herren, die Länder und ich selbst
erkennen die besonderen Bemühungen der Kanzlerin,
von Außenminister Steinmeier und auch von Herrn Bun-
desinnenminister de Maizière, eine europäische Lösung
im Hinblick auf den Flüchtlingsstrom nach Europa und
nach Deutschland zu suchen, ausdrücklich an . Aber in der
Zeit dieser Bemühungen geht das Tagesgeschäft für Län-
der und Kommunen weiter . Das bedeutet, dass sie jeden
Tag weitere, zusätzliche Menschen unterzubringen ha-
ben – jeden Tag zusätzliche . Von einer entspannten Lage
kann definitiv nicht gesprochen werden, auch wenn die
Zahlen jetzt etwas zurückgegangen sind . Allein in Nord-
rhein-Westfalen haben wir nur im Januar 19 000 Men-
schen nach dem Königsteiner Schlüssel untergebracht .
Tatsächlich sind übrigens 27 000 angekommen . All diese
müssen registriert, geröntgt und untergebracht bzw . be-
herbergt werden . Mit dem „wir“ im Satz „Wir schaffen
das“ sind auch unsere Kommunen gemeint, die Unglaub-
liches leisten .


(Beifall im ganzen Hause)


Der Alltag in den Städten und Gemeinden ist zurzeit
24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche, Obdach-
losigkeit zu vermeiden . Das ist im letzten Jahr gelun-
gen – im Übrigen auch durch unzählige Freiwillige, die

zum Teil ihren Jahresurlaub genommen oder mit ihrem
Arbeitgeber das Agreement getroffen haben, statt zu
arbeiten, in der Flüchtlingsunterbringung tätig zu sein .
Nach meinem Eindruck lässt das auch nicht nach . Das
alles ist in den Kommunen dieses Landes geleistet wor-
den. In denselben Kommunen finden aktuell aber auch
Diskussionen darüber statt, die Grundsteuer B oder die
Gewerbesteuer erhöhen und Bibliotheken oder Jugend-
zentren schließen zu müssen, weil die Kosten der Flücht-
lingsunterbringung so hoch geworden sind . Deshalb
meine Anregung: Man kann Haushaltsüberschüsse auch
dafür nutzen, die Kommunen in diesem Land zu entlas-
ten .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben wir ja auch gemacht!)


Die Kommunen haben die größte Last zu tragen; sie
müssen die Menschen unterbringen und ihnen das vor
Ort auch erklären .

Das Asylpaket II ist wichtig . Das gilt auch in Bezug
auf das Thema Rückführung; denn ich bin zutiefst davon
überzeugt, dass es die große Akzeptanz, diese Willkom-
menskultur, die in Deutschland herrscht – allein im letz-
ten Jahr wurden 1 Million Flüchtlinge aufgenommen –,
nur dann weiterhin geben wird, wenn der Rechtsstaat
deutlich macht, dass diejenigen, die keinen Schutz brau-
chen, zurückkehren müssen, und zwar so schnell wie
möglich, weil das nur fair ist, bevor Integrationsprozesse
beginnen und später abgebrochen werden müssen .


(Beifall bei der SPD – Michaela Noll [CDU/ CSU]: Das können Sie doch machen! Wer hindert Sie denn daran? – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Dann legen Sie los!)


Das, was heute hier zum Asylpaket II und zur Rück-
führung beraten wird, kann nur der erste Schritt sein .
Auch wenn es zukünftig leichter sein soll, schneller zu-
rückzuführen, steht die Rückführung immer nur am Ende
eines Asylverfahrens, und die Asylverfahren in Deutsch-
land dauern trotz aller Anstrengungen und trotz aller Be-
mühungen des Bundesamtes für Migration und Flücht-
linge nach wie vor viel zu lange .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Herr Strobl, die durchschnittliche Bearbeitungs-
dauer des Asylantrags eines Asylsuchenden aus den
Maghreb-Staaten dauert ganz konkret 14,7 Monate nach
Antragstellung .


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Deshalb wäre es gut, wir machen sie zu sicheren Herkunftsländern! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sicheres Herkunftsland, und alles ist gut! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dann machen wir sie zu sicheren Drittstaaten!)


Bis zur Antragstellung hat dieser Mensch acht Monate
zu warten . Das heißt, weil diese Verfahren zu lange dau-

Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)


ern, sind Menschen, die eigentlich keinen Anspruch auf
Schutz haben, fast zwei Jahre hier .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wenn es sichere Herkunftsländer sind, geht das viel schneller! Auch das Verwaltungsgerichtsverfahren geht dann übrigens schneller!)


Um auch das deutlich zu sagen, Herr Strobl: Ihre Ar-
gumentation, dass die Aufnahme der Westbalkanstaa-
ten in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu einem
Rückgang der Asylbewerber aus diesen Staaten geführt
hat, ist falsch .


(Beifall der Abg . Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Nicht dadurch, dass diese Staaten zu sicheren Herkunfts-
ländern erklärt wurden, sondern lange davor – durch
Maßnahmen des Bundesinnenministers, des Bundesau-
ßenministers und vieler anderer Beteiligte – ist es insbe-
sondere in Albanien gelungen, die Menschen davor zu
bewahren, ihre eigene Existenz aufzugeben, Hab und Gut
zu verkaufen und die Schleuser zu finanzieren, um sich
dann irgendwann vor dem Nichts dort wiederzufinden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Exakt mit dem Gesetzgebungsverfahren zu den sicheren Herkunftsländern sind die Zahlen zurückgegangen! Exakt mit dem Inkrafttreten! Schauen Sie sich doch mal die Zahlen an und wann sie zurückgegangen sind! Genau mit der Gesetzgebung!)


– Herr Strobl, wenn Sie sich die Zahlen anschauen, wer-
den Sie feststellen, dass diese Zahlen, lange bevor der
Deutsche Bundestag die Liste der sicheren Herkunfts-
staaten erweitert hat, deutlich gesunken sind . Herr Strobl,
Ihre Argumentation hält einem Realitätscheck nicht
stand .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, die Ausweisung ist nicht
zugleich die Abschiebung .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815603400

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Strobl?


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Große Koalition bei uns im Bund!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1815603500

Von Herrn Strobl immer .


Thomas Strobl (CDU):
Rede ID: ID1815603600

Verehrter Herr Minister Jäger, sind Sie bereit, Fol-

gendes zur Kenntnis zu nehmen: Natürlich hat es viele
flankierende Maßnahmen – durch den Bundesinnenmi-
nister, durch den Bundesaußenminister – in den Westbal-

kanstaaten gegeben . Gleichwohl hatten wir die Situation,
dass über das gesamte Jahr 2014 knapp die Hälfte aller
Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind, vom
Westbalkan kamen – Schutzquote: null . Das ging noch
bis zum August des Jahres 2015 so . Im Herbst ist dann
unsere Gesetzgebung in Kraft getreten, mit der wir den
gesamten Westbalkan zu einer sicheren Herkunftsregion
gemacht haben, und exakt ab diesem Zeitpunkt sind die
Zahlen


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hochgegangen!)


auf nahezu null zurückgegangen .

Allein aufgrund dieses zeitlichen Zusammenhangs
finde ich, dass es eine gute Gesetzgebung gewesen ist,
die SPD und CDU/CSU im Deutschen Bundestag ge-
macht haben und der verschiedene Länder mit SPD-Re-
gierungsbeteiligung zu Recht im Bundesrat zugestimmt
haben . Diese gute Gesetzgebung sollten wir aus den von
Ihnen zu Recht genannten Gründen schnellstmöglich
auch auf die Maghreb-Staaten übertragen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1815603700

Herr Strobl, Sie haben mich gefragt, ob ich bereit

bin, das zur Kenntnis zu nehmen: eindeutig nein, weil
es falsch ist .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Strobl, Sie bekommen als Bundestagsabgeordneter
monatlich die statistischen Daten des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge . Schauen Sie rein!


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ich schaue sogar täglich rein!)


Dann werden Sie feststellen, dass im Februar 2015 –
exakt zur Zeit des rheinischen Karnevals – die Zahl der
Asylsuchenden aus dem Kosovo extrem gestiegen ist


(Burkhard Lischka [SPD]: 1 500 am Tag!)


– in der Tat: 1 500 am Tag, allein in Nordrhein-Westfalen
300 bis 400 pro Tag – und dass es durch Maßnahmen
im Kosovo, durch Kommunikation, durch Gespräche, die
Bundesminister und Landesminister im Kosovo geführt
haben, gelungen ist, diese Zahlen bis April/Anfang Mai
deutlich zu senken .


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Und was ist mit den Zahlen aus Albanien gewesen?)


– Herr Strobl, Sie haben doch eine Frage gestellt und
wollen die beantwortet bekommen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der Zwischenzeit stiegen die Zahlen aus Albanien
ab April/Mai extrem an, über den ganzen Sommer . Es
hat uns wirklich vor eine extreme Herausforderung ge-
stellt, für diese Menschen Betten und ein Dach über dem

Minister Ralf Jäger (Nordrhein-Westfalen)







(A) (C)



(B) (D)


Kopf zu organisieren . Aber Tatsache ist: Als der Deut-
sche Bundestag das Gesetz über sichere Herkunftsstaaten
beschlossen hat, waren diese Zahlen schon längst wieder
unten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will damit ja nicht sagen, dass dieses Gesetz falsch
ist . Ich will damit nur sagen: Allein ein Land in die Liste
der sicheren Herkunftsländer aufzunehmen, führt nicht
dazu, dass die Menschen dieses Land nicht verlassen
wollen, Herr Strobl .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das müssen Sie jetzt bitte einmal zur Kenntnis nehmen .

Wir waren bei der Debatte an dem Punkt – –


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815603800

Herr Minister, der Kollege Beck möchte ebenfalls

eine Frage an Sie richten .


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1815603900

Selbstverständlich .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815604000

Einen Teil meiner Frage haben Sie schon durch die

Frage von Herrn Strobl beantwortet . Ich wollte Sie fra-
gen, ob Sie sich mit mir gemeinsam auch daran erinnern,
dass zum Jahresanfang, nach der Erweiterung der Liste
der sicheren Herkunftsstaaten um drei Länder, einerseits
im Fall des Kosovo die Zahlen drastisch zurückgegangen
sind –


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wegen der Gesetzgebung!)


das haben Sie gerade bestätigt – und andererseits im Fall
von Serbien, obwohl es zu diesem Zeitpunkt ein sicherer
Herkunftsstaat war, die Zahlen praktisch stabil geblieben
sind, was zeigt, dass es offensichtlich mehr auf die In-
formationspolitik in den Ländern ankommt als auf die
Einstufung als sicherer Herkunftsstaat, wenn man ver-
hindern will, dass Menschen, die keinen Schutzanspruch
haben, sich auf die Reise machen .


(Peter Wichtel [CDU/CSU]: Beides brauchen wir!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1815604100

Herr Beck, das ist präzise zutreffend .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, ich bin bei dem Punkt,
dass Ausweisung noch keine Abschiebung ist . Wenn
die Heimatstaaten ihre Staatsbürger nämlich nicht zu-
rücknehmen – weil sie unkooperativ sind, weil sie sich
verweigern, Passersatzpapiere, die für die Rückführung
zwingend erforderlich sind, auszustellen –, dann helfen
auch im Gesetz verankerte leichtere Ausweisungen nicht

weiter . Im Gegenteil: Im Ergebnis werden die Zahlen der
Geduldeten in den Bundesländern steigen . Ich weiß, dass
der Bundesinnenminister und der Bundesaußenminister
zurzeit viele Flugmeilen leisten, um in dieser Frage Lö-
sungen zu finden. Aber wir brauchen auch Ergebnisse.
Diskussionen über leichtere Rückführungen in sichere
Herkunftsstaaten, Herr Strobl, sind nur Makulatur, wenn
am Ende eine Abschiebung nicht durchgeführt werden
kann .

Meine Damen und Herren, all das sind Probleme, mit
deren Folgen die Länder, aber vor allem unsere Kom-
munen umgehen müssen, die sie aber selbst nicht lösen
können . Deshalb eine Bitte: Wir brauchen wirkliche Lö-
sungen . Wir brauchen eine Aufrichtigkeit in der Flücht-
lingspolitik .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Oh ja!)


Wir brauchen die Solidarität der Verantwortlichen . Zu
dieser Solidarität gehört auch, dass die Europäische Uni-
on keine Arbeitsgemeinschaft zur Verteilung von Förder-
mitteln ist, sondern auf Grundlage von Werten wie Hu-
manität und Solidarität gegründet wurde .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Keine Vorschläge!)


Dieses Land verändert sich durch den Zustrom von
1 Million Flüchtlinge – wir wissen nicht, wie viele es
dieses Jahr sein werden – rasant . Dieses unglaubliche
Tempo gehen viele in diesem Land mit, manche sogar
mit Begeisterung . Manche Menschen in diesem Land ha-
ben Skepsis, andere machen sich Sorgen, manche haben
sogar Angst . Ich glaube, wenn man Menschen, die Angst
haben, nicht aus unserem gemeinsamen demokratischen
und politischen Koordinatensystem treiben will, dann
sollte man polternde Stammtischparolen und narkotisie-
rende Scheinlösungen unterlassen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das gilt auch, Herr Strobl, für die Politik . Das bedeutet,
bei diesem Thema nicht gegenseitig mit dem Finger auf
sich zu zeigen . Vielmehr erwarten die Bürgerinnen und
Bürger von uns gemeinsame Lösungen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer mit den Ängsten der Menschen spielt und glaubt,
dass man damit politische Geländegewinne erzielen
kann, der wird sich nach dem 13 . März dieses Jahres viel-
leicht darüber wundern, dass davon ganz andere profitiert


(Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Schauen Sie lieber auf die Domplatte!)


und Geländegewinne gemacht haben, obwohl wir doch
gemeinsam wollen, dass diese in einem demokratischen
Parlament nicht vertreten sind .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Minister Ralf Jäger (Nordrhein-Westfalen)







(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, zu dieser Sachlichkeit und
Ehrlichkeit gehört auch, zu sagen, dass es eine schnelle
Lösung für den Flüchtlingsstrom nach Deutschland nicht
geben wird, sondern dass wir weiterhin einen langen
Atem brauchen, dass wir aber im Rahmen dieser Sach-
lichkeit zugleich das wahrnehmen, was draußen pas-
siert, Herr Strobl, und gelegentlich einen Realitätscheck
durchführen .

Es war für Länder und Kommunen ein hartes
Jahr 2015 . Die Länder haben inzwischen fast durchweg
stabile Aufnahmesysteme . Das kriegen wir hin .


(Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sagen Sie doch etwas zu Köln und zu Ihrem Versagen!)


Aber daran, ob unsere Kommunen ein solches Jahr noch
einmal schaffen, gibt es wirklich Zweifel .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da müssen die Länder helfen! Die Kommunen sind ein Teil der Länder!)


Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815604200

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin

Nina Warken .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Nina Warken (CDU):
Rede ID: ID1815604300

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! In den letzten Tagen war viel
Kritik bezüglich der Gesetzentwürfe, die wir heute be-
raten, zu hören; auch in der Debatte wurde damit nicht
gespart . Wir hörten, das Asylpaket II sei gesetzeswidrig,
eine ungerechte Verschärfung – von einer Gängelung der
Flüchtlinge und einer Aushöhlung des Asylrechts war die
Rede; „Populismus“, „hilflos“ und „schäbig“ waren die
Worte – und dass das alles nichts bringen würde .

Wenn man aber so argumentiert, darf man sich fol-
genden Tatsachen nicht versperren: Tausende Menschen
kommen täglich zu uns, obwohl sie bereits in einem an-
deren Land Schutz gefunden haben oder Schutz finden
könnten .


(Annette Groth [DIE LINKE]: Wo denn?)


Unter den Asylbewerbern sind auch Kriminelle, die bei
uns Straftaten begehen . In manchen Fällen wird ein Asyl-
antrag nur gestellt, um Sozialleistungen zu bekommen .
Kinder und Jugendliche werden auf eine lebensgefähr-
liche Reise geschickt, damit dann auch ihre Eltern nach
Deutschland kommen dürfen . Abgelehnte Asylbewerber
werden vor allem in rot-grün regierten Bundesländern
nur unzureichend abgeschoben . – All das ist inzwischen
Alltag in Deutschland geworden und findet deshalb kein
Verständnis in der Bevölkerung . Die Bürger erwarten
von uns, dass wir gegen Missbrauch und Fehlentwick-

lungen vorgehen, die mit dem Schutz vor Verfolgung rein
gar nichts zu tun haben .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Wir brauchen mehr Bildung! Wir brauchen den Bundesrat!)


Genau das tun wir mit den Gesetzentwürfen, die wir heu-
te hier beraten .

Was Sie, werte Kollegen von der Opposition, wollen,
um die Lage zu bewältigen, ist auch heute offengeblie-
ben . Außer Kritik war nicht viel zu hören .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben Anträge dazu eingereicht!)


Herr Jäger hat zwar Lösungen angesprochen, aber keine
Lösungen präsentiert . Kritisieren ist einfacher als kon-
struktive Mitarbeit, hilft uns aber kein Stück weiter .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, betrachten wir das Ganze
doch einmal vom Ende her: Wie würde es ohne die Maß-
nahmen weitergehen, die wir heute beschließen wollen?

Fangen wir mit dem beschleunigten Verfahren für
Asylbewerber an, die keine Bleibeaussicht haben . 2015
sind 1,1 Millionen Menschen nach Deutschland gekom-
men, die sich auf das Asylrecht berufen . Das sind aber
nicht nur Flüchtlinge, die Anspruch auf Schutz haben .
Nur 49 Prozent der 2015 gestellten Asylanträge wurden
positiv entschieden . Das heißt, dass bei mehr als der Hälf-
te keine Schutzbedürftigkeit festgestellt werden konnte .

Wenn wir bei Asylbewerbern, bei denen schon bei
der Ankunft absehbar ist, dass sie keine Bleibeaussicht
haben, nicht in kürzester Zeit entscheiden und sie in
ihre Herkunftsländer zurückführen, werden wir noch
mehr Anreize schaffen, ohne berechtigten Grund nach
Deutschland zu kommen . Deshalb ist es wichtig, dass
Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten, Folgean-
tragsteller und diejenigen, die gegen ihre Mitwirkungs-
pflichten verstoßen oder die betrügen, für die Dauer des
Verfahrens in speziellen Einrichtungen – idealerweise in
Grenznähe – bleiben müssen . Das ist nicht nur ein klares
Signal im Sinne von „Wir nehmen nur wirklich Schutz-
bedürftige auf“, sondern entlastet auch deutlich unsere
Kommunen bei der Unterbringung .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Man kann dabei auch nicht von Gängelung oder Aushöh-
lung des Asylrechts sprechen . Nein, das sind wirkungs-
volle Maßnahmen, die im Übrigen mit EU-Recht verein-
bar sind .

Kommen wir zur Aussetzung des Familiennachzugs
für subsidiär Schutzbedürftige . Bei diesem Thema ha-
ben sich Grüne und Linke mit ihrer Kritik ja fast schon
überschlagen . Schauen wir uns aber einmal die Fakten
an: Seit Anfang des Jahres kommen weiterhin 2 000 bis
5 000 Menschen täglich bei uns an . Wir müssen davon
ausgehen, dass die Zahl der subsidiär Schutzbedürftigen
steigen wird . Wenn dann noch jeder ein Recht auf Fami-
liennachzug hat, werden wir am Jahresende 2 Millionen
Flüchtlinge oder noch mehr haben . Die Aussetzung des
Familiennachzugs bei subsidiär Schutzbedürftigen ist da-
her in der jetzigen Situation notwendig .

Minister Ralf Jäger (Nordrhein-Westfalen)







(A) (C)



(B) (D)


Europarechtlich ist der Familiennachzug für diese
Gruppe nicht geboten . Wir sind das einzige Land in Eu-
ropa, das subsidiär Schutzbedürftigen das Recht auf Fa-
miliennachzug gewährt, und es hat sich gezeigt, dass dies
ein Grund ist, warum Schutzsuchende unbedingt nach
Deutschland wollen .


(Dr . Eva Högl [SPD]: Das ist ja wohl zynisch!)


Aus unserer Sicht ist es daher geboten, die im Übrigen –
auch das darf ich noch einmal klar sagen – erst zum
1 . August 2015 geschaffene Rechtslage wieder auszuset-
zen .

Lassen Sie mich im Zusammenhang mit dem Famili-
ennachzug auch klarstellen: Unter optimalen Umständen
ist es natürlich wünschenswert und das Beste, wenn eine
Familie zusammenbleiben kann . Da bin ich ganz bei Ih-
nen . Die Forderung, dass wir beim Familiennachzug für
unbegleitete Minderjährige mit subsidiärem Schutz eine
Ausnahme machen und sie alle ihre Familien nachholen
können, wäre aber ein verheerendes Signal und unver-
antwortlich . Wir würden die falschen Anreize setzen, die
dazu führen, dass künftig noch mehr Kinder und Jugend-
liche alleine auf eine gefährliche Reise geschickt wer-
den, damit sie dann ihre Eltern nachholen können . Neue
Schleppergeschäftsmodelle, die sich darauf konzentrie-
ren, wären vorprogrammiert . Das sagt auch der schon
erwähnte Experte Rupert Neudeck .

Es ist auch schlichtweg falsch, zu behaupten, dass die
Aussetzung des Familiennachzugs für unbegleitete Min-
derjährige gegen das Grundgesetz, die UN-Kinderrechts-
konvention oder die europäische Grundrechtecharta
verstößt . Die UN-Kinderrechtskonvention zum Beispiel
schreibt nicht vor, dass die Familienzusammenführung
in Deutschland erfolgen muss, und gewährt auch nicht
unmittelbar einen Anspruch darauf . Sie hat das Wohl
der Kinder und Jugendlichen im Blick, und das ist in
Deutschland gegeben . Kinder und Jugendliche werden in
Obhut genommen, betreut und versorgt und haben hier
eine Chance auf eine gute Ausbildung .

Liebe Kollegen, wenn auch Sie den Schutz und das
Wohl der Kinder und Jugendlichen im Blick haben, kön-
nen Sie nicht ernsthaft eine solche Gefährdung der Kin-
der und Jugendlichen in Kauf nehmen wollen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, betrachten
wir schließlich noch die geplanten Maßnahmen zur Be-
seitigung von Rückführungshindernissen . Es leben zur-
zeit rund 200 000 Menschen in Deutschland, die eigent-
lich ausreisen müssten . Es mag in vielen Fällen zutreffen,
dass eine Ausreise, zum Beispiel aus gesundheitlichen
Gründen, nicht möglich ist . Aber wir müssen leider fest-
stellen, dass in vielen Fällen Krankheiten vorgetäuscht
werden, nur um nicht abgeschoben zu werden . Das ist
gegenüber denjenigen, die tatsächlich unseren Schutz
brauchen, nicht gerecht . Wir müssen diesen Missbrauch
dringend abstellen . Das tun wir mit klaren gesetzlichen
Anforderungen an ärztliche Atteste und der Regelung,
dass Abschiebungshindernisse aus gesundheitlichen
Gründen nur noch bei lebensbedrohlichen Krankheiten

bestehen . Letzten Endes kommt es aber auf den politi-
schen Willen der Landesregierungen an, die Ausreise-
pflichtigen tatsächlich abzuschieben. Wenn dort der Wil-
le fehlt – auch das sage ich ganz deutlich –, können wir
auf Bundesebene noch so viel regeln .

Meine Damen und Herren, Sie sehen, wie wichtig und
gleichermaßen wirksam die Maßnahmen sind, über die
wir hier heute diskutieren, und dass sie auch rechtmäßig
sind . Kaum ein Land auf der Welt hat das Recht auf Asyl
in seiner Verfassung festgeschrieben wie wir in unserem
Grundgesetz . Wir behandeln die Menschen, die zu uns
kommen und Schutz suchen, anständig und haben die
höchsten Standards bei der Unterbringung und Versor-
gung von Flüchtlingen . Damit wir das alles aufrechter-
halten können, müssen wir noch stärker differenzieren,
wer tatsächlich auf unseren Schutz angewiesen ist . Wir
müssen Missstände und Fehlentwicklungen korrigieren .
Lassen Sie uns deshalb die vorliegenden Gesetzentwürfe
in den Ausschüssen zügig beraten und beschließen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815604400

Nächster Redner ist der Kollege Burkhard Lischka für

die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU])



Burkhard Lischka (SPD):
Rede ID: ID1815604500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind

nicht die ersten und werden wohl auch nicht die letzten
Gesetzentwürfe zum Thema „Asyl und Flüchtlinge“ sein,
über die wir im Deutschen Bundestag beraten . Dafür ist
das Thema zu beherrschend . Das Thema polarisiert und
verunsichert viele . Es stellt aber auch sehr grundlegende
Fragen an uns: Was hält uns in Deutschland eigentlich
zusammen? Was verbindet uns in Europa? Welche Re-
geln müssen wir alle, egal ob Einheimische oder Einwan-
derer, akzeptieren? Was ist wünschenswert, und wo setzt
uns die Realität Grenzen?

Es gibt in diesen Tagen – genauso wie in anderen
besonders schwierigen Debatten – Protagonisten, die
die Illusion nähren, es gebe auf all diese Fragen eine
ganz einfache Antwort: Grenzen dicht und, wenn nötig,
auch Schusswaffengebrauch . Das ist die Alternative für
Deutschland, die in diesen Tagen aufgezeigt wird . Aus-
gerechnet Deutschland, ein Land, in dem bis vor gut
25 Jahren Schusswaffengebrauch und Schießbefehl trau-
rige und menschenverachtende Realität an einem Teil
seiner Grenzen waren! Gerade dieses Land sollte sich
darin einig sein, nie wieder über Schüsse an der deut-
schen Grenze zu reden . Eine erbärmliche Alternative für
Deutschland wäre das sonst .


(Beifall im ganzen Hause)


Nein, es sind viele Mosaiksteine, die wir in diesen
Tagen und Wochen für eine Lösung zusammensetzen
müssen, indem wir beispielsweise für eine zügige Re-

Nina Warken






(A) (C)



(B) (D)


gistrierung der hier Ankommenden sorgen, für schnelle
Asylverfahren und Entscheidungen . Wer vor Krieg und
Bürgerkrieg flieht, genießt Schutz. Die anderen werden
wir zurückführen . Für all das präzisieren wir im Asylpa-
ket II unsere gesetzlichen Grundlagen und Instrumente;
das ist auch richtig so . Aber es liegt jetzt am zuständigen
Bundesinnenminister, all das, was wir in den vergange-
nen Wochen und Monaten beschlossen haben, konse-
quent umzusetzen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das erwarten wir von Ihnen, Herr de Maizière, und daran
werden wir Sie in den nächsten Monaten auch messen .


(Beifall bei der SPD)


Ein weiteres Signal geht von den heutigen Gesetzent-
würfen insbesondere beim Ausweisungsrecht aus . Eine
freie Gesellschaft muss nicht homogen sein . Sie hat Platz
für unterschiedliche Ethnien, Religionen und auch Mei-
nungen . Aber es muss klar sein, welche Regeln gelten .
Dazu gehört: Wer hier nach Deutschland kommt, muss
unsere Gesetze respektieren . Wenn er grob dagegen ver-
stößt, indem er schwere Straftaten begeht, muss er unser
Land wieder verlassen . Ja, Einwanderung bietet viele
Chancen für eine Gesellschaft, die älter wird und der in
den nächsten Jahren Millionen Fachkräfte fehlen werden .
Aber eine Einwanderungsgesellschaft ist auch anstren-
gend . Wir müssen uns darauf einlassen, denjenigen, die
zu uns kommen, unsere Regeln zu erklären . Andershe-
rum müssen sich die Einwanderer darauf einlassen, ihre
neue Heimat zu verstehen und unsere Gesetze zu respek-
tieren . Beides gehört zusammen, und beides wird uns
noch viel Mühe kosten .

Eines ist aber auch klar: Wer das Flüchtlingsproblem
nicht als europäisches Problem sieht, belügt in diesen
Tagen sein Publikum . Natürlich können wir Grenzen
schließen und ignorieren, dass Millionen Flüchtlinge
unter erbärmlichen Bedingungen leben . Klar geht das .
Augen zu und durch . Die Frage ist nur: Und dann? Wie
lange geht das gut? Wie lange geht es uns gut?

Deutschland ist ein Land, das gut dasteht . Das hat viel
mit offenen Grenzen, mit offenen Handelswegen, mit ei-
nem freien Reise- und Warenverkehr zu tun, mit stabilen
Nachbarländern . Da steht in diesen Tagen verdammt viel
auf dem Spiel . Deshalb war und ist es richtig, dass gerade
die deutsche Bundesregierung immer und immer wieder
versucht, zumindest in Ansätzen zu einer europäischen
Lösung zu kommen . Reden, verhandeln, streiten, wieder
reden und verhandeln – alles ohne Erfolgsgarantie, wohl
wissend, dass dieses Europa gerade in der Flüchtlingsfra-
ge auch krachend scheitern kann .

Aber ist das wirklich schwache Politik, ist das naive
Politik, oder ist es nicht naiv, zu glauben, bei einem Eu-
ropa der geschlossenen Grenzen und der Grenzzäune wä-
ren alle Probleme gelöst?


(Beifall bei der SPD)


Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, es zeichnet gera-
de demokratische Politik aus, dass sie die Fähigkeit be-
sitzt, Dinge, auch wenn sie schwierig sind, zum Guten zu

wenden. Ich finde, dieses Bemühen hat gerade in diesen
Tagen jedwede Unterstützung verdient .

Recht herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815604600

Abschließende Rednerin in dieser Debatte ist die Kol-

legin Andrea Lindholz für die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1815604700

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die In-
tegration der vielen Schutzbedürftigen in Deutschland
kann nur funktionieren, wenn wir die viel zu hohen Zu-
wanderungszahlen spürbar und dauerhaft senken; denn
nur eine kontrollierte Migration ermöglicht auch eine
vernünftige Integration .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen aber auch unsere demokratischen Grundwer-
te wie die Religionsfreiheit, die Meinungsfreiheit, aber
auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau kom-
promisslos vertreten und einfordern .

Die Übergriffe in der Silvesternacht in Köln und ande-
ren Städten waren ein gezielter Angriff auf die Würde der
betroffenen Frauen . Sehr geehrter Herr Minister Jäger,
ich hätte mir heute von Ihnen gewünscht und es auch er-
wartet, dass Sie hier zwei, drei Sätze zu den Übergriffen
in Köln sagen,


(Beifall bei der CDU/CSU)


vielleicht auch etwas zu den Frauen und zu dem, was ih-
nen dort passiert ist . Stattdessen ergießen Sie sich in ei-
nem Zahlenspiel, was die Frage der Rückführungen oder
des Rückgangs der Zahlen aus dem Westbalkan angeht .

Ich will Ihnen eines sagen: Sie haben sicherlich recht,
wenn viele Maßnahmen dazu beigetragen haben, aber
eine Maßnahme ist die Einordnung als sichere Her-
kunftsstaaten,


(Zurufe von der CDU/CSU: So ist es!)


weil sie zu einer Beweislastumkehr führt und weil sie –
das sage ich Ihnen als Juristin, aber das haben uns auch
Sachverständige bestätigt – natürlich zu schnelleren Ver-
fahren, zu kürzeren Zeiten bei den Bescheiden und damit
auch zu einer gewissen – –


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Realitätscheck, Herr Jäger! – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Märchenstunde!)


– Das ist überhaupt keine Märchenstunde, Herr Kollege
Notz . Sie sind, glaube ich, auch Jurist, und Sie wissen,
dass es genauso ist, dass es zu einer Beweislastumkehr
führt .


(Zuruf der Abg . Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Burkhard Lischka






(A) (C)



(B) (D)


Das alles zusammen genommen führt zu einem Rück-
gang . Es ist richtig und wichtig, dass wir bei einer An-
erkennungsquote von noch nicht einmal 1 Prozent, von
unter 1 Prozent, diese Schritte gegangen sind .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815604800

Frau Kollegin Lindholz, gestatten Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Brantner?


Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1815604900

Ich lege diesen einen Gedanken noch zu Ende dar .

Ein weiterer Hinweis: In keiner Weise sind Sie darauf
eingegangen, wie die Abschiebungen in Nordrhein-West-
falen vorgenommen werden . Dort kommt auf zwölf Aus-
reisepflichtige eine Abschiebung. In Bayern liegt das
Verhältnis bei eins zu vier .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Hört! Hört! Realitätscheck, Herr Jäger!)


Auch dazu haben Sie heute nichts gesagt . Ich würde
hier von Ihnen auch erwarten, dass Sie Vorschläge an
die Bundesregierung machen, die hier seit Monaten ver-
schiedenste Gesetzespakete, die auch gewirkt haben und
wirken werden, auf den Weg gebracht hat .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unfassbar kleingeistig, was Sie hier machen, Frau Lindholz!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815605000

Jetzt kann die Kollegin Brantner die Zwischenfrage

stellen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Über die Zahlen und über die Statistikbildung der
Bayern haben wir schon gesprochen . Aber ich möchte,
weil Sie die Frauenrechte und den Schutz von Frauen an-
gesprochen haben, von Ihnen gern noch einmal hören,
warum es die CDU wirklich verhindert hat, dass es zum
Schutz von Frauen und Kindern in Flüchtlingsunterkünf-
ten kommt, dass dort das Bundeskinderschutzgesetz gilt,
wenn Sie doch die Frauenrechte so hochhalten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1815605100

Frau Kollegin, bei uns in Deutschland gilt das Kindes-

wohl nach dem Gesetz überall und in allen Einrichtungen
in Bayern und in Deutschland .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben nicht!)


Ich erwarte von Ihnen einen Blick ins Gesetz; da können
Sie es nämlich nachlesen . Ich muss Ihnen das hier also
nicht noch erklären .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie mal die Vorschriften nennen?)


– Schauen Sie doch in das SGB; da steht es drin .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum ist der Kinderschutzbund anderer Meinung? – Max Straubinger [CDU/CSU]: Ein Blick in das Gesetzbuch …!)


– Ich habe Ihnen die Frage beantwortet .

In der Debatte, so auch heute, wird oft über die Täter
geredet, und es gab schnell auch Forderungen nach mehr
Integrationshilfen . Was wir aber brauchen, sind Signale
an die Frauen, sind Signale an die Opfer und klare Si-
gnale des Gesetzgebers . Wer die deutsche Gastfreund-
schaft derartig missbraucht, der hat keine Hilfe verdient,
sondern der muss gehen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich kann Ihnen als Fachanwältin für Familienrecht,
die zwölf Jahre lang auch viele Frauen vertreten hat,
nur sagen: Solche Übergriffe auf Frauen haben für diese
Betroffenen ganz gravierende Folgen . Sexuelle Gewalt
ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen . Ich begrüße
es ausdrücklich, dass der Bundesjustizminister mit uns
gemeinsam an einer Verschärfung des Sexualstrafrechts
arbeitet . Ich hoffe und wünsche mir auch, dass wir das
zeitnah umsetzen können und in diesem Zusammenhang
auch unsere Asylgesetze entsprechend anpassen und
auch noch verschärfen, weil nur dann Übergriffe wie die
von Köln im Wiederholungsfall zur Ausweisung führen
können . Ich bitte, das nicht zu vergessen .

Fast alle der bisher ermittelten Tatverdächtigen aus
der Silvesternacht haben Migrationshintergrund . Straf-
taten wie diese sind Gift für die Aufnahme- und Hilfs-
bereitschaft in Deutschland . Sie schaffen ein Gefühl der
Unsicherheit im öffentlichen Raum, und sie gefährden
den sozialen Frieden und die Akzeptanz . Die Mehrheit
der Migrantinnen und Migranten und der Flüchtlinge in
Deutschland – ich will das ausdrücklich sagen – lebt hier
friedlich und ist um Integration bemüht . Sie ist genauso
wie die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in
Deutschland daran interessiert, dass wir klare Auswei-
sungen von Straftätern aus Deutschland fordern und auch
durchführen .

Wir dürfen solch kriminelles Verhalten gegen das Ei-
gentum, das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die
sexuelle Selbstbestimmung und die Angriffe auf Voll-
zugsbeamte nicht einfach dulden . Es ist daher richtig,
dass wir in Zukunft auch solche Verurteilungen immer als
schweres Ausweisungsinteresse gewichten oder dass die
Verurteilung zu einem Jahr, auch wenn die Strafe zur Be-
währung ausgesetzt wird, künftig ein besonders schwe-
res Ausweisungsinteresse darstellt . Das ist ein wichtiges
Signal . Ich habe für keinen Verständnis, der jetzt schon
wieder in den Raum wirft, unsere Gesetze seien verfas-
sungswidrig . Wir müssen den Opfern erklären, wie wir

Andrea Lindholz






(A) (C)



(B) (D)


als Rechtsstaat damit umgehen wollen, und das muss im
Vordergrund stehen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Betonung liegt auf „Rechtsstaat“!)


Sehr geehrter Herr Kollege Beck, ich will Ihnen eines
sagen: Ich erwarte von den Menschen, die hierherkom-
men und die vor Flucht und Verfolgung fliehen oder aus
anderen Gründen zu uns kommen, dass sie sich integrie-
ren und an unsere Gesetze halten . Das ist kein Wider-
spruch, sondern das ist ein Zweiklang .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Selbstverständlichkeit! – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und auch Realität!)


Daher muss ich auch keine Asylgesetze ändern, wenn ich
Integration einfordere .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Unsere Gesetze, alles, was wir hier beschließen, wer-
den nur wirken, wenn sich auch die Abschiebepraxis in
den Ländern verbessern wird und wenn die zuständigen
Behörden rechtzeitig – auch in dem Fall der Verschär-
fung – über Ermittlungsverfahren informiert werden . Wir
regeln jetzt aktuell, dass erst die Einleitung eines Straf-
verfahrens dem Bundesamt für Migration und Flüchtlin-
ge gemeldet wird . Wir haben aber jetzt schon in § 72 des
Aufenthaltsgesetzes geregelt, dass die Ausländerbehörde
über ein Ermittlungsverfahren zu informieren ist . Es ist
daher ein Widerspruch, wenn die Ermittlungsverfahren
den Ausländerbehörden praktisch sofort gemeldet wer-
den müssen, aber das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge die Kenntnis erst mit Einleitung eines Straf-
verfahrens erhält .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815605200

Frau Kollegin, gestatten Sie noch zum Schluss Ihrer

Redezeit eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?


Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1815605300

Ich wäre dafür, dass wir an dieser Stelle nochmals eine

Änderung erwägen .

Zum Abschluss: Ich begrüße ganz ausdrücklich die
verschärften Regelungen im Asylpaket II . Es ist wichtig,
dass wir klarmachen, dass wir Schnellverfahren einleiten
und Abschiebehindernisse beseitigen . Auch das haben
wir in den letzten Monaten genügend ermittelt . Wir müs-
sen jetzt endlich die Ergebnisse umsetzen . Das tun wir
hiermit .

Ich gestatte nun die Zwischenfrage des Herrn Kolle-
gen Beck .


(Heiterkeit)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815605400

Das war jetzt besonders klug, weil es somit die Mög-

lichkeit der Erwiderung gibt . – Herr Kollege Beck, Sie
haben das Wort .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815605500

Obwohl Frau Lindholz so eindeutig für die Einhaltung

von Regeln ist, scheint sie selber sie besonders leger aus-
zulegen .

Frau Lindholz, Sie haben gerade gesagt, Sie wollten
von den Flüchtlingen jetzt auch ein bisschen mehr Inte-
grationsbereitschaft verlangen . Wären Sie bereit, jedem
Geflüchteten und nicht nur den Geflüchteten aus vier
Ländern einen Rechtsanspruch auf einen Integrations-
kurs einzuräumen?


(Beifall der Abg . Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das Entscheidende ist doch, dass sich die Leute in-
tegrieren wollen, wir aber die Integrationskapazitäten
nicht zur Verfügung stellen . Deshalb ist es doch politi-
scher Klamauk für den Stammtisch und für das AfD-Pu-
blikum, wenn Sie hier neue Pflichten gerieren, statt den
Leuten die Chance zu geben, sich zu integrieren, Deutsch
zu lernen und unsere Werte kennenzulernen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1815605600

Ich bedanke mich ausdrücklich für diese Zwischenfra-

ge; ich kann Ihnen damit ausführlicher antworten . Sehen
Sie, das ist genau der Unterschied zwischen Ihnen und
uns . Sie würden am liebsten jedem, der hierherkommt,
von Anfang an das volle Integrationsprogramm zubilli-
gen .


(Beifall bei der LINKEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutsch zu lernen, hat noch niemandem geschadet! Die deutsche Sprache wird weltweit unterbewertet! Da bin ich Patriot!)


Wir sagen: Wir müssen klar unterscheiden zwischen den-
jenigen, die einen Schutzanspruch haben, Herr Kollege
Beck, und denjenigen, die keinen Schutzanspruch haben .
Dazwischen werden wir auch weiterhin unterscheiden
müssen, weil nach wie vor ungefähr jeder dritte Asylan-
trag unberechtigt ist . Ich möchte den Menschen nicht das
Signal geben, sie könnten dauerhaft hierbleiben,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist es schlecht, wenn sie Deutsch können, wenn sie nach Hause zurückkehren? Sie können deutsche Gebrauchsanweisungen lesen!)


sondern ich will ihnen das Signal geben, dass sie zurück-
müssen . Deutschland kann nicht alle Flüchtlinge dieser
Welt aufnehmen, erst recht nicht die ohne einen An-
spruch nach dem Asylgesetz und nach der Genfer Flücht-
lingskonvention .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alle 5 Milliarden nehmen wir auf!)


Andrea Lindholz






(A) (C)



(B) (D)


Herr Kollege Beck, sagen Sie doch einfach, Sie würden
gern die Türen aufmachen und alle hereinlassen!


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alle!)


Dann erklären Sie den Bürgerinnen und Bürgern, wie
wir Millionen von Menschen in diesem Land integrieren
wollen!

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815605700

Damit schließe ich die Aussprache in dieser Debatte .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/7538, 18/7537 und 18/7549 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen . – Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so
beschlossen .

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 18:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe (17 . Ausschuss)


zu dem Entwurf des EU-Jahresberichts 2014
über Menschenrechte und Demokratie in der
Welt
Ratsdok. 9593/15

Drucksachen 18/5982 Nr. A.47, 18/7552

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Daher gehe ich auch hier davon aus,
dass Sie alle damit einverstanden sind . Dann ist das so
beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem
Redner für die Bundesregierung Herrn Staatsminister
Michael Roth das Wort .


Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1815605800

Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Jahresbericht der Europäischen Union über Men-
schenrechte und Demokratie in der Welt sagt schon eine
ganze Menge über das Selbstverständnis der EU aus .
Wir verstehen uns eben nicht als ein reiner Binnenmarkt,
sondern wir sind vor allem eine Wertegemeinschaft .
Grundwerte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, kultu-
relle und religiöse Vielfalt sowie vor allem Minderhei-
tenschutz müssen wir nicht nur bei uns in Europa vor-
leben, sondern wir setzen uns auch dafür ein, dass diese
Werte weltweit Bestand haben .

Auch wenn der Bericht nicht mehr ganz druckfrisch
ist, so ist er doch in vielen Teilen unvermindert aktuell .
Dass Menschenrechte an vielen Orten dieser Welt miss-
achtet, gebrochen, verletzt werden, ist leider auch in
diesem Jahr, in diesen Stunden traurige Realität . Unser
gemeinsames Engagement, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, bleibt also weiterhin dringend geboten .

Deshalb setzen wir uns mit unseren europäischen
Partnern auf vielfältige Art und Weise für die Menschen-
rechte ein . Wir tun dies bilateral in politischen Gesprä-
chen, in Menschenrechtsdialogen und in vertrauensvoller
Zusammenarbeit mit vielen Nichtregierungsorganisatio-
nen in aller Welt . Wir tun dies aber auch in den multilate-
ralen Gremien: in den Vereinten Nationen, im Europarat
und – in diesem Jahr möchte ich das ganz besonders er-
wähnen – in der OSZE .

Wir nutzen bei unserer Menschenrechtspolitik den
ganzen Instrumentenkasten: mal mit deutlichen, offenen
Worten, beispielsweise in Resolutionen des Menschen-
rechtsrats, die Missstände klar benennen und notfalls
auch Sanktionen nach sich ziehen, und in anderen Fällen
suchen wir eher das direkte Gespräch hinter verschlosse-
nen Türen . Wir gehen dabei stets so vor, wie es die be-
sondere Lage erfordert und wie wir den Betroffenen am
besten helfen können; denn unser oberster Leitsatz ist:
Wir wollen denjenigen, die wir vor Menschenrechtsver-
letzungen schützen wollen, keinen Schaden zufügen .

Das Auswärtige Amt ist das Menschenrechtsminis-
terium . Aber eines ist auch klar: Wir sind keine Nicht-
regierungsorganisation wie Amnesty International . Uns
darf es nicht darum gehen, mit plakativen Kampagnen
möglichst viel öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen;
auch das ist wichtig . Opfern von Menschenrechtsver-
letzungen nachhaltig zu helfen, gelingt aber nur selten
mit dem Lautsprecher, sondern eher im vertraulichen
Gespräch . Dafür müssen wir auch mit den schwierigen
Partnern reden: mit China, Russland, Iran, Saudi-Arabien
und derzeit auch mit der Türkei . Beziehungen abbrechen,
Reisen absagen, Belehrungen über die heimischen Me-
dien erteilen, ja, das ist einfach . Aber wer glaubt, dass
Außenpolitik so funktioniert, der irrt .

Wenn wir wirklich etwas bewirken wollen, wenn wir
tatsächlich politische Prozesse anstoßen wollen, dann
gelingt das nur, wenn wir miteinander reden . Das ge-
meinsame Auftreten und Handeln mit unseren Partnern
und Freunden in der Europäischen Union und durch den
Europäischen Auswärtigen Dienst ist sehr wichtig; denn
nur, wenn wir geschlossen auftreten, können wir etwas
erreichen und werden wir auch ernst genommen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im vergangenen
Jahr hatte unser Botschafter Rücker in Genf den Vorsitz
im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen . Wir ha-
ben damit an sehr sichtbarer Stelle Verantwortung über-
nommen und in einem zunehmend polarisierten Umfeld
unseren Ruf als Brückenbauer gefestigt . Einer unserer
Schwerpunkte war dabei die engere Beteiligung der Zi-
vilgesellschaft an der Arbeit des Menschenrechtsrats .
Ich weiß, dass das unsere Menschenrechtspolitiker und
-politikerinnen hier in besonderer Weise umtreibt; denn
weltweit werden zivilgesellschaftliches Engagement zu-
nehmend eingeschränkt und Menschenrechtsverteidiger
eingeschüchtert. Die Mittel sind perfide, und sie sind
teilweise erbärmlich . Sie fangen bei restriktiver Gesetz-
gebung zur Finanzierung von Nichtregierungsorganisati-
onen an und reichen bis zu willkürlichen Inhaftierungen
oder gar Entführungen im Ausland .

Andrea Lindholz






(A) (C)



(B) (D)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Thema möchte
ich hier erwähnen, das nicht nur mir, sondern auch vie-
len anderen besonders am Herzen liegt; es taucht auch
im Bericht der EU prononciert auf . Es ist die Lage der
LGBTI, der Schwulen und Lesben . Es ist beschämend: In
mehr als 70 Staaten auf der Welt werden Lesben, Schwu-
le, Bisexuelle, Transgender-Personen und Intersexuelle
immer noch strafrechtlich verfolgt. Häufig drohen ihnen
lange Haftstrafen – und in einigen Staaten in Afrika und
in der arabischen Welt sogar das Todesurteil .

Doch lassen wir uns von diesen furchtbaren Nachrich-
ten nicht entmutigen! Über die vergangenen Jahrzehnte
gab es in vielen Ländern beeindruckende Fortschritte
bei der Durchsetzung der Menschenrechte von LGBTI .
Wer hätte denn vor ein paar Jahren wirklich gedacht,
dass Länder wie Brasilien, Argentinien oder Südafrika
mit den skandinavischen Ländern gleichziehen und die
gleichgeschlechtliche Ehe einführen?

Die Bundesregierung setzt sich weltweit für
LGBTI-Rechte ein, mit öffentlichkeitswirksamen Pro-
jekten ebenso wie in Gesprächen mit Regierungen und
vor allem mit der Zivilgesellschaft . Auf vielen meiner
Reisen begegne ich Vertreterinnen und Vertretern der
LGBTI-Gruppen, die mir von Gewalt, Verfolgung und
einem Leben in dauerhafter Angst berichten . Das erlebe
ich gerade dort, wo sexuelle Minderheiten noch viel stär-
ker unter Druck stehen als hierzulande, wie in der Türkei,
in Bulgarien oder auf dem westlichen Balkan .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht zuletzt
angesichts der politischen Entwicklung der vergange-
nen Jahre, insbesondere des wachsenden islamistischen
Terrors, aber auch der wachsenden Islamfeindlichkeit in
Europa, werden wir uns der Religions- und Weltanschau-
ungsfreiheit weiter annehmen müssen . Die Bundesregie-
rung wird dem Bundestag im Sommer einen Bericht dazu
vorlegen . Die Formen der Unterdrückung des Rechts auf
Religions- und Weltanschauungsfreiheit sind vielfältig .
Dabei ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
doch ganz eindeutig: Jeder hat das Recht auf Gedanken-,
Gewissens- und Religionsfreiheit . Dieses Recht schließt
eben auch die Freiheit ein, seine Religion bzw . Weltan-
schauung zu wechseln oder auch gar keiner Religion
mehr angehören zu wollen . Diese Freiheit gilt für Chris-
ten, Juden, Muslime genauso wie für andere Menschen,
und sie gilt eben auch weltweit .

Wir können die Werte im Ausland nur dann glaubwür-
dig einfordern, wenn wir sie auch zu Hause strikt achten .
Es reicht eben nicht, wenn Menschenrechte nur auf dem
Papier Bestand haben . Sie müssen im täglichen Mitei-
nander gepflegt und verteidigt werden. In einer offenen,
liberalen Gesellschaft ist das nicht nur die Kür, sondern
auch die Pflicht für jeden von uns. Menschenrechte sind
eben kein generöses Geschenk, das man irgendjeman-
dem einmal so mit auf den Weg geben kann .

Menschenrechte sind eine unverhandelbare Grundla-
ge unseres Zusammenlebens . Dafür stehen wir ein . Ich
gebe zu: Das ist nicht immer ganz einfach . Aber es ist
vor allem auch für die Europäische Union unerlässlich,
wenn wir das bleiben wollen, was wir immer waren: eine
Wertegemeinschaft .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815605900

Nächste Rednerin ist die Kollegin Annette Groth für

die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Annette Groth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815606000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-

be Zuhörerinnen auf der Tribüne! Herr Roth, Sie haben
leider vergessen, die Europäische Menschenrechtskon-
vention zu erwähnen; denn die EU ist vertraglich ver-
pflichtet, dieser Europäischen Menschenrechtskonven-
tion beizutreten . Aber der Prozess wird blockiert – erst
von den Mitgliedstaaten und jetzt vom Europäischen
Gerichtshof . Was heißt das? Es gibt derzeit und auch in
absehbarer Zukunft keinen individuellen Rechtsschutz
gegen Menschenrechtsverletzungen durch EU-Organe .
Das muss wirklich dringend korrigiert werden . Ich bitte
Sie: Setzen Sie sich dafür ein!


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist nicht neu, dass der EU-Menschenrechtsbericht
insbesondere die Menschenrechtsverletzungen außerhalb
der EU anprangert . Dagegen werden die Menschenrechts-
verletzungen in den EU-Mitgliedstaaten weithin unter
den Tisch gekehrt . Das nenne ich heuchlerisch . Heute
sind in nahezu allen EU-Staaten Armut, Ausgrenzung
und Arbeitslosigkeit für viele Menschen Realität . Allein
in Griechenland sind mehr als 3,5 Millionen Menschen
direkt von Armut bedroht . Über 20 Prozent der Kinder
und älteren Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze .
Das ist doch ein Skandal im reichen Europa .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer grö-
ßer, weil das neoliberale Wirtschaftssystem einige weni-
ge bevorteilt – zum Beispiel Banken und Großkonzer-
ne – und andere – die Mehrheit, wie Kleinbäuerinnen,
Rentnerinnen und Arbeitnehmerinnen – stark benachtei-
ligt . Auch das muss geändert werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, an mehreren Stel-
len des Menschenrechtsberichts ist von Flüchtlingen die
Rede – wir hatten gerade die Debatte dazu –, aber kein
Wort davon, dass 2014 über 3 400 Menschen im Mittel-
meer ertrunken sind, weil sie in die EU wollten . Das ist
doch der große Skandal vor unserer eigenen Tür, der sich
seit der Zeit immer weiter verschlimmert hat . Seit dem
Jahr 2000 sind mindestens 25 000 Menschen im Mittel-
meer gestorben . Das ist entsetzlich . Es wird so weiterge-
hen, wenn wir keine legalen Einreisemöglichkeiten in die
EU schaffen .


(Beifall bei der LINKEN)


Das Dublin-System muss endlich durch eine soli-
darische Flüchtlingspolitik ersetzt werden . Stattdessen
werden immer neue Polizei- und Militäreinsätze zur
Flüchtlingsbekämpfung beschlossen, als könnte die Be-

Staatsminister Michael Roth






(A) (C)



(B) (D)


kämpfung von Schleppern oder die Zerstörung von Boo-
ten die Flüchtlinge davon abhalten, über das Meer zu uns
zu kommen . Wir brauchen legale und sichere Fluchtwege
und Einreisemöglichkeiten . Das ist eine Forderung, die
die Linke schon lange stellt .


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt werden an den EU-Außengrenzen „Hotspots“
eingerichtet. In ihnen wird eine Klassifizierung der Ge-
flüchteten in „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge vorge-
nommen. Ziel dieser Klassifizierung ist, viele daran zu
hindern, überhaupt zu uns zu kommen . Aber wohin sol-
len sie denn gehen? In meiner Funktion als Berichterstat-
terin für den Europarat war ich letzte Woche im Libanon
und in Jordanien . Diese beiden Länder haben, wie allge-
mein bekannt, die meisten Geflüchteten aus Syrien auf-
genommen . Viele Flüchtlinge leiden an Hunger, weil die
Nahrungsmittelversorgung aufgrund fehlender Gelder
nicht ausreicht . Ich habe gerade viele Frauen getroffen,
die sichtlich unterernährt waren . In den letzten beiden
Wochen eines Monats reicht das Geld von der internatio-
nalen Gemeinschaft nur noch für Brot . „Wir haben Hun-
ger“, haben mir viele gesagt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es um die so-
genannte Abwehr der Flüchtlinge geht, scheint für die
EU die Einhaltung der Menschenrechte keine Rolle zu
spielen . Das zeigt sich insbesondere an der unerträgli-
chen Taktiererei mit dem türkischen Ministerpräsidenten
Erdogan . Jetzt soll die deutsche Polizei sogar mit der tür-
kischen bei der Fluchtabwehr zusammenarbeiten . Skan-
dalös!

Erdogan führt einen furchtbaren Krieg gegen die eige-
ne Bevölkerung, insbesondere gegen die Kurdinnen und
Kurden, und er schiebt sogar Flüchtlinge nach Syrien ab .
Wissen Sie, dass in etlichen kurdischen Gebieten seit Wo-
chen ein 24-stündiges Ausgehverbot besteht? Das heißt,
Menschen erhalten keine medizinische Versorgung, kön-
nen nicht einkaufen . Teilweise ist die Wasser- und Strom-
versorgung unterbrochen . Das ist ein Verbrechen, das wir
wirklich lautstark anprangern müssen!


(Beifall bei der LINKEN)


Darum empfinde ich es mehr als schändlich, dass der
Türkei Visaerleichterungen für türkische Staatsangehöri-
ge und 3 Milliarden Euro als Belohnung für die Flücht-
lingsabwehr versprochen wurden . Stattdessen sollten
wir Druck auf die türkische Regierung ausüben und sie
nachdrücklich auffordern, die Kampfhandlungen und die
extralegalen Hinrichtungen, die es auch gibt, sofort ein-
zustellen und den Dialog mit den Kurdinnen und Kurden
wieder aufzunehmen .


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie bei der Tür-
kei werden die Menschenrechtsverletzungen, die auch
von anderen EU-Partnern begangen werden, teilwei-
se schweigend hingenommen . So werden im aktuellen
EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 Projekte
der EU-Sicherheitsforschung gemeinsam mit Israel be-
trieben und finanziert, obwohl Israel massiv Menschen-
rechtsverletzungen in den palästinensischen Gebieten
begeht . Israelische Rüstungsunternehmen, die von der

Besatzungspolitik im großen Stil profitieren und dazu
beitragen, werden im Rahmen von Horizon 2020 geför-
dert . So sind auch wir mit unseren europäischen Steuer-
geldern an den Menschenrechtsverletzungen in der Re-
gion beteiligt .

Viele NGOs und kirchliche Organisationen fordern
darum schon seit Jahren die Aussetzung des EU-Isra-
el-Assoziierungsabkommens, das in Artikel 2 alle Ver-
tragspartner zur Einhaltung der Menschenrechte ver-
pflichtet. Wir machen uns mitschuldig, wenn wir zu
diesen Menschenrechtsverletzungen in Israel/Palästina
schweigen . Wir sollten wirklich alles versuchen, dieses
EU-Assoziierungsabkommen mit Israel auszusetzen .


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist das völlig falsche Signal!)


– Das wäre das richtige Signal! Das hatten wir schon ein-
mal bei Sri Lanka .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir unterstützen
ausdrücklich die Aussagen im Bericht zur Todesstrafe .
Die Linke fordert seit vielen Jahren die Bundesregierung
auf, sich in allen Gesprächen mit Staaten, die die Todes-
strafe verhängen, klar für ihre Abschaffung einzusetzen .
Doch stattdessen scheinen wirtschaftliche Interessen im-
mer mehr vor Menschenrechte gestellt zu werden . Die
Waffenlieferungen an Saudi-Arabien sind dafür ein be-
sonders krasses Beispiel; sie sollten sofort aufhören .


(Beifall bei der LINKEN)


Nicht erwähnt wird der völkerrechtswidrige Einsatz
von Kampfdrohnen zur Tötung von Menschen . Seit vie-
len Jahren verletzen die USA die Souveränität anderer
Staaten und bringen Menschen durch Kampfdrohnen
um, ohne Anklage, ohne Gerichtsurteil und ohne den
Betroffenen die Möglichkeit zu geben, sich zu verteidi-
gen . Besonders skandalös ist, dass für dieses Morden die
US-amerikanischen Stützpunkte in Deutschland miss-
braucht werden . Die US-Basis in Ramstein spielt dabei
eine besonders große Rolle .

Nicht genug: Jetzt will die Bundesregierung auch
noch waffenfähige Drohnen anschaffen . Will sie sich
an diesen völkerrechtswidrigen Morden beteiligen, oder
wozu brauchen wir überhaupt Kampfdrohnen?


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist eine üble Unterstellung, die Sie hier machen, Frau Kollegin!)


Das ist eine echte Frage, auf die ich eine Antwort haben
möchte .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fordern seit
langem die Bundesregierung auf, sich für eine grund-
legende Weiterentwicklung des EU-Menschenrechtsbe-
richts einzusetzen . Wir erwarten, dass in einem solchen
Bericht auch die Menschenrechtsverletzungen aufgrund
der EU-Handels- und Finanzpolitik sowie der Waffenex-
porte der EU-Mitgliedstaaten klar benannt werden . So-
lange aber mit zweierlei Maß gemessen wird und unsere
geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen im Vor-
dergrund stehen, ist es um die Menschenrechte nicht gut
bestellt . Das müssen wir alle zusammen ändern .

Annette Groth






(A) (C)



(B) (D)


Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815606100

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin

Erika Steinbach .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Erika Steinbach-Hermann (Plos):
Rede ID: ID1815606200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau
Kollegin Groth, Ihre einseitige Sicht auf den Staat Israel
hat schon etwas Unanständiges .


(Annette Groth [DIE LINKE]: Einer muss es ja machen! Sonst wird ja nicht darüber geredet!)


Man mag nicht alles für richtig halten; aber Ihre Kritik ist
zu plakativ und zu einseitig . Das möchte ich einmal ganz
deutlich sagen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der EU-Jahresbericht 2014 über Menschenrechte und
Demokratie in der Welt zeigt das Engagement der Eu-
ropäischen Union für Menschenrechte auch außerhalb
unserer eigenen Grenzen und macht auch die Fülle von
Initiativen und das Engagement deutlich, mit denen die
Europäische Union für Menschenrechte eintritt . Aber der
Bericht zeigt auch – das ist für den, der es sehen will, deut-
lich erkennbar –, dass sich die menschenrechtspolitischen
Herausforderungen, was Fluchtbewegungen in Richtung
EU anbelangt, bereits im Berichtszeitraum 2014 abge-
zeichnet haben . Diese Erkenntnisse haben leider seitens
der Europäischen Union nicht dazu geführt, rechtzeitig
politisch darauf zu reagieren und Vorsorgemaßnahmen
zu ergreifen . Man hat weggeschaut .

Heute haben wir – die vorangegangene Debatte hat
das deutlich gemacht – mit den Folgen dieser Unterlas-
sung der Europäischen Union in Form der Flüchtlings-
ströme zu tun und müssen in einer Situation, in der man
dem fast ausgeliefert ist, damit umgehen . Man hätte das
verhindern können . Da stellt sich schon die Frage, wa-
rum die Europäische Union weltweit agiert, aber nicht
die für sie selbst wichtigen, elementaren Schlüsse aus
ihren Erkenntnissen zieht, um diesen Kontinent, diese
Europäische Union letzten Endes zu schützen .

In Deutschland und auch in Europa ist die politische
Debatte in den vergangenen Monaten – das zeigt jede
Plenardebatte – von keinem anderen Thema so geprägt
worden wie von der aktuellen Flüchtlingskrise . Nach
den Zahlen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Na-
tionen sind weltweit inzwischen mehr als 60 Millionen
Menschen auf der Flucht vor Gewalt, vor Krieg, vor
Armut und massiven Menschenrechtsverletzungen wie
zum Beispiel den Terroraktionen des sogenannten „Is-
lamischen Staates“ . Aber wir wissen auch – das zeigen
Studien –, dass bei 400 Millionen Menschen der Wunsch

vorhanden ist, sich auf den Weg zu machen . Sie sitzen
geistig sozusagen auf gepackten Koffern .


(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn sie welche haben!)


Wir wissen das, und darauf muss man auch reagieren .

Noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wur-
den so viele Menschen Opfer von Flucht, Vertreibung
und Armut wie in diesen Jahren . Über 1 Million dieser
Migranten sind im vergangenen Jahr allein zu uns nach
Deutschland gekommen . Die Aufnahme und Unterbrin-
gung so vieler Menschen in so kurzer Zeit stellt unsere
gesamte Gesellschaft vor gigantische Herausforderung-
en . Wir können den vielen ehrenamtlichen Helfern im-
mer wieder nur ganz herzlich danken . Sie leisten Her-
vorragendes .


(Beifall der Abg . Anette Hübinger [CDU/ CSU])


Die Integration all derer, die eine Bleibeperspektive
haben, wird eine ungleich noch größere Aufgabe sein als
das pure Unterbringen .


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr!)


Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf, das ist der ein-
fachere Teil der Situation . Hätte die Europäische Union
die Kenntnisse, die im vorliegenden Bericht nachzulesen
sind, rechtzeitig in Handlungen und konkrete Maßnah-
men umgesetzt, wäre die jetzige akute Massenwande-
rung in Richtung Europa wahrscheinlich so gar nicht
nötig gewesen . Man hätte den Menschen vor Ort Essen
und Trinken in ausreichendem Maße geben können . Sie
haben recht, Frau Groth, wenn Sie darauf hinweisen, dass
die Mittel nicht bereitgestellt worden sind .

Viele der Ankommenden sind in autoritären, patriar-
chalischen Gesellschaften aufgewachsen und geprägt
worden . Die massiven Menschenrechtsverletzungen, mit
denen wir uns im Menschenrechtsausschuss permanent,
immer und immer wieder auseinandersetzen müssen –
sie spiegeln sich auch im EU-Menschenrechtsbericht wi-
der –, haben das Leben und den Alltag dieser Menschen
in ihren jeweiligen Herkunftsländern bestimmt und ge-
prägt . Gerade vor diesem Hintergrund muss der Werteka-
non unseres Grundgesetzes die unverhandelbare Grund-
lage für jede Integration sein . Zentrale Freiheitsrechte
wie die Religions- und die Meinungsfreiheit, die Rechte
Homosexueller, aber auch die Gleichstellung von Mann
und Frau, das muss den Ankommenden vermittelt wer-
den . Wir müssen das am Ende durchsetzen, auch durch-
setzen wollen und nicht – laissez faire – sagen: Jeder soll
so leben, wie er es aus seinem Herkunftsland gewohnt
ist . Das ist keine einfache Aufgabe .

Wir müssen heute selbstkritisch feststellen, dass es in
den vergangenen Jahrzehnten leider nicht ausreichend
gelungen ist, eine wirkliche Integration aller bisherigen
Zuwanderer in unsere deutsche Gesellschaft zu errei-
chen . Gerade in der zweiten und dritten Generation mus-
limischer Familien zeichnen sich aktuell sogar Rück-
schritte ab, was man eigentlich nicht für möglich hält .
Das hat eine repräsentative Studie des Wissenschafts-

Annette Groth






(A) (C)



(B) (D)


zentrums Berlin für Sozialforschung unter der Leitung
des Soziologen Ruud Koopmans ergeben . Er hat einen
Forschungsbericht über religiösen Fundamentalismus in
sechs westeuropäischen Ländern, darunter auch Deutsch-
land, erstellt . Nach diesem Bericht ist fast die Hälfte der
Muslime, die in diesen sechs europäischen Ländern le-
ben, der Auffassung, dass es nur eine gültige Auslegung
des Korans gibt, dass Muslime zu den Wurzeln ihrer Re-
ligion zurückkehren sollen und dass religiöse Gesetze
wichtiger sind als weltliche . Diesen Befund für Europa
halte ich für besorgniserregend .

Deutliche Integrationsdefizite zeigen sich hier bei uns
in Deutschland auch in der Zunahme einer gewachsenen
Paralleljustiz . Sie entsteht überall dort, wo auf Stam-
mes- und Clanstrukturen zurückgegriffen werden kann,
nicht nur im Bereich des Zivil- und Strafrechts, sondern
vermehrt auch im Bereich der Familiengerichtsbarkeit .
Das steht in weiten Teilen im Widerspruch zu unserem
Grundgesetz und zu unserem Familienrecht . Die kras-
sesten Abweichungen sind hier die Missachtung des
Heiratsfähigkeitsalters bei Kinderehen, die es hier in
Deutschland gibt – sie werden abseits unserer normalen
Regularien geschlossen –, die Vielehen und die Duldung
von Zwangsehen . Experten schätzen den Anteil soge-
nannter Imam-Ehen hier in Deutschland auf mindestens
10 bis 20 Prozent .

Die zusätzliche Aufnahme von 1 Million Zuwanderern
aus stark autoritären, patriarchal geprägten muslimischen
Staaten stellt unsere Gesellschaft vor eine umso größere
integrationspolitische Herausforderung . Wichtig ist gera-
de vor dem Hintergrund dieser starken Zuwanderung aus
diesen Kulturkreisen – das sind ja sehr unterschiedlich
strukturierte Gegenden – die offensive Einforderung der
Anerkennung und Befolgung deutscher Gesetze . Das ist
eine zentrale Integrationsherausforderung .

Mit Blick auf die aktuelle Flüchtlingskrise muss uns
allen eines bewusst sein: Integration kann jetzt nur dann
erfolgreich sein, wenn es gelingt, die Zahl der ankom-
menden Flüchtlinge und Migranten deutlich zu reduzie-
ren . Nur dann besteht auch eine Chance, die bislang An-
gekommenen in unsere Gesellschaft zu integrieren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Warum sage ich das? An die Europäische Union müs-
sen wir die Forderung richten, weitsichtiger und verant-
wortungsvoller als bislang gewonnene Erkenntnisse in
politisches Handeln umzusetzen . Die Europäische Uni-
on muss, um diese Zuwanderung zu bewältigen – sie ist
schwer zu bewältigen, auch bei allerbestem Willen; und
der gute Wille ist in Deutschland ja erkennbar –, jetzt mit
der Afrikanischen Union in einen permanenten, dauer-
haften Dialog eintreten . Sie muss das tun, um den Men-
schen in Afrika eine Zukunftsperspektive zu geben und
die Afrikanische Union nicht aus ihrer Verantwortung zu
entlassen. Das ist ein Defizit der Europäischen Union.
Dieses Defizit hat auch dazu geführt, dass wir in der heu-
tigen Lage sind . Im Interesse Europas, aber auch Afrikas,
aber insbesondere im Interesse der Menschen – die meis-
ten möchten ja gerne in ihrer Heimat bleiben – braucht es
diesen offensiven Dialog .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815606300

Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege Tom

Koenigs für Bündnis 90/Die Grünen .


Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815606400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Es ist Freitagmittag . Da kann man über alles reden:
Europäische Union, Afrikanische Union, Paralleljustiz .
Das zeigt ein bisschen, wie beliebig das Thema genom-
men wird . Der Bericht, der der Diskussion heute zugrun-
de liegt, ist auch relativ beliebig . Das Unbehagen, das
man in einer solchen Diskussion hat, liegt daran, dass
der Entschließungsantrag eigentlich auch beliebig ist . Da
wird von allem ein bisschen geredet, über das, was wirk-
lich ist, wird aber nicht geredet .


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Oberlehrerhafte Abqualifikation!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1815606500

„Das Auswärtige Amt ist das Menschenrechtsministe-
rium .“ Wie eine menschenrechtsgeleitete Außenpolitik
eigentlich aussehen sollte, könnte und müsste, steht aber
leider weder in dem Bericht der Kommission von 2014
noch in dem Entschließungsantrag . Auch in Ihrer Rede
haben Sie nicht gesagt, ob es wirklich eine Perspektive
für die deutsche auswärtige Politik ist, das in den Mittel-
punkt zu stellen .


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jetzt sagen Sie einmal etwas mit Substanz, Herr Kollege!)


Der Bericht befasst sich leider nicht mit den Staaten
der Europäischen Gemeinschaft selbst, sondern richtet
sich nur nach außen . Gut, das kann man machen; aber
man muss dann auch der Kohärenz wegen sagen: Passt
das denn zu dem, was wir in unseren Mitgliedstaaten ma-
chen, was die Europäische Kommission den Mitglied-
staaten abfordert? Oder wird irgendetwas über die Per-
formance, über den Umgang mit früheren Empfehlungen
gesagt? Dazu gibt es eigentlich nichts . In dem Antrag,
den Sie vorgelegt haben, wird behauptet, Menschenrech-
te gewinnen ein immer größeres Gewicht in der Europä-
ischen Gemeinschaft .


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist unsere Auffassung, Herr Kollege!)


Stimmt das eigentlich?


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Na klar, stimmt das!)


Stimmt das eigentlich, dass wir da als Menschenrecht-
ler sozusagen auf dem Vormarsch sind? Wenn man sich
ansieht, dass es auf der Welt Organisationen wie Boko
Haram oder ISIS gibt, die sich explizit auf ihre schwarzen
Fahnen geschrieben haben: „Wir sind gegen Menschen-
rechte; wir kämpfen gegen die Menschenrechte“, dann
kann man eigentlich nicht sagen, dass man Fortschritte

Erika Steinbach






(A) (C)



(B) (D)


gemacht hätte . Ich glaube eher, dass wir in einer Abwehr-
schlacht sind – wenn man das so militärisch sieht .


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist eine zutreffende Analyse! Dass die Einsicht auch bei Ihnen eintritt, ist gut!)


Gegen Boko Haram und ISIS ist bisher übrigens nur et-
was Militärisches erfunden worden . Wie man damit men-
schenrechtlich umgeht? Ich weiß es nicht .

Im Antrag steht, die Menschenrechtspolitik der EU sei
„kohärenter und effizienter“ geworden. Es wäre schön,
wenn das so wäre .


(Zuruf von der CDU/CSU: Auch zutreffend!)


Wenn Sie die Effizienz überhaupt prüfen würden,
müssten Sie die Instrumente mit dem, was erreicht wor-
den ist, vergleichen . Ein Instrument, auf das Sie sich
auch in Ihrem Antrag intensiv beziehen, sind die 37 Men-
schenrechtsdialoge . Helfen sie eigentlich etwas? Hat ein-
mal jemand eine Analyse gemacht, was diese Menschen-
rechtsdialoge wirklich bringen?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Staatssekretär hat gesagt, man verhandele lieber
hinter geschlossenen Türen . Die Menschenrechtsdialoge
sind öffentlich . Bringen sie irgendetwas?


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sind Sie nun gegen die Menschenrechtsdialoge, oder sind sie ein gutes Instrument? Ich verstehe Ihre Position nicht!)


Haben andererseits die ganz starken Mittel, die Sanktio-
nen, jemals etwas gebracht für die Menschenrechte, oder
bringen sie wirklich etwas? Was ist da erreicht worden?

Der Bericht bringt leider auch keine Projektevaluie-
rung . Die Europäische Gemeinschaft hat auch keine In-
stitution, um Menschenrechtsprojekte zu evaluieren .


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die EU ist insbesondere eine Menschenrechtsorganisation – Freiheit, Frieden!)


Aber ist es nicht eigentlich so, dass die wirklich har-
ten Instrumente der Menschenrechtspolitik, Sanktionen,
immer nur genutzt worden sind, wenn es um geostrategi-
sche Machtpositionen ging, etwa in der Ukraine, in Syri-
en, aber auch beim gemeinsamen Standpunkt Kuba?

Ich frage mich auch: Ist bei der Kampagne gegen die
Todesstrafe das, was wir da machen, eigentlich effektiv?
Bringt das irgendetwas? Denken wir darüber nach, wel-
che Auswirkungen das eigentlich hat?

Das Europaparlament hat in seiner Entschließung – in
Ihrer ist das leider nicht der Fall – zu Recht gesagt, eine
bessere Übersicht über die Auswirkungen der EU-Maß-
nahmen sowie über die erzielten Fortschritte wäre sinn-
voll . Übrigens: Die Entschließung des Europaparlaments
ist sehr viel gehaltvoller als das, was hier gesagt wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schließlich zur Kohärenz: Ist die europäische Politik
kohärent mit dem, was über Menschenrechte gesagt wird,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Noch eine Frage! Sagen Sie doch mal, was Sie machen wollen!)


zum Beispiel die Fischereipolitik mit dem Kampf gegen
den Hunger? Oder die Handels- und Freihandelspolitik
mit dem Transparenzgebot? Nehmen wir nur einmal
TTIP: Ist das eigentlich ein kohärentes Verfahren? Oder
sind die Menschenrechte vielleicht nur Zierrat von einer
anderen, sehr viel wichtigeren Politik?

Ich sehe bei der Europäischen Gemeinschaft, bei der
gemeinsamen europäischen Außenpolitik, leider nicht
diese Kohärenz, auch nicht die Leitfunktion, die bei der
Wertedebatte immer wieder genannt wird .

Wenn man dann nach innen schaut, sieht man – da
bröckelt es an allen Stellen; das ist wirklich des Berichtes
wert – das Vordringen von menschenrechtsfeindlichen
Gruppen und von nationalistischen Parteien. Wo findet
sich noch das Diskriminierungsverbot in Ungarn oder bei
Parteien wie der Le-Pen-Partei, Front National? Das ist
eine Partei, die sich auf Diskriminierungen aufbaut, die
AfD ebenfalls . Diese Bewegungen entstehen gegen das
Diskriminierungsverbot .

Es geht aber auch um solche Tendenzen wie in Groß-
britannien, das nicht nur irgendwann vielleicht aus der
EU austreten will, sondern sich auch nicht mehr den
Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschen-
rechte unterwerfen will . Auch das sind Tendenzen, die
die Europäische Kommission in ihrem Bericht eigentlich
betrachten würde .

Deshalb würde ich mir wünschen, dass der nächste
Bericht den Blick nach innen und nach außen wendet,
auf Effizienz und Kohärenz wirklich Wert legt und sich
darüber Gedanken macht, kritisch bei den Ursachen und
Wirkungen ist, Maßnahmen evaluiert und die Mitglied-
staaten in die Pflicht nimmt. Das wäre ein Bericht, der
dann auch der breiteren Diskussion an einem schönen
Donnerstagmittag mit einer Beteiligung von mehr als
36 Kolleginnen und Kollegen wert wäre . Ich hoffe, dass
wir bei das beim nächsten Bericht über 2015 haben wer-
den .

Dass der Bericht die gesamte Flüchtlingsfrage über-
haupt nicht erwähnt, ist bedauerlich . Anderseits: Ihr
Entschließungsantrag, den Sie vorlegen, ist so „mother-
ly love and apple pie“, dass man gar nicht dagegen sein
kann .


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Beifall des Abg . Jörn Wunderlich [DIE LINKE] – Erika Steinbach [CDU/CSU]: Apple Pie ist süß!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815606600

Nächste Rednerin ist die Kollegin Angelika Glöckner,

SPD .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Tom Koenigs






(A) (C)



(B) (D)



Angelika Glöckner (SPD):
Rede ID: ID1815606700

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Menschenrechtsverletzungen von
heute sind die Flüchtlingsströme von morgen; das wa-
ren vor wenigen Wochen meine Worte in diesem Hohen
Hause . Vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlings-
bewegungen, glaube ich, hat dieser Satz an Aktualität
nichts verloren .


(Beifall bei der SPD)


Nach wie vor sind 60 Millionen Menschen weltweit
auf der Flucht . Freiheitsrechte haben in den letzten Jah-
ren weltweit stetig abgenommen . Mehr als die Hälfte der
Weltbevölkerung lebt noch immer unterdrückt und in
undemokratischen Regimen . Terror, Kriege und Gewalt
nehmen weltweit zu . Dies alles zeigt uns: Eine umfas-
sende Menschenrechtspolitik sowie der Einsatz für mehr
Demokratie in der Welt sind wichtiger denn je .


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Die grundlegenden Menschen- und Freiheitsrechte
bilden das Fundament einer Gesellschaft . Die EU muss
daher ihre Außenbeziehungen und ihre gesamte Politik
nach diesen Werten ausrichten . Deutschland hat sich
zudem in Artikel 21 des Vertrages über die Europäische
Union dazu verpflichtet. Ich befürworte es außerordent-
lich, dass wir heute über den uns vorgelegten EU-Jahres-
bericht aus dem Jahr 2014 debattieren – den Blick nach
vorne gerichtet, Herr Koenigs – und dass wir auch er-
kennen, wo Handlungsbedarfe sind . Ich glaube, niemand
hat heute gesagt, dass alles, was bisher getan wurde, in
Ordnung ist . Ich habe eher das Gefühl, dass viele ver-
sucht sind, einzuschätzen, wo wir etwas zum Besseren
verändern können .

Der Rechenschaftsbericht zeigt zunächst die vielen
Aktivitäten der Europäischen Union im Bereich der
Menschenrechtspolitik auf . Er schafft Transparenz . Er
vergleicht den Istzustand mit den gesteckten Zielen . Vor
allem aber bietet er eine sehr gute Diskussionsgrundlage
für die zukünftige Ausrichtung unserer Menschenrechts-
politik .

Die EU hat für Menschenrechte und Demokratieent-
wicklung vieles getan . Zu nennen ist beispielsweise das
große Engagement der Hohen Vertreterin Frau Federica
Mogherini in der Außenpolitik . Sie hat eigens einen Son-
derbeauftragten für die Europäische Union installiert,
der die Aufgabe hat, die Menschenrechtspolitik nach au-
ßen hin spürbarer und sichtbarer zu machen . Auch der
Ausbau der Menschenrechtsdialoge und der vielfältigen
Konsultationen sind Beispiele, die belegen, dass vieles
unternommen wird .

Was der Bericht aber auch zeigt, ist, dass wir uns noch
stärker auf die Umsetzung konkreter Ziele konzentrieren
müssen . Ziele zu beschreiben, ist ein erster wichtiger
Schritt . Die Ziele auch zu erreichen, wird ein weiterer
wesentlicher Schritt sein, den wir machen müssen . Ziel-
gerichtetes Agieren ist wichtig . Denn noch immer sind
viel zu viele Menschen von Hunger und größter Armut
betroffen . Noch immer werden Kinder gezwungen, mit
Waffen zu kämpfen oder als Kindersklaven zu arbeiten .

Noch immer werden Frauen unterdrückt; sie sind wehr-
los Willkür und Gewalt ausgesetzt . Hier muss die EU mit
ihrer Menschenrechtspolitik vorankommen . Daher muss
sie die Menschenrechte in ihre gesamten Wirtschafts-
und Handelsbeziehungen stärker einbeziehen .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Frank Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU])


Es ist zum Beispiel sehr wichtig, im Vorfeld von Han-
dels- und Investitionsabkommen Folgeabschätzungen
für die Menschenrechte vorzunehmen; das gilt auch mit
Blick auf TTIP . Natürlich erwarten wir für unsere Uni-
on auch immer positive Wachstumseffekte durch unsere
Handels- und Wirtschaftsaktivitäten mit Ländern außer-
halb der EU . Dies muss aber eng einhergehen mit der
Verbesserung der menschenrechtlichen Situation in an-
deren Ländern . Handelsabkommen sind und bleiben ein
wichtiges Instrument, das Armut und Unterdrückung in
einer globalisierten Welt zurückdrängen kann, wenn die-
se für die Ärmsten in der Welt positive Effekte hervor-
rufen .

Wichtig für ein effektives Handeln ist auch, dass sich
die Mitgliedstaaten und die EU in ihrem Handeln mitei-
nander abstimmen . Deshalb ist es gut, dass die EU ih-
ren Mitgliedstaaten verbindlich vorgibt, nationale Akti-
onspläne zu erstellen . Diese sind ein ganz wesentliches
Instrument zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für
Wirtschaft und Menschenrechte, die von allen Mitglied-
staaten der Europäischen Union garantiert werden .

Neben diesen nationalen Aktionsplänen gibt es wei-
tere Instrumente, zum Beispiel die Europäische Nach-
barschaftspolitik und die Entwicklungszusammenarbeit .
Nach dem Prinzip „Mehr für mehr“ werden hier Anreize
geschaffen . Wenn sich Partnerländer menschenrechts-
konform verhalten, werden sie bevorzugt behandelt . Ich
finde, es ist ein guter Ansatz, Anreizsysteme zu schaffen,
anstatt in der Hoffnung, dass irgendwo ein zartes Pflänz-
chen wächst, mit der Gießkanne zu verteilen . Daneben
muss das wirtschaftliche Betätigungsfeld in der globali-
sierten Welt mehr auf faire und rechtsbasierte Grundla-
gen gestellt werden .

Doch nicht nur die Nationalparlamente und die EU
tragen Verantwortung für die Entwicklung der Men-
schenrechte in der Welt, sondern gerade auch die welt-
weit agierenden Unternehmen können und müssen bei
ihrem globalen Handeln entscheidende Akzente setzen .

Das Europäische Parlament hat nunmehr die
CSR-Richtlinie zur sozialen Verantwortung von Unter-
nehmen verabschiedet . Mit der Umsetzung in nationales
Recht in allen EU-Mitgliedstaaten wird hier ein erster
wichtiger Schritt hin zu mehr Unternehmensverantwor-
tung vollzogen .

Es kann nicht angehen, dass Unternehmen in fernen
Ländern Kinder für einen Hungerlohn arbeiten und Men-
schen in baufälligen Gebäuden produzieren lassen sowie
auf Kosten der Umwelt und der Gesundheit der Men-
schen produzieren . Die Unternehmen werden sich mit ih-
ren Lieferketten auseinandersetzen müssen und können
sich nicht mehr hinter ihrer Unwissenheit verstecken . Sie






(A) (C)



(B) (D)


müssen in die Pflicht genommen werden, Verantwortung
für die Menschenrechte zu übernehmen .

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Instrumente
für die Stärkung von Menschenrechten stehen bereit . Es
gilt jedoch, sie auszubauen, aufeinander abzustimmen
und vor allem mit hinreichenden Ressourcen auszustat-
ten und intelligent zu nutzen . Wenn uns das gelingt, dann
haben wir für die Zukunft eine Chance, Hunger und man-
gelnder Gesundheitsversorgung, krankmachenden und
lebensbedrohenden Umwelteinflüssen und einem Leben
ohne Bildung und in Perspektivlosigkeit entgegenzuwir-
ken . Genau diese Umstände fördern fragile Gesellschaf-
ten und Strukturen und sind letztlich auch geeignet, wei-
tere Menschenrechtsverletzungen hervorzurufen und im
schlimmsten Fall sogar neue Flüchtlingsbewegungen in
Gang zu setzen, und das darf die EU und dürfen wir nicht
zulassen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass wir selbst
mit gutem Beispiel vorangehen müssen, wenn wir nach
außen etwas vorgeben . Wer die Befolgung von Freiheits-
rechten im Ausland fordert, der muss sie auch selbst
einhalten . Hier haben wir in einigen Mitgliedstaaten der
EU in den letzten Jahren einen deutlichen Nachholbedarf
gesehen .

Wenn man die Diskussionen in den letzten Tagen und
Wochen verfolgt hat – auch die aktuelle Diskussion über
den möglichen Austritt Großbritanniens aus der EU –,
dann hat man teilweise schon den Eindruck gewonnen,
dass die EU nichts anderes als eine Wirtschaftsgemein-
schaft ist . Die Europäische Union ist aber eben nicht nur
eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch ein gemein-
sames Wertegebilde . Zusammenhalt, Offenheit und To-
leranz gegenüber Neuem haben die Europäische Union
stark gemacht . Genau das sind die Werte, die uns nun
auch helfen können, die schwierigen Zeiten zu überwin-
den .

Eine erfolgreiche europäische Außenpolitik für mehr
Menschenrechte und Demokratie in der Welt hilft den
Menschen in der Welt und auch der EU und ihren Mit-
gliedstaaten, den Zusammenhalt zu stärken . Abschottung
und Intoleranz, wie von der AfD immer wieder propa-
giert, haben weder unser Land noch die EU erfolgreicher
gemacht .

Eine Welt mit mehr Menschenrechten und Demokratie
gibt es nur mit einer starken EU .


(Beifall des Abg . Steffen Kampeter [CDU/ CSU])


Ich bitte Sie deshalb um Ihre Zustimmung zur Beschluss-
empfehlung der Koalition .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Ihre Anregung werden wir gerne aufnehmen!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1815606800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Thorsten

Frei .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1815606900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Dass wir heute den EU-Jahresbericht 2014 über Men-
schenrechte und Demokratie in der Welt diskutieren, mag
in einer schnelllebigen und digitalisierten Welt geradezu
seltsam anmuten . Vieles davon ist ja Geschichte .

Andererseits, Herr Staatsminister, ist das aber eben
tatsächlich auch ein starkes Dokument und ein starker
Ausdruck dafür, dass Europa eben nicht nur eine Wirt-
schaftsgemeinschaft ist, sondern ganz im Gegenteil auch
eine wertegeleitete Gemeinschaft, in deren Mitglied-
staaten die Menschenrechte nicht nur Verfassungsrang
haben, sondern in der auch der Anspruch besteht, ein
Mindestmaß an Menschenrechten über den Kontinent
hinaus in der gesamten Welt durchzusetzen . Das ist der
wesentliche Punkt, um den es geht .

Wenn man sich den Bericht anschaut, findet man
eindrücklich dargelegt, wie mit ausdifferenzierten In-
strumentarien versucht wird, auf die unterschiedlichen
Verhältnisse einzugehen: Dialogformen, Fördermöglich-
keiten, institutionelle Möglichkeiten, Aktionen und Akti-
onspläne, die passgenau auf die einzelnen Erfordernisse
zugeschnitten sind .

Das aus meiner Sicht Stärkste und Überzeugendste ist,
dass wir in Europa starke, aufgeklärte und auch selbst-
bewusste Zivilgesellschaften haben, die die Basis dafür
bilden, dass das letztlich passieren kann .


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Ich glaube, dass das der Exportschlager für Menschen-
rechte in der Welt schlechthin ist, meine sehr verehrten
Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Anders als der Defätismus von den Grünen!)


Für die Politik ist natürlich auch entscheidend, dass
sie Menschenrechte nicht bloß als schmückendes Bei-
werk betrachtet, sondern als essenzielle Prämisse für die
Durchsetzung der eigenen Politik . Wenn wir uns dazu
drei Beispiele anschauen, wird, glaube ich, deutlich, dass
das auch so praktiziert wird: etwa gegenüber Russland,
wo man aufgrund der Lage den institutionalisierten Men-
schenrechtsdialog aussetzen musste; etwa gegenüber Eri-
trea, wo man seit 2008 die Entwicklungszusammenarbeit
eingestellt hat, weil ansonsten die Gefahr bestanden
hätte, dass der dortige Diktator, Isayas Afewerki, diese
Mittel für Repressionen gegen die eigene Bevölkerung
eingesetzt hätte . Und es gibt auch das umgekehrte Bei-
spiel, etwa gegenüber Weißrussland, wo man aufgrund
der Verbesserung der Lage Sanktionen wieder aufheben
konnte . Ich bin wirklich davon überzeugt, dass ein dau-
erhafter, konzentrierter Dialog letztlich dazu führt, dass
man nach und nach deutliche Verbesserungen erreicht .

Angelika Glöckner






(A) (C)



(B) (D)


Mir ist natürlich klar, dass man immer wieder auch an
Grenzen stoßen wird . Beispielsweise in Syrien, wo wir
Menschenrechtsverletzungen von ganz unterschiedlicher
Seite haben, sowohl vom Assad-Regime wie auch vom
sogenannten „Islamischen Staat“ . Natürlich darf man die
Menschen dort in dieser Situation nicht im Stich lassen,
auch wenn die klassischen Dialogformen und Dialogfo-
ren der Menschenrechtspolitik dort nichts mehr ausrich-
ten können .

Ich glaube, dass gerade an dieser Stelle deutlich
wird, dass Menschenrechtspolitik immer auch Bestand-
teil eines ganzen Instrumentenkastens der Außenpo-
litik ist, dass es immer auch um Diplomatie geht, dass
es um wirtschaftliche Zusammenarbeit geht – und dass
es manchmal auch notwendig ist, an einzelnen Stellen
mit militärischen Mitteln einzugreifen . Ich will das an
drei Beispielen verdeutlichen: Menschenrechtspolitik in
diesem Sinne ist es dann eben auch, wenn man den IS
militärisch bekämpft . Menschenrechtspolitik ist es auch,
wenn man Pufferzonen schafft, in denen die Zivilbevöl-
kerung sicher leben kann . Und Menschenrechtspolitik ist
es auch, wenn man gerade in dieser Region die Anrai-
nerstaaten so unterstützt, dass Flüchtlinge möglichst in
der Region bleiben können . Wenn man sich die Debatte
darüber anschaut, dann wird deutlich – Frau Kollegin
Steinbach hat das in ihrer Rede ja ventiliert –, dass wir
die Schwerpunkte vielleicht nicht immer ganz richtig
setzen . Wir könnten mit unserer Politik sehr viel mehr
erreichen, wenn wir die Schwerpunkte so setzten, dass
die Menschen in der Region blieben, anstatt dass sie sich
nach Europa und nach Deutschland aufmachten .

Anfang des Monats war in der Tageszeitung Die Welt
zu lesen, dass wir in Deutschland für dieses und für das
kommende Jahr für die Flüchtlingsunterbringung ge-
samtstaatlich etwa 50 Milliarden Euro aufwenden müs-
sen . Schauen wir uns einmal an, was man mit diesen
Mitteln in den Herkunftsländern erreichen könnte . Ich
will da einfach nur die Zahl erwähnen, die der Bundes-
minister Müller immer wieder nennt; er sagte: Wenn die
Europäische Union die Kraft hätte, 10 Milliarden Euro
aufzuwenden, dann bestünde die Chance, 8 Millionen
Menschen ein ganzes Jahr lang nicht nur zu ernähren,
sondern auch für Gesundheitsversorgung und Bildungs-
perspektiven zu sorgen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Frank Schwabe [SPD])


Was würde es denn bedeuten, die Menschen in der Re-
gion zu unterstützen? Da gelänge es, mit 350 Euro ein
ganzes Jahr lang die Ernährung für einen Flüchtling si-
cherzustellen, mit 150 Euro ein Zelt mit entsprechender
Infrastruktur zur Verfügung zu stellen und mit weiteren
500 Euro jedem Flüchtling Perspektiven in Bildung und
Arbeit aufzuzeigen . Daran wird deutlich, dass man schon
mit 1 000 Euro ein ganzes Jahr lang alle grundlegenden
menschenrechtlichen Bedürfnissen eines Flüchtlings zu-
friedenstellen könnte . Deshalb müssen wir, glaube ich, in
diesem Bereich noch deutlich mehr tun, als wir es heute
machen .

Wenn ich demgegenüber die genannten 50 Milliar-
den Euro zugrunde lege, dann bedeutet das in Wahrheit

nichts anderes, als dass man alle 60 Millionen Menschen,
die weltweit auf der Flucht sind, tatsächlich in den Her-
kunftsländern und -regionen angemessen versorgen und
unterbringen könnte . Vor dieser Wahrheit darf man doch
den Blick nicht verschließen . Deswegen muss auch klar
sein, dass wir für die Menschen mit Geld viel mehr in
den Herkunftsregionen erreichen können, als wenn sie
als Flüchtlinge zu uns kommen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Frank Schwabe [SPD])


Vor diesem Hintergrund möchte ich noch zwei Bemer-
kungen machen .

Ich glaube, dass es ein schönes Ergebnis der Londoner
Geberkonferenz am 4 . Februar war, knapp 10 Milliarden
Euro zusammenzutragen . Es war ein starkes Zeichen der
Bundesregierung, dazu 2,3 Milliarden Euro beizusteu-
ern . Es ist eher beschämend, andere Beiträge zu sehen,
etwa den der USA in Höhe von 850 Millionen Euro, etwa
den Beitrag Russlands – nämlich gar nichts . Auch der
Beitrag der Europäischen Union insgesamt könnte deut-
lich höher sein .

Im europäischen Kontext müssen wir uns verstärkt
darüber Gedanken machen, ob wir mit unserer Politik ei-
gentlich die richtigen Schwerpunkte setzen . Wir machen
doch letztlich weiter so wie gehabt, als ob nichts gewesen
wäre . Es kann doch nicht sein, dass sich beispielswei-
se in den Strukturfonds der Europäischen Union weiter
80 Milliarden Euro befinden, die letztlich für die Opti-
mierung von Rad- und Wanderwegen ausgegeben wer-
den, anstatt dass das Geld dort konzentriert wird, wo wir
tatsächlich etwas erreichen könnten, wo wir tatsächlich
etwas zur Bewältigung der Flüchtlingskrise unternehmen
könnten, die eben keine deutsche ist, sondern eine euro-
päische . Deshalb erwarte ich auch, dass Deutschland in
diesem Fall die Probleme und die Lasten, die sich daraus
ergeben, nicht alleine schultern und tragen muss, sondern
dass wir dafür die notwendige europäische Solidarität
finden. Das täte hier not. Auch das gehört zum Kontext,
wenn wir über den Menschenrechtsbericht 2014 spre-
chen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815607000

Der Kollege Frank Heinrich hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Frank Heinrich (CDU):
Rede ID: ID1815607100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es gibt Themen, die sind von großer Bedeu-
tung, und doch führen sie politisch ein Schattendasein;
der eine oder andere Kollege hat darauf schon hingewie-
sen . Menschenrechte gehören sehr oft dazu .

Auch wenn wir die Bedeutung der Menschenrechte
als ein Querschnittsthema, das alle Politikfelder durch-
zieht , in unserem Parlament begreifen und als solches
formuliert haben – machen wir uns da doch nichts vor –:

Thorsten Frei






(A) (C)



(B) (D)


Debatten zu Menschenrechtsthemen finden oft vor leeren
Rängen statt –


(Zuruf von der LINKEN: So ist es!)


Sie haben hier vorhin 36 Abgeordnete im Saal gezählt;
ich weiß nicht, ob es inzwischen ein paar mehr geworden
sind – und oft zu Zeiten, die nicht unbedingt zentral am
Tag liegen .

Die humanitäre Hilfe oder auch die Entwicklungszu-
sammenarbeit sind im Ranking der politischen Bedeut-
samkeit ebenfalls ziemlich weit unten angesiedelt . Doch
dann – plötzlich! – stehen ebendiese Themen direkt vor
unseren Augen, im Zentrum der politischen Debatte .
Man möchte fast sagen: im Auge des Sturms . Auch heute
ist das so, nicht nur allein wegen des Menschenrechts-
berichts, den wir heute behandeln und anlässlich dessen
wir heute reden. Im Februar 2016 findet diese Debatte
freilich unter einem neuen Namen statt, nämlich unter
dem Begriff „Fluchtursachen bekämpfen“ . Fluchtursa-
chenbekämpfung ist das Gebot der Stunde; mein Kolle-
ge Thorsten Frei hat das eben sehr deutlich gemacht . Ich
möchte daran hautnah anknüpfen .

Wir debattieren den Entwurf des EU-Jahresberichts 2014
über Menschenrechte und Demokratie in der Welt . Des-
halb stimmt natürlich, dass wir sowohl die ganze Welt
als auch uns selbst in Augenschein nehmen müssen . Die
Welt hat sich seither aber gravierend verändert . Der Som-
mer 2015 war eine Zäsur für die Flüchtlingspolitik . Aber
schon 2014 hat der Bericht festgestellt – ich zitiere –,

dass die verschiedenen Formen von Migration eine
bedeutende Herausforderung für die Außenpolitik
der EU darstellen, für die sofortige, wirksame und
dauerhafte Lösungen erforderlich sind, damit si-
chergestellt werden kann, dass die Menschenrechte
von Menschen in Not, wie etwa denjenigen, die vor
Krieg und Gewalt fliehen, entsprechend den europä-
ischen Werten und internationalen Menschenrechts-
normen geachtet werden .

Deshalb bekundet der Bericht

seine große Besorgnis und seine Solidarität mit den
zahlreichen Flüchtlingen und Migranten, die als Op-
fer von Konflikten, Verfolgung, Versäumnissen der
Regierungen, Schleusernetzen, Menschenhandel,
extremistischen Gruppen und kriminellen Vereini-
gungen gravierenden Menschenrechtsverletzungen
ausgesetzt sind;

– insofern kommt das in dem Bericht doch vor; denn da-
ran wird erinnert –

bekundet zudem tiefe Trauer angesichts der tragi-
schen Todesfälle unter den Menschen, die versucht
haben, die Außengrenzen der EU zu erreichen; …

Auch entsprechende Forderungen wurden in dem Bericht
aufgestellt, nämlich – ich zitiere weiter -

dass es dringend notwendig ist, die Ursachen der
Migrationsflüsse zu beseitigen und dazu die exter-
nen Aspekte der Flüchtlingskrise anzugehen …

Damit sind wir genau an dem Punkt, den mein Vorredner
genannt hat . Wie gesagt, die Feststellungen und die For-

derungen, die daraus abgeleitet wurden, sind schon im
Rückblick auf das Jahr 2014 formuliert worden .

Schauen wir uns heute um, stellen wir uns die Fra-
ge: Wie steht die Welt an diesem Tag im Jahr 2016 da?
Menschen ertrinken auf dem Weg über das Mittelmeer .
Menschen werden auf der Balkanroute missbraucht und
gedemütigt . Menschen sterben im Kugel- und Granaten-
hagel von Islamisten . Menschen verhungern als Folge
von Bürgerkriegen und Umweltkatastrophen . Menschen
flüchten, weil sie die Hoffnung auf eine Zukunft für ihre
Kinder verloren haben . – Das kann und darf uns nicht
kaltlassen, und – das zeigt auch unsere Debatte – das tut
es auch nicht . Sowohl die Zivilgesellschaft als auch die
Politik lässt das nicht kalt .

Ich kann mich erinnern: Im vergangenen Jahr – noch
vor dem Sommer – haben wir darüber gesprochen, und
zwar kurz nach der Katastrophe mit den 700 Toten auf
dem Mittelmeer . Ich erinnere mich, dass ich damals
meine emotionalste Rede gehalten habe . Ich habe davon
gesprochen, dass die Propheten des Alten Testaments in
einem solchen Fall von Trauer und Elend ihren Mantel
zerrissen haben, um auch anderen deutlich zu machen,
was in ihnen vorgeht .

Wir müssen handeln . An dieser Stelle kann ich der
Frau Bundeskanzlerin nur zustimmen, die gesagt hat:

Wenn wir jetzt noch anfangen müssen, uns dafür
zu entschuldigen, dass wir in Notsituationen ein
freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein
Land .

Schön ist, dass wir uns eben nicht zu entschuldigen
brauchen . Um es klar zu sagen: Deutschland zeigt ein
freundliches Gesicht . Die Welt schaut auf uns . Wir ha-
ben Verantwortung übernommen . Ich bin stolz auf das,
was vor allem Bürger des Landes, aber inzwischen auch
Verwaltungen bzw . viele Menschen an den Schaltstellen
und auch die Politik auf den Weg gebracht haben . Navid
Kermani hat es an dieser Stelle zu uns als Parlamentarier
gesagt: „Danke, Deutschland .“

Dabei dürfen wir aber nicht naiv sein . Wir müssen
die Befürchtungen ernst nehmen . Wir müssen unsere
Ressourcen im Blick behalten . Wir müssen den sozialen
Frieden im Inneren und in Europa sichern . Und wir müs-
sen den Rechtsstaat ertüchtigen, um ihn handlungsfähig
zu erhalten . Dazu gehört auch, dass wir am Schluss nur
wirklich Schutzbedürftige aufnehmen .

Joachim Gauck hat es am Tag der Deutschen Einheit
in einen, wie ich finde, prägnanten Satz gefasst: „Unser
Herz ist weit . Aber unsere Möglichkeiten sind endlich .“
Darum hat der Deutsche Bundestag Asylpakete auf den
Weg gebracht; wir haben ja unter anderem auch heute
Morgen darüber diskutiert . Wir werden weiterhin Maß-
nahmen ergreifen, damit unsere Hilfe wirklich bei denen
ankommt, die sie am dringendsten brauchen, bzw . da,
wo die Menschenrechtsverletzungen gravierendst sind .
Darum müssen und werden wir alles tun, soweit es in
unserer Macht steht, um die Fluchtursachen konkret und
nachhaltig zu bekämpfen .

Der EU-Jahresbericht weist dabei an vielen Stellen
den richtigen Weg . Es steht zugleich außer Zweifel: An

Frank Heinrich (Chemnitz)







(A) (C)



(B) (D)


vielen Stellen bleibt er zu weich, und an anderen Stellen
legt er da, wo noch kräftig etwas zu bearbeiten ist, den
Finger in die Wunde . Dieser Bericht sagt auch, dass wir
diesen Weg mit viel Elan und der nötigen finanziellen
Ausstattung weitergehen müssen . Es sei daran erinnert,
dass jeder Euro, den wir in die Fluchtursachenbekämp-
fung vor Ort investieren, ein Vielfaches an Geld spart
gegenüber dem, was wir für die Unterbringung und Ver-
sorgung von Flüchtlingen in der EU investieren müssen .

Noch einmal – die vom Kollegen Frei genannten Zah-
len waren einprägsam –: Die 1 000 Euro, mit denen wir
jedem vor Ort nach allen Maßstäben der europäischen
Menschenrechtswahrnehmung Sicherheit und Versor-
gung bieten können, reichen hier bei uns möglicherweise
nur für einen Monat . Jeder Euro verringert menschliches
Leid . Im Bericht wird deutlich, dass die EU und die Welt-
gemeinschaft einheitlich handeln und zusammenarbeiten
müssen . Deshalb drängt Deutschland auf eine gemeinsa-
me Lösung .

Der Bericht erinnert daran, dass die EU „verpflichtet
ist, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik . . . zu
entwickeln“ . Gefordert werden „eine verstärkte Kohä-
renz“ – das Wort fiel mehrfach; da stimme ich laut zu –
„zwischen der Innen- und Außenpolitik der EU“ – ich
denke, das gilt auch für unser Land –, der „Ausbau der
Zusammenarbeit und Partnerschaften mit den betroffe-
nen Drittländern“ und eine engere Zusammenarbeit „mit
den Vereinten Nationen und ihren Organisationen“, also
denen, die auch daran arbeiten . Dafür muss sichergestellt
werden, dass „die EU und ihre Mitgliedstaaten . . . mit ei-
ner Stimme sprechen“, sodass man deren Botschaft dann
auch tatsächlich hört .

Während wir hier debattieren und ich hier spreche, tagt
der Europäische Rat . Bundeskanzlerin Angela Merkel
wird dort genau diese Position vertreten; sie hat uns das
hier vor zwei Tagen deutlich gemacht . Wir brauchen eine
gemeinsame europäische Strategie zur Verteilung der
Flüchtlinge, zur Sicherung der EU-Außengrenzen und
zur Bekämpfung der genannten Fluchtursachen .

Was heißt das konkret? Das Hauptwerkzeug ist und
bleibt der Menschenrechtsdialog; mehrere meiner Vor-
redner, auch der Staatsminister Roth, haben genau das
erwähnt . Ein zentraler Gesprächspartner muss die Zivil-
gesellschaft sein . Doch wir müssen auch grundsätzlicher
denken: Damit eine Zivilgesellschaft überhaupt Men-
schenrechtsverteidiger, Initiativen und NGOs hervor-
bringen kann, müssen die Grundbedürfnisse gestillt und
die Grundmenschenrechte gewahrt sein, ohne das eine
gegen das andere aufzuwiegen . Ich stimme vollkommen
mit dem Entwicklungsminister überein, der die Schwer-
punkte der EZ bei der Grundversorgung setzt . Der Grün-
der der Heilsarmee, William Booth, hat einmal gesagt:
Einem hungrigen Magen kann man nicht predigen . –
Übersetzt auf unser heutiges Thema bedeutet das: Von
einem Menschen, der täglich um seine Existenz kämpft,
kann ich nicht erwarten, dass er seine demokratischen
Grundrechte wahrnimmt und eine veränderte Gesell-
schaft mitgestaltet . Das sind die drei Themen: Leben,
Nahrung, Grundversorgung . Es ist keine Relativierung,
wenn wir das eine und das andere fordern .

Es ist sicherlich richtig, dass in einem solchen wer-
tenden Bericht mehrere Staaten, beispielsweise China,
wegen Verletzung von Menschenrechten, die uns sehr
wichtig sind, kritisiert werden . Aber wir müssen auch
würdigen, dass in China in demselben Jahrzehnt, über
das wir da reden, mehr als 100 Millionen Menschen aus
extremer Armut herausgekommen sind .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815607200

Kollege Heinrich, kommen Sie bitte zum Schluss .


Frank Heinrich (CDU):
Rede ID: ID1815607300

Ich komme zum letzten Absatz . Danke schön .

Um die elementaren Bedürfnisse wirklich zu erfassen
und wirksam zu helfen, müssen wir die Schnittstelle zwi-
schen humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenar-
beit neu und eleganter definieren; das ist eine spannen-
de Herausforderung . In der Anhörung am vergangenen
Mittwoch waren sich alle Experten darin einig .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815607400

Kollege Heinrich, Sie haben zwar nichts über die

Länge des Absatzes gesagt . Aber Sie müssen jetzt einen
Punkt setzen .


Frank Heinrich (CDU):
Rede ID: ID1815607500

Wir dürfen nicht nur Brände löschen, sondern müs-

sen auch Brandursachen beseitigen . Ich schließe mich
der Forderung an, dass wir das im Zusammenspiel von
Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft tun müssen und
diese nicht gegeneinander ausspielen dürfen . Nur dann
werden wir Fluchtursachen wirklich wirksam beseitigen .

Ich danke Ihnen für Geduld und Aufmerksamkeit .
Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815607600

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe auf Drucksache 18/7552 zu dem Ent-
wurf des EU-Jahresberichts 2014 über Menschenrechte
und Demokratie in der Welt. Der Ausschuss empfiehlt, in
Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzuneh-
men . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Frakti-
on, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke an-
genommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald,
Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Frank Heinrich (Chemnitz)







(A) (C)



(B) (D)


Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung
stärken

Drucksache 18/7425
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozi-
ales (11 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Jutta
Krellmann, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Programm für gute öffentlich geförderte Be-
schäftigung auflegen

Drucksachen 18/4449, 18/5158

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815607700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Erinnern Sie sich noch: Vor zwölf Jahren bekam
ein Facharbeiter, wenn er arbeitslos wurde, erst Arbeits-
losengeld und dann Arbeitslosenhilfe . Sie hatten alle in
die Arbeitslosenversicherung eingezahlt und konnten
sich auf die Solidarleistung im Fall von Arbeitslosigkeit
verlassen . Und dann kamen Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen


(Bernd Rützel [SPD]: Jetzt kommt das wieder!)


– die CDU/CSU hat zugestimmt –, mit Ihren unsäglichen
Hartz-IV-Gesetzen . Ich muss das hier so deutlich sagen:
mit diesen unsäglichen Hartz-IV-Gesetzen .


(Beifall bei der LINKEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das habt ihr noch nie gesagt! – Bernd Rützel [SPD]: Ja, das habt ihr das erste Mal heute hier gesagt! Ich bin überrascht!)


– Warten Sie einmal, Herr Whittaker, was ich dazu zu
sagen habe .

Ein Facharbeiter, ein Ingenieur oder jeder, der heute
arbeitslos wird, geht im Regelfall nach zwölf Monaten
gnadenlos in Hartz IV, obwohl er nach wie vor mitunter
Jahrzehnte in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt
hat . Dazu, meine Damen und Herren, sagt die Linke: Das
ist ungerecht, und vor allen Dingen stürzt es viele Leute
in Armut .


(Beifall bei der LINKEN)


Soll ich Ihnen einmal sagen, wie ich das nenne? Ich
nenne das eine der wirklich größten politischen Fehlleis-
tungen der letzten zwölf Jahre mit katastrophalen Aus-
wirkungen auf den Sozialstaat .


(Lachen des Abg . Dr . Matthias Bartke [SPD])


– Ja, Sie können da lachen, Kollege Bartke,


(Dr . Matthias Bartke [SPD]: Sie haben dem Mindestlohn nicht zugestimmt! So war es! – Gegenrufe des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


aber diejenigen, die in diesem Hartz-IV-System gefangen
sind, können nicht mehr lachen .

Ihre unsozialen Gesetze haben auch zur Folge, dass
mittlerweile über zwei Drittel der Erwerbslosen nicht im
Bereich der Arbeitslosenversicherung betreut werden,
sondern im Hartz-IV-System . Sie brauchen sich doch
bloß die Zahlen anzuschauen . So ist es doch . – Ich weiß,
dass Sie das nicht hören wollen .


(Dr . Matthias Bartke [SPD]: Nein, es ist falsch!)


Aber wer die Geister rief . . . – es ist einfach so .


(Beifall bei der LINKEN)


Fast ein Viertel der Beschäftigten, die erwerbslos wer-
den, bekommen direkt Hartz IV . Immer mehr Erwerbslo-
se können nämlich keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld
erwerben, oder das Arbeitslosengeld ist so niedrig, dass
sie zusätzlich noch mit Hartz-IV-Leistungen aufstocken
müssen .

Ich möchte Sie wirklich einmal fragen, meine Damen
und Herren von der SPD und vom Bündnis 90/Die Grü-
nen: Wie können Sie das eigentlich mit Ihrem Gewissen
vereinbaren? Das würde mich wirklich einmal interessie-
ren .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe Schlafstörungen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben die Rahmenfrist, in der Ansprüche auf Arbeits-
losengeld erworben werden können, von drei auf zwei
Jahre verkürzt, die Arbeitslosenhilfe abgeschafft und pre-
käre Beschäftigung wie Leiharbeit und Minijobs ausge-
weitet . Und wir haben den größten Niedriglohnsektor in
ganz Europa . Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Ich
muss es an dieser Stelle sagen .


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Als Einzige!)


Mittlerweile ist für jeden – egal ob hoch qualifiziert,
jahrelang studiert oder Facharbeiter – jede Arbeit zu-
mutbar . Arbeit zu jedem Preis ist angesagt, und das ist
auf der Tagesordnung, meine Damen und Herren . Wenn
einer nicht spurt – das kommt ja noch dazu; da haben
Sie sich ja noch etwas „Gutes“ einfallen lassen –, dann
kommen noch Sperrzeiten und Sanktionen darauf, damit
noch richtig Druck auf die Menschen gemacht werden
kann . Und dann werden sie unter dem Strich noch drang-
saliert . Das ist das Monster, das Sie hier in Deutschland
installiert haben, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)


Hier wurden und werden Qualifikationen in Größenord-
nungen vernichtet, Menschen werden regelrecht gebro-

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


chen . Ich weiß nicht, ob Sie fern von der Realität sind,
aber ich weiß das von sehr vielen Menschen .

Dieses Monster, dieses Geschwür Hartz IV schwächt
dauerhaft das soziale Immunsystem unseres Landes, und
Sie geben immer noch die falsche Medizin darauf .


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Sie können die Langzeitarbeitslosigkeit nicht bekämp-
fen, wir haben immer noch mehr als 3 Millionen Men-
schen, die einen Zweitjob und einen Drittjob brauchen .
Und da sagen Sie: „Die Welt ist in Ordnung“? Nein, die
Welt ist eben nicht in Ordnung .


(Beifall bei der LINKEN)


Durch das enorme Schleifen der Arbeitslosenversi-
cherung wurde eine gewaltige Lohnspirale in Gang ge-
setzt . Das führte dazu, dass wir einen der größten Nied-
riglohnsektoren in Europa haben . Das, meine Damen und
Herren – das muss ich Ihnen so deutlich sagen –, ist nicht
unsere Vorstellung von einer guten Arbeitsmarktpolitik .


(Beifall bei der LINKEN)


Stellen Sie sich vor, Sie selbst würden in diese Situation
kommen . Wie unwürdig ist es doch eigentlich, dass Men-
schen von ihrem Lohn nicht leben können. Ich finde das
unanständig . Wenn man darüber nachdenkt, erkennt man,
dass das auch noch verdeckte Wirtschaftsförderung ist .
Ich habe mir die Zahlen herausgesucht: Jährlich werden
10 Milliarden Euro an Steuergeldern für Lohnsubventi-
onierung gezahlt . Das ist eine verdeckte Wirtschaftsför-
derung. Das können Sie doch nicht gutheißen. Ich finde,
das ist ein Skandal .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Arbeitslosenversicherung muss wieder gestärkt
werden, und sie muss auch zum Hauptinstrument der so-
zialen Sicherung bei Erwerbslosigkeit werden . Dazu will
ich Ihnen einige unserer Vorschläge nennen: Erweiterung
der Rahmenfrist von zwei auf drei Jahre, Anspruch auf
Arbeitslosengeld bereits nach vier Monaten Beitragszeit,
für langjährige Beitragszahlerinnen und -zahler wird die
Anspruchsdauer auf Arbeitslosengeld erweitert, ebenso
für ältere Erwerbslose und auch für Menschen mit Behin-
derungen, und zur Vermeidung von ergänzendem Hartz-
IV-Bezug wird ein Mindestarbeitslosengeld eingeführt .

Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt gilt selbstver-
ständlich auch für Flüchtlinge . Nun suchen Sie wieder
einmal nach Wegen, um bei Flüchtlingen durch die Hin-
tertür den Mindestlohn zu unterlaufen .


(Bernd Rützel [SPD]: Wer ist „Sie“?)


– Die CDU zum Beispiel .


(Bernd Rützel [SPD]: Okay! Danke!)


– Ja, aber es wird trotzdem nicht besser . Das, was Sie
vorhaben, wird ja schlimmer; es heißt ja, sie sollen jetzt
erst Praktika machen, und da bekommen sie noch nicht
einmal Lohn, sondern nur eine Praktikumsvergütung .

Das ist doch die Schweinerei dabei . Es ist doch blanker
Populismus, was Sie hier machen .


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe der Abg . Dr . Matthias Bartke [SPD] und Bernd Rützel [SPD])


Eine starke Arbeitslosenversicherung und eine gute
Arbeitsförderung – das sind die Hauptpfeiler eines So-
zialstaates, wie wir ihn uns vorstellen . Wie der Rest des
Hauses dieses sieht und wie er zum Sozialstaat steht,
werden wir sehen und hören .

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das ist ja wie bei Pippi Langstrumpf, wo es eine Goldkiste gibt, woraus sie schöpfen kann!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815607800

Das Wort hat der Kollege Albert Weiler für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Albert Weiler (CDU):
Rede ID: ID1815607900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Verehrte Damen und Herren auf der Tri-
büne! Liebe Fernsehzuschauer! Bevor ich inhaltlich
starte, muss ich hier meine Bestürzung und Ablehnung
zum Ausdruck bringen: Der Abgeordnete Diether Dehm,
Linkspartei, beschäftigt seit einigen Jahren aus Steuer-
mitteln den Ex-RAF-Terroristen und verurteilten Mörder
Christian Klar . Dieser sollte uneingeschränkt Zugang
zum Bundestag bekommen .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das stand in einer rechten Zeitung!)


Der Feind der Demokratie hat nichts im Herzstück un-
serer Demokratie zu suchen, meine Damen und Herren!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Linkspartei sollte sich gut überlegen, wen sie auf Ihre
Listenplätze setzt . Herr Dehm sollte sich überlegen, ob er
hier im Deutschen Bundestag an der richtigen Stelle ist .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nun zum eigentlichen Thema . Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Linksfraktion, unter dem Deckmantel
Ihres Antrags zur Stärkung der Schutzfunktion der Ar-
beitslosenversicherung steckt mal wieder jede Menge
düstere Wahlkampfpolemik,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Kennen Sie wohl gar nicht, oder?)


die nicht widerspruchslos hingenommen werden kann .


(Widerspruch bei der LINKEN)


Sabine Zimmermann (Zwickau)







(A) (C)



(B) (D)


Ihre Antragsbegründung ist derart widersprüchlich und –
Märchenhaftigkeit – teilweise realitätsfern, dass es einem
die Socken auszieht .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Lieber nicht! Keine Drohungen!)


In Ihrem Antrag monieren Sie, dass die Senkung der
Arbeitslosenversicherungsbeiträge von 6,5 Prozent im
Jahr 2006 auf heute 3 Prozent die Arbeitgeber in Deutsch-
land entlastet habe . Das stimmt . Allerdings sind die vie-
len Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
ebenso Nutznießer dieser Senkung . Ich sage da nur: mehr
Netto vom Brutto . Dass diese Beitragssenkung natürlich
auch mit der enormen Reduzierung der Arbeitslosigkeit
in Deutschland zu tun hatte, verschweigen Sie . Ebenso
verschweigen Sie, dass die Unternehmen in Deutschland
die eingesparten Gelder investiert und Arbeitsplätze ge-
schaffen haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der aktuelle Jahreswirtschaftsbericht der Bundesre-
gierung bestätigt dies eindrucksvoll . 43,3 Millionen Er-
werbstätige, eine solche Zahl gab es in der Geschichte
der Bundesrepublik noch nie, und die Tendenz ist stei-
gend . Ihre Mär von der Zunahme unsicherer Arbeitsver-
hältnisse ist schlichtweg falsch . Das Gegenteil ist aktuell
der Fall .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Richtig ist – hier muss ich mich wiederholen –: Es gibt
immer mehr Normalarbeitszeitverhältnisse . Seit 2010
gab es eine Zunahme regulärer Arbeitsverhältnisse um
1,5 Millionen . Dagegen sind die Zahlen bei befristeter
und geringfügiger Beschäftigung sowie bei der Zeitar-
beit gesunken . Das bestätigt das Statistische Bundesamt .
Wenn Sie in Ihrem Antrag davon schreiben, dass ein
Viertel aller Beschäftigten, die nach einer sozialversi-
cherten Arbeit arbeitslos werden, direkt in das Hartz-IV-
System fallen, dann heißt das doch im Umkehrschluss,
dass die Arbeitslosenversicherung für drei Viertel aller
Beschäftigten funktioniert .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das reicht Ihnen aus, ja?)


Die Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung ist also
stark .

Sie argumentieren in Ihrem Antrag vom Januar 2016
mit Zahlen von 2014 . Damit verblenden Sie die Wahr-
heit, weil Sie anscheinend der Bundesregierung den Er-
folg nicht gönnen .


(Beifall der Abg . Antje Lezius [CDU/CSU])


Durch unsere gute und stabile Politik hat sich auch die
Zahl der ALG-I-Bezieher mit zusätzlichem Hartz-IV-Be-
zug verringert . Die Zahlen der BA belegen das deutlich .
Aktuell sind 85 500 ALG-I-Bezieher auf zusätzliche
Leistungen aus dem SGB II angewiesen . Es sind also
nicht, wie Sie mit Ihrer veralteten Zahl von 2014 vortäu-
schen wollen, 96 593 . Aktuell sind es zwar immer noch
zu viele ALG-I-Bezieher, aber die Tendenz geht deutlich
nach unten .

Man muss stark bezweifeln, dass mit Ihren Vorschlä-
gen die Arbeitslosenversicherung gestärkt wird . Sie for-
dern unter anderem ein Recht auf Arbeit .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber wo bleibt die Pflicht zur Arbeit? Sie wollen Sperr-
zeiten und Sanktionen abschaffen;


(Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


entsprechende Vorlagen bringen Sie immer wieder in
den Bundestag ein . Jeder Arbeitnehmer – und auch jeder
Bundestagsabgeordnete – wird sanktioniert, wenn er sei-
ner Arbeit nicht nachkommt oder die Arbeit ablehnt . Sie
fordern das generelle Recht für Arbeitslose, sanktions-
los auch gute Arbeit ablehnen zu dürfen . Das kann nach
meinem gesellschaftlichen Verständnis nicht richtig sein,
und es ist beschämend für jeden, der arbeitet .


(Zurufe von der LINKEN)


Zudem wollen Sie die Arbeit in Deutschland teurer
machen, indem Sie die – in Anführungszeichen – „ka-
pitalistischen Arbeitgeber“ Sonderabgaben zahlen lassen
wollen . Die Absenkung der Hürden für den Bezug von
Arbeitslosengeld wäre mit Kosten in dreistelliger Milli-
onenhöhe verbunden . Ihre Vorschläge zur Änderung der
Rahmenfristen würden der Agentur für Arbeit zwischen
300 Millionen und 450 Millionen Euro Mehrkosten auf-
erlegen . Diese Vorschläge schaden der Arbeitslosenversi-
cherung . Deshalb müssen wir den Antrag ablehnen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir sollten aber gemeinsam unsere Bemühungen da-
rauf konzentrieren – das gebe ich Ihnen als Rat mit –,
dass wir die Menschen aus der Arbeitslosigkeit in Arbeit
bringen . Deshalb ist es gut und richtig, dass die Bundes-
regierung mit dem Arbeitslosenversicherungsschutz- und
Weiterbildungsstärkungsgesetz den Zugang zur berufli-
chen Weiterbildung insbesondere für Geringverdiener,
für Geringqualifizierte, für Langzeitarbeitslose und für
ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessern
will und wird .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das macht den entscheidenden Unterschied aus: Sie
wollen möglichst viele Menschen in die Arbeitslosenver-
sicherung hineinziehen . Wir wollen den Menschen Wege
aus der Arbeitslosigkeit ermöglichen und sie in Arbeit
bringen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815608000

Das Wort hat die Kollegin Brigitte Pothmer für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815608100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf dem

roten Teppich hat die Berlinale gerade die glamouröse
Seite des Films präsentiert . Aber der Film und übrigens

Albert Weiler






(A) (C)



(B) (D)


auch andere Bereiche der Kunst und Kultur haben eine
überaus dunkle Seite . Nicht alle gehen mit Gagen wie
George Clooney nach Hause . Viele arbeiten unter höchst
prekären Bedingungen am Rande der Armutsgrenze . Über
diese Schattenseite des Films habe ich in dieser Woche
mit zwei Vertretern des Berufsverbandes Kinematografie
gesprochen . Sie haben mir erzählt, dass Filmschaffende
im Regelfall Höchstbeträge in die Arbeitslosenversiche-
rung einzahlen und im Falle der Arbeitslosigkeit keinen
Cent herausbekommen .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Skandal!)


Das hat damit zu tun, dass diese Leute befristet arbeiten
und die Befristungen sogar nur von sehr kurzer Dauer
sind . Filmschaffende, aber nicht nur die, sondern auch
andere in der Kunst und Kultur, brauchen dringend eine
bessere Absicherung bei Arbeitslosigkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Die, meine Damen und Herren, haben Sie von der
GroKo ihnen auch versprochen, und zwar bereits für
Ende 2014 .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Versprochen – gebrochen!)


Passiert ist nichts . Es gibt diese unwirksame Regelung,
mit der Sie 0,7 Prozent – in Worten: null Komma sieben
Prozent – derjenigen erreichen, die Sie selber als betrof-
fen definiert haben. Herr Weiler, wenn man eine solche
Bilanz vorgelegt hat, dann sollte man sich mit Kritik an
denjenigen etwas zurückhalten, die hier konkrete Vor-
schläge machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Kai Whittaker [CDU/ CSU]: Noch nichts gehört, Frau Pothmer!)


Jetzt haben Sie vor der Lösung des Problems, das Sie
selber identifiziert haben – deswegen haben Sie im Ko-
alitionsvertrag eine Vereinbarung dazu getroffen –, end-
gültig kapituliert . Lieber Herr Weiler, wissen Sie, was
das in einem normalen Betrieb bedeuten würde? Das
wäre Arbeitsverweigerung! Ich wünschte mir, Sie bekä-
men dafür endlich mal eine Sanktion .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Markus Paschke – du redest gleich nach mir –, was ich
besonders peinlich finde, ist: Ihr habt zu diesem Thema
eine Pressemitteilung gemacht, und in dieser Pressemit-
teilung rühmt ihr euch tatsächlich, die Phase der Unsi-
cherheit für diese Menschen beendet zu haben . Meine
Damen und Herren, da muss ich noch einmal die lachen-
de Koralle bemühen .


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ihr habt nicht Unsicherheit beendet, ihr habt die letzte
Hoffnung begraben, und zwar nicht nur für die Film-
schaffenden . Film- und Kulturschaffende sind in diesem

Bereich eine negative Avantgarde . Ihr alle wisst selber,
dass solche Beschäftigungsverhältnisse zunehmen . Be-
fristungen, Projektarbeit, Selbstständigkeit, das sind
keine Zukunftsszenarien, die man gemütlich unter dem
Stichwort „Arbeiten 4 .0“ diskutiert; das ist gesellschaft-
liche Realität für sehr viele Menschen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sabine Zimmermann hat es gesagt: Ein Viertel derje-
nigen, die in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, be-
kommen keinen Cent heraus . Das ist nicht nur eine große
Gerechtigkeitslücke, Herr Weiler; das delegitimiert das
System der Arbeitslosenversicherung . Jeder, der nichts
herausbekommt, wird sich doch überlegen, ob er nicht
Wege findet, in Zukunft nicht mehr einzahlen zu müssen.

Frau Nahles hat den Dialogprozess „Arbeiten 4 .0“ ge-
startet . Im Rahmen dieses Dialogprozesses hat sie auch
ein eigenes kleines Filmfestival zum Thema „Zukunft
der Arbeit“ veranstaltet . Ich kritisiere das gar nicht; ich
gehe gern ins Kino, und das ist mal wieder eine Gele-
genheit . Aber ihr solltet euch bewusst sein, dass jede und
jeder, die in dem Abspann genannt wird, prekär arbeitet,
in die Arbeitslosenversicherung einzahlt und keinen Cent
herausbekommt. Ich finde, es ist einer Arbeitsministerin
unwürdig, sich mit diesen Themen zu schmücken, aber
für die Filmschaffenden nichts, aber auch gar nichts zu
tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf des Abg . Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


Sie werden nicht nur dafür bezahlt, dass Sie hier über
Zukunftsprobleme reden; Sie werden auch dafür bezahlt,
dass Sie heutige Probleme lösen . Wir haben Ihnen schon
2015 einen Vorschlag vorgelegt, wie diese Probleme zu
lösen sind . Übernehmen Sie diese Vorschläge! Und ich
verspreche Ihnen: Ich werde keine Urheberrechte geltend
machen . Ich bitte Sie: Tun Sie endlich was, in Gottes Na-
men!

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815608200

Das Wort hat der Kollege Markus Paschke für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1815608300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kol-
legin Zimmermann, das einzige Monster hier in Deutsch-
land ist das, das Sie immer wieder an die Wand malen .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Hartz IV!)


Ich würde vorschlagen: Lassen Sie uns doch lieber
schauen, wo wir etwas verbessern können, und darüber

Brigitte Pothmer






(A) (C)



(B) (D)


diskutieren, statt immer die Monster an die Wand zu ma-
len, die es eigentlich gar nicht gibt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh Markus! Das ist ja ein Lacher!)


Ich habe auch etwas zu loben . In dem Antrag gibt es
einige Punkte, die sich ganz gut anhören, und Sie benen-
nen auch einige wichtige Baustellen . Damit hatte Ihre
Rede aber leider nicht ganz so viel zu tun .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Verlängerung der Rahmenfrist zum Beispiel oder
auch generell die Idee eines erweiterten Zugangs zur Ar-
beitslosenversicherung finden unsere Zustimmung; das
ist kein Geheimnis . Dazu gehört für mich noch ein ganz
zentraler Punkt, nämlich eine Antwort auf die Frage: Was
machen wir mit denen, die den Anforderungen auf dem
ersten Arbeitsmarkt zurzeit nicht gewachsen sind? Auch
diesen Menschen müssen wir eine Chance zur gesell-
schaftlichen Teilhabe bieten; denn das Gefühl, gebraucht
zu werden und seinen Beitrag leisten zu können, ist ein
wesentlicher Bestandteil unseres gesellschaftlichen Zu-
sammenlebens .


(Beifall bei der SPD)


Dabei geht es manchmal einfach nur um Teilhabe oder
darum, einen sinnvollen Beitrag für diese Gesellschaft zu
leisten. Ich finde, da gibt es eine kluge Idee: Statt Ar-
beitslosigkeit finanzieren wir einfach Arbeit. Passiv-Ak-
tiv-Tausch nennt sich das .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wann denn? – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sag mal, bist du in der Opposition?)


Es ist ein ganzheitliches Konzept, bei dem wir die Men-
schen in den Mittelpunkt stellen .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das jetzt hier eine Oppositionsrede?)


Das wird auch in einem Ihrer Anträge gefordert . Aber ich
sage an dieser Stelle noch einmal: Es ist ein bisschen zu
einfach, 200 000 Plätze für ein Förderprogramm, wie es
in Ihrem Antrag steht, zu fordern, und dies völlig ohne
Kriterien, die zum Beispiel Mitnahmeeffekte ausschlie-
ßen .

Zum Passiv-Aktiv-Tausch gilt es hier noch dicke Bret-
ter zu bohren, auch und insbesondere bei unserem Koa-
litionspartner . In einer idealen Welt wäre es ja ganz ein-
fach: Die Fachpolitiker sind sich weitgehend einig, dass
das ein gutes Instrument ist, und wir brauchen eigentlich
nur noch den Bundesfinanzminister an unserer Seite.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815608400

Kollege Paschke, gestatten Sie eine Frage oder Be-

merkung der Kollegin Zimmermann?


Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1815608500

Ich würde das gerne erst zu Ende führen .


(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Die Redezeit war zu kurz! – Gegenruf der Abg . Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und eure ist zu lang!)


Natürlich muss man ehrlich sein und feststellen: Der
Passiv-Aktiv-Tausch kostet erst einmal Geld .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wann macht ihr das?)


Daran, den Bundesfinanzminister vom langfristigen Nut-
zen einer so klugen Investition zu überzeugen, arbeiten
wir unermüdlich .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wann denn? Wann macht ihr das?)


Lasst es uns doch einfach einmal tun, und dann werden
wir auch feststellen – davon bin ich überzeugt –, dass es
langfristig volkswirtschaftlich günstiger ist, Arbeit statt
Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Denn wir verhindern da-
mit auch die Spaltung unserer Gesellschaft in die, die viel
arbeiten, und in die, die nicht arbeiten dürfen .

Kommen wir zurück zu Ihrem Antrag zur Arbeitslo-
senversicherung . Wirklich zukunftsorientiert sind die
Vorschläge in Gänze dann leider doch nicht . Oder anders
ausgedrückt: Sie beschäftigen sich eher mit der Frage
„Wie können wir die Asche bewahren?“, während die
SPD mehr die Frage stellt: Wie können wir das Feuer
weitertragen?


(Beifall bei der SPD – Bernd Rützel [SPD]: Ein schönes Bild!)


Für mich ist klar: Wir stärken die Arbeitslosenversiche-
rung nur, wenn wir sie zu einer Arbeitsversicherung wei-
terentwickeln und so Schritt halten mit den Anforderun-
gen unserer Zeit .

Die Gefahr einer Dequalifikation wächst für Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer . Die immer schneller
fortschreitende Entwicklung von Technik, Maschinen
und Arbeitsprozessen verlangt nach erweiterten und
teilweise auch völlig neuen Kenntnissen . Hier gilt es an-
zusetzen und die Menschen aktiv dabei zu unterstützen,
ihre Qualifikationen zu halten und zu erweitern. Das sehe
ich – neben der Absicherung im Falle von Arbeitslosig-
keit – als zentrale Aufgabe einer zukunftsorientierten Ar-
beitsversicherung . Das Feuer weitertragen – das machen
wir .

Mit dem von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
vorgelegten Gesetzentwurf zur Stärkung der beruflichen
Weiterbildung und des Versicherungsschutzes in der Ar-
beitslosenversicherung tun wir nämlich genau das: Wir
investieren in eine berufliche Weiterentwicklung und
Weiterbildung . Wir öffnen die Aus- und Weiterbildung
auch für Menschen, die bisher nicht so viele Erfolge in
unserem Bildungssystem hatten . Außerdem belohnen wir
Grund- und Weiterbildung und motivieren zum Weiter-
machen bis zu einem erfolgreichen Abschluss .

Markus Paschke






(A) (C)



(B) (D)


Außerdem verbessern wir die Möglichkeit einer frei-
willigen Weiterversicherung in der Arbeitslosenversiche-
rung, damit wir gerade die Menschen, die sich selbst-
ständig gemacht haben oder Verwandte pflegen, davor
schützen, ihre Ansprüche zu verlieren .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Beiträge sind viel zu hoch! Die sind gar nicht mehr drin in der Arbeitslosenversicherung!)


Das sind nur einige Punkte, Brigitte, die mit diesem Ge-
setz umgesetzt werden . Damit machen wir einen ersten
Schritt in Richtung einer zukünftigen Arbeitsversiche-
rung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Rolle der Opposition ist da ein wenig einfacher .
Sie kann immer sagen: Der Schritt ist zu kurz . Oder: Es
ist zu wenig bzw . zu viel . – Ich bin da ganz pragmatisch:
Lieber viele kleine Schritte in die richtige Richtung als
ein großer Schritt zurück . Daher werden wir den Antrag
heute ablehnen .

Danke .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815608600

Der Kollege Kai Whittaker hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kai Whittaker (CDU):
Rede ID: ID1815608700

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Wenn man Ihnen,

Frau Kollegin Zimmermann, in dieser Debatte zugehört
hat – das gilt aber auch für andere Debatten –, kann man
sagen, dass Mark Twain mit folgender Feststellung doch
recht hatte:

Das Problem mit der Linken ist, daß die meisten aus
Haß gegen die Reichen Kommunisten geworden
sind und nicht aus Liebe zu den Armen .

Denn nur so ist es zu erklären, warum Sie eine so lieblose
Idee haben, Arbeitslose in Arbeitsbeschaffungsmaßnah-
men parken zu wollen . 200 000 Menschen sollen nach
Ihren Vorstellungen Bauklötzchen stapeln oder Super-
markt spielen .


(Widerspruch bei der LINKEN)


In Ihrem Antrag steht aber kein Wort, wie Sie die
Wirtschaft stärken und Arbeitsplätze schaffen wollen .
Aber das wundert mich, ehrlich gesagt, nicht wirklich .
Die Linke hat es noch nie verstanden, in diesem Land
Arbeitsplätze zu schaffen . Deshalb konzentrieren Sie
sich auch darauf, Arbeitslosigkeit in Ihrer Wahrnehmung
erträglicher zu machen . So erleichtern Sie Ihr Gewissen .
Das ist alles, was Sie tun . Sie wollen Geld sozusagen auf
das Problem schmeißen . Das hilft aber, ehrlich gesagt,
nicht .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Sie stellen die Leute ins Abseits!)


Ich bin nicht der Einzige, der das so sieht . Schauen wir
uns ein paar Studien an: Das ifo-Institut hat 2009 – ich
zitiere – Folgendes festgestellt:

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass negative
Effekte aus öffentlich geförderter Beschäftigung
. . . insbesondere in Ostdeutschland zu verzeichnen
sind .

Auch die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung hat 2012
festgehalten:

Die bisherigen Evaluationsergebnisse geben Anlass
zur Skepsis, ob öffentlich geförderte Beschäftigung
in großem Umfang zum Marktersatz dienen kann .

Und für die letzten Zweifler hier im Plenum habe ich
auch noch eine Studie vom IAB aus dem Jahr 2012 . In
ihr wurde festgestellt:

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen haben nachweis-
lich keine Beschäftigungswirkung, sind also wir-
kungslos .

Ich halte fest: Sie, die Linken, wollen Menschen in
Arbeitslosigkeit parken, anstatt ihnen Chancen zu bieten .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Sie parken Sie in Arbeitslosigkeit – zu Hause!)


Wir als Union haben, Frau Kollegin Pothmer, 2015 eben-
falls Vorschläge gemacht, wie wir mit diesem Thema
umgehen wollen . Wir sind felsenfest davon überzeugt,
dass wir noch einmal an den Instrumentenkasten heran-
gehen müssen .

Ich möchte ein paar Beispiele bringen . Die freie För-
derung ist immer noch zu starr . Gute Ideen vor Ort in
den Jobcentern werden durch Paragrafenreiter sozusa-
gen aus dem Sattel gehoben . Echte Begleitungen fehlen .
Nicht jeder Langzeitarbeitslose, der zwei, drei oder vier
schwerwiegende persönliche Probleme hat, schafft allein
den Weg zurück in den Arbeitsmarkt . Er braucht Hilfe,
Begleitung, Assistenz und Beratung .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte noch einen weiteren Aspekt ansprechen .
Die Hälfte der Langzeitarbeitslosen hat keine Berufsaus-
bildung . Deshalb treten wir dafür ein, dass Langzeitar-
beitslose eine Ausbildung machen können . Denn die Al-
ternative dazu wäre doch, dass sie einen perspektivlosen
Aushilfsjob annehmen . Es ist nicht mein Anspruch, es ist
nicht der Anspruch der Unionsfraktion, Perspektivlosig-
keit zu verwalten; wir wollen Perspektiven schaffen .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Ja wo denn? – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ihr seid an der Regierung! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dann fangt mal an!)


Auch die schwersten Fälle geben wir nicht so schnell
auf wie Sie . Wir haben vorgeschlagen, die Integrations-
betriebe für Langzeitarbeitslose zu öffnen, ihnen einen

Markus Paschke






(A) (C)



(B) (D)


geschützten Raum anzubieten, in dem sie echte Arbeit
am ersten Arbeitsmarkt haben,


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Was?)


anstatt geparkt zu werden, wie in Ihrem Antrag vorge-
schlagen .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Was ist denn das für ein Thema? Ich glaube, Sie sind beim falschen Thema!)


Ich finde, auch ein anderes Thema müssen wir ein-
mal grundsätzlicher ansprechen . Die Frage, die sich
mir stellt, ist folgende: Ist es wirklich sinnvoll, dass die
Hälfte der Jobcentermitarbeiter ihre Zeit damit verbringt,
exakt auszurechnen, wer wie viel Geld bekommt? Wäre
es nicht viel besser, wenn sie Arbeitslose tatsächlich in
Jobs vermitteln würden?


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Warum macht ihr es denn nicht?)


Ich finde, diese Frage ist nicht trivial, gerade vor dem
Hintergrund der vielen Flüchtlinge, die jetzt in dieses
Land kommen und bald in den Jobcentern aufschlagen
werden .

Die Logik des SGB II war es doch, jedem arbeitslo-
sen Bürger eine pauschale Leistung zu zahlen; aber die
Bilanz nach zehn Jahren ist doch etwas ernüchternd,
wie ich kurz an einem Beispiel zeigen möchte: Bei der
Warmwasserzuschlagsberechnung wird geschaut, ob ein
Hartz-IV-Empfänger das Warmwasser in seiner Woh-
nung mit einem Boiler erhitzt oder nicht . Wenn er es tut,
dann wird nachgeschaut, ob sich mit diesem Warmwas-
ser nur ein Erwachsener oder noch ein Jugendlicher oder
ein Kind duscht, weil es dann Zuschläge gibt .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal, Herr Whittaker, zu welchem Antrag reden Sie gerade?)


Vor kurzem hat das Jobcenter im Unstrut-Hai-
nich-Kreis wegen einer nicht geleisteten Nachzahlung
von 10 Cent darüber nachgedacht, das Bundessozialge-
richt anzurufen .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Worüber reden Sie denn? Das ist doch gar nicht das Thema! Es geht um die Arbeitslosenversicherung!)


Das muss man sich einmal vorstellen: Wegen 10 Cent
werden Gerichte angerufen, weil uns Einzelgerechtig-
keit wichtiger erscheint und weil es im Gesetz steht, aber
nicht, weil irgendwelche wild gewordenen Jobcentermit-
arbeiter Arbeitslose drangsalieren wollen .

Ich weiß, das ist ein Extrembeispiel – gar keine Fra-
ge –, aber es zeigt, dass wir oft mit Hartz-IV-Empfängern
um Kleinstbeträge ringen . Es macht deutlich, dass wir
mehr Pauschalierungen im Hartz-IV-System brauchen .
Es macht auch deutlich, dass wir aufhören müssen, uns
bei Hartz IV um Kleinigkeiten zu kümmern . Dazu gehö-
ren eben solche Placeboprogramme, wie Sie sie in Ihrem
Antrag vorschlagen .

Wir müssen die Jobcenter in Deutschland endlich in
die Lage versetzen, sich um die Menschen zu kümmern
anstatt um sich selbst .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Machen Sie es doch! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch an der Regierung! Was erzählen Sie denn da?)


Denn es ist nicht so entscheidend, wie viel Geld wir in
einen Menschen investieren, sondern, wie viel Zeit wir
uns für ihn nehmen .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815608800

Der Kollege Dr . Matthias Bartke hat für die SPD-Frak-

tion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1815608900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber

Herr Whittaker, es ist nicht richtig, dass Beschäftigungs-
maßnahmen im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik
ein Parken von Arbeitslosen sind .


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist es mit Sicherheit nicht . Da muss ich direkt die
Linke in Schutz nehmen .

Angesichts der Kritik, die Sie an den teilweise nicht
vorhandenen Pauschalierungen und Bagatellgrenzen ge-
äußert haben, möchte ich sagen: Nach meiner Kenntnis
war es insbesondere die CDU im Bundesrat, die diese
Regelung verhindert hat .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Bevor ich jetzt zu viel Beifall von Ihnen kriege, möch-
te ich ganz grundsätzlich etwas zur Agenda 2010 sagen .
Das, was Sie, Frau Zimmermann, hier gesagt haben, ist
in meinen Augen völlig geschichtsvergessen .


(Beifall des Abg . Dr . Martin Rosemann [SPD])


Als Gerhard Schröder die Agenda 2010 eingeführt hat,
war Deutschland der kranke Mann Europas . Heute sind
wir der prosperierendste Sozialstaat auf dem ganzen
Kontinent .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das ist unweigerlich mit dem Namen Gerhard Schröder
verbunden .

Ich sage Ihnen auch: Es hat bei der Agenda 2010 zwei
Fehlentwicklungen gegeben . Die erste Fehlentwicklung
war, dass wir den Niedriglohnsektor deutlich zu groß ge-
macht haben .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Ah!)


Kai Whittaker






(A) (C)



(B) (D)


Um dem entgegenzuwirken, haben wir den Mindestlohn
eingeführt .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Jetzt!)


In Deutschland verdient jetzt jeder mindestens 8,50 Euro
pro Stunde . Da gab es eine Partei, die dem nicht zuge-
stimmt hat, und das war Ihre Partei .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


Die zweite Fehlentwicklung war, dass die Leiharbeit
deutlich ausgebaut wurde, dass da zu viel passiert ist . Um
dem entgegenzuwirken, werden wir jetzt eine völlig neue
Regelung im Bereich des Arbeitnehmerüberlassungsge-
setzes vorlegen . Da sollten Sie sich nicht schon wieder
enthalten; denn dann würde die Geschichte schon wieder
gegen Sie sein .


(Beifall bei der SPD)


Frau Zimmermann, Ihr Antrag ist deutlich besser als
das, was Sie hier gesagt haben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Auch ich sage: Menschen in prekären und flexiblen
Beschäftigungsformen brauchen natürlich eine Absi-
cherung . Auch wir glauben: Wenn wir diese Menschen
schützen wollen, dann muss die Arbeitslosenversiche-
rung völlig neu aufgestellt werden .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dann machen Sie was!)


Besonderen Bedarf sehe ich bei den überwiegend
kurzfristig Beschäftigten . Im letzten Jahr hat mich eine
Schauspielerin aus meinem Wahlkreis Hamburg-Altona
angeschrieben . Ich kann ihren Unmut absolut nachvoll-
ziehen: Sie wird für einzelne Theaterstücke engagiert,
führt dafür hohe Beiträge an die Arbeitslosenversiche-
rung ab und erhält nach Ende des Engagements trotzdem
nur Hartz IV . Das ist frustrierend .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie Frau Pothmer schon richtig sagte!)


– Das, was Frau Pothmer dazu gesagt hat, stimmt ja auch .


(Beifall des Abg . Dr . Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Im Koalitionsvertrag haben wir daher vereinbart, dass
wir für die Sonderregelung für überwiegend kurzfristig
Beschäftigte eine Anschlussregelung finden. Geplant war
zum Beispiel eine Verlängerung der Rahmenfrist auf drei
Jahre . Leider haben wir mit unserem Koalitionspartner
in diesem Punkt keine Einigung erreicht . Stattdessen hat
das Bundeskabinett die Sonderregelung bis 2018 verlän-
gert . Das ist besser als nichts – das muss man auch ein-
mal sagen –,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh doch! Das ist nichts!)


aber das hilft natürlich nur der Gruppe, bei der die Son-
derregelung auch greift . Der Schauspielerin aus Altona

hilft das leider nicht . Eine weiter gehende Nachfolgere-
gelung ist daher unbedingt notwendig .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden zu Ihrem Antrag und zu einem Antrag der
Grünen im April eine Anhörung im Ausschuss durchfüh-
ren . Dabei werden wir uns mit den Details befassen und
überlegen, wo wirklich Handlungsbedarf besteht .

Unsere Aufgabe ist es, Arbeitslosigkeit zu vermeiden .
Unser Ziel ist es daher, die Arbeitslosenversicherung zu
einer Arbeitsversicherung weiterzuentwickeln. Qualifi-
zierung und Weiterbildung, das sind die Stichworte . Sie
sind für den gesamten Verlauf des Erwerbslebens zentral .
Sie sorgen für den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit .
Nach unserer Vorstellung geht es zum einen um den so-
zialrechtlichen Anspruch auf Qualifizierung im Fall von
Arbeitslosigkeit, es geht aber auch um den arbeitsrechtli-
chen Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber, um Qualifi-
kation zu sichern und zu erhalten .

Wir haben schon in der letzten Legislatur einen ent-
sprechenden Vorschlag gemacht . Ministerin Nahles ver-
folgt ihn mit dem Dialogprozess „Arbeiten 4 .0“ weiter .
Sie will die Arbeitslosenversicherung um Elemente er-
gänzen, die einen Anspruch auf Qualifikations- und Wei-
terbildungsberatung für Arbeitnehmer schaffen . Sie sagt:
„Die Kunst wird darin bestehen, im Wandel alle an Bord
zu behalten .“

Wir müssen die Risiken von beruflichen Übergängen
und Erwerbsunterbrechung besser absichern . Gleichzei-
tig wollen wir Chancen für Neuanfänge und berufliches
Fortkommen eröffnen; denn immer seltener üben Men-
schen denselben Beruf ein Leben lang am selben Ort für
dasselbe Unternehmen aus . Nur ein präventiver Ansatz
kann daher diesen Risiken ausreichend entgegenwirken .

Aber im Dialogprozess „Arbeiten 4 .0“ denken wir
noch viel weiter . Wir stellen nicht nur die Frage der Absi-
cherung, sondern auch die Frage: Wie wollen wir morgen
arbeiten? Inwiefern wird Technik die Arbeit verändern
und wie den Bedarf an Berufen und Qualifikationen? Wir
wollen mit unseren Antworten die Chancen, nicht die
Ängste in den Vordergrund stellen .

Der Dialogprozess ist im vergangenen Jahr gestartet
und soll dieses Jahr abgeschlossen werden . Das Arbeits-
ministerium hat dafür unter anderem einen Beraterkreis
mit Experten aus Wissenschaft und betrieblicher Praxis
zusammengestellt . Die Sozialpartner und alle Bürger sind
eingeladen, sich einzubringen . Meine Bitte am Schluss:
Beteiligen auch Sie sich dabei .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Und was machen wir mit den 1 Million Langzeitarbeitslosen?)


Dr. Matthias Bartke






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815609000

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Matthäus

Strebl das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1815609100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Im vierten Quartal 2015 gab es einen kräfti-
gen Zuwachs der Erwerbstätigenzahl . Die sozialversi-
cherungspflichtige Beschäftigung verzeichnete sowohl
in Westdeutschland wie auch in Ostdeutschland ein
erhebliches Wachstum . Die Arbeitslosenquote ist zum
Anfang des Jahres erneut gesunken . Zum Vergleich: Im
Januar 2015 lag die Zahl der Arbeitslosen bei 3,03 Milli-
onen, ein Jahr später, also im Januar dieses Jahres, redu-
zierte sich die Zahl auf rund 2,9 Millionen . Diese Zahlen
sprechen für eine gute, erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik
dieser Koalition . Die Arbeitslosenversicherung und ihre
Finanzierung sind gut aufgestellt . Deshalb erkenne ich
keinen Änderungsbedarf .

Es bestätigt sich auch – wie schon gesagt wurde –,
dass die Reformen aus früheren Jahren sinnvoll und
richtig waren . Natürlich gibt es auch eine Stagnation bei
der Zahl der Langzeitarbeitslosen . Wir müssen deshalb
weiterhin für Langzeitarbeitslose und hinzukommend
verstärkt auch für Flüchtlinge geeignete Programme ent-
wickeln und anbieten .

Allein im Januar 2016 haben 791 000 Personen an ei-
ner arbeitsmarktpolitischen Maßnahme teilgenommen .
Öffentlich geförderte Beschäftigung ist eines der klas-
sischen Instrumente der Arbeitsmarktpolitik . Der Anteil
der öffentlich geförderten Beschäftigung ist in den letz-
ten Jahren jedoch rückläufig.


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Ja, weil kein Geld mehr da ist!)


Während der Anteil der öffentlich geförderten Beschäfti-
gung im August 2012 noch bei etwa 129 000 Stellen lag,
lag er im August 2015 bei etwa 98 000. Diese rückläufige
Tendenz lässt sich auf einen Rückgang der Arbeitslosen-
zahlen und auf Maßnahmen nach § 45 SGB III zurück-
führen .

Über den Nutzen dieser Beschäftigung außerhalb des
ersten Arbeitsmarktes gibt es die unterschiedlichsten
Auffassungen . Ich halte öffentlich geförderte Beschäfti-
gung nicht für ein Allheilmittel gegen Langzeitarbeits-
losigkeit . Aufgrund der niedrigen Integrationsquoten
und der hohen Kosten hätte ich bei einem Ausbau der
öffentlich geförderten Beschäftigung Bedenken . Es be-
stünde die Gefahr, dass Langzeitarbeitslose dauerhaft in
subventionierten Beschäftigungsverhältnissen gelassen
würden, ohne dass neue Perspektiven in Betracht gezo-
gen würden . Öffentlich geförderte Beschäftigung sollte
nur als Ultima Ratio in Betracht kommen, nämlich dann,
wenn eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt nach
mehrfachen Versuchen unmöglich erscheint .

Ich halte es für äußerst zielführend, dass für junge Er-
wachsene unter 25 Jahren die öffentlich geförderte Be-
schäftigung nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt .

Gerade für diese Altersklasse kommen durchaus effekti-
vere Arbeitsmarktinstrumente infrage .

Bei der Integration von Langzeitarbeitslosen in den
ersten Arbeitsmarkt müssen wir uns stärker auf folgende
Fragen konzentrieren und individuelle Antworten geben:
Was können wir tun, damit eine Integration in den ers-
ten Arbeitsmarkt gelingt? Welche Stärken müssen wir
fördern, und welche Arbeitsmarktinstrumente sind viel-
leicht sinnvoll?

Werte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich ei-
nige Sätze zu den Veränderungen der Arbeitslosenzahlen
sagen . Uns allen ist bewusst, dass sich durch den Zuzug
von vielen Flüchtlingen die Anzahl der SGB-II-Leis-
tungsbezieher erheblich erhöhen wird . Wir müssen ver-
schiedene Instrumente für Menschen mit einer Bleibe-
rechtperspektive anbieten . Arbeitsgelegenheiten können
für sie ein erster Einstieg sein . Gleichwohl sollten an-
dere Möglichkeiten wie Sprachkurse, Anerkennung von
Zeugnissen und Praktika nicht vernachlässigt werden .
Ein Arbeitsplatz ist und bleibt der Schlüssel für eine er-
folgreiche Integration .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit dem Gesetz zur Stärkung der beruflichen Wei-
terbildung und des Versicherungsschutzes in der Ar-
beitslosenversicherung werden wir die Instrumente
der beruflichen Weiterbildung weiter stärken. Zu den
Förderungsprogrammen zählen insbesondere umschu-
lungsbegleitende Maßnahmen, die Förderung von
Grundkompetenzen in den Bereichen Lesen, Schreiben
und Mathematik, Weiterbildungsprämien und Weiterbil-
dungsförderung in kleineren und mittleren Unternehmen .
Gerade geringqualifizierte Menschen ohne Schul- oder
Berufsabschluss haben damit die Möglichkeit, ihre Fä-
higkeiten zu erweitern . Auch die zeitliche Verlängerung
von Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Ein-
gliederung bei einem Arbeitgeber halte ich für Menschen
mit mehreren Vermittlungshemmnissen für besonders
sinnvoll .

Ich bin davon überzeugt, dass wir mit unserem Ge-
setzentwurf gut aufgestellt sind . Wir werden die beiden
Anträge der Fraktion Die Linke deshalb ablehnen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Erst einmal muss einer überwiesen und beraten werden!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815609200

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7425 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Programm für gute öffentlich geförderte Beschäftigung
auflegen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-






(A) (C)



(B) (D)


empfehlung auf Drucksache 18/5158, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4449 abzuleh-
nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(22 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Ulle Schauws, Tabea Rößner, Katja Dörner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Grundlagen für Gleichstellung im Kulturbe-
trieb schaffen

Drucksachen 18/2881, 18/7351

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Ursula Groden-Kranich für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ursula Groden-Kranich (CDU):
Rede ID: ID1815609300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Thema Gleich-
stellung – ob im Kulturbetrieb oder ganz allgemein – be-
schäftigt dieses Parlament und andere Parlamente schon
seit vielen Jahren .

In der letzten Wahlperiode gab es schon einmal ei-
nen fast wortgleichen Antrag der Grünen, und am
27 . Juni 2012 gab es auch schon einmal eine öffentliche
Anhörung mit ganz ähnlichen Leitfragen und Experten,
wie wir sie im letzten Jahr, am 11 . November, erlebten .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht ihn nicht schlechter!)


Um es gleich vorwegzunehmen: Auch in dieser letzten
Anhörung gab es keine bahnbrechenden neuen Erkennt-
nisse, und auch die wirklich namhaften Sachverständigen
konnten uns keine konkreten Rezepte für neue Gesetzes-
maßnahmen nennen .

Genau das aber war mit Blick auf unsere Rechtssi-
tuation auch zu erwarten . Denn wir haben schließlich
schon das Allgemeine Gleichstellungsgesetz, wir haben
ein Grundgesetz, das Diskriminierung verbietet, und wir
haben ein Bundesgremienbesetzungsgesetz . Woran liegt
es also, dass Gleichstellung immer noch ein Problem ist?


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine gute Frage!)


– Ich komme gleich auf Rheinland-Pfalz zu sprechen,
Frau Rößner . Das kommt gleich . – Wurden die bestehen-
den Gesetze nicht konsequent angewendet? Oder reichen
selbst die besten Gesetze bei bestmöglicher Anwendung
allein noch nicht aus? Ich denke, beides ist der Fall . Wir
müssen die bereits vorhandenen Gesetze besser anwen-

den, und wir müssen darüber hinausgehen und dürfen
uns nicht oder zumindest nicht ausschließlich auf eine
Bundesgesetzgebung verlassen .

Um wirkliche Gleichstellung zu erreichen, müssen
wir außerdem eine gesamtgesellschaftliche Debatte füh-
ren, nicht nur eine politische . Dabei will ich in aller Deut-
lichkeit sagen, dass dies natürlich keine Entschuldigung
für politische Versäumnisse sein darf .

Aber nochmals: Gleichstellung ist nicht nur Aufgabe
des Gesetzgebers, sondern der gesamten Gesellschaft,
genauso wie im Übrigen Gleichstellung nicht nur Frau-
ensache ist, sondern die Männer mindestens ebenso stark
fordert und im Idealfall ebenso gewinnen lässt . Gerade
deshalb bin ich – vermutlich nicht nur ich – immer wie-
der erstaunt, dass insbesondere im Kulturbetrieb das The-
ma Gleichstellung noch derart optimierungsbedürftig ist .
Gerade bei den Kulturschaffenden, die sich doch selbst
gern als die Vorreiter einer modernen Gesellschaft und
eines emanzipierten Frauenbildes verstehen, sollte man
doch den höchsten Grad an real existierender Gleichbe-
rechtigung vermuten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nicht nur die scheinbar aufmüpfigen Schauspielerin-
nen in Hollywood weisen in den letzten Jahren vermehrt
darauf hin, dass Rückständigkeit, Chauvinismus und pa-
triarchalische Strukturen keineswegs auf konservative
Berufsbranchen beschränkt sind, wo man dies erwarte .


(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: So ist das!)


Was können und sollten wir als Politikerinnen also
konkret tun, um die Gleichstellung nicht nur im Kultur-
betrieb voranzubringen?


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dem Antrag zustimmen!)


Lassen Sie mich dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen,
etwas genauer auf den vorliegenden Antrag der Grünen
eingehen . Die erste und vielleicht wichtigste Forderung
nach validem Datenmaterial zur Situation weiblicher
Kulturschaffender wird, so denke ich, von allen Frakti-
onen unterstützt . Zu diesem Zweck hatte der Deutsche
Kulturrat bereits für die Jahre 1994 bis 2014 in der Un-
tersuchung „Frauen im Kultur- und Medienbetrieb“ den
Anteil von Frauen in Führungspositionen betrachtet .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2014? Nein, das ist schon länger her!)


Die Forderung nach aktuellem Datenmaterial ist eben-
falls so gut wie erfüllt; denn die Studie wird vom Deut-
schen Kulturrat fortgesetzt . Wir erwarten die Ergebnisse
noch in diesem Quartal .

Bemerkenswert ist allerdings Folgendes: Als der Kul-
turrat 2005 wegen der Fortsetzung der Studie „Frauen
in Kunst und Kultur“ auf die Kultusministerkonferenz
zugegangen ist, hatte diese zunächst kein Interesse . Nur
dank der Initiative der Kulturstaatsministerin Professor
Grütters


(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Aha!)


Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


wurde die Studie nun doch umfänglich fortgesetzt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Länder, gerade
auch die rot-grün regierten, leider auch im Kulturbetrieb
oftmals ihrer eigenen Verantwortung nicht nachkommen,
gleichzeitig aber den Bund zum Handeln auffordern .

Wie dem auch sei: Die Ergebnisse der Studie „Frauen
im Kultur- und Medienbetrieb“ werden in den nächsten
Wochen erwartet . Insofern war der vorliegende Antrag
zum jetzigen Zeitpunkt ohnehin nicht zielführend . Den-
noch sind wir uns, denke ich, alle einig, dass die Gleich-
stellung im Kulturbetrieb zügig und drastisch verbessert
werden muss . Denn schon die heute verfügbaren Statis-
tiken, zum Beispiel die der Künstlersozialkasse, zeigen
deutlich, dass sich die Situation von Frauen im Kunst-
betrieb zumindest in einigen Sparten zwar durchaus ver-
bessert hat, dass es aber noch längst keinen Anlass zur
Entwarnung gibt .


(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Ja, leider!)


Hier wie auch in anderen Bereichen sollten vor allem
zwei Ziele angestrebt werden:

Erstens sollte der Bund mit gutem Beispiel vorange-
hen und die Umsetzung des Bundesgremienbesetzungs-
gesetzes sehr viel strenger als bisher kontrollieren .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zweitens ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie –
mit längeren Öffnungszeiten von Behörden, flexi bleren
Arbeitszeiten und hochwertiger Kinderbetreuung – ge-
rade für Frauen in Kunst und Medien von essenzieller
Bedeutung . Denn ähnlich wie in der Politik sind auch
in diesen Branchen per definitionem höchst familienun-
freundliche Arbeitszeiten Fakt; das war übrigens auch in
der öffentlichen Anhörung ein Thema .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht auch im Antrag!)


Auch die Forderung der Grünen, mehr Frauen in Jurys
zu entsenden, ist absolut nachvollziehbar . Dies würde
endlich der Tatsache Rechnung tragen, dass Frauen einen
Großteil der Produzenten und Konsumenten ausmachen .
Nicht nachvollziehbar ist dagegen der Ruf nach einer
paritätischen Vergabe von Preisen und Förderprojekten .
Der Garant künstlerischer Freiheit sollte hier immer Vor-
rang haben .


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Männer sind automatisch besser, ja?)


Für mich steht fest: Frauen dürfen nicht dafür bestraft
werden, dass sie Frauen sind . Sich aber nur durch das
Frausein für ein Stipendium oder einen Preis zu quali-
fizieren


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Ja, genau! Nur wegen des Frauseins! Na, das ist ja klasse!)


– das gilt übrigens genauso umgekehrt –, das haben die
hervorragenden Künstlerinnen in unserem Land ganz be-
stimmt nicht nötig .


(Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, das hatten wir doch alles schon zigmal!)


Dazu passt ein Erlebnis, das ich genau heute vor einer
Woche in Aachen hatte . Dort wurde der Deutsch-Franzö-
sische Parlamentspreis verlieren . Es hat mich besonders
gefreut, dass alle drei Preise an Frauen gingen . Wie unser

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815609400

Dieser Fall ist im Statut nicht vorgesehen . – Er ist aber
auch nicht ausgeschlossen und von daher umso erfreuli-
cher .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätte er das bei Männern wohl auch so gesagt?)


Genau diese Offenheit im Ergebnis wünsche ich mir an
ganz vielen Stellen .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das sieht man aber nicht an Ihrer Rede!)


Dass es leider auch die Länder mit grüner Regierungs-
beteiligung versäumen, mehr an Frauen zu denken, zeigt
die Verleihung der Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes
Rheinland-Pfalz .


(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Aha!)


In den letzten drei Jahren wurden ausschließlich Männer
damit geehrt .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist eine Jury, die das entscheidet!)


– Ja, sorry; aber es ist ein Landespreis, Frau Rößner . Da
sind Sie durchaus beteiligt . Es liegt also nicht immer nur
am Bund .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das spricht ja dann doch für eine Quote!)


Sinnvoll finde ich beispielsweise die Forderung der
Initiative „Pro Quote Regie“ nach einer Erhöhung des
Frauenanteils bei Regisseuren


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Regisseurinnen!)


bis 2020 auf 42 Prozent . Ein solches Quorum ist im Ge-
gensatz zur starren Quote eine durchaus vernünftige und
realitätsnahe Forderung, die ich, ebenso, wie es auch
Staatsministerin Grütters tut, nur unterstützen kann .


(Zuruf des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Die Beauftragte für Kultur und Medien geht übrigens
auch im eigenen Haus mit gutem Beispiel voran . Von
den Führungspositionen in ihren 27 Fachreferaten sind
inzwischen 12 mit Frauen und 15 mit Männern besetzt,


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch so viele!)


Ursula Groden-Kranich






(A) (C)



(B) (D)


was immerhin einem Frauenanteil von 44 Prozent ent-
spricht .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


Mit diesem guten Beispiel sollten eigentlich alle Minis-
terien und alle Häuser in öffentlicher Hand auf allen Ebe-
nen vorangehen .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU/CSU-Fraktion auch!)


– Ich schließe doch niemanden aus . Das ist doch völlig
entspannt .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe Sie ja nur ergänzt!)


– Das ist auch schön .

Mir bleibt also Folgendes festzuhalten: Gesetzliche
Maßnahmen und vor allen Dingen ihre konsequente
Umsetzung auf Bundesebene sind sicherlich sinnvoll .
Gerade im Kulturbetrieb unterliegen viele wichtige Ent-
scheidungen aber der Länderhoheit . Hier kann der Bund
gar nicht alles regeln, selbst dann nicht, wenn es gewollt
oder wünschenswert wäre . Von daher appelliere ich aus-
drücklich auch an die Oppositionsparteien, Forderungen,
wie die aus dem heutigen Antrag, vehement auch in den
eigenen Reihen und in den von Ihnen mitregierten Län-
dern zu vertreten;


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen wir immer!)


denn egal ob im Bund oder in den Ländern: Die Gleich-
stellung von Männern und Frauen muss eine Selbstver-
ständlichkeit werden . Dazu können wir alle beitragen:


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


als Politikerinnen, als Mütter, als Töchter, als Arbeitge-
berinnen, als Erzieherinnen und in jeder anderen Rolle,
die wir unserem Privat- und Berufsleben ausfüllen .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was war jetzt mit den Männern?)


Als Mentorinnen müssen wir Frauen auch dazu ani-
mieren, eine mögliche Niederlage in Kauf zu nehmen,
sich aber auf jeden Fall dem Wettbewerb zu stellen .

Den vorliegenden Antrag der Grünen lehnen wir ab .
Ich bin aber zuversichtlich, dass wir mit einer konse-
quenten Umsetzung der vorhandenen Rechtsmittel, mit
einer breit geführten Gleichstellungsdebatte und mit ei-
nem kritischen Blick bei der Gremienbesetzung noch ei-
niges für die Gleichstellung im Kulturbetrieb erreichen
können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815609500

Das Wort hat die Kollegin Sigrid Hupach für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sigrid Hupach (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815609600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie alle
wissen, ist derzeit Berlinale . Letzten Montag war ich in
der Bubble der Initiative Pro Quote Regie am Potsdamer
Platz .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!)


Diese Initiative hatte zu Gesprächen, Diskussionen und
Statements rund um die Gleichstellung eingeladen . Im
vergangenen Jahr hat sie für viel Aufregung gesorgt,
indem sie einfach pure Fakten zur Benachteiligung von
Frauen im Filmbereich in die breite Öffentlichkeit getra-
gen hat .

Seit dem Wochenende liegt nun auch der zweite Di-
versitätsbericht des Bundesverbandes Regie vor . Danach
sind die Zahlen für 2014 noch schlimmer als die der Jah-
re 2010 bis 2013 . 2014 führten Frauen bei der ARD nur
bei 11,2 Prozent aller Filme und Serien in der Primetime
Regie . Beim ZDF waren es sogar nur 8,4 Prozent .

Eine Ursache dafür liegt unter anderem in der unglei-
chen Verteilung der Fördermittel . 83 Prozent aller Film-
fördermittel gehen in Deutschland an Männer, und nur
17 Prozent werden für Filme bereitgestellt, bei denen
Frauen Regie führen . Bei Filmen mit einem Budget von
über 5 Millionen Euro hat 2014 übrigens keine einzige
Frau Regie geführt, und das liegt nicht daran, dass es zu
wenige Frauen in diesem Bereich gibt; denn 42 Prozent
der Absolventinnen und Absolventen der Filmhochschu-
len sind Frauen .

Keineswegs büßen diese sehr gut ausgebildeten Ab-
solventinnen kurz nach dem Diplom auf geheimnisvolle
Weise einen Großteil ihres Könnens und ihrer Kreativität
ein . Nein, es liegt daran, dass die Gremien und die Jurys,
die über die Vergabe von Projekten und Fördermitteln
entscheiden, männlich dominiert sind .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Peinlich!)


Das belegen auch die Zahlen einer Studie der Filmuni-
versität Babelsberg: Fünf Jahre nach Studienabschluss
arbeiteten 100 Prozent der Regisseure in ihrem Beruf,
aber nur 25 Prozent der Frauen . Die Aufträge bekamen
die Männer, so ihre Angabe in der Studie, auf Empfeh-
lung .

Diese Zahlen sollten uns vor allem deswegen alarmie-
ren, weil es hier um die Vergabe von öffentlichen Gel-
dern geht .

In Kürze wird, wie meine Kollegin schon sagte, der
Deutsche Kulturrat eine Studie vorlegen, die wohl auch
die strukturellen Hürden aufzeigen wird, mit denen die
Frauen im Kultur- und Medienbereich zu kämpfen ha-
ben .

Als wir im Ausschuss den vorliegenden Antrag der
Grünen beraten haben, hat die CDU/CSU-Fraktion ihre
Ablehnung damit begründet, dass man erst einmal das
Zahlenmaterial abwarten müsse, um dann konkrete
Schlussfolgerungen ziehen zu können . Und um wirklich

Ursula Groden-Kranich






(A) (C)



(B) (D)


nichts verändern zu müssen, fügte sie noch hinzu, dass
man nicht in den künstlerischen Wettbewerb eingreifen
dürfe – ein altbekanntes Totschlagargument: Der Besse-
re setzt sich durch . Aber wenn man sich nur etwas mit
der Situation von Frauen im Kultur- und Medienbetrieb
auseinandergesetzt hätte, wüsste man schon längst, was
zu tun ist .

Wir Linke sagen deshalb: Wir brauchen verbindliche
Vorgaben für die Vergabe von Fördergeldern, Preisen und
Stipendien und für die Zusammensetzung der Auswahl-
gremien .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unter den 15 Nominierungen für den Preis der Leipziger
Buchmesse sind übrigens auch nur fünf Frauen, im Be-
reich Sachbuch/Essayistik keine einzige .

Wir brauchen außerdem die Aufhebung von Alters-
grenzen bei Stipendien und Preisen . Denn Frauen über
35 und mit Kindern haben es besonders schwer .

Wir brauchen ein regelmäßiges Gender-Monitoring,


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


auch, um den Erfolg oder das Nichtwirksamwerden von
Maßnahmen transparent nachverfolgen und gegebenen-
falls korrigieren zu können .

Weiterhin brauchen wir kluge Ideen wie zum Beispiel
das Vorspielen hinter dem Vorhang. Denn findet das Pro-
bespiel von Orchestermusikerinnen und -musikern hinter
dem Vorhang statt, erhöht sich die Chance für Frauen, in
den Vorrunden weiterzukommen, um 50 Prozent, in der
Finalrunde sogar um 300 Prozent .

Wir brauchen auch wirksame Mittel gegen prekäre
Lebens- und Arbeitsverhältnisse im Kultur- und Medien-
bereich;


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


denn Frauen sind wie immer auch da stärker betroffen .
Helfen könnten da gleiche Löhne, Ausstellungsvergütun-
gen, Mindesthonorare oder auch neue Arbeitszeitmodel-
le .

Und ja: Vor allem brauchen wir die Quote bei der Be-
setzung von Leitungsfunktionen, Gremien und Jurys und
vor allen Dingen wirksame Sanktionen bei deren Nicht-
einhaltung .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Filmemacherin Maria Mohr sagte bei der Anhö-
rung zum vorliegenden Antrag den aufschlussreichen
Satz: „Kunst ist immer Training und Talent .“ Frauen
wird die Gelegenheit zum Training jedoch systematisch
genommen .

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Koalition, bei der anstehenden Novel-
le des Filmförderungsgesetzes bietet sich nun eine gute

Chance, mit ganz konkreten Maßnahmen die festgefahre-
nen Strukturen endlich aufzubrechen und damit für mehr
Gleichstellung und mehr Gerechtigkeit zu sorgen . Dazu
gehört auch eine Quotenregelung, die keineswegs einen
vermeintlich freien Wettbewerb verzerrt, sondern einen
verzerrten Wettbewerb korrigiert .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Denn Qualität entsteht durch Vielfalt . Eine Quote ge-
währleistet diese Vielfalt und damit eben auch die Qua-
lität .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815609700

Die Kollegin Hiltrud Lotze hat für die SPD-Fraktion

das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hiltrud Lotze (SPD):
Rede ID: ID1815609800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren auf der Besu-
chertribüne! Ich sehe auch eine Menge junger Frauen, die
dieses Thema vielleicht ganz besonders interessiert .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ältere aber auch!)


Vor 115 Jahren, 1901, hat der Karikaturist Bruno Paul in
einer Satirezeitschrift geschrieben:

Sehen Sie, Fräulein, es giebt zwei Arten von Male-
rinnen, die einen möchten heiraten und die anderen
haben auch kein Talent .


(Heiterkeit)


Damals war die Überzeugung weit verbreitet, dass es
gegen die Natur der Frau ist, künstlerisch tätig zu sein .
Das hat sich Gott sei Dank geändert . Damals gab es tolle
Künstlerinnen, und auch heute gibt es viele großartige
Künstlerinnen und einflussreiche Frauen in der Kunst-
und Kulturszene .

2012 dann fragte die Wochenzeitung Die Zeit in ei-
nem Artikel: „Haben Frauen die Macht im Kunstbetrieb
übernommen?“ Nun, wenn das so wäre, dann würden wir
heute nicht hier stehen, sondern könnten uns zufrieden
zurücklehnen . Stattdessen debattieren wir heute zu Recht
den Antrag der Grünen zum Thema „Gleichstellung im
Kulturbetrieb“ .

Man könnte denken, dass der moderne und auch ex-
perimentierfreudige Kunst- und Kulturbereich die tra-
dierten Rollenbilder längst abgestreift hat und dass es in
diesem Bereich allein auf Kompetenz, Kreativität und
Ideenreichtum ankommt, wenn es ums Weiterkommen
geht . Schön wär’s! Noch heute sind viele Frauen im
Kunst- und Kulturbereich strukturell benachteiligt .

Gerade im Kunstbereich bleibt Erfolg männlich . Öf-
fentliche Museen und private Sammler kaufen mehrheit-
lich Werke männlicher Künstler . Die Arbeiten männli-

Sigrid Hupach






(A) (C)



(B) (D)


cher Künstler erzielen höhere Verkaufspreise . Männliche
Künstler sind bekannter . Die Künstlerin Sibylle Zeh hat
sich einmal das Künstlerlexikon von Reclam zur Hand
genommen und den Status quo festgestellt . Sie hat alle
Namen männlicher Künstler übertüncht . Am Ende blieb
eine Handvoll Namen weiblicher Künstler übrig .

In unserer Fachanhörung im November 2015 im Aus-
schuss haben wir Erkenntnisse gewonnen, mit denen wir
jetzt weiterarbeiten können . Die Grünen fordern in ihrem
Antrag eine verbesserte und vor allem aktuelle Daten-
grundlage zu Frauen im Kunst- und Kulturbereich; das
haben wir hier eben schon gehört . Das können wir im
Prinzip abhaken, weil wir in Kürze die Studie des Deut-
schen Kulturrates erwarten, die von der BKM mitfinan-
ziert wurde .

Viele der Punkte, die von den Expertinnen angespro-
chen worden sind, kennen wir auch aus anderen Berufs-
sparten: die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie, der
Karriereknick wegen der Familie, die ungleiche Bezah-
lung von Frauen und Männern und die berühmte gläserne
Decke . All das sind Symptome, die in unserer Berufs-
gesellschaft branchenübergreifend vorkommen . Ein Bei-
spiel ist die Buchbranche . Sie ist weiblich . Über 80 Pro-
zent der Beschäftigten in dieser Branche sind Frauen .
Aber auf der Leitungsebene sind es nur 16 Prozent Frau-
en . Der Gender Pay Gap ist in der Buchbranche sogar
noch größer als in anderen Bereichen .

Für uns von der SPD ist Geschlechtergerechtigkeit
keine Worthülse . Mit der Frauenquote für die Wirtschaft
haben wir einen Meilenstein gesetzt . Ein Entgeltgleich-
heitsgesetz wurde von der Familienministerin Manuela
Schwesig auf den Weg gebracht .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Aber die CDU will es nicht!)


Die beiden Ministerinnen Andrea Nahles und Manuela
Schwesig haben mit dem Programm „Kita Plus“ ein
überzeugendes Konzept vorgelegt, mit dem es Eltern er-
leichtert werden soll, in den Randzeiten eine Betreuung
für ihr Kind zu bekommen . Sie sehen also: Wir drehen an
den Stellschrauben, die die Situation auch für die Frauen
im Kunst- und Kulturbereich verbessern werden .

Nun wissen wir: Kunst und Kultur haben für unsere
Gesellschaft eine enorme Bedeutung . Sie hinterfragen
gesellschaftliche Entwicklungen kritisch . Sie begleiten
sie . Sie provozieren oder befördern sie . Sie schaffen auf
jeden Fall ein Bewusstsein, unter anderem auch in der
Geschlechterdebatte . Es ist doch klar: Es würde etwas
Wichtiges fehlen, nämlich die Hälfte der Welt, wenn die-
ser Prozess nur alleine durch die männliche Sichtweise
geprägt wäre . Wir müssen es Frauen ermöglichen, in die
Schlüssel- und Leitungspositionen zu kommen, damit
eben in Kunst und Kultur auch die weibliche Sicht ver-
treten wird und zum Ausdruck kommt .

Während ich hier stehe und darüber rede, merke ich,
dass ich ein Unbehagen dabei verspüre, dass wir auch im
Jahr 2016 immer noch begründen müssen, warum und

wieso Frauen in allen Bereichen gleichberechtigt vertre-
ten sein müssen .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Eigentlich müssten wir diesen Zustand doch irgendwann
hinter uns lassen . Wir sind die Hälfte der Welt . Deswegen
müssen wir auch überall zur Hälfte repräsentiert sein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gleichzeitig sind der Kultur- und auch der Medien-
betrieb, den ich immer mit einschließe, sehr heterogen .
Genauso heterogen und so differenziert muss man ihn
betrachten und untersuchen . Die Frage ist nämlich: Re-
den wir von öffentlichen Kultureinrichtungen, von kul-
turwirtschaftlichen Betrieben oder von freiberuflicher
Tätigkeit?

Der Antrag der Grünen benennt zu Recht einzelne
Missstände . In ihm werden auch analog einzelne Maß-
nahmen vorgeschlagen . Diese gehen in die richtige
Richtung, aber sie erfassen eben nicht das Bild in seiner
Gesamtheit . Ich habe schon aufgezählt, was die Knack-
punkte sind: Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch
Betreuungsmöglichkeiten außerhalb der gängigen Zei-
ten, transparente Kostenstrukturen usw . Auch die Alters-
armut von Künstlerinnen der ersten Stunde und prekäre
Arbeitsbedingungen bleiben unerwähnt .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie gerne mit einem Antrag! – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das hätten wir alles ergänzen können!)


Auch diese Kriterien können und müssen bei den vom
Bund finanzierten und bezuschussten Institutionen, För-
derprogrammen und Projekten berücksichtigt werden .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ganz kleiner Änderungsantrag hätte gereicht! – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Niemand wäre dagegen gewesen!)


Für den Medienbereich seien beispielhaft eine Anpas-
sung des Urheberrechtsvertrages mit dem Ziel der ange-
messenen Vergütung und die Zahlung von Mindesthono-
raren bei der Fördermittelvergabe zu nennen .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch einen Antrag!)


Wir haben daher im Ausschuss aus den eben genann-
ten Gründen den Antrag abgelehnt


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber keinen eigenen Antrag gemacht!)


und haben uns vorgenommen, sobald die Studie des
Deutschen Kulturrates vorliegt, in der die Thematik um-
fassend analysiert und aufbereitet wird, zielgerichtetere
Maßnahmen zu formulieren .

Wir haben uns im Koalitionsvertrag klar zum Grund-
satz „Kultur für alle“ bekannt . Geschlechtergerechtigkeit
gehört ebenso dazu wie Inklusion und die kulturelle Öff-

Hiltrud Lotze






(A) (C)



(B) (D)


nung . Jede und jeder Einzelne soll ohne Barrieren, seien
es die in den Köpfen oder die tatsächlich vorhandenen,
an der Kultur teilhaben können .

Ich habe es schon gesagt und wiederhole es gerne: Na-
türlich müssen Frauen auch in Kunst und Kultur gleich-
berechtigt vertreten sein und auch die guten Jobs errei-
chen können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815609900

Die Kollegin Ulle Schauws hat für die Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen das Wort .


(Beifall des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])



Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815610000

Vielen Dank, Frau Präsidentin . Vielen Dank, Herr

Kollege . – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich
weiß nicht, wer von Ihnen schon den Film „Suffragette“
gesehen hat .


(Burkhard Blienert [SPD]: Ich habe ihn schon gesehen!)


Er ist gerade Anfang Februar angelaufen . Darin geht es
um den erbitterten Kampf für das Wahlrecht von Frauen
in England . Die Suffragetten haben etwas sehr Richtiges
gefordert, und zwar Taten statt Worte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Und sie waren damit am Ende erfolgreich . Das wissen
wir .

Genau darum geht es . Wenn es um die Gleichstellung
von Frauen geht – auch im Kulturbetrieb –, dann braucht
es Taten . Dann braucht es auch die Taten dieser Bundes-
regierung .

Frau Grütters, Sie haben genau vor einem Jahr in Ihrer
Eröffnungsrede zur 65 . Berlinale gesagt, der Anteil von
Frauen dürfe gerne höher sein . Darin stimme ich Ihnen
voll und ganz zu .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Doch wie steht es aktuell um die Präsenz von Frauen
im deutschen Film? Die aktuellen Zahlen vom Bundes-
verband Regie sind ziemlich niederschmetternd – die
Kollegin hat es schon erwähnt –: Die Benachteiligung
von Frauen hat weiter zugenommen . Der Anteil von Re-
gisseurinnen bei deutschen Kinofilmen ist von 22 Prozent
auf 19 Prozent gesunken . Weiterhin führt nur bei einem
von fünf Kinofilmen eine Frau Regie. Im High-Bud-
get-Bereich, also bei Filmen mit einem Budget ab 5 Mil-
lionen Euro, saß 2014 keine einzige Frau mehr auf dem
Regiestuhl, und das alles, obwohl 42 Prozent derjenigen,
die an den Filmhochschulen ihren Abschluss machen,

Frauen sind . Das macht das Ausmaß der Benachteiligung
noch deutlicher. Ich finde, so geht es nicht weiter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, der Tagesspiegel fragt in
einem Artikel ganz aktuell zu Recht: „Wo sind eigentlich
die Regisseurinnen?“ Gute Frage . Ich gebe sie weiter an
die zuständige Ministerin: Was hat die Bundesregierung
bisher getan, um die Situation von Frauen im Kulturbe-
trieb zu verbessern?

An der Stelle möchte ich Frau Groden-Kranich korri-
gieren: Die Studie des Kulturates erfasste den Zeitraum
von 1995 bis 2000, das heißt, auch die letzten Jahre der
Regierung der CDU/CSU . An der Stelle ist nichts pas-
siert . Deswegen ist es mehr als überfällig, dass die Be-
auftragte für Kultur und Medien nach diesem langen
Zeitraum endlich die Ursachen für diese Schieflage mit
neuen Zahlen angeht, auch damit nicht der Eindruck er-
weckt wird, hier würde ein Automatismus weitergeführt .

Das müssen wir klarstellen, weil Sie sich eben auf
2014 bezogen haben . Es war ein kürzerer Zeitraum, und
in den elf Jahren der CDU/CSU-Regierung ist nicht viel
passiert .

Auch die aktuellen Zahlen aus anderen Bereichen der
Kultur zeigen kein positives Bild . Insbesondere an The-
atern und in Orchestern sind Frauen in Führungspositio-
nen ebenfalls stark unterrepräsentiert .

Ein aktueller Blick nach NRW zeigt: Nur 7 Prozent
der Intendantenstellen an kommunalen Theatern waren
2009 bis 2011 mit Frauen besetzt . Was glauben Sie, wie
hoch der Anteil bei den Philharmonien war? Ich sage
es Ihnen: Es gab keine einzige Generalmusikdirektorin .
Chancengleichheit sieht anders aus .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Fakt ist, dass Frauen in vielen Kultursparten, insbe-
sondere in den Leitungspositionen – also da, wo es um
Macht und Entscheidungsbefugnisse geht –, stark un-
terrepräsentiert sind . Das haben übrigens alle Sachver-
ständigen im Ausschuss bestätigt . Da steht die Kultur der
Wirtschaft in nichts nach .

Deswegen haben wir Grünen den Antrag von 2014 mit
entsprechenden Änderungen und weiter gehenden For-
derungen noch einmal eingebracht, damit sich endlich
etwas ändert . Wir fordern Sie noch einmal eindrücklich
auf: Verteilen Sie öffentliche Gelder endlich geschlech-
tergerecht!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dafür müssen die Kriterien für den Etat der Bundesbe-
auftragten für Kultur und Medien so angepasst werden,
dass sie Frauen und Männer gleichermaßen berücksich-
tigen .

Wir brauchen auch eine paritätische Besetzung von
Führungspositionen und Intendanzen in Kultureinrich-
tungen, die vom BKM gefördert werden . Schließlich ist
auch bei der Vergabe von Preisen und Förderprojekten

Hiltrud Lotze






(A) (C)



(B) (D)


eine geschlechtergerechte Verteilung notwendig . Nur so
kann mehr künstlerische Freiheit für Frauen entstehen
und damit logischerweise auch mehr kulturelle Vielfalt .

Auch wenn ich es angesichts der Unterrepräsentanz
von Frauen im Kulturbetrieb und der fehlenden Taten
der Bundesregierung unangebracht finde, immer wieder
darüber sprechen zu müssen, ob eine Quote zu Wettbe-
werbsverzerrungen oder Qualitätsverlusten führt, möchte
ich noch einmal deutlich sagen: Nein, führt sie nicht, im
Gegenteil .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Denn gerade die Tatsache, dass Frauen in allen Sparten
fast nur 10 Prozent des Etats der Männer haben, ist et-
was, was doch offenkundig nichts mit Qualität zu tun hat,
rein gar nichts . Ein Beispiel sind preisvergebende Jurys .
Beim ECHO Jazz 2016 wurden 4 Frauen, aber 52 Män-
ner nominiert . Erzählen Sie mir nichts von Qualität!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich wiederhole es: Die Schieflage besteht trotz einer stei-
genden Zahl von Absolventinnen in den künstlerischen
und filmischen Studiengängen. Es mangelt auch nicht an
gut ausgebildeten und talentierten Frauen .

Die Regisseurin Maria Mohr von Pro Quote Re-
gie – diese Gleichstellungsinitiative muss man explizit
hervorheben; sie leistet hervorragende Arbeit, auch auf
der Berlinale – hat es in unserer Anhörung im Ausschuss
treffend auf den Punkt gebracht: „Die Quote ist nicht
wettbewerbsverzerrend . Sie korrigiert einen verzerrten
Wettbewerb .“


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es kann nicht sein, dass uns die künstlerische Qualität
und Kreativität von Frauen verloren geht, weil strukturel-
le Hürden beim Zugang und im weiteren Verlauf des Be-
rufslebens nicht beseitigt werden . Diskriminierung von
Frauen kann und darf nicht unter dem Scheinargument
der künstlerischen Freiheit gerechtfertigt werden . Sorgen
Sie also mit gezielten Maßnahmen endlich für Chancen-
gleichheit für Frauen im Filmbereich, in der Musikbran-
che, an den Theatern und bei den Philharmonien . Die
Zeit ist mehr als reif dafür .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815610100

Frau Kollegin Schauws, das Wort „Zeit“ war ein gutes

Stichwort . Sie müssen jetzt einen Punkt setzen .


Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815610200

Ich komme jetzt zum Schluss .

Das Frauenwahlrecht wurde aus vielen Gründen lange
verhindert . Ein Grund war sicherlich Angst vor Verän-
derungen . Ich sage Ihnen allen dazu nur: Seien Sie doch
ein bisschen mutig, und bringen Sie zusammen mit uns
gerechte Strukturen im Kulturbetrieb auf den Weg . In

zweieinhalb Jahren wird das Frauenwahlrecht 100 Jahre
alt . Es wäre schön, wenn wir uns bis dahin auf den Weg
gemacht hätten, die Lage für Frauen zu verbessern und
den Kulturbetrieb vielfältiger zu machen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815610300

Das Wort hat die Kollegin Dr . Astrid Freudenstein für

die Unionsfraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1815610400

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Unser Thema kommt komisch daher . Aus-
gerechnet im Kulturbereich sollen es Frauen besonders
schwer haben . Ausgerechnet im Kulturbereich gibt es
weniger weibliche als männliche Führungskräfte . Aus-
gerechnet im Kulturbereich verdienen Frauen schlechter
als Männer . Ausgerechnet im Kulturbereich – so über-
schreiben Sie Ihren Antrag, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von den Grünen – müssen die Grundlagen für die
Gleichstellung von Männern und Frauen überhaupt erst
geschaffen werden, und das im Jahre 2016. Ich finde das
seltsam, und viele, mit denen ich über dieses Thema ge-
sprochen habe, finden das ebenfalls seltsam, vermutlich
deshalb, weil wir der Kultur eigentlich das Anderssein
zuschreiben, weil wir dort keine Hierarchien, keine glä-
sernen Decken und keine Männerbünde vermuten,


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Nein! Gar nicht!)


weil wir männliche Strukturen immer sehr stark in der
Wirtschaft und auch in der Politik ansiedeln, aber eigent-
lich nicht so sehr im Bereich des Kulturellen . Und dann
so etwas: Sie zeichnen das Bild einer Kulturszene, die
sich quer durch alle Sparten als rückständige Machozone
entpuppt . Dafür werden Zahlen bemüht und Statistiken
herangezogen .

Das kommt für mich komisch daher und ist auch un-
glaubwürdig . Auf jeden Fall ist es das Thema wert, sich
genauer damit zu befassen . Denn fest steht, dass Frauen
Karriereprobleme haben . Sie haben Probleme, an Auf-
träge zu kommen, und sie haben Probleme, richtig gutes
Geld zu verdienen .


(Zuruf von der LINKEN: Aber? – Dr . Eva Högl [SPD]: Da müssen wir noch was tun!)


Welche Gründe kann es dafür geben? Mir fallen mehrere
ein . Ein Grund kann sein, dass diejenigen, die entschei-
den, die Drehbücher, die Kunstwerke oder die Bewerbe-
rin schlichtweg nicht gut finden. Sie meinen, dass das,
was angeboten wird, den Publikumsgeschmack nicht
trifft, dass es nicht spannend genug ist, dass es sich nicht
gut verkauft, dass die Bewerberin nicht die notwendige
Qualifikation mitbringt.

Das ist zunächst ein ganz normaler Vorgang und keine
Ungerechtigkeit . Das passiert jeden Tag in Personalab-

Ulle Schauws






(A) (C)



(B) (D)


teilungen in dieser Republik, das läuft dann auch in der
Kultur unter dem Begriff der „Freiheit der Kunst“ . Denn
über Geschmack kann man streiten – auch über den Ge-
schmack von Redaktionen und Findungskommissionen .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das stimmt! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es geht um strukturelle Probleme!)


Es gibt auch eine zweite Möglichkeit, warum Frauen
im Kulturbereich nicht zum Zuge kommen: Die Drehbü-
cher, die Kunstwerke, die Bewerberinnen sind gut, aber
die, die entscheiden, haben schlichtweg keine Ahnung,


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das stimmt!)


oder es sind durchgängig Frauenhasser, Frauenhasserin-
nen; sie geben den Zuschlag der Bewerberin deswegen
nicht, weil sie eine Frau ist .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben sie das gesagt?)


Dafür fehlt mir zugegebenermaßen so ein bisschen die
Fantasie . Das wäre auch verboten, und das wäre strafbe-
wehrt – Gott sei Dank .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das denn behauptet? Das hat niemand behauptet, Frau Kollegin! Sie verzerren doch das Bild!)


Oder es sind einfach nur zu viele Männer in den Ent-
scheidungsgremien .

An dem Punkt wollen Sie ja ansetzen .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau!)


Sie unterstellen nämlich, dass mehr Frauen in die Jurys
und Gremien müssten, weil die sich dann wiederum öfter
für Frauen entscheiden würden .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen wir gar nicht!)


Ich muss Ihnen sagen, dass es dafür bisher keinen An-
haltspunkt gibt . Zum Beispiel sind die Redaktionen der
großen Fernsehanstalten, von denen Sie sprachen – ARD
und ZDF –, überwiegend schon weiblich besetzt . Ob sich
das auswirkt, das zeigt uns vielleicht die neue Studie, auf
die wir alle warten .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Überwiegend“ kann man nicht sagen! Die müssen ja erst neu besetzt werden!)


Möglichkeit drei, warum Frauen nicht so sehr zum
Zuge kommen, ist, dass es vielleicht tatsächlich so ist,
dass das, was Frauen anbieten, nicht passt . Die Frage,
ob die Unterrepräsentanz von Frauen im Kulturbereich
damit zu tun hat, dass Frauen öfter als Männer am Publi-
kumsgeschmack vorbeiproduzieren, darf man zumindest
stellen, meine ich .


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine Studie der Uni Rostock hat zum Beispiel erge-
ben, dass Frauen besonders häufig Dramen inszenieren,
Männer sich hingegen lieber mit Komödien beschäftigen .
Das sagt natürlich nichts über die Qualität der Arbeit von
Frauen aus, aber fest steht, dass Komödien beim Publi-
kum besser ankommen . Daran werden wir allerdings mit
Quoten auch nichts ändern können .

Dann gibt es noch eine vierte Möglichkeit: Die Frauen
können gar nicht so sehr zum Zuge kommen wie Männer,
weil sie sich nämlich nicht so oft bewerben wie Männer .


(Johannes Selle [CDU/CSU]: Ganz richtig!)


Das ist ein Punkt, der mir tatsächlich wichtig ist . Ich
sitze seit acht Jahren im Personalausschuss meiner Hei-
matstadt, in Regensburg . Und eine Konstante gibt es
dort, und zwar quer durch alle Bereiche der öffentlichen
Verwaltung und durch den gesamten Kulturbereich: Wo
auch immer eine Führungsposition ausgeschrieben ist,
bewerben sich deutlich weniger Frauen als Männer .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woran liegt das denn? – Zuruf von der LINKEN: Warum?)


Selbstzweifel sind offenbar zunächst einmal eine weibli-
che Eigenschaft . Ich meine aber schon, dass wir erst dann
eine paritätische Besetzung einfordern können, wenn sich
auf die Positionen, für die großen Projekte auch wirklich
so viele Frauen wie Männer bewerben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bis dahin müssen wir Frauen immer und immer wieder
ermutigen, ihren Hut auch wirklich in den Ring zu wer-
fen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schieben es wirklich den einzelnen Frauen zu! Unglaublich! Sie verstehen die Strukturen nicht!)


Ich meine tatsächlich, dass die Frauen an dem Punkt
an sich arbeiten müssen, sie müssen sich bewerben . Das
glaube ich tatsächlich .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen die Struktur verbessern!)


Im Kulturbereich kommt erschwerend hinzu, dass die
Arbeitszeiten alles andere als familienfreundlich sind .
Film, Tanz, Theater – all das findet abends statt. Das
Museum hat am Montag zu, ist aber am Wochenende of-
fen . Und zur Vernissage kann man auch nicht am Diens-
tagmittag einladen, wenn der Sohn im Kindergarten ist .
Mütter von kleinen Kindern haben es in der Kultur aus-
gesprochen schwer . Und an diesen zeitlich ungünstigen
Rahmenbedingungen können auch alle Quoten nichts
ändern .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich meine, dass wir
bei dem Thema in erster Linie dort ansetzen müssen, wo
wir der Branche und dann auch den Frauen wirklich hel-
fen können: Wir brauchen höhere Produktionsetats bei
den Fernsehanstalten und bessere Honorarvereinbarun-
gen, wir brauchen im Sozialversicherungsrecht Regelun-
gen, die dem freien Dasein der Künstler gerecht werden,
und wir brauchen vor allem eine dauerhaft gute finan-

Dr. Astrid Freudenstein






(A) (C)



(B) (D)


zielle Ausstattung der Kommunen, die nämlich einen
Großteil der Kulturförderung in unserem Land tragen .
Und das schaut in den Bundesländern sehr unterschied-
lich gut aus .

Geschlechterquoten können hilfreich sein, um Pro-
zesse anzustoßen . Bei der Vergabe von Aufträgen sind
sie jedoch mit Sicherheit nicht hilfreich . Wir vergeben
nämlich auch öffentliche Bauaufträge nicht paritätisch an
Frauen und Männer, sondern an die Firma, die die gefor-
derte Qualität zum besten Preis anbietet .

Wir lassen bei öffentlichen Architektenwettbewerben
auch nicht gleich viele Frauen und Männer gewinnen . Ich
finde das im Übrigen richtig, und ich würde mir wün-
schen, dass auch in der Kultur die Qualität das entschei-
dende Kriterium bleibt .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815610500

Das Wort hat der Kollege Burkhard Blienert für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Burkhard Blienert (SPD):
Rede ID: ID1815610600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Be-

mühen um Gleichberechtigung von Frauen und Männern
ist ein ursozialdemokratisches Anliegen, das sich wie ein
roter Faden durch die Geschichte meiner Partei und de-
ren Politik zieht . Aktuell ist das auch durch die Arbeit
von Ministerin Manuela Schwesig wieder sehr deutlich
geworden . Dass dieses Feld immer noch beackert werden
muss, zeigt uns aber auch, wie zäh und tief verwurzelt
die Widerstände sind, mit denen wir es hier zu tun haben .

In Politik und Parteien, in Verwaltung, Wirtschaft und
im gesellschaftlichen Zusammenleben hat sich in den
vergangenen Jahrzehnten in der Genderfrage vieles zum
Besseren entwickelt . Aber – keine Frage – es gibt im-
mer noch jede Menge zu tun, auch im Kultur- und Me-
dienbereich. Als filmpolitischer Sprecher richte ich den
Blick speziell auf den Filmbereich, weil das ein Bereich
ist, den wir uns in Kürze genauer anschauen werden . Am
Sonntag werden bei der Berlinale die Silbernen und Gol-
denen Bären verliehen . Die Chance, dass eine Regisseu-
rin geehrt wird, ist auch in diesem Jahr wiederum nicht
sehr groß; denn von 23 Filmen im Wettbewerb sind nur 2
von Frauen gemacht .

Das hat jetzt aber nichts mit der Auswahl von Dieter
Kosslick zu tun . Er war Pressesprecher der Leitstelle für
die Gleichstellung der Frau, wie es in seiner Biografie
heißt, und ist daher über jeden Verdacht erhaben . Er setzt
sich sehr stark für die Gleichstellung ein . Das zeigt auch
die Besetzung der Berlinale-Jury: Vier Frauen und drei
Männer entscheiden über die Preise, und Meryl Streep
hat den Vorsitz . Es zeigt sich aber auch, dass die interna-
tionale Situation von Filmemacherinnen sehr schwierig
ist .

Auch bei der Oscar-Verleihung werden wir das glei-
che Bild haben . Es ist nicht nur so, dass schwarze Filme-

macher dort kaum vertreten sind – dieses Mal gar nicht –,
sondern dass es auch zu wenige Frauen gibt . Auch dort ist
es kein Wunder, wenn 77 Prozent der Stimmberechtigten
in der Academy Männer sind . Die deutsche Film- und
TV-Branche befindet sich daher leider Gottes in bester
Gesellschaft, wenn es um fehlende Gleichstellung geht .

Das haben die Zahlen deutlich gemacht, die hier schon
präsentiert worden sind . Sowohl bei den Produktionen
von ARD und ZDF als auch im Kinobereich ist der Anteil
der Regisseurinnen 2014 sogar von 22 auf 19 Prozent zu-
rückgegangen . Bei den Filmen mit Budgets über 5 Milli-
onen Euro sinkt ihr Anteil tatsächlich auf null . Das heißt,
man kann nicht verneinen, dass wir da noch eine Menge
zu tun haben . Das sind Hausaufgaben, die wir machen
müssen .

Wir haben eine gute Anhörung im Ausschuss gehabt .
Darüber bin ich froh . Es hat eine sehr interessante und
ausgewogene Diskussion stattgefunden . Meine Kolle-
gin Hiltrud Lotze ist eben in ihrem Redebeitrag darauf
eingegangen . In der Debatte über die Novellierung des
Filmförderungsgesetzes werden wir entsprechende Maß-
nahmen ergreifen . Im ersten Diskussionsentwurf ist ent-
halten, dass die Fördergremien paritätisch besetzt werden
sollen .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin!)


Auch der Verwaltungsrat und das Präsidium der FFA
sollen sich analog zum Bundesgremienbesetzungsgesetz
am Gleichstellungsgebot orientieren . Dann werden wir
den Blick noch auf andere Instrumente richten müssen,
zum Beispiel auf die Gleichstellung im Aufgabenkatalog
der FFA sowie auf ein regelmäßiges Monitoring, das an
der Stelle zwingend geboten ist .

Einiges ist schon passiert, und das sollte man auch er-
wähnen, zum Beispiel der Maßnahmenkatalog der ARD .
Auch bei der Degeto gibt es nun eine Selbstverpflichtung;
sie will 20 Prozent der Regiestühle mit Regisseurinnen
besetzen – ein erster Ansatz, um die Gleichstellung vo-
ranzubringen . Das Thema wird uns noch weiter verfol-
gen . Es ist auch mit der Ablehnung des Antrags hier noch
nicht beendet . Ich glaube, dass wir bei der Novellierung
des FFG notwendige und sinnvolle Ergänzungen parla-
mentarisch umsetzen können . Die Argumente sind auf
der Seite der Gleichstellung, und das werden wir auch
nutzen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815610700

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Grundlagen für
Gleichstellung im Kulturbetrieb schaffen“ . Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/7351, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2881 abzuleh-
nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer

Dr. Astrid Freudenstein






(A) (C)



(B) (D)


stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion
und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-
genommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu-
nität und Geschäftsordnung (1 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Richard Pitterle,
Dr . Gerhard Schick, Dr . Sahra Wagenknecht,
Dr . Dietmar Bartsch, Katrin Göring-Eckardt,
Dr . Anton Hofreiter, Jan van Aken, Luise
Amtsberg und weiterer Abgeordneter

Einsetzung eines Untersuchungsausschusses

Drucksachen 18/6839, 18/7601

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Richard Pitterle für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Richard Pitterle (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815610800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Cum-ex, das klingt nicht nur suspekt,
sondern ist, drastisch gesagt, schlicht eine Schweinerei .
Heute setzen wir auf gemeinsamen Antrag von Linken
und Bündnis 90/Die Grünen einen Untersuchungsaus-
schuss zu den Cum-ex-Geschäften ein .

Cum-ex-Geschäfte waren Aktiengeschäfte schwer-
reicher Investoren, die im Zeitraum von 1999 bis 2012
praktiziert wurden . Aktien wurden um den Dividenden-
stichtag kurz hintereinander einmal mit – „cum“ – und
einmal ohne – „ex“ – Dividende gehandelt . Das führte
dazu, dass am Ende der Transaktionen zwei Personen
jeweils eine Bescheinigung über die auf die Dividende
gezahlte Kapitalertragsteuer erhielten, obwohl diese nur
einmal gezahlt worden war . Beide konnten sich diese
Zahlung dann jeweils erstatten oder anrechnen lassen . Im
Klartext: Einmal in die Staatskasse einzahlen, zweimal
aus der Staatskasse kassieren . Der dadurch entstandene
Schaden für den Fiskus und damit für die Steuerzah-
lerinnen und Steuerzahler dürfte sich nach bisherigen
Schätzungen auf 12 Milliarden Euro belaufen . Erst 2012
wurden diese Geschäfte durch eine Gesetzesänderung
unterbunden .

Die wichtigsten Fragen, die der Untersuchungsaus-
schuss zu klären haben wird, sind folgende: Wie kann es
sein, dass die Bundesregierung, allem voran das Bundes-
finanzministerium, jahrelang keine wirksamen Maßnah-
men gegen diese Machenschaften getroffen hat, obwohl
das Ministerium schon 2002 in einem Schreiben des
Bankenverbandes auf die Cum-ex-Geschäfte hingewie-
sen wurde?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was haben die zuständigen Finanzminister Steinbrück
und Eichel davon gewusst?


(Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Das fragen wir auch!)


Für mich geht es nicht nur darum, subjektives Ver-
sagen der einzelnen Akteure herauszuarbeiten, sondern
auch darum – das ist viel wichtiger –, die Mechanismen
aufzuspüren, die einen Fehler so lange fortwirken ließen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht nicht allein um die Aufarbeitung der Vergangen-
heit, sondern auch um die Lehren für heute und für die
Zukunft. Denn aus der Branche wird mir zugeflüstert,
dass die Cum-cum-Geschäfte, die zurzeit laufen, auch
nicht besser seien als Cum-ex .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Bei Cum-ex sollen mehr als 100 Finanzdienstleister
im In- und Ausland in diese Machenschaften verwickelt
gewesen sein . Nach und nach kommt die Lawine ins
Rollen . Die DZ Bank, das Zentralinstitut der Genossen-
schaftsbanken, will sich von Mitarbeitern trennen, die in
Cum-ex-Geschäfte verstrickt waren . Sie musste bereits
100 Millionen Euro an das Finanzamt nachzahlen .

Die HypoVereinsbank musste ebenfalls bereits 1 Mil-
lion Euro Bußgeld zahlen . Der Maple Bank sind die
Cum-ex-Geschäfte nun vollends zum Verhängnis gewor-
den . Sie musste wegen hoher Steuerrückforderungen von
der BaFin, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-
aufsicht, geschlossen werden .

Wir Linke können übrigens stolz darauf sein, dass wir
einen großen Anteil daran haben, dass diese Geschichte
überhaupt aufgearbeitet wird . Bereits in der letzten Le-
gislaturperiode haben wir durch unsere Fragen zu dem
Thema die Bundesregierung ins Schwitzen gebracht, und
es zeigt sich immer mehr, dass wir den Nagel auf den
Kopf getroffen haben .


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen
Koalition, den von uns geforderten Sonderermittler zur
Aufarbeitung der Cum-ex-Geschäfte haben Sie leider
verhindert und stattdessen selbst einen Untersuchungs-
ausschuss vorgeschlagen . In der ersten Lesung des An-
trags haben Sie dann mehrfach betont, dass Sie an der
Aufklärung konstruktiv mitarbeiten wollen .


(Philipp Graf Lerchenfeld [CDU/CSU]: Das tun wir auch!)


Es hat mich gefreut, dass die SPD entgegen ihrer ur-
sprünglichen Ankündigung einer Enthaltung gestern im
GO-Ausschuss für den Antrag in der heute vorliegenden
Fassung gestimmt hat .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch die CDU sollte sich hier einen Ruck geben;


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


denn es geht um eine Aufklärung im Interesse der Steuer-
zahlerinnen und Steuerzahler .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815610900

Das Wort hat der Kollege Christian Hirte für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Christian Hirte (CDU):
Rede ID: ID1815611000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! 30 Millionen Euro – so viel soll Uli Hoeneß
an Steuern hinterzogen haben; ein hübsches Sümmchen .


(Zuruf von der LINKEN)


Der Fall des einstigen Präsidenten des FC Bayern löste
in Deutschland eine polarisierende Debatte über Steuer-
betrug und Steuerflucht aus. Doch angesichts möglicher
Enthüllungen rund um die sogenannten Cum-ex-Ge-
schäfte sind Uli Hoeneß und andere Steuersünder wahr-
lich ganz kleine Fische .

Heute entscheiden wir über die Einsetzung eines Un-
tersuchungsausschusses zu Cum-ex-Aktiengeschäften .
Der GO-Ausschuss hat die notwendigen Vorarbeiten ge-
leistet, sodass wir nun über einen kompetenz- und verfas-
sungskonformen Einsetzungsantrag entscheiden können .
Dank an die Kollegen aus dem GO-Ausschuss, nament-
lich vor allem an den Kollegen Dr . Stefan Heck, der für
uns dort Berichterstatter war und darauf verzichtet hat,
hier zu sprechen, sodass ich das heute tun darf .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Was sich gelegentlich wie ein Trinkspruch anhört –
cum und ex –, könnte sich durchaus zu einem der span-
nendsten Wirtschaftskrimis der Bundesrepublik entwi-
ckeln . Es sollen Banken aus dem In- und Ausland den
deutschen Fiskus jahrelang mit dubiosen Aktiengeschäf-
ten um Milliarden von Euro gebracht haben, indem sie
sich durch Finanztransaktionen um den Dividendenstich-
tag herum eine einmal entrichtete Kapitalertragsteuer
vom Finanzamt gleich mehrfach erstatten ließen . Weil
Aktien so schnell gehandelt werden, dass offenbar nicht
alle hinterherkommen, ist bei solchen Geschäften gele-
gentlich unklar, wem die Aktien am Dividendenstichtag
eigentlich gehören, sodass wirtschaftliches und rechtli-
ches Eigentum auseinanderfallen können . So können
gleich zwei Handelspartner von ihren Banken in den Ge-
nuss einer Steuerbescheinigung kommen, die bares Geld
wert ist .

Als erste deutsche Bank hat im Dezember letzten Jah-
res – wir haben es gerade schon gehört – die HypoVer-
einsbank aus München einen Bußgeldbescheid wegen
Cum-ex-Geschäften akzeptiert . Die von der HVB eigent-
lich erhoffte Erstattung blieb aus, weil das Bundeszen-
tralamt für Steuern zu ermitteln begann und Steuerfahn-
der hinter den gewaltigen Summen der Aktientransfers
illegale Cum-ex-Geschäfte witterten . Nun musste die

Bank nicht nur die Steuern zurückzahlen, sondern auch
eine Geldbuße in Höhe von knapp 10 Millionen Euro
zahlen .

Wegen zweifelhafter Steuergeschäfte mit Dividenden-
titeln stehen für Banken und andere Investoren Millionen-
beträge auf dem Spiel . Nicht nur die HypoVereinsbank,
auch die Commerzbank bzw . Dresdner Bank, die HSH
Nordbank und die Schweizer Bank Sarasin haben soge-
nannte Cum-ex-Geschäfte mittlerweile eingeräumt . In
der letzten Woche setzte die BaFin – auch das haben wir
gehört – wegen Steuerrückforderungen in dreistelliger
Millionenhöhe und der damit einhergehenden bilanzi-
ellen Überschuldung sogar den Handel der Maple Bank
aus . Eine Reihe früherer Bankenvorstände muss sich auf
Regressforderungen einstellen . Nicht zuletzt die WestLB
und viele andere Institute und Beteiligte sind im Fokus
der Ermittler .

Die Kreditinstitute und Beteiligten stellen sich auf
hohe Steuernachzahlungen ein . Das wird wohl auch nö-
tig sein, wie die Causa HVB zeigt . Liegen nämlich Um-
gehungstatbestände mit Verschleierungscharakter und
kollusiven Absprachen vor, sind diese Cum-ex-Deals
nicht nur illegal, sondern auch steuer- und strafbar . Hier
sind bislang die Steuer- und Strafermittlungsbehörden
aber genau ihren Aufgaben nachgekommen . Darüber hi-
naus sollen jetzt neben den genauen tatsächlichen und
rechtlichen Umständen mit dem neu zu bildendenden
Untersuchungsausschuss auch die Verantwortlichkeiten
von Politik und anderen Beteiligten aufgeklärt werden .

Das Wort „Skandal“ wird ja meist inflationär benutzt,
und auch die Kollegen Schick und Pitterle nutzen dieses
Wort sehr gern – vielleicht etwas zu gern .


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein Skandal, oder was?)


Und wer weiß: Möglicherweise werden wir im Laufe un-
serer Untersuchungen noch so manches finden, was uns
mit dem Kopf schütteln lässt .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist nur ein Krimi! Es ist kein Skandal!)


Wir sollten daher die Arbeit des Untersuchungsaus-
schusses nicht mit allzu großen Tönen, Superlativen und
Pathos belasten . Wir sind hier nämlich nicht auf Skalp-
jagd, sondern wir sollten versuchen, unvoreingenommen
Sachverhalte, Rechtslage und Verantwortlichkeiten auf-
zuklären .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann mal los!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen vor einer
schwierigen Aufgabe, die sich anders als bei Uli Hoeneß
vielleicht nicht im allergrellsten Scheinwerferlicht der
Presse und der Medien abspielen wird . Deshalb möchte
ich dringend davor warnen, dass Linke und Grüne Vor-
verurteilungen in skandalisierender Weise vornehmen .
Das soll der Ausschuss ja eigentlich erst aufklären .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was meinen Sie damit eigentlich genau?)


Richard Pitterle






(A) (C)



(B) (D)


Wer dies tut, weil es ihm in den politischen Kram passt,
kann der Arbeit des Untersuchungsausschusses nicht ge-
recht werden .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil wir Fragen stellen?)


Der Themenkomplex ist schwierig, die Aktenlage un-
übersichtlich, und die Rechtslage lässt Raum für man-
cherlei Interpretationen, vielleicht auch für Überraschun-
gen . Gerade deshalb sollten wir sehr sorgfältig prüfen .
In diesem Sinn werden wir als Union konstruktiv an der
Aufarbeitung mitarbeiten .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Dann gucken wir mal!)


Ich persönlich freue mich darauf .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815611100

Das Wort hat der Kollege Dr . Gerhard Schick für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815611200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ab kommender Woche werden wir den wohl größten
Steuerskandal untersuchen,


(Christian Hirte [CDU/CSU]: Skandal!)


den die Bundesrepublik Deutschland bislang erlebt hat
und hoffentlich je erleben wird . Unser Ziel ist, dass wir
endlich aufhören, unsere Steuergelder an Trickser und
Betrüger am Finanzmarkt zu verschleudern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es ist zahlreichen Millionären und über 120 Finanzin-
stituten gelungen, uns Steuerzahlern und Steuerzahlerin-
nen zwischen 2002 und 2012 geschätzte 12 Milliarden
Euro aus der Tasche zu ziehen . 12 Milliarden Euro: Damit
hätten wir in diesen zehn Jahren 24 000 Lehrerinnen und
Lehrer kontinuierlich beschäftigen und bezahlen können .
Das ging nicht, weil einige Leute eine große Umvertei-
lungsmaschine von Bürgern zu Banken und Millionären
in Gang gesetzt haben, die sozusagen kontinuierlich Geld
von unten nach oben pumpt . Wir Grünen wollen, dass
diese Umverteilungsmaschine gestoppt wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Denn das Problem ist ja – das hat der Kollege Pitterle
angesprochen –, dass diese damalige Umverteilungsma-
schine leider in wohl nur leicht veränderter Form heute
weiter arbeitet und weiter viel Steuergeld von uns allen
verloren geht an Leute, die am Finanzmarkt tricksen . Ich
will, dass der Staat seine redlichen Bürgerinnen und Bür-
ger vor solchen Betrügereien schützt; denn diese skru-

pellosen Banker, Steuerberater und Investoren gefährden
den Zusammenhalt unserer Gesellschaft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg . Andreas Schwarz [SPD])


Doch wir als Abgeordnete dürfen uns nicht damit
begnügen, die Missetäter zu verurteilen, sondern wir
müssen uns fragen, was alles schiefgelaufen ist, damit
diese über zehn Jahre ungeschoren ihr Unwesen treiben
konnten . Genau dies soll im Untersuchungsausschuss
geschehen . Wir wollen untersuchen, und zwar ohne Vor-
verurteilungen, vielmehr Fragen stellen, warum das Bun-
desministerium der Finanzen über zehn Jahre brauchte,
dem Treiben ein Ende zu gebieten, obwohl es an Hin-
weisen nicht mangelte . Warum hat auch die Bankenauf-
sicht nur zugesehen, obwohl Banken solch hohe Risiken
eingegangen sind, dass eine erste jetzt schon deswegen
geschlossen wurde? Wieso wurde eigentlich die Steu-
erverwaltung so spät aktiv, obschon Steuererstattungen
beansprucht wurden, die an Höhe überhaupt keinen Sinn
mehr ergaben? Und warum haben wir eigentlich Landes-
banken im öffentlichen Eigentum, wenn auch diese die
Öffentlichkeit ausplündern? Das sind keine Vorverurtei-
lungen, sondern das sind ganz konkrete Fragen .

Herr Hirte, den Begriff „Schweinereien“ für all dies
hat Ihr eigener Kollege Olav Gutting – und nicht ich – in
einer der früheren Debatten, die wir zu diesem Thema
beantragt hatten, genannt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zustimmung des Abg . Andreas Schwarz [SPD])


Aber ich finde, recht hat er. Eine Schweinerei ist es. Des-
halb soll man es auch so benennen .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Nichts gegen Schweine! – Heiterkeit)


Leider wird die Koalition unserem Antrag zur Einset-
zung eines Untersuchungsausschusses heute nicht zu-
stimmen . Sie haben, Herr Hirte, keinerlei Begründung
dafür genannt, warum Sie meinen, dass man diese Fra-
gen nicht aufklären sollte . Ich würde mich freuen, wenn
die Vertreterinnen und Vertreter der Koalition uns mal
erklären würden, warum sie nicht mit uns zustimmen .
Ich hoffe, dass Sie – nachdem Sie unseren Antrag auf
Einsetzung eines Sonderermittlers abgelehnt haben und
auch andere Wege der gemeinsamen Aufarbeitung mit
uns nicht gehen wollten – jetzt trotzdem konstruktiv die
gemeinsame Aufarbeitung im Ausschuss mittragen wer-
den . So habe ich Sie verstanden . Ich hoffe, dass das in der
Praxis dann auch so sein wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Denn diese Aufarbeitung ist zentral .

Noch immer wissen viele Bürgerinnen und Bürger
nichts von dem, was da passiert ist . Und immer, wenn
ich davon spreche, fragen mich Menschen erschüttert,
warum sie eigentlich noch nichts davon erfahren haben .
Ich meine, Politik und Medien dürfen sich nicht immer
nur mit den einfachen Dingen beschäftigen . Wir müssen

Christian Hirte






(A) (C)



(B) (D)


die großen Probleme angehen, auch wenn es kompliziert
wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wie gesagt, diese Geschäfte gehen in einer etwas an-
deren Form weiter . Und es gibt immer noch Leute an den
Finanzmärkten, die skrupellos genug sind, die Allge-
meinheit zu schädigen und jede Schwäche, die es da gibt,
zu nutzen . Dieses ewige Hase-und-Igel-Spiel zwischen
einigen Experten am Finanzmarkt und uns als Gesell-
schaft muss endlich beendet werden . Für uns Grüne geht
es bei dieser ungewollten Umverteilung von unten nach
oben um Fairness und Gerechtigkeit, aber letztlich auch
um die Verlässlichkeit unseres Staates . Für diese Werte
treten wir ein .

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815611300

Das Wort hat der Kollege Andreas Schwarz für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Andreas Schwarz (SPD):
Rede ID: ID1815611400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir
werden noch heute die Einsetzung eines Untersuchungs-
ausschusses zu den sogenannten Cum-ex-Geschäften
beschließen . Dabei handelt es sich um Geschäftsmodelle
von Banken und Anlageberatern, deren Renditeverspre-
chen allein auf einer mehrfachen Erstattung und Anrech-
nung von Kapitalertragsteuern beruhte .

Der Gesetzgeber hat diesen Gestaltungen der Finanz-
industrie durch eine Umstellung der Kapitalertragsteue-
rerhebung ab 2012 faktisch den Boden entzogen . Dies
bedeutet aber nicht, dass sie bis dahin legal waren . Im
Gegenteil: Auch der Direktor des Max-Planck-Instituts
für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, Wolfgang
Schön, bezeichnet diese Geschäfte als illegal . Er geht
sogar – ich zitiere – noch weiter: Hier wurde nicht nur
versucht, Steuern zu sparen, sondern man hat den Fiskus
sogar systematisch gemolken .

Es ist für mich völlig unverständlich, dass findige Fi-
nanzberater noch immer der Auffassung sind, diese Art
von Betrug sei legal . Nein, das ist es nicht . Man muss
sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Wie kann
man es für legal halten, sich die Kapitalertragsteuer zum
Teil gleich mehrfach erstatten zu lassen, obwohl sie nur
einmal gezahlt wurde und folglich die Finanzämter – auf
Kosten der Allgemeinheit – mehr Steuern erstatteten, als
sie einnahmen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist
nicht legal, das ist kriminell .

Richtig ist, dass die steuerfachliche Bewertung der
fraglichen Cum-ex-Geschäfte im Schrifttum umstritten
ist . Auch steht höchstrichterliche Rechtsprechung hier-
zu noch aus . Inzwischen liegen uns aber Urteile zweier
Kölner Gerichte vor, die den Anfangsverdacht der Steu-

erhinterziehung von Banken bei Cum-ex-Geschäften be-
stätigen . Norbert Walter-Bojans hat vollkommen Recht,
wenn er laut FAZ vom 15 . Dezember 2015 – ich zitiere –
sagt:

Die Banken können sich nach eindeutigen Gerichts-
urteilen jetzt nicht mehr mit unklarer Rechtslage
herausreden .

Die Cum-ex-Geschäfte sind mit tatkräftiger Unter-
stützung der Banken allesamt von sehr wohlhabenden
Menschen getätigt worden, die sich gerne zur Elite un-
seres Landes zählen . Ich frage: Was ist daran Elite, sein
Vermögen auf Kosten der Allgemeinheit auf solch dreiste
Art und Weise unrechtmäßig zu vermehren? Es ist an der
Zeit, dass diese Leute endlich zur Besinnung kommen .

Um eines klarzustellen: Niemand möchte es vermö-
genden Menschen verwehren, ihr Geld gewinnbringend
anzulegen . Gleichwohl gilt aber auch, dass sie ihren
Pflichten nachkommen und ihre Steuern zahlen müssen
und nicht der Allgemeinheit die Mittel beispielsweise für
die Finanzierung wichtiger Infrastrukturprojekte vorent-
halten dürfen .

Gern zitiere ich hierzu noch einmal Norbert Walter-
Borjans:

Banken und Investoren, die sich einmal gezahl-
te Steuern trickreich mehrfach vom Staat erstatten
lassen, begehen keine lässliche Sünde, sondern un-
ternehmen einen systematischen Raubzug in Milli-
ardenhöhe bei öffentlichen Kassen, in die ehrliche
Steuerzahler zuvor eingezahlt haben .

Er sagte weiter:

Ich kann nur dazu raten, dass die Täter jetzt ihre
Lehren daraus ziehen, für die Vergangenheit reinen
Tisch machen und sich von kriminellen Geschäfts-
modellen zum Schaden der Allgemeinheit verab-
schieden .

Aus dem Ankauf der letzten Steuer-CD durch das
Land NRW haben sich Anhaltspunkte gegen 129 Banken
und Finanzdienstleister ergeben . Dies wird die bereits
laufenden umfangreichen Ermittlungen der Strafverfol-
gungsbehörden natürlich nochmals forcieren . Dafür gilt
dem Land NRW ausdrücklich Dank .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der ursprüngliche
Antrag der Opposition auf Einsetzung des Untersu-
chungsausschusses wies diverse verfassungsrechtliche
Probleme auf . Diese haben die Abgeordneten des 1 . Aus-
schusses intensiv diskutiert und mit der vorgelegten Neu-
fassung behoben . Insbesondere musste die Untersuchung
auf den Kompetenzbereich des Bundes beschränkt wer-
den .

Für uns als SPD war es zudem wichtig, nicht nur die
Rolle der öffentlichen Banken, sondern auch die der pri-
vaten Banken und Finanzdienstleister zum Gegenstand
der Aufklärung zu machen . Wenn man ein Bild interpre-
tieren und bewerten möchte, muss man das Gesamtbild
betrachten und nicht nur einzelne Facetten . Nur so kön-

Dr. Gerhard Schick






(A) (C)



(B) (D)


nen wir dem Untersuchungsauftrag auch wirklich ge-
recht werden .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum stimmen Sie dann jetzt nicht zu?)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hegen Zweifel,
ob wir das parlamentarische Instrument des Untersu-
chungsausschusses hier tatsächlich brauchen; denn wir
haben Strafverfolgungsbehörden, die inzwischen die
Arbeit sehr intensiv aufgenommen haben . Dieser Auffas-
sung sind nicht nur wir in der Politik, sondern ist auch
beispielsweise Klaus Ott, der als Redakteur der Süddeut-
schen Zeitung auf Grundlage des Informationsfreiheits-
gesetzes des Bundes Zugang zu den Akten des BMF er-
hielt .

Dennoch gilt: Unter Vorsitz unseres Kollegen
Dr . Hans-Ulrich Krüger werden wir die Aufklärungsauf-
gabe, die uns das Parlament heute übertragen wird, mit
großem Engagement verfolgen und vorantreiben . Wir
haben in dieser Legislaturperiode bei der Bekämpfung
der Steuerkriminalität schon viele wichtige Erfolge er-
zielt – gemeinsame Erfolge dieses Hauses . Wir haben die
Regelungen zur strafbefreienden Selbstanzeige deutlich
verschärft und den internationalen Datenaustausch durch
die Implementierung der OECD-Standards deutlich ver-
bessert, erfreulicherweise auch mit den Stimmen der
Grünen . Sogar die Linken haben diese Gesetzesverschär-
fungen nicht abgeschreckt; sie haben sie zum Teil mit-
getragen . Es gibt also in diesem Haus offenkundig eine
sehr gute Chance auf breite Mehrheiten für Maßnahmen
gegen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug . Da kann
man ja schon fast von einem Konsens sprechen .

Meine Bitte: Lassen Sie uns doch in der bevorste-
henden Ausschussarbeit daran anknüpfen und die Auf-
klärungsarbeit gemeinsam vorantreiben . Wer weiß –
womöglich ergeben sich auch noch Ideen für künftige
gemeinsame Gesetzesinitiativen . Denn eines ist klar:
Wer gegen Steuerkriminalität vorgeht, hat die SPD-Bun-
destagsfraktion immer an seiner Seite .


(Beifall des Abg . Bernhard Daldrup [SPD])


Ich komme zum Schluss . Sehr geehrter Herr Kollege
Hirte, Herr Kollege Pitterle, Herr Kollege Dr . Schick, wir
freuen uns auf die gemeinsame Arbeit und bieten allen
Beteiligten unsere gute Zusammenarbeit an .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815611500

Das Wort hat der Kollege Philipp Graf Lerchenfeld für

die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Graf Philipp Lerchenfeld (CSU):
Rede ID: ID1815611600

Verehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Mit dem Un-

tersuchungsausschuss, den wir heute einsetzen und der
sich in der kommenden Woche konstituieren wird, wer-
den wir uns auf eine Zeitreise begeben . Die Zeitreise be-

ginnt im Jahr 1998, als Steuergesetze geändert wurden,
die dazu geführt haben, dass Türen geöffnet wurden für
diese Machenschaften .

Kollege Schick, es war der von Ihnen gestützte Fi-
nanzminister Eichel, der diese Sachen vorbereitet hat .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 1998? Eichel?)


Sie waren an der Regierung beteiligt . Insofern kann ich
Ihnen nur sagen: Hätten Sie damals ein bisschen weiter
vorausgeschaut, dann hätten Sie vielleicht auch erkannt,
welche unsäglichen Tätigkeiten Sie ausgelöst haben .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schauen wir uns noch einmal genau an! Das war nämlich anders!)


Lassen Sie mich zurückkommen zum Cum-ex-Ge-
schäft und zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
in den 90er-Jahren, die, wie gesagt, diesen dubiosen Ge-
schäften die Tür geöffnet hat .

Im Jahr 2002 – damit sind wir beim nächsten Punkt
unserer Zeitreise – wurden dem Bundesfinanzministeri-
um erste Hinweise gegeben, dass ungerechtfertigte Er-
stattungen von Banken in großem Umfang vorgenom-
men wurden . Es wurde aber nichts gemacht . Man hat
nicht reagiert . Nun, man kann vielleicht sagen, dass es
immer eine Zeit dauert, bis Steuererklärungen abgege-
ben, Steuerbescheide erlassen und die notwendigen Be-
triebsprüfungen bei den Steuerpflichtigen durchgeführt
werden; dann gibt es eventuell noch Gerichtsverfahren
vor Finanzgerichten . Alles das zieht sich hin . Finanzbe-
hörden haben nur eine verzögerte Möglichkeit, gesicher-
te Kenntnisse über Steuergestaltungen zu erlangen .

Ich denke, es ist wirklich an der Zeit, dass wir uns mit
diesem Thema beschäftigen . Ich freue mich, im Untersu-
chungsausschuss die Gelegenheit zu haben, diese hoch-
komplizierte Materie zu durchleuchten .

So einfach, wie es den Anschein hat und wie derzeit
auch immer berichtet wird, ist der Sachverhalt doch
nicht; denn es gab immer wieder höchstgerichtliche Ur-
teile, die deutlich gemacht haben, dass eben kein Fall ge-
mäß § 42 AO vorliegt . Der BFH hat unter Berufung auf
§ 50 c Einkommensteuergesetz, der inzwischen wegge-
fallen ist, festgestellt, dass kein missbräuchlicher Tatbe-
stand beim Dividendenstripping vorlag . Insofern wird es
interessant werden, sich auch mit den Finanzgerichtsur-
teilen – heute ist wieder eines vom Hessischen Finanzge-
richt in der FAZ veröffentlicht worden – zu beschäftigen,
um festzustellen: Was ist denn der Hintergrund? Was ist
die rechtliche Frage? Ich denke, dass wir in den Finanz-
gerichtsurteilen durchaus Erhellendes für unseren Unter-
suchungsausschuss finden werden.

Es wurde schon gesagt, dass inzwischen Geldbußen
verhängt wurden . Die HVB hat – lieber Kollege Pitterle,
das zur Korrektur – 9,8 Millionen Euro Geldbuße bezahlt
und nicht 1 Million Euro, wie Sie vorhin gesagt haben .
Die Maple Bank ist, wie gesagt, inzwischen unter Mora-
torium gestellt worden, weil sie die Rückstellungen nicht
bilden konnte, die notwendig wären für die entsprechen-
den Rückerstattungen der Steuern . Spektakuläre Fälle

Andreas Schwarz






(A) (C)



(B) (D)


wie der des Unternehmers Müller, der die Bank Sarasin
in der Schweiz verklagt hat und damit deutlich machen
wollte, dass er von der Bank falsch beraten wurde, haben
öffentliche Aufmerksamkeit erregt .

Ich denke, wir haben eine große Aufgabe vor uns, um
die Sachverhalte, die im Fragenkatalog aufgeführt sind,
aufzuklären . Ich wünsche uns dazu gute Beratungen . Ich
hoffe, dass wir mit den Erkenntnissen, die wir gewinnen
werden, dazu beitragen, in Zukunft kriminelle Machen-
schaften bei missbräuchlicher Steuergestaltung zu ver-
hindern .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Andreas Schwarz [SPD])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815611700

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immuni-
tät und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeord-
neten Richard Pitterle, Dr . Gerhard Schick, Dr . Sahra
Wagenknecht, Dr . Dietmar Bartsch, Katrin Göring-

Eckardt, Dr . Anton Hofreiter, Jan van Aken, Luise
Amtsberg und weiterer Abgeordneter zur Einsetzung ei-
nes Untersuchungsausschusses. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7601,
den Antrag auf Drucksache 18/6839 in der Ausschuss-
fassung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Koalitionsfraktionen ange-
nommen .


(Beifall des Abg . Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Damit ist der 4 . Untersuchungsausschuss der 18 . Wahl-
periode eingesetzt .

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 24 . Februar 2016, 13 Uhr, ein .

Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen alles
Gute bis dahin .