Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alleherzlich zur 30. Sitzung des Bundestages in der laufen-den Legislaturperiode.Bevor wir unsere Haushaltsberatungen fortsetzen,müssen wir noch Nachwahlen für den Stiftungsrat derStiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung durchfüh-ren.Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur undMedien schlägt vor, als Vertreter des Auswärtigen Amtsfür die ausgeschiedene Staatsministerin Cornelia Pieperden Staatsminister Michael Roth als ordentliches Mit-glied zu berufen.Als Vertreter der Beauftragten der Bundesregierungfür Kultur und Medien wird als ordentliches Mitglied dieStaatsministerin Monika Grütters für den ausgeschie-denen Staatsminister Bernd Neumann und als persönli-ches stellvertretendes Mitglied Herr Dr. Michael Roikfür Frau Dr. Ingeborg Berggreen-Merkel vorgeschlagen.Schließlich soll als Vertreter des Bundes der Vertrie-benen Herr Klaus Schuck für den verstorbenen HerrnHartmut Saenger als persönliches stellvertretendes Mit-glied berufen werden.Stimmen Sie diesen Vorschlägen zu? – Das ist offen-sichtlich der Fall. Dann sind die Genannten in Ihrer je-weiligen Funktion in den Stiftungsrat gewählt.Für die Parlamentarische Versammlung des Euro-parates schlägt die Fraktion der CDU/CSU als Vertreterder Bundesrepublik Deutschland für die Kollegin KarinMaag den Kollegen Dr. Andreas Schockenhoff als per-sönliches stellvertretendes Mitglied vor. Darf ich auchhierzu Ihr Einvernehmen feststellen? – Das ist der Fall.Damit ist der Kollege Schockenhoff für die Parlamenta-rische Versammlung als stellvertretendes Mitglied ge-wählt.Schließlich weise ich darauf hin, dass interfraktionellvereinbart worden ist, die Beschlussempfehlung desAusschusses für Wirtschaft und Energie auf der Druck-sache 18/794 zur Sicherung von Wettbewerbsfähigkeitdurch Innovation und Zukunftsinvestitionen sowie dieBeschlussempfehlungen des Petitionsausschusses aufden Drucksachen 18/1098 bis 18/1102 als Zusatzpunktzusammen mit dem Tagesordnungspunkt 8 aufzurufen.Dabei soll, soweit erforderlich, von der Frist für den Be-ginn der Beratungen abgewichen werden. Sind Sie auchmit dieser Vereinbarung einverstanden? – Das ist derFall. Dann können wir so verfahren.Wir setzen die Haushaltsberatungen fort.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1a und 1b auf:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für
Drucksache 18/700Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschussb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungFinanzplan des Bundes 2013 bis 2017Drucksache 17/14301Überweisungsvorschlag:HaushaltsausschussAm Dienstag haben wir für die heutige Ausspracheeine Redezeit von insgesamt zehn Stunden beschlossen.Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Wirtschaft und Energie, Einzel-plan 09.Ich darf als ersten Redner den Bundeswirtschafts-minister ans Pult bitten.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ImIhnen vorgelegten Bundeshaushalt werden wichtige
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Bundesminister Sigmar Gabriel
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wirtschaftliche und politische Weichenstellungen getrof-fen. Wir sorgen in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungsund hoher Steuereinnahmen dafür, dass die staatlichenDefizite nicht weiter ansteigen. Man kann dem Bundes-finanzminister zu diesem Bundeshaushalt nur gratulierenund sozusagen in sozialdemokratischer Freundlichkeitsagen: Sie sind wirklich ein wahrer Keynesianer. – Dennder Gedanke „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“steckt hinter dem Ganzen. Ich finde es wirklich ein groß-artiges Zeichen für unser Land, dass wir es schaffen,ausgeglichene Haushalte aufzustellen. Ich glaube, dassollte alle hier im Parlament freuen.
Angesichts dessen, dass man dem Finanzminister zudiesem großen Erfolg wirklich gratulieren muss, möchteich anmerken, dass die Grundlagen zu diesem Haushaltviele gelegt haben – die Bundeskanzlerin hat gesternschon darauf hingewiesen: Es sind vor allem Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die mit ih-rer Leistungsfähigkeit den wirtschaftlichen Aufschwungtragen, der uns zu diesen hohen Steuereinnahmen ver-hilft. Ohne die wirtschaftlichen Bemühungen, ohne dasEngagement von Industrie und verarbeitendem Gewerbe,von Dienstleistungen, von Mittelstand, von kleinen Un-ternehmen und ohne den Tourismus nach Deutschland,der übrigens immer stärker wächst, wäre dies überhauptnicht erreichbar.Aber auch die Politik hat richtige Rahmenbedingun-gen gesetzt. Es begann unter SPD und Grünen, als sieden verhängnisvollen Weg anderer europäischer Länder,zu glauben, man müsse nur noch auf Finanzmärkte undInternet setzen und könne verarbeitendes und produzie-rendes Gewerbe und Industrie vernachlässigen, nichtmitgegangen sind. Das ist der Grund, warum wir heutein Deutschland besser dastehen als viele andere Länderin Europa. Wir sind ein Land, das nicht über Reindus-trialisierung reden muss. Das ist die Grundlage unsereswirtschaftlichen Erfolges.
Aber auch andere Koalitionen haben mit ihrer Politikeine Menge dafür getan. Dass wir gemeinschaftlich inder letzten großen Koalition den Vorschlag einer Schul-denbremse des damaligen Finanzministers in die Verfas-sung aufgenommen haben, war richtig. Es zeigt sich,dass wir diese auch brauchen, um allen Versuchungen zuwiderstehen. Auch die letzte Bundesregierung hat diesenKonsolidierungskurs und die Schuldenbremse im Blickgehabt und das Land wirtschaftlich leistungsfähig orga-nisiert. Noch einmal: Es ist ein Ergebnis vieler unter-schiedlicher Partner in Wirtschaft, Gesellschaft, Ge-werkschaften und auch hier im Hause. Deswegen solltedas Haus insgesamt, wie ich finde, stolz darauf sein, dassdieses Land diesen Konsolidierungskurs eingehalten hat.
Ganz nebenbei: Es ist weder wirtschaftlich vernünftignoch sozial gerecht, wenn hart erarbeitete Steuergelderzu einem immer größeren Teil für Zinsen aufgewandtwerden müssen. Wir konsolidieren den Haushalt abernicht nur, sondern fahren zugleich die Investitionenhoch. Dass wir da noch besser sein könnten, ist völligunstrittig
– viel besser; das ist keine Frage, Herr Kollege Bartsch –,aber dass wir in dieser Legislaturperiode 5 MilliardenEuro zur Stärkung der Verkehrsinfrastruktur und 9 Mil-liarden Euro mehr für Bildung und Wissenschaft zurVerfügung zu stellen, ist jedenfalls keine Kleinigkeit.Auch das ist, wie ich finde, bemerkenswert an diesemHaushalt.
Mein Damen und Herren, mit den politischen Ent-scheidungen dieser Koalition sichern wir die Energie-wende und schützen zugleich industrielle Arbeitsplätze.Wir beleben mit dem Bundeshaushalt die Binnennach-frage und stärken die Tarifautonomie. Gute Löhne sindkein Zeichen der Schwäche, sondern sind ein Zeichender Stärke unseres Landes. Wer Menschen nach jahr-zehntelanger Arbeit ohne Rentenkürzung in die Rentegehen lässt, der gefährdet nicht künftige Generationen,sondern benimmt sich schlicht anständig gegenüber deneigenen Eltern.
Weder gute Löhne noch gute Renten sind etwas, für dassich das Land schämen muss. Sie sind Zeichen des Zu-sammenhalts und der Gerechtigkeit in unserem Land.
– Dass es Menschen gibt, deren Renten nicht ausreichen,ist kein Argument dafür, dass Ihre Fraktion dagegenstimmt, Menschen nach 45 Versicherungsjahren ohneAbzüge in die Rente gehen zu lassen. Eigentlich müsstenSie dafür sein.
Wir beide können ja einmal Leute besuchen, die45 Jahre Schichtarbeit hinter sich haben, und Sie erklä-ren ihnen, warum Sie Rentenabzüge für gerechtfertigthalten. Das können wir einmal machen.
– Die Erwerbsminderungsrente verbessern wir in diesemHaushalt übrigens auch.
– Sie scheinen sich ja getroffen zu fühlen. Das versteheich. Aber Sie brauchen einfach nur zuzustimmen, dannnimmt die Betroffenheit ab.
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Etwas mehr als 100 Tage nach dem Amtsantritt be-weist die Bundesregierung mit diesem Haushalt Hand-lungsfähigkeit. Noch wichtiger ist: Die Menschen stehenhinter den zentralen Projekten dieser Regierung. DieBürgerinnen und Bürger unseres Landes wollen solideHaushalte und abnehmende Verschuldung. Die Bürge-rinnen und Bürger stehen mit überwältigender Mehrheithinter dem Mindestlohn, ebenso hinter der abschlags-freien Rente nach 45 Beitragsjahren. Sie stehen ebensohinter der Anerkennung von Erziehungsleistungen derMütter bei der Rente, wie sie es richtig finden, dass wirmehr Geld für Kindertagesstätten, Bildung und Hoch-schulen ausgeben.
Unsere Bürgerinnen und Bürger wollen auch eine bes-sere Finanzausstattung der Kommunen. Sie wollen dieEnergiewende, aber eine Energiewende, die nicht mehrim Treibsand politischer Verantwortungslosigkeit ver-sinkt und nicht mehr im Nebeneinander und Gegenei-nander von Interessen- und Lobbyistengruppen feststeckt,sondern politisch vorangetrieben wird, eine Energie-wende, die uns wieder Planungs- und Versorgungs-sicherheit gibt und bei der Kostenexplosionen nichtignoriert werden.Alle diese Forderungen der Bürgerinnen und Bürgerunseres Landes finden Sie in der Politik dieser Regie-rung während der ersten drei Monate und auch im Bun-deshaushalt wieder. Sicher: Viele Fragen sind noch of-fen, nicht alles ist fertig. Wie sollte es das auch sein?Aber nach etwas mehr als 100 Tagen im Amt hat dieseRegierung inzwischen mehr geleistet als andere Regie-rungen in einer vollen Legislaturperiode.
– Sie konnten diese Erfahrung nicht machen, weil Sienoch in keiner Regierung waren; aber dafür sorgen Sie jaständig selber.
– An mir soll es nicht liegen.
– Über den Rest, Herr Kollege Kauder, reden wir dannaber auch noch einmal.Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Kom-pass, der uns leitet, ist die soziale Marktwirtschaft, nichteine angeblich neu definierte, sondern die alte und im-mer noch aktuelle Idee, dass sich Arbeit für alle lohnensoll, dass Leistung und Solidarität ebenso zusammenge-hören wie Freiheit und Verantwortung. Nach mehr alszwei Jahrzehnten öffentlicher Diskreditierung hat sichdie soziale Marktwirtschaft wieder als das eigentlichedeutsche Erfolgsmodell herausgestellt. Jetzt wollen wirdafür sorgen, dass diese soziale Marktwirtschaft für dieMenschen in unserem Land wieder etwas bedeutet. Wirwollen Rahmenbedingungen schaffen, unter denen sichunternehmerisches Engagement und Selbstständigkeitlohnen, damit der Mittelstand seine Innovationskraft undFlexibilität erhalten und die Globalisierung nutzen kann.Deshalb wollen wir starke Gewerkschaften und Arbeit-geberverbände, die gute Löhne und gute Arbeitsbedin-gungen aushandeln. Aber weil das in den letzten Jahr-zehnten oft anders war, wollen wir Menschen, die ihrLeben lang gearbeitet haben, auch vor Altersarmut in ei-nem reichen Land schützen.
Die soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhards und KarlSchillers ist unsere eigentliche Stärke. Wer sie unter demEtikett „neu“ abschaffen will, der wird, glaube ich, inunserem Land scheitern.
Meine Damen und Herren, die wirtschaftlichen Pro-gnosen für unser Land sind gut. Die Zunahme der Aus-rüstungsinvestitionen und eine deutlich gestiegene Bin-nennachfrage sind dafür verantwortlich. Mit den imHaushalt des Wirtschaftsministeriums veranlagten Pro-grammen wie dem Zentralen Innovationsprogramm Mit-telstand oder der Aufstockung der Mittel für dieGemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalenWirtschaftsstruktur“ fördern wir diese Entwicklung.Beide Programme beinhalten übrigens nach wie vor ei-nen starken Förderanteil für die ostdeutsche Wirtschaft,was angesichts der immer noch existierenden Struktur-schwäche der ostdeutschen Bundesländer auch wichtigist.Aber es gibt auch Risiken für unsere wirtschaftlicheEntwicklung. Eines davon ist natürlich der Konflikt umdie Ukraine. Ich jedenfalls glaube, dass es richtig ist, derrussischen Regierung und dem russischen Präsidentenklarzumachen, dass Europa mehr ist als irgendeine öko-nomische Zweckgemeinschaft. Aber ich finde es ge-nauso richtig, dass die Bundeskanzlerin und allen vorander Bundesaußenminister sich darum bemühen, jedeMöglichkeit zur Deeskalation zu nutzen.
Das Gegenteil, Spekulieren über Militärstärke oder stän-diges Rufen nach Wirtschaftssanktionen, befördert je-denfalls weder die Entwicklung des Friedens in Europanoch die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landesund im Rest Europas.
Ich finde, es ist eine kluge Politik, auf der einen Seite zuzeigen, dass wir uns unsere Werte nicht abkaufen lassen,und auf der anderen Seite immer wieder Einladungen, zuVerhandlungen zurückzukehren, auszusprechen.In unserem Land stehen wir aber auch vor genügendSchwierigkeiten und Herausforderungen. Das ist derFachkräftemangel, und das ist die Energiepolitik. Wirhaben in Deutschland ein weltweit einmaliges Experi-
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ment begonnen, nämlich die Transformation unsererEnergieversorgung vom fossilen und nuklearen Zeitalterin das Zeitalter erneuerbarer Energien. Keine Frage, wirsind mit 25 Prozent Anteil an erneuerbaren Energien aufdem Strommarkt und Hunderttausenden neuen Arbeits-plätzen in diesem Bereich sehr erfolgreich auf dem Weg.Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir die Komplexitätder Herausforderungen unterschätzt haben.
– Ich kann niemanden zwingen, sein eigenes Handeln zuüberprüfen. Das müssen Sie selbst tun.Dass alle Parteien, die dafür waren, die Erneuerbarenauszubauen – dazu gehört Ihre Partei genauso wiemeine, Herr Hofreiter –, „je schneller, desto besser“ undnicht „je planbarer, desto besser“ als Leitmotiv hatten,war ein Fehler in der Vergangenheit. Das sollten wirauch offen sagen.
Nicht „je schneller, desto besser“ ist richtig, sondern „jeplanbarer und berechenbarer, desto besser“.
Diese Bundesregierung hat die Politik der letzten Jahrenur zum Teil zu verantworten. Wenn wir heute feststel-len, dass die Stabilität der Netze von den Übertragungs-netzbetreibern unter Hinzurechnung von Kernkraftwer-ken im Ausland, die wir seit Jahren abgeschaltet sehenwollen, sichergestellt wird, dann müssen wir zugeben,dass es ein Problem in der Art unserer Energiewendegibt.
Wer da wegschaut und erklärt: „Alle anderen sindschuld“, und nicht erkennt, dass er selber einen Teil zurNeustrukturierung beitragen muss, wird für Planbarkeitund Berechenbarkeit nicht sorgen.
Das zu ändern, dem dient das neue Erneuerbare-Ener-gien-Gesetz mit berechenbaren Ausbaukorridoren, neujustierter und durchaus auch gekürzter Förderung undSchritten hin zur Marktintegration auf dem Weg zu Aus-schreibungen. Ich bin sehr froh, dass alle Bundesländer,unabhängig von der jeweiligen politischen Konstella-tion, also nicht nur die Länder, die von Parteien regiertwerden, die die Bundesregierung tragen, erklärt haben,dass sie diesen Weg für richtig halten und dieses Gesetzim Bundesrat nicht aufhalten werden. Das ist ein großerFortschritt.
Dass wir zeitgleich die Gespräche mit der EU-Kom-mission zu einem erfolgreichen Abschluss bringen unddie deutsche Wirtschaft vor unzumutbaren Belastungenschützen konnten, ist nicht irgendein Nebeneffekt, son-dern die Voraussetzung dafür, dass wir die Unterstützungin der Bevölkerung für die Energiewende behalten. Werglaubt, die Gefährdung Hunderttausender Industrie-arbeitsplätze habe keine Auswirkungen auf die Unter-stützung der Energiewende, irrt sich gewaltig. Nur wennwir zeigen, dass industrieller Erfolg, Klimaschutz undEnergiewende zusammenpassen, erhalten wir in unsererBevölkerung die Zustimmung. Nur dann bekommen wirim Ausland Unterstützung für unseren Weg. Wir wolltendoch beispielhaft sein und keinen deutschen Sonderweggehen.
Damit deutlich wird, dass wir hier nicht über Indus-trielobbyismus von irgendwelchen Großkonzernen reden,sondern über das Überleben vieler Mittelständler, möchteich ein paar Beispiele nennen. Eine Papierfabrik mit250 Mitarbeitern zahlte bisher 65 000 Euro an EEG-Um-lage. Nach Auffassung der EU-Kommission hätte das aufüber 400 000 Euro steigen sollen. Ein Unternehmen derVerpackungsindustrie zahlte bisher 135 000 Euro undsollte nun 1,5 Millionen Euro zahlen. Beide Unterneh-men hätten ihre Finanzkraft in den kommenden Jahrennicht mehr in die Entwicklung ihrer Unternehmen underst recht nicht in gute Löhne stecken können, sondernwären gezwungen gewesen, Programme zur massivenKostensenkung aufzulegen. Die Zeche hätten die Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter der Unternehmen gezahlt.Diese wären uns für die Energiewende mit Sicherheitverloren gegangen.
Auch in der Industrie sieht es nicht anders aus. EinChemieunternehmen zahlte bisher bereits 735 000 EuroEEG-Umlage und sollte nach Auffassung der EU-Kom-mission in Zukunft 15 Millionen Euro jährlich zahlen.Das Unternehmen hätte schlicht das Land verlassenmüssen, wenn es nicht seine wirtschaftliche Existenzhätte einstellen wollen. Nur diese wenigen Beispiele– von denen gibt es Dutzende; nach den ersten Vorschlä-gen der Kommission hätte es Hunderte davon gegeben –machen deutlich: Was wir hier geschafft haben, ist nichtdie Sicherung von nur ein paar großen Unternehmen,sondern von vielen Hundert mittelständischen Unterneh-men in unserem Land. Das war dringend geboten.
Was in den 80er- und 90er-Jahren die Arbeitskostenwaren, sind in Zukunft Energie- und Rohstoffkosten.Diese bestimmen die Wettbewerbsfähigkeit dieses Lan-des. Das war der Grund, warum wir monatelang um denErhalt der Arbeitsplätze gerungen haben. Ich danke aus-drücklich – ich sage es einmal in der umgekehrten proto-kollarischen Reihenfolge – dem nicht anwesenden Chef
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des Bundeskanzleramts, Peter Altmaier, und der deut-schen Bundeskanzlerin, dass sie uns nachdrücklich undvon Anfang an unterstützt und begleitet haben. Ohne dieZusammenarbeit in der Regierung wäre das mit Sicher-heit nicht gelungen.
Jetzt wird eingewandt, den Preis dafür zahle der Ver-braucher. Dazu muss man wissen, dass von den 450 000deutschen Unternehmen gerade 2 000 eine teilweiseoder völlige Befreiung erhalten. Die Wirtschaft insge-samt trägt mit mehr als 7 Milliarden Euro fast genausoviel zur EEG-Umlage bei wie die privaten Verbraucher.Wenn wir nun die gesamte Befreiung für die deutscheWirtschaft aufgegeben hätten – manche haben das gefor-dert –, würde sich die Entlastung eines Dreipersonen-haushalts bei circa 40 Euro im Jahr bewegen. Einmal ab-gesehen davon, dass Sie hier in Berlin im Zweifel weitmehr sparen können, indem Sie den Stromanbieterwechseln: Was hilft es uns eigentlich, wenn wir 40 Europro Haushalt sparen, aber diejenigen, die den Haushaltdurch ihr Erwerbseinkommen finanzieren, zu Hundert-tausenden ihren Arbeitsplatz in Deutschland verlieren?
Außerdem lenkt die Debatte von dem eigentlichenProblem ab. Die Debatte über die Verteilung der EEG-Umlage lenkt von dem Problem ab, dass sie inzwischenzu einer massiven Belastung geworden ist. Wir könnendoch nicht so tun, als ob die Steigerung der EEG-Um-lage in den letzten Jahren kein Problem gewesen wäre.Das hat vielmehr etwas mit mangelnder Berechenbarkeitzu tun, und das hat etwas mit mangelnder Planung zutun. Deswegen glaube ich nicht, dass die Industriebefrei-ungen das Problem sind, sondern eine in den letzten Jah-ren drastisch gestiegene EEG-Umlage. Deswegen müs-sen wir diese Entwicklung jetzt durchbrechen, und dieersten Schritte dafür haben wir getan.
Sicher, vieles fehlt noch. Der Netzausbau geht zulangsam voran, der Emissionshandel in Europa liegt amBoden. Deswegen haben wir in Deutschland viel zuhohe Braunkohleemissionen. Wir brauchen ein neuesStrommarktdesign, und wir müssen dringend die Fragenach der Zukunft des konventionellen Kraftwerksparksund der Stadtwerke beantworten. All das steht jetzt aufder Tagesordnung.Eine der großen Herausforderungen der Energie-wende bleibt dabei die Steigerung der Energieeffizienz.Seit Jahren reden wir von ihrer Verdoppelung, und seitJahren schaffen wir das nicht. Auch wenn der Energie-und Klimafonds in diesem Haushalt steht, er ist wegendes am Boden liegenden Emissionshandels unsicher undviel zu gering ausgestattet. Gerade im Bereich der Ein-sparung von Wärme, Raumwärme und Warmwasser, lie-gen eigentlich die großen Chancen für Verbraucher undWirtschaft. Deshalb werden wir in den kommenden Jah-ren hier wesentlich mehr schaffen müssen. Investitionenin die Energieeffizienz sind genauso wichtig wie Zu-kunftsinvestitionen in die öffentliche Infrastruktur. Auchwenn wir in diesem Haushalt erste Schritte nach vornemachen –
– lesen Sie ihn einfach, dann werden Sie es merken –,
die Investitionen, die wir tätigen, gerade im Bereich derEnergieeffizienz, sind wesentlich zu gering.Wer diese Herausforderung kennt, ärgert sich übri-gens vor allen Dingen über diejenigen, die sich der Soli-darität in unserem Land für solche Aufgaben entziehen,indem sie zwar alles mitnehmen, was das Gemeinwesenzu bieten hat, aber für Steuergerechtigkeit nur Hohn undSpott übrig haben. Der erste Schritt zu mehr Steuerge-rechtigkeit ist nicht die Erhöhung des Spitzensteuersat-zes, sondern, dafür zu sorgen, dass die, die in diesemLand eigentlich Steuern zahlen müssten, es auch tatsäch-lich tun.
Damit das auch von meiner Seite aus einmal klar ge-sagt wird: In dieser Legislaturperiode wird es nicht nur,weil es in unserem Koalitionsvertrag steht, keine Steuer-erhöhung geben, sondern auch, weil es kein Mensch inDeutschland verstehen würde, wenn wir angesichts spru-delnder Steuereinnahmen öffentlich erklärten, wir hättenzu wenig und müssten die Staatseinnahmen erhöhen.
– Ich hoffe, Sie von der Union klatschen gleich auchnoch.
Was aber auch niemand versteht, ist, dass wir in ei-nem Gemeinwesen wie Europa seit Jahren tatenlos zuse-hen, dass jeder Bäckermeister in Deutschland höhereSteuersätze zahlt als große multinationale Unternehmen,nur weil sie sich in Europa eine Steueroase aussuchenkönnen.
Mit Blick auf die kommende Europawahl sage ich: Ichglaube, dass eine zentrale Aufgabe ist, dem entgegenzu-wirken.
– Herr Kauder, damit Ihnen Ihr Lachen bleibt, erspareich Ihnen den Hinweis darauf, wie unterschiedlich sichdie beiden Spitzenkandidaten zu dieser Frage positionie-ren.
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Bundesminister Sigmar Gabriel
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– Der eine hat das Modell, das ich kritisiere, zum Ge-schäftsmodell seines Landes gemacht, und der anderewill es verändern.
Wenn wir über Steuergerechtigkeit reden und wennwir über mehr Mittel reden, die wir für die Infrastruktur,für Energieeffizienz und Bildung brauchen, dann müssenwir dafür sorgen, dass Schritt für Schritt dort, wo dieWertschöpfung entsteht, auch Steuern gezahlt werden,und wir müssen verhindern, dass große Konzerne durchVerschiebung ihres Sitzes in Steueroasen innerhalb derEuropäischen Union nicht einmal 10 Prozent Steuernzahlen.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns das vorneh-men, dann werden wir es auch schaffen, die in allen Tei-len des Hauses als problematisch angesehene kalte Pro-gression auch wirklich zu beseitigen. Vor der Wahlhaben Sie Vorschläge zur Beseitigung der kalten Pro-gression gemacht. Wir haben gesagt: So etwas machenwir nur, wenn die Steuern erhöht werden. Jetzt haben wirsozusagen fast die umgekehrte Lage. Es müsste doch mitdem Teufel zugehen, wenn wir es nicht schafften, auchim Zusammenhang mit dieser Debatte in Europa nachLösungen zu suchen, die berechtigte Kritik des DGB-Vorsitzenden an der kalten Progression aufzugreifen unddafür Sorge zu tragen, dass die Binnennachfrage gestärktwird. Ich glaube, dass uns das im Laufe der Legislatur-periode gelingen muss. Wir werden dazu jedenfalls be-reit sein.
Es bleibt also genug zu tun: Investitionen in die Infra-struktur, Fachkräftemangel, Energieeffizienz, Energie-wende und immer wieder der Erhalt der Wettbewerbsfä-higkeit auch in einer digitalen Ökonomie. Ich glaube,dass wir mit diesem Haushalt und auch mit den Debat-ten, die wir um solche schwierigen Themen wie Energie-effizienz, Steuergerechtigkeit und kalte Progression füh-ren, in dieser Legislaturperiode einen ersten Schritt tun.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort erhält nun der Kollege Roland Claus für die
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bun-deswirtschaftsminister Gabriel und Herr Bundesostmi-nister – auch das darf ich sagen, weil Sie im Kabinett fürdie ostdeutschen Bundesländer zuständig sind; Sie sindim Zusammenhang mit der Gemeinschaftsaufgabe „Ver-besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ auch da-rauf eingegangen –, ein bisschen mehr Selbstbewusst-sein für den Osten hätte ich mir von Ihnen in dieserFunktion schon gewünscht. Es mangelt Ihnen doch sonstnicht daran.
Ich will einmal die Bibel bemühen,
die ja einen Gabriel kennt, zwar nicht den Bundesminis-ter, aber den Erzengel.
Dort heißt es:Über dem Ulai-Kanal hörte ich eine Menschen-stimme, die da rief: Gabriel, erkläre ihm die Vision!Ich glaube, diese Stimme muss es gewesen sein, dieder Bundesminister gehört hat, als er seine Rede hiervorbereitet hat.
Wir wollen natürlich von der Vision wieder auf denBoden der Tatsachen kommen. Da lohnt ein Blick in denHaushalt. Sie stellen uns einen Haushalt mit einem Volu-men von 7,5 Milliarden Euro vor. Das ist jede MengeGeld. Wenn man sich das aber näher anschaut, dannsieht man, dass über die Hälfte davon für die Nachsorgeim Steinkohlebergbau und für die Subventionierung vonLuft- und Raumfahrt abgezogen werden muss. Es bleibtalso gerade einmal 1 Prozent des gesamten Bundesetatsfür Wirtschaftsförderung übrig,
und damit, meine Damen und Herren, kann man in die-ser Republik nicht wirklich Wirtschaftspolitik machen.
Angesichts eines von niemandem bezweifelten Inves-titionsstaus wäre in der Tat erforderlich, was die Linkeseit Jahren fordert: ein großes Zukunftsinvestitionspro-gramm. Aber dann müsste man natürlich auch über neueEinnahmemöglichkeiten reden, meine Damen und Her-ren.
Nun muss ich einmal erklären, was es mit der Sub-ventionierung staatsnaher Monopolisten auf sich hat, dieich immer kritisiere. Ich greife einmal ein Beispiel he-raus: das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt.Für diese Institution sind im Einzelplan 09 etwa 1,5 Mil-liarden Euro veranschlagt. Jetzt kommen die Tricks die-ser Bundesregierung. Das ist nämlich längst nicht alles,was in diese Institution fließt. Es gibt auch Zuwendun-gen aus dem Einzelplan Verkehr, es gibt Zuwendungenaus dem Einzelplan Verteidigung, und es gibt – das er-scheint mir doch ganz besonders interessant – auch ausdem Bildungsetat eine Zuwendung.
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Roland Claus
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Und unter den Projektträgern, die das Bundesbildungs-ministerium auszuwählen hat, nimmt dieses Zentrumeine Monopolstellung ein und hat mehr als die Hälfte derProjektträgerschaften inne. Wir sagen Ihnen: SolcheTricks, aus mehreren Etats immer die gleichen Institutio-nen zu bedienen, werden wir Ihnen nicht durchgehenlassen.
– Das werden Sie noch bezweifeln müssen; denn derDank dieser Institution ist immer wie folgt: Wenn derBund einmal etwas verlangt, dann kommt das in allerRegel zeitverzögert und mit ganz großer Sicherheit über-teuert. Dazu können Sie sich ganz viele Beispiele angu-cken.
Das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand istnatürlich ein gutes Programm. Es hat aber – ich verglei-che es jetzt einmal mit dem Raumfahrtzentrum, über dasich eben gesprochen habe – nur etwa ein Drittel des Vo-lumens, das wir für die Subventionierung dieser Mono-polisten einstellen, und es ist noch immer zu bürokra-tisch konstruiert. Deshalb haben wir alle zurzeit mit denBriefen der Industrie- und Handelskammern zu tun, indenen wir darauf aufmerksam gemacht werden, dass esaufgrund der vorläufigen Haushaltsführung in diesemJahr schwer sein wird, dieses Innovationsprogrammwirklich abzufinanzieren. Da kann ich nur uns alle dazuaufrufen: Das müssen wir gemeinsam anpacken! Wirmüssen auch in den Ausschüssen dafür sorgen, dassdiese Mittel ankommen.
– Doch, wir waren dabei. Aber Sie wissen, Herr Kollege,dass unser Tun nicht ausreichen wird, um den Erforder-nissen tatsächlich gerecht zu werden. Davor kann mandoch nicht die Augen verschließen, meine Damen undHerren.
Nun haben Sie den Titel „Fachkräftesicherung fürkleine und mittlere Unternehmen“ in den Haushalt ein-gestellt. Das klingt gut. Für entsprechende Programmestehen 14 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist weni-ger als der viel zitierte Tropfen auf den heißen Stein. Ichweiß, dass Sie damit keine Stellen schaffen wollen, aberbloß zum Vergleich: Wenn man das in Stellen umrech-nen würde, käme man auf 200 Stellen. Meine Damenund Herren, ein solches Pillepalleprogramm ist Augen-wischerei. Es wird den Erfordernissen, um die es geht, inkeiner Weise gerecht.
Nach wie vor verschärft sich in Deutschland die Kluftzwischen Regionen mit hoher Wirtschaftskraft und sol-chen mit geringer Wirtschaftskraft, also auch zwischenOst und West. Es ist inzwischen fast wie im Profifußball:Wo das große Geld ist, wird auch Leistungskraft gekauft. –Da müssen wir mit der Gemeinschaftsaufgabe
und anderen Instrumenten wirklich gegensteuern, meineDamen und Herren!
Es ist halt noch immer so, dass der Osten in einer an-deren wirtschaftspolitischen Liga spielt. Die 100 größtenostdeutschen Unternehmen zusammengenommen habennicht einmal die Hälfte der Leistungskraft von Daimler;das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite haben wirhervorragende Chemieparks in Ostdeutschland, die nochwachsen könnten. Dafür müssen wir etwas tun, meineDamen und Herren!Zum guten Schluss: Herr Minister Gabriel, hier istnicht der Erzengel gefragt, sondern der Bundesminister,und deshalb bedarf Ihr Etat noch jeder Menge Änderun-gen. Da sind wir dabei.
Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Allererstesmöchte ich zum Ausdruck bringen, dass mich viele Äu-ßerungen des Bundesministers heute besonders gefreuthaben.
Es ist nicht selbstverständlich und war nicht immer so,aber heute ist es so.
Darauf möchte ich zuallererst eingehen.Es ist gut, Herr Gabriel, dass Sie heute erwähnt ha-ben, dass wir mit der Energiewende auch den einen oderanderen Fehler gemacht haben und machen und dass wirStrukturen verändern müssen, damit das nicht so weiter-geht.
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Dr. Michael Fuchs
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Überlegen Sie nur, dass die Bundesnetzagentur jetzt mitFessenheim – Sie haben ja das Kernkraftwerk Fessen-heim angesprochen – kontrahieren muss, um sicherzu-stellen, dass Grafenrheinfeld abgeschaltet werden kann.Das ist sicherlich ein Fehler; denn es ist das älteste Kern-kraftwerk Frankreichs.
Nach einer Laufzeit von über 40 Jahren wird es aller-höchste Zeit, dass es abgeschaltet wird. Das wird zwarpermanent gefordert, aber wir brauchen es zur Netzstabi-lisierung in den Jahren 2015 und 2016, weil ansonstenGrafenrheinfeld weiterlaufen müsste.
– Das wissen wir, und deswegen wissen wir auch – HerrGabriel, ich bin froh, dass Sie es eben noch erwähnt ha-ben –, dass wir dahin gehend tätig werden müssen, damitsolche Fehlentscheidungen – sie sind zwangsweise ge-kommen; es hat ja keiner eine Alternative dazu – nichtmehr sein müssen. Das bedeutet auch, dass wir in denNetzausbau viel mehr Intensität stecken müssen. Nurdann, wenn wir vernünftige Nord-Süd-Verbindungen ha-ben, können wir nämlich verhindern, dass solche Kern-kraftwerke noch einmal angeschaltet werden müssen,um die Netzstabilität zu erreichen.Ein zweiter Punkt, den Sie angesprochen haben undden ich genauso sehe wie Sie, hat mich gefreut: Wirmüssen dafür sorgen, dass alle Unternehmen, die inDeutschland Bruttowertschöpfung schaffen, hier ihreSteuern zahlen. Es kann nicht sein, dass sie sich schlichtund ergreifend in irgendwelche Steueroasen flüchten.
Ich weiß allerdings, dass der Bundesfinanzminister seitJahren darum kämpft. Es ist in meinen Augen ein ziemli-cher Skandal, dass zwei Mitglieder der EU und derEuro-Zone nach wie vor Transparenz bezüglich Kontennicht sichergestellt haben. Ich rede über Österreich undLuxemburg, die bis vor ganz kurzer Zeit keinerlei Trans-parenz hatten. Das, was wir von den Schweizern fordern,haben wir in meinen Augen nicht intensiv genug in derEU erreicht. All diese Steueroasen müssen ausgetrocknetwerden. Es kann auch nicht sein, dass sich die Engländerihrer Kanalinseln dermaßen erfreuen, wie sie es derzeittun. Auch das muss in diesem Hohen Hause einmal ge-sagt werden. Darin bin ich mit Ihnen völlig einig. Es isteine Aufgabe dieser Bundesregierung.
Ich weiß allerdings, dass der Bundesfinanzminister da-ran arbeitet.
Sie sehen, es gibt zwischen den Fraktionen und inner-halb der Bundesregierung ein hohes Maß an Einigkeit.Das ist auch gut so.Meine Damen und Herren, heute ist ein positiver Tag;denn ich habe heute Morgen gelesen, dass Griechenlandzum ersten Mal mit einer Anleihe an den Markt zurück-kehrt. Wenn das erfolgreich sein sollte, dann zeigt sichdaran, dass dank der Maßnahmen der Bundesregierung– nicht nur dieser, sondern auch der letzten und der vor-letzten – dafür gesorgt werden konnte, diese Länderlangsam wieder in den Markt zurückzuführen. Das isteine Erfolgsbotschaft für uns alle. Das zeigt, wie stabilder Euro geworden ist. Das zeigt auch, dass wir insge-samt auf einem guten Weg sind. Dafür bin ich dankbar.
Dass es bei uns gut läuft, ist eine bekannte Tatsache.Man sollte immer noch stolz darauf sein und den Muthaben, dies zu erwähnen. Wir haben eine Rekordbe-schäftigung, die es in Deutschland so noch nicht gege-ben hat. Wir haben die niedrigste Jugendarbeitslosigkeitaller europäischen Länder.
Daran kann man noch arbeiten, man kann es immer nochverbessern. In meinem Wahlkreis gibt es de facto keineneinzigen Jugendlichen mehr, der ausbildbar ist.
Leider haben wir noch ein Defizit, indem nicht sicher-gestellt ist, dass alle Schüler die Schule so abschließen,dass sie überhaupt ausbildungsfähig sind. Das ist an ers-ter Stelle eine Aufgabe für die Familien. Es ist aber aucheine Aufgabe für die Schulen, für die Länder. Als Bundsind wir natürlich weniger gefordert. An erster Stelle ha-ben die Länder da noch Hausaufgaben zu machen. Da-rauf sollten wir auch Wert legen. Es kann nicht sein, dassein junger Mensch keine Ausbildung hat; denn wenn erkeine Ausbildung hat, ist er der Hartz-IV-Empfänger derZukunft. Genau das wollen wir verhindern. Daran wer-den wir gemeinsam arbeiten.
Spanien, meine Damen und Herren, hat eine Jugend-arbeitslosigkeit von annähernd 50 Prozent. Wir haben inmeiner Region eine Jugendarbeitslosigkeit von null. Wirhaben Folgendes gemacht – ich will das heute mal ganzbewusst in diesem Hohen Hause erwähnen –: Wir habenmit der Region Valencia eine Zusammenarbeit begon-nen, auch unter Mitarbeit des spanischen Botschafters,dem ich dafür dankbar bin. In Zusammenarbeit mit derRegion Valencia haben wir mittlerweile rund 40 jungeLeute nach Koblenz geholt. Dort werden sie in Zusam-menarbeit mit der Handwerkskammer ausgebildet. Dannwird versucht, sie in die Handwerksbetriebe zu vermit-teln. Das funktioniert. Das duale Ausbildungssystem istdafür ideal. Die Kammern leisten eine tolle Arbeit. Das
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kann, wenn es gut läuft, vielleicht auch ein Modell fürandere Regionen in Deutschland sein. Wir sollten übersolche Programme diskutieren und sie unter Umständenauch ausbauen; denn das ist gute gelebte europäische So-lidarität. Meiner Meinung nach ist das gerade in der jet-zigen Situation, bei dieser hohen Jugendarbeitslosigkeitin anderen Ländern, auch notwendig.Lieber Herr Claus, es tut mir leid, aber ich hatte, alsich eben Ihrer Rede zugehört habe, den Eindruck, dass esin Ihrer Zeit in der DDR keinen Religionsunterricht ge-geben haben kann; denn sonst hätten Sie den ErzengelGabriel nicht so falsch zitiert. Herr Gabriel hat nämlichVisionen. Er hat auch gezeigt, dass diese Visionen rich-tig sind. Er hat nämlich die Energiewende in eine rich-tige Richtung gelenkt. Es ist wie beim Metzger: Es kannimmer noch ein bisschen mehr sein. Aber daran arbeitenwir gemeinsam.
Meine Damen und Herren, früher standen die Arbeits-kosten in Deutschland im Fokus, heute sind es die Ener-giekosten, und zwar nicht nur die Kosten von Strom,sondern auch von Gas usw. Wir müssen die Frage derEnergiekosten permanent adressieren; wir müssen dafürsorgen, dass die Energiekosten so niedrig wie möglichsind.
Denn ansonsten werden große energieintensive Unter-nehmen Deutschland verlassen.Hier muss ich ein bisschen Wasser in den Freuden-wein gießen; denn ein Punkt macht mir Sorge: DerVDMA – das ist ja kein ganz kleiner Verband – hat aus-gerechnet, dass seine energieintensiven Unternehmennur noch 85 Prozent der Abschreibungen reinvestieren.Das heißt, dass sie sich schleichend verabschieden. Ichgehe nicht davon aus, dass sie vom Markt gehen, son-dern davon, dass sie irgendwo anders investieren, unddas ist gefährlich. Darüber müssen wir nachdenken. Ichbin der Meinung, Herr Minister, dass wir das, wenn dasgesamte Energiethema nicht mehr so viel Zeit in An-spruch nimmt, im Ministerium mit den entsprechendenVerbänden adressieren sollten;
denn mir macht das Sorge. Wenn die Investitionsbereit-schaft in Deutschland nicht mehr in dem Maße vorhan-den ist, dann würde ich schon mal ganz gerne wissen,warum das der Fall ist. Wir sollten ein bisschen darübernachdenken.Wir haben uns mit dem EEG natürlich eine gewaltigeLast aufgeladen.
Meine Damen und Herren, 24 Milliarden Euro werden indiesem Jahr für erneuerbare Energien ausgegeben. WennSie sich bitte mal die Etats der einzelnen Haushalte, diewir in dieser Woche diskutieren, ansehen, dann werdenSie feststellen, dass der Etat des Bundesverkehrsminis-ters Dobrindt in etwa so groß ist wie der Betrag, den wirfür erneuerbare Energien ausgeben; das ist in etwa dieGrößenordnung. Ob das so richtig ist, stelle ich wirklichinfrage.Ich wünsche mir, dass die Maßnahmen, die das Bun-deskabinett in der letzten Woche mit den Bundesländern,mit den Ministerpräsidenten, verabschiedet hat, wirklichso zielführend sind, dass Kosten bei den erneuerbarenEnergien nicht mehr wesentlich ansteigen. Diese werdennicht zu irgendwelchen Preissenkungen führen. Es kannauch nicht dazu kommen; denn wir sind für 20 Jahre inder Verpflichtung, die EEG-Maßnahmen zu bezahlen.Und was heißt das? Frühestens im Jahre 2025 werdendie ersten größeren Entlastungen kommen; denn20 Jahre vorher, im Jahre 2005, begann der Anstieg derZahl der Maßnahmen nach dem EEG. Das heißt, dierichtigen Absenkungen werden erst gegen 2030 kom-men. Bis dahin haben wir eher einen Aufwuchs als einenRückgang bei den Kosten der erneuerbaren Energien.Das ist eine gewaltige Belastung für uns als Volkswirt-schaft, für die Unternehmen, aber auch für die Familien.Ich befürchte – Herr Gabriel, das muss ich schon sa-gen –, dass es mit den Maßnahmen, die wir jetzt ergrif-fen haben, immer noch zu einem Anstieg kommt, der zustark ist. Ich bin mir nicht so sicher, ob die Zahlen, dieuns da vorgelegt wurden – 0,2 Cent Anstieg pro Kilo-wattstunde –, richtig sind.
Ich bin eher der Meinung, dass das falsch gerechnet ist.Ich will dazu ein Beispiel nennen. Ich habe in den Pa-pieren gelesen, dass man davon ausgeht, dass der Strom-preis an der Energiebörse, an der EEX in Leipzig, 4 Centpro Kilowattstunde beträgt. Man kann das ziemlich ein-fach im Internet recherchieren, ich habe das gestern ge-tan. Wenn Sie einen Forward Price, also einen Preis für2017, nehmen und größere Mengen einsetzen – was fürdie meisten Unternehmen kein großes Problem ist –,dann liegt der Preis bei 3,3 Cent.
Der Preis ist also jetzt schon deutlich niedriger als in denAnnahmen Ihres Hauses. Das bereitet mir ein bisschenSorge, weil das bedeutet, dass die Umsetzung des EEGnoch teurer wird, wenn das so bleibt. Es wird keineMöglichkeit geben, den Strompreis da unten zu erhöhen,
einmal abgesehen davon, dass es für den Verbrauchernachher ein Nullsummenspiel ist.Lange Rede, kurzer Sinn: Ob die ergriffenen Maßnah-men reichen, das müssen wir in den nächsten Jahren sehrintensiv prüfen. Unter Umständen müssen wir noch ein-mal nachsteuern.Besondere Bedenken habe ich in Bezug auf den Off-shorewind; denn das wird für alle am teuersten und alleam stärksten belasten,
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die Verbraucher, die mittelständische Wirtschaft und dieIndustrie insgesamt. Auch hier werden wir unter Um-ständen noch einmal nachsteuern müssen.Wichtig ist auch, dass der Netzausbau noch stärkerbeschleunigt wird. Ich habe das Thema Grafenrheinfeldeben angesprochen. Wir müssen jeden Ministerpräsiden-ten bitten, nicht mehr in irgendeiner Weise blockierendtätig zu sein, sondern mitzumachen.
– Ich habe von jedem Ministerpräsidenten gesprochen,verehrte Frau Göring-Eckardt. Auch Herr Seehofer istMinisterpräsident.
Wenn ich jeden meine, dann ist Herr Seehofer automa-tisch mit dabei.
Wir stehen jetzt vor der Aufgabe, die Entwicklung indiesem Bereich erfolgreich nach vorne zu bringen. Wennuns das nicht gelingt, dann geht die ganze Energiewendein eine falsche Richtung. Es kann nicht sein, dass wir invielen Bereichen Deutschlands bei weitem zu viel Stromhaben und in anderen Bereichen zu wenig. Das müssenwir ändern.Dazu gehört auch, alle Kraft in die Forschung nachSpeichermöglichkeiten zu stecken. Dafür werden so-wohl im Etat des Wirtschaftsministeriums als auch indem des Forschungsministeriums Mittel bereitgestellt,aber unter Umständen ist das noch nicht genug. Nurwenn wir vernünftige, sinnvolle und bezahlbare Spei-cher schaffen, können die erneuerbaren Energien so ein-gesetzt werden, wie wir uns das eigentlich vorgestellthaben.
Ein weiterer Aspekt wird uns in der nächsten Zeit in-tensiv beschäftigten – er macht mir Sorge, weil er nocheinmal Geld kosten könnte bzw. Geld kosten wird –: dasberühmte Thema Kapazitätsmärkte. Meine Damen undHerren, das hat mit Markt überhaupt nichts zu tun. Wirmüssen Lösungen finden, dass die Unternehmen, diejetzt noch Kraftwerke betreiben, egal ob Gaskraftwerkeoder Kohlekraftwerke, diese auch am Netz halten, weilwir kein einziges von diesen Kraftwerken abschaltenkönnen, auch wenn wir noch so viel Strom aus erneuer-baren Energien produzieren.
Denn es gibt dummerweise Tage, an denen der liebeGott entschieden hat, dass der Wind nicht weht und dieSonne nicht scheint. Da können die Grünen so viel Windmachen, wie sie wollen: Das wird nicht wirklich helfen,eine einzige Windmühle anzutreiben.
Wenn wir es nicht hinbekommen, genug Speicher-möglichkeiten für Strom aus erneuerbaren Energien zuschaffen, dann werden wir mit der Energiewende nichtbesonders glücklich. Für mich gehört unbedingt zusam-men: erstens, den Strom dorthin zu bringen, wo er ge-braucht wird, und zweitens, den Energieüberschuss, denwir an vielen Tagen produzieren, sinnvoll zu speichern.Nur wenn der Überschuss sinnvoll gespeichert werdenkann, macht das Ganze Sinn.Lassen Sie mich zum Schluss kurz ein weiteresThema ansprechen, das ich für sehr wichtig halte. Ich binfroh, dass wir in der Großen Koalition einen gemeinsa-men Standpunkt gefunden haben; Volker Kauder hat dasgestern in seiner Rede auch gesagt: Wir müssen versu-chen, einen transatlantischen Markt zu schaffen, einenMarkt mit über 800 Millionen Bürgern, so viel haben dieUSA und Europa zusammen. Wenn uns das gelingt,dann ist das für alle Beteiligten gut. Selbstverständlichwissen wir, dass es unterschiedliche Standards gibt, diein wesentlichen Bereichen berücksichtigt werden müs-sen. Selbstverständlich müssen alle Abstriche machen.Aber:Es wäre doch absurd,– ich zitiere die Kanzlerin –wenn die beiden größten Binnenmärkte der Weltnicht zusammenkommen könnten. Dies wäre einTreppenwitz der Weltgeschichte.Recht hat die Kanzlerin. Lassen Sie uns gemeinsam da-ran arbeiten, ein Scheitern zu verhindern. Denn nurwenn es einem intensiv exportorientierten Land wieDeutschland gelingt, einen gemeinsamen Markt zuschaffen, werden wir unseren Wohlstand erhalten kön-nen.
Das ist eine Aufgabe für die Politik. Wir alle haben dieAufgabe, die Bevölkerung auf diesem Weg mitzuneh-men. Dazu fordere ich Sie alle auf.Danke.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nunder Kollege Oliver Krischer das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Bundesminister Gabriel, Sie sollten sich wirklicheinmal fragen, wo Sie stehen. Wenn Sie von HerrnFuchs, der uns hier etwas davon erzählt, dass man da un-ten Strompreise erhöhen müsse, der hier energiepoliti-sche Märchen verbreitet, über den grünen Klo,
Klee gelobt werden, dann müssen Sie sich doch einmalfragen, wo Sie stehen.
Das finde ich erschütternd.Herr Gabriel, Sie haben davon geredet, Sie wolltenden Ausbau der erneuerbaren Energien marktwirtschaft-lich gestalten, Sie wollten ihn planbar machen. Das, wasich in dem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf finde,ist Abwürgen der Photovoltaik, das ist Abwürgen derBioenergie. Es wäre auch zum Abwürgen der Windener-gie gekommen, wenn die Bundesländer das nicht amEnde verhindert hätten. Darüber können sich die Bun-desländer freuen, und dafür sollten wir sie loben.
Ich sage es noch einmal in aller Deutlichkeit: Im Bun-desrat ist der dümmste Irrsinn verhindert worden. Es istverhindert worden, dass wir ausgerechnet die preiswer-teste Form, Strom zu erzeugen – das ist preiswerter alsmit neuen Kohle- oder Gaskraftwerken – ausbremsenund deckeln. Jetzt gibt es wenigstens eine Perspektive.Das ist ein Erfolg, den wir Ihnen abgerungen haben.
Aber dabei belassen Sie es ja nicht. Sie lassen sichvon diesem energiepolitischen Amokläufer, HerrnSeehofer, erpressen
und ändern jetzt das Bundesbaugesetz so, dass Wind-energieanlagen in Zukunft einen Abstand von 2 000 Me-tern von der Wohnbebauung haben müssen.
Damit verhindern Sie jede Windenergieanlage inDeutschland. – Dass Sie klatschen, zeigt, was Sie wol-len: Sie wollen auch in diesem Bereich die Energie-wende abwürgen.
Sie wollen keine Stromleitungen und das Ganze letztlichbeenden. Das ist Ihre Botschaft, wenn Sie an dieserStelle klatschen.
Ich komme zum Thema Ausnahmen, zu der Frage:Wer bezahlt das Ganze? Das, was der Bundeswirt-schafts- und -energieminister vorgelegt hat, ist schon einHusarenstück. Die Ansage war: Wir senken die Kostenfür die privaten Verbraucher um 1 Milliarde Euro. He-rausgekommen ist, dass die Verbraucherinnen und Ver-braucher 2,5 Milliarden Euro mehr bezahlen sollen. Daserinnert mich an das, was die erste Große Koalition mitder Mehrwertsteuer gemacht hat. Das ist die Umdre-hung, die Perversion des Gesagten.
Ich sage Ihnen: Das, was die Bundeskanzlerin gesternhier von sich gegeben hat – sie hat gesagt: Die Verbrau-cherinnen und Verbraucher wollen die Energiewende;dann sollen sie sie auch bezahlen –, ist eine Unver-schämtheit.
Es kann nicht sein, dass die privaten Verbraucher zahlenund am Ende nur die Industrie profitiert. Das hat nichtsmit Kostengerechtigkeit zu tun. Das zerstört die Akzep-tanz der Energiewende.
Was Sie in Brüssel erreicht haben, ist Folgendes:68 Branchen wie Fruchtsafthersteller, Seilknüpfer – soschöne Dinge stehen da drin – oder Urananreicherungs-anlagen, die wir in Nordrhein-Westfalen eigentlich still-legen wollen,
können weiter befreit werden und weiterhin Privilegienerhalten. Tatsache ist, dass wir in Deutschland die nied-rigsten Industriestrompreise seit zehn Jahren haben undwir aus Frankreich und den Niederlanden Beschwerdenerhalten, weil Deutschland Strompreisdumping betreibe.Es ist eine absolute Chimäre, dass hier Industriearbeits-plätze wegen hoher Strompreise bedroht sind. HerrGabriel selbst hat auf meine Anfrage geantwortet, dasses keinerlei empirische Belege dafür gibt, dass hoheStrompreise zur Verlagerung von Industriearbeitsplät-zen aus Deutschland führen. Das ist reine Propaganda.
Sie legen ja noch eins drauf. Beim Emissionshandel,der absolut wirkungslos ist, an dem die Unternehmen
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Oliver Krischer
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350 Millionen Euro verdient haben – es gibt Studien, diebelegen, dass der Emissionshandel zu zusätzlichen Ein-nahmen geführt hat –, setzen Sie jetzt im Bundeshaus-halt eine Position ein, um aus Haushaltsmitteln weitereSubventionen zahlen zu können. Das ist Irrsinn. Daskonterkariert die Energiewende.
Meine Damen und Herren, man fragt sich auch, wel-che energiepolitische Konsequenz Sie eigentlich aus derUkraine-Krise ziehen. Es ist ein absolutes Hammerstück,dass dieser Bundeswirtschaftsminister null Problem da-mit hat, dass der größte Gasspeicher Westeuropas mittenin der Krise an Gazprom verkauft wird. Die Russen la-chen doch an der Stelle über uns, Putin macht Witze überuns, wenn wir das widerspruchslos akzeptieren und nochnicht einmal ernsthaft geprüft wird, ob dadurch die Ener-giesicherheit gefährdet wird. Das kann nicht sein.
Die Herausforderung müsste sein, den Gasverbrauchin Deutschland zu reduzieren. Das Einzige, was ich vondieser Bundesregierung dazu gehört habe, war die Emp-fehlung der Bundesumweltministerin, man möge doch inZukunft nur bis 20 Grad hochheizen und einen Pulloveranziehen. Meine Damen und Herren, es kann doch nichtsein, dass das die Politik der Bundesregierung für Ener-gieeffizienz ist! Das ist mir viel zu wenig.
Ich würde erwarten, dass Sie endlich wieder einenVorschlag machen, wie wir mithilfe steuerlicher Förde-rung die energetische Gebäudesanierung voranbringen.
Es kann doch nicht sein, dass wir auf der einen SeiteMilliarden zur Erhaltung des Systems Putin überweisenund auf der anderen Seite darauf verzichten, dass hierArbeitsplätze für Handwerker und für die Bauindustriegeschaffen werden. Das müsste die Herausforderungsein. Dazu höre ich von Ihnen aber gar nichts.
Wenn man das bewertet, was Sie hier in den ersten100 Tagen vorgelegt haben, muss man sagen: Erneuer-bare werden ausgebremst, Klimaschutz kommt bei Ihnennicht vor und bei Gebäudesanierung und Energieeffi-zienz – angeblich die zweite Säule der Energiewende –totale Fehlanzeige. Die Großen werde gepampert undbekommen Milliardensubventionen, private Verbrau-cher, Handwerk und Mittelstand müssen zahlen. Das hatmit Kosteneffizienz und Kostengerechtigkeit absolutnichts zu tun.Wenn sich hier jemand mit einer merkwürdigen Mi-schung aus Clement und Schröder als der neue Genosseder Bosse profilieren will,
dann mag das ja eine parteipolitische oder persönlicheProfilierungsstrategie sein, das hat aber nichts mit derZukunftsfähigkeit Deutschlands zu tun. Das ist eine Ge-fahr für 400 000 Arbeitsplätze in der Branche der erneu-erbaren Energien. Das ist eine Gefährdung einer klima-freundlichen und nachhaltigen Energieversorgung. Dasist keine Zukunftsperspektive für unser Land.Danke schön.
Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Jurk für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Bei einer Konferenz vor britischen und deutschen Unter-nehmern in der Grafschaft Staffordshire fragte unlängstder britische Handelsminister Ian Livingston: „Whydon’t we have a Mittelstand?“ Also: Warum haben wirkeinen Mittelstand? – Das macht deutlich, wo die Pro-bleme in Großbritannien liegen. Sie wollen sich am Er-folgsmodell Deutschland orientieren, was die mittelstän-dische Wirtschaft anbetrifft. Es geht darum, dassinsbesondere die britischen Mittelständler innovativer,produktiver und kapitalstärker werden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das zeigtauch, dass die Stärke unserer kleinen und mittelständi-schen Unternehmen international anerkannt wird. Abernichts ist so wichtig wie der Blick in die Zukunft. Dennwie vergänglich ist der Erfolg von gestern! Deshalb istes notwendig, dass wir die richtigen haushaltspolitischenRahmenbedingungen setzen. Dazu gehört eben auch,dass wichtige Programme für den Mittelstand fortgeführtwerden, und zwar mit einem höheren Mittelansatz. Da-bei denke ich insbesondere an die Gemeinschaftsaufgabe„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, kurzGRW, und das Zentrale Innovationsprogramm Mittel-stand, kurz ZIM.
Im Haushaltsentwurf der Bundesregierung wird beider GRW ein Aufwuchs des Ansatzes auf 583 MillionenEuro vorgesehen, im Jahre 2015 dann auf 600 MillionenEuro. Wir alle wissen, was im Koalitionsvertrag verein-bart wurde: Die Zielmarke lautet 624 Millionen Euro.Ich gehe davon aus, dass sie erreicht wird, und zwarnicht nur, weil die GRW für den Ausbau in struktur-schwachen Regionen wichtig ist, sondern auch, weil sieein sehr zielorientiertes Förderinstrument ist und wirKompensationsmöglichkeiten im Hinblick auf den Weg-fall der Investitionszulage und den Rückgang der euro-päischen Mittel brauchen.Ich glaube, dass die Innovationskraft unserer Unter-nehmen durch das ZIM besonders gut unterstützt wurde.Deshalb ist es richtig, dass der Entwurf der Bundesregie-rung hier einen Aufwuchs um 15 Millionen Euro aufmittlerweile 530 Millionen Euro vorsieht.
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Der Haushaltsausschuss hat übrigens unverzüglichnach Vorlage des Bundesfinanzministeriums auf Antragdes Bundeswirtschaftsministeriums den Weg frei ge-macht, damit neue Mittel bewilligt werden können, so-wohl für die GRW als auch für das ZIM; denn wir möch-ten keine Förderlücke entstehen lassen. Das ist deshalbso wichtig, weil wir, glaube ich, in einer Zeit der vorläu-figen Haushaltsführung auch unternehmerische Sicher-heit gewährleisten müssen. Das haben wir mit dem Be-schluss des Haushaltsausschusses getan.
Ich will weniger aufgeregt als mein Vorredner auf dasThema „Energie und Energiewende“ eingehen. Meinesehr verehrten Damen und Herren, ich finde es ausge-sprochen richtig, dass die Kompetenzen der Energiepoli-tik in einem Ministerium, und zwar im Bundesministe-rium für Wirtschaft und Energie, gebündelt werden.
Es werden nicht nur die verschiedenen Förderpro-gramme zusammengeführt, sondern dadurch kann manauch Synergieeffekte nutzen. So gibt es eine Förderungaus dem Einzelplan 09. Darüber hinaus besteht die Mög-lichkeit, aus dem EKF im Einzelplan 60 Mittel bereitzu-stellen, um die Energiewende auszugestalten. Es ist rich-tig, dass die Räder ineinandergreifen müssen, denn dieverschiedenen Förderprogramme dürfen nicht nebenei-nander laufen. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dasswir die Energiewende mithilfe der Förderprogrammezum Erfolg führen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein hohesGut in der Politik ist für mich Planungssicherheit. Bei al-ler Kritik an den Kompromissen, die in den letzten Wo-chen und Monaten erzielt wurden, sage ich deutlich:Herzlichen Dank, Sigmar Gabriel, für diese Herkules-leistung! Er hat die verschiedensten Einzelinteressen zu-sammengeführt und ein gutes Ergebnis vorgelegt. DiesesErgebnis schafft Planungssicherheit und Verlässlichkeit,und man kann sich darauf einstellen.
Ich teile aber auch die Auffassung all derer, die sagen:Wir müssen noch mehr in intelligente Netze und in Spei-cher investieren, denn das Thema Netzausbau steht an.Im forschungstechnischen Bereich können wir vielleisten. Aber wir müssen auch anwendungsorientierteProjekte in Angriff nehmen. Ich glaube, das wird eineunserer zukünftigen Hauptaufgaben sein. Ich spreche indiesem Zusammenhang gerne von dem „schlafendenRiesen“ der Energieeffizienz. Auch hier haben wir nochriesige Potenziale. Ich glaube, dass wir sie in den nächs-ten Monaten und Jahren heben werden.Meine sehr geehrten Damen und Herren, die indus-trielle Basis Deutschlands ist auf hohem Niveau. Das hatuns erfolgreich durch die Wirtschafts- und Finanzkriseder letzten Jahre geholfen. Es zeigt sich – und nicht bloßam Beispiel des Mittelstandes in Großbritannien –, dassandere Länder durchaus mit Respekt von Deutschlandsprechen und kopieren wollen, was wir gemacht haben.Ich halte es für dringend notwendig, dass die industrielleBasis in Europa verbreitert wird. Wir müssen aber eineDiskussion darüber führen, dass wir mit Staaten in ei-nem globalen Wettbewerb stehen, die auf der einen SeiteStaatsunternehmen finanzieren und auf der anderen Seiteprivaten Unternehmen in einer Größenordnung staatlicheZuschüsse verordnen, die die EU-Kommission niemalsals Beihilfe genehmigen würde. Das macht deutlich, wo-rin unsere Aufgabenstellung besteht, insbesondere beidem wichtigen Thema Innovation.Andererseits müssen wir – darauf hat der Bundeswirt-schaftsminister völlig zu Recht hingewiesen – an dembewährten Prinzip der Sozialpartnerschaft in Deutsch-land festhalten. Unser Erfolgsmodell der Kooperationzwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, alsoGewerkschaften, zwischen Unternehmensführungen undBetriebsräten war erfolgreich und ist, glaube ich, auchein Garant für eine sichere Zukunft und ein hohes Maßan Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland.
Ich war ausgesprochen froh, dass die Zuständigkeitenfür die Aufgaben der neuen Länder jetzt in das Ressortdes Bundeswirtschaftsministeriums gewechselt sind. Ichwünsche Iris Gleicke und ihrem Team viel Erfolg bei derBewältigung der anstehenden Aufgaben. Ich denke, dassvor dem Hintergrund der Wirtschaftlichkeitslücke vonetwa 30 Prozent, die wir im Osten im Vergleich zumWesten immer noch zu verzeichnen haben, gerade dieAnsiedlung dieser Zuständigkeiten im Wirtschaftsminis-terium eine hohe Symbolkraft hat. Aber Symbolkraft istdas eine; die konkrete Umsetzung in Projekte ist das an-dere. Deshalb müssen wir dafür Sorge tragen, dass diezuständige Parlamentarische Staatssekretärin die finan-ziellen Ressourcen bekommt, die notwendig sind, damitsie ihre Aufgaben erfüllen kann. Es geht nicht an, dassMittel im Bundesministerium des Innern kleben bleibenund nicht an das Bundeswirtschaftsministerium übertra-gen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, beim Blickin den Haushalt fällt auf, dass sehr klar beschriebenwird, dass man die Innovationskraft und Wettbewerbsfä-higkeit der Unternehmen stärken, hochqualifizierte Ar-beitsplätze schaffen und sichern und die wichtige Ener-giewende gestalten muss.Andererseits muss der Einzelplan 09 in diesem Jahrdurch eine globale Minderausgabe von 27 MillionenEuro für die Finanzierung des Betreuungsgeldes auf-kommen. Das heißt, das Geld dafür wird im Wirtschafts-ministerium eingesammelt. Da muss ich mich schonwundern und fragen, ob es denn richtig ist, dass wir unsdann am Ende vielleicht über Kürzungen im Bereich der
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Innovationsförderung, des Mittelstandes, der Fachkräfte-sicherung oder der energiepolitischen Förderbedingun-gen verständigen müssen. Das kann es nicht sein.
Von daher glaube ich – auch mit Blick darauf, dass dieglobale Minderausgabe im nächsten Jahr auf sage undschreibe 53 Millionen Euro aufwachsen soll –, dass wiruns diesem Thema in besonderer Weise widmen sollten.Bundesminister Gabriel hat bereits angedeutet, dasser die Förderprogramme in seinem Haus alle auf Erfolgkontrollieren will. Über die Evaluierung hinaus müssenwir uns genau verständigen: Was wollen wir fortführen?Was hat sich bewährt? Aber wir wollen ja auch Neuesimplementieren. Damit werden wir uns vielleicht etwasZeit lassen. Das finde ich auch richtig. Es ist mir deshalbwichtig, dass das, was jetzt vorgelegt wurde, ein ersterSchritt zur Umsetzung der Koalitionsvereinbarung istund dass wir über weitere Schritte im Jahre 2015 redenwerden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Berichterstat-tergespräch, das wir kürzlich im Bundesministerium fürWirtschaft und Energie geführt haben, stimmt mich zu-versichtlich, dass wir konstruktive Beratungen zum Ein-zelplan 09 haben werden.
Lieber Kollege Jurk, ich gratuliere Ihnen herzlich zu
Ihrer ersten Rede als Mitglied des Deutschen Bundesta-
ges. Ihnen ist der Plenarsaal ja durchaus vertraut aus Ih-
rer früheren Zeit als Mitglied der sächsischen Staatsre-
gierung; aber Ihnen wird aufgefallen sein, dass es einen
erheblichen Unterschied macht, in welcher Rolle man
hier an diesem Pult steht.
Alle guten Wünsche für die weitere Arbeit!
Klaus Ernst ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wenn man diese Debatte über den Haushalt un-serer Bundesrepublik verfolgt, bekommt man zurzeitden Eindruck, die Welt sei rundweg in Ordnung: Die Be-schäftigung entwickelt sich positiv, wir haben Wachs-tum.Aber bewertet das Kriterium „Wachstum unsererWirtschaft“ auch schon, wie es den Menschen geht? Dahabe ich doch erhebliche Zweifel. Wenn man genauhinschaut, wie sich die Entwicklung in unserem Landedarstellt, dann stellt man fest: Das Bruttoinlandspro-dukt ist zwischen 2000 und 2013 real, preisbereinigt, um14,9 Prozent gewachsen. Das ist hervorragend, klasse.Wenn man aber schaut, wem dieses Wachstum eigent-lich zugutegekommen ist, dann zeigt sich ein durchausdifferenzierteres Bild; dann stellt man nämlich fest, dassdie Löhne im selben Zeitraum 1,9 Prozent an Wert verlo-ren haben. Das heißt, die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer dieser Republik wurden vom Wachstum unsererWirtschaft nicht nur abgekoppelt, sondern haben real so-gar weniger als vorher. Jetzt könnte man noch fragen,wie das mit den Rentnerinnen und Rentnern ist. Dielangjährig Versicherten haben im selben Zeitraum preis-bereinigt 30 Prozent ihrer Kaufkraft verloren.Wenn man schaut, wo das Geld hingeflossen ist, beiwem das Wachstum unserer Wirtschaft angekommen ist,dann stellt man fest, dass zwischen 2000 und 2013 dieUnternehmens- und Vermögenseinkommen um 31 Pro-zent gestiegen sind.Ich habe jetzt in Ihrem Bericht, Herr Minister, nichtsdazu gehört, ob diese Entwicklung akzeptabel ist, ob Siedas ändern wollen oder ob auch in Zukunft das Wachs-tum einseitig der Gruppe derer zukommen soll, die ihrEinkommen aus Unternehmertätigkeit oder Vermögenbezieht. Ich sage: Für uns Linke ist das ein unhaltbarerZustand.
Auch die Arbeitnehmer gehören zu denen, die diesesLand am Laufen halten, und deshalb müssen sie amWachstum beteiligt werden, meine Damen und Herren.Ich habe im Jahreswirtschaftsbericht geblättert undgesehen, dass auch im nächsten Jahr das Wachstum derEinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögenüber dem Wachstum der Löhne liegen soll. Im Ergebnissinkt also die Lohnquote in der Bundesrepublik Deutsch-land. Sie haben das in Ihrem Bericht mit keiner Silbe er-wähnt, Herr Minister. Ich halte das für sehr bedauerlich.
Meine Damen und Herren, Herr Mundorf vom Han-delsblatt hat vor Jahren einmal geschrieben – ich habemir das gemerkt; ich fand das sehr schön –: Man kanndie Menschen zum Deichbau einteilen; aber man mussihnen sagen, wann die Flut vorüber ist. – Ich denke, dieFlut ist inzwischen vorüber. Es ist also wirklich Zeit,dass wir grundsätzlich etwas ändern. Die Entwicklung– ich habe es gesagt – geht aber so weiter.Meine Damen und Herren, ich sehe in Ihrem Haus-halt – Sie haben das gerade auch angesprochen, HerrGabriel – 5 Milliarden Euro mehr für die Verkehrsinfra-struktur und 9 Milliarden Euro mehr für die Bildung –verteilt auf die ganze Legislatur. Sie wissen: Das istdeutlich zu wenig. Das Deutsche Institut für Wirtschafts-forschung hat festgestellt, dass wir einen jährlichen In-vestitionsbedarf von 75 Milliarden Euro haben.Wie wollen Sie denn mit diesem geringen Zuwachstatsächlich Impulse für das Wachstum in der Bundes-republik Deutschland setzen? Wie wollen Sie damit den
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Klaus Ernst
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Mangel, den wir bei der Infrastruktur in Deutschland in-zwischen haben – zum Beispiel bei Brücken und Schul-häusern –, tatsächlich beseitigen? Eltern erklären sich in-zwischen sogar bereit, Schulhäuser selber zu streichen,weil die Zustände in den Schulhäusern so schlecht sind,dass man sie den Schülern nicht mehr zumuten kann.Wie wollen Sie das mit dem, was Sie hier vorlegen,wirklich bewältigen? Fehlanzeige!Was passiert eigentlich mit den um 31 Prozent gestie-genen Einkommen auf der Unternehmensseite? Als ichVolkswirtschaft studiert habe, habe ich gelernt: Die Ge-winne von heute sind die Investitionen von morgen unddie Arbeitsplätze von übermorgen. – Wir stellen jetztaber fest, dass die Investitionen im Vergleich zu den Ge-winnen deutlich geringer gestiegen sind. Die Brutto-investitionen haben von 2000 bis 2012 nur um 2,1 Pro-zent zugenommen, wogegen der Einkommenszuwachsder Unternehmen eben 31 Prozent betrug. Das ist einRiesenproblem, weil die Unternehmen, obwohl sie her-vorragend verdienen, unzureichend investieren, und ichsehe auch keine Maßnahmen der Bundesregierung, daswirklich zu verändern.
Was passiert mit dem Geld, das die Unternehmen ha-ben? Ich möchte die Europäische Kommission zitieren.Die Europäische Kommission schreibt:Die Unternehmen haben einen größeren Teil ihrerGewinne einbehalten, um Schulden abzubauen und– jetzt kommt es –vor allem um finanzielle Vermögenswerte zu erwer-ben.Das heißt, sie horten die Kohle und spekulieren damit.Wenn die Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt da-von absieht – das ist das, was diese Bundesregierungvorlegt –, wenigstens die Unternehmen höher zu besteu-ern, um die Mittel für Investitionen in diesem Haushaltzu steigern, weil die Unternehmen selber diese Investi-tionen nicht tätigen – sie erfüllen ihre Pflicht nicht, ihreGewinne realwirtschaftlich wieder anzulegen, sondernzocken damit –, dann macht diese Bundesregierung einenRiesenfehler. Wir brauchen in dieser Zeit im Unterneh-menssektor wirklich höhere Steuern, damit wir notwen-dige Investitionen in der Bundesrepublik Deutschlandtätigen können.Sie können Ihren ausgeglichenen Haushalt hundert-mal loben: Wenn er gleichzeitig mit Reduzierungen undGriffen in die Sozialkassen verbunden ist, dann ist dasnichts wert. Sie haben keinen Mut, das Geld da zu holen,wo es ist, und das bedaure ich sehr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentri-
büne haben der Präsident des Parlaments des Staates Ku-
wait, Herr Marzouq Al-Ghanim, und seine Delegation
Platz genommen. Ich möchte Sie, sehr geehrter Herr Prä-
sident, und die Kolleginnen und Kollegen des Parla-
ments im Namen der Mitglieder des Deutschen Bundes-
tages ganz herzlich begrüßen.
Ich wünsche Ihnen für Ihren Aufenthalt in Deutsch-
land und insbesondere für Ihr weiteres parlamentarisches
Wirken alles Gute, und wir freuen uns auf die weitere
Zusammenarbeit.
Das Wort erhält nun der Kollege Andreas Lämmel für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Herr Kollege Ernst, wenn man Sie hört und erlebt,
wie Sie sich hier ereifern, dann bekommt man richtig
Angst, dass Sie hier einmal einen Blutdruckkollaps erlei-
den könnten.
Sie sagen, dass Sie einmal Betriebswirtschaftslehre
studiert haben. Ein Examen können Sie aber bestimmt
nicht gemacht haben.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie Ihr Studium je-
mals beendet haben.
In Thüringen wird jetzt allen Ernstes versucht, einen
linken Ministerpräsidenten zu installieren. Da kann ich
den Thüringern und meinen lieben Kollegen aus Thürin-
gen nur mein herzliches Beileid aussprechen; denn es
würde ja furchtbar werden, wenn das wirklich eintreten
würde. Dass die Grünen in Thüringen das auch noch un-
terstützen, indem sie sagen, sie könnten in einer Regie-
rung unter einem linken Ministerpräsidenten arbeiten,
haben die Thüringer nicht verdient. Sie haben das alles
schon einmal erlebt.
Herr Kollege Lämmel, ich habe den Eindruck, dass
der Kollege Ernst das nicht ganz nachvollziehen kann
und es deswegen gerne durch eine Zwischenfrage noch
einmal erläutert haben möchte.
Haben Sie Ihr Zeugnis dabei?
Bitte.
Herr Lämmel, es freut mich, dass Sie sich um meineAbschlüsse sorgen. Ich habe übrigens nicht von Be-triebswirtschaft, sondern von Volkswirtschaft gespro-chen, falls Sie den Unterschied zu erkennen vermögen.
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2446 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Klaus Ernst
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Meinen Abschluss können Sie übrigens nachlesen. Erist in verschiedenen Unterlagen des Deutschen Bundes-tages in meinem Lebenslauf angegeben. Ich kann Ihnensogar die Zeugnisse zeigen.
Meine Frage betrifft aber etwas anderes. Sie haben jaschon einen Teil Ihrer Redezeit damit vergeudet, sehrqualifiziert auf meine Abschlüsse einzugehen. Aber ha-ben Sie eigentlich eine Erklärung für den Tatbestand,den ich angesprochen habe, dass die Löhne in diesemLande seit zwölf Jahren sinken, während die Unterneh-mensgewinne um 31 Prozent gestiegen sind?Dazu habe ich bis jetzt noch nichts von Ihnen gehört.Aber das ist auch ein Problem der langen Redezeiten, dieden Regierungsfraktionen zurzeit zur Verfügung stehen:Da kann man auch ein bisschen blödeln.
Ich werde Ihre Frage im Laufe meiner Rede beant-worten. Sie können damit rechnen, dass Sie eine Ant-wort bekommen.
„Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands“:Unter diesem Motto standen die Koalitionsverhandlun-gen. Genau darum geht es auch bei diesem Haushalt:Wir müssen die Position der deutschen Volkswirtschaftin der Welt stärken. Denn die Amerikaner, Asiaten undAraber, sie alle schlafen nicht und sind drauf und dran,sich Anteile am wirtschaftlichen Geschehen der Welt zuerobern. Das heißt für uns: Wir müssen immer mit anvorderster Front marschieren. Deshalb müssen wir un-sere Haushaltsansätze, die wir veranschlagen, auch im-mer darauf richten, dass mit diesem Geld der größtmög-liche Effekt erzielt wird.Ein Blick in den Einzelplan 09 des Bundeswirt-schaftsministeriums zeigt, dass ungefähr 50 Prozent derMittel für Forschung und Technologie eingesetzt wer-den. Das dient also genau dem Zweck, dass heute Ent-wicklungen vorangetrieben werden, die morgen den Un-ternehmen die Chance geben, wieder am Weltmarktmitzuspielen.Das ist die hervorragende Botschaft: dass der hoheAnteil für Forschung und Technologie auch in diesemHaushaltsplan weiter ausgebaut wird. Denn das sind dieGrundlagen für Wachstum und Beschäftigung, HerrErnst. Wenn Sie sich die Lohnentwicklung der letztenJahre anschauen, merken Sie, dass Ihre Aussage nichthundertprozentig stimmen kann. Denn die Lohnentwick-lung und die Tarifabschlüsse der letzten Jahre waren ge-rade deswegen so positiv, weil früher viel in Forschungund Technologie investiert wurde und die deutsche Wirt-schaft eine starke Stellung in der Welt hatte und dadurchdiese Löhne zahlen kann.Meine Damen und Herren, es wurde schon darauf ein-gegangen: Kernstück des Ganzen im Wirtschaftshaus-halt ist das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand.Dazu muss ich nicht mehr viel sagen. Der Kollege Claus– er ist nicht mehr anwesend – hat vorhin im Zusammen-hang mit dem Thema vorläufige Haushaltsführung da-von gesprochen, dass praktisch keine Anträge mehrbearbeitet werden können. Herr Kollege Claus, das Pro-blem ist also schon lange im Fluss.
Sie sind etwas spät dran, wenn Sie das heute noch ein-mal thematisieren.Ich will noch kurz einen bemerkenswerten Punkt ausdem ZIM ansprechen, nämlich dass die Säule der Ko-operationsprojekte, also der Zusammenarbeit zwischenwissenschaftlichen Einrichtungen, Universitäten undForschungseinrichtungen und der Wirtschaft, in den letz-ten Jahren einen enormen Aufschwung genommen hat.Es ist ein sehr gutes Zeichen, dass die staatlich finan-zierte Forschungsinfrastruktur Leistungen für die wirt-schaftliche Entwicklung erbringt.Das ZIM werden wir auch in den nächsten Jahrenweiter gut fördern. Ich denke, es geht jetzt vor allem da-rum, die durchgängige Finanzierbarkeit des Programmsabzusichern.Das Thema GRW, also die Gemeinschaftsaufgabe„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, istmehrfach erwähnt worden. Wir haben das, was im Ko-alitionsvertrag steht, zunächst umgesetzt. Der Ansatz fürdie GRW ist also angehoben worden. Die GRW ist abereine Gemeinschaftsaufgabe. Das heißt, 50 Prozent derMittel werden vom Bund aufgebracht; die übrigen50 Prozent müssen die Länder aufbringen. Man kannalso nicht immer nur in eine Richtung blicken und fra-gen, ob der Bund seine Verpflichtungen erfüllt, sondernman muss auch einige Länder immer wieder darauf hin-weisen, dass auch sie die Verpflichtung haben, in ihreHaushalte die entsprechenden Mittel einzustellen, damitsie der Gemeinschaftsaufgabe zugutekommen können.Auch das muss man immer wieder deutlich sagen.Wenn man sich die Mittelabflüsse anschaut, dann siehtman, dass einige Länder mehr dabei sind als andere.
Dazu gehören zum Beispiel Bayern – das ist klar; wennes was zu holen gibt, ist Bayern immer mit dabei – Sach-sen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. AndereLänder haben im letzten Jahr dagegen nicht einmal dreiViertel ihrer Quoten in Anspruch genommen. An dieserStelle muss man sagen: Gemeinschaftsaufgabe heißtauch, gemeinschaftlich Verantwortung zu tragen.Ein weiterer wichtiger Baustein im Haushaltsplan 09ist die Förderung der Außenwirtschaft. Deutschland istExportweltmeister. Man kämpft immer mal wieder mitChina um die Führungsrolle. Wenn man die Exportzah-len auf die Bevölkerung umrechnet, bleibt Deutschlandaber eindeutig der Exportweltmeister. Das liegt unter an-derem an unserem hervorragenden System der Außen-handelskammern, die weltweit agieren. Dieses Systemist ziemlich einmalig. Wir müssen es erhalten und aus-bauen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2447
Andreas G. Lämmel
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Allerdings – jetzt spreche ich als Vorsitzender desAfrika-Kreises unserer Fraktion – fällt auf, dass ein ge-samter Kontinent ziemlich dünn mit Außenhandelskam-mern besetzt ist. Herr Minister, wir müssen uns in nächs-ter Zeit einmal darüber unterhalten, wie wir das Themader wirtschaftlichen Entwicklung in Afrika anpackenkönnen, wie wir die Präsenz der deutschen Wirtschaft inAfrika erhöhen können und welche Instrumente wir da-für brauchen. Solange fast alle afrikanischen Staaten beiHermes in die höchste Risikoklasse, nämlich in die Risi-koklasse 7, eingestuft sind und somit Investoren undExporteure kaum Kreditgarantien bekommen, werdenwir das Geschäft nicht in Gang kriegen. Darüber müssenwir uns unterhalten. Ich denke, Afrika ist ein Kontinentder Chancen. Da wollen wir als Deutsche nicht zu spätkommen.
Sehr wichtig im Einzelplan 09 ist das Kapitel „Mittel-stand: Gründen, Wachsen, Investieren“. Hier zeigt sich,dass wir in Deutschland in den letzten Jahren vor allenDingen im Bereich der technologieorientierten Grün-dung eine Durststrecke hatten. Wir müssen uns gemein-sam Gedanken darüber machen, wie wir die lebendigeund mobile Gründerszene unterstützen können. Es gibtzwar schon viele Bausteine, um dies zu erreichen – dieKfW, das ERP-Vermögen und andere Programme ausdem Bundeswirtschaftsministerium –, aber eine Spartefehlt, nämlich das private Risikokapital. Wir haben imKoalitionsvertrag festgelegt, dass wir ein Venture-Capi-tal-Gesetz verabschieden wollen. Das müssen wir jetztanpacken. Wir brauchen es dringend, um mit den Ameri-kanern und den Engländern mithalten zu können.Erst gestern wurde mir wieder ein Fall von einer Soft-warefirma geschildert, die an fehlenden 750 000 Eurogescheitert ist und dann letztendlich von Amerikanernübernommen wurde, die die Chance, die sich Ihnendurch die entwickelte Software bot, erkannt haben undrisikofreudig zugegriffen haben. Hier ist aus meinerSicht noch einiges zu tun. Der Koalitionsvertrag zeigtaber ganz klar, wohin die Reise gehen soll.Ich komme zum Thema Fachkräfte. Das ist heutezwar schon mehrfach angesprochen worden, zwei oderdrei Dinge sind aber noch nicht zur Sprache gekommen.Wenn man sich die europäischen Staaten anschaut, dannstellen wir immer wieder fest: Deutschland ist stark undhat in den letzten Jahren an wirtschaftlicher Stärke ge-wonnen. Das liegt natürlich daran, dass wir hochausge-bildete Facharbeiter bei uns haben. Das hängt auch da-mit zusammen, dass wir einen Meisterbrief haben, dereinen Handwerksmeister qualifiziert, fachliche Leistun-gen zu bringen, und zeigt, dass er auch in betriebswirt-schaftlicher Hinsicht fit ist. Aus meiner Sicht kann esnicht angehen, dass man von europäischer Seite jetzt dieBesseren auf ein mittelmäßiges Niveau zurückholenwill, damit die Staaten, die im Bereich der beruflichenAusbildung noch nicht so weit entwickelt sind, nicht soschlecht dastehen. Mein Anspruch ist folgender: Mansollte das beste System in andere Staaten exportieren,um auch dort für eine hervorragend ausgebildete Fachar-beiterschaft zu sorgen. Deswegen sage ich hier ganzklipp und klar: Die CDU/CSU-Fraktion steht zum deut-schen Meisterbrief und wird alle Angriffe auf diesenMeisterbrief abwehren.
Abwehren wird die CDU/CSU-Fraktion ebenfallsAngriffe auf die duale Berufsausbildung. Die duale Be-rufsausbildung ist der Garant für gute Facharbeiter. Wirwären doch, wie man so schön sagt, mit dem Klammer-beutel gepudert, wenn wir dieses System aufgeben wür-den. Auch hier gilt für uns: Wir verteidigen dieses Sys-tem mit ganzer Kraft.Die Wirtschaft besteht natürlich nicht nur aus Indus-trie und Gewerbe, sondern auch aus dem Dienstleis-tungssektor. In diesem Zusammenhang möchte ich einenBereich ansprechen, der hier sonst kaum Berücksichti-gung findet, nämlich den Bereich Tourismus. Im Einzel-plan 09 werden immerhin 28 Millionen Euro für dieDeutsche Zentrale für Tourismus ausgegeben. Diese sollim Ausland Werbung machen, damit Gäste zahlreichnach Deutschland kommen.Die Touristiker werden im Wirtschaftsgetriebe immerunterschätzt.
Es gab Menschen, die gesagt haben, das sei eine Spaß-branche. Das ist natürlich völliger Quatsch. Der Touris-mus ist eine Dienstleistungsbranche, die ortsgebundenist, hervorragende Arbeit leistet und einen großen Anteilam deutschen Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet. Mankäme nie auf die Idee, Arbeitsplätze aus diesem Bereichirgendwo hin zu exportieren; das würde auch gar nichtfunktionieren. Die Arbeitsplätze bleiben hier im Lande.Belastungen aus der Energiewende oder andere Be-lastungen, die der Branche auferlegt werden, treffen dieTouristiker ziemlich schwer.
Bei ihren Betrieben handelt es sich meistens um kleineoder mittelständisch geprägte Familienbetriebe, für diedie Belastungen viel schwerer zu tragen sind als fürgroße Industriebetriebe. Deswegen möchte ich den Tou-ristikern in Deutschland für ihre Leistungen danken; siekommen sonst immer etwas kurz. Sie sind vielfach inden Regionen aktiv, in denen sehr wenig Industrie zufinden ist. Das heißt, das wirtschaftliche Gleichgewichtin unserem Lande wird auch durch die Branche des Tou-rismus wesentlich hergestellt.
Deswegen stehen wir zu den Ausgaben für den Tou-rismus, insbesondere für die Deutsche Zentrale für Tou-rismus. Wir hoffen, dass wir die Gästezahlen mithilfedieses Geldes weiter erhöhen können. Diese Gäste wer-den dann auch ein positives Deutschlandbild mit in ihreHeimatländer nehmen.Vielen Dank und gute Beratungen.
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2448 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
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Anja Hajduk erhält nun das Wort für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Die Wirtschaftslage ist in der Tat ganz gut: DieKonjunktur läuft, die Wachstumsprognose ist positiv,Steuereinnahmen sprudeln und die Arbeitslosenquote isterneut gesunken. – Herr Minister, das sind sehr guteRahmenbedingungen für Ihre Arbeit. Wir konnten ges-tern und heute bei Ihrer eigenen Rede aber feststellen: Esliegt eine Gefahr in diesem positiven Umfeld, nämlichdie Gefahr, dass Sie sich allzu selbstgefällig zurückleh-nen und sich als Koalition in Selbstlob ergehen.
Es gibt auch in diesem Haushalt leider Belege dafür,dass Sie die Herausforderungen trotz dieser guten Um-stände nicht anpacken. Das kann man zusammenfassen:Die Investitionsquote dümpelt vor sich hin. Der Mittel-stand wird immer noch vernachlässigt. Die Energie-wende wird nicht richtig angepackt.
Erster Punkt. Die Investitionen bleiben auf der Stre-cke, obwohl Sie im Koalitionsvertrag groß erklärt haben:Wir setzen sowohl auf mehr Investitionen der öffentli-chen Hand als auch auf bessere Rahmenbedingungen fürPrivate.
Was passiert denn bei der öffentlichen Hand, HerrHeil? Nicht nur, dass die Investitionsquote in Deutsch-land unterhalb des OECD-Durchschnitts liegt, nein, dieInvestitionsquote im Haushalt wird von 8,6 bis zumEnde der Finanzplanperiode sogar auf 8,3 sinken. Es istsowieso ein Skandal, dass wir eine einstellige Investi-tionsquote haben. Darauf können Sie sich doch nichtausruhen wollen!
Sie sprechen hier so stolz von den 5 Milliarden Eurozur Stärkung der Verkehrsinfrastruktur. Sie wissen aberdoch, dass das weit unterhalb des tatsächlichen Bedarfesliegt. Wenn Sie von 40 Milliarden Euro an Steuermehr-einnahmen in dieser Finanzplanperiode die Investitionenmit nur 1,2 Milliarden Euro bedenken, dann ist das Aus-weis einer schlechten Wirtschaftspolitik und einer man-gelhaften Zukunftsorientierung.
Wir müssen doch im Sinne von Breitbandausbau, Bil-dungsinvestitionen und Sanierungsaufgaben mehr tun.Ich habe kein Verständnis für Ihre Selbstgefälligkeit.
Zweitens. Der Mittelstand wird stiefmütterlich behan-delt. Im Etat des Wirtschaftsministers machen die Aus-gaben für den Mittelstand gerade einmal 12 Prozent aus.Das liegt daran, dass Luftfahrt- und Großindustrie mitgroßen Summen gefördert werden. Das liegt auch daran– das muss man einmal angesichts der aktuellen energie-politischen Diskussion erwähnen –, dass wir im Jahr2014 noch 20 Prozent des Etats für die Steinkohleförde-rung ausgeben. Das ist eine Altlast, die man nicht ver-gessen darf, wenn man über Politik und die Zukunft derEnergieversorgung und -kosten redet.
Dann muss man auch noch sagen, dass leider von denMitteln aus den Programmen zur Mittelstandsförderungimmer noch zu wenig Anteile an die kleinen und mittle-ren Unternehmen gehen. Es sind nach unseren Berech-nungen rund 25 Prozent. Bei der regionalen Wirtschafts-förderung denkt man immer: Mensch, da sind doch88 Prozent der geförderten Unternehmen kleine undmittlere. – Da muss ich Ihnen aber sagen: Wenn Sie aufdie Fördersumme schauen, erkennen Sie, dass es nur48 Prozent der Mittel sind, die dahin fließen. HerrMinister, Sie haben da noch eine ganze Menge umzu-steuern. Davon ist leider bisher nichts zu sehen.
Ich möchte auch noch einmal auf die Energiewendeeingehen. Sie hatten vor dem Hintergrund der Maßnah-men der EU-Kommission mit Sicherheit keine leichteDiskussion. Aber Sie müssen doch letztlich zugeben: Siehaben Ihre selbstgesteckten Ziele nicht erreicht. Sie ha-ben gesagt: Wir wollen die Kosten in den Griff bekom-men. – Sie kommen jetzt mit einem Vorschlag, der durchAusweitung der Branchen und einer eben nicht zielge-nauen und konzentrierten Definition von Ausnahmen fürUnternehmen, die damit auch zu deren Abnahme beitra-gen würde, die Belastungen für die privaten Verbraucherauf insgesamt bis zu 8 Milliarden Euro erhöht. Sie habenIhre selbstgesteckten Ziele – Sie wollten den Betrag beiden Ausnahmen auf 4 Milliarden Euro, also um 1 Mil-liarde Euro, senken – nicht erreicht. Ich habe Verständnisdafür, dass Sie gesagt haben: Wir wollen keine Arbeits-plätze in Deutschland gefährden. – Aber im Sinne einerfairen Kostenverteilung ist dieser Kompromiss, wennman ihn sich ehrlich anschaut, ein schwacher Kompro-miss.
Ein weiterer Punkt. Ich finde es nicht ausreichend,wenn Sie, Herr Gabriel, sagen – Herr Jurk hat das auchgesagt –: Die Energieeffizienz ist ein schlafender Riese. –Sie regieren. Wenn Sie finden, dass sie ein Riese ist,dann müssen Sie mir einmal erklären, warum Sie sichdamit zufriedengeben, dass sie in Ihrem Haushalt einZwerg bleibt.
Sie streichen bei der Energieeffizienz die Mittel zu-sammen: um 100 Millionen Euro beim EuropäischenEnergieeffizienzfonds, die Mittel für das Marktanreiz-programm für erneuerbare Energien werden ebenso ge-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2449
Anja Hajduk
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kürzt. Konsequent wäre es, diese Programme auszu-bauen. Von einer unabhängigen Expertenkommission istganz aktuell festgestellt worden, dass gerade im Wärme-sektor bezüglich Energieeffizienz und Energiewendeviel mehr passieren muss. Insofern haben Sie auch andieser Baustelle ganz viel zu tun und keinen Grund, sichzurückzulehnen.
Meine Damen und Herren, wir brauchen ein neuesDenken, ein neues Handeln von Staat und Gesellschaft,aber auch von jedem Einzelnen. Nachhaltigkeit muss dasPrinzip allen Tuns und aller Entwicklung sein. Deshalbmüssen wir die Globalisierung so gestalten, dass sie denMenschen dient und nicht ausschließlich den Märktenund der Wirtschaft. Nicht der freie Markt, Herr Gabriel,ohne jegliche Kontrolle ist unser Leitbild, sondern eineökologisch-soziale Marktwirtschaft. Der Markt brauchtGrenzen. – An dieser Stelle hätten Sie von der Unionjetzt eigentlich klatschen können; denn diese Sätze stam-men von Ihrem Minister Müller.
Die hat er im Januar und gestern in dieser Debatte ge-sagt. Er hat dabei für die ganze Regierung gesprochen.An diesem Maßstab, Herr Gabriel, wollen doch auchSie sich messen lassen. Insofern haben Sie noch eineMenge nachzubessern.Schönen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Hubertus Heil für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Wir diskutieren heute über die Wirtschaftspolitikund die Energiepolitik in diesem Land. Meine sehr ge-ehrten Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ichwundere mich schon – das muss ich offen sagen –, dasses in einer Zeit, in der es darum geht, die Energiewendetatsächlich zum Erfolg zu führen, quasi ein Auseinander-brechen der Grünen in den Bundesländern und jener derBundestagsfraktion gibt.
Warum hat denn Herr Kretschmann das, was SigmarGabriel zustande gebracht hat, gelobt, und warum redenSie das hier in Grund und Boden? So richtig passt dasnicht zusammen.
Nehmen wir uns die Punkte einmal im Einzelnen vor.Frau Hajduk, ich finde es nicht in Ordnung, wenn SieArbeitsplätze in der Industrie gegen die Interessen derVerbraucher ausspielen.
Sie machen hier ganz billige Polemik.
Tatsache ist, dass wir in Deutschland besser durchdie Krise gekommen sind als andere Länder, weil wirfunktionierende Wertschöpfungsketten haben, von denGrundstoffindustrien über den produzierenden Mittel-stand bis hin zu kleinen Unternehmen. Dass Sie in einersolchen Situation die Existenz von Arbeitsplätzen oderzumindest die Investitionen in Grundstoffindustrien ge-fährden,
indem Sie fordern, diese Industrien unmaßvoll einzube-ziehen, finde ich schon ein starkes Stück.
Wir haben dafür gekämpft, dass es berechtigte Aus-nahmen gibt. Die jetzigen Ausnahmen sind andere alsdie zuvor. Sie sind nämlich an objektivierbaren Krite-rien, die in der Diskussion mit der EU-Kommission zu-stande gekommen sind, zu messen.
Ich finde, es ist ein guter Erfolg, dass dieses Damokles-schwert über der Grundstoffindustrie in Deutschland vonunserem Minister beseitigt wurde.
Zum Umgang mit dem EEG. Wir sind uns doch einig,dass wir den Ausbau erneuerbarer Energien wollen. DerAnteil der erneuerbaren Energien liegt momentan bei25 Prozent. Mit unserer Politik kommen wir in dennächsten Jahren auf 45 Prozent. Deshalb kann vom Aus-bremsen der Energiewende überhaupt nicht die Redesein.
Es geht um etwas anderes: Es geht um Planbarkeit undKosteneffizienz. Dass Sie sich dagegen wehren, ist nichtin Ordnung.
Wir können doch nicht immer mehr Überförderung indiesem Bereich zulassen und nur zuschauen, obwohl esPlanungs- und Investitionsunsicherheiten nicht nur fürdie Erneuerbaren, sondern für die gesamte deutscheWirtschaft gibt.
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2450 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Hubertus Heil
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– Wenn Sie mir eine Frage stellen wollen, dann freue ichmich darüber; denn meine Redezeit ist sehr kurz.
Ein bisschen mitwirken muss ich daran wohl auch
noch.
Verzeihung.
Wenn es schon bei ansonsten erkennbaren Differen-
zen zumindest in dieser Frage Einvernehmen zwischen
Koalition und Opposition gibt, will ich dem nicht im
Wege stehen. – Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Kollege Heil, es liegt wohl auch an
meiner Frage, ob Sie sich freuen, dass Ihre Redezeit ver-
längert wird. – Ich habe den Eindruck, dass Sie einen
sehr großen Popanz zwischen EEG-Reform und der
Wettbewerbsfähigkeit der Industrie aufbauen. Nehmen
Sie denn zur Kenntnis, dass in China, einem unserer
Wettbewerber, im letzten Jahr im Kraftwerksbau im Be-
reich der Erneuerbaren mehr investiert wurde als im Be-
reich der Fossilen und dass auf den Weltmärkten die Mu-
sik spielt, dass wir aber gleichzeitig – das nehme ich auf
Reisen im Ausland so wahr – unser Erfolgsprojekt Ener-
giewende konsequent kaputtreden? Sie sind daran in ers-
ter Linie beteiligt.
Nein, lieber Herr Kollege, das nehme ich nicht zurKenntnis, und das ist nicht in Ordnung. Ich gehöre ge-nauso wie Sie zu den Befürwortern dieser Energie-wende. Wir beide sind für das Erreichen sehr ehrgeizigerKlimaschutzziele unter den Bedingungen einer hoch-industrialisierten Nation. Wir beide sind für den geord-neten Ausstieg aus der Atomkraft. Wir beide sind sicher-lich der Meinung, dass wir, wenn wir die doppelteEnergiewende in Deutschland schaffen – raus aus derKernkraft und rein in erneuerbare Energien –, deutschenTechnologien Chancen auf den Weltmärkten eröffnen.Aber dafür müssen wir die Energiewende bei uns hin-bekommen, Planungssicherheit schaffen und für Kos-teneffizienz sorgen. Sie ignorieren das und nehmennicht zur Kenntnis, dass wir aufgrund der Überförde-rung immer mehr umwälzen müssen. Es geht nicht alleinum Menschen, die die Welt verbessern wollen, sondernum geschäftliche Interessen.Von Ausbremsen kann gar keine Rede sein.
Der Zubau in den nächsten Jahren wird dazu führen,dass der Anteil der Erneuerbaren bei 45 Prozent liegt. Esgeht aber um Berechenbarkeit beim Zubau, damit wirbeispielsweise die Netzintegration leisten können. Ichsage es noch einmal: Es geht auch um mehr Kosteneffi-zienz. Die Lernkurve im Bereich der Erneuerbaren, ins-besondere bei Wind onshore und Photovoltaik, zeigtmittlerweile so steil nach oben, dass wir die Erneuerba-ren an den Markt heranführen können und nicht überför-dern müssen. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.
– Frau Höhn, dass Sie, die Sie wirklich Verdienste in derEnergiepolitik haben, mit Ihrem starren Beharren aufÜberförderung der Energiewende einen Tort antun, soll-ten Sie auch einmal zur Kenntnis nehmen.
Ich will Ihnen deutlich sagen, dass das, was Bundes-minister Gabriel mit Unterstützung der Bundesregie-rung, insbesondere des Kanzleramtsministers und derBundeskanzlerin, geschafft hat, nicht nur die Chanceneröffnet, die Energiewende wieder in die richtigen Bah-nen zu lenken, sondern auch zu einem Investitionsschubin der gesamten deutschen Wirtschaft führen kann. Denndie Unsicherheiten, die wir in den letzten Jahren auchaufgrund von, ich sage einmal, erratischen Formen vonEnergiepolitik erlebt haben, haben dazu geführt, dass In-vestitionen in vielen Bereichen blockiert wurden. Die la-gen auf Halde im Bereich der erneuerbaren Energien, imBereich der Wirtschaft, auch der Grundstoffindustrienselbst. Investitionen sind aber genau das, was wir brau-chen.Frau Hajduk, Sie haben zu Recht davon gesprochen,dass wir nicht selbstzufrieden sein dürfen; denn wir ha-ben in Deutschland sowohl bei den öffentlichen als auchbei den privaten Investitionen – da hat das DIW voll-kommen recht – eine ganze Menge in den nächsten Jah-ren zu leisten. Bei den öffentlichen Investitionen machtsich diese Koalition auf den Weg.
Wir investieren 9 Milliarden Euro mehr in Bildung, For-schung und Wissenschaft. Wir werden die Kommunenentlasten, weil die am meisten in die öffentliche Infra-struktur investieren. Wir steigern in diesem Haushalt dieVerkehrsinvestitionen um 5 Milliarden Euro.
Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Wir können immer nochmehr fordern; aber es ist richtig, dass diese Bundesregie-rung bei Investitionen wirklich gute Schwerpunkte setzt.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2451
Hubertus Heil
(C)
Wir müssen gleichzeitig darauf schauen, dass die pri-vaten Investitionen, die in unserem Land zu niedrig sind,in Unternehmen stattfinden, und dafür brauchen sie or-dentliche Rahmenbedingungen. Das heißt vor allem Be-rechenbarkeit von Politik, und genau das schaffen wir imBereich der Energiepolitik. Da kehrt Berechenbarkeitzurück.
Herr Bundesminister Gabriel, Sie sind nicht alleinEnergieminister – das haben Sie bei der Vorstellung desJahreswirtschaftsberichts betont –, Sie sind Minister fürWirtschaft und Energie. Ich will Ihnen sagen: Wir alsSPD-Bundestagsfraktion freuen uns, dass Sie mit IhrerArbeit wieder auf eine aktive Wirtschafts-, Industrie-und Mittelstandspolitik setzen und Sie nicht nach demMotto verfahren: Wirtschaft wird alleine in der Wirt-schaft gemacht. – Nein, die Rahmensetzungen, die wir inder Politik vornehmen, und die Initiativen, die wir er-greifen, haben für die Zukunft unserer Wirtschaft eineentscheidende Bedeutung.Wir stehen vor großen Herausforderungen. Wir kön-nen uns nicht selbstzufrieden zurücklehnen. Wir sindsehr erfolgreich, wir sind Exportvizeweltmeister. Aberwir stehen vor großen Aufgaben. Die Energiewende istdie eine, der veränderte demografische Aufbau am Ar-beitsmarkt ist die zweite. Die große Frage der Digitali-sierung unserer Industrienation und der gesamten Wert-schöpfungsketten – Stichwort „Industrie 4.0“; das wurdedieser Tage auf der Hannover Messe intensiv diskutiert –liegt vor uns. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu-rückfallen. Es gibt eine ganze Menge von Unternehmen,die in dieser Beziehung etwas leisten können; sie sindaber leider nicht in Europa oder in Deutschland, sondernin den Vereinigten Staaten von Amerika oder in Fernost.Es bleibt also viel zu tun. Sie haben uns an Ihrer Seite,wenn es darum geht, mit einer aktiven Wirtschaftspolitikdie Grundlagen dafür zu schaffen, dass unser Land er-folgreich bleibt. Wir wünschen Ihnen eine erfolgreicheHand. Wir danken Ihnen und auch den Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern Ihres Ministeriums, die wirklich Gro-ßes beim Thema EEG geleistet haben, für die nächte-lange Arbeit in den letzten Wochen. Jetzt sind wir alsParlament gefragt, was die EEG-Reform betrifft. Wirwerden dafür sorgen, dass das Ganze vernünftig durchdas Parlament kommt.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Eva Bulling-Schröter ist die nächste Rednerin für die
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Gabriel, Sie haben ein blendendes Verhandlungsta-lent. Sie haben es in sicher harten Gesprächen geschafft,den strengen Wettbewerbskommissar Almunia milde zustimmen. Sie haben die Geschenke an die Industrie ein-fach umverpackt. Das Öko-Institut berechnet dafürMehrkosten zwischen 300 Millionen Euro und 2,5 Mil-liarden Euro. Den Anteil der stromintensiven Industriean der EEG-Umlage von 5 Milliarden Euro – es werdenvielleicht mehr – zahlen weiterhin die normalen Strom-kunden mit. Da kann ich nur sagen: Dieses Verhand-lungsergebnis adelt Sie als Industrieminister oder, wievorher gesagt wurde, als Genossen der Bosse.Wem nützt dieses neue EEG? Was ist mit den privatenHaushalten, besonders mit den Verbraucherinnen undVerbrauchern, die am Ende des Monats ihre Stromrech-nung kaum bezahlen können? Es gäbe durchaus Mög-lichkeiten, sie zu entlasten.
Die Linke hat dazu einiges vorgeschlagen, zum Beispieldie Senkung der Stromsteuer. Auch die SPD hatte vorder Bundestagswahl diese Forderung erhoben.
– Ich weiß, das alte Spiel: Für den Kollegen Schäublesteht die schwarze Null im Haushalt über allem. – Jetztfrage ich Sie: Wann wollen Sie, Herr Gabriel, Ihr Ver-handlungstalent an dieser Stelle einsetzen, für die Bürge-rinnen und Bürger?
Mit dem EEG 2014 führen Sie exakt das schwarz-gelbeProjekt aus 2012 weiter, das der Solarbranche bereitsschlimm zugesetzt hat.Aber Ihre Einschnitte sind noch drastischer. Nun sol-len die kleinen Bürgerenergieprojekte bluten, die bislangknapp die Hälfte der gesamten installierten Leistung vonEnergien aus Wind an Land, Sonne und Biomasse stel-len. Neuanlagen werden über kurz oder lang in die ver-pflichtende Direktvermarktung gezwungen. Die bishe-rige Managementprämie entfällt.Ich kritisiere aber noch mehr die ab 2017 geplantenAusschreibungen, mit denen die feste Einspeisevergü-tung endgültig Geschichte wird. In anderen Ländern ha-ben Ausschreibungen zu höheren Vergütungssätzen undFehlsteuerungen geführt – das ist ja inzwischen bekannt –;aber diese Erfahrungen ignorieren Sie einfach.Auch hier möchte ich wieder fragen: Wem nützen dieAusschreibungen?
Es sind zum Beispiel diejenigen, die die Investition, aneiner Ausschreibung teilzunehmen und nicht den Zu-schlag zu bekommen, verkraften können: große Investo-ren, die hohe Risiken zu tragen bereit sind. Sie machenAnwohnerenergieprojekten damit den Garaus und leiteneinen Paradigmenwechsel ein. Da sind wir wirklich voll-kommen dagegen.
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2452 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Eva Bulling-Schröter
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„Schluss mit Klein-Klein“ ist Ihre Devise auch hier, HerrIndustrieminister.Ihr Einsatz für die Unternehmen stellt die hohe Zu-stimmung zur Energiewende bei den Bürgerinnen undBürgern wirklich auf die Probe. Die Stromkosten ma-chen von den gesamten Energiekosten eines durch-schnittlichen Haushalts nur ein Viertel aus. Heizkostenschlagen viel stärker zu Buche. Auch darüber müssenwir reden.In den neuen Bundesländern müssen nun nach undnach 75 Prozent der Heizungsanlagen, die nach derWende eingebaut wurden, ausgetauscht werden.
– Nicht nur in den neuen Bundesländern, das ist richtig.Auch in den alten Bundesländern müssen sie ausge-tauscht werden. – Warum legen Sie nicht ein Energiege-samtkonzept vor, das endlich auch der Gebäudeeffizienzeine den Klimazielen angemessene Förderung zuspricht?
Aus dem Ministerium Gabriel hören wir, dass imGrunde sofort eine Verdoppelung der Sanierungsrate vonderzeit 1 Prozent auf 2 Prozent erfolgen müsste, willman, wie geplant, den Gebäudebestand bis 2050 nahezukomplett energetisch saniert haben. Das ist auch notwen-dig; wir haben schon ein ganzes Jahrzehnt verloren.Wann will die Bundesregierung den Sanierungsfahr-plan, den die EU zum Ende dieses Monats einfordert,vorlegen? Dazu haben wir noch gar nichts gehört. Wirmüssen davon wegkommen, die Gebäudeeffizienz undnatürlich auch die anderen Maßnahmen für Energie undKlimaschutz über den Energie- und Klimafonds zu fi-nanzieren. Wir sehen ja: Das funktioniert nicht. DerPreis der Zertifikate ist viel zu niedrig. Vom Handel mitihnen geht nichts aus.Die Linke fordert 5 Milliarden Euro jährlich für Effi-zienzmaßnahmen. Diese Förderung müsste verlässlichsein. Gebäudesanierung darf eben nicht zu einemSchwert gegen die Mieterinnen und Mieter werden. DieMieten müssen bezahlbar bleiben. Es kann nicht sein,dass sich Mieten verdoppeln und Leute aus ihren Woh-nungen ausziehen müssen, wie es in einigen Städten be-reits der Fall ist.
Die dringend notwendige energetische Gebäudesanie-rung darf nicht ein Trick von Investoren sein, um dieMieten in Innenstädten drastisch in die Höhe zu treiben.Damit schaffen wir keine Akzeptanz, sondern nur Ab-lehnung. Wir wollen den sozial-ökologischen Umbau.Dieser Umbau darf also nicht nur ökologisch, sondern ermuss auch sozial und bezahlbar sein. Ich denke, das istauch machbar, wenn die Gelder dementsprechend um-verteilt werden.
Das Wort erhält nun der Kollege Karl Holmeier für
die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Die deutsche Wirtschaft bleibt auch 2014 die Lokomo-tive für Wachstum und Beschäftigung in Europa. DieBundesregierung erwartet laut Jahreswirtschaftsberichtfür das laufende Jahr ein etwas stärkeres Wachstum alsnoch im Herbst des letzten Jahres vorausgesagt. Vor demHintergrund, dass sie mit erheblichem Gegenwind ausdem weltwirtschaftlichen und europäischen Umfeld zukämpfen hat, ist dies eine gute Nachricht. Das Wachstumwird über das Jahr 2014 hinaus sogar zunehmend anSubstanz gewinnen.Mit dem vorliegenden Haushalt tragen wir dazu bei,diese guten Aussichten zu festigen. Wir fördern Innova-tionen. Die Innovationsförderung ist einer der Schwer-punkte im Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums.Wir führen den Investitionszuschuss für Wagniskapitalfort. Die Finanzierungssituation junger innovativer Un-ternehmen wird weiter verbessert.Was ganz wichtig ist, meine sehr verehrten Damenund Herren: Wir fördern die regionale Wirtschaft. DieMittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung derregionalen Wirtschaftsstruktur“ werden fortgeführt. Ichmöchte einen wirklich herzlichen Dank an die Bundesre-gierung, vor allem an unsere Bundeskanzlerin, dafür sa-gen, dass gerade die bayerischen Landkreise entlang derGrenze zu Tschechien weiter im Fördergebiet sind.
Wir fördern den Mittelstand. Wir unterstützen Unter-nehmensgründungen und vor allem die Fachkräftesiche-rung.Wir verfolgen einen konsequenten Konsolidierungs-kurs. Der Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriumsleistet auch in diesem Jahr einen wichtigen Beitrag zurKonsolidierung. Der Etat für 2014 wurde zwar erhöht;dies ist aber im Wesentlichen darin begründet, dass dieZuständigkeiten für die Energiewende hierher verlagertwurden.Wir schaffen verlässliche Rahmenbedingungen fürden Energiebereich. Energie muss sicher und bezahlbarbleiben. Dies gilt sowohl für unsere Bürgerinnen undBürger als auch für unsere Wirtschaft. Deshalb reformie-ren wir das EEG. Am 8. April, vorgestern, hat das Bun-deskabinett die EEG-Novelle beschlossen. Insgesamtkann der Gesetzentwurf durchaus als ein positiverSchritt hin zu einer Dämpfung des Strompreisanstiegsgesehen werden. Mit der Einführung der verpflichtendenDirektvermarktung und der Festschreibung des System-wechsels hin zum Ausschreibungsmodell sind hierzuentscheidende Weichen gestellt worden.Im parlamentarischen Verfahren, meine sehr verehr-ten Damen und Herren, wird es sicher noch zahlreiche
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Karl Holmeier
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Punkte geben, bei denen wir genau hinsehen müssen.Hierzu zählen zum Beispiel aus bayerischer Sicht in be-sonderer Weise die Biomasse und die Wasserkraft.Auch sollten wir den Mechanismus zur Berechnungder EEG-Umlage unter die Lupe nehmen. Wenn einefeste Einspeisevergütung gezahlt wird, die erneuerbarenEnergien aber gleichzeitig eine strompreisdämpfendeWirkung an den Spotmärkten entfalten, wird die EEG-Umlage zwangsläufig immer weiter steigen. Die Frageist: Kann das so bleiben?Wichtig ist auch, dass die Entlastungen für die ener-gieintensiven Industrien erhalten bleiben. Die Befreiungder energieintensiven Industrien von der EEG-Umlageist wettbewerbspolitisch unbedingt geboten. Das von derEU-Kommission eingeleitete Beihilfeverfahren darfnicht dazu führen und wird auch nicht dazu führen, dassder Industriestandort Deutschland und seine Arbeits-plätze gefährdet werden. Ich danke hier wiederum unse-rer Bundeskanzlerin Angela Merkel und unserem Minis-ter Gabriel für die guten Verhandlungen.In den Strompreisen wird sich eine Überarbeitung desEEG aber sicherlich erst mittel- und langfristig bemerk-bar machen. Deshalb müssen wir auch darüber nachden-ken, wie wir die Verbraucher vielleicht kurzfristig ent-lasten können. Denkbar wäre zum Beispiel, dass dieEEG-Umlage ab einem bestimmten Betrag gedeckeltwird und ein Teil der EEG-Umlage aus einem staatlichenFonds zwischenfinanziert wird. Das könnte man dannausgleichen, wenn die Umlage wieder sinkt.Eines sollten wir uns aber immer wieder klarmachen:Die Energiewende, meine sehr verehrten Damen undHerren, hängt nicht allein am EEG. Es geht um weitmehr. Wir brauchen ein neues Marktdesign, mehr Ener-gieeffizienz, Speicherkapazitäten und auch neue Netze.
Wenn wir dieses Puzzle zusammensetzen, werden wirdie Energiewende meistern, und wir werden sie meis-tern. Wenn das jemand schafft, dann wird das Deutsch-land sein.
Wir sind uns dessen bewusst und berücksichtigen diesauch im vorliegenden Haushalt. Wir fördern Maßnah-men zur Steigerung der Energieeffizienz. Die Unterstüt-zung der unabhängigen Energieberatung für kleine undmittlere Unternehmen und das CO2-Gebäudesanierungs-programm führen wir auf hohem Niveau fort. Wir för-dern Forschung und Entwicklung im Energiebereich.Wir stellen erhebliche Mittel zur Forschung und Ent-wicklung in den Bereichen Energieeffizienz, erneuerbareEnergien und Sicherheitsforschung zur Verfügung.Meine sehr verehrten Damen und Herren, der vorlie-gende Haushalt zeigt, dass wir einen Plan dafür haben,wie wir unsere Wirtschaft stärken wollen. Das kann manvon der Opposition, den Linken und den Grünen, in die-sem Haus nicht behaupten. Sie wollen die Ausnahmenfür die energieintensive Industrie abschaffen.
Darüber muss man sich wirklich wundern; denn sie ha-ben keine Alternative, mit der sie gewährleisten können,dass die Industrie weiter wettbewerbsfähig bleibt. DieGrünen waren es, die diese Maßnahmen mit eingeführthaben.
Darüber hinaus waren sie es auch, die diese Ausnahmenmit der zweiten EEG-Novelle 2003 ausgedehnt haben.Dies zeigt: Sie empfinden keinerlei Verantwortung ge-genüber unserer Wirtschaft. Ihnen ist es vollkommenegal, ob Arbeitsplätze in Deutschland bestehen bleibenoder ins Ausland verlagert werden.
Sie werfen uns immer wieder vor, dass die Energie-preise zu hoch sind. Ich frage Sie: Welche Alternativenhaben Sie anzubieten? Bezüglich der Überarbeitung derEEG-Umlage haben Sie außer Worthülsen und Kritik anunserer Arbeit nichts vorzuweisen.
Sie fordern immer wieder, den Fokus auf schwacheVerbraucher zu legen, wie wir gerade hörten. Manmüsste einen Weg finden, wie wir die Bezahlbarkeit vonEnergie für alle Verbraucher und für die Wirtschaft auchin Zukunft gewährleisten können. Daran arbeiten wir.Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit demvorliegenden Haushalt gehen wir nicht nur in ein Zeital-ter der erneuerbaren Energien, sondern wir gehen auchin ein Zeitalter der konsolidierten Staatsfinanzen. Wirschließen einen Kreis zu Franz Josef Strauß, der 1969den letzten schuldenfreien Haushalt in Deutschland vor-legen konnte. Im Jahre 2015 werden wir wieder einenschuldenfreien Haushalt in Deutschland vorlegen kön-nen. Darauf können wir stolz sein, genauso wie auf un-sere Wirtschaft, die es auch weiterhin zu stärken gilt.Daran werden wir in Zukunft arbeiten.Herzlichen Dank.
Der nächste Redner ist der Kollege Thomas Gambkefür die Fraktion der Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie
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Dr. Thomas Gambke
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haben gerade eine Rede von jemandem gehört, der dasWort „Innovation“ vielleicht buchstabieren kann, abernicht verstanden hat.
Ich werde Ihnen das gleich beweisen.Herr Fuchs, Sie haben das Kernkraftwerk Fessenheimbezüglich Netzstabilität angesprochen. Fahren Sie ein-mal nach Kalifornien. Sehen Sie sich einmal an, wie dortNetzstabilität hergestellt wird. Dort wird etwas ganz In-telligentes gemacht. Dort wurden erst einmal elektroni-sche Steuerungsmethoden entwickelt und implementiert,um jetzt die Erneuerbaren einzusetzen.Was haben Sie gemacht? Sie haben acht Jahre langdie Energiewende nicht gewollt. Sie haben die großenKonzerne unterstützt und dabei etwas verschlafen, wasandere können und machen, nämlich Netzstabilität nichtmit den rotierenden Massen von fossil angetriebenenDampfturbinen hinzubekommen, sondern mit Elektronikund Intelligenz. Das müssen wir machen. Wir brauchenInnovationen, um die Energiewende zu schaffen, undnicht das, was uns hier erzählt wird.
Ich habe den Eindruck, dass manche Leute glauben,wir brauchten den Heizer auf der E-Lok. Wenn wir dieneuen Technologien wirklich fördern wollen, dann müs-sen wir sie auch unterstützen. Sehen wir uns einmal denEinzelplan 09 an – Kollegin Hajduk hat es gesagt –: Eswerden gerade einmal 12 Prozent für den Mittelstand zurVerfügung gestellt. Wer ist denn der Treiber von Innova-tionen, wenn nicht der Mittelstand? Und dann, HerrGabriel, werden gerade einmal gut 10 Prozent für denMittelstand in Ihren Programmen zur Verfügung gestellt,aber 1,4 Milliarden Euro für Kohlesubventionen und an-dere Großindustrien. Nein, das kann es nicht sein.
Sie hören, dass es angesichts der Pläne zu einer Rentemit 63 Sorgen um die Rahmenbedingungen für den Mit-telstand gibt. Anstatt zum Beispiel eine vernünftige Teil-rente auf den Weg zu bringen, um die Beschäftigung imAlter zu sichern, drängen Sie mit dem, was Sie vorha-ben, Facharbeiter aus dem Mittelstand heraus. Das istschon ein ganz schön starkes Stück. Mittelstandsförde-rung und Innovationsförderung sehen anders aus.
Was könnten wir machen? Wir könnten endlich einesteuerliche Forschungsförderung für kleine und mittlereUnternehmen betreiben. Es wäre mutig, da mal ein Zei-chen zu setzen. Ich höre immer aus Ihren Kreisen, dassSie das machen wollen; ich höre aber auch, dass der Fi-nanzminister es nicht finanzieren will. Sie könnten auchThesaurierungsbegünstigungen für kleine und mittlereUnternehmen verbessern, um ihr Eigenkapital zu stär-ken; auch das wäre mal ein Thema.
Es steht sogar im Koalitionsvertrag; Sie haben es schönaus dem grünen Wahlprogramm abgeschrieben. Ichfreue mich darüber. Aber Sie müssen es endlich machenund nicht nur darüber reden, damit dort eine Stärkung er-folgt.
Wir müssen Innovation und Mittelstand fördern. Esgibt Unternehmen, die innovativ sind:
Es gibt eine Wäscherei, die Wäsche wäscht, ohne Was-ser zu verbrauchen, weil das Wasser zu 100 Prozent imKreislauf verbleibt. Es gibt ein mittelständisches Unter-nehmen, das ein Verwaltungsgebäude unterhält, für dases 140 Prozent der Energie, die es verbraucht, selber her-stellt. Es gibt einen Hersteller von weißer Ware, der sichdas Ziel gesetzt hat, 25 Prozent Ressourceneinsparung infünf Jahren hinzubekommen. Er hat das öffentlich ver-kündet und berichtet jedes Jahr über die Fortschritte.Und was machen wir? Wir verhindern, indem wirzum Beispiel die Ergebnisse der Enquete-Kommission„Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ nicht umsetzen,dass bei unseren Zielsetzungen, den Zielsetzungen derPolitik, andere Maßstäbe als das Wachstum angelegtwerden. Das müssten wir endlich tun: Wir müssten Inno-vationen fordern und fördern, wir müssten neue Techno-logien fordern und fördern, aber nicht mit 10 Prozent desEtats, sondern mit deutlich mehr Mitteln.
Lassen Sie mich ein Fazit ziehen. Dieser Einzelplanlässt eine Zielorientierung vermissen. Gerade die feh-lende Zielorientierung hindert Sie daran, etwas für dieneuen Technologien und – ich sage es noch mal – für denMittelstand zu tun. Es werden die alten Industrien geför-dert. Ich denke, dass es in den Beratungen noch vielHandlungsbedarf gibt, damit wir endlich einen Plan be-kommen, der Deutschland wirklich nach vorne bringt.Vielen Dank.
Danke, Herr Kollege. – Von meiner Seite guten Mor-gen an alle! Guten Morgen, Herr Kauder!
Der nächste Redner ist Jan Metzler für die CDU/CSU.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wirtschaftbraucht Vertrauen – das ist ein einfacher Satz, möchteman annehmen. Aber wenn man genauer darüber nach-denkt, erkennt man: Es ist ein Satz, der uns fordert. Las-sen Sie mich einige Gedankengänge zuvor ansetzen:Deutschland steht gut da. Wir haben uns schon so an dieguten Nachrichten gewöhnt, dass man meinen könnte, eswäre eine Selbstverständlichkeit, meine Damen undHerren.
Die Zahlen belegen es: 1,8 Prozent erwartetes Wachs-tum in diesem und 2 Prozent im nächsten Jahr, rund41,7 Millionen Erwerbstätige, niedrigste Jugendarbeits-losigkeit im EU-Vergleich und Verbraucher, die in besterKauflaune sind. Das ist keine Selbstverständlichkeit,liebe Kolleginnen und Kollegen.
Denn es ist erst gut fünf Jahre her, dass die Krise auf ih-rem Höhepunkt angekommen war. Die Börsen warenweltweit auf Talfahrt, viele deutsche Unternehmen hiel-ten sich mit Kurzarbeit über Wasser, und die Bankenweltstand vor einem massiven Umbruch. Große deutsche Ta-geszeitungen titelten: „Deutsche Ausfuhren sollen um15 Prozent schrumpfen“, „Die Wirtschaftskrise erreichtden Arbeitsmarkt“ oder „Im Sog der US-Börsen: Daxknickt ein“.Wie hat Deutschland es geschafft, beinahe unversehrtaus dieser Krise herauszukommen? Automatisch? Ganzsicher nicht. Erst die gemeinsame Anstrengung von Ge-sellschaft und Wirtschaft im Gleichklang mit den richti-gen Weichenstellungen unserer konsequenten und be-sonnenen Politik haben dies möglich gemacht.
Dies ist gerade auch das Verdienst unserer leistungsstar-ken Industrie.Dabei ist unser Land mittelständisch geprägt, mit ei-ner Vielzahl erfolgreicher Familienunternehmen. Wirsind das Land der Hidden Champions. Man ist doch im-mer wieder erstaunt, wenn man auf jene Unternehmentrifft, die Marktführer in ihrer Branche sind, Millionenumsetzen, aber den meisten Menschen doch völlig unbe-kannt sind. 1 500 dieser heimlichen deutschen Stars ge-hören zur Weltspitze. Genau hier liegt unser Potenzial;denn unsere diversifizierte Wirtschaft im Bereich derkleinen und mittleren Unternehmen stellt rund 70 Pro-zent der Arbeitsplätze. Das ist enorm, und darauf könnenwir stolz sein.
Stellen Sie sich einmal vor, wir hätten vor Jahren den-selben Fehler wie einige andere Länder gemacht, hättenunsere Industrie zurückgedrängt und nur auf die Finanz-branche gesetzt. Dann würden wir jetzt ernüchtert fest-stellen, dass eine Reindustrialisierung, also eine Stär-kung der eigentlichen Wertschöpfungskette rückwirkendbeinahe unmöglich ist. Hätten wir denselben Fehler ge-macht, würden wir heute mit Sicherheit nicht so gut da-stehen.
Glücklicherweise sind Industrie und Mittelstand sotief in unserer Wirtschafts-DNA verankert, dass selbstdie Wirtschaftskrise diese Grundfeste nicht erschütternkonnte. Nach wie vor hat die Industrie in Deutschlandeinen Anteil von 20 Prozent an der Gesamtproduktion.Das ist Spitze in Europa. Das soll auch so bleiben. Dafürwurden seit Jahren die richtigen Rahmenbedingungengeschaffen, die richtigen Weichen gestellt, und zwar mitmaßgeblichem Einsatz der CDU/CSU-Fraktion.
– Ja, ja, nach dem Motto „Stören Sie mich nicht mit Fak-ten, meine Meinung steht fest“.Die Große Koalition setzt die richtigen Zeichen, siesetzt an den richtigen Stellen an: Stichwort Fachkräftesi-cherung, Stichwort Forschungsoffensive, Stichwort Di-gitale Agenda. Die Liste ist lang.Dass wir den guten Weg konsequent und besonnenweitergehen, zeigt der vorliegende Einzelplan für Wirt-schaft und Energie mit einem Gesamtetat von 7,4 Mil-liarden Euro. Mit mehr als einem Drittel dieses Etats för-dern wir ausschließlich Innovation, Forschung undTechnologie in der deutschen Wirtschaft.
Dabei gilt für uns: Das eine tun, aber das andere nichtlassen. Wir fördern unser Erfolgsmodell, unsere erfolg-reiche Industrie und unseren traditionellen Mittelstand.Gleichzeitig setzen wir wichtige Impulse für die Start-up- und Gründerszene, den neuen deutschen Mittelstand.
Ich möchte zwei Beispiele hervorheben. Erstens. Mitdem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand, kurzZIM, und der Forschungsinfrastruktur fördern wir ge-zielt Forschung und Entwicklung im Mittelstand. Alseine der Know-how-trächtigsten Wirtschaftsnationensorgen wir so weiterhin dafür, dass die Ideen unsererSpitzenforscher und Tüftler im eigenen Land entwickeltund hier nachhaltig zum Erfolg geführt werden.Zweitens. Mit dem Förderprogramm EXIST unter-stützen wir gezielt die Gründerszene im Hochschulum-feld. Wir setzen auf Forschergeist, Mut und Einsatzbe-reitschaft.
Die passgenauen, im Einzelplan festgeschriebenenMaßnahmen setzen richtige Anreize und Rahmenbedin-gungen und somit Akzente für die zukünftige Entwick-
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2456 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Jan Metzler
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lung der gesamten deutschen Wirtschaft. Wir vertrauender Wirtschaft.Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie ist „madein Germany“ übrigens ein maßgebliches Kaufargumentfür die deutschen Verbraucher. Das Vertrauen in diedeutsche Wirtschaft ist also auch in der Gesellschaft vor-handen. Kein Wunder also, dass die Stimmung gut ist.Kein Wunder also, dass junge, qualifizierte Menschenaus aller Welt Deutschland als Ausbildungs- und Ar-beitsstandort vermehrt in Betracht ziehen. Kein Wunderalso, dass wir im internationalen Vergleich so gut daste-hen.
Aber auch in Zukunft dürfen wir uns nicht auf demErreichten ausruhen. Kürzlich unterhielt ich mich mitdem Gründer eines sehr erfolgreichen Start-ups. Er hatden Standort Deutschland und die finanzielle Erstunter-stützung ausdrücklich gelobt, zum Beispiel die Gründer-kredite. Das Paradoxe: Als sich der Erfolg dann wirklicheinstellte und für die Expansion ein mittlerer einstelligerMillionenbetrag nötig war, gab es keine deutsche Bank,keinen Finanzierer, der das weitere Wachstum unter-stützt hätte. Er sei als Geschäftsführer mit Ende 20 ein-fach zu jung und damit zu risikoreich für die Banken ge-wesen.Ein ähnliches Beispiel: Wie wäre es wohl Mark Zu-ckerberg vor zehn Jahren in Deutschland ergangen?Hätte man ihm, der gerade Anfang 20 war, einen Millio-nenkredit gewährt, um Facebook aufzubauen, das heuteauch für uns Politiker unerlässlich ist? Oftmals passenVertreter der neuen Gründerzeit nicht in unser Rollenbildvom erfolgversprechenden Macher. Das sind nicht nur,aber vor allem in der IT-Branche oftmals junge LeuteMitte, Ende 20, die tolle Ideen haben, aber in den Augenvieler noch grün hinter den Ohren sind.Ich finde es richtig, dass wir mit der Digitalen Agendaeinen neuen Weg gehen und die Gesellschaft vom Ver-trauen in junge Gründer überzeugen. Künftig nutzen wirunsere Chancen hier noch besser; denn Kreativität ist derTreiber unseres Wohlstandes.
Wenn ich von der Gründerszene, also dem neuendeutschen Mittelstand spreche, spreche ich mitnichtennur von der IT-Branche, sondern auch von jungen Unter-nehmerinnen und Unternehmern, die tolle Ideen in klas-sischen Branchen hervorbringen. Ein Beispiel ist dieLandwirtschaft. In meiner Heimat, in Rheinhessen, gibtes viele Jungwinzer, die massiv in hochinnovative Ideenund somit die Zukunft ihrer Familienbetriebe investie-ren. Sie sind damit nicht nur Botschafter meiner Heimat,sondern mit ihren Produkten auch hochinnovative Bot-schafter für unser ganzes Land.
– Der Rheingau ist nicht zu vergessen. Dann können wirnoch die Mosel hinzunehmen und viele andere.Das ist das Erfolgsrezept unserer Wirtschaft: das Mit-einander unseres traditionellen Mittelstands mit demneuen deutschen Mittelstand. Das ist weltweit ein ein-maliges Modell. Unser Ziel muss es auch in Zukunftsein, auf jahrzehntelange Erfahrung zurückzugreifen,von dieser zu profitieren und gleichzeitig offen zu seinfür neue Ideen. So können wir Netzwerke zwischen In-dustrie, Forschung und Gründerszene noch stärker be-fördern. Damit stärken wir unsere Position und unsereWettbewerbsfähigkeit, die Chancen eröffnet und die In-dustrie 4.0 maßgeblich nach vorne bringt.Mit Blick auf den Einzelplan Wirtschaft und Energiestelle ich fest: Wir tragen an den geeigneten Stellen denHerausforderungen Rechnung; wir setzen die richtigenRahmenbedingungen für die deutsche Wirtschaft; wirsetzen Anreize für Neugründungen. Als junger Bun-destagsabgeordneter sage ich: Wirtschaft braucht Ver-trauen. – Das gilt gerade zu Beginn für die junge Gene-ration, unseren neuen deutschen Mittelstand.
Mit dem Haushaltsplan untermauern wir unser Vertrauenin die deutsche Wirtschaft. Ich finde, wir sind auf einemguten, ich finde, wir sind auf dem richtigen Weg.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Lieber Kollege Metzler, nicht nur Ihre Fraktion und
der Koalitionspartner, sondern das ganze Haus gratuliert
Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
Da Sie Winzer sind, wünsche ich Ihnen auch noch ei-
nen guten Jahrgang.
– Mitbringen? Ja.
Der nächste Redner ist Andreas Mattfeldt von der
CDU/CSU. – Herr Mattfeldt, bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Uns wurde eben der Haushalt vor-gestellt. Wir haben sehr viel gelernt. Wir haben gelernt,wie wichtig Wein für die Wirtschaft in Deutschland ist.Deshalb sende ich Ihnen auch von der Mosel herzlicheGrüße. Ich komme zwar nicht von der Mosel, aber meinBetrieb ist dort ansässig.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2457
Andreas Mattfeldt
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Der Haushalt wurde vorgestellt. Nun stellen wirHaushälter zusammen mit den Fachpolitikern vielesnoch einmal auf den Prüfstand. Wir machen das nicht,um das Ministerium – Frau Zypries ist noch anwesend –oder gar den Minister zu ärgern. Nein, es ist die ureigeneAufgabe von uns Parlamentariern, alle gemachten Vor-schläge auf den Prüfstand zu stellen und auf absoluteNotwendigkeit hin zu überprüfen.
Ich betone immer wieder, dass es in den Entscheidungs-bereich von uns Parlamentariern fällt, die von den Steu-erzahlern hart erarbeiteten Mittel so sinnvoll und so ef-fektiv wie möglich zum Wohle der Menschen inunserem Land einzusetzen.
Der Etat des Bundesministers Gabriel ist gegenüberdem Entwurf aus dem vergangenen Jahr – das haben wirbereits gehört – um circa 1,3 Milliarden Euro angewach-sen. Dieser anständige Aufwuchs liegt an der Über-nahme der Zuständigkeiten für die Energiewende, fürdie CO2-Gebäudesanierung und für die neuen Länder.Übrigens ist diese Aufgabenverlagerung aus den anderenMinisterien eine Herkulesaufgabe, die von den Mitarbei-terinnen und Mitarbeitern der Häuser mit Bravour ge-leistet wird. Hierfür auch von meiner Seite herzlichenDank.
Ich sage auch: Diese Aufgabenverlagerung ist nach mei-ner Einschätzung absolut notwendig, wenn die Energie-wende, über die heute viel diskutiert worden ist, im vor-gesehenen Zeitrahmen realisiert werden soll.Der Bereich Energie und Nachhaltigkeit ist mit Mit-teln in Höhe von 2,9 Milliarden Euro das größte Kapitelim Etat, aber dieser Bereich ist nicht nur zahlenmäßigder größte, sondern die Energiewende wird uns in denkommenden Jahren auch als das zentrale Projekt beglei-ten. Es ist wohl die größte Herausforderung in dieser Le-gislaturperiode. Der endgültige Ausstieg aus der Kern-energie muss weiter umgesetzt werden. Der Anteil dererneuerbaren Energien am Strommix muss erhöht wer-den. Stromtrassen müssen gebaut werden. Die Frage derEntsorgung des Atommülls soll gelöst werden, und derAbbau der Kernkraftwerke soll vorbereitet werden.
Das alles soll sich natürlich in einem finanziellen Rah-men abspielen, der die Strompreise nicht weiter steigenlässt. Liebe Frau Zypries, das hört sich spielend leichtan, aber ich glaube, Sie haben da eine gehörige Aufgabevor sich. Ich sage Ihnen: Das ist sicherlich alles andereals leicht. Das erfordert einen enormen gemeinsamenKraftakt, der uns allen viel abverlangen wird.
Gerade vom Bau der Stromtrassen werden die Bürge-rinnen und Bürger natürlich auch ganz besonders sicht-bar betroffen sein. Ich weiß das aus eigener Erfahrung,denn die geplante SuedLink-Trasse wird meinen Wahl-kreis zum Teil erheblich queren. Natürlich erwarten ganzviele in meinem Wahlkreis, dass ich mich gegen den Baudieser Stromtrasse stelle. Übrigens gibt es bei den Geg-nern des Baus dieser Stromtrasse zahlreiche Schnittmen-gen mit denen, die vorher lautstark „Atomkraft? Neindanke!“ geschrien haben. Nein, eine Dagegenpolitik istkeine verantwortungsvolle Politik, im Gegenteil.
Wir brauchen diese Trasse dringend. Gerade nach derKatastrophe im Kernkraftwerk in Fukushima gab es einefast schon übergroße Mehrheit in der deutschen Bevöl-kerung, die die Energiewende wollte und mit allen Kon-sequenzen mitgetragen hat. Der Bau der Stromtrassengehört zwingend dazu.Wenn wir Ja sagen zu erneuerbaren Energien, dannmüssen wir auch Ja sagen zu den Stromtrassen. Eine Da-gegenpolitik, Herr Krischer von den Grünen, die Sieauch gerne in den Verbänden vor Ort vertreten, hilft unsnicht weiter.
Dies gilt – das sage ich mit einem Blick auf meine baye-rischen Freunde – auch ganz schonungslos für dasselbstbewusste Bundesland Bayern.
Es ist selbstverständlich, darauf zu achten, dass derTrassenbau möglichst verträglich für Mensch und Naturgeschieht. In meinem Wahlkreis zum Beispiel sahen dieUrsprungsplanungen vor, dass die Trasse mitten durchzwei Waldkindergärten verläuft. Das besorgt natürlichnicht nur die Eltern. Deshalb begrüße ich es sehr, dassder Netzbauer TenneT hier bereits nach Alternativver-läufen sucht.Die Große Koalition ist gerade dabei, zwingend not-wendige Korrekturen am EEG vorzunehmen; das habenwir bereits gehört. Die Energiewende muss so ausgestal-tet werden, dass weder Verbraucher noch Industrie überGebühr belastet werden und trotzdem die anvisiertenZiele erreicht werden.Ich selbst bin nicht nur privater Stromverbraucher,sondern – das wissen viele – komme aus der Lebensmit-telindustrie. Dort bekomme ich die sehr hohen Strom-kosten – im Vergleich mit vielen anderen auch europäi-schen Nachbarländern sind sie in Deutschland sehr hoch –täglich zu spüren. Strom ist – das sage ich an die Adresseder Kolleginnen und Kollegen von den Grünen – zumin-dest bei uns im Betrieb ein sehr hoher Kostenfaktor inder Produktkalkulation. Wir stehen im Wettbewerb mit
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2458 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Andreas Mattfeldt
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Produzenten aus der Tschechei, aus Frankreich und ausPolen
um die besten Plätze im deutschen Lebensmittelhandel.Ich empfehle Ihnen dringend, sich ernsthafter mitdem Mittelstand zusammenzusetzen.
Ich jedenfalls mache das täglich.
Ich erlebe dabei, übrigens auch bei guten Freunden, wieintensiv darüber nachgedacht wird, Produktionen insAusland zu verlagern. Sie können das – das haben Sieheute hier auch wieder gemacht – anzweifeln. Ich sageIhnen aber: Das sind keine durchgeknallten Typen, dienur die Politik aufschrecken wollen. Nein, es geht umreale Existenzangst und um Arbeitsplätze. Diese dürfenwir doch nicht gehen lassen. Unsere Nachbarländer ha-ben hier Fehler gemacht und die Industrie ziehen lassen.Viele bereuen dies heute bitter, zum Beispiel Großbritan-nien. Dort redet man aktuell von einer Reindustrialisie-rung. Großbritannien lässt sich diese Reindustrialisie-rung richtig viel kosten. Ich persönlich halte einensolchen Weg für Deutschland nicht für erstrebenswert.Deshalb meine Bitte an die Grünen: Besinnen wir unsauf unsere Vernunft,
und unterstützen wir Handwerk, Mittelstand und Indus-trie zum Wohle von uns allen!Meine Damen und Herren, diese Koalition hat sichzum Ziel gesetzt, nicht nur die großen Unternehmen,sondern ganz besonders – da widerspreche ich der linkenSeite dieses Hauses, Herr Claus – auch die mittelständi-schen Unternehmen zu unterstützen.
Denn wir wissen: Kleine und mittelständische Unterneh-men, vor allen Dingen aber auch Familienunternehmen,sind die Stütze unserer Wirtschaft. Gerade in der letztengroßen Wirtschaftskrise war es doch der Mittelstand, derdafür gesorgt hat, dass Deutschland die Krise schnellerals andere Staaten überwunden hat. Mittelständler sindes, die in Deutschland zahlreiche Arbeitsplätze zur Ver-fügung stellen, diese auch in wirtschaftlich schwierigenZeiten erhalten und immer wieder neue schaffen.Wir haben nicht lange gezögert und im Vorgriff aufden Haushalt 2014, also vorab – deshalb ist das, was Siegesagt haben, falsch –, Gelder für die Mittelstandsför-derprogramme freigegeben.
Diese Vorabfreigabe war zwingend notwendig; dennhierdurch werden Arbeitsplätze erhalten und sogar zahl-reiche neue geschaffen. Auch wenn einigen im Landeine Koalition von CDU, CSU und SPD seltsam er-scheint, sehen Sie hieran, dass diese Koalition nicht nurredet, sondern auch ganz praktisch und schnell handelt,und zwar dort, wo es notwendig ist.
Allerdings darf bei einigen Förderprogrammen die Frageerlaubt sein, ob gewährleistet ist, dass die vorhandenenMittel nicht wahllos nach dem Gießkannenprinzip ver-teilt werden. Mir persönlich ist im Hinblick auf die För-derung wichtig, dass Arbeitsplätze am Ende dauerhaftgesichert oder neue Arbeitsplätze geschaffen werden.Ein nicht nur in meinem Wahlkreis, sondern auchdeutschlandweit erfolgreiches Programm – es ist bereitsangesprochen worden – ist das Zentrale Innovationspro-gramm Mittelstand. Dabei handelt es sich um ein Pro-gramm, in dessen Rahmen unbürokratisch Mittel fürkleine und mittelständische Unternehmen bereitgestelltwerden, damit diese bestimmte Technologien verwirkli-chen können, wozu sie sonst nicht in der Lage wären.Seit Bestehen dieses Programms im Jahr 2008 wurdenForschungs- und Entwicklungsprojekte im Umfang vonüber 7 Milliarden Euro initiiert. Was für mich viel wich-tiger ist: Zwischen 2009 und 2011 wurden hierdurch biszu 70 000 Arbeitsplätze gesichert oder neu geschaffen.Ich zumindest nenne das einen großartigen Erfolg,meine Damen und Herren.Da wir gerade über Arbeitsplätze sprechen: Ich haberegistriert, dass ein großer Flugzeugbauer stark von För-dergeldern profitiert. Diese Unterstützung der deutschenLuft- und Raumfahrtindustrie leistet der deutsche Steu-erzahler natürlich in der Erwartung, dass hierdurch Ar-beitsplätze in unserem Land gesichert werden. Ich sageganz deutlich: Nicht akzeptabel ist es, dass wir auf dereinen Seite Unternehmen Steuergelder in enormer Höhezur Verfügung stellen und auf der anderen Seite Arbeits-plätze ins Ausland verlagert werden.
Kein Politiker in diesem Land kann es verantworten,dass Unternehmen in Deutschland Steuergelder erhaltenund hiervon Arbeitsplätze in einem anderen Land finan-ziert werden. Diese Entwicklung werden wir im Blickbehalten.Ich sage das auch vor dem Hintergrund von Zahlun-gen im Rahmen einer deutschen Kofinanzierung beimBau der Stadtbahn in Ho-Chi-Minh-City. Obwohl bereits20 Millionen Euro von 86 Millionen Euro deutschenGeldes geflossen sind, ist von dieser Stadtbahn im Stadt-bild von Ho-Chi-Minh-City nichts erkennbar. Zwar sol-len deutsche Unternehmen von der Auftragsvergabe pro-fitieren, Frau Zypries,
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2459
Andreas Mattfeldt
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ob allerdings jemals etwas realisiert wird, scheint heutezumindest fraglich. Deshalb freue ich mich auf den Be-richt des Ministeriums. Der Minister hat uns ja zugesagt,nach seiner kommenden Südostasien-Reise hierzu einenBericht abzugeben.Meine Damen und Herren, dieses Projekt ist ein gutesBeispiel dafür, dass gerade wir Haushälter in den künfti-gen Beratungen sehr genau darauf achten müssen, wel-che Projekte in die Förderung aufgenommen werden. Ichjedenfalls freue mich sehr auf die anstehenden Haus-haltsberatungen, lade die Opposition ein, hieran kon-struktiv mitzuwirken, und hoffe, dass wir gute, sachlicheDiskussionen führen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Weitere Wortmeldun-gen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor.Dann kommen wir jetzt zum Geschäftsbereich desBundesministeriums für Bildung und Forschung,Einzelplan 30.Die Debatte eröffnet die Ministerin ProfessorDr. Johanna Wanka.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Etat des Bundesministeriums für Bildungund Forschung ist, seit Angela Merkel Bundeskanzleringeworden ist, neunmal in Folge gewachsen. Dieser Etatist über die ganzen Jahre – 2005, 2006 etc. – jedes Jahrgewachsen, auch in Zeiten der Wirtschafts- und Finanz-krise, auch in Situationen, in denen in anderen Bereicheneingespart werden musste. Das war und ist nur möglich,weil vonseiten der Bundesregierung – sowohl vonseitender Großen Koalition als auch vonseiten der letztenKoalition – hier ein eindeutiger Schwerpunkt gesetztwurde. Und diese Aufwüchse waren nicht marginal: Von2005 bis jetzt ist in diesem Bereich ein Aufwuchs ummehr als 84 Prozent zu verzeichnen; das ist fast eine Ver-dopplung.Wir haben uns in der Großen Koalition, SPD undCDU/CSU – in diesem Punkt sind wir uns ganz einig; inanderen auch –, vorgenommen, diese Schwerpunktset-zung weiter fortzusetzen.
Der Koalitionsvertrag macht dazu inhaltliche Aussagen,aber auch finanzielle.
Von den 23 Milliarden Euro, die zusätzlich kommen, ge-hen 9 Milliarden Euro in den Bereich Bildung und For-schung. Das ist eine eindeutige Schwerpunktsetzung:mehr als ein Drittel. Der Anteil des BMBF an diesen9 Milliarden findet sich dabei noch nicht im Haushalts-plan.Meine Damen und Herren, wir haben das 3-Prozent-Ziel als ein Indiz dafür, wie gut wir bei den Investitionenin Forschung und Entwicklung sind. Wir haben es ge-schafft, dass jetzt 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktsfür Forschung und Entwicklung eingesetzt werden. Da-mit sind wir nicht nur in Europa, sondern auch interna-tional in der Spitzenliga. Das ist dennoch überhaupt keinGrund, sich auf diesem Lob auszuruhen. Es wird außer-ordentlich schwierig, diesen Anteil zu halten oder ihnsogar noch zu steigern. Um die Chancen, die wir haben– Stichwort: Industrie 4.0 –, nutzen sowie die für dieEnergiewende notwendige Forschung betreiben zu kön-nen, ist das aber existenziell.Wenn man davon spricht, dass die 3 Prozent erreichtsind, muss man auch sagen: Zwei Drittel von diesen3 Prozent investiert die private Wirtschaft. Das soll auchso sein. Dass die private Wirtschaft ihre Ausgaben fürForschung und Entwicklung in den letzten Jahren so ge-steigert hat, dafür tragen wir eine große Verantwortung;dafür braucht es nämlich eine geeignete staatliche För-derpolitik. Im Rahmen der Hightech-Strategie, die seit2007 existiert, haben wir neue Formate angeboten, ha-ben wir Spitzencluster eingerichtet – wo die Wirtschaftrichtig viel Geld hingelegt hat, aber das Land auch –, diedie Wissenschaft und Wirtschaft in die Lage versetzen,auf eine ganz andere Art und Weise zusammenzuarbei-ten, haben wir die Förderinitiative „Forschungscampus“eingeführt und Anwendungszentren eingerichtet. Diesestaatliche Förderpolitik hat dazu geführt, dass mehr pri-vate Investitionen in Forschung und Entwicklung in be-achtlichen Größenordnungen geflossen sind.
Weil es erfolgreich ist, muss es weiterentwickelt werden;an dieser Aufgabe arbeiten wir im Moment mit Hoch-druck. In ein, zwei, sechs Wochen werden wir dem Kabi-nett eine Weiterentwicklung dieser Hightech-Strategievorlegen: als umfassende Innovationsstrategie, ressort-übergreifend.Meine Damen und Herren, wenn man über For-schungsgelder spricht, dann ist die Summe wichtig;wichtig ist aber auch Verlässlichkeit. Durch den Pakt fürForschung und Innovation haben die außeruniversitärenForschungseinrichtungen und die Deutsche Forschungs-gemeinschaft seit 2005 Planungssicherheit. Die wussten,was jedes Jahr draufkommt und auch wirklich im Etatbleibt. Das hatte Wirkung, da sind neue Strukturen ent-standen. Das ist sehr viel attraktiver geworden für inter-nationale Wissenschaftler.Die Mittel für diesen Pakt für Forschung und Innova-tion, für diese Steigerungen, haben Bund und Länderüber die ganzen Jahre gemeinsam aufgebracht. Jetzt be-stand die Gefahr, dass einige Länder – aus guten Grün-den – sagen: Wir sind dazu nicht mehr in der Lage. –Deswegen haben wir entschieden, dass der Bund den
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2460 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Aufwuchs komplett finanzieren wird. Das entlastet dieLänder um Hunderte Millionen Euro. Wir verhandelnbereits und wollen den neuen Pakt, der ab 2016 startet,den Ministerpräsidenten im Dezember zur Beschlussfas-sung vorlegen, damit Verlässlichkeit und Planbarkeitfrühzeitig gewährleistet sind.
Wer sich damit auskennt oder an solchen Verhandlungenschon beteiligt war, der weiß, dass sie schwierig undkompliziert sind und dass unser Zeitplan ehrgeizig ist.Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen kön-nen nur in Kombination mit den Hochschulen gut sein.Die Hochschulen – wir sagen das immer wieder – sinddas Herzstück des Wissenschaftssystems.
Der Bund – Annette Schavan weiß das – hat über vieleJahre Milliarden neu in das System Hochschule inves-tiert: zum Beispiel für den Qualitätspakt Lehre, für dieExzellenzinitiative und über den DAAD.Seit 2005 hat der Bund seine Anstrengungen für dieHochschulen in den Ländern um über 100 Prozent ge-steigert.
– Das hat er auch schon vorher immer getan, HerrRossmann. – Die Länder haben ihre Anstrengungen indieser Zeit auch um ungefähr 25 Prozent verstärkt.Trotzdem ist die Grundfinanzierung der Hochschulenoftmals problematisch.Die Grundfinanzierung ist natürlich die Basis. Des-wegen haben wir im Koalitionsvertrag die Absicht be-kräftigt – und sie werden wir umsetzen –, dass der Bundin die Grundfinanzierung der Hochschulen einsteigt. Dasist etwas ganz Neues und revolutionär. Über die Art undWeise der Bereitstellung der Bundesmittel wird es unsvielleicht möglich,
bei der Nachwuchsförderung, die uns alle immer um-treibt – SPD, CDU/CSU und auch die Grünen –, neueSchritte für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu ge-hen.
Die Finanzierung der Exzellenzinitiative ist bis 2017gesichert. Es muss aber frühzeitig klar sein, was danachpassiert. Das ist außerordentlich wichtig. Die Frage, wieman daraus eine nachhaltige Entwicklung und nicht im-mer wieder einen neuen Wettbewerb macht, ist in dieserLegislaturperiode zu beantworten. Ich habe den Ländernmeine Vorstellungen übermittelt, und wir befinden unsdort in einer engen Abstimmung. Wichtig ist, dass füralle Betroffenen frühzeitig klar ist, wie es hier weiter-geht.
Heute früh kam im Radio die Nachricht, dass für dasWirtschaftswachstum in diesem Jahr eine nochmaligeSteigerung vorausgesagt wird. Das ist ein Indiz für dieLeistungsfähigkeit des deutschen Wirtschaftssystems.Eine wichtige Basis für die Leistungsfähigkeit sind dieFachkräfte. Deren Ausbildung beruht auf zwei Säulen:der akademischen Fachkräfteausbildung und der dualenAusbildung.Im akademischen Bereich haben wir etwas geschafft,was nicht immer herausgestellt wird, was für mich aberfast die größte Leistung des Staates im Hinblick auf dieBewältigung des demografischen Wandels darstellt,nämlich den Hochschulpakt. Man muss sich das einmalvorstellen: Seit 2007 war klar, dass die Zahl derer, dieein Studium aufnehmen können, um Hunderttausendegrößer wird, und in dieser ganzen Zeit haben wir keineDemos auf der Straße von Eltern, Großeltern und Ju-gendlichen erlebt, sondern Bund und Länder haben esgemeinsam geschafft, dass über den Hochschulpakt dieentsprechenden Kapazitäten aufgebaut wurden und jetztvorhanden sind, sodass diejenigen, die studieren wollten,auch wirklich studieren können. Das ist auch im Hin-blick auf die demografische Entwicklung ganz großartig.
Im Etat stehen für den Hochschulpakt II 8 MilliardenEuro zur Verfügung. Durch den Koalitionsvertrag habenwir grünes Licht für die Verhandlungen zum Hochschul-pakt III und auch das notwendige Geld dafür.Bei all diesen Dingen muss man sagen: Sowohl beimHochschulpakt als auch bei der Exzellenzinitiative undan anderer Stelle gab es viele Kooperationen, aber dieInitiative ging an diesen Stellen immer vom Bund aus.
Danach ist es im Dialog verbessert und in die richtigeForm gebracht worden, aber der Bund hat an diesen Stel-len Initiative gezeigt. Darüber muss man sich nicht wun-dern, und das ist auch keine Kritik an den Ländern. Wa-rum soll ein Wissenschaftsminister von Bremen fürMecklenburg-Vorpommern mitdenken? Für den Bund istes aber wichtig, immer das Gesamtsystem zu sehen.
– Man kann freiwillig immer alles tun. Ich bin an derRealität orientiert, an dem, was ich in den vielen Jahrenerlebt habe.Nachdem der Bund also initiativ war, erfolgt ein lan-ger Diskussions- und Aushandlungsprozess, um wirklicheine gute Lösung zu erreichen. Der Bund ist dabei nichtderjenige, der immer von vornherein weiß, wie das ambesten geht. Das will ich überhaupt nicht behaupten.Es ist wichtig, dass wir jetzt darüber diskutieren, wiedie 6 Milliarden Euro, die für die Entlastung der Länder
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Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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in den Bereichen Kita, Schule und Hochschule vorgese-hen sind, verteilt werden. Es darf kein Blankoscheckausgestellt werden; denn uns ist gemeinsam wichtig,dass dieses Geld auch wirklich bei den Betroffenen vorOrt ankommt.
Es gibt allerdings schlimmere Probleme, als darübernachzudenken, wie Milliarden verteilt werden.
Für die berufliche Ausbildung als zweite Säule derFachkräfteausbildung haben wir die Wirtschaft, die Aus-bildungsplätze zur Verfügung stellen muss. Hier gibt esauch eine Bundeskompetenz. Wir haben eine originäreKompetenz für diesen Bereich. Und wir haben die Situa-tion, dass in den letzten Jahren vieles gelungen ist, auchaufseiten der Länder und der BA.Die Wirtschaft sieht aber, auch wenn sie zurzeit vorallem über Energiepreise diskutiert, das größte Innova-tionshindernis in den nächsten Jahren im Fachkräfte-mangel, vor allem was Facharbeiter angeht. Deswegenist es außerordentlich wichtig, dass wir in dieser Legisla-turperiode – die Zeit drängt, weil die Berechnungenschon vorliegen – die berufliche Ausbildung stärken.
Es geht nicht darum, dass uns Konzepte fehlen. Wir ha-ben zum Beispiel mit Nordrhein-Westfalen und Thürin-gen modellhaft Dinge geprobt, die sich bewährt haben.Wichtig ist, dass es uns gelingt, individuelle Ansprachepräventiv – statt nachzuarbeiten, wenn es nicht funktio-niert – in der 7. und 8. Klasse und möglichst flächende-ckend – das hängt von der Finanzierung ab – anzubieten,um an dieser Stelle zu besseren Ergebnissen zu kommen,als es bei vielfältigen Bemühungen bisher der Fall war.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.Alles, was angesprochen wurde, ob es um die Forschunggeht oder um die Fachkräfte, wird nicht funktionieren,wenn es uns nicht gelingt – das wurde auch in den vor-hergehenden Reden immer wieder gesagt –, den Zu-sammenhalt in der Gesellschaft zu stärken und in dieserreichen Bundesrepublik zu vermitteln, dass jeder opti-mistisch sein kann und Chancen hat. Es muss uns gelin-gen, zu motivieren, und da, wo es notwendig ist, zu stüt-zen und zu ermutigen.Deshalb ist Bildungsgerechtigkeit notwendig, damitdie Menschen das Gefühl haben, dass es im Bildungs-system in dieser Republik gerecht zugeht. Dieses Gefühlhaben sie aber an vielen Stellen nicht. Deswegen ist dasein ganz entscheidender Schwerpunkt für diese Legisla-turperiode.In diesem Zusammenhang nenne ich das StichwortBAföG: Das novellieren wir in dieser Legislaturperiode.
Nicht nur für junge Frauen, sondern für Frauen insge-samt müssen wir noch mehr machen.
Wichtig ist auch die Einbeziehung der Migranten in dieGesellschaft.Ein weiteres Stichwort sind die neuen Länder. Siebrauchen aber keine Almosen; es geht darum, die beson-dere Situation der neuen Länder zu berücksichtigen,wenn man neue Förderinstrumente auflegt.Für all das haben wir uns viel vorgenommen.
Wenn es nach mir geht, dann kann das Geld, das wirhaben, nicht besser als in unserem Einzelplan investiertwerden.Danke schön.
Vielen Dank, Professor Wanka. – Das Wort hat
Roland Claus für die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! FrauBundesministerin, ich finde es zunächst einen schönenZufall, dass am Pult des Deutschen Bundestages unmit-telbar nacheinander zwei Absolventen ein und derselbenHochschule sprechen, nämlich der Technischen Hoch-schule in Merseburg. Wir hatten als Studierende gewissalle kühne Träume – wenn auch sicherlich sehr unter-schiedliche –, aber das gehörte wohl nicht dazu.6 Milliarden Euro mehr für Kindertagesstätten, Schu-len und Hochschulen: Dieser Aufwuchs für die Länderim Bereich Forschung und Entwicklung findet selbstver-ständlich auch die Zustimmung der Opposition im Deut-schen Bundestag,
so wie wir auch mitgemacht haben, als wir im Haus-haltsausschuss für das Zentrale InnovationsprogrammMittelstand den Weg freigemacht haben.Sie wissen, dass es für die Koalition viel schwierigerwürde, wenn in den Zeiten der vorläufigen Haushalts-führung die Opposition nicht dazu bereit wäre, ihre Vor-haben durchzusetzen. Das sollte auch im Blick behaltenwerden.
Ich gerate aber in einen riesigen Konflikt. Hier nehmeich wahr: Das ist ein wahrer Segen für Bildung und For-schung. Wenn ich aber in mein Heimatbundesland Sach-sen-Anhalt fahre, nehme ich an nahezu jedem Ortsein-gangsschild die heftigen Proteste der Bevölkerung gegengeplante Schulschließungen wahr. Es ist so, dass die
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Große Koalition in Sachsen-Anhalt ein Viertel allerGrundschulen schließen wird. Ein Viertel! Das stößt inder Gesellschaft natürlich auf Unverständnis und Pro-test. Jetzt lebe ich mit dieser Kontroverse und muss fest-stellen: Kontroverser geht es ja wohl nicht. Warum istdas so? Das ist so, weil wir den unseligen Bildungsföde-ralismus haben, weil wir das Kooperationsverbot imGrundgesetz verankert haben und weil wir im Bereichder Bildung nicht einheitlich denken, sondern ein fürmich final gescheitertes zerklüftetes System des Flicken-teppichs haben.
Das Konzept der sogenannten Föderalismusreform istso angelegt, dass reiche Länder in der Lage sind, die bes-ten Lehrkräfte einzukaufen. Reich kauft Geist, und Armbleibt auch im Geiste arm. Das ist ein Zustand, der mitder soeben beschworenen Solidarität in der Gesellschaft,für die ich mich ausspreche – das hat auch die Ministeringesagt –, und mit gesellschaftlichem Zusammenhaltnichts zu tun hat. Es handelt sich hierbei vielmehr umeine Konzeption des Endsiegs des Ellbogens. Wir wollenaber wirkliche Solidarität.
Herr Kollege Claus, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Rossmann?
Aber gerne doch.
Herr Kollege, kann der Umstand, dass nicht nur in
Sachsen-Anhalt, sondern in ganz vielen Bundesländern
die Diskussion um Schulorganisation, Schulzusammen-
führung und Schulschließungen geführt wird, nicht da-
mit zusammenhängen, dass es nicht nur in Sachsen-An-
halt, sondern auch in vielen anderen Bundesländern
weniger Kinder gibt?
Das hat nichts mit dem Föderalismus oder dem Grund-
gesetz zu tun. Es handelt sich dabei vielmehr um eine
umfassende gesellschaftliche Veränderung.
Selbstverständlich hat das auch damit zu tun. Wirkönnen natürlich zählen und das auch absehen. Aber einViertel der Schulen zu schließen, ist eine kulturelle Un-tat, wie ich finde.
In ostdeutschen Kleinstädten ist es doch so, dass nachder Schließung von Betrieben, dem Kulturhaus und derGaststätte die Schule der letzte kulturelle Begegnungs-punkt ist. Nach der Schulschließung müsste man dannwohl auf den Friedhof ausweichen. Deshalb sagen wir:Es muss eine vernünftige und zukunftsorientierte Politikher. Dies müssen wir im Blick haben. Auf absehbare Zeitwird sich wieder etwas ändern. Zählen können wir abernatürlich, Herr Kollege; das können Sie annehmen.
Ich werde nächste Woche mit einigen meiner Bundes-tagskollegen eine ganze Reihe von Unternehmen besu-chen. Natürlich geht es dabei um Energiepreise und Ab-gabenlasten. Ich erlebe aber mehr und mehr, dass dieGeschäftsführer dies immer erst als Zweites ansprechen.Als Erstes fragen Sie mich immer: Wann sorgen Sie end-lich dafür, dass wir wieder ein vernünftiges Bildungssys-tem und infolgedessen vernünftig ausgebildete jungeLeute bekommen?
Mit Blick auf meine Ostherkunft kommt dann die etwasdrohende Ansprache – egal, ob die Geschäftsführer ausOst oder West kommen –: Sie, Herr Claus, müssen dochnoch wissen, wie es geht.
Das wäre doch eine Chance für uns, etwas gut zu ma-chen.Ich möchte nun einige Etatposten im Einzelnendurchgehen. Der Posten des BAföG, also des Bundesaus-bildungsförderungsgesetzes, der Zugang zu günstigenKrediten für junge Leute, die damit ihr Studium finan-zieren, nimmt einen großen Anteil in Ihrem Etat ein. Ichwill darauf verweisen, dass 80 Prozent der mit diesenKrediten Geförderten sagen: Wenn wir diese Möglich-keit nicht hätten, wäre uns der Weg zum Studium ver-wehrt gewesen. – Deshalb hat unsere Fraktion mit Blickauf die Novellierung des BAföG einen Antrag vorgelegt,in dem wir Ihnen Vorschläge machen. Wir hoffen, dassdiese Vorschläge auch Berücksichtigung finden.Das BAföG wird in Zukunft eine noch größere Be-deutung haben. Ich möchte dazu ein aktuelles Beispielnennen: In meiner Kreisstadt in Naumburg, in der eskeine Universität und keine Hochschule gibt, ist seitetwa zwei Jahren ein enormer Zuzug von Studentinnenund Studenten festzustellen. Das hat damit zu tun, dassin den benachbarten Universitäts- und HochschulstädtenJena und Weimar die Mieten für die Studentinnen undStudenten nicht mehr zu bezahlen sind.
Deshalb weichen sie auf Städte wie Naumburg aus. Ichsage Ihnen deshalb: Die vernünftige und zukunftsfähigeBAföG-Reform ist ein wichtiger Schritt. Wir sollten da-bei auch beachten, dass wir in Anbetracht hinreichenderinternationaler Studien aufgefordert sind, die in Deutsch-
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Roland Claus
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land nach wie vor hohen sozialen Schranken beim Zu-gang zu Bildung abzubauen.
Ich will mich nun dem Thema Projektträger zuwen-den. Hierunter sind, wie ich denke, eine Reihe kreativerÜberschriften zusammengefasst. Inzwischen wird manhier den Erwartungen des Bundesrechnungshofes ge-recht. Ich habe vorhin beim Thema Wirtschaftsetat kriti-siert, dass ich es nicht in Ordnung finde, dass mehr als50 Prozent der Projektträgerschaften an das DeutscheZentrum für Luft- und Raumfahrt gegeben werden; dennwenn es zum Beispiel darum geht, sexuelle Gewalt ge-gen Kinder und Jugendliche zurückzudrängen, sehe ichnicht in erster Linie die Kompetenz eines Luft- undRaumfahrtzentrums gegeben.
Mein letzter Punkt. Ich will, was die Hightech-Strate-gie des Bundes angeht, auf die Koordinierungsfunktiondes Bundesministeriums für Bildung und Forschung ver-weisen. Wir finden, dass Sie, Frau Ministerin, die Mil-liarden, die es mehr gibt, in Ihrem eigenen Etat ganz gutbewirtschaften; bei vielen konkreten Dingen sind wir da-bei. Ihre Behörde muss sich aber auch darum kümmern,dass die in den anderen Etats eingestellten FuE-Vor-haben – das sind in der Regel Zusatzvorhaben – solidefinanziert werden. Wir stellen fest, dass da noch vieleMängel zu beheben sind. Wir fordern deshalb die Bun-desregierung insgesamt auf, dem BMBF die Chance ein-zuräumen, dieser Koordinierungsfunktion gerecht wer-den zu können.
Herr Claus.
Wir wollen natürlich, dass das eingestellte Geld so-
lide verwendet wird, ausgeschöpft wird und für vernünf-
tige Projekte verwendet wird.
Herr Claus, bitte denken Sie an Ihre Redezeit. Diese
ist nämlich zu Ende.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich würde noch gerne
über viele gute Erfahrungen aus dem Osten reden, –
Das glaube ich Ihnen gerne.
– aber dafür werde ich einen anderen Sendeplatz su-
chen müssen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke, Herr Claus. – Hubertus Heil für die SPD ist
der nächste Redner.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Frau Bundes-ministerin Wanka, ich kann es bestätigen: Diese Regie-rung, die seit letztem Jahr im Amt ist, steht im BereichBildung und Forschung seit 1998 in einer guten Tradi-tion.
Daran sind, bis auf die Linkspartei, alle Parteien in die-sem Haus beteiligt gewesen. Wir können das an Zahlenbelegen: Seit 1998, also seit der rot-grünen Zeit mitEdelgard Bulmahn, der Zeit der ersten großen Koalitionmit Frau Schavan, der schwarz-gelben Zeit und in dieserRegierung, haben wir es geschafft, den Etat von 7,2 Mil-liarden Euro auf 13 Milliarden Euro zu erhöhen. Das istfast eine Verdopplung. Das ist gut für Deutschland. Dasist eine gute Tradition.
Wir wollen uns darauf aber nicht selbstzufrieden aus-ruhen, sondern wollen weitergehen. Deshalb ist im Ko-alitionsvertrag festgelegt, dass wir in dieser Legislatur-periode zusätzlich 6 Milliarden Euro für Kitas, Schulenund Hochschulen und 3 Milliarden Euro für den Hoch-schulpakt, für den Pakt für Forschung und Innovationsowie die Exzellenzinitiative zur Verfügung stellen wer-den.Wir werden uns darüber zu unterhalten haben – FrauMinisterin Wanka hat es bereits angesprochen –, wie dasGeld im Bundeshaushalt 2014 tatsächlich von A nach Bkommen soll. Ich sage an dieser Stelle – da bin ich ganzbei Frau Wanka –: Es gibt Schlimmeres, als darüber zureden, wie man zusätzliches Geld investiert. Dabei mussman sich von folgender Vorstellung tragen lassen: DasGeld gehört nicht einem Ministerium, es gehört auchnicht den Ländern, sondern es gehört in Bildung undForschung. Da werden wir pragmatische Wege finden.
Ich halte es an diesem Punkt mit Karl Popper, denHelmut Schmidt immer zitiert: Es geht um pragmati-sches Handeln für sittliche Zwecke. Der sittliche Zweckist, dass wir etwas für Bildung in diesem Land tun müs-sen. Den Pragmatismus kann ich nur beschreiben, indemich mir vorstelle, wie wir mit dieser Frage umgehen: Wirkönnen und müssen feststellen, wie die Verfassungslagein diesem Land ist und wer zuständig ist. Zwei Drittelder Aufwendungen für Bildung in diesem Land sindnach der derzeitigen Verfassungslage von den Ländernund Kommunen zu schultern. Es gibt kein Bundesland,unabhängig von seiner haushalterischen Situation, dassich nicht bemüht, in diesem Bereich mehr zu tun. Es hatsich in den letzten Jahren viel verändert in den Bundes-ländern. Aber wir können auch sagen – das steht demBund auch nicht schlecht an –, dass sich die Länder alle
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miteinander bemühen müssen – gerade nach dem PISA-Schock –, ihre Anstrengungen zu verstärken.
Wenn wir über die gesamte Bildungskette reden, müs-sen wir uns überlegen, wie wir mit der Verfassungswirk-lichkeit, die wir haben und die sich ja nicht kurzfristigändern wird, umgehen, damit das Geld wirklich bei derBildung ankommt. Da sage ich: Für den Bereich der Ki-tas gibt es einen geübten Weg, nämlich den der Betriebs-kosten. Das betrifft den Bereich der Kollegin Schwesig.Dieser Haushalt ist nachher zu beraten. Die Summe von1 Milliarde Euro, die zur Verfügung steht, kann über die-sen Weg übermittelt werden. Für den Bereich der schuli-schen Bildung gibt es aufgrund der Tatsache, dass wir esnicht miteinander hinbekommen haben, eine umfassendeVeränderung des Kooperationsverbotes im Grundgesetzherbeizuführen, in dieser Situation nur einen pragmati-schen Weg: Wenn man im Bereich der Schulen mit die-sem Geld wirklich etwas bewegen möchte, muss mandie Länder gezielt so entlasten, dass sie in Schulen in-vestieren können.
Für den Bereich der Hochschulen
– ja, ich sage gleich etwas dazu; ganz ruhig – gibt es un-terschiedliche Möglichkeiten, beispielsweise befristeteProgramme. Wenn ich mir etwas wünsche – ich weiß,Frau Ministerin, dass das auch Ihr Anliegen ist –, dann,dass wir miteinander nach den großen Erfolgen, die wirüber die Hochschulpakte erzielt haben und auch fortset-zen werden, was die Zahl der Studierenden und der Stu-dienplätze in diesem Land betrifft, auch etwas dafür tun,dass diejenigen, die im Wissenschaftssystem eine Kar-riere einschlagen wollen, dauerhaft eine Chance haben,im Wissenschaftssystem arbeiten zu können. Da geht esdarum, dass wir das Wissenschaftszeitvertragsgesetz än-dern, sodass der Missbrauch von Befristung aufhört.
Das geht aber nicht – da haben Sie vollkommenrecht –, ohne dass wir Geld zur Verfügung stellen, damittatsächlich solche Karrieremöglichkeiten vorhanden sind.Wir dürfen nicht am eigenen Erfolg im Wissenschafts-system ersticken, indem wir ganz viel produzieren, aberden jungen Leuten keine Chance geben, als gute Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftler im Mittelbau, aberirgendwann auch in Professuren, Forschung und Lehrebetreiben zu können. Deshalb sage ich: Wenn wir dasjetzt auflösen, könnte ich mir vorstellen, dass wir bei den6 Milliarden Euro für den Hochschulbereich durchaus inForm eines Bundesprogramms einen Weg finden, um imBereich des Mittelbaus gezielt Geld von A nach B zubringen.Das sind, wie gesagt, meine Überlegungen. Das istkeine Einigung. Aber ich finde, uns allen muss klar sein:Wir haben nicht mehr viel Zeit – das wissen wir alle –,weil wir spätestens im Mai für den Fortgang der Haus-haltsverhandlungen die Frage, wie wir mit den 6 Milliar-den Euro und den 3 Milliarden Euro aus dem Koalitions-vertrag umgehen, beantworten müssen.
Ich habe das Gefühl und bin mir da sicher, dass dieKolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion – ich seheden Kollegen Kretschmer – der Meinung sind, dass wirwechselseitig so regierungsfähig sind, dass wir uns anVerträge halten. Das werden wir auch tun.
Noch einmal: Es geht nicht um die Eitelkeiten vonBundes- oder Landespolitikern, sondern es geht um dieBildung in diesem Land. Ich will Ihnen auch sagen, wa-rum. Wir haben als Sozialdemokraten – ich bin froh,dass die Ministerin auch diesen Punkt deutlich gemachthat – für den Bereich der Bildungspolitik einen ganzeinfachen Ansatz. Uns geht es in erster Linie um einMenschenbild, das von der Freiheitlichkeit des Lebensgeprägt ist. Wir wollen, dass in diesem Land nicht Haut-farbe, Herkunft oder Geschlecht die Menschen durchGeburt auf ihre Verhältnisse festnageln, sondern wirwollen, dass Menschen ihren eigenen Lebensweg gehenkönnen, dass sie frei leben können, dass das Leben offenist, dass es Lebenschancen gibt. Wenn man das will,dann spielt die frühe Förderung von Kindern im Eltern-haus, aber auch die öffentliche frühe Förderung von Kin-dern in Kitas und Schulen eine ganz entscheidendeRolle.
Nach dem PISA-Schock, der ja ein doppelter war,weil uns in Deutschland im Bereich der Leistungsfähig-keit und der Chancengleichheit Probleme nachgewiesenwurden, sind wir in diesem Land ein wenig vorange-kommen; aber wir sind noch nicht dort, wo wir seinmüssen, wenn wir über mögliche Chancengleichheit imBildungssystem reden. Es ist eine gesellschaftspolitischeFrage, ob in diesem Land wirklich wieder Leistung undLeistungsfähigkeit zählen und nicht Herkunft.
Das ist der Unterschied zu früheren Diskussionen. Ichfinde – ich habe es an dieser Stelle auch gesagt –, dassdiese Große Koalition durchaus eine Chance bietet, imBereich der Bildungspolitik endlich ideologische Gra-benkämpfe der 70er-Jahre zu überwinden.
Ich will es einmal karikieren: In den 70er-Jahren wa-ren wir in der Situation, dass Konservative sehr starr ge-sagt haben: „Leistung ist wichtig“ und Sozialdemokratengesagt haben: „Chancengleichheit ist wichtig“. Ich sage:Beides ist wichtig. Chancengleichheit und die Breite derBildung sind wichtig, damit Spitzenleistungen in diesemLand auch möglich sind.
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Das betrifft die gesamte Bildungskette. Das betrifftdie Frage, wie wir mit der frühen Förderung umgehen,übrigens nicht nur bei der Anzahl von Kitaplätzen, son-dern auch bei der Qualifizierung der Menschen, die inKitas arbeiten und denen wir den Rücken stärken müs-sen, und deren Karriereperspektiven und Einkunftsmög-lichkeiten.
Das betrifft vor allen Dingen Frauen. Es arbeiten nursehr wenige Männer in den Kitas.
– Stimmt, zu wenige. Ich könnte zynisch sagen: Wenndie Bezahlung besser wäre, gäbe es dort ein paar mehrKerle; das muss man leider einräumen.
Wir reden hier über Menschen, die sich um unserekleinsten Kinder kümmern. Kollege Kretschmer und ich,die wir von diesem Thema ganz persönlich betroffensind, wissen, dass es schön ist, wenn es sich hier umMenschen handelt, die gut ausgebildet sind und sich lie-bevoll kümmern. Diesen muss man den Rücken stärken.
Zum schulischen Bereich. Herr Kollege Claus, Siemögen sich sicherlich wünschen, dass das Kooperations-verbot ganz verschwindet. Aber selbst dann wird auf-grund unserer föderalen Ordnung die originäre Zustän-digkeit für die Schulpolitik bei den Ländern liegen.
Man muss sicherlich nicht jede Form von Kleinstaatereigut finden. Aber es wird so bleiben; das ist meine Pro-phezeiung. Trotzdem kann man sich mit Hinweis auf dieVerfassung nicht herausreden und nichts tun. Wir habenim schulischen Bereich durchaus pragmatische Möglich-keiten, dafür zu sorgen, dass mit Unterstützung des Bun-des in den Ländern mehr getan werden kann. Das betrifftden Ausbau von Ganztagsschulen, den die Länder nunschultern müssen. Das steht übrigens in der Traditioneines früheren Ganztagsschulprogramms des Bundes– 4 Milliarden Euro –, das damals eine riesige Welle aus-gelöst hat und auf einen Anstoß der damaligen Bundes-ministerin Edelgard Bulmahn zurückgeht. Ich bin froh,dass der Ausbau der Ganztagsschulen in diesem Landvorankommt.Das betrifft aber auch den Übergang von der schuli-schen zur beruflichen Bildung. Ich bin sehr froh, dass esinsgesamt – möglicherweise erst durch die Krisenerfah-rungen in Europa – ein neues Bewusstsein für die beruf-liche Erstausbildung im dualen System gibt; das ist einesehr gute Sache.
Aber das heißt, dass wir auch etwas tun müssen, damitjunge Menschen nicht durch den Rost fallen. Es gibtnoch immer viel zu viele, die in Warteschleifen – auch inschlecht qualifizierenden – hängen.
Das können wir uns in Zukunft nicht mehr leisten. Es istAufgabe des schulischen Systems, Ausbildungsfähigkeitzu organisieren. Es ist Aufgabe der Unternehmen, Aus-bildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Es ist Aufgabedes Staates – in diesem Fall der Länder –, dafür zu sor-gen, dass Berufsorientierung in den Schulen stattfindenkann und dass die Berufsschulen nicht die Stiefkinderunseres Bildungswesens sind.
Zum Schluss möchte ich einen Punkt ansprechen, dereigentlich einer umfassenderen Erörterung bedürfte; aberdas werden meine Kollegen mit Sicherheit noch tun. Fürden Forschungsbereich des Ministeriums stellen wirebenfalls mehr Geld zur Verfügung. Deutschland ist ex-zellent in der Grundlagenforschung und auch in der an-wendungsorientierten Forschung. Das müssen wir auchbleiben. Deshalb werden wir unsere Anstrengungen so-wohl im Hochschulsystem als auch in der außeruniversi-tären Forschung verstärken und dafür sorgen, dass diesesLand Schritt halten kann. Wir stehen schließlich auf in-ternationaler Ebene in harter Konkurrenz. Wenn wirwollen, dass Produkte, Verfahren und Dienstleistungenvon morgen bei uns entwickelt werden, müssen sowohldie Unternehmen als auch die öffentliche Hand mehr inForschung und Entwicklung investieren. Wenn wir dashinbekommen, werden wir beispielsweise die Chancender Digitalisierung – Stichwort „Industrie 4.0“ – inDeutschland nutzen können. Aber wir müssen uns spu-ten. Das wird diese Koalition tun.
Das müssen Sie jetzt auch.
Ich habe das auch getan, Frau Präsidentin.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Danke, Herr Kollege. – Das Wort hat Katja Dörner für
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Der Haushalt ist bekanntlich in Zahlengegossene Politik. Zahlen lügen nicht. Deshalb sind dieReden der Ministerin und des Kollegen Hubertus Heilschnell enttarnt als viel Eigenlob, viel heiße Luft, vielSchein und sehr wenig Sein.
Diese Reden beinhalten einen viel zu großen Blick in dieVergangenheit und zu wenig Blick in die Zukunft. Ichhalte es auch mit Karl Popper, der einmal gesagt hat:
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Katja Dörner
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Unsere Einstellung der Zukunft gegenüber musssein: Wir sind jetzt verantwortlich für das, was inder Zukunft geschieht.Genau das tun Sie nicht. Die Große Koalition nimmt diegroßen Herausforderungen der Zukunft nicht an. DiesesProblem dokumentiert sich sehr gut im Einzelplan fürdas Ministerium von Frau Wanka.
Eine kleine Erinnerung – ich zitiere –:Wir wollen die staatlichen Bildungsausgaben mas-siv erhöhen. Ab 2014– das ist dieses Jahr –wollen wir schrittweise aufbauend jährlich 20 Mil-liarden Euro mehr für Bildung investieren.So heißt es im Wahlprogramm der SPD. Die CDUschrieb: „Bildung steht im Mittelpunkt unseres Han-delns.“
– Ja, da kann man klatschen. – Das hat sehr hohe Erwar-tungen geweckt. Gerade deshalb ist der Blick in denHaushaltsplan so ernüchternd. Die nackten Zahlen spre-chen eine ganz andere Sprache.
Was lesen wir denn im Haushalt von Frau Wanka?Wir lesen zunächst einmal gar nichts. Das ist hier schonmehrfach angesprochen worden. Der sowieso schon alssehr mickrig geplante Aufwuchs in der Bildung hat esnoch nicht einmal in den Etat der Bildungsministerin ge-schafft. Fakt ist: Der Finanzminister hortet die zusätzli-chen Mittel, weil die involvierte Ministerin und die Bun-desregierung sich noch nicht einmal darauf verständigenkönnen, wie diese Gelder ausgegeben werden. Ich finde,diese Posse ist mehr als nur ein Symbol dafür, dass sichdie Große Koalition nicht nur mit fliegenden Fahnen vonihren großen Wahlversprechen verabschiedet hat, son-dern auch aus der so lange angekündigten Bildungsrepu-blik Deutschland.
Aber diesen Abschied akzeptieren wir Grüne nicht,weil ein Land wie Deutschland von Investitionen in dieKöpfe lebt und weil wir die Verantwortung dafür haben,dass die Kinder und Jugendlichen in unserem Land ihrePotenziale voll und ganz ausschöpfen können. Davonsind wir trotz der vielen Bemühungen insbesondere vie-ler Bundesländer immer noch weit entfernt. Deshalb ste-hen wir Grüne felsenfest zur Erreichung des 7-Prozent-Ziels im Haushalt. Wir haben immer eine klare Prioritätfür die Bildung im Haushalt dokumentiert und werdendas auch in diesem Jahr so tun.
6 Milliarden Euro soll es laut Koalitionsvertrag in derlaufenden Legislaturperiode für Kitas, Schulen undHochschulen geben. Frau Wanka will davon 5, FrauSchwesig 2, und auch Frau Nahles will gerne 1 MilliardeEuro abhaben. Das macht nicht 6, sondern 8 Milliarden.Das zeigt im Übrigen auch, dass in der Bundesregierungnoch ein bisschen Bildung notwendig ist; denn die Diffe-renz zwischen 8 und 6 ist immer noch 2. Da passt docheiniges noch nicht zusammen.Allerdings habe ich gelesen: Frau Wanka ist der Mei-nung, dass für Frau Schwesig 1 Milliarde reicht. FrauSchwesig und Frau Wanka sind gemeinsam der Mei-nung, dass Frau Nahles eigentlich gar nichts abhabenmuss. Dann würde es wiederum mit den 6 Milliardenklappen.
Diese ganze Feilscherei ist doch absurd, und sie zeigtvor allem, dass die Große Koalition keinen Blick daraufhat, was Kitas, Hochschulen und Schulen tatsächlichbrauchen. Sie knausert an den wichtigsten Stellen, beiden Zukunftsinvestitionen in ebendiese Bereiche.
Aus meiner Sicht wurden die drei Ministerinnen nichtnur gemeinsam unter die sprichwörtlich zu kurze Deckegesteckt, nein, ihnen wurde ein Topflappen in die Handgedrückt, und an dem ziehen und zerren sie jetzt,
und am Ende werden alle drei ein paar Flusen in derHand haben. Das ist eben das Gegenteil der Bildungsre-publik Deutschland.
Wir beraten gerade ein Rentenpaket, das jährlich rund9 Milliarden Euro kosten wird. Ich gönne ganz klar jederRentnerin und jedem Rentner eine höhere Rente undfinde Wertschätzung für die Lebensleistung von Men-schen sehr wichtig. Ich finde aber auch Investitionen indie Köpfe unserer Kinder und Jugendlichen sehr wich-tig. Ich finde, das Verhältnis von 9 Milliarden jährlich zu1,5 Milliarden jährlich, wenn es tatsächlich dazu kommt,ist einfach ungesund. Deshalb muss die Bundesregie-rung ihre Zusage zum 7-Prozent-Ziel endlich wahrma-chen. Blumige Bekenntnisse im Koalitionsvertrag rei-chen eben nicht. Wir wollen konkrete Zahlen imHaushaltsplan sehen.
Wenn wir über die 6 Milliarden Euro reden, die überdie Länder an die Kitas, Schulen und Hochschulen ge-hen sollen, dann muss aus unserer Sicht eines ganz klarsein: Diese Mittel müssen zielgerichtet und zweckge-bunden dort ankommen, wo sie tatsächlich gebrauchtwerden, nämlich in den Kitas, in den Schulen und in denHochschulen. Wir sehen die große Gefahr, dass die Län-derfinanzminister ihre Finger ausstrecken und das Geldeher in andere Projekte oder in die Sanierung von Lan-deshaushalten fließt. Das wäre aus unserer Sicht völliginakzeptabel. Deshalb fordern wir die Bundesregierung
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auf, hier eine glasklare Regelung mit den Ländern zufinden.
Wir brauchen den Bund für massive Investitionen indie Kitas. Auf den Ausbau der Plätze in den vergange-nen Jahren muss jetzt die Qualitätsoffensive folgen. Da-für brauchen wir mindestens 1 Milliarde Euro im Jahrund nicht 1 Milliarde Euro auf die ganze Legislaturpe-riode verstreut. Wir brauchen den Bund auch für denAusbau der Ganztagsschulen; denn der Ganztagsausbauist aus meiner Sicht ein wichtiger Schlüssel für mehrBildungsgerechtigkeit, für mehr Chancen für alle Kinderund insbesondere für die, die in ihren eigenen Familiennicht so viel Förderung mitbekommen.Die Bundesländer werden dieser Herausforderung al-lein nicht gerecht. Es rächt sich an dieser Stelle, dass dasvermaledeite Kooperationsverbot bleibt. Auch da kannich weiterhin nicht verstehen, dass eine 80-prozentigeMehrheit hier im Deutschen Bundestag es nicht schafft,diesen mittlerweile als Irrweg identifizierten Fehler end-lich zu beheben.
Auch das ist das Gegenteil der BildungsrepublikDeutschland.Ich will zum Schluss noch auf das BAföG zu spre-chen kommen. Die Situation beim BAföG ist ja einiger-maßen absurd. Trotz steigender Studierendenzahlen unddes hohen Mittelabflusses im Jahr 2013 bleibt die ange-kündigte große BAföG-Reform wohl aus – oder auchnicht, wir wissen es nicht. Die Ministerin hat es ebennoch einmal angekündigt. Sie ist aber im Koalitionsver-trag nicht erwähnt. Sie war in den Vorformen des Koali-tionsvertrages erwähnt und ist dann leider herausgeflo-gen. Man fragt sich dann doch, was man – bei allemRespekt – von einer Ministerin halten soll, die zurBAföG-Reform ernsthaft öffentlich äußert: „Dass esnicht im Vertrag steht, heißt nicht, dass es nicht kommt.“Ich finde, Ministerinnen sollen Träume haben; aber siesollen vor allem mehr Geld für das BAföG im Bundes-haushalt haben. Keine BAföG-Erhöhung – auch das istdas Gegenteil der Bildungsrepublik Deutschland.
Frau Kollegin.
Ich soll zum Schluss kommen.
Ja.
Das tue ich.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Zahlen lügen
nicht. Die Zahlen im Einzelplan 30 besagen eines ganz
deutlich: Die Bildungsrepublik Deutschland, das war
noch nicht und wird mit dieser Großen Koalition offen-
sichtlich auch nicht kommen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner:
Albert Rupprecht für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Liebe Kollegin Dörner, ich befürchtefast, Sie werden mir nicht glauben, was ich jetzt sage;aber es ist die Wahrheit:Erstens. Wir leben nicht in einem maroden Wissen-schafts- und Innovationssystem Deutschland, sondernwir sind absolute Weltspitze.Zweitens. Diese Position gäbe es nicht, wenn wir aufBundesebene in den letzten Jahren nicht substanzielleEntscheidungen getroffen hätten.
Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie viel-leicht Professor Neugebauer, der letzte Woche Gast inunserem Ausschuss war. Ich zitiere ihn sinngemäß. Ersagte: Gäste aus der ganzen Welt besuchen dieFraunhofer-Gesellschaft, um zu sehen, wie das deutscheWissenschafts- und Innovationssystem funktioniert.Deutschland ist mit 12 Prozent Anteil am Weltmarkt beiden forschungsintensiven Waren auf derselben Stufe wiedie USA und China. Pro Kopf der Bevölkerung istDeutschland weltweit mit großem Abstand an ersterStelle. – Er bedankt sich bei uns, bei den zuständigenForschungs- und Bildungspolitikern, für die Beschlüsseder letzten Jahre, weil diese Position ohne unsere Ent-scheidungen nie und nimmer möglich gewesen wäre.
Wir haben diese Spitzenstellung, weil es über Jahrehinweg Leitbilder gab, die für uns alle gegolten haben,und das – Kollege Heil, ich stimme Ihnen da zu – sogarein Stück weit unabhängig von der politischen Konstel-lation. Das war schon bei Heinz Riesenhuber so, das warbei Kollegin Bulmahn so, das war insbesondere beiAnnette Schavan so, und es ist jetzt auch bei MinisterinWanka so.
– Es gab darüber hinaus andere Forschungspolitiker,auch Kollegen Rüttgers. – Diese Orientierung geschahdurchaus mit unterschiedlicher Dynamik. Ein HeinzRiesenhuber hatte außerordentlich viel Dynamik; die
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Albert Rupprecht
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Kollegin Bulmahn war vom Stil vielleicht ein bisschenzurückhaltender.
Die Minister hatten auch unterschiedliche Finanzausstat-tungen. Aber die Leitbilder waren ein ganzes Stück im-mer dieselben. Diese Leitbilder waren und sind:Erstens. Orientierung an der internationalen Wettbe-werbsfähigkeit. Das große Industrieland Deutschlandmuss sich schlichtweg dem Weltmarkt stellen. Wir ermög-lichen den Wissenschaftsgesellschaften Max Planck,Fraunhofer, Leibniz und Helmholtz – sie beschäftigen75 000 Mitarbeiter und genießen einen exzellenten inter-nationalen Ruf – jedes Jahr 5 Prozent Aufwuchs, gebenihnen eine Perspektive, sodass sie Gas geben können.Das führt genau zu den Ergebnissen, die der Präsidentder Fraunhofer-Gesellschaft bei uns im Ausschuss ge-lobt hat.Wir haben das Wissenschaftsfreiheitsgesetz beschlos-sen. Mancher Haushälter hat seither graue Haare. SteffenKampeter hat deswegen inzwischen sogar eine Glatze.Die Haushälter haben das überlebt. Aber es war einhistorischer Meilenstein für die Wissenschaftsland-schaft in Deutschland, weil wir nicht mehr Details re-geln, sondern Ziele vorgeben. Wir beauftragen die Wis-senschaft und sagen: Wie ihr das schafft, wie ihr dashinbekommt, das wisst ihr als Wissenschaftler selber ambesten.
Wir werden den Pakt für Forschung und Innovationfortführen. Er wird 2015 nicht abrupt enden, sondern wirwerden ihn weiterführen. Auch darauf können sich dieWissenschaftsorganisationen verlassen.Wir werden die Hightech-Strategie und die Spitzen-cluster fortführen und sie noch stärker fokussieren, nochstärker international ausrichten. Auch da werden wir be-ständig und nachhaltig sein.Das zweite Leitbild war all die Jahre schon und insbe-sondere bei der Kollegin Bulmahn die Exzellenz. DieExzellenzinitiative hat in Deutschland in der Tat eineDynamik sondergleichen angestoßen und die Wissen-schaftslandschaft massiv verändert. Wir werden dieseDynamik der Exzellenzinitiative auch nach 2017, wenndie jetzige Förderperiode ausläuft, fortführen.„Exzellenz“ heißt: nach dem Besten streben. „Exzel-lenz“ heißt aber nicht, sich zu Tode hetzen. Es macht nurSinn, wenn es nachhaltig ist. Exzellente Leistung kanneine Topuniversität erbringen. Aber exzellente Leistun-gen können auch Fachbereiche an kleineren Hochschu-len oder Fachhochschulen erbringen, die, bundesweitvorbildlich, in ihrer Mikroregion Technologietransfer or-ganisieren; auch das kann exzellent sein. Wir stehennach wie vor zu diesem Begriff der Exzellenz, weil erein wegweisender ist. Nur: Wir müssen bei der Fort-schreibung der Programmatik natürlich aus den vergan-genen Jahren lernen und das weiterentwickeln. „Exzel-lenz“ heißt aber „Exzellenz“ und nicht „Gießkanne“, wiemancher Landesfinanzminister zuzeiten glaubt, meintund hofft.
Eines ist auch klar: Wir werden eine verlässliche dau-erhafte Struktur als Nachfolge für die Exzellenzinitiativenur hinbekommen, wenn wir die Verfassung dement-sprechend anpassen. Das heißt, es braucht eine Grundge-setzänderung, um eine verlässliche Perspektive zu ge-ben, und dafür möchte ich bei Ihnen allen ganz herzlichwerben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Drittes Leitbild – ich habe es mehrfach gesagt –: Ver-lässlichkeit und Langfristigkeit. Das leben wir mit denPakten, dem Hochschulpakt, dem Pakt für Forschungund Innovation; das leben wir mit der Exzellenzinitiativeund anderen Vereinbarungen. Das ist schon ein StückBesonderheit. Der Bundeshaushalt ist immer auf ein Jahrausgerichtet. Dass wir in der Wissenschafts- und in derBildungspolitik Pakte über Jahre hinweg vereinbarenund die auch halten, dass wir eine langfristige Perspek-tive geben, ist durchaus etwas Besonderes. Im deutschenWissenschafts- und Innovationssystem arbeiten inzwi-schen 570 000 Menschen. Das sind gegenüber 200520 Prozent mehr. Diese Menschen verdienen eine Per-spektive statt eines Denkens von einem Jahr zum nächs-ten Jahr. Es ist etwas Besonderes, dass wir über dasHaushaltsrecht hinausgehen, Pakte über mehrere Jahrevereinbaren, Verlässlichkeit und Langfristigkeit bieten.
Wenn wir vonseiten des Bundes Verlässlichkeit ge-währleisten, dann erwarten wir, dass die Akteure vor Ortdas auch weitergeben. Wir erleben aber, dass die Wis-senschaftsorganisationen, über viele Jahre hinweg miterheblichen Mitteln ausgestattet, die Beschäftigten, da-runter nicht wenige Nachwuchswissenschaftler, mit Ein-jahresverträgen abspeisen.
An der Stelle sage ich ganz klar: Damit können wir unsnicht zufriedengeben.
Wer Leistung bringt, darf nicht mit Kurzzeitverträgenabgespeist werden, sondern verdient eine Perspektive.
Wir werden das einfordern. Wenn das nicht reicht, wer-den wir das auch erzwingen, liebe Kolleginnen und Kol-legen.
Letzter Punkt. Ohne Moos nix los. Deswegen ist dasvierte Leitbild, das uns alle ein Stück geprägt hat, immernoch prägt und uns Orientierung gibt: Priorität für For-
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schung und Bildung auch im Haushalt. Da verkneife ichmir – Herr Kollege Heil, Herr Kollege Rossmann, ichbin ein freundlicher Koalitionspartner – die Bewertungder Finanzdaten der rot-grünen Zeit und springe gleichin unsere gemeinsame Zeit, die der vorigen Großen Ko-alition. Seit 2005 – Ministerin Wanka hat es gesagt – ha-ben wir in unserem Haushalt einen Zuwachs um 84 Pro-zent. Das ist ein Riesenerfolg. Das ist weltweit,abgesehen vielleicht von den asiatischen Ländern, einSpitzenwert.Sehr geehrte Damen und Herren, 2014 werden wir ge-genüber der mittelfristigen Finanzplanung 500 MillionenEuro mehr ausgeben, für den Hochschulpakt 640 Millio-nen Euro mehr. Das sind Zahlen, die sich wirklich sehenlassen können.Abschließend sei gesagt: In dieser Legislatur werdenwir – es ist schon genannt worden – 3 Milliarden Euromehr für Forschung und 6 Milliarden Euro mehr für Bil-dung ausgeben.Wir werden im gesamten Haushalt in dieser Legis-latur, über alle Ressorts hinweg, 23 Milliarden Euromehr zur Verfügung haben; das heißt, 40 Prozent dieserMehrausgaben fließen in unseren Bereich. Das ist einRiesenerfolg. Wir legen Priorität auf Forschung undBildung. Als Bildungs- und Forschungspolitiker bin ichauch ein ganzes Stück stolz; denn das haben wir erarbei-tet. Das ist nicht vom Himmel gefallen.Danke schön.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin:
Dr. Rosemarie Hein für die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehr-ter Herr Rupprecht, Ihren Optimismus möchte ich haben.
Ich kann ihn nicht teilen. Aus diesem Grunde möchte ichdie Zahlen dieses Haushaltes in einen größeren Zusam-menhang stellen.Wenn wir den Einzelplan 30, der für Bildung,Wissenschaft und Forschung zuständig ist, genauer be-trachten, dann sehen wir: Er macht nicht einmal einenAnteil von 5 Prozent des Gesamthaushaltes aus – dassind immerhin fast 14 Milliarden Euro –, er ist damit derviertgrößte Einzelhaushalt. Es gibt noch in einigen ande-ren Einzelplänen Geld für Bildung, zum Beispiel in denEinzelplänen 05, 09, 11 und 17 – sie sind heute alleschon einmal genannt worden –, aber das alles reichtnicht aus. Es ändert sich vor allem seit Jahren nicht.Darum kann ich die euphorischen Reden aus der Koali-tion nicht teilen. Vergleicht man nämlich wichtige Posi-tionen, wie zum Beispiel das BAföG oder die Ausgabenfür die Berufsorientierung – das sind bekanntlichSchwerpunkte der Koalition –, so sieht man, dass sichdie Summen gegenüber dem Haushalt 2013 nicht geän-dert haben. Hier fehlt mir einfach die Handschrift derSPD; ich finde sie noch nicht. Auch die globaleMinderausgabe ist komischerweise auf den Cent genaudie gleiche.Sie wollen 6 Milliarden Euro mehr für Bildung undWissenschaft ausgeben. Ich will mich in den Streit da-rüber, wer von dem Paket etwas abbekommt und ob es 6,7 oder 8 Milliarden Euro sind, überhaupt nicht einmi-schen. Ich will diese Summe einmal in das Verhältnissetzen zu den gesamten Ausgaben für Bildung in dieserGesellschaft. Wenn man sich einmal anschaut, wie dieöffentlichen Bildungsausgaben in dieser Gesellschaftverteilt sind, so muss einen das Ergebnis sehr nachdenk-lich stimmen. Der jüngste Bildungsbericht gibt Auskunft– dort kann man das nachlesen –: Die Länder tragen der-zeit zehnmal so viel Finanzlast für die Bildung wie derBund, die Kommunen immer noch das Vierfache. Darächt sich, dass Bildung allein Ländersache und nichtauch Bundessache ist.Zu der ungerechten Lastenverteilung kommt auchnoch die Unterfinanzierung hinzu. In einer Studie derGEW zur Bildungsfinanzierung von Henrik Piltz ausdem Jahre 2011 wird festgestellt – das hat sich nochnicht geändert –, dass es inzwischen einen Investitions-stau von 45 Milliarden Euro gibt, die von Bund, Ländernund Kommunen gemeinsam aufgebracht werden müss-ten. Das können sie natürlich nicht, und das ist auch unsklar. Aber man muss sich doch einmal die Dimensionvor Augen führen. Hinzu kommt – das macht das Ganzenur noch schlimmer –, dass bei den laufenden Kosten,wenn man die Ausfinanzierung aller Bildungsbereicheberechnet und die Qualität ein wenig verbessern möchte,sich ein Finanzierungsdefizit von noch einmal 56 Mil-liarden Euro ergibt, und zwar jedes Jahr. Das müsstenBund, Länder und Kommunen eigentlich jedes Jahr ge-meinsam drauflegen. Freuen Sie sich über die 6 Milliar-den! Wir freuen uns auch – wenn sie denn kommen.Aber das ist noch lange nicht das, was wir für Bildungausgeben müssten, um in diesem Land eine vernünftigeBildungspolitik zu garantieren.
Es ist das Versäumnis von Jahrzehnten, das wir voruns herschieben und immer wieder mit bunten Pflasternvon Reparaturprogrammen bekleben. Solche Reparatur-programme finden sich dann auch im Haushalt an denverschiedensten Stellen. Das kann nicht zufriedenstellen:weder im Bereich der allgemeinen Bildung noch im Be-reich der beruflichen Bildung noch an den Hochschulenund beim unzureichenden BAföG noch bei der Lehreoder bei der Ausbildung dringend notwendiger Fach-kräfte. Sie wollen laut Koalitionsvertrag zum Beispiel„einen Schwerpunkt auf die Stärkung der beruflichenBildung legen“. Mehr Geld gibt es dafür im Momentnoch nicht. Sie wollen dazu „ein lokal verankertes Netz-werk von Beratungs- und Informationsangeboten“ – so
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Dr. Rosemarie Hein
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nennen Sie es – „auf den Weg bringen“. Noch eins?Bildungsketten gibt es schon, und zwar seit 2010, eineAllianz für Ausbildung auch, und alles hilft nichts. DasRÜM, das Regionale Übergangsmanagement, das Be-werberinnen und Bewerber mit schlechteren Startchan-cen helfen sollte, eine Ausbildung zu finden, ist vieler-orts unrühmlich eingegangen, nachdem es nicht mehrgefördert wurde.Die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze steigtaber ebenso wie die Zahl der nicht vermittelten Bewer-berinnen und Bewerber. Nur 65 Prozent der Ausbil-dungssuchenden bekommen einen Ausbildungsplatz.Eine Viertelmillion Menschen sind im Übergangssystemhängen geblieben. Das ist doch nicht zufriedenstellend;das muss man doch kritisieren. Bildungsgerechtigkeit,meine Damen und Herren, ist etwas anderes.
Auch in der Forschungspolitik gibt es Tricksereienhin und her. Bei der Nachhaltigkeitsforschung haben Siezum Beispiel die Haushaltstitel einfach neu verteilt.Wenn man es nachrechnet und nachprüft, dann siehtman: Es kommt sogar eine Kürzung heraus.
In diesem Haushalt findet man vor allem Stillstand.Es geht eigentlich nichts wirklich voran. Die Aufwüchsesind, dort wo es sie gibt, spärlich. Zielzahlen bleibenteilweise hinter dem Ist des Jahres 2012 zurück. Und dieBundesregierung lobt die schwarze Null. Haushalts-konsolidierung ist gut und richtig. Nur, was nützt dieschwarze Null, wenn der Kitt aus den Fenstern vielerSchulen bröckelt? Was nützt die schwarze Null, wennWissenschaftlerinnen und Wissenschaftler prekär be-schäftigt sind? Sie haben das eben selbst kritisiert. Undwas nützt die schwarze Null, wenn sich das BAföG nichtmehr an den Lebenshaltungskosten orientiert? Solcheine schwarze Null können Sie sich einrahmen und andie Wand hängen; aber sie nützt gar nichts,
nicht den Lernenden, nicht den Kommunen, nicht denLändern, auch nicht den Lehrenden.Auch Sie müssen anerkennen: Wir haben ein Einnah-meproblem. Wenn wir dieses Einnahmeproblem nichtlösen, dann werden wir Haushaltskonsolidierung immerauf dem Rücken derer betreiben, die eigentlich davonprofitieren sollten.
Frau Hein, kommen Sie bitte zum Ende.
Ich komme sofort zum Ende, würde aber gerne noch
auf eine Aussage des Kollegen Rossmann antworten:
Unsere Grundschulschließungen haben überhaupt nichts
mit zurückgehenden Schülerzahlen zu tun, sondern
damit, dass die Mindestschülerzahlen für Grundschulen
erhöht werden. Die Klassen werden also größer. Mehr ist
es leider nicht.
Den Rest haben wir schon im Jahr 2000 hinter uns ge-
bracht.
Vielen Dank.
Danke, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist Swen
Schulz für die SPD.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich binMitglied des Haushaltsausschusses, und zu Beginn einerLegislaturperiode, vor allem dann, wenn es einen Wech-sel der Regierungskoalition gegeben hat, macht man ei-nen Kassensturz. Dieser Kassensturz hat für den BereichBildung und Forschung zwei zentrale Ergebnisse ge-bracht. Das erste ist bereits angesprochen worden: Wirhaben einen enorm angestiegenen Haushalt für Bildungund Forschung. Rot-Grün hat damit angefangen, dieGroße Koalition hat es fortgesetzt, und Schwarz-Gelbhat eine ordentliche Schippe obendrauf gelegt. Das istaller Ehren wert.
Das ist die gute Nachricht.Die schlechte Nachricht kann ich dem Koalitionspart-ner CDU/CSU leider nicht ersparen. Das zweite Ergeb-nis dieses Kassensturzes ist, dass in der Finanzplanungfür die Zukunft ein Milliardenloch klafft. Auch so etwasfestzustellen, gehört nun mal zu einer ehrlichen Eröff-nungsbilanz dazu. Es fehlen in den nächsten Jahren rund5 Milliarden Euro für die Finanzierung der schwarz-gelben Versprechungen. Da sind die neuen Ziele aus derKoalitionsvereinbarung von SPD und CDU/CSU nochnicht mit eingerechnet.Umso wichtiger ist, dass diese Koalition in ihrem Ver-trag eine Prioritätensetzung zugunsten von Bildung undForschung vorgenommen hat. Das ist eine starke An-sage; Ministerin Wanka hat darauf hingewiesen. Aberdas Finanzloch führt dazu, dass die Große Koalitionnicht aus dem Vollen schöpfen können wird, und das istnoch vorsichtig ausgedrückt. Denn von den 9 MilliardenEuro, die wir zusätzlich für Bildung und Forschungvorgesehen haben, sind 6 Milliarden Euro den Ländernversprochen; sie können nicht umstandslos dem Bun-deshaushalt zugerechnet werden. Die verbliebenen3 Milliarden Euro sind dann halt knapp, sehr knapp, umall das zu finanzieren, was wir finanzieren wollen undmüssen. Dass wir uns vorgenommen haben, keineneuen, zusätzlichen Schulden zu machen, und gleichzei-
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Swen Schulz
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tig eine aktive Steuerpolitik und den Abbau von Subven-tionen ausgeschlossen haben, das vergrößert den Spiel-raum für Bildung und Forschung nicht; auch das mussman ehrlich sagen.Das ist ganz nüchtern betrachtet die Ausgangslage,die ich hier als Haushälter beschreiben will und muss:Licht und Schatten, starker Haushalt, zusätzlicheMilliarden, aber eben auch große Verpflichtungen undambitionierte Ziele. Das bedeutet, dass es schwierigwird. Doch wenn es leicht wäre, müssten nicht wir esmachen.
Darum: Begeben wir uns an die Arbeit! Wir wollen sorg-fältig Prioritäten setzen, aber auch prüfen, in welchenBereichen noch Luft ist.Ich will für die SPD einige Schwerpunkte benennen,die sicherlich auch die Unterstützung von CDU/CSUfinden; denn sie sind im Koalitionsvertrag enthalten. Wirwollen zum Beispiel Menschen bei der Grundbildungund der Alphabetisierung unterstützen.
Wir haben hier im Deutschen Bundestag in der letztenLegislaturperiode eine Studie vorgelegt bekommen, dieuns alle bewegt hat. Demnach sind Millionen Erwach-sene in Deutschland sogenannte funktionale Analpha-beten, das heißt, sie können nicht gut lesen und schrei-ben. Das bedeutet nicht, dass sie dumm oder ungebildetsind – im Gegenteil. Aber sie brauchen Unterstützung.Darum wollen wir die Angebote der Grundbildung ver-bessern. Das ist wichtig.
Wir wollen die Menschen noch besser unterstützen,die im Ausland Qualifikationen erworben haben. Es istein Jammer, dass viele ihre Kraft und ihre Kenntnissehier nicht einbringen können. Da müssen wir noch mehrtun.Wir legen weiterhin einen Schwerpunkt auf dieFörderung der Hochschulen, damit möglichst vieleMenschen gut studieren können.Diese drei Beispiele – Grundbildung, Anerkennung,Studium – machen deutlich, dass wir Bildungsförderungin der gesamten Breite bis hin zur Spitze denken. Wirmüssen das zusammen betrachten.
Wir wollen in der Forschung die außeruniversitärenInstitute, die Universitäten und die Fachhochschulenfördern. Fachhochschulen leisten wichtige Beiträge imWissenschaftssystem; das wollen wir honorieren.
Wir fördern Forschungsprogramme für neue Technolo-gien, aber auch Arbeits- und Dienstleistungsforschungfür bessere Perspektiven der Beschäftigten. In unsererPhilosophie kommt Sicherheitsforschung nicht ohneGeistes- und Kulturwissenschaften und Friedens-forschung aus. Sie sehen: Die Dinge sind komplex, unddarum verfolgen wir einen umfassenden Förderansatz,der die verschiedenen Aspekte berücksichtigt.Weil wir aber finanziell nicht aus dem Vollen schöp-fen können, brauchen wir an verschiedenen Stellenclevere, kreative Lösungen, um unsere Ziele zu errei-chen. So ist die berufliche Bildung, der Übergang vonSchule zum Beruf, von zentraler Bedeutung. Darumwollen wir uns kümmern.
Wir müssen dabei bedenken, dass sich viele darumkümmern: Kommunen, Länder, die Agentur für Arbeit,mehrere Bundesministerien. Kluge Politik setzt nichtimmer noch eins obendrauf – so gut das gemeint seinmag –, sondern kluge Politik stimmt Maßnahmen ab, sievermeidet Doppelförderungen und Konflikte. Wenigerkann an einigen Stellen auch mehr sein.
Es geht nicht darum, im Deutschen Bundestag noch einweiteres Milliardenprojekt vorzuweisen, sondern es gehtjetzt darum, den Menschen in ihrer Realität, in ihrerLebenssituation zu helfen.
Der wissenschaftliche Nachwuchs ist ein weitereswichtiges Thema. Natürlich hätte ich gerne ein Extra-programm mit frischem Geld, um die Perspektiven fürNachwuchswissenschaftler zu verbessern, aber – derKollege Rupprecht hat vollkommen recht; er hat dasvorhin dargestellt – wir müssen bedenken, was wir denForschungseinrichtungen und Hochschulen bereits anMitteln zur Verfügung stellen. Wir müssen sicherstellen,dass diese eine ordentliche Förderung des wissenschaft-lichen Nachwuchses organisieren. Unser Ziel ist klar:Nachwuchswissenschaftler müssen in Deutschland at-traktive Bedingungen vorfinden. Das ist wichtig für dieWissenschaft, wichtig für unsere Wettbewerbsfähigkeitund wichtig für unsere gesellschaftliche Entwicklung.
Ein Thema ist nicht im Koalitionsvertrag enthalten,für das wir uns aber umso leidenschaftlicher einsetzen:das BAföG. Das BAföG ist die soziale Bildungsfinanzie-rung für Schüler und Studierende, die sich von Haus ausBildung nicht gut leisten können.
In diesem Bereich ist seit Jahren nichts mehr gemachtworden. Da müssen wir ran. Es muss auch neues, zusätz-liches Geld zur Verfügung gestellt werden. ThomasOppermann, unser Fraktionsvorsitzender, hat das gesternin der Generaldebatte sehr zutreffend auf den Punkt ge-bracht: Es kann nicht sein, dass wir mehrere Milliardenzusätzlich für Rentenpolitik vorsehen, aber für dasBAföG dann kein Geld mehr da ist. Das BAföG muss
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Swen Schulz
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substanziell erhöht und strukturell verbessert werden.Das ist ein klares Ziel der SPD.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch ein Wort zumVerhältnis von Bund und Ländern sagen. Das ist in derBildungspolitik besonders heikel und auch in unserenDebatten hier im Bundestag immer wieder Thema. DieSPD ist der Auffassung – Hubertus Heil hat das ange-sprochen –, dass wir mehr Kooperationen von Bund undLändern im Bildungs- und Wissenschaftsbereich ermög-lichen sollten. Dafür sollten wir auch das Grundgesetzöffnen. Solange das aber nicht erreicht ist, müssen wiruns mit zweitbesten Lösungen behelfen. Der Koalitions-vertrag hat eine Entlastung von 6 Milliarden Euro für dieLänder im Bildungsbereich vorgesehen. Ich bin – es istmir wichtig, das hier zu betonen – vollkommen der Mei-nung von Bildungsministerin Wanka: Das darf keinBlankoscheck sein. Wir müssen sicherstellen, dass dasGeld tatsächlich in den Krippen, in den Kitas, in denSchulen und in den Hochschulen landet. Sonst ist daskeine vernünftige Bildungspolitik.
Wenn wir das schaffen und dazu auch noch dasBAföG verbessern, dann haben wir einiges hinbekom-men. Bis dahin gibt es viel Arbeit. Ich freue mich darauf.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner: Kai
Gehring für die Bündnisgrünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Rednerinnen und Redner der Koalition haben sehrviel über die Vergangenheit gesprochen.
Das ist kein Zufall; denn der Haushaltsentwurf 2014,über den wir heute sprechen, ist die Dokumentation ei-ner bildungs- und wissenschaftspolitischen Lethargie.
Im Koalitionsvertrag und auch heute hier wurde voll-mundig das 6-plus-3-Milliarden-Euro-Paket für Bildungund Forschung verkündet. Problem ist nur, dass bisherkein einziger zusätzlicher Cent im Haushalt von FrauWanka angekommen ist.
Das ist sehr beunruhigend und zukunftsvergessen.
Die Menschen in unserem Land wollen eine höherePriorität für Bildung und Forschung. Sie erleben im All-tag marode Schulen, schlechte Ausbildungsbedingun-gen, Warteschleifen und überfüllte Hörsäle. Es ist jaschön, dass wir uns in der Debatte einig sind, dass die6 plus 3 Milliarden Euro, wenn es überhaupt dazukommt,
gezielt in diese Institutionen fließen müssen, das heißt,dass wir eine Zweckbindung für Zukunftsinvestitionenbrauchen. Derzeit erleben wir aber eine Selbstblockadein der Koalition. Wenn Sie Ihre Konflikte und auch IhreKonzeptionslosigkeit nicht überwinden, dann droht dieBundesbildungsministerin das erste Sparopfer vonSchäubles schwarzer Null zu werden. Man fragt sichwirklich, ob das Geld nachher überhaupt noch da ist.
Zukunftsinvestitionen abzuwürgen, wäre fatal.Deutschland braucht beherztes Handeln für mehr Chan-cen, Kreativität und Innovationen, für Kinder und Erfin-der. Das ist nicht nur ein Gebot der Bildungsgerechtig-keit, sondern auch der ökonomischen Vernunft. Ich musses Ihnen hier noch einmal sagen: Schon der Koalitions-vertrag war eine richtig herbe Enttäuschung: kein Ganz-tagsschulprogramm, keine Schulsozialarbeit, kein Kip-pen des Kooperationsverbots, keine BAföG-Erhöhung,keine steuerliche Forschungsförderung, keine Klarheitüber die Zukunft der Wissenschaftspakte, um nur einigePunkte zu nennen. Der Haushalt weist infolgedessenmehr Leerstellen als Zukunftsprojekte aus. Bei Bildungund Forschung lieferte die Große Koalition in ihren ers-ten 114 Tagen nur große Konfusion und ganz kleinesKaro.
An dieser Stelle möchte ich Ministerin Wanka ganzherzlich im Plenum des Bundestages begrüßen. In derersten Debatte über Ihre Vorhaben wurde deutlich, dassSie – leider – wenig vorhaben. Wir führten dann einegroße Diskussion im Bundestag über das BAföG und dasKippen des Kooperationsverbots. Dabei waren Sie leidernicht anwesend.
Der Grund für diese Parlamentsabstinenz dürfte sein,dass Sie hinsichtlich Ihrer Finanz- und Vorhabenplanungderzeit eigentlich eher eine Bundesprüfstelle für Bildungund Forschung leiten, aber kein wirklich handlungsfähi-ges Bildungsministerium. Dieser wichtige Zukunftsbe-reich und das Ziel der Bildungsrepublik vertragen einfachkeine Hängepartie. Sie müssen endlich konzeptionellund finanziell loslegen, Frau Wanka.
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Kai Gehring
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Als Ministerin verstecken Sie sich seit Monaten hin-ter sehr klangvollen Programmnamen wie der Hightech-Strategie, die jetzt Innovationsstrategie heißen soll. Aberwas steckt eigentlich dahinter? Wann legen Sie los? Wel-che konkreten Vorschläge werden Sie zum Beispiel fürdie Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses undfür anständige Personalkategorien liefern? Da sehen wirgroße Lücken. Innovation funktioniert nicht, wenn dieKöpfe, die etwas entwickeln sollen, keine Verlässlichkeithaben. Zur Verbesserung der Bedingungen des wissen-schaftlichen Nachwuchses liegen ganz tolle Initiativender rot-grünen Länder im Bundesrat vor. Diese könntenSie doch aufgreifen und umsetzen. Novellieren Sie dasWissenschaftszeitvertragsgesetz! Das wäre ein ganzkonkretes Regierungsvorhaben.
Hochschulen müssen das Herzstück jeder guten Inno-vationsstrategie sein. Im Koalitionsvertrag kündigen Siean, deren Grundfinanzierung zu verbessern. Doch wiewollen Sie das eigentlich machen? Da bin ich heute indieser Haushaltsdebatte nicht klüger geworden. BeimHochschulpakt hingegen kann man schon heute an denZahlen sehen, dass er derzeit unterfinanziert ist. Auchdie Zukunft der Programmpauschalen ist bei Ihnen völ-lig ungeklärt; das Thema taucht auch im Koalitionsver-trag nicht auf. Lassen Sie die Universitäten, die Fach-hochschulen und die Forschungseinrichtungen nichtlänger im Unklaren, sondern stellen Sie endlich die Wei-chen für die Zukunft der Wissenschaftspakte!In der Forschungspolitik setzen Sie falsche Schwer-punkte. Bei der Nachhaltigkeitsforschung kürzen Siemassiv die Mittel. Zukunftsthemen wie Open Accessund mehr Transparenz verschlafen Sie. Das ganze Landredet über die Energiewende, die Forschungsministerinaber kaum. In der Energieforschung halten Sie weiterhinlieber an der Förderung der Kernfusion fest,
anstatt in echte Zukunftstechnologien zu investieren. Ichsagen Ihnen: Die Energiewende wird nur gelingen, wenndie Forschungsmittel zu den erneuerbaren Energien undzu intelligenten Leitungs- und Speichertechnologien um-geschichtet werden. Auf diese Forschung sollten Sie dieMittel konzentrieren. Dann kann die Energiewende ge-lingen.
Herr Kollege!
Ein letzter Punkt. – Sie haben ganz am Ende Ihrer
Rede doch noch von Chancengerechtigkeit und Bil-
dungsaufstieg gesprochen. Sie müssen Ihre Ankündi-
gungen aber auch einmal konkret umsetzen. Ich habe
heute wieder gehört, dass Sie eine BAföG-Novelle vor-
legen wollen. Tun Sie es bitte endlich! Wir halten das für
dringend notwendig. Sie müssen deutlich mehr in diesen
Haushalt investieren; denn sonst ist er nicht generatio-
nen- und zukunftsgerecht.
Herr Kollege!
Jetzt ist die Zeit der Sonntagsreden vorbei.
Ihre ist auch vorbei.
Jetzt müssen Sie handeln.
Nächster Redner ist Michael Kretschmer für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Man muss natürlich sagen, Kai Gehring: Wirwollten mit den Grünen regieren, und wir hatten dieMöglichkeit eröffnet, in Gesprächen zu erörtern, wasman gemeinsam machen kann. Es war die grüne Partei,die am Ende gesagt hat: Nein, wir wollen nicht; wir wol-len diese Verantwortung nicht wahrnehmen. Man kannsich natürlich danach hier hinstellen und schimpfen wieein Rohrspatz, was alles nicht passiert, und darlegen,was man sich selbst überlegt hat; aber dabei darf mannicht vergessen, dass man die Chance, mitzuregieren,nicht genutzt hat.
Jetzt bleibt nur, vernünftig mitzuarbeiten und konstruk-tive Vorschläge zu machen, und zwar nicht auf derEbene der Überschriften, sondern im Detail.Von den 23 Milliarden Euro, die wir in dieser Legisla-turperiode bei einem gedeckelten Haushalt zusätzlich in-vestieren wollen, sind 9 Milliarden Euro für die Bildung,die Wissenschaft und die Forschung. Das zeigt, wo wir,CDU/CSU und SPD, die Prioritäten setzen.
Innovationspolitik zieht sich wie ein roter Faden durchunseren Koalitionsvertrag. Auch im Bereich der Bildungsetzen wir Akzente.Es gilt, die Erfolge der vergangenen Jahre fortzuset-zen. Zu diesen Erfolgen gehört – die Information, die wirgerade gehört haben, ist falsch –, dass wir seit 2005 dieZahl derjenigen, die im Übergangssystem gefangen sind,um 160 000 Personen reduziert haben. Das sind 38 Pro-zent weniger. Ich finde, das ist ein Erfolg.
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2474 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Michael Kretschmer
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Wenn wir über die Frage der Finanzverteilung spre-chen, müssen wir noch einmal deutlich machen: In derZeit von 1998 bis 2004 ist der Haushalt des BMBF um1,2 Milliarden Euro aufgewachsen. In der Zeit von 2005bis heute sind es – Albert Rupprecht hat darauf hinge-wiesen – 6,3 Milliarden Euro, also 84 Prozent. Wennjetzt von einem Kassensturz die Rede ist, dann gehörtzur Wahrheit dazu, dass wir zunächst einmal sagen müs-sen: Was die Bildungs- und Wissenschaftspolitik betrifft,gibt es kein Springen von Jahr zu Jahr. Vielmehr muss eshier Kontinuität geben. Es war immer klar, dass das, wasin den letzten Jahren begonnen wurde und was wir mitden Ländern vereinbart haben, weitergehen muss. DieGrundlage der 9 Milliarden Euro, die wir in dieser Le-gislaturperiode zusätzlich ausgeben werden, ist das, wasin den vergangenen Jahren vereinbart worden ist undwas wir uns gemeinsam vorgenommen haben.Wir wollen 500 Millionen Euro für eine neue Exzel-lenzinitiative Lehrerbildung bereitstellen und die Fort-führung des Hochschulpaktes sichern. Wir wollen mehrjungen Leuten die Aufnahme eines Studiums ermögli-chen. Wir wollen den Pakt für Forschung und Innova-tion, der schon angesprochen worden ist, fortführen. Dasheißt, es wird zu einem weiteren Aufwuchs bei den Mit-teln für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen kom-men. So zu tun, als würde man jetzt neues Geld in dieHand nehmen, um völlig neue Dinge zu machen, geht ander Realität vollkommen vorbei.
Wenn mein Kollege Swen Schulz diesen Eindruck er-weckt haben sollte, dann ist er fehlerhaft.
Es gibt noch einen Eindruck, der fehlerhaft ist: dassdieses Geld, diese 9 Milliarden Euro, entweder Bundes-geld oder Landesgeld ist. Jeder Euro, den wir in diesemBereich investieren, kommt den Ländern zugute. Wennwir den Hochschulen Geld geben, geschieht dies überdie Forschungsförderung, über die Programmpauschaleoder über den Hochschulpakt. Max-Planck-Gesellschaft,Leibniz-Gemeinschaft, Helmholtz-Gemeinschaft undFraunhofer-Gesellschaft sind Einrichtungen, die vonBund und Ländern gemeinsam getragen werden. Es istgroßer Mumpitz, wenn hier erzählt wird, dass es da ei-nen Unterschied gibt. Nein, meine Damen und Herren,wir wollen diese 9 Milliarden Euro vernünftig einsetzen,damit sie dem Gesamtsystem der BundesrepublikDeutschland nutzen; denn dann nutzen sie auch den Län-dern. Dafür zu sorgen, ist unser Ziel.
Ich möchte ganz deutlich sagen: Wir haben in denvergangenen Jahren auch in die Forschung investiert.Wir haben mit der Overhead-Finanzierung forschungs-starke, exzellente Einrichtungen in besonderer Weise un-terstützt. Aber nun stellen wir fest, dass die Grundfinan-zierung der Hochschulen aufseiten der Länder nicht indem Maße mitgewachsen ist, wie wir uns das alle ge-wünscht hätten. Die Ministerin hat gesagt: Die Länderhaben zusätzlich investiert. – Das gilt es anzuerkennen.Der Bund hat deutlich investiert. Deswegen, finde ich,ist es unredlich, auf den Bund zu zeigen und zu sagen:Da ist der Schuldige.Wir haben besondere Prioritäten gesetzt. Wir wollendas auch in der Zukunft tun. Wir haben gesagt: Wir wol-len in die Grundfinanzierung der Hochschulen einstei-gen, weil wir der Meinung sind, dass die Hochschulenals Herzstück des Wissenschaftssystems eine besondereUnterstützung brauchen. – Das dürfen wir aber nicht zu-lasten der Forschungsförderung und der Programmpau-schale tun. Nur gemeinsam wird daraus eine wirklichgute Sache.
Der Pakt für Forschung und Innovation – zunächstverzeichnete er 3 Prozent Aufwuchs, dann 5 Prozent; inden nächsten Jahren beträgt der Aufwuchs wieder 3 Pro-zent – ist die deutliche Ansage in die Welt hinaus, dassdieses Land im internationalen Wettbewerb bestehenwill. Wir formulieren klare Erwartungen an die außer-universitäre Forschung, auch was die Kooperation mitden Hochschulen angeht.
Deswegen ist es auch für die Länder ganz wichtig, dasswir in diesem Bereich aktiv sind. Wir wollen diesen Bei-trag natürlich auch deswegen leisten, weil wir wissen: Jeweiter eine Technologie fortgeschritten ist, je näher manan die Grenzen des Machbaren kommt, desto teurer wirddie Angelegenheit. Deswegen sind die 3 Prozent Auf-wuchs das Mindeste, was man tun muss. Ich glaube, esist ein ganz starkes Signal, das wir den Ländern geben.
Es geht darum, die Erfolge der vergangenen 10,15 Jahre zu sichern, die Exzellenzinitiative zu stärkenund den Hochschulpakt fortzuführen. Wir stellen mitdiesem Haushalt das dafür notwendige Geld zur Verfü-gung. Jetzt geht es darum, dass wir auch weiterhin agie-ren. Wir übernehmen Verantwortung für Kommunen undLänder, auch im Bereich der Bildung. Noch nie gab es soviel Kooperation. Noch nie in der Vergangenheit habenwir so viel Geld zur Verfügung gestellt und zur Verfü-gung gehabt. Deswegen ist es unredlich, sich hinter demKooperationsverbot zu verstecken und zu sagen: Da istdas Problem. – Nein, meine Damen und Herren, wo einWille ist, ist immer auch ein Weg. Wir haben mit demBildungs- und Teilhabepaket, mit unserem Beitrag zurkulturellen Bildung und mit Initiativen wie der Stiftung„Haus der kleinen Forscher“ Wichtiges geleistet. Daswerden wir auch in der Zukunft tun.
Die Diskussion um die Chancengerechtigkeit im Be-reich der Bildung bzw. Chancengleichheit, wie von lin-ker Seite häufiger gesagt wurde, führt natürlich zu einemPunkt, der einmal ausdiskutiert gehört: Das Beispiel
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Michael Kretschmer
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DDR ist aus meiner Sicht ein schlechtes. In der DDR ha-ben nur 11 Prozent eines Jahrgangs Abitur gemacht.
Das System der DDR war damit höchst elitär. Zum Ver-gleich: In der Bundesrepublik nehmen heute 40 bis50 Prozent eines Jahrgangs ein Studium auf. Es gab inder DDR keine großen Erfolge im Bereich der Bildungund im Bereich der Wissenschaft.
– Welche großen Innovationen, Herr Kollege, kamen ausdem sozialistischen Ostblock? Ich kenne keine.
Das Bildungs- und Wissenschaftssystem der freiheitli-chen Demokratie ist dem der sozialistischen Staaten im-mer überlegen gewesen,
weil Chancengleichheit in der Tat etwas ganz anderes istals Chancengerechtigkeit. Ich denke, das muss einmalkritisch ausdiskutiert werden, damit wir uns hier nicht ir-reführen lassen.
Noch einmal: Bund und Länder sollen in den kom-menden vier Jahren gemeinsam in diesem Bereich aktivsein. Wir sind dazu bereit. Wir wollen die Mittel ver-nünftig einsetzen. Alle sind eingeladen, mit klugen Ideenmitzuarbeiten und mitzudiskutieren.Herzlichen Dank.
Danke, Herr Kollege. – Nächster Redner: Oliver
Kaczmarek für die SPD.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Es ist normal, dass der ersteHaushaltsentwurf nach einem Regierungswechsel nochnicht den Koalitionsvertrag, die Prioritäten der neuenRegierung und der sie tragenden Fraktionen vollkom-men abbildet.
Umso wichtiger ist es, dass wir die nächsten Wochenund Monate nutzen, insbesondere als Koalitionsfraktio-nen, die notwendigen Schwerpunkte noch zu verfeinern.Wir wollen, dass sich der Geist des Koalitionsvertragesim Haushalt widerspiegelt; denn der Koalitionsvertragist eine sehr gute Grundlage für vier Jahre Fortschritt inder Bildungs- und Forschungspolitik.
Im Koalitionsvertrag ist deutlich zu lesen: Die GroßeKoalition wird bei den Bildungs- und Forschungsausga-ben einen klaren Schwerpunkt setzen. Mehrfach genanntworden sind die 6 Milliarden Euro, die wir in den nächs-ten vier Jahren mobilisieren werden, um die Länder beiihren Aufgaben im Hinblick auf Kitas, Hochschulen undSchulen zu unterstützen. Ich möchte an dieser Stellenoch einmal betonen, dass das ein ganz starkes Signalist; denn der Bund signalisiert den Ländern damit, dasser seiner gesamtstaatlichen Verantwortung nachkommt.Es ist ein starkes und ein begrüßenswertes Signal, dassBund und Länder Hand in Hand für Bildung und For-schung Verantwortung übernehmen.
Etwa 12,5 Prozent der Bildungsausgaben insgesamtwerden vom Bund und gut zwei Drittel von den Länderngetragen. Daran zeigt sich – Frau Ministerin, Sie habenvollkommen recht –, dass der Bund bei vielen Projektenals Initiator auftritt; das geht auch angesichts der finan-ziellen Ressourcen gar nicht anders. Aber er sollte auchein kooperativer Partner sein. Ein Gegeneinander vonBund und Ländern wäre an dieser Stelle völlig kontra-produktiv und angesichts der Verfassung auch geradezuabsurd.
Ich möchte an dieser Stelle noch etwas zu dem Zitataus dem Wahlprogramm der SPD sagen, zu den 20 Mil-liarden Euro, die zusätzlich in Bildung und Forschungfließen sollen. Ich halte dieses Ziel nach wie vor für rich-tig. Zunächst werden 9 Milliarden Euro für Bildung undForschung herauskommen.
Man kann natürlich angesichts der politischen Um-stände, in denen wir uns bewegen, sagen: 9 MilliardenEuro, das interessiert uns nicht. Wir wollen 20 Milliar-den Euro; was darunter ist, nehmen wir nicht, und wasdie nächsten vier Jahre passiert, ist uns egal. – Man kannaber auch nehmen, was man erreichen kann. Ich sage:Wir schämen uns nicht, dass wir in den Koalitionsver-handlungen 9 Milliarden Euro zusätzlich mobilisiert ha-ben. Man nimmt das und gestaltet. Die Sozialdemokra-ten haben sich immer fürs Gestalten entschieden, unddas ist auch gut so.
Ich möchte noch einen Punkt benennen, der mir ges-tern in der Generalaussprache mächtig auf die Nervengegangen ist: Müssen Rente und Bildung eigentlich stän-dig gegeneinander ausgespielt werden? Ich glaube, dassdas falsch ist. Das erkennt man, wenn man sich die ge-samtstaatlichen Ausgaben ansieht, die für Bildung auf-gewendet werden. Vor allen Dingen aber ist es das Ge-
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Oliver Kaczmarek
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genteil von Generationengerechtigkeit. Ich glaube, dasses nicht im Interesse der Studierenden, der Wissen-schaftler ist, gegen die Interessen ihrer Mütter und Vätergestellt zu werden.
Generationengerechtigkeit ist nie eine Einbahnstraße ge-wesen. Wenn Sie versuchen, Teile der Gesellschaft ge-geneinander auszuspielen, sage ich: Das finde ich nichtin Ordnung, und das machen wir nicht mit.
Meine Damen und Herren, vor uns liegen intensiveWochen, in denen wir die Grundlagen dafür schaffenwollen, die Ziele der Großen Koalition im Haushalt desBundes auszugestalten. Meine Kollegen haben schonvieles angesprochen. Die Big Points sind: BAföG undWeiterentwicklung der drei Pakte. Das sind sicherlichgroße Aufgaben, für die wir das meiste Geld mobilisie-ren müssen. Ich möchte aber noch einige Punkte erwäh-nen – teilweise hat das mein Kollege Swen Schulz schongetan –, die auch von Bedeutung sind und bei denen wirals Große Koalition unsere Handschrift im Bundeshaus-halt erkennen lassen können.Erster Punkt. Wir wollen die Ausbildungsgarantieumsetzen. Über die Bedeutung der beruflichen Bildungist von diesem Pult aus schon viel gesagt worden. Des-wegen will ich an dieser Stelle nur eines sagen: Die Be-deutung der beruflichen Bildung wird nicht dadurch ab-gemildert, dass wir einen gesetzlichen Mindestlohneinführen und hier eine klare Altersgrenze setzen, wie esdie Bundesregierung vorschlägt. Eine Ausbildung wer-den junge Leute immer dann machen, wenn sie damiteine langfristige Perspektive verbinden und eben auchein Einkommen, das ihnen sicher ist.
Deswegen müssen wir mit den Unternehmen, mit derWirtschaft dringend über die zweite Schwelle reden.Hier gibt es immer noch zu viel Unklarheit. Wir als SPDbegrüßen natürlich den, wie ich glaube, einstimmig be-schlossenen Gesetzentwurf der Bundesregierung zumgesetzlichen Mindestlohn. Auch aus bildungspolitischerSicht freuen wir uns über diesen Fortschritt.
Zweiter Punkt. Swen Schulz hat schon die Alpha-De-kade angesprochen. Das ist ein großer Fortschritt für7,5 Millionen Menschen. Wir wollen, dass sich das auchim Haushalt niederschlägt.Dritter Punkt. Wir wollen in dieser Wahlperiode einenklaren Schwerpunkt auf die Digitalisierung in den Berei-chen Bildung und Wissenschaft setzen. Das muss sich inden nächsten vier Jahren auch im Haushalt niederschla-gen, genauso wie die Stärkung der Geistes- und Sozial-wissenschaften, der Arbeitsforschung und der Dienst-leistungsforschung.Ich komme zum Schluss. Nicht jedes dieser Zielewird schon im nächsten Haushalt abgebildet werden,manche aber schon. Wir müssen in den nächsten Wo-chen daran arbeiten, dass sich die Handschrift der Gro-ßen Koalition im Bundeshaushalt wiederfindet. Ich freuemich darauf, dass der Koalitionsvertrag jetzt ein Stückgelebte Bildungs- und Forschungspolitik wird.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist
Tankred Schipanski für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich denke, zu den Rahmenbedingungen des Haushalts-planes haben unsere Ministerin und die KollegenKretschmer und Rupprecht schon viel gesagt. Sie wis-sen, dieses Haus misst dem Thema „Forschung und Ent-wicklung“ eine außerordentlich hohe Priorität bei. Ichwill an dieser Stelle nicht noch einmal auf die einzelnenProjekte in unserem Einzelplan 30 eingehen, sonderndarf den Blick auf ein anderes Feld lenken.Wir haben vorhin die Debatte zum Haushalt desMinisteriums für Wirtschaft und Energie geführt, undSie wissen: Auch in diesem Bereich haben wir industrie-nahe Forschungseinrichtungen. Der Kollege Mattfeldthatte sehr zu Recht darauf hingewiesen, dass die350 Millionen Euro Forschungsmittel aus dem ZIM,dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand, vor-zeitig freigegeben wurden. Ich denke, das ist ein ganzwichtiger Schritt, den der Haushaltsausschuss am 2. Ap-ril dieses Jahres gegangen ist. Ganz herzlichen Dank da-für!
Sie wissen, dass es außerordentlich wichtig ist, dassdiese Forschungsmittel freigegeben wurden. Für den Be-reich Forschung und Entwicklung wurden insgesamt660 Millionen Euro vorzeitig freigegeben. Ich denke,durch die Aufhebung dieser Sperre hat der Haushaltsaus-schuss ein sehr wichtiges Signal gesendet.Wenn wir uns die konkreten Programme ansehen,dann dürfen wir feststellen, dass unser Ministerium, dasBMBF, mit seiner Programmplanung eine Vorbildfunk-tion für alle anderen Ministerien hat. Schauen wir unsdas Programm „Zwanzig20 – Partnerschaft für Innova-tion“ an! Dieses Programm ist Teil der Innovationsinitia-tive „Unternehmen Region“ und fördert entsprechend denregionalen Bedürfnissen der neuen Länder. Mit diesemProgramm sollen die in den neuen Ländern aufgebautenherausragenden wirtschaftlichen und wissenschaftlichenKompetenzen durch überregionale und interdisziplinäreKooperation systematisch für die Zukunft ausgebautwerden. Vorhandene Akteure sollen sich also über dieRegion hinaus grenzüberschreitend vernetzen. Ich denke,das ist ein spannender überregionaler und interdiszipli-
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Tankred Schipanski
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närer Ansatz. Diesen Ansatz wählt nunmehr auch dasBundeswirtschaftsministerium für sein Innovationspro-gramm INNO-KOM und für die ZIM-Programme, alsowieder für die industrienahe Forschung. Das BMBF leis-tet hier also eine Pionierarbeit für die ganze Bundes-regierung. Auch dafür, Frau Ministerin, ein herzlichesDankeschön!
Wenn von einigen Rednern in dieser Debatte eine fal-sche Schwerpunktsetzung in diesem Haushalt kritisiertwurde, dann kann ich dem nur ausdrücklich widerspre-chen. Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte in ihrergestrigen Haushaltsrede sehr richtig fest: „Kreativität istder Treiber unseres Wohlstands“. Kreativität erreiche ichnur über Innovation. Daher ist es konsequent und richtig,wenn wir unsere Hightech-Strategie zu einer Innova-tionsstrategie weiterentwickeln. Wir werden noch Gele-genheit haben, das in diesem Hohen Hause zu debattie-ren.
Wir setzen im Einzelplan 30 die richtigen Schwer-punkte, um unsere Bildungsrepublik Deutschland voran-zubringen. Natürlich können wir auch Schwerpunkte er-gänzen. Das ist richtig, und das soll man auch tun. MitBlick auf die aktuellen politischen Entwicklungen darfich heute einen Vorschlag unterbreiten. Ich komme ge-rade aus dem NSA-Untersuchungsausschuss und binauch Mitglied in dem neuen Bundestagsausschuss Digi-tale Agenda. Ich darf für einen Aufwuchs im Bereich derIT-Sicherheitsforschung plädieren; denn gemeinsamerGedanke beider Ausschüsse ist es, konstruktive Empfeh-lungen zu erarbeiten, wie wir die Kommunikation inDeutschland sicherer machen können, was wir tun kön-nen, um Ausspähen bei Kommunikationsvorgängen zuunterbinden oder zumindest deutlich zu erschweren. Wirhaben im Wissenschaftsbereich bereits wichtige Player.Ich erinnere zum Beispiel an die Fraunhofer-Institute,die sich sehr intensiv mit dieser Fragestellung beschäfti-gen. Daher kann ich mir vorstellen, dass wir in der anste-henden Debatte um den Haushalt bei der IT-Sicherheits-forschung noch einen wichtigen Schwerpunkt setzen.
Lassen Sie mich mit Blick auf unsere Haushalts-debatte einen weiteren Punkt ansprechen. Am 18. Okto-ber 2012 haben wir in diesem Haus das Wissenschafts-freiheitsgesetz verabschiedet. Das war ein großer Tag fürunsere deutschen Wissenschaftsorganisationen, und eswar ein entscheidender Tag für die Mitglieder des Haus-haltsausschusses. Ich darf an dieser Stelle vonseiten un-serer Fraktion nochmals Annette Schavan, WolfgangSchäuble und Ecki Rehberg ganz herzlich danken, dieuns Wissenschaftspolitiker in diesem komplizierten Ge-setzgebungsverfahren sehr gut begleitet haben.Haushaltsrechtlich ist dieses Gesetz ein Meilensteinin der Wissenschaftsgeschichte. Wir erinnern uns: Diechristlich-liberale Koalition hat durch dieses Gesetz einewissenschaftsadäquate, am Forschungsprozess orien-tierte Mittelausgabe ermöglicht und somit einen optima-len Mitteleinsatz gewährleistet. Der Haushaltsausschusshatte mit diesem Gesetz Kontrollmöglichkeiten abge-geben und die Transparenz des Bundeshaushaltes ein-geschränkt. Mit dem Blick der Haushälter haben dieWissenschaftsorganisationen mit diesem Gesetz einenVertrauensvorschuss auf dem Weg zu mehr Autonomieund Transparenz erhalten.Wir waren uns überfraktionell einig, dass mehr Frei-heit für unsere Forschungseinrichtungen auch immermehr Verantwortung bedeutet. Kontrollmöglichkeiten ha-ben wir natürlich auch heute noch über den Monitoring-Bericht und den Bundesrechnungshof. Ein Blick in denMonitoring-Bericht, der gemeinsam mit dem Bericht zurUmsetzung des Paktes für Forschung und Innovationvorgelegt wird, zeigt, dass der Gedanke des Wissen-schaftsfreiheitsgesetzes gelebt wird und die Instrumenterege genutzt werden. Das gilt für alle Bereiche, ob Haus-halt, Personal, Bau oder Beteiligungen. Ich darf in derHaushaltsdebatte zwei Themen herausgreifen, nämlichHaushaltsführung und Personal.Bei der Haushaltsführung haben wir durch die Ein-führung von Globalhaushalten eine flexiblere Mittelver-fügbarkeit ermöglicht. Stichworte in diesem Zusammen-hang sind die überjährige Verwendung von Mitteln, dieZuweisung von Mitteln zur Selbstbewirtschaftung undsomit die Möglichkeit, dass unsere Forschungseinrich-tungen Gelder für größere Investitionen ansparen kön-nen.
Wir haben eine gegenseitige Deckungsfähigkeit von Be-triebshaushalt und Investitionshaushalt. Allein im Jahr2013 hat die Fraunhofer-Gesellschaft 30 Millionen Euroaus dem Betriebshaushalt zur Deckung des Investitions-haushaltes verwendet. Wir geben also unseren For-schungsorganisationen die richtigen Spielräume.Die zweite große Regelungsmaterie des Wissen-schaftsfreiheitsgesetzes war der Personalbereich. Wirhaben, wie Sie wissen, die starren Stellenpläne abge-schafft.
Wir geben ihnen die Möglichkeit, die Stellenbesetzungnoch stärker am wissenschaftlichen Bedarf zu orientie-ren. Wir haben ein neues Vergütungssystem eingeführt,um Berufungen aus der Wirtschaft und aus dem Auslandzu erleichtern. Die Wissenschaftsorganisationen lobendies ausdrücklich in ihrem Monitoring-Bericht. Erfolgs-beteiligungen, zusätzliche Sachleistungen und zusätzli-che Vergütungen, das sind die Instrumente, mit denendas sehr erfolgreich läuft, und zwar nicht nur, wie da-mals befürchtet, für Professoren oder Spitzenwissen-schaftler, sondern auch für den wissenschaftlichen Nach-wuchs und wissenschaftsrelevantes Personal.
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2478 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Tankred Schipanski
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In diesem Sinne darf ich, weil dies soeben gefragtwird, festhalten, dass das Gesetz sehr viel mit dem Haus-halt zu tun hat. Die Haushälter haben nämlich eine ganzeMenge Macht an die Wissenschaftspolitik abgegeben.Deshalb ist es ganz wichtig, im Rahmen der Haushalts-debatte einmal anzusprechen, dass wir das Spannungs-feld zwischen Wissenschaftsfreiheit und haushaltsrecht-lichen Kontrollinteressen aufgelöst haben. Das war einrichtiger Schritt. Daran wollte ich am heutigen Tag aus-drücklich erinnern.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin in der
Debatte ist Dr. Daniela De Ridder für die SPD.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! In der vergangenen Woche konnte ichhier im Bundestag eine Delegation aus Ghana begrüßen.Ich hatte dabei auch Gelegenheit, den BildungsministerGhanas kennenzulernen. Herr Kaufmann – Sie warenauch eingeladen –, hätten Sie gedacht, dass Kitas undVorschulen in Ghana gut etabliert sind? Dem Bil-dungsetat, so versicherte mir der Minister, stünden diemeisten Ressourcen zur Verfügung, und das Bildungs-ministerium verfüge über das meiste Personal. FrauHein, da kann man neidisch werden. Wir können vonGhana lernen. Die ghanaische Delegation war eigentlichgekommen, um von uns zu lernen. Sie erteilte uns aberunbewusst eine Lektion.Wir wollen den Etat für Bildung und Forschung deut-lich erhöhen. Diese Forderung haben wir, wie Sie allewissen, im Koalitionsvertrag verankert. Es geht dabeiauch um das Zusammenwirken von Bund und Ländern.Ja, wir wollen Aufgaben und finanzielle Spielräumeintelligent nutzen, und zwar auch zugunsten unsererKommunen. Ja, es geht um viel Geld – das will ich aus-drücklich betonen –, und es geht um noch mehr Gestal-tungsmöglichkeiten. Wir wollen weiter in Krippen undKitas sowie in Schulen und Hochschulen investieren.Auch den Forschungsbereich werden wir mit Milliarden-beträgen stärken. Frau Dörner, wer allerdings 6 bzw.9 Milliarden Euro für eine Quantité négligeable hält, derhat offensichtlich das Verhältnis zum Geld verloren.
Die SPD – das versichere ich auch Ihnen in der Oppo-sition – wird sich stetig, auch innerhalb der Großen Ko-alition, dafür einsetzen, dass wir das finanziell flankie-ren. Deshalb sage ich ganz deutlich: Wir brauchen gutfinanzierte Bildungsangebote durch alle Phasen des Le-bens. Denn das viel zitierte lebenslange Lernen beginntmit dem ersten Lebenstag.Frau Wanka, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie inder Bildungspolitik eine adäquate Partnerin, nämlich dieFamilienministerin Manuela Schwesig, gefunden haben,die Ihnen dabei mit Sicherheit zur Seite stehen wird. Eswar in der vergangenen Legislaturperiode nicht immerso, dass Bildungsministerium und Familienministeriumeng zusammenstanden. Das wird aber jetzt eine Selbst-verständlichkeit werden.Der Ausbau von Kitas und guten Betreuungsangebo-ten wird erheblich mehr Kindern die Chance geben,durch Bildung die Welt zu entdecken. Frühkindliche Bil-dung ist nämlich ein Versuch der Vermeidung sozialerSpreizung.
Die Teilhabe an Bildung ist ein Grundrecht, und zwarvon Anfang an. Wir von der SPD werden das in der Gro-ßen Koalition sicherstellen; auch das versichere ich derOpposition. Deshalb betone ich: Wir brauchen nicht nureinen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz, sondern aucheine hohe Betreuungsqualität mit gut ausgebildeten Er-zieherinnen und Erziehern – Hubertus Heil erwähnte dasbereits –, deren Arbeit wir deutlich besser wertschätzenmüssen.
Was uns allen, die wir hier sitzen und die wir Verant-wortung für die öffentlichen Haushalte tragen, stets klarsein muss, ist Folgendes: Unzureichende Bildung schaffthohe Folgekosten für die öffentlichen Haushalte. Des-halb ist es so wichtig, dass wir vernetzt denken, undzwar von der frühkindlichen Bildung über die Schule bishin zu Bildungsangeboten im Alter. Unsere Wirtschaftbraucht engagierte Universitäten und Fachhochschulengenauso wie das duale Ausbildungssystem und eine guteberufliche Bildung. Lieber Herr Rupprecht, wir brau-chen außerdem eine gut entwickelte Forschungsland-schaft.Die Ergebnisse der Bertelsmann-Studie, im Rahmenderer untersucht wurde, was unzureichende Bildung kos-tet, machen deutlich, dass vor allem sozial benachteiligteKinder oder Kinder mit Migrationshintergrund sehr früheinen Zugang zu guten Bildungsangeboten brauchen.Gerade sie könnten enorm von guter früher Bildung pro-fitieren.
Deutschland verschenkt enormes Wachstumspoten-zial durch unzureichende Bildung. So lautet die war-nende Bilanz der Bertelsmann-Studie – und die Bertels-mann-Stiftung ist nicht wirklich eine Kaderschmiedesozialdemokratischer Provenienz –, dass wir diesesWachstumspotenzial nicht verschenken dürfen. Wennwir also unsere öffentlichen Haushalte absichern undSchuldenlast abbauen wollen, dann müssen wir – auchda bin ich bei Ihnen – präventiv handeln.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2479
Dr. Daniela De Ridder
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Ich bin mir ganz sicher, Frau Wanka – lassen Sie michdas zum Schluss sagen –, dass Sie gut mit ManuelaSchwesig zusammenarbeiten werden und Frau DörnerLügen strafen werden, die hier ja schon unterstellt, dasses einen Zickenkrieg geben könnte.
Frauen sind klüger. Wir sind dies auch.Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Anette
Hübinger das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Als 13. Redne-rin in dieser Debatte hat man es am Rednerpult nicht ein-fach; denn im Grunde genommen ist zu diesem Haushaltsehr umfassend sehr viel Wahres, manch Auslegungsfä-higes gesagt worden. Festzustellen bleibt: Mit dieser De-batte setzen wir den Startschuss für den Haushalt im Jahr2014 und damit für die Verankerung prioritärer Maßnah-men im Bereich Bildung und Forschung, getreu derÜberschrift unseres Koalitionsvertrages: „DeutschlandsZukunft gestalten“.Die Zukunft Deutschlands hängt vor allem und insbe-sondere von Bildung und Forschung ab; denn Bildungbeugt – das wissen wir alle – Armut vor, Bildung undgute Ausbildung genauso wie eine exzellente Forschungsorgen dafür, dass wir in Deutschland in der Lage sind,nachhaltig gute und innovative Arbeitsplätze zu schaf-fen, die für unseren Wohlstand sorgen.
Unser gemeinsames Ziel muss daher sein, dass diefinanzielle Aufwärtsentwicklung dieses Einzelplans, sowie schon in der Vergangenheit geschehen, weitergeht.Ich möchte die Zahl an dieser Stelle noch einmal nen-nen, weil sie so wunderbar ist: Knapp 14 Milliar-den Euro stehen in diesem Einzelplan, ohne die Gelder,die bei Herrn Minister Schäuble im Einzelplan 60 ge-parkt sind; darüber haben wir heute schon diskutiert. Dasist ein Rekord bei Bildung und Forschung. Darauf kön-nen wir stolz sein.
Diese positive Entwicklung hat dazu geführt, dassDeutschland mit seinem dualen beruflichen Ausbil-dungssystem, aber auch mit seiner exzellenten For-schung und seinen exzellenten und zukunftsweisendenForschungsprogrammen in den Fokus der Weltöffent-lichkeit gerückt ist. Das muss so bleiben.
Gerade die internationale Entwicklung in einer globali-sierten Welt schreitet rasant weiter voran. Bildung undForschung sind hier Dreh- und Angelpunkt, den wir inDeutschland weiter unterstützen wollen; denn Stillstandheißt hier Rückschritt. Das können wir uns nicht leisten.
Folgerichtig messen wir Bildung und Forschung indieser Legislaturperiode wieder einen hohen Stellenwertbei und haben dazu Ziele im Koalitionsvertrag verein-bart. Um diese Ziele mit Leben zu erfüllen, müssen wirin den nächsten Jahren gemeinsam unser Wissenschafts-system weiterentwickeln, über das Ob und das Wie derPakte entscheiden, Wege finden, wie wir die duale Aus-bildung weiter stärken und an die neuen Herausforderun-gen anpassen können. Wir müssen noch mehr Augen-merk auf die frühkindliche Bildung legen; denn alleMenschen brauchen in unserem schönen Deutschlanddie gleichen Bildungschancen.
In vielen Gesprächen, die ich als Fachpolitikerin inden letzten acht Jahren geführt habe, wurde immer wie-der das Instrument der Bildungsketten mit Potenzialana-lyse und Berufseinstiegsbegleitung gerade für jungeMenschen, die sich etwas schwerer tun, ganz besondersgelobt. Hier setzen wir im neuen Haushalt einen ganzbesonderen Schwerpunkt.
Daneben müssen wir auch unsere Grundlagen- unddie angewandte Forschung stärken und für die Heraus-forderung unserer Zeit fitmachen. Gebündelt sind diesein der Hightech-Strategie. Energiewende und alles, wassich forschungsmäßig um dieses Thema herum abspielt,ist – das wurde heute auch schon angesprochen – priori-tär. Dazu gehören Sicherheitsfragen; denn Sicherheits-fragen sind Friedensfragen. Dazu gehören aber auchSicherheitsfragen im Netz, die Digitalisierung der Wis-senschaft und Gesundheitsfragen wie der Umgang mitDemenz oder eine neue Wirkstoffinitiative, die wir star-ten wollen, um angesichts der Herausforderungen in derWelt besser aufgestellt zu sein. All diesen Herausforde-rungen haben wir uns als Große Koalition gerne gestellt.Noch ein weiteres Ziel haben wir uns gesetzt: Das ist dieschwarze Null. Darüber wurde heute auch schon öfterdiskutiert.Liebe Frau Kollegin Hein, es ist eine wichtige Auf-gabe, diese schwarze Null zu erreichen; denn nicht nurInvestitionen in Bildung und Forschung sorgen dafür,dass die junge Generation eine Zukunft hat, sondernauch die Tatsache, dass die Schulden nicht weiter an-wachsen. Damit schaffen wir für die jungen Menschenerst einmal die Perspektiven, ihre Zukunft zu gestalten.
All das hat die Große Koalition für Bildung, Wissen-schaft und Forschung auch getan, indem sie 9 MilliardenEuro – für den Bildungsbereich 6 Milliarden und für denForschungsbereich 3 Milliarden Euro – zur Verfügung
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Anette Hübinger
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stellt. Ich danke ganz besonders der Bundeskanzlerin,dass sie in ihrer Rede auch noch einmal das 3-Prozent-Ziel, das auch ein europäisches Ziel ist, für Deutschlandbenannt hat,
nämlich 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts in For-schung zu investieren und 7 Prozent in Bildung, sodasswir auf der Basis unseres einmal gefassten 10-Prozent-Ziels auch weiterarbeiten können.
Die Ressortentscheidung, wohin diese 6 MilliardenEuro – 9 Milliarden Euro waren ja schon vorgesehen –hinfließen sollen, müssen wir noch treffen. Ich denke,Herr Schulz, auch dieser Einzelplan, bei dem Sie einigeLöcher gesehen haben, ist gut aufgestellt. Wir werdenuns dann als Haushälter darum kümmern, dass dieseGelder ordnungsgemäß so angelegt werden, dass wir einMitsprache- bzw. Mitbestimmungsrecht haben. Dennochmüssen wir mit diesen Geldern dafür sorgen, dass, wieim Koalitionsvertrag versprochen, die Länder eine Ent-lastung erfahren. Das kann nur in einem gemeinsamenAufeinanderzugehen geschehen; denn alle Pakte, die wireinmal beschlossen haben, laufen in den nächsten Jahrenaus. Wenn wir das Wissenschaftssystem auf gute Beinestellen wollen, heißt das: Wir müssen Länder und Bundhinsichtlich ihrer Aufgabenteilung so verzahnen, dass je-der seinen Part spielen kann und ordnungsgemäß kom-plementär auch spielt.
Darauf werden wir als Haushaltspolitiker mit achten.Aber schauen wir, was in den nächsten Wochen auf unszukommt. Wie gesagt, es ist der Startschuss für diesenHaushalt. Wir haben mit Sicherheit große Diskussionenvor uns; denn jeder möchte gerne mehr. Frau KolleginDörner sprach vom Topfläppchen. Das hat mich auch einbisschen peinlich berührt. 6 Milliarden Euro sind wirk-lich kein Topfläppchen; denn bei mir sind das solchekleinen Dinger. Topfläppchen mit drei Ministerien, diemiteinander diskutierend um Gelder ringen, in Verbin-dung zu bringen, hat, wenn es dann auch noch dreiFrauen sind, einen leicht pejorativen Beigeschmack, denich eigentlich so nicht haben will.
Warten wir es also ab, wie das Geld zu verteilen ist.Ich muss sagen: Als ehemalige Bildungs- und For-schungspolitikerin bin ich der Meinung, das Geld gehörtganz überwiegend in den Einzelplan 30. Wir wissen– das haben wir in der Vergangenheit bewiesen – gut da-mit umzugehen. Der Bund hat in diesem Bereich in denletzten Jahren wichtige Impulse gesetzt und wird es auchweiter tun.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmel-dungen liegen mir zu diesem Einzelplan nicht vor.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 f auf:a) Beratung des Antrags des Bundesministeriumsder FinanzenEntlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2012– Vorlage der Haushaltsrechnung des Bundesfür das Haushaltsjahr 2012 –Drucksache 17/14009Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschussb) Beratung des Antrags des Bundesministeriumsder FinanzenEntlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2012– Vorlage der Vermögensrechnung des Bun-des für das Haushaltsjahr 2012 –Drucksache 17/14010Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschussc) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungSozialbericht 2013Drucksache 17/14332Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für Tourismusd) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungBericht der Bundesregierung zu Ausgangs-lage und Perspektiven der Post-2015-Agendafür nachhaltige Entwicklung – Gemeinsameglobale Herausforderungen, Interessen undZieleDrucksache 17/14667
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
Ausschuss für Ernährung und LandwirtschaftAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für Tourismuse) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungEingliederungsbericht 2012 der Bundesagen-tur für ArbeitDrucksache 18/104
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Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für TourismusHaushaltsausschussf) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungBericht der Bundesregierung über den Standvon Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeitund über das Unfall- und Berufskrankheiten-geschehen in der Bundesrepublik Deutsch-land im Jahr 2012Drucksache 18/179Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
SportausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für TourismusAusschuss Digitale AgendaBei diesen Tagesordnungspunkten handelt es sich umÜberweisungen im vereinfachten Verfahren ohne De-batte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen. Ich frage Sie jetzt, ob Sie damit einverstan-den sind. – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisun-gen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 i sowiedie Zusatzpunkte a bis f auf. Es handelt sich um die Be-schlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Ausspra-che vorgesehen ist.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 a auf:Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENBildung der Kommission „Lagerung hoch ra-dioaktiver Abfallstoffe“ – Verantwortung fürnachfolgende Generationen übernehmenDrucksache 18/1068Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag mit denStimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grü-nen gegen Stimmen der Linken angenommen worden.Ich komme zum Tagesordnungspunkt 8 b:Beratung des Antrags der AbgeordnetenHubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, RalphLenkert, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKEAtommüll-Endlagersuche vom Kopf auf dieFüße stellenDrucksache 18/1069Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag mit denStimmen der Koalition und der Grünen gegen die Stim-men der Linken abgelehnt worden.Damit komme ich zu den Tagesordnungspunkten 8 cbis 8 i. Das sind die Beschlussempfehlungen des Peti-tionsausschusses.Tagesordnungspunkt 8 c:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 33 zu PetitionenDrucksache 18/985Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 33 mit denStimmen des gesamten Hauses angenommen worden.Tagesordnungspunkt 8 d:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 34 zu PetitionenDrucksache 18/986Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 34 mit allenStimmen des Hauses angenommen worden.Tagesordnungspunkt 8 e:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 35 zu PetitionenDrucksache 18/987Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 35 mit denStimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmender Fraktion Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden.Tagesordnungspunkt 8 f:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 36 zu PetitionenDrucksache 18/988Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 36 mit allenStimmen des Hauses angenommen worden.Tagesordnungspunkt 8 g:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 37 zu PetitionenDrucksache 18/989Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 37 mit denStimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion DieLinke gegen Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen an-genommen worden.
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Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Tagesordnungspunkt 8 h:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 38 zu PetitionenDrucksache 18/990Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 38 mit denStimmen der Koalitionsfraktionen und von Bündnis 90/Die Grünen gegen Stimmen der Fraktion Die Linke an-genommen worden.Tagesordnungspunkt 8 i:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 39 zu PetitionenDrucksache 18/991Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 39 mit denStimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmenvon Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linkeangenommen worden.Ich komme zum Zusatzpunkt a:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-gie zu dem Antrag der Abgeord-neten Kerstin Andreae, Oliver Krischer,Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENWettbewerbsfähigkeit durch Innovation undZukunftsinvestitionen sichernDrucksachen 18/493, 18/794Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 18/794, den Antrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/493 abzuleh-nen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Aus-schusses? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Damit ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses mitden Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstim-men von Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung derFraktion Die Linke angenommen worden.Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungendes Petitionsausschusses.Zusatzpunkt b:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 40 zu PetitionenDrucksache 18/1098Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 40 mit denStimmen des gesamten Hauses angenommen worden.Zusatzpunkt c:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 41 zu PetitionenDrucksache 18/1099Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 41 mit denStimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmender Fraktion Die Linke bei Enthaltung der FraktionBündnis 90/Die Grünen angenommen worden.Zusatzpunkt d:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 42 zu PetitionenDrucksache 18/1100Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 42 mit denStimmen des gesamten Hauses angenommen worden.Zusatzpunkt e:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 43 zu PetitionenDrucksache 18/1101Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 43 aufDrucksache 18/1101 mit den Stimmen der Koalitions-fraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beiGegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommenworden.Zusatzpunkt f:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 44 zu PetitionenDrucksache 18/1102Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 44 mit denStimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmendes Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion DieLinke angenommen worden.Damit haben wir diesen großen Komplex abgeschlos-sen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 a auf:Wahl der Mitglieder der „Kommission Lage-rung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ gemäߧ 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 und 2, Satz 3des StandortauswahlgesetzesDrucksache 18/1070Hierzu liegt mir eine persönliche Erklärung zur Ab-stimmung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deut-schen Bundestages von Julia Verlinden, Peter Meiwald
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Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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und Corinna Rüffer vor. Diese nehmen wir ins Protokollauf.1)Wer stimmt dem Wahlvorschlag der Fraktionen derCDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf derDrucksache 18/1070 zu? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Damit ist dieser Vorschlag mit den Stim-men der Koalitionsfraktionen und der Mehrheit derStimmen von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim-men der Fraktion Die Linke und bei wenigen Enthaltun-gen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommenworden.Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 b auf:Wahl der Mitglieder der „Kommission Lage-rung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ gemäߧ 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3, Satz 4 und 5des StandortauswahlgesetzesDrucksache 18/1071Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag aller Fraktio-nen des Hauses? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Damit ist dieser Wahlvorschlag bei drei Enthal-tungen des Bündnisses 90/Die Grünen und Zustimmungdes übrigen Hauses angenommen worden.Wir setzen die Haushaltsberatungen jetzt fort undkommen zu dem Geschäftsbereich des Bundesministe-riums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,Einzelplan 17.Als erste Rednerin hat das Wort die BundesministerinManuela Schwesig.
Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren Abgeordnete! „Ohne Moos nix los“, so wür-den es wahrscheinlich viele Jugendliche spätestens mor-gen, wenn für die meisten die Osterferien beginnen, zuihren Eltern sagen, wenn es darum geht, am Abend nocheinmal loszuziehen und vorher mit den Eltern eine Ta-schengeldverhandlung aufzunehmen. In dieser Haus-haltsdebatte stellt sich ebenfalls die Frage: Wie ist daseigentlich mit den Jugendlichen? Ist es so, dass die Altenzu viel in unserem Haushalt bekommen und dass dieJungen zu schlecht dabei wegkommen? Diese Genera-tionenfrage wird in dieser Debatte beim Thema „Rentemit 63“ und beim Thema „Mütterrente“ gestellt.Ich halte diese Debatte für falsch
und auch für viel zu kurz gesprungen. Im Übrigen siehtes die junge Generation genauso. 83 Prozent der 18- bis29-Jährigen finden es gerecht, dass wir die Mütterrenteaufstocken, und 75 Prozent finden die abschlagsfreieRente mit 63 gerecht.1) Anlage 2Gibt es also einen Generationenkonflikt? Junge Men-schen sagen und wissen, dass sie länger arbeiten müssen.83 Prozent der jungen Menschen gehen davon aus, dasssie für ihr Alter privat vorsorgen müssen. Die über-wiegende Mehrheit der jungen Menschen geht aber vorallem davon aus, dass dieses Thema nur im Zusam-menspiel der Generationen und nicht in einem Gegenei-nander zu lösen ist. Ich finde, Politik wäre klug beraten,auf junge Menschen zu hören. Es geht um ein Miteinan-der der Generationen und nicht um ein Gegeneinander.
Genau diese Aufgabe sehe ich: ein Miteinander undnicht ein Gegeneinander der Generationen zu fördernund darauf zu schauen, was sich die jungen Menschenwünschen. Sie wünschen sich gute Bildung, eine guteAusbildung. Sie wünschen sich, die Chance zu haben,Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Daranmüssen wir messen, ob wir für die jungen Menschen inunserem Land genug tun.
Diese Frage müssen sich alle Fraktionen hier imRaum stellen. Denn die Frage von guter Bildung fängt inder Kita an und geht über die Ganztagsschule bis hin zuAusbildung und Hochschule. Die Frage von guter Aus-bildung wird auch in Kommunen und Ländern entschie-den. Das gilt auch für die Frage der Vereinbarkeit vonFamilie und Beruf. Insofern stehen wir alle hier gemein-sam in der Verantwortung; schließlich tragen unsere Par-teien in Kommunen und Ländern Verantwortung.Was tun wir im Bund? Wir haben uns im Koalitions-vertrag darauf geeinigt, die Bildungskette um 6 Milliar-den Euro weiter zu unterstützen, weil es wichtig ist, dassKommunen und Länder die Möglichkeit haben, in Bil-dung zu investieren. Bildung fängt am Anfang des Le-bens an. Es ist wichtig, in den Ausbau und vor allem indie Qualität von Kitas, Ganztagsschulen, Ausbildungund Hochschulen zu investieren. Folglich ist es gut, dasswir in den nächsten Jahren diese 6 Milliarden Euro in-vestieren. Da gibt es keinen Streit zwischen den Häu-sern, sondern Bund und Länder müssen sich verständi-gen. Da können Sie, verehrte Abgeordnete der Grünenund der Linken, gern mithelfen.
Der Bund wird außerdem weiter den Kitaausbau un-terstützen. Schon bevor diese Koalition stand, haben wirin den Koalitionsverhandlungen dafür gesorgt, dass dieGelder – 161 Millionen Euro in 2013 – nicht versanden,weil sie nicht abgerufen werden, sondern dass sie weiterzur Verfügung stehen.
Wir werden in den nächsten Jahren dafür sorgen, dassdie laufenden Kosten für den Betrieb von Kitas nichtweiter ansteigen. Das kommt der Qualität in den Kitaszugute. Das ist ein gerechter Beitrag für Kinderpolitik inunserem Land.
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Bundesministerin Manuela Schwesig
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Wir wollen außerdem Kinder schützen. Wir werdenzur Unterstützung von Familien mit kleinen Kindern zu-sätzlich 6 Millionen Euro für das Netzwerk „Frühe Hil-fen“ ausgeben. Es geht darum, dass wir Familien stark-machen, sodass Kinder aus Familien nicht herausgeholtwerden müssen, weil die Spirale des Drucks dies er-zwingt. Ich wiederhole: Wir müssen Familien früh stark-machen. Wir müssen Kinder und ihre Familien schützen.Wir werden zusätzlich 4 Millionen Euro für dieSprachförderung zur Verfügung stellen, für eine guteBildung, für Bildung von Anfang an. 4 Millionen Eurofür Sprachförderung in Kitas zusätzlich!
Wir werden außerdem dafür sorgen, dass eine eigen-ständige Jugendpolitik gemacht werden kann. JungeMenschen wünschen sich, nicht nur über Jugendarbeits-losigkeit und Komasaufen definiert zu werden,
sondern sie wünschen sich eine eigenständige Jugend-politik, die ihnen Freiräume für ihre Interessen und Be-dürfnisse eröffnet.
Hierfür brauchen wir die Jugendverbände. Deshalb wer-den wir die Jugendverbände weiter unterstützen. EinSignal geht von diesem Haushalt aus: Wir werden dieFörderung der Jugendverbände verstärken. Diese Förde-rung aus dem Kinder- und Jugendplan 2014 steigt, ein-schließlich der Förderung von Jugendorganisationenpolitischer Parteien, auf 16,82 Millionen Euro an.Junge Menschen in unserem Land – das zeigt eine ak-tuelle Allensbach-Studie, die ich Ihnen hier exklusivvorstelle – wünschen sich auch Familie. 20- bis 34-Jäh-rige haben eine hohe Berufsorientierung, aber auch denWunsch nach einer eigenen Familie. Dazu brauchen wirZeit, Geld und Infrastruktur. Deswegen investieren wirin gute Ganztagskitas und Ganztagsschulen. Deswegenstellen wir dafür Geld zur Verfügung.Wir investieren aber auch 130 Milliarden Euro in Fa-milienleistungen, unter anderem in das Elterngeld. DasElterngeld wächst in diesem Haushalt auf, weil immermehr Frauen berufstätig sind und zum Glück auch im-mer mehr Männer, die arbeiten, Elternzeit nehmen. Andieser Stelle will ich allen Kritikern, die immer wiedermonieren: „Das Elterngeld wird zu teuer“, sagen: Das istgut angelegtes Geld.
Die Eltern, die arbeiten und den Spagat zwischen Berufund Familie wagen, sind die Leistungsträger dieser Ge-sellschaft. Deshalb ist es gerecht, dass wir sie unterstüt-zen.Wir werden sie in Zukunft mit dem ElterngeldPlusnoch besser unterstützen. Ich danke ausdrücklich HerrnDr. Schweitzer aus der Wirtschaft, der anders als andereschnell erkannt hat, wie gut die Idee der Familienarbeits-zeit ist. Es ist wichtig, Zeit für Familie zu haben.
Aber nicht immer braucht man Geld, um Gewinn zumachen. Ein Gewinn wird sein, wenn mehr Frauen inFührungspositionen ankommen. Deswegen werden wirein Gesetz zur Förderung von Frauen in Führungsposi-tionen auf den Weg bringen. Ich habe bewusst die Eck-punkte bzw. die Leitlinien vorgelegt, um mit Wirtschaftund Gewerkschaften ins Gespräch zu kommen. Es gehtnicht darum, ihnen einen Gesetzentwurf aufzutischenund zu sagen: So wird es jetzt gemacht. – Es geht darum,gemeinsam eine Lösung dafür zu finden, wie wir mehrFrauen in Führungspositionen bekommen. Junge Frauen,alle Frauen in Deutschland, die gut ausgebildet sind,wollen und müssen in Führungspositionen. Für uns istdie Frage der Quote nicht mehr eine Frage des Ob, son-dern eine Frage des Wie. Die Frauenquote wird kom-men, und sie wird ein Gewinn für Deutschland sein.
Es geht auch darum, Zeit für Familie zu haben, wennpflegebedürftige Angehörige in der Familie sind; daswünschen sich laut der Umfrage übrigens auch die jun-gen Menschen. Zwei Drittel der jungen Menschen sindbereit, ihre Familie zu unterstützen, wenn Pflegebedarfbesteht. Deswegen ist es gut und richtig, dass wir jetzteine Pflegereform auf den Weg bringen, mit der dafürgesorgt wird, dass mehr Zeit zur Verfügung steht und diePflegefachkräfte besser bezahlt werden.Ich habe mich mit Herrn Gröhe darauf geeinigt, dasswir aus der Pflegeversicherung auch eine Auszeit fürFamilien finanzieren:
die zehntägige Auszeit für Familien, um einen akutenPflegefall zu organisieren. Das ist ein wichtiger Beitragfür bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, einwichtiger Beitrag für die Familien in Deutschland, finan-ziert aus der Pflegeversicherung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich kommemit meiner Redezeit in einen Generationenkonflikt, weilin diesen acht Minuten natürlich nicht alles zu sagen ist.Wir haben noch viele andere wichtige Programme undProjekte im Haushalt abgesichert. Der Haushalt steigtan.Einen letzten Punkt möchte ich ansprechen; dieserfindet sich noch nicht im Einzelplan wieder, kommt aberhinein. Ich weiß, dass uns die Unterstützung für heuteErwachsene, die als Kinder und Jugendliche Gewalt undDruck in Kinderheimen der DDR erlebt haben, gemein-sam ein wichtiges Anliegen ist; Herr Patzelt hat es letz-tens angesprochen. In der letzten Legislaturperiodewurde über Parteigrenzen hinweg und in Abstimmungzwischen Bund und Ländern ein Fonds aufgelegt. Das
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Bundesministerin Manuela Schwesig
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Geld reicht nicht. Wir brauchen vielleicht noch einmal200 Millionen Euro.Ich freue mich, dass es uns gelungen ist – ich dankean dieser Stelle ausdrücklich meiner Mannschaft, aberauch den Länderkollegen –, eine Einigung zu erzielen.Wir werden den Fonds „Heimerziehung Ost“ aufsto-cken. Der Bund ist bereit, 100 Millionen Euro zusätzlichzur Verfügung zu stellen – mit dem Länderanteil zusam-men wären das dann 200 Millionen Euro; eine ersteTranche ist in 2014 vorgesehen –, damit die Menschen,die zur DDR-Zeit Unrecht erlitten haben, darauf ver-trauen können, dass wir im 25. Jahr des Mauerfalls anihrer Seite stehen und sie nicht im Stich lassen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Generationen-gerechtigkeit bemisst sich auch daran, dass wir unserenKindern und Enkeln nicht immer größere Schuldenbergehinterlassen. Deshalb stehe ich als Familienministerin inder Verantwortung, dass wir auch in den nächsten Jahreneinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen und uns auf denWeg machen, Schulden abzubauen. Das geht. Das kenneich bereits aus meinem Heimatbundesland. Dennochsage ich: Die Generationengerechtigkeit darf nicht aufdem Rücken der Kinder und Jugendlichen ausgetragenwerden.
Es muss uns beides gelingen: Wir müssen Schulden ab-bauen und gleichzeitig mehr für die Kinder und Jugend-lichen investieren. Das tun wir. So sieht Generationenge-rechtigkeit aus.Danke.
Als nächster Redner hat der Kollege Michael Leutert
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben das Ministeriumvon Kristina Schröder übernommen. Damit haben Sie ei-gentlich eine leichte Aufgabe: Es kann nämlich nur bes-ser werden.
Als erste Maßnahme haben Sie die Extremismus-klausel gestrichen. Das war ein wichtiger und richtigerSchritt, den wir als Linke sehr begrüßen.
Wir beraten heute den Haushalt des Bundesministeriumsfür Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Das ist eingroßes Aufgabenspektrum. Dafür stehen 8 MilliardenEuro zur Verfügung. Das sind allerdings nur 2,6 Prozentdes Gesamtetats. Davon muss man noch die 7 MilliardenEuro abziehen, die gesetzlich gebunden sind, weil jaLeistungen wie zum Beispiel das Elterngeld oder dasBetreuungsgeld, also das Lieblingsprojekt der CSU, dieHerdprämie, den Betroffenen zustehen. Nach Abzug die-ser Leistungen und der Personal- und Verwaltungskostenbleibt nicht einmal 1 Milliarde Euro übrig, um den gro-ßen Aufgabenbereich, der hier beschrieben wurde, aus-zufüllen. Angesichts der Ziele, die Sie sich gesteckt ha-ben, und angesichts der Probleme, die zu lösen sind,bleibt kein großer Handlungsspielraum.Ihre Ziele haben Sie so formuliert: moderne Familien-politik, starke Gleichstellungspolitik, gute Kinderpolitik,engagierte Jugendpolitik, eine Seniorenpolitik, die dazubeiträgt, dass sich die Älteren mehr einbringen können,und Stärkung von Demokratie und Toleranz. Das ist al-lerdings, ehrlich gesagt, etwas dürftig, weil ich nichtweiß, was ich mir darunter vorstellen soll. Wo sind dennIhre Konzepte für eine moderne Familienpolitik? Washeißt eigentlich bei Ihnen „gute Kinderpolitik“ oder„engagierte Jugendpolitik“? Bis jetzt sind es einfach nurÜberschriften, die erst einmal ausgefüllt werden müssen.Da ist das Parteiprogramm der Linken konkreter.
Dass Sie nichts in der Hand haben, merkt man amvorliegenden Haushalt. Da steht einfach nichts Neuesdrin. Es ist nichts Innovatives dabei. Es ist die Fort-schreibung des alten Haushaltes.
Sie wollen bzw. müssen 1 Milliarde Euro mehr ausge-ben, weil es einen höheren Bedarf beim Elterngeld gibtund weil Sie das von der CSU durchgedrückte Lieblings-projekt, die Herdprämie, umsetzen müssen. Zugleich hatsich auch die CDU in Person von Wolfgang Schäublegegen Sie durchgesetzt: So kommt die Kindergelderhö-hung erst ab 2016. Im Übrigen hat schon Schwarz-Gelbdas Kindergeld nicht erhöht. Sie setzen diese Politik jetztfort.
Auf diesem Weg bekommen Sie keine Unterstützung derLinken.Im Gegensatz zu Ihren Zielen sind die Probleme un-serer Gesellschaft wesentlich konkreter.Stichwort Kinderarmut: 2,5 Millionen Kinder inDeutschland – das sind ungefähr 20 Prozent – leben inArmut oder sind von Armut bedroht. Zu diesem Themahabe ich von Ihnen noch gar nichts gehört. Aber genaudaran wird man Sie messen, ob es den Kindern inDeutschland nach vier Jahren Großer Koalition besseroder schlechter geht. Die Mehrheit der Bürgerinnen undBürger möchte, dass es in diesem Bereich zu Verbesse-
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Michael Leutert
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rungen kommt. Das hat eine Umfrage des DeutschenKinderhilfswerks gezeigt. 66 Prozent der Bürgerinnenund Bürger wären sogar bereit, mehr Steuern zu bezah-len, um die Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen.Das zweite Problem, das ich ansprechen möchte, istRechtsextremismus. In Ihrem Etat befinden sich die Pro-gramme gegen Rechtsextremismus und seit KristinaSchröder auch die Programme gegen Linksextremismus.Bitte erklären Sie uns doch einmal, warum Sie die Praxisfortsetzen, dass die Projekte gegen Linksextremismus zu90 Prozent, die Programme gegen Rechtsextremismusjedoch lediglich mit 50 Prozent bezuschusst werden. Ichsage Ihnen: Allein in Sachsen gab es im Jahr 2013 wie-der 223 Angriffe von Rechtsextremisten. Das waren68 Angriffe mehr als im Jahr 2012. Es ist ganz klar: Wirhaben auf der Straße kein Problem mit Linksextremis-ten; wir haben auf der Straße ganz klar ein Problem mitNazis.
Dem müssen die Programme auch Rechnung tragen.Im Übrigen halte ich es für ein ewiges Dilemma, dassdie Initiativen gegen rechts immer wieder um ihr Geldbangen müssen. Gerade in diesem Bereich halte ich eineinstitutionelle Förderung für sehr angebracht.
Das wäre im Übrigen auch eine Form der Anerkennungder Menschen, die sich Rechtsextremisten und Nazis indiesem Land engagiert entgegenstellen.Dritter Punkt, den ich ansprechen möchte: Bundes-freiwilligendienst. Dieser Dienst wurde ja als Ersatz fürden wegfallenden Zivildienst eingeführt. Das war allesgut gemeint, aber schlecht gemacht.
Das beginnt damit, dass wir auf Bundesebene mittler-weile eine Vielzahl an Freiwilligendiensten haben. Sieexistieren alle nebeneinander her. Da gibt es den freiwil-ligen sozialen Dienst, den freiwilligen ökologischen Dienst,den internationalen Freiwilligendienst, den kulturellen Frei-willigendienst im Ausland, den Zivilen Friedensdienst, denentwicklungspolitischen Freiwilligendienst und dann ebenauch noch den Bundesfreiwilligendienst.
– Ja. Ich frage Sie aber: Wäre es nicht sinnvoll, dieseDienste zu koordinieren, zusammenzufassen und einenJugendfreiwilligendienst hier im Land zu schaffen? –
Das ist im Übrigen eine Sache, die Sie, Frau Ministerin,persönlich in einer Pressemitteilung gefordert haben, alsder Bundesfreiwilligendienst 2011 eingeführt wurde. Siehaben damals gesagt:Frau Schröders Gesetz … ist und bleibt der falscheWeg. Hier werden Doppelstrukturen geschaffen, die… unnötig Geld verbraten. Die Bundesfamilien-ministerin hat damit die einmalige Chance vertan,… einen einheitlichen und für die Jugendlichenattraktiven Freiwilligendienst zu schaffen …
Ich kann Ihnen nur sagen: Verpassen Sie jetzt nicht dieChance!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Ministerin, ichglaube, es gibt in dem Bereich viel zu tun. Legen Siebitte in den nächsten Wochen Konzepte zu Ihren Ankün-digungen vor, damit wir die Haushaltsberatungenordentlich führen können. Befreien Sie sich insbeson-dere von den Erblasten Ihrer Vorgängerin und von denDaumenschrauben, die Ihnen von der Union angelegtwerden.
Stellen Sie einen Haushalt mit Ihrer Handschrift auf!Den jetzt vorliegenden Etat können wir als Linke sonicht unterstützen.Danke.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Nadine Schöndas Wort.
Nadine Schön (CDU/CSU):Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Herr Leutert, ich finde es unglaublich, dassSie hier ans Rednerpult gehen und offensichtliche Un-wahrheiten verbreiten. Sie waren auch in der letzten Le-gislaturperiode Mitglied dieses Haushaltes.
– Des Hauses. Ich weiß nicht, ob Sie damals schon imHaushaltsausschuss waren, aber Sie waren Mitglied desParlamentes. – Als erste Maßnahme hatte die damaligeKoalition das Kindergeld und den Kinderfreibetrag er-höht, genau so, wie wir es im Wahlprogramm verspro-chen hatten.
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Nadine Schön
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Und Sie stellen sich hier hin und sagen, das Kindergeldsei nicht erhöht worden. Das ist eine Lüge, und es wäregut, wenn Sie das öffentlich richtigstellen würden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushalt desMinisteriums umfasst 7,96 Milliarden Euro. Das sind7,96 Milliarden Euro, die einem wichtigen Ziel dienen,nämlich der Stärkung des Zusammenhalts unserer Ge-sellschaft. Wir wollen mehr Miteinander und mehr Ge-meinsamkeit, auch zwischen den Generationen, zwischenden Kulturen. Darum geht es uns in der Familienpolitik;dafür setzen wir uns mit den 7,96 Milliarden Euro in die-sem Haushalt ein.Jetzt wissen wir: Es ist nicht der Staat allein, der denZusammenhalt in der Gesellschaft stärken kann. DasGeld kann nur Mittel dazu sein und dabei helfen. Es sinddie Menschen, die den Zusammenhalt stärken können.Deshalb ist es so, sehr geehrter Herr Leutert, dass mehrGeld nicht automatisch zu mehr Zusammenhalt führt.Die Mittel allein schaffen noch keinen Zusammenhalt.Nein, wenn man sich die einzelnen Titel des Haushaltsanschaut, dann erkennt man: Wir verbinden damit klareBotschaften.Da ist zum einen das Thema Bundesfreiwilligen-dienst, das auch Sie erwähnt haben. 167 Millionen Eurostecken wir in den Bundesfreiwilligendienst. Danebenfördern wir unter anderem aus dem Kinder- und Jugend-plan des Bundes viele Projekte im Bereich der Kinder-und Jugendpolitik, die mit insgesamt 383 MillionenEuro zu Buche schlagen.Wenn Sie sagen, es sei blöd, dass es einen ökologi-schen, einen sozialen und einen kulturellen Freiwilligen-dienst gibt, dann sage ich Ihnen: Genau das ist das Guteam Bundesfreiwilligendienst.
Jeder Jugendliche soll selbst entscheiden, wofür er sichengagieren möchte. Mit diesen Mitteln senden wir genaudiese Botschaft: Engagiert euch! Setzt euch für andereein! Nehmt euch die Zeit für ein Gespräch mit anderen!Nehmt euch ein halbes Jahr oder ein Jahr Zeit! Stellteuch in den Dienst der Sache und dient damit auch unse-rem Vaterland! Bringt unser Land voran! Sie können daskritisieren und gerne einen Einheitsdienst für alle for-dern. Ich glaube nicht, dass es das ist, was die Menschenin unserem Land wollen. Gerade die vielen Jugendli-chen, die sich engagieren, sollten Sie doch loben, solltenSie animieren, sich mehr zu engagieren, statt zu fordern:Wir wollen lieber einen Einheitsdienst für alle, am bes-ten noch mit einer einheitlichen Uniform.
Wir setzen gemeinsam mit Bundesgesundheitsminis-ter Gröhe im Haushalt einen deutlichen Schwerpunkt aufdas Thema Pflege. Auch damit ist eine Botschaft ver-bunden, nämlich die Botschaft: Wir wollen anerkennen,dass die allermeiste Pflegearbeit in diesem Lande zuHause in den Familien geleistet wird. Mit sehr viel Zeit,mit sehr viel Liebe und mit sehr viel Aufopferung wer-den die meisten Menschen in unserem Land gepflegt,und das wollen wir stärker politisch unterstützen.Wir wollen auch die harte Arbeit derjenigen, die inden Pflegeheimen arbeiten, besser anerkennen. Wir wol-len nach Wegen suchen, sie zu entlasten. Auch das isteine Botschaft dieses Haushaltes, auch das dient demZusammenhalt unserer Gesellschaft.In dieser Legislaturperiode wollen wir gerade auf die-sen wichtigen Punkt besonderes Augenmerk legen; dennPflege betrifft alle Familien. Es hat zwar nicht jeder Kin-der, aber jeder hat Eltern. Deshalb machen wir, die Fami-lienpolitiker und Gesundheitspolitiker, die Pflege zumSchwerpunkt unserer gemeinsamen Arbeit.
Wir geben 5,3 Milliarden Euro für das Elterngeld aus.Auch damit ist eine Botschaft verbunden, nämlich dieBotschaft: Wir wollen, dass Kinder in unserem Landwillkommen sind. Wir wollen, dass Familien, geradejunge Familien, in den ersten Jahren Zeit für Familie ha-ben, dass sie selbst entscheiden können, wie sie leben,und dass sie selbst entscheiden können, wie sie Zeit fürFamilie und Berufstätigkeit miteinander verbinden. Wirwollen das Elterngeld deswegen noch weiter flexibilisie-ren, wir wollen die Partnerschaftlichkeit stärken. DasElterngeld ist ein Erfolgsmodell, das ElterngeldPluswird ebenfalls ein Erfolgsmodell sein. Deshalb investie-ren wir mehr als 5,3 Milliarden Euro, und ich finde, dasist sehr gut angelegtes Geld.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hinter all diesenMaßnahmen steckt die Botschaft: Wir wollen ein fami-lienfreundliches Deutschland. Doch lassen Sie uns auchein bisschen selbstkritisch sein. Schauen wir uns einmalan, wie viel Geld wir in Familien investieren. Das be-trifft nicht nur diesen Haushalt. Bund, Länder, Kommu-nen bringen zusammengerechnet 200 Milliarden Euroauf, die in Deutschland in die Familien fließen. Wennwir das mit anderen Ländern vergleichen, dann sehenwir: In Frankreich zum Beispiel gibt der Staat viel weni-ger Geld für Familien aus, trotzdem gilt Frankreich alsfamilienfreundlicheres Land als Deutschland.
– Wir müssen uns die Frage stellen, woran das liegt. Dagebe ich Ihnen, liebe Kollegin, völlig Recht.Lassen Sie uns gemeinsam überlegen, ob unser All-tag, ob unser Leben und unsere Arbeit an die Familienwirklich die Botschaft sendet: Ihr seid willkommen in
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Nadine Schön
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Deutschland, wir wollen familienfreundlich sein, wirwollen, dass Kinder, dass ältere Menschen ganz normaldazugehören, wir wollen, dass Familien mehr Kinder be-kommen. Ich finde: In ganz vielen Bereichen ist dasnicht der Fall.Es ist von daher gut, dass Eric Schweitzer für denDIHK gesagt hat, sie wollen das Thema flexible Arbeits-zeiten wieder intensiver angehen. Aber ich sage auch:Damit allein ist es leider nicht getan. Mit flexiblen Ar-beitszeiten allein schafft man noch keine Familien-freundlichkeit. Dazu gehört auch, dass die Unternehmenhinterfragen, ob sie den Beschäftigten in Teilzeit ebensoKarrierewege eröffnen. Sie müssen sich auch fragen, obman nicht den Alltag im Unternehmen ändern kann, obman die Meetings aus den Abendstunden in die Kernzeitverlegen kann und ob tatsächlich derjenige der Fleißigsteist, der am längsten im Büro sitzt. Da muss viel mehrpassieren. Änderungen beim Thema Arbeitszeiten alleinreichen nicht aus.Wir sind dennoch froh, dass die Initiative Familienbe-wusste Arbeitszeiten, die Politik und Wirtschaft in derletzten Legislaturperiode gemeinsam aufgelegt haben,nun verstärkt angegangen wird. In allen Unternehmensoll die Frage gestellt werden, wie man familienfreundli-cher werden kann. Das kommt den Menschen in unse-rem Land zugute, das kommt aber auch den Unterneh-men zugute; denn sie brauchen die Fachkräfte. Ich setzesehr darauf, dass sich vieles im Alltag der Unternehmenändert.Im Alltag der Menschen muss sich ebenfalls etwasändern. Wenn wir Einkaufen gehen, stellen wir fest, dassviele Geschäfte nicht familienfreundlich sind. Es gibt oftkeine Eltern-Kind-Parkplätze. Es gibt oft keine geeigne-ten Kassen. Es gibt oft keinen Raum, wo Eltern ihre Kin-der wickeln und stillen können. In all diesen Bereichensind andere Länder viel familienfreundlicher. Das magnach Banalitäten klingen, aber ich glaube, diese kleinenDinge machen unseren Alltag, unser Leben familien-freundlicher. Darauf müssen wir auch als Politik ein stär-keres Augenmerk legen.
Wir brauchen eine breite Debatte darüber, wie wir un-ser Land familienfreundlicher machen. Wir brauchenebenfalls eine breite Debatte darüber, wie wir unser Landgenerationenfreundlicher machen. Über das Thema Gene-rationengerechtigkeit wird in diesen Tagen sehr viel dis-kutiert, gerade im Zusammenhang mit dem ThemaRente. Dazu möchte ich eines sagen: Wir geben nun sehrviel Geld für die Mütterrente aus; das stimmt. Vielejüngere Menschen in unserem Land beklagen sich undsagen: Das ist ein Angriff auf die Generationengerech-tigkeit. Ich sage: Das ist kein Angriff auf die Generatio-nengerechtigkeit. Die Mütterrente ist ein wichtiges Ele-ment der Generationengerechtigkeit; denn hätte es dieMütter damals nicht gegeben, dann gäbe es uns heuteauch nicht. Ich finde es schon ziemlich vermessen, dasswir Jungen jetzt sagen: Tja, wir haben drei Renten-punkte, wir haben Kitabetreuung, wir haben Elterngeldund Betreuungsgeld, wir haben steuerliche Entlastungen,die steuerliche Absetzbarkeit, wir haben kostenloseNachmittagsbetreuung, Kitas, Kindergärten, alles, wasman sich vorstellen kann, aber wir gönnen unseren Müt-tern, die all das nicht hatten, den zweiten Rentenpunktnicht.
Das hat etwas mit Ehrlichkeit und Generationengerech-tigkeit zu tun.
Deshalb bin ich der Meinung, dass wir auch für die Müt-terrente eintreten müssen; denn auch sie ist ein Teil derGenerationengerechtigkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben viel zutun. Der Haushalt enthält viele gute Projekte, die dieMenschen in unserem Land umsetzen müssen. Wir ha-ben das Ziel, den Zusammenhalt in unserer Gesellschaftzu stärken. Das wollen wir als Familienpolitiker tun. Wirbrauchen dafür aber auch die Wirtschaft. Wir brauchendie Gesellschaft. Wir brauchen die Taktgeber des All-tags. Deshalb kann ich nur alle ermuntern, die großenFragen zum Thema Familienfreundlichkeit gemeinsamzu diskutieren. Dann können wir vieles für unser Landerreichen. Dann bekommen wir auch wieder Lust aufKinder
und Lust auf Familie. Dafür lohnt es sich zu arbeiten.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ekin Deligöz
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Das, was die Vertreterin der Koalitionsfraktionen hiergesagt hat, und das, was Sie, Frau Ministerin, gesagt ha-ben, hört sich alles sehr gut an.
Das ist alles sehr wohlklingend. Auch Ihr Koalitionsver-trag liest sich zunächst ganz gut.
Wenn man sich dann den Haushaltsentwurf, den Sie unsvorgelegt haben, ansieht, ist man enttäuscht, weil sichnichts von dem, was Sie hier versprechen, in Ihrer Vor-lage abbildet.
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Ekin Deligöz
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Ihr Anspruch und die Realität klaffen extrem auseinan-der.Ja, Ihr Einzelplan wächst, aber doch nur wegen stei-gender Inanspruchnahme von Elterngeld und Betreu-ungsgeld. Sie reden hier großartig von Ausbau und Qua-lität der Kindertagesbetreuung. Wo spiegelt sich dasdenn wider? Diese Aufgabe ist dringend. Wir unterstüt-zen Sie. Wir stehen dabei an Ihrer Seite und kämpfen da-für. Aber statt sich dafür einzusetzen, machen Sie darauserst einen Ressortstreit. Dann sagen sie hier: Ein richti-ger Ressortstreit ist das nicht; die Länder sind auch nochmit dabei. Und dann befürworten Sie so eine Art Pau-schalüberweisung ohne Bindung an einen Auftrag. Siekämpfen ja noch nicht einmal dafür, Frau Ministerin.Wir hätten von Ihnen wenigstens erwartet,
dass Sie sich dafür einsetzen, dafür einstehen und kämp-fen, dass Sie sagen: „Ja, ich will mich für die Qualitäteinsetzen“, statt hier weichzuspülen und sich herauszu-reden.
Sie könnten zum Beispiel Qualität verbindlich ma-chen, indem Sie Standards setzen. Sie könnten das Kin-der- und Jugendhilfegesetz ändern und sagen: „Das istverbindlich“, und nur dann das Geld überweisen. Aberdas machen Sie nicht. Das steht noch nicht einmal in Ih-rem Koalitionsvertrag. Dieses Thema nehmen Sie nochnicht einmal mehr in den Mund. Im Wahlkampf sah dasanders aus.Selbst von den in Aussicht stehenden 1,5 MilliardenEuro findet sich nichts in Ihrem Haushalt. Wenn Sie dassozusagen trotzdem anpreisen, haben Sie den Kampfschon verloren, und mit Ihnen haben auch die Kinderund die Eltern diesen Kampf verloren. Das ist der Auf-trag an Sie. Leider reichen warme Worte da nicht aus.Sie müssen jetzt dazu stehen.
Das, was beim Elterngeld passiert, ist gut und er-wünscht. Wir wollen, dass es von mehr Vätern in An-spruch genommen wird. Aber von einem Erfolgsmodellkönnen wir beim Betreuungsgeld schon nicht mehr spre-chen. Es bindet eine halbe Milliarde Euro – das wirdjetzt immer mehr; die SPD klang da schon einmal ganzanders –, und Sie alle wissen doch, dass wir das Geldbrauchen. Die gleichzeitige Teilerwerbstätigkeit von El-ternpaaren hätten wir längst haben können. Es ging abernicht, weil das Geld fehlte. Über die Partnermonate imElterngeld reden wir gar nicht mehr. Beim Kindergeldstreiten Sie, Frau Schön. Ja, in der letzten Wahlperiodehaben Sie etwas geändert.
In dieser Wahlperiode werden Sie die Freibeträge für dieBesserverdienenden anpassen. Für die Kindergeldemp-fänger wird womöglich gar nichts herausspringen.
Und die Kinder von Eltern im ALG-II-Bezug schauenaus der Ferne zu. Das ist Ihre Art von Gerechtigkeit indiesem Land: Wer nichts hat, der geht leer aus. Damitrühmen Sie sich hier auch noch.
Überhaupt: Zum Thema Kinderarmut habe ich bisherkein einziges Wort gehört. Weder in Ihrem Koalitions-vertrag noch in den Reden findet Kinderarmut überhauptnoch Platz. Das verwundert mich auch nicht. Eine Re-form des Kinderzuschlags wird in den kommenden vierJahren ausbleiben. Ein angemessener Regelsatz wird,wenn überhaupt, in die weite Ferne verschoben werden.Der Unterhaltsvorschuss wird definitiv unangetastetbleiben. Alleinerziehende Mütter, die vorwiegend vonArmut betroffen sind, bekommen zwar einen Freibetrag– den Sie vielleicht anheben wollen –, aber nur die, dieauch ein entsprechendes Gehalt haben, profitieren da-von. Alle anderen werden leer ausgehen.Ich wünschte mir von Ihnen wirklich mehr Einsatz,Frau Ministerin; denn eigentlich wissen Sie es besser.Sie waren einmal eine Ministerin, die genau diese The-men in die Hand genommen hat. Umso enttäuschenderist, dass Sie jetzt eine solche Vogel-Strauß-Politik ma-chen und das alles gar nicht mehr wahrnehmen wollen.
Frau Ministerin, Sie haben womöglich auch keine an-dere Chance. Sie wollen verwalten statt gestalten.
Das liegt auch daran, dass der Wille zur Gestaltung Mutzur Prioritätensetzung und Mut zur politischen Entschei-dungsfindung voraussetzt. Diesen Mut haben Sie nicht.Sie haben mit dem Koalitionsvertrag nämlich ein Still-halteabkommen abgeschlossen.
Sie akzeptieren das Betreuungsgeld, sie akzeptieren das,was Ihre Kollegen wollen, und damit haben Sie sich da-rauf eingelassen, auf die Gestaltung all der Punkte zuverzichten, bei denen wir in diesem Land eigentlich Be-wegung brauchen – zum Beispiel die Reform der Fami-lienförderung oder eine gezielte Armutsförderung. Wirbrauchen auch in Ihrem Haus Macherinnen.Frau Schön, Sie sprechen hier über die Evaluation derFamilienleistungen. Das ist nun die dritte Wahlperiode,seitdem das angestoßen wurde. Wir wissen alles.
Wir haben Papiere und Studienergebnisse ohne Ende.Wir kennen die Evaluationen. Sie liegen uns allen vor,
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Ekin Deligöz
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bleiben aber ohne Konsequenzen. Sie sagen: Von180 Milliarden Euro, die dort investiert werden, fließenzwei Drittel des Geldes in Steuern und Transfers und einDrittel in die Infrastruktur. Die anderen Länder habenuns voraus, dass sie in die Infrastruktur investieren, indie Qualität, in die Strukturen. Das alles wissen wir.Aber Sie setzen mit dem Betreuungsgeld eher noch einsdrauf, statt sich um das zu kümmern, was fehlt.Sie sprachen auch von Generationengerechtigkeit. Ja,auch wir wollen diese, aber wir sagen: Wenn schon Soli-darität, dann nicht nur Solidarität der Beitragszahler,sondern Solidarität der gesamten Gesellschaft, sei es mitden Rentnern, sei es mit unseren Kindern. Das ist echteSolidarität.
Sie aber verschieben die Belastungen aus allen Richtun-gen auf die Kinder.Eines kommt bei Ihnen überhaupt nicht vor. Wenn wirschon über Seniorenpolitik reden, frage ich: Wer setztsich denn für die Frau ein, die im Alter von Grundsiche-rung leben wird? Wo bleibt Ihr Engagement gegen Al-tersarmut? Diese wird in Zukunft weiblich sein. Aberdas findet bei Ihnen gar nicht statt. Zwei Wochen Pflege-zeit werden da nichts nutzen. Das wird ein Tropfen aufden heißen Stein sein, auch wenn Sie sich damit rühmen.Nötig ist vielmehr, dass wir uns für die Rechte dieserFrauen einsetzen.All dies aufzuzählen, ist frustrierend. Daher will ichauch etwas Positives sagen.
Ich begrüße wirklich ausdrücklich – ich heiße dies ausÜberzeugung gut –, dass das Ministerium den Beauf-tragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs fi-nanziell abgesichert hat.
An diesem Punkt kann man wirklich sehen, wie sehr esnotwendig ist, dass die Politik über Parteigrenzen hin-weg zusammenhält, wenn es um Kinderschutz und dieRechte der Kinder geht.
Ich wünschte mir, ehrlich gesagt, noch etwas mehr alsdie finanzielle Absicherung der Beauftragtenstelle undtheoretische Kinderschutzdebatten, ich wünschte mir,dass wir tatsächlich den Mut haben, Kinderrechte auchins Grundgesetz zu schreiben; denn das wäre wirklichein Meilenstein. Wir hätten vielleicht eine Mehrheit da-für. Aber daran, dass Sie den Mut und den Gestaltungs-willen dazu haben, zweifle ich inzwischen.
Als nächster Redner hat der Kollege Marcus
Weinberg das Wort.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ich komme gleich zu meiner Vorrednerin;keine Angst. Ich will nur zunächst die Bemerkung überdas Taschengeld aufgreifen, weil der Vergleich mit Ta-schengeldverhandlungen durchaus treffend ist. Einesmuss ich sagen, und zwar unter haushaltspolitischenAspekten und als Elternteil, das Taschengeld ausgibt:Wir können nur das Geld ausgeben, das wir haben.Ich möchte im Hinblick auf den Haushalt drei Vorbe-merkungen dazu machen, die für uns Familienpolitikerwichtig und von Bedeutung sind:Erste Bemerkung. Wir müssen in sehr kluger und um-sichtiger Weise überlegen, wie wir die Gelder ausgeben.Das sage ich gerade vor dem Hintergrund, dass wir Steu-ermittel, bevor wir sie verteilen können, erst einnehmenmüssen. Hier gilt der Grundsatz: Schulden, die wir heutenicht machen, müssen unsere Kinder auch nicht zurück-zahlen.
Das ist auch eine Errungenschaft der Familienpolitiker,die diesen Einzelplan hier und heute beraten. Insofern istdie schwarze Null, die wir für 2015 anstreben, ein epo-chaler Wechsel, ein Paradigmenwechsel im Hinblick aufdie Struktur des Haushalts.
Zweite Bemerkung. Das Gute am Einzelplan 17 ist,dass wir uns in weiten Teilen einig sind, dass wir etwasfür die Familien tun und Geld in die Zukunft der Fami-lien investieren wollen.
An dieser Stelle komme ich auf den Punkt zu sprechen,den Sie erwähnt haben – Sie waren ja so enttäuscht –:Vergleichen wir doch einmal die Situation, die Sie uns2005 hinterlassen haben, mit dem, was wir in den letztenacht Jahren aufgebaut haben.
Ich nenne nur zwei Haushaltstitel, in denen es zu einemParadigmenwechsel kam: Das ist Bildung und das ist Fa-milie. Im Bereich Bildung geben wir heute 85 Prozentmehr aus, als unter Rot-Grün ausgegeben wurde.
Für den Bereich Familie stellen wir 7,96 Milliar-den Euro zur Verfügung. Im letzten Haushalt, den Sie
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Marcus Weinberg
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mitverantwortet haben, waren es 4,57 Milliarden Euro.Das ist eine Steigerung um etwa 74 Prozent. Seit 2005wird in diesem Land in Zukunft, in Familien und in Bil-dung investiert. Das ist im Vergleich zu Ihrer Regie-rungszeit ein Fortschritt.
Dritte Bemerkung. Bei den Haushaltsberatungen giltein Prinzip, das viele vergessen haben: das Prinzip derSubsidiarität. Wir wollen die Eigenverantwortlichkeitund die Selbstständigkeit stärken.
Wir wollen Jugendlichen und Kindern, Frauen und Män-nern Teilhabe ermöglichen. Wir müssen die Selbststän-digkeit und die Entfaltung von Fähigkeiten ermöglichen.Für die verschiedenen Lebensphasen sind im Haushaltunterschiedliche Leistungen vorgesehen. Die ersteFrage, die wir uns in den Beratungen stellen müssen,lautet: Welche Möglichkeiten haben wir? Zweitens müs-sen wir uns fragen: Was wollen die Familien? In diesemHaushalt muss deutlich zum Ausdruck kommen, was dieFamilien wollen.Wenn man sich anschaut, welche Wünsche Familienäußern, dann stellt man fest: Die vier Wünsche, die vonFamilien am häufigsten genannt werden, sind die Ver-einbarkeit von Familie und Beruf, bessere Bildungs-chancen für Kinder, gerade für Kinder aus bedürftigenFamilien, die finanzielle Stärkung junger Familien undder Ausbau des Angebots an Krippenplätzen. Das warendie Top-4-Nennungen von Familien.Was haben wir in den letzten vier bzw. acht Jahren ge-tan, und wo setzen wir mit Blick auf die nächsten Jahrean? Ich möchte einige Beispiele nennen. Zur finanziellenUnterstützung von Familien haben wir das Elterngeldeingeführt. Das Elterngeld ist ein Erfolgsmodell.5,37 Milliarden Euro geben wir dafür pro Jahr aus. Dasist gut angelegtes Geld, weil es den Erwartungen undWünschen der Familien gerecht wird. Kindergeld undKinderfreibeträge wurden bereits angesprochen; hierfürstellen wir circa 40 Milliarden Euro pro Jahr bereit. Daich auch kleinere Titel ansprechen will, weil sie wichtigsind und unsere familienpolitischen Leitlinien deutlichmachen, erwähne ich auch die Bundesstiftung „Mutterund Kind – Schutz des ungeborenen Lebens“, die mit92 Millionen Euro unterstützt wird.
Ein Beispiel für die Stärkung der Elternkompetenz istdie Bundesinitiative „Netzwerk Frühe Hilfen und Fami-lienhebammen“. Hierfür wurden 51 Millionen Euro inden Haushalt eingestellt, und diese Mittel wurden verste-tigt. Sie kommen der frühen Förderung von Familien,die ihre Erziehungs- und Betreuungsleistung nicht soleisten können, wie wir uns das vorstellen, zugute. Fürdas Programm „Schwerpunkt-Kitas, Sprache & Integra-tion“ stellen wir insgesamt 126 Millionen Euro zur Ver-fügung.Lassen Sie mich ein letztes, signifikantes Beispielnennen. Eine Bitte von Familien lautete: Baut die Krip-penplätze aus! – Es geht also um die Vereinbarkeit vonFamilie und Beruf. Seit dem 1. August letzten Jahresgibt es den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz.Auch das ist ein Paradigmenwechsel: dass wir es ge-schafft haben, dies in Deutschland hinzubekommen. Da-für haben wir 5,4 Milliarden Euro investiert.
845 Millionen Euro stellen wir dauerhaft bereit zurUnterstützung der Länder. Da greife ich gerne auf, wasdie Ministerin gesagt hat: Das Ziel muss sein, jetzt zuüberprüfen, wo wir die Qualität in diesem Bereich stär-ken können.Aber eines muss auch deutlich gesagt werden: Wirgeben vonseiten des Bundes nicht Geld an die Länderund sagen dann: Macht damit, was ihr wollt! – Wir er-warten von den Ländern, dass sie die Mittel auch ent-sprechend einsetzen und dass sie ihren Teil beitragen.Deshalb werden wir alle Qualitätssteigerungen sehr engmit den Ländern – die bei dieser Aufgabe originär in derVerantwortung sind – absprechen. Ich glaube, es wirduns gelingen, dieses in den nächsten drei, dreieinhalbJahren im Rahmen eines Gesprächs oder eines Gipfelsmit den Ländern zu vereinbaren.Mit den Maßnahmen der letzten Jahre und den Maß-nahmen, die jetzt im Haushalt verstetigt werden – mitden Mitteln, die zur Verfügung stehen –, schaffen wir es,zwei Folien zusammenzuschieben. Dahinter steht dieGrundpositionierung unserer Familienpolitik. WelcheGrundpositionen definieren wir als Familienpolitiker?Wir haben drei Grundpositionen:Wir wollen den Eltern, den Familien nicht vorschrei-ben, wie sie ihr Familienbild gestalten sollen. Genau dasist der Unterschied zwischen uns und Ihnen. Sie von derLinken haben bei Ihrer Wortmeldung gerade noch ein-mal deutlich gemacht: Sie wollen eine Familie haben,Sie wollen nur einen Dienst haben und möglicherweiseauch nur eine Partei.
Das ist nicht unser Prinzip in der BundesrepublikDeutschland. Wir wollen die Vielfalt der Familien aner-kennen.
Diese Vielfalt, die sich gerade, auch durch die Verände-rung der Familien, in den letzten Jahren herausgebildethat, müssen wir politisch durch Maßnahmen und Ange-bote unterstützen.
Und: Wir müssen uns unter dem Gesichtspunkt derWahlfreiheit genau überlegen, welche Angebote für wel-che Familienmodelle die passenden sind. Beim Modellder Elternzeit – angesprochen wurde auch die Flexibili-
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sierung durch das neue ElterngeldPlus – gelingt es unsdoch auch, auf die verschiedenen Formen von Familieund die Entwürfe von Menschen politisch genau dierichtigen Antworten zu finden: die Vielfalt zu stärken,die Wahlfreiheit zu stärken und auch Vertrauen in die Fa-milien zu haben. Wir wollen den Familien nicht vor-schreiben, was sie zu tun haben: ob sie ihre Kinder ineine Kindertagesstätte bringen oder ob sie die Kinderbe-treuung zu Hause organisieren.
Wir stehen nicht über den Eltern, wir stehen an der Seiteder Familien, wir unterstützen sie politisch, wo wir kön-nen, in ihrer eigenen Freiheit.
Wir blicken jetzt voraus, Richtung 2014/2015. VieleThemen wurden bereits angesprochen: dass man Müt-tern und Vätern in ihren Wünschen gerecht wird, part-nerschaftlich mehr Zeit für die Familie und für die Kin-der aufzubringen. Ich begrüße die Diskussion über diesogenannte 35-Stunden-Woche für junge Eltern. Wenndas von der Wirtschaft so formuliert wird, dann findetdas unseren vollen Applaus. Wir sagen aber auch: Daskann die Wirtschaft alles in weiten Teilen schon regeln.Der kulturelle Wandel, den wir erzeugen müssen, mussnicht von uns mit finanziellen Mitteln angereichert wer-den, sondern das müssen Wirtschaft und Gesellschaftschon so hinbekommen.
Wir haben aber den Blick darauf, wo wir dieses beiden Leistungen, die wir anbieten, unterstützen können.Die Elternzeit und das ElterngeldPlus, die Flexibilisie-rung – das heißt, verschiedene Modelle müssen auchverschiedene Ergebnisse haben –, sind da der richtigeWeg. Wenn junge Familien Partnerschaftlichkeit lebenwollen, dann sind wir dafür, beim ElterngeldPlus vierMonate zusätzlich bereitzustellen. Das ist ein klaresSignal, dass junge Eltern, die Erwerbstätigkeit und Fa-milienzeit miteinander kombinieren wollen, von uns da-bei unterstützt werden.Ich glaube, das sind die richtigen Maßnahmen, unddiese Maßnahmen bilden sich auch in den großen Linienim Haushalt ab.
Herr Weinberg, lassen Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Leutert zu?
Immer.
Eigentlich war das eher als Statement gedacht; aber
wir können es auch als Zwischenfrage machen.
Herr Kollege, weil es jetzt mehrmals angesprochen
wurde: Können Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass ich,
als ich vorhin über die Vielzahl der Dienste gesprochen
habe, damit einen SPD-Vorschlag noch einmal präsen-
tiert habe? Sie richten sich in Ihren Reden immer gegen
uns, –
Aber Sie haben es ja gesagt.
– wenn Sie sagen, wir hätten gern eine Einheitspartei,
eine Einheitsfamilie und einen einheitlichen Dienst. Das
war aber ein Vorschlag der Ministerin aus dem Jahr
2011, dass es sinnvoller wäre, diese Dienste miteinander
zu koordinieren. Dabei geht es uns nicht darum, die In-
halte zu vereinheitlichen; vielmehr geht es mir als Haus-
hälter darum – ich hoffe, das ist Ihnen sympathisch –,
Geld zu sparen, sorgsam mit den Steuergeldern umzuge-
hen. Ich dachte immer, das ist auch in Ihrem Interesse.
Das ist offensichtlich nicht so.
Mein zweiter Punkt: Die Wahlfreiheit, von der Sie re-
den, ist hervorragend; aber welche Wahlfreiheit haben
denn arme Familien? Sie haben die Wahl zwischen
Hartz IV und Elterngeld. Diese Wahlfreiheit lehnen wir
ab.
Sorgen Sie dafür, dass es weniger arme Kinder gibt,
dann kommen wir auch zusammen.
Lieber geschätzter Herr Kollege, Sie sind hier in derpolitischen Verantwortung, und in Ihrer Rede haben Sieuns eines deutlich gemacht: Sie wollen nicht, dass sichjunge Menschen zwischen einem freiwilligen ökologi-schen Dienst, einem freiwilligen sozialen Dienst oderwas auch immer entscheiden können.
Sie haben gesagt, Sie wollen das in einem Dienst zusam-menführen. Das entspricht nicht unserem Ansatz derVielfalt.
Wir wollen jungen Menschen verschiedene Dinge anbie-ten können – übrigens auch im Hinblick auf das Zeit-fenster.Der Bundesfreiwilligendienst ist eine Erfolgsge-schichte der letzten Jahre. Sie haben damals hier kriti-siert, das alles wäre gar nicht umsetzbar, die Jugendli-chen hätten gar kein Interesse daran, und dieses ganzeSystem wäre zum Scheitern verurteilt. Nehmen Sie bittezur Kenntnis: Heute können wir sagen, die jungen Men-schen haben mehr für den Zusammenhalt der Gesell-
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schaft und der Gemeinschaft übrig, als wir – zumindestSie – denken.Die Erfolgsgeschichte des Bundesfreiwilligendienstesstärkt unsere Gesellschaft insgesamt; denn sie zeigt, dassjunge Menschen sich in unterschiedlichen Diensten undnicht nur in einem Dienst engagieren wollen. Ich glaube,das ist der Unterschied zwischen Ihrer Grundphilosophieund unserer. Wir wollen Vielfalt stärken – auch für diejungen Menschen –, und das tun wir auch.Vielen Dank.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Diana Golze
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnenund Kollegen! Es wurde heute schon mehrfach gesagt:Ein Haushalt ist in Zahlen gegossene Politik. – Schonnach dem Lesen des Koalitionsvertrags kann man hierjedoch nicht viele Hoffnungen haben, aber bekanntlichsoll man die ja nicht aufgeben. Da auf 183 Seiten Koali-tionsvertrag das Wort „Kinderarmut“ nicht einmal vor-kommt – Frau Schön, auch Sie haben das gesagt –, ma-che ich mir aber nicht viele Hoffnungen, dass man dasProblem lösen will.Wie gesagt: Kindergeld und Kinderfreibetrag kom-men bei Kindern von Hartz-IV-Beziehenden überhauptnicht an.
Für sie haben Sie nichts; Sie haben keine Lösungen vor-geschlagen – auch in diesem Haushalt nicht.
Ich habe auch deshalb die Hoffnung gehabt, dass sichhier etwas ändern wird, weil Sie ziemlich viel Zeit ge-braucht haben, um uns diesen Haushaltsentwurf vorzule-gen. Nach der Lektüre frage ich mich allerdings: Wa-rum? Bis auf die Drucksachennummer entspricht ernämlich fast dem Entwurf, der uns schon im Sommerdes letzten Jahres von Schwarz-Gelb zugestellt wordenist. Warum haben wir das dann nicht schon längst disku-tiert? Warum muss der Familienausschuss morgen um8 Uhr zu einer Sondersitzung zusammenkommen undschon in der nächsten Sitzungswoche unseren Einzelplanbeschließen? Warum haben wir die Zeit bis zum Aprilnicht genutzt, um eine wirkliche, an der Sache orientierteDiskussion zu führen?Vor allem frage ich mich aber: Warum unterscheidensich die Haushalte nicht aufgrund dessen, dass es unter-schiedliche Regierungen sind? Warum unterscheiden siesich im Bereich der Familienpolitik nicht? Worin liegt– das frage ich allen Ernstes – der Mehrwert eines SPD-geführten Familienministeriums?
Ich möchte die einzelnen Themengebiete einmal kurzbeleuchten:Sie haben zur letzten Bundestagswahl ein SPD-Wahl-programm gehabt, in dem es um moderne Familienpoli-tik, unterschiedliche Lebensentwürfe, die verwirklichtwerden können sollen, Partnerschaftlichkeit, Ganztags-bildung und eine gute materielle Absicherung für Kinderging. Was ist davon im Haushaltsentwurf aber tatsäch-lich übrig geblieben?Das Betreuungsgeld – ich muss es einfach noch ein-mal sagen – wollten Sie, sobald Sie in der Regierungsind, als Allererstes abschaffen. Alleine in diesem Jahrschlägt es mit 515 Millionen Euro zu Buche. Mehr alseine halbe Milliarde Euro wollen Sie dafür ausgeben,dass Eltern ihre Kinder nicht in die Kitas geben,
die – Herr Weinberg, Sie haben es angesprochen – mit5,4 Milliarden Euro Bundesmitteln gefördert wordensind. Ich verstehe das nicht. Das ist hinausgeschmissenesGeld.
Statt dieses Geld in eine Qualitätsoffensive für Kitaszu stecken, wird davon nicht einmal gesprochen. DasKitaqualitätsgesetz steht nicht im Koalitionsvertrag undfindet sich deshalb auch nicht im Haushalt wieder.Sie sagen jetzt, Sie wollen 6 Milliarden Euro ausge-ben. Das ist ganz prima. 5,4 Milliarden Euro haben Sieeinmal allein für den Kitaausbau ausgegeben. Jetzt wol-len Sie für insgesamt 6 Milliarden Euro für die Kitas, dieSchulen, die Hochschulen und die Forschung gelobtwerden.
– Das andere war auch zusätzlich. – Dafür kann mannicht gelobt werden. Damit kann man das, was Sie hierbehaupten, einfach nicht umsetzen.
Im Bundestagswahlkampf haben wir über die Famili-enförderung und deren Zielgenauigkeit gesprochen. DieSPD hat in ihrem Wahlprogramm zu Recht festgestellt,dass ein Spitzenverdiener für seine Kinder mehr entlastetwird als ein Normalverdiener, und Sie haben das zuRecht als ungerecht beschrieben. Es ändert sich abernichts daran – auch in diesem Haushalt nicht.Klar, die Mittel für das Kindergeld stehen nicht in un-serem Einzelplan; aber die Familienministerin hat beider Aushandlung zwischen den Ressorts anscheinendnicht genug Einfluss gehabt. Denn die sparsame Kinder-
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gelderhöhung um 2 Euro wurde auf die lange Bank ge-schoben. Der Kinderfreibetrag soll aber erhöht werden.Es bleibt also dabei, dass ich als Bundestagsabgeord-nete für meine beiden Kinder stärker entlastet werde alsmeine Nachbarin, die in einem Supermarkt arbeitet. EineHartz-IV-Bezieherin bekommt gar nichts für ihre Kinder,weil das Kindergeld beim Arbeitslosengeld II angerech-net wird. Das ist und bleibt ungerecht; es ist ein großerFehler.
Die Reform des Kinderzuschlags ist schon angespro-chen worden. Der Kinderzuschlag wurde seinerzeit er-funden, um Eltern den Weg zu Hartz IV zu ersparen,wenn sie nur aufgrund des Bedarfs ihrer Kinder inHartz IV rutschen würden. Der Kinderzuschlag sollteseit längerem reformiert werden. In diesem Haushaltwird der Ansatz sogar noch gekürzt, und zwar um fast10 Millionen Euro. Das kann ich nicht nachvollziehen.Das Versprechen der Anrechnungsfreiheit von Eltern-geld und Betreuungsgeld auf das Arbeitslosengeld IIwird auch in diesem Haushalt nicht erfüllt. Es ist imHaushaltsplan nicht auffindbar. Wo bitte ist die Förde-rung von Familien mit kleinen Einkommen? Wo ist dieFörderung von Familien ohne Erwerbseinkommen? Ichkann das in diesem Haushalt nicht finden. Dieses Wahl-versprechen ist nicht erfüllt worden.
Ich komme zum Thema Alleinerziehende. Alleiner-ziehende, die das Problem haben, dass geschiedene odergetrennte Partner den Unterhalt für die Kinder nichtzahlen, haben die Möglichkeit, einen sogenannten Un-terhaltsvorschuss zu beantragen. Der Tigerentenklubhatte 2009 im Koalitionsvertrag versprochen, den Unter-haltsausschuss auszuweiten. Nicht einmal ein solchesVersprechen findet sich im aktuellen Koalitionsvertrag.Aber jetzt setzt dieser Haushalt noch eins drauf: DerAnsatz für Unterhaltsvorschuss wird sogar noch um20 Millionen Euro gekürzt. An der sinkenden Zahl derAlleinerziehenden, die auf diese Leistung angewiesensind, kann es nicht liegen. Bitte erklären Sie mir dieseKürzung! Aber erklären Sie sie vor allem den Betroffe-nen!
Zu guter Letzt zur Jugendpolitik: Sie wollten für einegute Jugendpolitik gute Infrastruktur zur Verfügung stel-len, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD. Auch dieCDU/CSU hat festgestellt, der Kinder- und Jugendplanhabe sich – ich zitiere – „als wichtiges Instrument erwie-sen, um die Arbeit der Jugendverbände zu unterstützen“.Im letzten Haushalt hat die SPD dafür noch 5 MillionenEuro mehr beantragt. Wie erklären Sie es – vor allemden Jugendverbänden, die davon betroffen sind –, dassder Kinder- und Jugendplan um 1,5 Millionen Euro ge-kürzt wird?
Das ist nicht verlässlich. Es werden Strukturen abge-baut und Angebote gestrichen. Ich kann das nicht nach-vollziehen.
Zu der Vereinheitlichung von Freiwilligendiensten,die Sie uns unterstellen: Uns ging es einfach darum, zuprüfen, warum die Jugendlichen in den Freiwilligen-diensten unterschiedlich behandelt werden. Warum be-kommen sie eine unterschiedlich hohe Entschädigungdafür? Warum kann man das nicht angleichen, und zwarauf dem hohen Niveau statt auf dem niedrigen? Wennman das Engagement dieser jungen Leute anerkennenwill, dann haben wir noch einen weiten Weg vor uns.
Ich bitte darum, dass die Anträge der Opposition inden Haushaltsberatungen ernsthaft geprüft werden,
auch wenn wir wenig Zeit dafür haben, statt sie aufgrunddes Absenders einfach abzulehnen.Vielen Dank.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Carola
Reimann das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frauen bekommen für ihre Arbeit immer noch ein Vier-tel weniger Gehalt als Männer. Das ist ein fortwährenderSkandal und ein eklatanter Verstoß gegen die Würde derFrauen und auch gegen das Gleichbehandlungsgebot un-seres Grundgesetzes.
Über Jahre und Jahrzehnte haben Frauen diese Unge-rechtigkeit mehr oder minder klaglos hingenommen.Jetzt endlich tut sich etwas. Manuela Schwesig undAndrea Nahles ergreifen die Initiative. Sie haben ge-meinsam ein Maßnahmenpaket geschnürt, um Frauenendlich zu ihrem Recht auf gleiche und bessere Bezah-lung zu verhelfen.Dieses Maßnahmenbündel wird sich auch auf denBundeshaushalt positiv auswirken. Denn gerecht be-zahlte Frauen zahlen mehr Steuern. Gerecht bezahlteFrauen sind weniger auf ergänzende Sozialleistungen
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2495
Dr. Carola Reimann
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angewiesen – im Übrigen gilt das auch für deren Kinder,Kollegin Golze –, und gerecht bezahlte Frauen sind imAlter seltener arm, womit wir auch die gesamte Renten-problematik angesprochen haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den Maßnahmengehört erstens die Einführung eines gesetzlichen Min-destlohns. Der gesetzliche Mindestlohn ist nicht irgend-eine Reform. Er ist eine soziale Errungenschaft, und pro-fitieren werden von ihm vor allem Frauen. Denn sie sinddiejenigen, die häufig mit Niedriglöhnen in schlechtenJobs abgespeist werden. Mehr als 2 Millionen weiblicheBeschäftigte werden künftig mehr Geld in der Lohntütehaben.Zu den Maßnahmen gehört zweitens gleicher Lohnfür gleiche und gleichwertige Arbeit. Es kann passieren,dass Frauen und Männer im gleichen Betrieb für diegleiche Tätigkeit unterschiedlich bezahlt werden. Dasmuss sich ändern. Wir wollen ein individuelles Aus-kunftsrecht einführen, das den Beschäftigten erlaubt, dieBezahlung von Kollegen zu erfragen und mit ihrer ver-gleichen zu können. So kann eine Lohnungleichheit imBetrieb überhaupt erst sichtbar werden. Für Unterneh-men, die nicht fair und gleich bezahlen, wollen wir ver-bindliche Verfahren entwickeln, mithilfe derer Arbeitge-ber, Betriebsräte und Beschäftigte gemeinsam mit ihremUnternehmen für Entgeltgleichheit sorgen können.
Zu den Maßnahmen gehört drittens die gesetzlicheQuote für Frauen in Aufsichtsräten. Das hat Signalfunk-tion. Frauen kommen trotz bester Leistung und besterQualifikation immer noch nicht oben in den Chefetagender Unternehmen an. In den Behörden herrscht viel zuoft noch eine nahezu hundertprozentige Männerquote.Auch das ist ein wesentlicher Grund für die Lohndiffe-renz zwischen Männern und Frauen. Dieser Männer-quote machen wir den Garaus, indem wir gesetzlicheRegelungen zugunsten von Frauen, die in Führungsposi-tionen arbeiten möchten, einführen. Auf diese Weisewerden Frauen die Türen zu Chefinnenbüros und somitauch zu Spitzengehältern geöffnet. Damit sind wir wie-der beim Geld.
Zu den Maßnahmen gehören viertens stärkere Rechtefür Teilzeitbeschäftigte. Entscheidet sich eine Frau fami-lienbedingt für Teilzeit, muss sie in Anbetracht einerschlechteren Entlohnung und des Verzichts auf berufli-che Entwicklung häufig einen sehr hohen Preis bezah-len. Damit Teilzeit für Frauen nicht länger zur Fallewird, führen wir einen Rechtsanspruch ein, der es denBeschäftigten ermöglicht, auf eine Vollzeitstelle zurück-zukehren.
Wir müssen gleichzeitig dafür sorgen, dass dieseTeilzeitarbeit nicht länger diskriminiert wird und Teil-zeitbeschäftigte ganz selbstverständlich Karriere machenkönnen.Beim Elterngeld werden wir die Benachteiligung vonTeilzeitbeschäftigten abschaffen. Wir werden das beste-hende Elterngeld erweitern und um ein ElterngeldPlusergänzen. Damit wird es künftig möglich, nach derGeburt eines Kindes früher in Teilzeit in den Beruf zu-rückzukehren, und zwar ohne benachteiligt zu werden,wie es bisher beim Elterngeld der Fall war.Ich bin froh, dass unser Erfolgsmodell Elterngeld beiden Eltern weiterhin so gut ankommt und es auch vonimmer mehr Vätern in Anspruch genommen wird. Daserklärt auch den deutlichen Anstieg an Mitteln im Haus-halt für das Elterngeld. Auch wenn Haushälter von Naturaus Aufwüchsen eher kritisch gegenüberstehen – Kol-lege Leutert hat gerade gesagt, wir sparen lieber –: Die-ser Aufwuchs beim Elterngeld ist gut investiert,
und zwar in Familien und in ein familienfreundlicheresDeutschland.Vielen Dank.
Als nächste Rednerin hat Franziska Brantner dasWort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Irgendwie er-leben wir jetzt schon zum x-ten Mal die Selbstbeweih-räucherung dieser Großaktionäre. Ich halte es bald nichtmehr aus.
– Großkoalitionäre; sorry.
– Mal gucken! Wie war das: „Genosse der Bosse“? – Siemachen uns hier pausenlos ein X für ein U vor. Sie tunso, als ob Sie etwas für die nächsten Generationen täten,nur weil Sie einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen.
Das ist aber bei den derzeitigen wirtschaftlichen Datenund den niedrigen Zinsen kein Hexenwerk; das hat übri-gens Herr Oppermann selber zugegeben.
Wer von den Jüngeren hier im Raum – es sind ja lei-der nicht so wahnsinnig viele –
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Dr. Franziska Brantner
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– da oben, danke schön; Sie werden gleich hören, warumich von den Jüngeren gesprochen habe –, glaubt dennernsthaft daran, dass wir mit 63 Jahren in Rente gehenkönnen? Es wird, wenn wir Glück haben, wohl eher mit73 Jahren sein, weil die Rentenkassen von Ihnen so sehrgeplündert wurden. Mit 73 sind wir doch froh, wenn wirendlich in Rente gehen können, oder? Sie da oben aufden Zuschauertribünen werden wahrscheinlich erst mit80 Jahren in Rente gehen können, wenn die Renten-kassen weiter geplündert werden.
Wer glaubt denn wirklich, dass mit dem vorliegendenHaushalt und mit diesen Entscheidungen die richtigenPrioritäten für die nächsten Generationen gesetzt wer-den? Wer glaubt denn wirklich, dass hier genügend undausreichend in Bildung und in die Chancen und Mög-lichkeiten der nächsten Generationen investiert wird?Wer glaubt wirklich, dass 160 Milliarden Euro für dieRentner zu 6 Milliarden Euro für Betreuung und Bildungund Forschung das richtige Verhältnis sind?
Dabei helfen diese Milliarden noch nicht einmal beider Bekämpfung von Altersarmut; das ist ja das Traurigedaran. Wenn die Milliarden wenigstens zur Bekämpfungvon Altersarmut beitragen würden, dann wäre daswenigstens etwas, aber sie helfen hierbei ja noch nichteinmal.Wir brauchen dringend mehr Geld für gute Kitas, fürgute Schulen, für gute Ganztagsschulen. Wir brauchennicht nur ein Satt und Sauber, sondern Bildung undChancen.
Ich nenne ein Beispiel. Überall in Deutschland ist fol-gende Situation permanent zu finden: Zwei Betreuer undzehn Kinder unter zwei Jahren.
Nehmen wir einmal an, diese zwei Betreuer sind HerrWeinberg – Herr Weinberg, hören Sie mir zu –
und Herr Rix. Diese beiden haben zehn Kinder unterzwei Jahren zu betreuen,
die nicht alleine auf den Topf können, die nicht alleineessen können, die nicht mehr als ein paar Worte sprechenkönnen und die auch sonst ziemlich viel Aufmerksam-keit brauchen. Dann wird Herr Weinberg krank und Sie,Herr Rix, sind alleine mit den zehn Kindern. Dann be-kommen Sie richtig Spaß. Sie werden nach Hilfe undVerstärkung rufen.Was wir also brauchen, ist Geld zur Verstärkung desBetreuungspersonals für die Kinder.
– Er kann das mit den zehn Kindern? Na gut.Achtung – auch die Linke passt bitte auf –: Dannkommt eine Stimme aus der Wohlfühllounge der GroßenKoalition und sagt: Hey, Marcus, hey, Sönke, habt ihrvergessen: Die Kleinen sind weder Stammwähler derCDU noch der SPD – –
– Ja, klar.Sie sehen nichts in Ihrem Koalitionsvertrag vor, Siemachen nichts in diesem Haushalt, damit endlich genü-gend Geld in die Qualität fließt. Sie sagen, insgesamtgebe es genug Geld, aber Sie machen keinen guten Vor-schlag, damit Geld in die Qualität fließt.
Gegen Kinderarmut unternehmen Sie auch nichts.Frau Schwesig, Sie haben vorgeschlagen, den Kinder-zuschlag zu erhöhen. Dazu ist in diesem Haushalt abergar nichts zu finden. Die Mittel zum Kinderzuschlagwerden sogar reduziert, und zwar um 10 Millionen Euro;das wurde schon genannt.
In Deutschland lebt jeder zweite, der alleinerziehend ist,von Hartz IV. Ich finde, es ist eine Schande für diesesreiche Land Deutschland, dass der Status „Alleinerzie-hend“ ein so großer Faktor ist, um bei Hartz IV zu lan-den. Was machen Sie beim Unterhaltsvorschuss: Wiewollen Sie diesen vereinfachen? Wollen Sie die Grenzevon zwölf Jahren aufheben? Wollen Sie Bürokratie ab-bauen? Auch dazu haben wir keine Vorlagen.Es gibt von Ihnen auch keine besonderen Alternati-ven. Okay, Sie haben das Betreuungsgeld erhöht; dasstimmt. Das Kindergeld wird dagegen nicht erhöht, undzwar ohne Begründung. Auf eine Anfrage von uns hatdie Regierung geantwortet, man könne sich auf keineBegründung einigen, warum es keine Erhöhung beimKindergeld gibt.
Sie können sich noch nicht einmal auf eine Begründungeinigen. Das finde ich interessant. Eine Erhöhung wirdvielleicht 2016 als Wahlkampfgeschenk angekündigt.Die Gelder für die Finanzierung von Schulsozial-arbeitern laufen aus. Das macht 400 Millionen Euro.Und Sie kommen mit 4 Millionen Euro für Sprachförde-rung! Dann feiern Sie sich für diesen Haushalt auchnoch, anstatt sich richtig dafür zu schämen.
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Dr. Franziska Brantner
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Ein letzter Punkt zur Vereinbarkeit von Familie undBeruf und zum ElterngeldPlus. Wir begrüßen die Ein-führung, denken aber, dass der Fokus zu stark auf Fami-lien mit Kleinkindern und noch längst nicht auf den Be-schäftigten liegt. Was Sie vorhin gesagt haben, FrauSchön, ist absolut richtig. Ich bin bei Ihnen, wenn Sie sa-gen, wir müssten noch andere Rahmenbedingungen aufdem Arbeitsmarkt schaffen. Warum ist es in Deutschlandnicht möglich, mit Kindern Vollzeit zu arbeiten? Dasmuss doch auch bei uns möglich sein. Die einzigeOption kann doch nicht sein, Teilzeit zu arbeiten. Dennmanche Menschen können es sich gar nicht leisten,Teilzeit zu arbeiten. Ich finde, wie auch Herr Weinberggesagt hat, dass es nicht Aufgabe des Staates sein kann,die Teilzeit der Eltern permanent zu finanzieren. Wirbrauchen eine Antwort darauf, ob auch eine Vollzeittä-tigkeit mit Familie vereinbar ist.
Unsere Antwort darauf ist, dass es rechtliche Rah-menbedingungen zum Beispiel mit einem Recht auffamilienfreundliche Arbeitszeiten geben muss. Das gibtes in Deutschland noch nicht, aber in vielen anderen eu-ropäischen Ländern.
Das wäre ein Vorschlag, von dem ich denke, dass dieseRegierung ihn aufnehmen könnte. Dann könnte sie auchdie restlichen Faktoren endlich angehen, von denen FrauSchön korrekterweise gesprochen hat.Ich danke Ihnen.
Als nächster Redner hat der Kollege Peter Tauber das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Brantner, Grund, sich zu schämen hat man manch-mal in vielerlei Hinsicht. Aber bei dem Haushalt, denwir hier vorlegen, bei dem, was wir zum Teil an Konti-nuität haben, zum Teil aber auch an neuen Projekten vor-bringen, ist das ein sehr starkes Wort, das Sie an dieMinisterin adressieren. Mich würde einmal interessieren,wann Sie sich eigentlich schämen. Ich finde es sehr un-gebührlich, eine Debatte, die wir sehr gerne in der Sacheführen, emotional so aufzuladen und vor allem dannnoch mit solchen Vorwürfen und einer solchen gespiel-ten Entrüstung hier aufzutreten. Das wird der Sachenicht gerecht.
– Sie schreien ja schon wieder dazwischen. Das zeigt ja,dass Sie offensichtlich keine Argumente haben. Deswe-gen wird gleich wieder zur Lautstärke gegriffen.Wenn wir uns den Haushalt anschauen – das ist natür-lich sehr spannend, wenn wir hier in der Runde sitzenund ein paar vertraute Gesichter sehen, Kolleginnen undKollegen, die in den letzten vier Jahren schon in der Fa-milienpolitik miteinander diskutiert haben, durchaus inanderer Konstellation –, dann gibt es ja ein paar Punkte,die ganz bemerkenswert sind. Ich rate uns – deswegenhabe ich Sie auch persönlich zu Beginn der Debatte ad-ressiert –, da ein bisschen abzurüsten. Wenn wir es näm-lich ernst damit meinen, dass es uns um die Familien undum die Kinder geht, dann können wir uns diesen ganzenSchabernack zwischendurch, den Sie da eben vollführthaben, gerne schenken.
Wenn wir bei den Perspektivwechseln sind – das istfür Sie vielleicht nicht so nötig; denn Sie sind einfachstumpf in der Opposition sitzen geblieben, die Linkeauch –, dann muss man natürlich sagen
– bei Ihnen ist es auch gut so; das wird auch noch langeso bleiben –,
dass in der Großen Koalition Christdemokraten und So-zialdemokraten miteinander um den richtigen Weg rin-gen, und dann werden wir feststellen, dass es Bereichegibt, in denen sich durch das Aufeinanderzugehen neuePositionen ergeben und wir an manchen Stellen jetztauch gemeinsam wichtige Dinge machen.
Ich will ein Beispiel nennen, weil es in der Debatteauch schon eine Rolle spielte: das Thema Extremismus-klausel. Sie wissen, die war uns wichtig. Die SPD hatimmer dagegen argumentiert. Jetzt ist das Formblatt, dasbei Förderanträgen separat zu unterschreiben war, weg.Die Ministerin hat sich mit ihrem Kollegen, Herrn deMaizière, darauf verständigt, dass die Sache selbst, umdie es uns ging, nämlich dass wir nicht wollen, dassExtremisten gefördert werden, um Extremisten zu be-kämpfen, durch eine Verwaltungsvereinbarung weiterhingewährleistet ist. So, finde ich, kann man in der Sachegut miteinander arbeiten. Es bleibt dabei: Wir wollenjunge Menschen für Demokratie begeistern. Deswegengibt es Programme gegen Rechtsextremismus, der nachwie vor ein großes Problem in dieser Gesellschaft ist.Aber wir sind da nicht blind und nehmen jede Form vonExtremismus in diesem Land als Gefahr für die Demo-kratie ernst. Das machen wir jetzt gemeinsam. Ich finde,das ist ein gutes Signal.
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Ein weiteres gutes Signal ist die Eigenständige Ju-gendpolitik, weil wir natürlich die Aufgabe haben, unsauch um solche jungen Menschen zu kümmern, die esschwer haben, die einen Bruch in ihrem Lebenslauf er-fahren haben, die es nicht alleine schaffen, wieder aufdie Beine zu kommen. Es gibt aber auch viele jungeMenschen, die beeindruckend sind, die ihr Leben selbstin die Hand nehmen, die etwas auf den Weg bringen. Umdie muss sich Politik genauso kümmern; für die müssenwir auch Angebote machen. Deswegen ist es so wichtig,dass die Eigenständige Jugendpolitik weitergeht.
Dazu gehören als nächste Säule natürlich die Freiwil-ligendienste. Die Wahrheit ist: Zu Beginn der Debatteüber die Aussetzung der Wehrpflicht und das Ende desZivildienstes war die Zahl derjenigen, die gesagt haben:„Es funktioniert. Wir bauen eine neue Säule der Freiwil-ligendienste neben das bestehende FSJ“, sehr überschau-bar. Inzwischen gibt es jährlich 100 000 Menschen, dieeinen Freiwilligendienst leisten – in der ganzen Vielfalt.Das zeigt doch, dass es richtig ist, auf diese Vielfalt zusetzen, unterschiedliche Angebote zu machen – vomBundesfreiwilligendienst bis zum klassischen FSJ oderdem FÖJ –, um es Menschen zu ermöglichen, sich eh-renamtlich zu engagieren, sogar für einen längeren Zeit-raum.Wenn das dazu führt, dass das im Rahmen des Bun-desfreiwilligendienstes auch Ältere machen, dann sindwir sehr schnell bei dem Anspruch, dass es nicht nur da-rum geht, den Jüngeren eine Perspektive zu vermitteln,sondern auch darum, den gesamtgesellschaftlichen Zu-sammenhalt, den Zusammenhalt der Generationen zufördern. Das, finde ich, wird durch diesen Bundesfrei-willigendienst, gerade wenn ihn Ältere leisten, ganzwunderbar zum Ausdruck gebracht.
Als eine weitere Säule gehört dazu das Projekt derMehrgenerationenhäuser, das sich inzwischen in derzweiten Förderstufe befindet. Wir müssen dringendüberlegen, wie wir das verstetigen und eine Fortsetzungüber diesen Förderzeitraum hinaus ermöglichen. DieseMehrgenerationenhäuser sind oft Leuchttürme für denZusammenhalt der Generationen in unserem Land.
Frau Ministerin, wenn wir gemeinsam einen Weg finden,das zu verstetigen, wäre das aus unserer Sicht eine wirk-lich gute Sache.Bislang habe ich vor allem gesellschaftspolitischePunkte genannt. Wenn wir aber über die Situation vonFamilien im Speziellen reden, dann wird sehr schnellklar: Es gibt eine Fülle von Themenfeldern, mit denenwir uns permanent beschäftigen müssen. Die Vereinbar-keit von Familie und Beruf ist nach wie vor ein Thema,genauso wie die wirtschaftliche Stabilität zugunsten vonFamilien. Kinder zu fördern, gerade diejenigen, die zuHause keine Förderung erfahren, wird ein Thema blei-ben. Wir werden hier immer an der Sollbruchstelle ent-lang arbeiten und dabei berücksichtigen müssen, dassdie Förderung durch beide Elternteile oder ein Elternteilimmer besser sein wird, wenn es mit Liebe und Herzblutgeschieht, als die durch staatliche Institutionen, die nurauffangen können. Trotzdem brauchen wir für Kinder,die zu Hause keine Förderung erfahren, staatliche Insti-tutionen. Deswegen gibt es das Bildungs- und Teilha-bepaket. An manchen Stellen brauchen wir auch mehrBetreuungsangebote. Aber wir sollten aufhören, zu glau-ben, der Staat könne das komplett auffangen, was Elternoft auf hervorragende Art und Weise leisten. StaatlicheAngebote können nur eine Ergänzung sein. Aber diesebrauchen wir für viele Kinder.
Wir müssen auch darüber reden, welche Rahmenbe-dingungen diese Gesellschaft für junge Paare setzt. Vielejunge Paare wünschen sich Kinder, bekommen aber ausverschiedenen Gründen keine. Wir wollen, dass sichmehr Paare für Kinder entscheiden. In diesem Zusam-menhang müssen wir auch darüber debattieren, wie wireinen Ausgleich zwischen denjenigen, die Kinder haben,und denen, die keine haben, schaffen können, und zwarauch bei den sozialen Sicherungssystemen. Ich finde esrichtig, dass es im Pflegebereich eine Komponente gibt,die Kinderlose stärker beteiligt; denn diese haben imZweifelsfall niemanden, der sie später pflegt oder derBeiträge zahlt. Diese Debatte werden wir im Zusammen-hang mit Ausbau und Weiterentwicklung der sozialenSicherungssysteme dringend führen müssen.
Drei Faktoren spielen in der Debatte eine zentraleRolle. Wir reden seit Jahren über die Infrastruktur. DesWeiteren reden wir über Geld. Das ist bekanntlichknapp, weil die im Grundgesetz verankerte Schulden-bremse einen ausgeglichenen Haushalt erfordert. Zudemist es uns ein Herzensanliegen, endlich einen ausgegli-chenen Haushalt vorzulegen. Für die Glaubwürdigkeitder Politik ist es wichtig, dass wir es endlich schaffen,nur so viel Geld auszugeben, wie wir einnehmen. KeineFamilie könnte auf Dauer anders wirtschaften. Wir tunes nun. Das ist auch gut so, insbesondere wenn wir überFamilien reden.
– Darauf komme ich gleich zurück. Danke für das Stich-wort!Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Zeit. DiesenFaktor hat Kristina Schröder in den letzten vier Jahren indie Debatte neu eingebracht. Frau Ministerin, ich bin Ih-nen sehr dankbar, dass Sie sagen: Das bleibt ein Faktorin der Debatte. – Natürlich brauchen Familien Zeit fürsich. Es macht keinen Sinn, sich eine Familie zu wün-schen, wenn man sie nicht leben kann. Angesichts des-
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Dr. Peter Tauber
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sen werden wir bei allen Debatten um das liebe Geld im-mer wieder darauf hinweisen müssen: Wir wollen keinevollkommene Ökonomisierung von Familie.
Familie entzieht sich an vielen Stellen einer Berechnungauf Cent und Euro. Vielmehr geht es darum, Freiräumezu schaffen, um Gesellschaft und Familie erlebbar zumachen, um Kinder zu beobachten und mit ihnen großzu werden und um im Alter jemanden zu haben, der sichum einen kümmert. All das prägt Familie und macht un-sere Gesellschaft erst solidarisch und menschlich. Es istganz wichtig, dass wir darüber reden.Ich empfehle jedem, auch Ihnen, lieber Herr KollegeLeutert – herzlichen Dank für den Zuruf zum Betreu-ungsgeld –, die sehr lesenswerte Studie der Berlin-Bran-denburgischen Akademie der Wissenschaften unter Fe-derführung von Herrn Professor Günter Stock. Er hatuns allen folgenden wichtigen Punkt mit auf den Weggegeben: Wir sollten uns von dem Gedanken verabschie-den, dass es ein Konzept gibt, das auf jeden und allepasst. „One fits all“ gibt es in der Familienpolitik nichtmehr, allein weil sich unsere Gesellschaft so veränderthat und vielfältiger geworden ist.
Wenn dem so ist, dann brauchen wir für jeden ein pas-sendes Angebot. Damit bin ich beim Betreuungsgeld.Herr Leutert, Sie waren genauso wie viele andere immerdagegen. Aber es ist ein Erfolg, und viele freuen sich da-rüber und brauchen es. Andere wiederum brauchen an-dere Antworten, Modelle und Projekte. Ich jedenfallssehe mich außerstande, über Familien zu richten, zu ur-teilen oder ihnen vorzuschreiben, was für sie das Rich-tige ist.
Ich will ein Land, in dem die Familien selber entschei-den und aussuchen können, was sie wollen. Sie sind aufeinem anderen Weg: Sie wollen zurück zu einem Staat,der allen alles vorschreibt. Auf diesem Weg können Siegerne weiterlaufen. Aber ich bin mir ziemlich sicher,dass Sie dann weitgehend alleine laufen.In diesem Sinne haben wir die richtigen Weichenstel-lungen gewählt. Ich freue mich auf die Debatten – auchmit Ihnen, lieber Herr Kollege – in den nächsten Jahren.Herzlichen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner
hat Sönke Rix das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Peter Tauber, dass du ausgerechnet zum Schlussdas Betreuungsgeld angesprochen hast,
war ein bisschen gemein; denn wir halten das Betreu-ungsgeld nach wie vor für falsch.
Man darf hier auch einmal sagen, dass man sich in die-sem Punkt in der Koalition nicht geeinigt hat. Es ist nuneinmal so bei Koalitionen, dass man sich nicht in allenPunkten einigt. Gegen das Betreuungsgeld sind sogaralle anderen Fraktionen. Allerdings haben wir jetzt fürvier Jahre ein anderes Bündnis. Es ist nicht so, dass wirwegen eines Punktes bzw. wegen einiger Punkte, bei de-nen wir uns nicht durchgesetzt haben, keine gute Politikmachen könnten, ganz im Gegenteil.Gerhard Schröder hat vor kurzem seinen 70. Geburts-tag gefeiert. Gerhard Schröder wird immer dann, wennwir über Familienpolitik sprechen, mit einem Ausspruchin Verbindung gebracht, der ihm bis heute sehr leid tut.Er hat sich mehrfach dafür entschuldigt. Ihm ist einmalbei einem Redebeitrag nicht der volle Name des Ministe-riums, um das es gerade geht, eingefallen, und das warder einzige Grund, warum er ein nicht so schönes Wortdafür benutzt hat. Er hat sich dafür entschuldigt.Man muss aber auch sagen: Unter seiner Kanzler-schaft, unter Rot-Grün im Übrigen, hat die Modernisie-rung der Familienpolitik begonnen. Es ist nicht so, dassunter seiner Kanzlerschaft und unter Rot-Grün in der Fa-milienpolitik nichts geschehen wäre. Ich erinnere an dasGanztagsschulprogramm, das Bundesgleichstellungsge-setz, aber auch die Eingetragenen Lebenspartnerschaftenund vieles mehr – alles Dinge, auf die wir jetzt aufbauen.Daher sage ich zu seinem 70. Geburtstag: Ich habe ihmdiesen Fauxpas schon längst verziehen.
Wenn ich von Erfolgen unter Rot-Grün spreche, dannsage ich auch, dass in der ersten Großen Koalition dieseErfolgsgeschichte in der Familienpolitik in vielen Punk-ten weiterging. Auch da kam es mit dem Elterngeld, derElternzeit und dem Krippenplatzausbau zu wirklichgroßartigen Leistungen in Sachen Familienpolitik, diewir gemeinsam in der Großen Koalition gewuppt haben,übrigens mit sehr großer Unterstützung der Länder, dierot-grün und schwarz-gelb regiert waren. Auf diese Er-folge kann man stolz sein, und auf diese kann man auf-bauen. Es ist gut, wenn Sozialdemokraten mitregieren.Zur Familienpolitik der letzten vier Jahre will ichnicht so viel sagen.
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Sönke Rix
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Jetzt sind wir in der zweiten Großen Koalition. Unswurde gesagt, uns fehle der Mut und der Gestaltungs-wille. Ich weiß nicht mehr, von wem es kam.
– Entschuldigung, genau, von dir kam das. Ich glaube,auch Diana Golze hat das gesagt. – Ich finde das einbisschen vermessen; denn die Grünen hatten das Ange-bot, mit der Union vernünftige Koalitionsverhandlungenzu führen.
Aber schon nach den Sondierungsgesprächen zu sagen:„Nein, wir machen es nicht“ und denjenigen, die sich aufKompromisse geeinigt haben, vorzuwerfen, sie hättenkeinen Mut und keinen Gestaltungswillen, ist ein biss-chen scheinheilig.
Ich finde es auch scheinheilig von Ihnen, den Linken;denn Sie haben keine große Bereitschaft zur Beteiligungan einer Regierung.Wir beweisen Mut und Gestaltungswillen in dieserKoalition; denn wir bauen auf dem auf, was wir in derVergangenheit geleistet haben. Das ElterngeldPlus bei-spielsweise kommt jetzt. Das erfolgreiche Modell El-terngeld, das wir gemeinsam in der ersten Großen Koali-tion eingeführt haben, erweitern wir jetzt. Wir bringeneine Gerechtigkeitskomponente für diejenigen ein, diesich länger die gemeinsame Zeit teilen wollen. Das istein wichtiger, guter Schritt zur Familienarbeitszeit. Dasist sehr gut an dieser Stelle und zeugt von Gestaltung.Das ist pure Gestaltung.
Zur Gleichstellungspolitik. Die Themen „Quote“ und„Frauen in Führungspositionen“ sind schon angespro-chen worden. Das haben wir unter Rot-Grün und das hatSchwarz-Gelb nicht hinbekommen. Jetzt haben wir es inder Großen Koalition hinbekommen. Nun sagen Sienicht, dass es keine Gestaltung an dieser Stelle gibt. ImGegenteil: Wir machen jetzt Gesetze daraus. Wir bringendas in Gesetzesform, was wir lange Zeit gemeinsam ge-fordert haben, und das ist gut so.
Wir machen Tempo an dieser Stelle. In den ersten100 Tagen liegen schon zwei Konzepte zum ElterngeldPlusund zum Thema „Frauen in Führungspositionen“ aufdem Tisch. So schnell, finde ich, hat kaum eine Fami-lienministerin ihre Arbeit begonnen und ganz konkretzur Verbesserung der Situation der Menschen beigetra-gen. Dafür herzlichen Dank!
Ich will noch ganz kurz auf die Tatsache eingehen,dass wir angeblich nichts gegen die Kinderarmut ma-chen. Auch da sage ich noch einmal an die beiden Oppo-sitionsfraktionen gerichtet: Vielleicht sind Sie ein biss-chen neidisch darauf, dass wir den gesetzlichenMindestlohn einführen.
Wenn das kein Schritt zur Beseitigung von Familienar-mut und Kinderarmut ist, was denn sonst? Das machenwir als Große Koalition. Auch das ist ein Schritt zur Be-kämpfung von Armut. Ich finde, das kann man durchausals wichtigen Schritt anerkennen.Zum Thema „Mehr Geld für Krippen“. Ich finde es jaganz nett, dass Sie Marcus Weinberg und mich in einegemeinsame Kindergartengruppe stecken wollen – alsBetreuer natürlich. Ich habe da Erfahrung; ich habe dasberuflich gemacht: Ich habe in Kindertagesstätten gear-beitet. Es stimmt, es ist nicht einfach, große Gruppen zubetreuen, gerade wenn man allein ist und auch noch an-dere Dinge zu tun hat. Aber genau aus diesem Grund ha-ben wir das 6-Milliarden-Euro-Paket aufgelegt. Aus die-sem Paket wird auch Geld in Krippenplätze fließen.
Auch damit machen wir unseren Gestaltungswillen deut-lich: Wir gestalten die Lösung des Problems fehlenderKrippenplätze.Insofern bin ich guten Mutes. Die ersten 100 Tage ha-ben gut angefangen. Der jetzige Haushalt enthält guteAnsätze. Vor uns liegen erfolgreiche vier Jahre fürFrauen, Familie, Senioren und Jugend.Danke schön.
Jetzt hat als nächste Rednerin die Kollegin Sylvia
Pantel das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wirkönnen nicht oft genug betonen, dass wir für 2014 erst-mals einen strukturell ausgeglichenen Haushalt vorle-gen. Das ist auch für unsere Jugend ein wichtiger Bei-trag. Wir, der Bund, sind nah am Ziel, das nächste Jahrkeine neuen Schulden aufzunehmen. Das ist das ersteMal seit 46 Jahren.Wir konsolidieren den Haushalt und setzen gleichzei-tig familienpolitische Akzente. Das sieht man daran,dass der Etat des Ministeriums für Familie, Senioren,Frauen und Jugend um 1 Milliarde Euro erhöht wird,also auf 7,96 Milliarden Euro ansteigt. Man darf bittenicht vergessen, dass wir auch noch die Kommunen unddie Länder haben, die ihren Beitrag selbst leisten müssen
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Sylvia Pantel
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und deren Dienstleistungen vor Ort eine gewisse Quali-tät erreichen sollen.Wir wollen, dass Eltern tatsächlich wählen können,wie sie ihr Familienleben organisieren. Ob sie vom Be-treuungsgeld, vom Elterngeld oder vom Kitaausbau pro-fitieren, das ist allein Sache der Familien.
Familien sollen sich mit ihren Bedürfnissen nicht nachdem Staat richten – wie Sie von der Linken das gernehätten –, sondern der Staat muss die Familien dabei un-terstützen, wie sie sind, was sie selbst wollen und wassie benötigen.Das Betreuungsgeld als Anerkennung von Erzie-hungsleistungen ist allen Unkenrufen zum Trotz eine Er-folgsgeschichte:
Bereits in den ersten fünf Monaten sind 65 000 Anträgeeingegangen. All diesen Antragstellern können Sie er-zählen, dass sie falsch liegen. Wir sind für Wahlfreiheit.
Wir haben in diesem Jahr 515 Millionen Euro für dasBetreuungsgeld in den Haushalt eingestellt. Wir wollen,dass Eltern selber entscheiden und nicht bevormundetwerden.
Für das Elterngeld sind knapp 5,4 Milliarden Euro imHaushalt veranschlagt. Das geplante ElterngeldPlushilft, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zuverbessern. Obwohl es nicht Aufgabe des Bundes ist, un-terstützen wir den Ausbau von U-3-Plätzen weiter, dawir jährlich Betriebskosten in Höhe von fast 800 Millio-nen Euro übernehmen.Wir schaffen Angebote für Jung und Alt. Die über500 vom Bund seit 2006 geförderten Mehrgenerationen-häuser haben sich bewährt. In Düsseldorf gibt es ein mirgut bekanntes Beispiel: das Mehrgenerationenhaus Hell-Ga. Es ist eine Begegnungsstätte, wo verschiedene Ge-nerationen nachbarschaftlich ins Gespräch kommen, wogefeiert wird und man sich gegenseitig unterstützt. DieseKoalition stellt sich ihrer Verantwortung und fördert dieMehrgenerationenhäuser auch in 2014 mit über 6 Millio-nen Euro. Ich bin Ihnen, Frau FamilienministerinSchwesig, dankbar, dass Sie sagen, dass die Mehrgene-rationenhäuser, die wir bereits haben, bestehen bleibenund dass wir die ausfallenden Mittel aus dem Europäi-schen Sozialfonds gemeinsam auffangen wollen.
Wir stärken die Zivilgesellschaft mit dem Bundesfrei-willigendienst; das wurde schon mehrfach erwähnt. DerBundesfreiwilligendienst ist ein einmaliges Erfolgspro-gramm. Sie haben ihn mehrfach kritisiert, aber auch hiersprechen die Zahlen eine andere Sprache.An dieser Stelle danke ich allen Freiwilligen und eh-renamtlich Engagierten, sei es bei der freiwilligen Feuer-wehr oder im Katastrophenschutz, aber auch denen inKirchen, Vereinen und Verbänden.
Ihr Einsatz ist unbezahlbar.Auch in diesem Jahr hat der Bundesfreiwilligendienstwieder rund 35 000 Freiwillige. Da ist Platz für jungeund alte engagierte Helferinnen und Helfer. Wir freuenuns, dass das Familienministerium unseren Wünschen,alle Zusagen einzuhalten und die Unterstützung nicht zureduzieren, entsprochen hat. In den parlamentarischenBeratungen werden wir gemeinsam sicherstellen, dassdie notwendigen Mittel auch bereitgestellt werden.Wir sorgen – das ist auch schon gesagt worden – mitden beiden Fonds für die Opfer der Heimerziehung inOst und West. Diese Fonds wurden in 2012 zusammenmit den Kirchen und Ländern eingerichtet, um Kindern,die in Heimen Opfer von Gewalt geworden sind, zu hel-fen. Wir haben versprochen, dass wir helfen, und wirhalten Wort. Da die Zahl der Betroffenen größer ist alserwartet, werden wir uns alle bemühen müssen, für aus-reichende finanzielle Ausstattung zu sorgen, um die Ver-letzungen und Schäden aus ihrer Kindheit zu lindern.Wir waren uns einig, dass dies eine gesamtgesellschaftli-che Aufgabe ist, die wir alle erfüllen müssen.Lassen Sie mich mit einem Zitat schließen:Für uns sind Familienarbeit und Erwerbsarbeitgleichwertig. … Aufgabe unserer Politik ist es aber,schrittweise die Wahlmöglichkeiten zu erweitern,indem möglichst viele flexible Lösungen angebotenwerden.Weiter heißt es dort: Wir wollen den „von uns durchge-setzten ‚Erziehungsurlaub‘ zu einem ‚Anspruch auf Fa-milienzeit‘“ – heute heißt das „Mehr Zeit für Familien“ –fortentwickeln. – Das ist ein Zitat aus dem CDU-Be-schluss „Lust auf Familie“ von 1999.Das, was wir heute umsetzen, hat einen langen Vor-lauf. Wir können froh sein, dass das, was damals eine Vi-sion war, für die wir oft belächelt wurden, heute mit fi-nanziellen Mitteln unterlegt und Wirklichkeit ist.An dieser Stelle möchte ich noch sagen: Selbstver-ständlich kann man nach dem Motto „Höher, besser,mehr“ überall noch mehr fordern. Aber das ist ein Haus-halt, der Verantwortung zeigt. Wir wollen uns nichtüberschulden, sondern möchten auch den uns nachfol-genden Generationen noch Spielräume lassen.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Dies war die erste Rede der Kollegin Pantel. Herzli-chen Glückwunsch!
Als nächste Rednerin, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, hat die Kollegin Gülistan Yüksel das Wort.
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Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, heutehier meine erste Rede zur Einbringung des Haushalts,des Einzelplans 17, halten zu dürfen.Ich verstehe den Ausschuss für Familie, Senioren,Frauen und Jugend als einen Ausschuss, der die persön-lichen Bereiche unseres gemeinschaftlichen Zusammen-lebens berührt, also die Dinge, die den Menschen amHerzen liegen und sie direkt betreffen – und das unab-hängig von Religion und Nationalität. Deshalb bin ichgerne in diesem Ausschuss.In diesem Sinne bin ich auch froh, dass wir mitManuela Schwesig heute eine Ministerin haben, die wie-der eine Familien-, Senioren-, Frauen- und auch Kinder-und Jugendpolitik verfolgt, die alle gesellschaftlichenEbenen mit einbezieht.
Der Dreiklang aus Geld, Angeboten und Zeit ist hierbeiein wichtiger und richtiger Ansatz für eine moderne Fa-milienpolitik; denn sie berücksichtigt die Vielfalt der Le-bensentwürfe und gibt jedem den größtmöglichen, indi-viduellen Gestaltungsraum.Als Mutter von zwei Kindern, die nebenbei immer be-rufstätig war, weiß ich aus eigener Erfahrung, wieschwierig es ist, Familie und Beruf miteinander zu ver-einbaren. Nach der Geburt meiner Tochter hatte ich dieMöglichkeit, weiter arbeiten zu können, und das Glück,einen verständnisvollen Chef zu haben, der es mir er-möglichte, Familie und Beruf miteinander zu vereinba-ren. Leider hat nicht jeder heute diese Möglichkeit. Siesollte aber Standard in unserer Gesellschaft werden.
Menschen sollten sich nicht zwischen Kind oder Kar-riere entscheiden müssen. Kinder müssen erwünscht undgewünscht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Umdiesen notwendigen Wandel in der Denke herbeizufüh-ren, muss Politik es den Menschen ermöglichen, ihrenFamilienalltag entsprechend flexibler zu gestalten.Wir haben dazu im Koalitionsvertrag einige Fort-schritte vorzuweisen. Es wurde heute schon mehrmalserwähnt: Durch die 6 Milliarden Euro mehr für Kitas,Schulen und Hochschulen werden im Laufe der nächstenvier Jahre die Länder durch den Bund stärker unterstützt.Dies trägt nicht nur zu einer Verbesserung der Bildungs-chancen für Kinder bei, sondern fördert zusätzlich auchnoch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Die Elternzeit wird flexibler gestaltet und das Eltern-geld weiterentwickelt. Es wird ein Rückkehrrecht ausder Teilzeit in die Vollzeitbeschäftigung geben. Die dy-namische Entwicklung des Elterngeldes und der gestie-gene Bedarf im neuen Haushalt zeigen, dass wir auf demrichtigen Weg sind. Der Anteil der Väter, die sich an derElternzeit beteiligen, ist noch weiter ausbaufähig, ob-wohl wir schon einen leichten Anstieg bei den Vätermo-naten beobachten können. Unsere Maßnahmen wirken,und wir werden sie weiter ausbauen.
Durch die Pflegereform und ein Pflegeberufegesetzwerden Menschen mehr Unterstützung bei der Pflege ih-rer Angehörigen bekommen. Das ist ein wichtiger Bau-stein für den familiären Zusammenhalt und für würde-volles Altern.Zum Thema „Gleicher Lohn für Männer und Frauen“haben wir sehr konkrete Maßnahmen ergriffen. DieGleichstellung im Erwerbsleben wird durch die Herstel-lung von Entgeltgleichheit sowie mit der Frauenquote inFührungspositionen vorangetrieben. Auch der Mindest-lohn hilft dabei, geschlechterspezifische Lohnunter-schiede zu bekämpfen.
Die im Haushalt vorgesehene finanzielle und perso-nelle Aufstockung der Antidiskriminierungsstelle unter-stützt positiv die Bekämpfung von ungleicher Behand-lung. Der aktuelle Bericht über Diskriminierung imBildungsbereich und im Arbeitsleben liefert uns eineverlässliche Grundlage dafür, wo wir als Gesetzgebernoch tätig werden müssen.Hier im Bundestag haben wir gemeinsam die Mög-lichkeit, etwas zu ändern. Wir können es nicht hinneh-men, dass junge Menschen aufgrund ihres Namens oderihrer ethnischen oder religiösen Herkunft bei der Bewer-bung um einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz benach-teiligt werden
oder dass Frauen immer noch weniger Geld verdienenund nur schwer in die oberen Chefetagen aufsteigen. Wirwerden also, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, die Er-gebnisse der Evaluierung der Antidiskriminierungsstelleumsetzen.Auch begrüße ich die zusätzlichen 1,5 Millionen Eurofür Maßnahmen zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz undDemokratie, die der Bund in diesem Haushalt bereit-stellt. Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus ha-ben keinen Platz in unserer demokratischen Gesell-schaft, die auf Vielfalt und Toleranz aufbaut.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns dafürgemeinsam streiten und dafür sorgen, dass diese zentra-len Aufgaben auch entsprechend gewürdigt werden: zumeinen durch politische Aufmerksamkeit und zum ande-ren durch die entsprechende finanzielle Ausstattung imHaushalt. Dabei muss auch ressortübergreifend gedachtwerden. Ein gutes Beispiel dafür ist die Finanzierung desHeimkinderfonds Ost. Diese Aufgabe kann nicht alleinvom Einzelplan 17 geschultert werden.
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Gülistan Yüksel
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Dies sind nur einige wenige wichtige Maßnahmen.Uns stehen noch zahlreiche Herausforderungen bevor.Aber, wie Albert Einstein so schön sagte: „Inmitten vonSchwierigkeiten liegen günstige Gelegenheiten.“ Sie se-hen, dass wir mit vielen Vorhaben im Bereich der Fami-lienpolitik auf dem richtigen Weg sind.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Auch Ihnen, Frau Yüksel, herzlichen Glückwunsch
zu Ihrer ersten Rede.
Als nächster Redner hat der Kollege Alois Rainer das
Wort.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenKolleginnen und Kollegen! Unsere BundeskanzlerinDr. Angela Merkel sagte in ihrer gestrigen Rede: „Wirinvestieren in unser wichtigstes Kapital, und das sind dieMenschen.“ Wir investieren in die Familien in Deutsch-land, und das, meine Damen und Herren, ist auch gut so.
Mit dem Haushalt 2014 machen wir einen großenSchritt in die richtige Richtung; denn schon für das Jahr2015 und für die folgenden Jahre planen wir keineNeuverschuldung. Dies zeigt, dass wir unsere Verant-wortung für die künftigen Generationen sehr ernst neh-men. In diesem Zusammenhang sprechen wir heute überden Finanzplan des Bundesministeriums für Familie,Senioren, Frauen und Jugend.Im vorliegenden Haushaltsentwurf ist sehr deutlicheine Politik zu erkennen, die das Miteinander aller Gene-rationen in unserem Land fördert. Wir wollen eine fami-lienfreundliche Gesellschaft, eine familienfreundlicheBildungslandschaft und darüber hinaus, meine sehrverehrten Damen und Herren, eine Gesellschaft, in derKinder herzlich willkommen sind.
Wir sprechen bei diesem Einzelplan in diesem Jahr vonAusgaben in Höhe von rund 7,9 Milliarden Euro. Dasentspricht einer Erhöhung um circa 1 Milliarde Euro.Diese Aufstockung untermauert nochmals, wie wichtiguns die Menschen und insbesondere die Familien in un-serem Land sind.
Es wurde schon mehrfach angesprochen: Das Eltern-geld nimmt mit 5,37 Milliarden Euro den größten Postenim Einzelplan 17 ein. Das Elterngeld ist und bleibt einsehr wichtiges Instrument im Rahmen unserer Verant-wortung für die Familien in Deutschland. So ersetzt dasElterngeld grundsätzlich 67 Prozent des nach der Geburtdes Kindes wegfallenden Erwerbseinkommens. Mindes-tens aber erhalten alle anspruchsberechtigten Eltern300 Euro, und für Geringverdiener, Mehrkinderfamilienund Familien mit einer Mehrlingsgeburt wird das Eltern-geld zusätzlich erhöht. Aufgrund der guten Resonanzwurde der Ansatz für das Elterngeld für dieses Jahr nochmal um 470 Millionen Euro angehoben. Dies zeigt zumeinen, wie gut das Elterngeld von den Menschen, vonden Familien, angenommen wird. Zum anderen ist posi-tiv zu verzeichnen, dass mitunter auch die Geburtenzah-len in Deutschland ansteigen. Bereits im letzten Jahr er-gab sich daher ein Anstieg der Geburtenzahl von rund1,5 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Dieshatte zur Folge, dass die ursprüngliche Prognose von660 000 Geburten übertroffen wurde und tatsächlich670 000 Geburten zu verzeichnen waren.Ein weiterer wesentlicher Ansatz im Etat des Einzel-plans – da muss ich ein bisschen schmunzeln; da gibt esviele Freunde – ist natürlich für das Betreuungsgeld.
– Doch, die Freunde sind in der Mehrheit. – Mit der Er-höhung um 460 Millionen Euro auf jetzt 515 MillionenEuro reagieren wir darauf, meine sehr verehrten Damenund Herren, dass das Betreuungsgeld angenommen wird.
Es zeigt, dass es richtig war, diesen Schritt trotz derschwierigen Diskussionen zu gehen und das Betreuungs-geld einzuführen.
Damit haben Eltern und junge Familien die Möglichkeit,ein Stück weit unabhängiger über die Betreuungs- undErziehungsaufgaben in der Familie oder im privatenUmfeld zu entscheiden.
Darüber hinaus wurde – das freut mich besonders –auch die Erhöhung der Zuweisung an die Conterganstif-tung um 120 Millionen Euro im Familienhaushalt be-rücksichtigt. Damit wollen wir, meine sehr verehrtenDamen und Herren, sicherstellen, dass die Leistungen andie Contergangeschädigten in Form der Conterganrentenund medizinischen Hilfen weiter erbracht werdenkönnen.
Angesichts dieser Bilanz und dieser Zahlen kann unswohl kaum der Vorwurf gemacht werden, wir würdennicht genügend Mittel in den Einzelplan 17 einstellen.Vielmehr setzen wir uns – wie ich bereits eingangsbeschrieben habe – bewusst dafür ein, dass zum Beispieldie Eltern die Wahlfreiheit bei der Kindererziehung be-halten, aber auch, dass Familien gerade in den schwieri-gen Anfangsjahren finanziell unterstützt werden.
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Alois Rainer
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Ein Punkt, der noch große Beachtung finden muss, istder Bundesfreiwilligendienst. Es geht vor allem um ei-nen vielseitigen Bundesfreiwilligendienst. Hier engagie-ren sich Frauen und Männer für das Allgemeinwohl undleisten dadurch einen erheblichen, unglaublich wichti-gen Beitrag für eine stabile Gesellschaft. Dafür möchteich denen, die sich für den Bundesfreiwilligendienst zurVerfügung stellen, herzlich danken und ihnen meine An-erkennung aussprechen.
Es ist wichtig, dass wir das Engagement weiter nutzenund eine dauerhafte Finanzierung sicherstellen können.Die steigende Lebenserwartung der Menschen unddas Älterwerden der Gesellschaft beinhalten neue He-rausforderungen, bieten aber auch neue Chancen. UnserePolitik für Senioren zielt zum einen darauf ab, die Älte-ren in ihrem Engagement bei der Entfaltung ihrerKompetenzen und Kapazitäten zu unterstützen und zufördern, und zum anderen, die Vereinbarkeit von Pflegeund eigener Erwerbstätigkeit zu verbessern.Mit den Mehrgenerationenhäusern, die die Potenzialealler Generationen – die Bewohner spiegeln den Quer-schnitt der Gesellschaft wider – fördern, haben wir einesehr innovative Antwort auf die Herausforderungen derdemografischen Entwicklung gefunden. So wurde imKoalitionsvertrag festgehalten, dass ein Konzept entwi-ckelt wird, damit nach dem Wegfall der ESF-Mittel dieFinanzierung der Mehrgenerationenhäuser sichergestelltist.Insgesamt kann man festhalten, dass der vorliegendeHaushaltsentwurf eine gute Grundlage für die kommen-den Beratungen ist. Mir ist völlig klar: An einen Haus-hälter werden viele Wünsche herangetragen. Wünschegibt es immer und viele. Leider kann man nicht alleWünsche erfüllen. Wichtig ist es, Prioritäten zu setzen.In diesem sehr guten Haushaltsentwurf wurden sie ent-sprechend gesetzt.Liebe Frau Dr. Brantner, sehr verehrte Kollegen, ichkönnte Ihnen in der mir verbleibenden Redezeit übermeine Erfahrungen als amtierender Bürgermeister, leidernicht mehr lange, berichten. Ich könnte Ihnen einige Bei-spiele nennen, wie es in einer Kindertagesstätte zugehenkann, wenn sie gut organisiert ist, auch wenn jemandfehlt. Wenn der Wille zur Flexibilität vorhanden ist, dannfunktioniert es sehr gut. An meinem Dialekt ist zu erken-nen, wo es gut funktioniert: Ich komme nämlich ausBayern.Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist
Uli Gottschalck, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! – Das ist heute übrigens die zweitePräsidentin, die bei unserer Debatte den Vorsitz hat. Soviel zum Thema „Frauen in Führungspositionen“.
Toll, dass wir das hinbekommen haben. – Meine sehr ge-ehrten Damen und Herren! Ich werde mich nicht an meinRedekonzept halten. Viel lieber möchte ich mit einigenLegenden und Unwahrheiten aufräumen, die von derOpposition teilweise verbreitet wurden.Ich bin sehr froh, dass wir endlich eine Familienmi-nisterin haben – die Altlast Betreuungsgeld ist hier einwarnendes Beispiel –, die mit Herz und Verstand fürFamilien, Frauen, Senioren, Kinder und Jugend arbeitet,und das engagiert und gern.
Sie hat in den Koalitionsverhandlungen sehr gut verhan-delt. Diese Erfolge setzt sie jetzt sukzessive um.Zu dem, was ich hier von Herrn Leutert gehört habe,der mir als Hauptberichterstatter zu dem Einzelplan 17bisher, ehrlich gesagt, nicht besonders aufgefallen ist,
kann ich nur sagen: Höher, schöner, breiter – das gehtimmer. Aber man muss auch ein Stück weit erwartenkönnen, dass von euch Vorschläge und Konzeptionenvorgelegt werden. Wie hättet ihr es denn gerne? Es istein bisschen schwierig, wenn man immer nur fordert.
Ich bleibe bei den Linken und komme zu Frau Golze.Frau Golze, es stimmt einfach nicht, dass wir beim Kin-der- und Jugendplan kürzen. Lesen bildet, aber fragenhilft auch.
Das ist in einen anderen Titel ausgelagert worden; dassteht auch unten drunter. 1,2 Millionen Euro sind in ei-nen anderen Titel für die politische Bildung junger Leutegeflossen. In diesem Bereich sind es sogar 370 000 Euromehr.
Das ist für meinen Geschmack zwar immer noch zu we-nig, aber es ist ein Anfang. Es ist schlicht gelogen, dasswir um 1,2 Millionen Euro kürzen. Das stimmt nicht.
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Ulrike Gottschalck
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In diesem Zusammenhang will ich gleich einen ande-ren Punkt ansprechen: Ich bin mir mit dem sehr ge-schätzten Unionshaushälter einig, dass wir an diesemPunkt nacharbeiten möchten, um die Jugendverbändenoch ein wenig besser zu unterstützen. Wir suchen nachSpielräumen. Das machen wir gemeinsam.
Frau Golze, es stimmt auch nicht, dass wir beimUnterhaltsvorschuss kürzen. Wir kürzen auch nicht beimKinderzuschlag, was Frau Brantner gesagt hat.
Das sind Pflichtleistungen. Das sind gesetzlich vorge-schriebene Leistungen, die bezahlt werden müssen.
– Vielleicht macht der Herr Leutert mit Ihnen einmal einkleines Haushaltsseminar, um Ihnen das näherzubringen.
Frau Kollegin Gottschalck, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage der Kollegin der Linken?
Sehr gerne.
Bitte schön.
Es tut mir leid, Herr Weinberg, dass Sie um Viertel
nach drei nicht mehr über Familienpolitik reden wollen.
Dazu fällt mir nichts mehr ein.
Frau Kollegin, danke, dass Sie die Frage zulassen. Ich
habe von dem gekürzten Haushaltstitel gesprochen. Ich
habe Sie gebeten, mir zur erklären, wie Sie darauf kom-
men. Ich habe gesagt, dass ich nicht glaube, dass es
weniger Alleinerziehende gibt, die einen Unterhalts-
vorschuss brauchen. Bitte erklären Sie mir das einfach.
Ich habe hier Fragen gestellt. Über die sozialen Netz-
werke wird mir sogar schon gesagt: Mensch, du hast so
viele Fragen gestellt, aber du bekommst keine Antwor-
ten. Ich hätte gerne eine Antwort, und zwar nicht morgen
früh um 8 Uhr in der einstündigen Sitzung des Familien-
ausschusses. Ich hätte gerne eine wirklich sachliche Be-
arbeitung dieses Themas. Ich habe viele Fragen gestellt.
Ich würde mich freuen, wenn Sie eine davon beantwor-
ten könnten.
Frau Golze, ich denke, es ist nicht meine Aufgabe, Sie
in Haushaltsrecht zu unterrichten. Diesbezüglich möchte
ich Sie an Herr Leutert verweisen.
Es folgen noch viele Beratungen. Ich komme gerne in
Ihre Sitzung und unterstütze Sie, wenn Sie Fragen
haben.
Ich würde jetzt gerne mit meinem Redebeitrag weiter-
machen.
Gestatten Sie auch noch eine Zwischenfrage des Kol-
legen Leutert?
Ich möchte jetzt erst einmal weitermachen. Vielleicht
stellt er seine Frage zum Schluss meiner Rede.
Sie dürfen die Kollegin Golze dann unterrichten.
Danke.
Genau. – Ich verstehe ehrlich gesagt nicht – das giltauch für die Kollegin der Grünen –, warum man sich beidiesem Thema so echauffieren muss.
Wir haben verhandelt. In Koalitionsverhandlungen mussman Kompromisse eingehen. Ihr müsst euch nur einmaldie Grünen in Hessen anschauen. Dann werdet ihr sehen,wie geschmeidig die Grünen dort geworden sind.
Dafür haben wir wirklich dicke Punkte herausverhan-delt. Hier wurde zum Beispiel die Qualifizierungsoffen-sive lässig abgetan. Sie wurde belächelt, und es wurdegesagt, das seien gerade einmal 4 Millionen Euro.
– Ekin, hörst du vielleicht einmal zu?
Du bist Haushälterin. Wenn du in den Haushaltsentwurfschaust, wirst du feststellen, dass die Mittel für die Qua-lifizierungsoffensive in 2014 um 4 Millionen Euro stei-
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Ulrike Gottschalck
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gen, mit Verpflichtungsermächtigungen. 2017 stehen wirdann bei 100 Millionen Euro. Ich denke, das ist einewichtige Botschaft. Wir geben 100 Millionen Euro fürdiese Qualifizierungsoffensive aus. Aber man kann nichtalles sofort haben.
Gerade der Bereich frühkindliche Bildung ist derMinisterin und uns besonders wichtig; denn frühkind-liche Bildung ist auch volkswirtschaftlich sinnvoll
und hat etwas mit Chancengleichheit zu tun.
Deshalb hoffe ich sehr, dass unser Haus von diesen6 Milliarden Euro, die für Krippen, für Schulen,
für Kitas und Hochschulen vorgesehen sind, angemessenprofitiert.
Aber ich räume auch mit dem Vorurteil auf, das Sie ge-rade vorgebracht haben. Sie haben gesagt, dass dies auchdie Forschung umfasst. Das stimmt nicht. Für die For-schung gibt es 3 Milliarden Euro extra. Das kommt dannBildung und Forschung zugute.
Also immer schön bei der Wahrheit bleiben. Ich denke,das wird uns allen weiterhelfen.Ich finde, es ist ein guter Entwurf. Ich wollte noch et-was zum BAFzA sagen, aber dafür reicht meine Rede-zeit nicht. Uns liegt ein guter Entwurf vor, den wir innächster Zeit beraten werden. Ich bin sehr guter Hoff-nung, dass wir konstruktiv, sehr fachlich und vielleichtauch sachlich orientiert an dieses Vorhaben herangehenkönnen.Ich bedanke mich und freue mich auf die Zusammen-arbeit.
Vielen Dank. – Das Wort zu einer Kurzintervention
erhält jetzt der Kollege Leutert.
Frau Kollegin Gottschalck, es tut mir leid, dass wir
uns noch nicht kennengelernt haben. Wir werden es in
den nächsten vier Jahren bestimmt tun. Ich habe die
Hauptberichterstattung für dieses Ministerium erst neu
übernommen. Das ist nun einmal so. Ich habe acht Jahre
lang darum gekämpft, dieses tolle Ministerium als
Hauptberichterstatter begleiten zu können.
Ich wurde um Aufklärung darüber gebeten, wie sich
das nun im Haushalt verhält. Ich kann bestätigen: Wenn
in einem Titel eine niedrigere Zahl steht als im vorheri-
gen Haushalt, dann ist das eine Kürzung, und wenn Sie
nicht nachweisen können, dass der Bedarf geringer ist
als vorher, dann ist das sogar eine ungerechtfertigte Kür-
zung.
Frau Kollegin Gottschalck.
Herr Leutert, Sie haben Haushaltspolitik schon früher
gemacht als ich. Ich denke, ich muss Ihnen nicht erklä-
ren, dass es sich um Ausgabereste handelt, die dafür ver-
wendet werden.
Das ist keine Leistungskürzung. Vielleicht lernen Sie das
auch noch, Frau Golze.
Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen zu diesem
Einzelplan liegen nicht vor.
Wir kommen deshalb zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Gesundheit, Einzelplan 15.
Ich bitte jetzt, zügig die Plätze zu wechseln. – Herr
Kollege Lauterbach, bitte nehmen Sie Platz.
Ich eröffne die Debatte. Das Wort für die Bundesre-
gierung hat Herr Bundesminister Hermann Gröhe.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wennwir erst am Anfang dieser Haushaltsberatungen stehen,möchte ich mich gleich zu Beginn bei den Berichterstat-terinnen und Berichterstattern zum Einzelplan 15 für diebisherige gute Zusammenarbeit bedanken. Ich freuemich auf die Fortsetzung dieser Zusammenarbeit bei derkonkreten weiteren Beratung in den nächsten Wochen.Wenn man, wie es bei mir der Fall ist, einen Ressort-haushalt das erste Mal vor diesem Haus zu vertreten hat,dann schaut man natürlich nach, wie die Situation in derVergangenheit war. Wie war die Lage in der vergange-
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Bundesminister Hermann Gröhe
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nen Legislaturperiode? Was hat sich verändert? Welcheneuen Herausforderungen haben wir?Vier Jahre zurückgeschaut, am Beginn der letzten Le-gislaturperiode, standen die sozialen Sicherungssystemenoch ganz im Zeichen des Schocks aufgrund der Finanz-krise. Die Furcht vor Beitragserhöhungen war groß, dieEinnahmeseite stand unter Druck. Um 3,9 Milliar-den Euro musste damals der Bundeszuschuss erhöhtwerden, um die Krankenversicherung hinsichtlich ihrerFinanzlage zu stützen. Wir haben uns damals zu Rechtdafür entschieden, auch eine höhere Verschuldung inKauf zu nehmen, um die sozialen Sicherungssysteme indiesem Land stabil zu halten.Heute können wir feststellen: Die gesetzliche Kran-kenversicherung und der Gesundheitsfonds stehen gutda. Allein im Gesundheitsfonds stehen Liquiditätsreser-ven von 13,6 Milliarden Euro zur Verfügung. Die Rück-lagen der gesetzlichen Krankenversicherung sind zu-gleich auf rund 18 Milliarden Euro angewachsen. ZuBeginn der letzten Legislaturperiode hatte die Sozialver-sicherung Hilfe aus dem Bundeshaushalt nötig. Heutesind wir in der Lage, einen wichtigen Beitrag zur Konso-lidierung des Bundeshaushalts zu leisten.
Das ist aber kein Selbstzweck. Gesunde Staatsfinan-zen und ein solides, solidarisches Gesundheitswesen be-dingen einander. Unsere Politik der Haushaltskonsoli-dierung stärkt die wirtschaftliche Entwicklung und damitdie gute Lage auf dem Arbeitsmarkt. Gute und sichereArbeitsplätze sind aber auch das Fundament unseresleistungsfähigen Gesundheitswesens. Verantwortungs-lose Schuldenmacherei oder ein grenzenloses Drehen ander Beitragsschraube vernichten Arbeitsplätze und wür-den auch die Verlässlichkeit unserer sozialen Siche-rungssysteme untergraben. Deshalb ist beides mit unsnicht zu machen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle mit einigen Missver-ständnissen aufräumen – ich will hoffen, dass es Miss-verständnisse waren; sonst müsste ich den Beitrag vonFrau Kipping in der Generaldebatte schon als Boshaftig-keit verstehen –: Die vorgesehene Absenkung desBundeszuschusses auf 10,5 Milliarden Euro führt kei-neswegs dazu, dass Abstriche bei der Gesundheitsver-sorgung gemacht werden müssen. Keine einzige medizi-nische Leistung wird dadurch infrage gestellt;
denn Kürzungen bei den Krankenkassen wird es nichtgeben. Das Argument, die Krankenkassen müssten des-wegen die Beitragssätze erhöhen, geht völlig an derWirklichkeit vorbei. Den Krankenkassen stehen auch fürdie Jahre 2014 und 2015 die vollen 14 Milliarden Euroaus Steuermitteln zur Verfügung. Die Versicherten wer-den nicht zusätzlich belastet,
weil wir die Mindereinnahmen durch die Entnahme ausder Liquiditätsreserve, die prall gefüllt ist, ausgleichen.Da Sie in den nächsten Jahren zu erwartende Ausga-bensteigerungen angesprochen haben, weise ich Sie aufden Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes hin, in demausdrücklich festgelegt ist, dass der Bundeszuschuss be-reits im nächsten Jahr um 1 Milliarde Euro ansteigenwird, 2016 dann auf 14 Milliarden Euro und ab dem Jahr2017 auf 14,5 Milliarden Euro. Das spricht für eine ver-antwortungsvolle Finanzpolitik, die sowohl die konjunk-turelle Lage als auch die Stabilität unserer Sozialkassenim Auge hat. Diese werden wir auch in Zukunft fortset-zen.
Meine Damen, meine Herren, zum Sozialstaatsprin-zip der Bundesrepublik Deutschland gehört zentral, dasssich alle Menschen in unserem Land darauf verlassenkönnen, dass ihnen bei Krankheit, bei Pflegebedürftig-keit oder im Fall eines Unfalls menschliche Zuwendungund qualifizierte Hilfe zuteil werden. Deutschland ver-fügt über ein solidarisches und leistungsfähiges Gesund-heitswesen, das vielen in der Welt als Vorbild dient. Da-mit dies auch in Zukunft so bleibt, halte ich folgendeWeichenstellungen für erforderlich:Erstens: solide Finanzen. Gleich zu Beginn dieser Le-gislaturperiode haben wir dem mit zwei Gesetzen Rech-nung getragen. Mit dem 14. SGB-V-Änderungsgesetzwurden der Preisstopp für Arzneimittel verlängert undder Herstellerrabatt auf 7 Prozent festgeschrieben; dieGKV spart dadurch im Jahr rund 650 Millionen Euro.Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstrukturund der Qualität in der gesetzlichen Krankenversiche-rung sichert Beschäftigung in Deutschland, stärkt die Fi-nanzstruktur der Kassen, sorgt für gerechte Ausgleiche,schützt Versicherte vor Überforderung und fördert dennotwendigen Wettbewerb zwischen den Kassen.Mit der Festschreibung des Beitragssatzes für die Ar-beitgeber vermeiden wir zusätzliche Belastungen bei denLohnnebenkosten; denn wir wollen Wachstum und Ar-beitsplätze weiter fördern.
Die einkommensunabhängigen Zusatzprämien wer-den künftig entfallen, sie werden verschmolzen mit dembisherigen 0,9-prozentigen Zusatzbeitrag, den die Mit-glieder seit Juli 2005 zu entrichten hatten. Der neue per-sönliche, einkommensabhängige Zusatzbeitrag wird vonKasse zu Kasse variieren. Also erhalten die Versichertenein klares Preissignal und haben im Falle von Preiserhö-hungen auch ein Sonderkündigungsrecht. Der Wettbe-werb wird so gefördert. Das zeigt bereits Wirkung: Sie-ben gesetzliche Krankenkassen wollen im nächsten Jahrihre Beiträge senken. Das ist im Sinne der Versichertenin unserem Land.
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2508 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Bundesminister Hermann Gröhe
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Zweitens. Wir sichern verlässliche Strukturen. Einegute Gesundheitspolitik schafft verlässliche Strukturen,damit sich die Menschen im Krankheitsfall auf medizini-sche Versorgung verlassen können, die bezahlbar unddie gut erreichbar ist.Das gilt für die ambulante Versorgung: Deshalb habenwir zum 1. April dieses Jahres die Hausarztverträge ge-stärkt und wollen noch in diesem Jahr die Möglichkeitenzur Einrichtung von Medizinischen Versorgungszentrenverbessern.
Das gilt aber auch für die stationäre Versorgung: Des-halb werden wir schon bald in einer Bund-Länder-Ar-beitsgruppe mit den Ländern darüber reden, wie wir einequalitativ hochwertige, flächendeckende Krankenhaus-versorgung in unserem Land sicherstellen können.Von zentraler Bedeutung für mich sind die umfassen-den Verbesserungen im Bereich der Pflege. In 15 Jahrenwerden rund 1 Million Menschen mehr in diesem Landpflegebedürftig sein als heute. Deshalb wird der Ausbauder Leistungen der Pflegeversicherung ein wesentlicherSchwerpunkt der Arbeit dieser Bundesregierung sein.
Das ist ein echter Kraftakt, den wir den Pflegebedürfti-gen in unserem Land schuldig sind.
Wir gehen diese Verbesserungen zügig an: In dieserWoche ist der Gesetzentwurf für die erste Stufe der Pfle-gereform in die Ressort-, Länder- und Verbändeabstim-mung gegangen. Zum 1. Januar des nächsten Jahres wol-len wir umfassende Leistungsverbesserungen imUmfang von insgesamt 2,4 Milliarden Euro für eine bes-sere Unterstützung der Pflege zu Hause, für mehr Be-treuungskräfte in unseren Pflegeeinrichtungen und füreine Anpassung der Leistungssätze an die Preisentwick-lung der letzten Jahre umsetzen.Vorgestern habe ich dem Spitzenverband der Pflege-kassen grünes Licht gegeben für den Start einer Erpro-bungsphase für die umfassende Umsetzung des neuenPflegebedürftigkeitsbegriffs.
In zwei Studien werden wir bis Anfang 2015 die prakti-sche Anwendung, die Alltagstauglichkeit des neuen Be-gutachtungssystems testen. 4 000 Personen im gesamtenBundesgebiet werden dann vergleichend nach dem altenund nach dem neuen System begutachtet, um daraus fürdie anschließende Umsetzung zu lernen, wenn wir denneuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und das neue Begut-achtungssystem in gesetzliche Regelungen gießen.
Meine Damen, meine Herren, die Beschäftigten inden Pflegeberufen, ob in der Alten- oder in der Kranken-pflege, leisten Tag für Tag Eindrucksvolles. Wir wollenihre Arbeitsbedingungen spürbar verbessern.
Wir wollen zugleich für Anerkennung und für qualifi-zierten Nachwuchs im Bereich der Pflege werben. Auchdas finden Sie im Haushalt wieder: So möchte das Bun-desgesundheitsministerium eine Kampagne für die Pfle-geberufe starten. Neben den zahlreichen Informationenrund um die Pflegereform werden wir hierfür insgesamt3 Millionen Euro ausgeben.Das ist nur ein Teil des Gesamtbetrages von 43 Mil-lionen Euro, den wir für Prävention und Aufklärung auf-wenden möchten. So gibt es etwa eine weitere Kampa-gne im Bereich der Organspende; sie soll in diesem Jahrmit 7,5 Millionen Euro und damit mit noch höheren Mit-teln als im letzten Jahr fortgesetzt werden.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Klein-Schmeink?
Ja.
Entschuldigung; das war gar keine Meldung.
Ich hätte es gestattet.Meine Damen, meine Herren, lassen Sie mich eineweitere Weichenstellung ansprechen: gute Qualität. Einweiterer finanzieller Schwerpunkt unseres Haushaltesliegt auf der Forschung. Dieser Titel umfasst 23,5 Mil-lionen Euro. Hierin sind Förderungen enthalten, die dieQualität in unserem Gesundheitssystem weiter voran-bringen sollen: zum Beispiel der Ausbau der Versor-gungsforschung – nicht zuletzt im Hinblick auf die Ver-sorgung im ländlichen Raum –, Strategien zurBekämpfung von Krebs mit einem Schwerpunkt auf derStärkung von Früherkennungsangeboten, die Optimie-rung der Patientensicherheit – etwa in Bezug auf Arznei-mittel und ihre Wechselwirkungen – und unsere Strate-gie zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen.Lassen Sie mich noch einen weiteren Titel erwähnen,der mir besonders am Herzen liegt. Es geht um dasThema Kindergesundheit. Wir haben den 2012 ausgelau-fenen Titel zur Kindergesundheit wieder aufgenommen.Diese Mittel wollen wir unter anderem für eine Be-standsaufnahme der kinder- und jugendpsychiatrischenVersorgung in unserem Land nutzen.
Ich erwarte mir davon Erkenntnisse darüber, wo wir ei-nen Nachbesserungsbedarf bei der Versorgung von Kin-dern und Jugendlichen haben und wie wir diese Bevöl-
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Bundesminister Hermann Gröhe
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kerungsgruppe mit unserer Präventionsarbeit bessererreichen können.Hierfür und für die anderen genannten Punkte erbitteich Ihre Unterstützung.Herzlichen Dank.
Herzlichen Dank. – Nächster Redner in der Debatte
ist der Kollege Harald Weinberg, Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Gröhe, es wird Sie nicht wundern, dass meineBilanz etwas anders ausfällt. Es zeichnet sich nämlichschon jetzt ab, dass die Bürgerinnen und Bürger von die-ser Bundesregierung im Bereich der Gesundheitspolitiknicht viel erwarten können.Den Koalitionsvertrag kann man in großen Teilen mitden Worten „Weiter so!“ zusammenfassen. Das gilt imGuten wie im Schlechten. Dort, wo das Gesundheitssys-tem gut funktioniert, kann und sollte man es natürlichauch dabei belassen. Es gibt aber eben auch Probleme,die auf eine Lösung warten und die Millionen Bürgerin-nen und Bürger betreffen. Der Koalitionsvertrag und dieBundesregierung wirken hier sehr uninspiriert und mut-los.Der Dienst für Gesellschaftspolitik – dfg – bezeich-nete Herrn Gröhe schon einmal als „Null-Bock-Minis-ter“. Ich will ihm das persönlich nicht vorhalten, aber inder Gesundheitspolitik haben wir eine Null-Bock-Koali-tion, die die anstehenden Probleme nicht anpackt.
Ein Problem, das in Deutschland lebende Menschenwirklich betrifft – nicht nur die Kranken –, ist die unge-rechte Finanzierung. Im Kern wird diese in vielen Punk-ten ungerecht bleiben.Erklären Sie mir, warum ein Facharbeiter mit3 500 Euro im Monat knapp 330 Euro für Kranken- undPflegeversicherung zahlt, während der Erbe eines Hau-ses, der 2 500 Euro Mieteinnahmen pro Monat erzieltund nebenbei noch 1 000 Euro in Teilzeitarbeit verdient,nicht einmal 100 Euro im Monat zahlen muss. Beide ha-ben im Monat 3 500 Euro brutto, der eine zahlt aberdreieinhalb Mal so viel wie der andere.Ein Selbstständiger – ein Kioskbesitzer, ein Imbiss-verkäufer oder ein Wirt –, der sich mit gerade einmal800 Euro im Monat über Wasser halten kann: Warumzahlt er einen Regelbeitrag von über 300 Euro?Warum muss ein privat Krankenversicherter im Ruhe-stand jährlich teils zweistellige Beitragserhöhungen hin-nehmen, und wie soll er das in Zukunft dauerhaft bezah-len?Was ist daran gerecht, wenn die Arbeitgeber wenigerzur Finanzierung der Krankenversicherung beitragen alsdie Arbeitnehmer?
Was ist daran gerecht, dass alle künftigen Beitragserhö-hungen alleine von den Versicherten gezahlt werden, derArbeitgeber davon also gar nichts mehr zahlt?Ist es sinnvoll, dass zwei Patienten mit derselbenKrankheit eine unterschiedliche Behandlung bekommen,je nachdem, ob sie privat oder gesetzlich versichert sind?Das alles sind Ungerechtigkeiten, die mit einer Bür-gerinnen- und Bürgerversicherung behoben werdenkönnten.
Aber genau das wollen Union und SPD bis mindestens2017 nicht tun. So haben sie es verabredet. Deshalb ha-ben wir bei diesen Problemen einen Stillstand.So weit, so schlecht.Was ist mit dem Pflegenotstand in Krankenhäusern?Die Ursache hierfür liegt in der Finanzierung der Kran-kenhäuser, die für einen scharfen Wettbewerb der Klini-ken untereinander sorgt. In diesem Wettbewerb ist dasKrankenhaus am erfolgreichsten, das am meisten amPersonal spart.Je weniger Pflegekräfte sich um die Patienten küm-mern, desto länger dauert es bis zur Entlassung und biszur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit und umsohäufiger sterben die Patientinnen und Patienten. Das sa-gen uns Studien.Was ist mit der Krankenhaushygiene? 30 000 Men-schen sterben jährlich an Krankenhausinfektionen – rundzehnmal so viele wie an Verkehrsunfällen –, zum Teilauch als Resultat des Personalmangels. In Deutschlandwäre ein Krankenhaus, das so viel Personal zur Verfü-gung stellt, wie es in vergleichbaren Ländern üblich ist,binnen Monaten pleite. Da stimmt doch das Finanzie-rungssystem nicht. Wir müssen darüber nachdenken, wiewir das Finanzierungssystem auf eine neue Grundlagestellen. Denn das darf nicht sein.
Herr Minister, im Koalitionsvertrag geben Sie immer-hin zu verstehen, dass Sie das Problem in Teilen verstan-den haben. Aber Sie planen keine einzige wirkungsvolleMaßnahme, die für mehr Personal in den Kliniken sorgt.Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass Krankenhäusernachweisen müssen, dass sie das ihnen von den Kassenüberwiesene Geld auch für Personal einsetzen. Bereitsjetzt sind die Kosten für Pflegekräfte in der Fallpauscha-lenkalkulation berücksichtigt. Aber wenn wir mehr Per-sonal in den Krankenhäusern wollen – das brauchen wirauch dringend –, dann muss es mehr Geld außerhalb derFallpauschalen geben. So einfach ist das.
Metadaten/Kopzeile:
2510 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Harald Weinberg
(C)
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Mehr Geld sieht der Koalitionsvertrag aber nicht vor.Das Qualitätsinstitut, das Sie nun planen, ist sicherlichkeine falsche Sache.
Das Institut wird aber keine Qualitätsverbesserungenbringen, sondern zunächst einmal nur die Qualität mes-sen. Wenn das Personal fehlt, wird es nicht zu Qualitäts-verbesserungen kommen.Was ist mit der flächendeckenden ambulanten Versor-gung? Union und SPD singen bereits im zweiten Satzdes Gesundheitsteils im Koalitionsvertrag ein Lobliedauf die Freiberuflichkeit der Ärztinnen und Ärzte. ImKlartext heißt das, dass die Arztpraxen möglichst keineKonkurrenz bekommen sollen. Selbst dort, wo es einenÄrztemangel gibt und wo sich kein Arzt niederlassenwill, darf das örtliche Krankenhaus nur so lange ambu-lante Leistungen erbringen, bis sich vielleicht doch einArzt in der Nähe niedergelassen hat. Ich frage Sie: Wel-ches Krankenhaus tätigt unter diesen unsicheren Rah-menbedingungen die notwendigen Investitionen? Kei-nes, vermute ich.Aber eine Maßnahme haben Sie bereits beschlossen:Der Finanzminister will einen ausgeglichenen Haushalt,und gleichzeitig ist von der wichtigsten SPD-Wahl-kampfforderung, mehr Steuern von Wohlhabenden zuerheben, nichts übrig geblieben. Was also tun? Mangreift in die Reserven des Gesundheitsfonds. 6 Milliar-den Euro packen Sie in diesem und im nächsten Jahr ausdem Gesundheitsfonds in den Bundeshaushalt. Das istdas Geld, das die Beitragszahlerinnen und Beitragszah-ler in den letzten Jahren eingebracht haben.
Der Bundeszuschuss – um das an dieser Stelle auchdem Publikum noch einmal deutlich zu sagen – dientdazu, versicherungsfremde Leistungen zu finanzieren.Wenn wir den Bundeszuschuss kürzen, dann bedeutetdas gleichzeitig, dass Beitragsmittel für versicherungs-fremde Leistungen, beispielsweise die Mitversicherungvon Familienangehörigen, herangezogen werden. Inso-fern gehen Sie also doch an die Beitragsmittel heran. Umdiese Argumentation kommen Sie nicht herum.
Die Beitragszahler sind hauptsächlich Bezieher nied-riger und mittlerer Einkommen. Geschont werden dafürinsbesondere Bezieher hoher Einkommen und Besitzergroßer Vermögen. Insofern gilt das Motto „Nimm es denArmen und gib es den Reichen“. So könnte man dieseumgekehrte Robin-Hood-Politik von Union und SPD zu-sammenfassen.
Fazit: Diese Koalition verweigert sich der Lösungdrängender Probleme, entscheidet im Zweifel gegen dieVersicherten und für die Arbeitgeber, für Gutverdie-nende und die Pharmaindustrie. Sie haben gesagt, dassder Rabatt mit dem AMNOG eingeführt wurde. Sie ha-ben aber vergessen, zu erwähnen, dass der Rabatt vorherhöher war und entsprechend gesenkt worden ist.
Ich fürchte, an diesem Kurs wird sich, sofern die Ko-alition so lange durchhält, bis 2017 nichts ändern.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt das
Wort Professor Dr. Karl Lauterbach.
Frau Präsidentin! Mein Platz war eben noch nicht frei,
sonst hätte ich schon gesessen.
Das habe ich von hier aus anders gesehen.
Dann war die Perspektive schlecht. – Ich will zu-nächst auf die Rede von Herrn Weinberg eingehen. Ichhalte es für sehr problematisch, wenn wir uns mitSchmähungen beschäftigen, die in dubiosen Branchen-diensten über uns zu lesen sind. Das ist einfach nicht gut.
Ich halte es für falsch, dass wir solche Dienste auf-werten, indem wir deren Beschimpfungen, die wir allegelegentlich ertragen müssen, auch noch im HohenHaus, im Parlament, zitieren.
Von daher bitte ich Sie: Unterlassen Sie das schlicht undergreifend! Dafür sind wir sonst über kurz oder lang allebetroffen. Das ist eine Aufwertung von Schmutz, denwir im Parlament nicht benötigen, meine sehr verehrtenDamen und Herren.
Bevor ich zu meiner eigentlichen Rede komme, mussich sagen: Sie haben einiges gesagt, das schlicht nichtstimmt. Ich fange einmal mit den wichtigsten Fehlernan:Sie haben darauf hingewiesen, dass wir für die Fall-pauschalen kein zusätzliches Geld in die Hand nehmen.Das ist schlicht nicht richtig. Wir haben vorgesehen, dassfür die Hochkostenfälle mehr Geld zur Verfügung ge-stellt wird. Wir haben eine bessere finanzielle Berück-sichtigung dieser Fälle in den Universitätskliniken vor-gesehen. Es steht nirgendwo ein Wort davon, dass dieskostenneutral ist. Es ist also ganz klar, dass wir für dieFallpauschalen mehr Geld ausgeben werden. Es handeltsich dabei vor allem um Fälle, bei denen das besondersnötig ist und deren Kosten mit den Mitteln für die Hoch-
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Dr. Karl Lauterbach
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kostenkliniken nicht abgedeckt werden können. Es istdaher schlichtweg falsch, zu behaupten, dass wir nichtmehr Geld für die Fallpauschalen ausgeben. Das ist einefalsche Kritik.Es ist auch falsch, dass die Kliniken in den unterver-sorgten Gebieten die Leistungen nur beschränkt anbietendürfen. Das stimmt schlicht nicht. Wir öffnen die Klini-ken in unterversorgten Gebiete für die fachärztliche Ver-sorgung. Diese Öffnung ist nicht zeitlich befristet. Somitist auch das schlicht eine falsche Kritik.Es ist auch falsch, dass das Institut für Qualitätssiche-rung in der Heilmittelversorgung nicht etatisiert ist. Wirhaben festgelegt, dass es genauso etatisiert sein soll wiedas funktionierende IQWiG, dem wir alle so viel verdan-ken, und zwar nach dem gleichen Leistungsgesetz undder gleichen Höhe, wie es bisher der Fall war. Somit ver-fügt es über eine solide Finanzierungsbasis. Über dieHöhe können wir streiten. Sie können ja vorschlagen,dafür mehr auszugeben, beachten Sie aber, dass für dasIQH die höchsten Ausgaben in Europa für ein Institutdieser Art bereitgestellt werden. Es gibt in keinem ande-ren europäischen Land ein Institut oder Bundesinstitut,das einen solchen Routineetat zur Verfügung gestellt be-kommt. Sie reden also etwas klein, was wir gerade ein-geführt haben. Das ist eine Fehldarstellung. Das stimmtso schlicht nicht.
Es ist ebenfalls unwahr, dass wir – so haben Sie es ge-sagt – den Bundeszuschuss gekürzt haben und deshalbversicherungsfremde Leistungen demnächst verstärktaus Versicherungsmitteln bezahlt werden müssen. Dasist falsch. Bis 2017 – der Haushalt gilt für die gesamteLegislaturperiode – wird der Etat, der aus Bundesmittelnbezahlt wird, um eine halbe Milliarde Euro erhöht, undzwar von 14 Milliarden Euro auf 14,5 Milliarden Euro.Das ist eine Erhöhung.Man kann darüber streiten, ob das reicht; ganz klar.Man kann sagen: Das reicht nicht. – Aber in der Zeit bisdahin wird keine einzige Leistung aus den Rücklagendes Fonds bezahlt werden müssen. Sie haben nicht er-wähnt, dass Überschüsse in Höhe von 30 MilliardenEuro im Fonds und in den Kassen liegen. Diese Über-schüsse blieben unerwähnt. Zum Ende der Legislaturpe-riode werden wir einen höheren Bundeszuschuss habenals vorher. Es handelt sich also um eine Aufstockung desBundeszuschusses für die versicherungsfremden Leis-tungen und nicht um eine Kürzung, wie Sie fälschlicher-weise behauptet haben. Daher war auch diese Behaup-tung schlicht unwahr. Es war eine Kritik, die auf derGrundlage einer Fehldarstellung vorgetragen wurde.
Ich sage ganz offen: Ihre Rede war uninspiriert undvor allen Dingen – das ist viel wichtiger – uninformiert.So werden Sie hier im Hohen Hause keinen Erfolg ha-ben. Das ist zumindest meine Überzeugung.
Es soll hier keine große Lobhudelei sein – ich magdas selbst nicht –, aber wir haben aus meiner Sicht einpaar Dinge erreicht, die nicht klein sind. Wenn wir dasPreismoratorium nicht fortgesetzt hätten, dann wären diePreise zum Jahresbeginn explosionsartig gestiegen. Wirhaben das Preismoratorium und die Festsetzung des Her-stellerrabatts auf 7 Prozent schnell umgesetzt. Das spartbis zum Ende der Legislaturperiode immerhin über3 Milliarden Euro.Man kann nun natürlich sagen: Das reicht uns nicht.Ein höherer Rabatt wäre noch besser gewesen. – Dasmüssen Sie aber auch rechtlich begründen können. Wirkönnen den Rabatt nicht willkürlich festsetzen, nachdem Motto der Linkspartei: Es darf ein Stückchen mehrsein, zum Beispiel 20 oder 25 Prozent. Je mehr Um-verteilung, desto besser, immer drauf auf die Pharma-industrie! – Sie müssen das begründen, und zwar vordem Hintergrund, dass wir derzeit Überschüsse in Höhevon 30 Milliarden Euro haben. Wir haben den Rabatt da-mals richtigerweise in dieser Höhe eingeführt, weil dieKassen hohe Defizite gemacht haben. Jetzt machen dieKassen Überschüsse. Das müssen wir nun bei der Fest-setzung der Rabatte berücksichtigen;
denn dies ist keine Willküraktion. Wir können denRabatt nicht wie auf einem Basar festlegen; er muss an-gemessen sein. Ein Rabatt von 7 Prozent war aus meinerSicht angemessen. Wir haben den Preisanstieg bei denPharmaprodukten dadurch abbremsen können.Wir haben damals zu Oppositionszeiten gemeinsamdafür gekämpft, dass die Hausärzte bessere Arbeitsbe-dingungen bekommen. Ich sage in aller Klarheit: Beiden Hausarztverträgen ist jede Vergütungsbeschränkungentfallen. Das ist für die Hausärzte ein Durchbruch, wiees ihn seit Jahren nicht mehr gegeben hat. Wir haben dieHausarztverträge verbessert, indem wir die Qualitätssi-cherung zur Grundlage gemacht haben und die Chroni-kerprogramme darin verankert haben. Das ist eineEntbürokratisierung, und es wird zu einer Verbesserungder hausärztlichen Versorgung bei gleichzeitiger Quali-tätssicherung führen.Ich habe kein einziges Wort der Anerkennung gehört– das sage ich auch an die Adresse der Grünen –, obwohlwir diese Forderung, die wir selbst in der Opposition im-mer aufgestellt haben, erfüllt haben. Ich danke der Unionund dem Minister dafür, dass dieser Weg gemeinsamgegangen wurde. Die hausärztliche Versorgung ist dieGrundlage für jede Qualitätsverbesserung in der ambu-lanten Medizin in Deutschland.
Was die Finanzierung anbetrifft, ist zu sagen, dass esgelungen ist, die Kopfpauschalen abzuschaffen.
Es ist richtig, dass nicht jedes Element der Bürgerversi-cherung bereits umgesetzt wurde. Aber machen wir unsnichts vor: Wir sind in einer Großen Koalition, und in ei-
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ner Großen Koalition muss man sich fair einigen. Diefaire Einigung sah so aus: Die Zusatzbeiträge werdenwieder einkommensabhängig erhoben.
Das heißt, Einkommensschwache profitieren von denhöheren Beiträgen der Besserverdienenden. Es kommtsozusagen innerhalb der Kassen zu mehr Umverteilungzwischen den Einkommensstarken und den Einkom-mensschwachen.Es kommt auch zu mehr Umverteilung zwischen denKassen, weil der Finanzausgleich auf 100 Prozent ausge-dehnt wurde. Das heißt, die Kassen mit mehr einkom-mensstarken Versicherten unterstützen die Kassen mitmehr einkommensschwächeren Versicherten. Das ist einwichtiger Schritt in Richtung mehr Solidarität in unse-rem System. Das ersetzt zwar nicht die Bürgerversiche-rung komplett, aber immerhin wird dadurch die Solidar-gemeinschaft gestärkt. Diese Maßnahme wird dazuführen, dass Einkommensschwache geringere Beiträgezahlen müssen als Einkommensstarke.Sie vergaßen auch zu erwähnen, dass wir die Zusatz-beiträge für diejenigen, die Arbeitslosengeld II beziehen,komplett abgeschafft haben. Da wird kein Zusatzbeitragfällig. Auch das ist ein Schritt in Richtung Solidarisie-rung. Wir konnten nicht alles erreichen, aber es ist einwichtiger Zwischenschritt, auf den wir stolz seinkönnen.
Ich kann nur ganz kurz auf die große Pflegereformeingehen. Die große Pflegereform wird aus meiner Sichteine der wichtigsten Reformen in unserem Solidarsys-tem sein, die wir in den letzten Jahren gemacht haben.Diese Reform hat ein Gesamtvolumen von fast 6 Mil-liarden Euro. Die Leistungen im ambulanten und statio-nären Sektor werden dynamisiert, und die Vergütung fürdie ambulante und stationäre Leistung – derzeit gibt eseine unterschiedliche Vergütung auch bei gleicherLeistung – wird angeglichen. Das neue System wird diegesamte Pflege entbürokratisieren: weniger Schreibar-beiten, mehr Pflege. Die Familien werden mehr unter-stützt, weil ein Teil des Geldes für die Kurzzeit-, Tages-und Nachtpflege ausgegeben wird. Es handelt sich au-ßerdem um ein lernendes System.Wir legen auch noch einen Vorsorgefonds für dieBabyboomer-Generation auf. Dazu stehen wir als SPD.Damit hier kein falscher Eindruck entsteht, sage ich: Wirstehen zum gesamten Koalitionsvertrag. Dazu zählt auchdie Rücklage für die Babyboomer-Generation in Höhevon 1,2 Milliarden Euro pro Jahr.Wir werden an dem System in Gänze festhalten, in-dem wir die Solidarität ausbauen, die Qualität bei Pflegeund Gesundheit verbessern und das System nachhaltigfinanzieren. Wir tun dies in einer Art und Weise, dass esweniger Bürokratie, aber mehr Transparenz gibt.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist dieKollegin Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grü-nen.
Sehr verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr verehrter Herr Minister! Wir haben vonden Mitgliedern der Großen Koalition gerade schöneGeschichten gehört,
die girlandenreich erzählen sollten, dass man auf einemguten Weg ist, dass wir auf der einen Seite eine stabileFinanzierung bekommen werden und auf der anderenSeite mehr Qualität im Gesundheitswesen.
Die Wahrheit ist eine ganz andere.
Herr Minister, Sie haben ja auch eine Rückschau vor-genommen. Wenn man sich anschaut, wie die Situationin den Krankenhäusern und in der Pflege ist, gehört zudieser Rückschau ganz elementar der enorme Re-formstau im Krankenhausbereich und in der Pflege, denSie von Schwarz-Gelb geerbt haben. Das ist die großeAufgabe, die Sie sich jetzt auch vorgenommen haben.Das ist richtig, das ist gut. Eine Reform ist mehr alsüberfällig.
Ob es gelingen wird, diese Reform mit den vorgese-henen finanziellen Mitteln auch tatsächlich zu stemmen,bleibt noch dahingestellt. Meine Kollegin wird ja auchgleich für den Bereich der Pflege noch einmal den Fin-ger in die Wunde legen.Dann haben Sie versucht, darüber hinwegzureden undhaben erzählt, dass wir ja heute die erste Haushaltsbera-tung der Großen Koalition im Bereich Gesundheit erle-ben. Die Wahrheit ist erst einmal: 95 Prozent diesesHaushaltes machen die Zuschüsse zum Gesundheits-fonds aus. Diese Zuschüsse sind nicht etwa Verhand-lungsmasse, abhängig von der Finanzlage, sondern siesind gesetzlich fixiert mit einem Auftrag. Dieser Auftragheißt: Es ist ein Zuschuss des Steuerzahlers für denBeitragszahler für versicherungsfremde Leistungen. Siewollten das vertuschen, indem Sie darauf verwiesen ha-ben, dass wir eine große Rücklage bei den Kassen undim Gesundheitsfonds hätten. Die Wahrheit ist aber:Diese Zuschüsse sind dazu da, beitragsfremde Leistun-gen abzudecken im Bereich des Elterngeldes, des Kin-derkrankengeldes, der Mitversicherung von Kindern undEhepartnern. Das sind doch die eigentlichen Funktionen.
Da geht es um 30 Milliarden Euro. Der Zuschussdeckt mit den insgesamt im Gesetz vorgegebenen14 Milliarden Euro sowieso nur einen kleinen Teil ab.
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Maria Klein-Schmeink
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Wenn Sie dort jetzt Geld entnehmen, machen Sie genaudas, was der Kollege von den Linken betont hat: Sienehmen Geld aus den Taschen der Beitragszahler, um ei-nen vernünftigen und stabilen Haushalt vorweisen zukönnen.
Aber das ist das Gegenteil von solider Finanzierung.Das ist das Gegenteil von nachhaltiger Finanzierung.Das ist ein Griff in die Kassen der Sozialversicherung.
Zusätzlich wollen Sie ja im Zuge der finanziellenReform, die Sie in Kürze angehen wollen, einen Zusatz-beitrag einführen, der die Versicherten erneut zur Kassebitten wird. Das ist zutiefst ungerecht.
Das, liebe SPD, ist auch das Gegenteil dessen, wasSie gemeinsam mit uns und den Linken im Wahlkampfversprochen haben. Sie sind wie wir für eine solidarischeFinanzierung eingetreten.
Wo bleibt genau dieses Konzept? Das möchte ich se-hen.
– Das Konzept hatte trotzdem einen großen Rückhalt inder Bevölkerung; das wissen Sie.
Nun hat der Minister ja auch noch einmal darauf hin-gewiesen, dass wir mit der Einführung des pauschalenZusatzbeitrages vielleicht ein bisschen viel Wettbewerbim Gesundheitswesen hatten, sozusagen eine Über-strapazierung des Wettbewerbs, der dazu geführt hat,dass die Kassen sehr stark auf ihre Ausgaben geschauthaben. Sie meinen, dass Sie jetzt mit dem prozentualenZusatzbeitragssatz einen moderateren Weg gehen. Faktist aber: Sie werden den Preiswettbewerb weiter fortset-zen. Das wird dazu führen, dass die Leistungen schlech-ter werden, dass die Krankenkassen nicht in bessereQualität und bessere Versorgung investieren, sondernwie das Kaninchen auf die Schlange schauen werden,wie ihr Beitragssatz und ihre Position im Preiswett-bewerb der Krankenkassen aussehen werden. Das ist dasGegenteil von Gerechtigkeit und Qualität in der Versor-gung. Genau dieser Weg wurde schon während derschwarz-gelben Regierungszeit beschritten. Der Schwer-punkt liegt vor allem auf Preiswettbewerb und Finanzen.Es gibt nur wenige Investitionen in wirklich gute Quali-tät. Eine solche Herangehensweise ist angesichts des de-mografischen Wandels nicht zu verantworten.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Dr. Georg Nüßlein ist der nächste
Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrWeinberg, Sie haben von der Null-Bock-Koalitiongesprochen. Schon die Wortwahl passt nicht zu dieserKoalition. Das ist eher Ihr Jargon. Da Sie aber schon vonnull Bock sprechen: Ich habe keine Lust auf die Bürger-versicherung, die Ihnen vorschwebt; denn diese führt zuGleichmacherei und dazu, dass alles gleichmäßigschlechter wird.Herr Lauterbach hat die Kompromisslinie sehr gut be-schrieben und Ihnen vorgehalten, worauf wir uns sinn-vollerweise verständigt haben und was das für diejeni-gen bringt, auf die es ankommt, nämlich für diePatientinnen und Patienten, die Versicherten.Da ich den Eindruck habe, dass die Opposition mo-mentan nichts anderes zu tun hat, als uns den Start madigzu machen und so zu tun, als ginge hier nichts voran,will ich unterstreichen: Entgegen aller Unkenrufe hatdiese Koalition auch im gesundheitspolitischen Bereicheinen ausgezeichneten Start hingelegt.
Wir haben im Arzneimittelbereich ausgewogene Maß-nahmen beschlossen. Die Verlängerung des Preismorato-riums und die Anhebung der Herstellerrabatte helfen, dieAusgaben im Griff zu behalten. Die Beendigung desAufrufs der Bestandsmarktarzneimittel trägt eindeutigzum Bürokratieabbau bei, vermeidet Streitfälle und gibtden Arzneimittelherstellern verlässliche Perspektiven.Denn zur Wahrheit gehört auch: Wir brauchen für dieArzneimittelhersteller in diesem Land, das einmal dieApotheke der Welt war, verlässliche Perspektiven unddie komplette Wertschöpfungskette. Das ist nicht nurunter industriepolitischen Aspekten wichtig, sondernauch entscheidend für die Versorgung der Patienten. Icherinnere nur an die Lieferengpässe, die uns gelegentlichdrücken, beispielsweise bei den Impfstoffen. Im Laufedieser Legislaturperiode müssen wir prüfen, ob die Rah-menbedingungen zum Beispiel bei der Preisfindung ver-bessert werden müssen.Wir haben im Koalitionsvertrag – wie ich meine, zuRecht – vereinbart, dass wir möglichst bald in einen Dia-log mit der Pharmaindustrie treten, nicht um einer Lobbynachzulaufen, sondern im Bewusstsein, dass die Phar-maindustrie in Deutschland hohe Umsatzrenditen erzieltund für Deutschland wichtig ist. Sie ist genauso wichtigwie die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum. Ichbin dem Bundesgesundheitsminister sehr dankbar, dasswir gleich zu Beginn ein Signal an die Hausärzteschaftgesendet und die Vergütungsdeckelung beseitigt haben.Man kann sicherlich viele theoretische Diskussionendarüber führen, wie sich der ländlichen Raum für diehausärztliche Versorgung attraktiver gestalten lässt. Aber
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Dr. Georg Nüßlein
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zum Schluss müssen Taten folgen. Dass es dabei auchum Euro und Cent geht, dürfte jedem in diesem Hausklar sein.Nun haben wir den Entwurf eines Gesetzes zur Wei-terentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität inder GKV auf den Weg gebracht. Dieses Gesetz wird anverschiedenen Stellen Nutzen stiften. Die Festschrei-bung der Arbeitgeberbeiträge ist hier schon kritisiertworden. Sie ist aber aus meiner Sicht ein Beitrag, um indiesem Land Arbeitsplätze zu sichern.Wir haben in der Tat einen einkommensabhängigenZusatzbeitrag statt des Sozialausgleichs über Steuermit-tel vereinbart. Er ist geeignet, Bürokratie zu reduzieren.Wir werden in einem ersten Schritt die Beiträge für allesenken. Nur die Kassen, die zusätzliche Mittel benöti-gen, werden Zusatzbeiträge erheben. Dadurch haben wirmehr Transparenz und mehr Wettbewerb. Es werden et-liche Kassen sein – darüber brauchen wir nicht zu disku-tieren –, aber wir haben, wie gesagt, mehr Transparenzund mehr Wettbewerb. Die Kassen erhalten mehr Bei-tragsautonomie und die Versicherten ein Sonderkündi-gungsrecht; das möchte ich ganz ausdrücklich sagen.Das können sie wahrnehmen, je nachdem, ob ihnen dieKosten mehr am Herzen liegen oder ob aus ihrer Sichtdas Serviceangebot wichtiger ist. Ich glaube, dass wir ander Stelle einen guten Schritt vorangekommen sind.Nun wurde hier verschiedentlich die Reduzierung desBundeszuschusses an den Gesundheitsfonds angespro-chen. Ich weiß, dass das ein Einfallstor für Kritik derOpposition ist, weil man verschiedene Rechnungen auf-machen und allerhand behaupten kann. Wenn man aberangesichts der Tatsache, dass 30 Milliarden Euro aufHalde liegen, am Anfang weniger und später, wenn dasGeld knapp wird, mehr zahlt, dann kann das doch nichtAnlass für Kritik sein; denn das Geld fehlt an der Stellenicht.
Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Klein-Schmeink?
Ich nehme an, dass die Kollegin mir wieder dasselbe
vorrechnen wird wie vorhin, aber gerne.
Wir rechnen jetzt nicht einfach, sondern es geht da-
rum, dass der Zuschuss von 14 Milliarden Euro definitiv
im § 221 des SGB V fixiert ist, und zwar genau für den
Zweck der Abgeltung versicherungsfremder Leistungen.
Es ist also nicht so, dass man je nach Kassenlage einen
Zuschuss dort hinschieben kann oder nicht. Vielmehr ist
dieser Zuschuss zur Abdeckung von bestimmten Kosten
vorgesehen. Insgesamt sind es 30 Milliarden Euro, die
aufzubringen wären, aber 14 Milliarden Euro stehen im
Gesetz. Das ist das eine.
Der andere Gesichtspunkt ist: Wenn weniger Zu-
schuss an den Gesundheitsfonds gegeben wird, wird das
dazu führen, dass dann, wenn der Gesundheitsfonds leer
ist – das wird er Ende 2015 sein –, der Beitragszahler
nach Ihren Plänen ihn alleine wieder auffüllen, also al-
leine die Kosten tragen muss. Sehe ich das richtig, oder
wie würden Sie das beschreiben?
Liebe Frau Kollegin, das ist Ihre Sicht der Dinge. Ichsehe ganz klar, dass wir das Gesetz und auch den Zu-schuss regeln. Wir sagen in dem Zusammenhang: Wirzahlen das Geld dann in diesen Fonds, wenn es notwen-dig ist und wenn es als Ausgleich gebraucht wird. Daswerden wir in höherem Maße zu dem Zeitpunkt tun,wenn die Gelder, wie Sie es richtig beschreiben, fehlen.Daher drückt mich die Sorge nicht, dass die Beitragszah-lerinnen und Beitragszahler in diesem Zusammenhangdraufzahlen.
Wir werden an dieser Stelle unserer Verpflichtung, wiees alle Redner der Koalition beschrieben haben, kom-plett nachkommen. Seien Sie da nicht in Sorge!
Ich will auch die Regelung zum Risikostrukturaus-gleich ansprechen, die mehr Gerechtigkeit zwischen denKassen schaffen soll. Deshalb werden wir im Zusam-menhang mit diesem Mechanismus insbesondere überdas Krankengeld reden. Das Krankengeld ist eine ein-kommensabhängige Entgeltfortzahlung. Deshalb mussman die Einkommensstrukturen der Versicherten in denunterschiedlichen Krankenkassen – die weichen vonein-ander ab – entsprechend berücksichtigen.Nun hat vorhin jemand gesagt, wir würden nicht aufdie Qualität schauen. Auch das ist falsch. Es ist im Ge-setzentwurf ein Institut für Qualitätssicherung undTransparenz im Gesundheitswesen vorgesehen. Geradedie Verbesserung der Qualität in der medizinischen Ver-sorgung ist dieser Koalition ein entscheidendes Anlie-gen. Ich möchte deutlich machen: Qualität ist das ent-scheidende Wort, nicht Staatsmedizin.
Ich sage Ja zu einer Verbesserung der Qualität. Wirmüssen aber darauf achten, dass die Diagnose- und The-rapiefreiheit nicht durch Standardisierung oder Regle-mentierung eingeschränkt wird.
Arzt und Patient brauchen Freiheit bei der Behandlungvon Krankheiten, um dem individuellen Fall Rechnungzu tragen.
– Ich erkläre es Ihnen gleich.
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Dr. Georg Nüßlein
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Die freie Arztwahl und die freie Krankenhauswahlsind elementare Voraussetzungen für eine vertrauens-volle Arzt-Patienten-Beziehung. Ich sage das besondersdeshalb, weil wir auch vorhaben, Regelungen zu denWartezeiten zu treffen. Das macht Sinn, weil es viele be-drückt, dass sie nicht rechtzeitig einen Termin bei demFacharzt bekommen, den sie sich ausgesucht haben.Aber das Ganze kann man nicht schematisch, losgelöstvon individuellen Fragestellungen, etwa von der Frage,welchen Arzt die entsprechende Person für sich ausge-sucht hat, klären. Deshalb werden wir über dieses Themanoch eine ganze Menge nachdenken müssen.
In den nächsten Wochen wird der Gesetzentwurf zurersten Stufe der Reform der Pflegeversicherung vorbe-reitet. Es gibt vielfältige Leistungsverbesserungen miteinem Gesamtvolumen von 2,5 Milliarden Euro. Mir istes ganz wichtig, dass wir den Grundsatz „Ambulant vorstationär“ ganz nach vorne rücken. Natürlich haben diepflegebedürftigen Menschen einen Anspruch darauf,möglichst lange in ihrem gewohnten Umfeld zu verblei-ben.Wenn man den Grundsatz „Ambulant vor stationär“nach vorne rückt, dann gehört dazu, dass wir bestehendeBetreuungsleistungen in der ambulanten Pflege ausbauen– das wollen wir tun –, dass wir niederschwellige Entlas-tungsleistungen zugunsten Pflegebedürftiger und ihrerAngehörigen verbessern, dass wir dafür sorgen, dass wirdie häusliche Pflege flexibler gestalten, dass wir Leis-tungen zu deren Stabilisierung voranbringen – Stichwortkurzzeitige Verhinderungspflege, Tages- und Nacht-pflege –, dass wir Zuschüsse für Maßnahmen zur Ver-besserung des Wohnumfeldes auf den Weg bringen.Das sind aus meiner Sicht wichtige Themen, die wirin diesem Zusammenhang bearbeiten müssen, und dasneben dem allseits diskutierten Pflegebedürftigkeitsbe-griff. Wir haben hier ganz genau überlegt, wie wir vorge-hen: erst ein Gutachten erstellen lassen, die ErgebnisseAnfang 2015 haben und dann nach dem Grundsatz„Sorgfalt vor Schnelligkeit“ den neuen Pflegebegriffeinführen. Das macht aus meiner Sicht absolut Sinn. DerMinister hat auch ganz deutlich gesagt, dass es beson-ders auf die Rekrutierung von Pflegekräften ankommt.Dafür reicht es nicht aus, nur ins Ausland zu schauen,um dort Menschen abzuwerben und dafür zu sorgen,dass sie hierherkommen.
Herr Kollege Nüßlein, gestatten Sie noch eine kurze
Zwischenfrage der Kollegin Vogler?
Ja, eine Zwischenfrage gestatte ich noch.
Sie haben danach noch eine ganz kurze Redezeit.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Danke, Herr Kol-
lege, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. – Sie haben
gerade erneut davon gesprochen, „Sorgfalt vor Schnel-
ligkeit“ gelte bei der Umsetzung des neuen Pflegebe-
griffs. Nun debattieren dieses Haus und die ganze ge-
sundheitspolitische Welt schon seit circa zehn Jahren
über den neuen Pflegebegriff. Die vorherigen Bundesre-
gierungen haben bereits zwei eingesetzte Expertenbei-
räte an dieser Frage verschlissen,
die jeweils substanzielle Vorschläge gemacht haben, die
einen neuen Pflegebegriff ausgearbeitet haben. Das liegt
alles auf dem Tisch.
Meinen Sie nicht, dass jetzt langsam der Zeitpunkt
wäre, auch einmal auf die Vorarbeiten zurückzugreifen,
darauf zu vertrauen, dass sie sorgfältig sind, und ein klei-
nes bisschen Schnelligkeit an den Tag zu legen, im Inte-
resse der Menschen mit Pflegebedarf, ihrer Angehörigen
und der Pflegekräfte, die schon seit längerer Zeit auf
eine Anpassung der Leistungen warten?
Liebe Kollegin, ich weiß, dass es für eine Linke vielverlangt ist, wenn ich sage: Vertrauen Sie auf das, wasdiese Bundesregierung hier in großer Ausgewogenheitund mit viel Sorgfalt leistet. Wir werden dieses Gutach-ten abwarten. Es geht um alles. Wir geben über 2 Mil-liarden Euro zusätzlich aus. Es muss sichergestelltwerden, dass dieses Geld am Schluss bei den Pflegebe-dürftigen respektive bei den pflegenden Personen an-kommt und nicht sonst irgendwo landet. Es muss auch inIhrem Interesse sein, meine Damen und Herren, dass dasgelingt. Trauen Sie uns!
Das wird so kommen.
Aus Zeitgründen kann ich das, was ich zur Sterbehilfeund Palliativmedizin sagen wollte, leider nicht ausfüh-ren. Aber es gibt bestimmt noch genügend andere Gele-genheiten, das zu diskutieren.Ich möchte noch einmal ganz klar unterstreichen:Diese Bundesregierung hat auch im Gesundheitsbereicheinen guten Start hingelegt.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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2516 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
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Vielen Dank. – Herr Kollege Nüßlein, es gibt sicher
noch viele Gelegenheiten, die anderen Themen anzu-
sprechen. Aber wir danken Ihnen jetzt insbesondere,
weil Sie heute an Ihrem Geburtstag zu uns gesprochen
haben. Dazu herzlichen Glückwunsch vom gesamten
Haus!
Das Wort hat jetzt die Kollegin Pia Zimmermann,
Fraktion Die Linke.
Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Erst einmal auch von mir noch herzlichenGlückwunsch zum Geburtstag, Herr Dr. Nüßlein!
Meine Damen und Herren, gute Pflege ist individuell,sie ist selbstbestimmt, und sie muss sich an den Bedürf-nissen der Betroffenen orientieren.
Gute Pflege ist vollumfänglich und beinhaltet gesell-schaftliche Teilhabe.
Gute Pflege wird von ausgebildetem Personal erbracht –unter guten Arbeitsbedingungen und bei guter Bezah-lung. Und: Gute Pflege ist Teil der öffentlichen Daseins-vorsorge und ein Menschenrecht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor diesemHintergrund möchte ich auf die von Herrn MinisterGröhe vorgestellten Vorhaben im Pflegebereich einge-hen.Durch eine Erhöhung des Beitragssatzes zur Pflege-versicherung wollen Sie etwa 3,6 Milliarden Euro jähr-lich mehr einnehmen. Wenn ich aber betrachte, was Siedamit alles umsetzen wollen, dann muss ich sagen, dassSie heute schon jeden Euro mindestens zweimal ausge-geben haben. Der Löwenanteil der Mehreinnahmenkommt gar nicht als verbesserte Pflegeleistung bei denMenschen mit Pflegebedarf an:Ein Drittel der Summe benötigen Sie für schon beste-hende Leistungen, um sie der allgemeinen Preisentwick-lung anzupassen – mindestens, wenn nicht sogar deut-lich mehr! Die Höhe müsste allerdings geprüft werden.So sieht es auch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetzvon 2008 vor.Doch was planen Sie? Sie zäumen das Pferd von hin-ten auf. Sie prüfen erst gar nicht, wie viel für den Aus-gleich der Kostenentwicklung zu veranschlagen ist. Sielegen einfach irgendeinen Betrag fest. Das ist Politiknach Kassenlage auf dem Rücken der Menschen mitPflegebedarf und ihrer Angehörigen, und das ist mit unsLinken nicht zu machen.
Ein weiteres Drittel wollen Sie bei der DeutschenBundesbank in einem Fonds für die geburtenstarkenJahrgänge zurücklegen. Meine Damen und Herren, wiegeht denn so etwas? Das Geld benötigen wir jetzt drin-gend in der Pflege. Wir können es doch nicht einfach zu-rücklegen und dort schmoren lassen.
Herr Minister Gröhe, Sie sehen: Es bleibt von demGeld, das Sie mehr einnehmen, gar nicht so viel übrig.Sie versprechen den Menschen Leistungsverbesserungenin der häuslichen und ambulanten Pflege sowie im sta-tionären Bereich, von denen Sie heute schon wissen,dass Sie sie überhaupt nicht einhalten können.Bei alledem verwundert es nicht, dass Sie, HerrGröhe, die Familie als Deutschlands Pflegedienst Num-mer eins bezeichnen.
Das stimmt natürlich. Die Familie ist nicht nur dergrößte Pflegedienst, sondern auch der kostengünstigste.Genau da wollen Sie ansetzen.Selbstverständlich müssen die Angehörigen, die zuHause pflegen wollen, und die zu Pflegenden, die zuHause von ihren Angehörigen gepflegt werden wollen,bestmögliche Unterstützung haben. Aber die Betonungliegt auf „wollen“; das darf nicht aus finanzieller Not he-raus passieren.
Anders gesagt: Bei guter und selbstbestimmter Pflegedarf es Unterschiede zwischen Arm und Reich nicht ge-ben. Herr Dr. Nüßlein, wenn Sie das „Gleichmacherei“nennen, soll mir das recht sein;
wenn Sie es umsetzen würden, wäre es mir noch mehrrecht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gute Pflegeist eine gesellschaftliche Aufgabe. Sie darf nicht von pri-vaten Zusatzversicherungen abhängig sein. Deshalbkönnen Sie den sogenannten Pflege-Bahr auch gleichwieder einmotten.
Diese private Zusatzversicherung bedient im Wesentli-chen die Versicherungswirtschaft und bringt den Versi-cherten kaum Leistungen. Ich vermute, Sie haben dasschon selbst gemerkt. So erkläre zumindest ich mir dasAbsenken der staatlichen Förderung im Haushalt 2014
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2517
Pia Zimmermann
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für ebendiese Versicherung von 100 Millionen Euro auf33 Millionen Euro.Meine Damen und Herren, wenn Sie die eingangs vonmir benannten Punkte ernst nehmen und eine gute, indi-viduelle und selbstbestimmte Pflege für alle wollen,wenn Sie möchten, dass Pflegeberufe wieder Spaß ma-chen und ein auskömmliches Einkommen bringen, wennSie den neuen Pflegebegriff mit Leben füllen wollen,und zwar sofort, dann gibt es nur eine Antwort auf alldiese Fragen: die solidarische Bürgerinnen- und Bürger-versicherung, in die alle, unabhängig von Berufsgruppeund Selbstständigkeit, entsprechend dem jeweiligen Ein-kommen einzahlen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gute umfas-sende Pflege ist ein Menschenrecht. Sie haben die Ver-antwortung, dies auch zu gewährleisten. Handeln Sieendlich im Interesse der Pflegebedürftigen, ihrer Ange-hörigen und des Pflegepersonals.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Petra Hinz ist die nächste Rednerin für
die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte, liebe Frau Präsidentin! Ich habe mir ge-wünscht, dass Sie heute die Sitzung leiten. Mit der ehe-maligen Ministerin im Rücken kann es nur positive Ins-pirationen geben.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Eigentlich wollte ich mit einem Zitat vonJohann Wolfgang von Goethe beginnen. Ich spare es mireinfach. In den zurückliegenden Tagen der Debatte überden Haushalt ist mir aufgefallen, dass wir von der Oppo-sition keine Gegenvorschläge, sondern
immer wieder gehört haben – um Ihre Worte zu verwen-den –: Null Bock. Und: Sie haben noch nichts auf denWeg gebracht. – Herr Minister Gröhe hat es gerade deut-lich gemacht: Gerade im Bereich Gesundheit und Pflegeversuchen Sie, Angstszenarien aufzubauen.
In dieser Zeit, wo wir seit Anfang des Jahres dabei sind,den Koalitionsvertrag umzusetzen, und den ersten Haus-halt der Koalition einbringen und debattieren, erwartenSie schon die Bilanz, die wir Ihnen Ende 2017 vorstellenwerden. Das verstehe ich nicht unter konstruktiver Zu-sammenarbeit.Erlauben Sie mir, in diesem Zusammenhang auchFolgendes deutlich zu machen: Mein Kollege KarlLauterbach hat in seinem Wortbeitrag darauf hingewie-sen, dass man dafür und dagegen sein kann. Man kanndeutlich machen, dass man für den Ansatz im Haushaltoder dagegen ist. Man kann deutlich machen, dass derAnsatz zu niedrig oder zu hoch ist. Darüber kann mansich inhaltlich streiten. Wenn aber hier ein Dialog in derArt stattfindet, dass zuerst ein Redner Behauptungenaufstellt, darauf aus der Regierungskoalition entgegnetwird und der nächste Redner darüber hinwegredet, frageich: Was bringt eine Debatte im Deutschen Bundestag,wenn es nur darum geht, vorgefertigte Meinungen vor-zutragen, und das, was mit unserem ersten Haushalt ein-gebracht wird, nicht zur Kenntnis genommen wird? Fürdie Unterstellung, dass wir nicht an die Pflegenden, dieunter erschwerten Bedingungen arbeiten, und die zuPflegenden denken und dass wir nicht daran arbeitenwollen, dass es in diesem Bereich eine Verbesserunggibt, müssen Sie erst einmal den Beweis liefern. Ichfinde diese Herangehensweise, die wir in den letzten Ta-gen – nicht grundsätzlich, in einzelnen Debattenbeiträ-gen aber schon – erlebt haben, nicht sehr konstruktiv undzielführend. Das ist für die Menschen draußen sicherlichsehr verwirrend.Zur Frage der Kostensteigerung. Sie haben, als es umden Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds ging, un-terschiedliche Worte gewählt. Sie haben uns vorgewor-fen, dass wir den Gesundheitsfonds plündern werdenoder dass sich – darauf sind Sie, Herr Minister, geradeeingegangen – dadurch möglicherweise Kostensteige-rungen im Gesundheits- oder im Pflegebereich ergeben.Wir sollen und müssen ehrlich sein – Frau Zimmermann,Sie haben darüber gerade gesprochen: In der Tat: Pflegekostet Geld. Wir müssen hier eine Debatte führen, wieviel Geld es uns noch kosten wird; denn Pflege gibt esnicht zum Nulltarif. Wir reden über Pflegebedürftige,und wir reden über Pflegende.
Ja, wir reden aber auch über die Menschen, die es eh-renamtlich machen. Ich weiß, wovon ich rede: Es gibtSituationen, in denen man seine Lebensplanung umstellt,um einen Familienangehörigen pflegen zu können. Alldas gibt es, und dem wollen wir in den nächsten vier Jah-ren Rechnung tragen.
Ich komme zur Frage der Einführung des neuen Pfle-gebedürftigkeitsbegriffs. Ja, es muss schnell passieren,aber auch da haben wir einen Zeitplan, der festlegt, wanndie Gutachten und die Ergebnisse vorgelegt werden.Ja, wir wollen eine Qualifizierung im Bereich derDienste und der Einrichtungen. Ja, wir wollen, dass diePflegearbeit professionalisiert wird. Dafür werden ent-sprechend Mittel bereitgestellt.Ja, wir wollen, dass die Vereinbarkeit von Pflege undBeruf verbessert wird. Frau Präsidentin, Sie haben in Ih-
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ren Jahren als Gesundheitsministerin dafür gesorgt, dassman in der Situation, dass ein Pflegefall eintritt, wenigs-tens in den ersten zehn Tagen freigestellt wird, um dieersten Maßnahmen durchführen zu können.Als Haushälterin möchte ich natürlich auch auf dieRahmendaten des Haushalts eingehen. Es ist in der Tatder erste Haushalt nach Rösler und Bahr. Ich mache mirda gar nichts vor: In dem Haushalt, der jetzt zu beratenist, können natürlich nicht all die Dinge enthalten sein,die wir im Koalitionsvertrag verabredet haben. Maßstabwerden die folgenden Haushaltsberatungen sein. In derTat belaufen sich die Gesamtausgaben für Pflege undGesundheit auf 11 Milliarden Euro. Das sind rund3,7 Prozent des Gesamthaushaltes.Ja, es stimmt: Ein großer Teil unseres Etats ist auf-grund gesetzlicher Verpflichtungen gebunden. Umsowichtiger ist es, erstens die gesetzlichen Bedingungen zuerfüllen und zweitens die Möglichkeiten zu nutzen, diedie Mittel für gesundheitspolitische Maßnahmen inHöhe von 78,6 Millionen Euro bieten, über deren Ver-wendung wir entscheiden. Auch wenn es nur ein kleinerAnteil des Etats ist, sollten wir darüber reden.Wir stellen auch Mittel für Prävention und Aufklä-rung zur Verfügung. Hier geht es unter anderem um Auf-klärung im Aids- und Drogenbereich. Hier finden sichauch die Pflegekampagnen wieder; es ist schon ange-sprochen worden. Hinzu kommen die Bereiche For-schung und Öffentlichkeitsarbeit.Wir haben in unserem ersten Berichterstattergesprächden Minister gebeten, uns alle Maßnahmen, Aufgabenund Finanzen im Bereich der Querschnittsarbeit darzule-gen. Es geht darum, deutlich zu machen, dass Gesund-heit und Pflege – wir haben es gerade von der KolleginSchwesig gehört, die sich auch mit der Pflege beschäf-tigt – Querschnittsaufgaben sind. Wir werden daran ins-gesamt arbeiten.Ich möchte einen Punkt besonders hervorheben, undzwar die Förderung der Kindergesundheit. Ja, es war einFehler des damaligen Gesundheitsministers, das entspre-chende Programm auslaufen zu lassen, ohne eine Kom-pensation zu leisten, ohne andere Konzepte, ohne Alter-nativen auf den Tisch zu legen und entsprechende Mittelin den Haushalt einzustellen. Umso wichtiger ist das jet-zige Signal, das wir aussenden, indem wir 500 000 Eurofür die Förderung der Kindergesundheit einstellen.
Was im Einzelnen dahintersteckt, haben die Fachkolle-ginnen und -kollegen diskutiert. Wir warten jetzt auf dieErgebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys.Der Bericht wird im Mai dieses Jahres vom Robert-Koch-Institut vorgestellt. Daran muss weiteres Handelnanknüpfen.„Gesundheitliche Aufklärung der Bevölkerung“ – un-ter dieser Überschrift finden wir zwölf weitere Maßnah-men. Ich möchte nur drei ansprechen, und zwar die Auf-klärung zur Organspende, für die 7,5 Millionen Euroeingestellt werden, die Aufklärungskampagne zur Stei-gerung der Durchimpfung, für die 3 Millionen Euro ein-gestellt werden, und die Kampagne zur Gesundheit vonKindern und Jugendlichen, für die 2,1 Millionen Euroeingestellt werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aufstockungder Mittel für die Aufklärung zur Organspende geschiehtvor dem Hintergrund – das muss man so ansprechen, wiees tatsächlich ist –, dass in dem Bereich unverantwort-lich gehandelt wurde. Wir wollen wieder für die Organ-spende werben. Das, was in dem Bereich geschehen ist,ist ein Skandal, und man muss es ansprechen.
Ein anderer Punkt, den ich hier ansprechen möchte,ist der Bereich Aids. Die Mittel für Forschungs- undEntwicklungsvorhaben zur Erkennung und Bekämpfungvon Aids werden in unserem Haushalt nicht gekürzt. ImGegenteil: Die Mittel für diesen Bereich werden stabili-siert. Wir werden sehen, welche weiteren Maßnahmenwir brauchen, um hier voranzukommen.Frau Professor Dr. Pott von der Bundeszentrale fürgesundheitliche Aufklärung hat uns in unserem Bericht-erstattergespräch sehr eindringlich und nachhaltig dieArbeit des Instituts dargelegt und deutlich gemacht:Trotz der zurückgehenden Infektionszahlen müssen wirnoch mehr Mittel für die Aufklärung in diesem Bereichbereitstellen.
Ich komme zu einem Herzensanliegen von mir: dieStiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“. Wir müssen uns fragen, wie wirkünftig die Finanzierung der Stiftung sicherstellen wol-len. Eigentlich hätte bereits der damalige Gesundheits-minister Bahr etwas zur Lösung beitragen müssen.Wir werden uns diesem Thema jetzt verstärkt stellen.Ich erinnere an den Film Blutgeld, und ich erinnere da-ran: Es geht um 1 500 Bluter, die in den 1980er-Jahrenmit HIV infiziert wurden. Inzwischen leben nur noch400 Betroffene. Ihnen gegenüber haben wir eine gesell-schaftliche Verpflichtung, der wir nachkommen müssen.
Ich spreche das so direkt an, weil wir in der Tat ge-meinsam an einer Lösung für die Betroffenen arbeitenmüssen. Wir dürfen uns nicht wegducken. Alle Ebenen– Bund, Länder, DRK, aber auch die Pharmaindustrie –müssen einen Beitrag leisten. Wir werden alles dafürtun, um eine Regelung für die Zeit nach 2017 zu erarbei-ten. Es kann nicht sein, dass dieses Thema immer wiederim Rahmen von Haushaltsdebatten aufgegriffen werdenmuss.Ich wollte noch etwas zum Thema internationale Zu-sammenarbeit sagen, aber dafür reicht meine Redezeitnicht. Frau Präsidentin, ich hoffe aber, dass Sie mir nochGelegenheit geben, Dank zu sagen.Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen, denMitberichterstattern Frau Deligöz, Frau Lötzsch undHerrn Heiderich, und aus meinem Fachbereich insbeson-dere meinem Kollegen Burkhard Blienert. Mein Dank
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Petra Hinz
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gilt allen Kolleginnen und Kollegen aus der Facharbeits-gemeinschaft und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiternder Institute, die uns im Rahmen des Berichterstatterge-sprächs Rede und Antwort gestanden haben. Mein Dankgilt auch dem Finanzministerium.Zu Beginn meiner Rede wollte ich eigentlich ein Zitatbringen. Zum Schluss meiner Rede möchte ich mit demfolgenden Zitat des Heilpraktikers Erhard Blanck demGesundheitsministerium einen Wahlspruch, und zwar re-zeptfrei, ans Herz legen:Wir sollten alles für die Gesundheit tun. Wir habenja sonst nichts zu tun.Sehr geehrter Herr Minister Gröhe, vielen Dank fürdas erste Berichterstattergespräch. In der Tat: Die Mess-latte wird der Haushalt des Jahres 2015 sein. In diesemSinne wünsche ich uns eine gute und konstruktive Bera-tung – für die Menschen und für die Gesundheit.
Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen erteile ich jetzt das Wort der Kollegin ElisabethScharfenberg.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Sehr geehrter Herr Minister! Herr Laumann,schön, dass auch Sie da sind. Es ist Zeit, Tacheles zu re-den über die Pflegepolitik dieser Koalition. Anders alsSie uns seit Tagen glauben machen möchten, haben wirkeinen Anlass zur Freude. Ihre pflegepolitischen Aktivi-täten und Ihre Streitigkeiten sind eher Anlass zur Enttäu-schung.
Ja, Sie wollen viel Geld für die Pflegereform in dieHand nehmen. Das ist auch dringend notwendig. Sie hat-ten eigentlich genug Zeit, in den unionsgeführten Bun-desregierungen zentrale Reformen anzupacken, aber dasist nicht geschehen.
Mehr Geld für die Pflege – ja, aber mehr Geld alleinist kein Wert an sich. Wir sind es den Pflegebedürftigenund den Versicherten schuldig, genau zu schauen, wasmit dem Geld eigentlich passieren soll; denn die müssendas schließlich alles bezahlen.Vor allem sollte man, gerade kurz vor Ostern, nichtüber ungelegte Eier gackern.
Für die erste Stufe der Pflegereform liegt uns seit gesternein Gesetzentwurf vor. Für den neuen Pflegebedürftig-keitsbegriff wird da schon mal kein Geld verwendet. AmDienstag haben Sie, Herr Gesundheitsminister Gröhe,auf einer Pressekonferenz laut verkündet, dass nun dieErprobung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs be-ginnt. Eigentlich, so haben Sie gesagt, beginnt damit jaschon die Einführung des Pflegebegriffs. – Herr Gröhe,was beginnt denn mit der Erprobung? Das stimmt docheinfach nicht!
Die Erprobung einer Sache ist doch nicht gleichbedeu-tend mit ihrer Einführung. Sie gackern nur. Ich sage Ih-nen: Dieses Ei ist noch lange nicht gelegt.
Vor 2017, das haben Sie selbst gesagt, rechnen Sienicht mit der Umsetzung des Pflegebegriffs. Das sindaber fast noch drei Jahre! Warum denn eine weitere Er-probung? Die könnte längst abgeschlossen sein. VierJahre haben Sie in der schwarz-gelben Koalition einfachverplempert und nichts davon auf den Weg gebracht.Wie erklären Sie den Menschen, dass sie weiter wartenmüssen? Gerade Menschen mit einer Demenz oder einergeistigen Behinderung bekommen heute oft keine odernur unzureichende Leistungen von der Pflegeversiche-rung. Mit dem neuen Pflegebegriff soll der Pflegebedarfdieser Menschen endlich objektiv festgestellt werden.Sie sollen endlich einen festgeschriebenen Anspruch aufLeistungen der Pflegeversicherung erhalten. Das ist bis-her nicht der Fall. Daran ändern auch die Leistungsver-besserungen, die Sie mit diesem Gesetzentwurf auf denWeg bringen wollen, nichts.
Ich frage Sie: Warum schustern Sie am bestehendenSystem herum, an dem System, das Sie mit dem neuenPflegebegriff grundlegend verändern wollen? So ma-chen Sie die Einführung des neuen Pflegebegriffs nurnoch schwieriger, übrigens auch immer teurer. DieWahrheit ist: Sie schinden wieder einmal Zeit. Sie vertei-len jetzt ein paar Wohltaten und halten sich damit einHintertürchen offen. Werden Sie am Ende des Tages denneuen Pflegebegriff doch noch ad acta legen?Klar ist: Der neue Pflegebegriff ist nicht umsonst zuhaben. Sollten Sie befürchten, dass der neue Pflegebe-griff zu teuer wird, dann sollten Sie vielleicht jetzt übereine alternative Finanzierung nachdenken. Dazu fordereich auch die SPD auf.
Meine Damen und Herren von der SPD, erinnern Siesich doch an Ihre eigenen Konzepte, und setzen Sie sichfür eine Pflege-Bürgerversicherung ein! Eine Pflege-Bürgerversicherung wäre solidarisch und gerecht. Durchdie Einbeziehung aller Bürgerinnen und Bürger und allerEinkunftsarten würden neue finanzielle Spielräume ent-stehen. So könnten wir den neuen Pflegebegriff auf zu-mutbare Weise finanzieren.
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Elisabeth Scharfenberg
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Zum Schluss: Lassen Sie endlich die Finger vomPflegevorsorgefonds! Damit legen Sie den Beitragszah-lern ein besonders faules Ei ins Nest.
Das mag von außen ganz schön gefärbt sein; aber unterder Schale, wenn der Lack ab ist, Herr Spahn, fängt esordentlich an zu stinken. Bis gestern hatte ich die Hoff-nung, dass sich Herr Spahns Märchen vom Vorsorge-fonds als goldener Topf nicht durchsetzt. Gestern hat unsleider die Realität eingeholt: Der Fonds steht tatsächlichim Gesetzentwurf.
Alle Befürchtungen, die wir und zahlreiche Experten Ih-nen seit Monaten vortragen, werden sich bestätigen. Die-ser Fonds kann und wird nicht funktionieren. Er ist auchbei der Bundesbank nicht davor geschützt, zu anderenZwecken missbraucht zu werden. Das konnten wir in ei-nem Beitrag von Herrn Laumann lesen, der das ebenfallsbezweifelt. Das sagt übrigens auch die Bundesbankselbst, beispielsweise im Monatsbericht vom März. HerrGröhe, ich frage Sie: Lesen Sie so etwas überhaupt? Dasmuss man doch wissen.Das Entscheidende ist: Der Fonds soll bis zum Jahr2055 wieder leer sein. Das steht so im Gesetzentwurf.Und dann? Dann muss der Beitragssatz natürlich wiedersteigen. Das scheint zu Ihnen überhaupt nicht durchzu-dringen. Wir wissen doch schon heute, dass die Zahl derPflegebedürftigen etwa ab 2060 leicht sinken wird. Eswird aber auch weniger junge Menschen geben, die Bei-träge zahlen. Die Formel ist unterm Strich doch ganzeinfach: Weniger junge Menschen zahlen für mehr alteMenschen.
Also kann der Beitragssatz nicht sinken. Der Beitrags-satz wird dann konstant auf hohem Niveau bleiben. Die-ser Fonds ist nicht nachhaltig und nicht generationenge-recht. Er ist ein einziger Bluff.Herr Minister, wenn Sie den neuen Pflegebegriffwirklich wollen – das bezweifle ich, ehrlich gesagt, in-zwischen –, dann können wir uns diesen Fonds nichtleisten, dann brauchen wir eine solidarische Bürgerversi-cherung. Steuern Sie um! Noch haben Sie die Zeit dazu.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Maria Michalk ist jetzt die nächste
Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr-ten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Ich finde, in einer Gesundheitsdebatte, erst recht inden Haushaltsberatungen, ist der Hauch von Zynismus,der sich hier im Raum ein bisschen verbreitet hat, nichtangebracht.
Angesichts des Verlaufs der Debatte ist es mir wich-tig, auf Folgendes hinzuweisen: Das System desGesundheitswesens in Deutschland beinhaltet eine Ein-nahmen- und Ausgabenpolitik, getragen vom Gesund-heitsfonds und den Krankenkassen. Das, was für denHaushalt relevant ist, ist der Steuerzuschuss. Die Ein-nahmen und Ausgaben im deutschen Gesundheitswesensind fast genauso hoch – das ist eine Milliardensumme –wie unser gesamter Bundeshaushalt. Das muss hier ein-fach einmal gesagt werden.
– Aber das hat niemand so gesagt. Es ist der Eindruck er-weckt worden, als ob wir durch Kürzungen bei Zuschüs-sen oder nicht ausreichende Aufwüchse bei Titeln imEntwurf des Haushaltes des Gesundheitsministeriumsden Herausforderungen der Zukunft und der aktuellenSituation nicht Rechnung tragen.Hier macht sich ein falscher Eindruck breit. Deshalbist es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass in der haus-haltseinführenden Rede unseres Bundesfinanzministersganz deutlich zur Sprache gekommen ist, dass dieserstrukturell ausgeglichene Haushalt mit dem Blick aufdas nächste Jahr dank guter politischer Rahmenbedin-gungen möglich geworden ist,
aber vor allem, weil die wirtschaftliche Entwicklung un-seres Landes wirklich hervorragend ist.Der stärkste Impuls für diese wirtschaftliche Entwick-lung kommt aus der Binnennachfrage. Zur Binnennach-frage zählt auch die Nachfrage nach Leistungen im deut-schen Gesundheitswesen.
Wir sollten würdigen, dass der eine oder andere Bürgeroder die eine oder andere Bürgerin gemerkt hat, dassman nicht nur zum Doktor gehen sollte, wenn manSchmerzen hat, sondern dass auch Prophylaxe wichtigist, dass man präventive Beobachtungen vornehmenoder zur Vorsorge gehen sollte.
Letztlich sollte man den kleinen Doktor, den jeder insich trägt, arbeiten lassen, damit nicht erst dann Gesund-heitsleistungen in Anspruch genommen werden, wennsie akut gebraucht werden. Dafür haben wir zwar ein
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Maria Michalk
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hervorragendes Gesundheitswesen in Deutschland; aberes ist auch wichtig, dass wir präventive Maßnahmen undVorsorge nicht kleinreden.
Frau Kollegin Michalk, gestatten Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Klein-Schmeink?
Gerne.
Sie beschäftigen sich ja gerade ausführlich mit dem
Thema Prävention. Ist Ihnen bewusst, dass gerade in den
letzten drei Jahren unter Schwarz-Gelb die Aufwendun-
gen für Prävention drastisch reduziert wurden, dass also
gerade das, was Sie als wichtiges Ziel benannt haben,
nicht erreicht ist?
Liebe Frau Kollegin, Sie wissen genauso gut wie ich,dass wir in der letzten Legislaturperiode ein Präventions-gesetz auf den Weg gebracht hatten, in dem vorgesehenwar, dass die Mittel für präventive Maßnahmen auf500 Millionen Euro steigen.
Durch den Bundesrat wurde dies dann doch nicht zumGesetz. Ich kann mich erinnern, dass auch Sie nicht ganzunbeteiligt daran waren.
Zweitens wissen wir, dass – dies habe ich am Anfangangesprochen – der einzelne Bürger erkannt hat, dass erauch selber etwas tun muss. Viele tun etwas; das mussman lobend erwähnen. Das schlägt sich nicht im Haus-halt nieder, aber in der gesamtwirtschaftlichen Bilanz.Deshalb sprechen wir auch von der Gesundheitswirt-schaft. Diese ist Bestandteil unserer gesamten volkswirt-schaftlichen Entwicklung. – Ich bin noch nicht fertig.Das ist die Antwort auf Ihre Frage. – Der eine oder an-dere Bürger fährt in seinem zweiten Urlaub im Jahr viel-leicht auch einmal in eine Kureinrichtung und wird inso-fern präventiv tätig. Das finden wir richtig. Ich glaube,das wird in Zukunft vermehrt der Fall sein. Die gesamteAusgabensystematik in der Gesundheitswirtschaft, wennich diesen Begriff noch einmal nennen darf, ist einwachsender Prozess, und das ist gut so.Ich will auf einen anderen Aspekt näher eingehen, derhier schon eine Rolle gespielt hat: die demografischeEntwicklung. Die Menschen werden immer älter undwollen möglichst lange vital und mobil bleiben. Sie nut-zen bessere Behandlungsmethoden, Medikamente, neueDiagnoseverfahren und die Medizintechnologien, um bisins hohe Lebensalter mehr Lebensqualität zu haben.Gleichzeitig sind die Krankheitsbilder im Alter komple-xer; die Behandlungsbedarfe sind es dadurch auch. Da-rauf müssen wir uns einstellen, auch in der Pflege; dasist schon zur Sprache gekommen. Entsprechend lenkenwir die Finanzströme. Wir justieren das immer wiederneu, manchmal auch sehr kleinteilig. Ich denke da an§ 87 a im SGB V.Wir erhoffen uns aus der breiteren Versorgungsfor-schung weitere Erkenntnisse und Optionen, um an genaudiesen vielen kleinen Schrauben zu drehen. Im Gesund-heitswesen ist es nicht so, dass man einmal den großenWurf macht und dann zehn Jahre Ruhe hat. Dafür ist un-ser System viel zu komplex und die Lebenswirklichkeitder Menschen zu unterschiedlich.Ich komme auf zwei Entwicklungen zu sprechen, ein-mal aus der Versichertensicht und einmal aus der Leis-tungserbringersicht. Wer krank ist, will natürlich schnellHilfe bekommen und einen Arzt aufsuchen; darauf ha-ben wir in der letzten Koalition mit der feingliedrigenBedarfsplanung reagiert. Bei Unklarheiten im Krank-heitsbild möchte man schnell einen klärenden Terminbei einem Facharzt bekommen; wir antworteten mit derVierwochenfrist. Im Pflegefall will man, dass die Einstu-fung in die Pflegestufe relativ rasch erfolgt; wir antwor-teten mit einer Frist gegenüber dem MDK. – Diese Listekönnte man fortsetzen.Was die Leistungserbringerseite angeht, wissen wir,dass es nicht mehr den Doktor gibt, der 20 Stunden amTag die Arbeit in seiner Praxis erledigt und Hausbesucheabsolviert. Die Medizin wird weiblicher. Deshalb ist dieFrage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie viel stär-ker in den Fokus zu nehmen als vielleicht in den vielenJahren zuvor; wir antworteten auf diese Entwicklungdurch eine modifizierte Vertretungsmöglichkeit, aber na-türlich haben wir da noch mehr zu tun. Was die Apothe-ker auf dem Land betrifft, haben wir gemerkt, dass essich für sie nicht lohnt, einen Nachtdienst anzubieten;wir haben darauf mit einer Nachtdienstpauschale re-agiert. Da kann doch niemand sagen, wir würden auf dieaktuelle Entwicklung nicht reagieren. Alles ist im Fluss.
Kritische Analyse ist immer eine Momentaufnahme.Sie ist wichtig, damit wir das Gesamtziel im Auge behal-ten. Das Gesamtziel ist und bleibt, für alle Menschen inunserem Land unabhängig vom Alter die Angebote imGesundheitswesen entsprechend der neuesten medizini-schen Entwicklung sicherzustellen.Herr Kollege Weinberg, auch ich will Ihnen antwor-ten: Wenn Ihre These stimmen würde, dann wären dieAussagen des MLP-Gesundheitsreports 2014 falsch.Denn 80 Prozent der Menschen in diesem Land sagen:Das Gesundheitswesen in Deutschland ist gut bis sehrgut.
Das sollte man nicht geringschätzen. Dabei geht es näm-lich um Vertrauen, das die Menschen haben: in Ärzte,Krankenhäuser, Pflegekräfte, Laboranten und Hebam-men, aber auch in Orthopäden, Augenoptiker und Zahn-
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techniker. Warum ist das so? Das ist so, weil wir ein sehrgutes Ausbildungssystem haben. Wir geben den Men-schen eine verpflichtende Weiterbildung auf. Deshalbsage ich an dieser Stelle: Wir lassen nicht durch Windaus Brüssel an unserem bewährten Ausbildungssystemrütteln, weder dann, wenn es um Pflegekräfte geht, nochdann, wenn es, wie aktuell, um die Handwerksmeistergeht.
Frau Kollegin Michalk, denken Sie bitte an die Rede-
zeit.
Zum Schluss möchte ich sagen: Wir werden bei Mo-
dellprojekten bleiben. Sie haben sie kritisiert. Ich finde,
sie sind richtig. Neben den Modellprojekten, die im Pfle-
gebereich laufen, haben wir seit dem 1. April dieses Jah-
res übrigens auch ein männliches Modellprojekt, liebe-
voll „ARMIN“ genannt, in dessen Rahmen in enger
Kooperation mit allen Leistungserbringern getestet wird,
ob die Wirkstoffverordnung zu einer qualitativ besseren
Leistungserbringung im Interesse der Versicherten führt.
Wir sind auf das Ergebnis in fünf Jahren gespannt. Ich
wünsche mir schon heute, –
Frau Kollegin Michalk!
– dass der Gesundheitsausschuss ganz schnell für die
Umsetzung sorgt und dies in Gesetzesform gießt. Das
zeigt, dass wir nicht nur auf die jetzige Legislaturperiode
schauen, sondern auch in die Zukunft.
Danke schön.
Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der
Kollege Burkhard Blienert, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Herr Bundesminister Gröhe! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich möchte einen direktenBlick auf den Haushalt werfen. Wir haben viel über diePflege und andere Bereiche gehört. Diese Themenwerden uns an anderen Tagen noch beschäftigen. Heutegeht es erst einmal um die Zahlen des Haushaltsdes Bundesgesundheitsministeriums. Hinter diesenZahlen verbergen sich erste Vorstellungen von unsererGesundheitspolitik. Dabei geht es um die alten undneuen gesundheitspolitischen Herausforderungen, diewir in nächster Zeit bewältigen müssen. Es wird deut-lich, dass wir uns wieder auf dem richtigen Weg, aufdem Weg einer präventiven Gesundheitspolitik, befinden
und dass auch ein verhältnismäßig kleiner Haushalt einegroße Wirkung entfalten kann.Wir müssen uns natürlich die Frage stellen: Wasmacht gute Gesundheitspolitik aus, wann ist sie erfolg-reich und nachhaltig? Unserer Ansicht nach ist das dannder Fall, wenn das Prinzip gilt: erst Gesundheit bewah-ren und dann, wenn notwendig, Krankheiten heilen. DasMerkmal für nachhaltige Gesundheitspolitik ist daher:Sie muss vorsorgen, sie muss auf Gesundheitsgefahrenhinweisen und über Gesundheitsrisiken aufklären, undsie muss Menschen weitestgehend vor Krankheit bewah-ren. Vorsorgende Gesundheitspolitik ist damit auch einTeil des vorsorgenden Sozialstaates. Sie muss daher engmit der Bildungs- und Familienpolitik wie auch mit deraktiven Arbeitsmarktpolitik verzahnt werden.
An dieser Stelle erinnere ich schon daran: Präventionund Gesundheitsförderung spielen sich in Lebensweltenwie der Kita, der Schule, dem Betrieb, aber auch imPflegeheim ab. Der kommunalen Gesundheitsvorsorgewird dabei in nächster Zeit eine größere Bedeutung zu-kommen.
Prävention ist daher ein zentraler Bereich unserer Ge-sundheitspolitik. Prävention ist keine Einbahnstraße.
Prävention muss alle Teile der Gesellschaft erreichen.Ich möchte einige Beispiele dafür nennen, vor wel-chen Herausforderungen wir stehen: Erst vor kurzemgab es wieder Meldungen über die wachsende Drogen-problematik an der deutsch-tschechischen Grenze. Ins-besondere Jugendliche, teilweise jünger als 16 Jahre,greifen immer häufiger zur Modedroge Crystal, aus ganzunterschiedlichen Gründen. Für relativ wenig Geld einMaximum an Leistungsfähigkeit kaufen, das ist derWunsch der Jugendlichen. Die enormen Risiken und ge-fährlichen Nebenwirkungen werden ignoriert. Hier müs-sen wir handeln. Hier muss Aufklärungsarbeit geleistetwerden – hier müssen Projekte über die Gefahren infor-mieren –, und den Betroffenen muss geholfen werden.
Sehen wir uns das Feld der Onlinesucht an. Jederfünfte Jugendliche in Deutschland ist computerabhängigoder zumindest gefährdet. Meistens betrifft es die Jungs.Onlinespiele, soziale Netzwerke, all dies gehört bei vie-len Jugendlichen zur täglichen Freizeitbeschäftigung.Hier ein Post und dann noch schnell in den Chat, das istnormal. Die Übergänge zwischen Freizeitgestaltung undSucht sind oftmals fließend und nur schwer erkennbar.Außerdem gibt es noch eine große Unsicherheit in derGesellschaft, ab wann wir jemanden als onlinesüchtig
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bezeichnen müssen. Von 30 Stunden pro Woche ist häu-fig die Rede. Aber stimmt das tatsächlich? Und was pas-siert dann? Wo ist Hilfe, wie sieht die Hilfe aus? Wasmachen die Angehörigen, die oftmals erst dann etwasmitbekommen, wenn das Kind sprichwörtlich onlineverschwunden ist? Sinnvolle und vorsorgende Gesund-heitspolitik kann auch vor dieser besorgniserregendenEntwicklung nicht die Augen verschließen. Auch hiermüssen Beratungsangebote gesichert und ausgebautwerden. Eltern und Jugendliche brauchen Anlaufstellen,die niedrigschwellig helfen.
Die Diagnose wäre damit klar. Stimmt auch die The-rapie? Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesemHaushalt setzt die Große Koalition den Schwerpunkt imBereich der Prävention. Über 43 Millionen Euro werdenfür Präventions- und Aufklärungsarbeit eingestellt, Geld,das dringend für die Sicherstellung von Projekten zumBeispiel in der Sucht- und Drogenprävention benötigtwird. Hier muss auch gesagt werden: Schon vor 2009 hatGesundheitsministerin Ulla Schmidt viele richtige undwichtige Modellprojekte aufgelegt.
In den letzten vier Jahren sind viele Projekte leider aus-gelaufen; wir haben dies in der letzten Wahlperiode zuRecht immer wieder kritisiert.Präventionsangebote kosten Geld, das sich aber lang-fristig auszahlt. Deshalb sind im Haushalt für die Arbeitgegen Drogen- und Suchtmittelmissbrauch über 12 Mil-lionen Euro eingestellt. Wir werden auch eine Dreivier-telmillion für Computer- und Onlinesucht-Präventionzur Verfügung stellen. Auch den Bereich der Glücks-spiele müssen wir im Auge behalten. Glücksspielsuchtist ein ernstzunehmendes Problem in unserer Gesell-schaft.Nur eine Zahl hierzu: Allein die Belastungen derKrankenkassen aufgrund der Behandlung belaufen sichauf eine halbe Milliarde Euro. Auch das müssen wirnoch stärker in den Blick nehmen. Auch institutionellverbessern wir die Präventionsarbeit. Mit 4 MillionenEuro mehr statten wir die Bundeszentrale für gesund-heitliche Aufklärung aus. Das sind im Vergleich zu 2013knapp 25 Prozent mehr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Prävention hat vieleFacetten. Sie ist für vorsorgende Gesundheitspolitik un-ablässig und kostet Geld. Gesundheitsrisiken sind ab-hängig von Lebensgewohnheiten und Umwelteinflüssen,aber auch vom sozialen Status. Richtige Präventionsar-beit muss hierauf reagieren. Es ist an uns, das alles nichtaus den Augen zu verlieren. Neue Entwicklungen müs-sen in der Gesundheitsvorsorge mitgedacht und aufge-nommen werden. Fakt ist aber auch: Politik kann nichtalles regeln. Manches kann aber nur durch Politik beför-dert werden.Vorsorge beginnt natürlich im Denken und Handelnjedes Einzelnen. Deshalb müssen wir mit unseren Bera-tungsangeboten dort ansetzen, wo wir die Menschen fin-den und abholen können, damit wir niemanden aus demBlick verlieren. Mit diesem ersten Haushalt der GroßenKoalition untermauern wir dies.Danke für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Blienert. Ich gratuliere Ih-
nen ganz herzlich zu Ihrer ersten Rede hier im Deut-
schen Bundestag.
Die Kollegin Karin Maag hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Bei Gesamtausgaben von 11 MilliardenEuro sind für die eigentlich gesundheitspolitisch rele-vanten Aufgaben insgesamt 78 Millionen Euro veran-schlagt.
Von diesen Ausgabentiteln mit einem Gesamtvolumenvon 78 Millionen Euro liegen mir weiterhin natürlichvor allem die Ausgabentitel für die Aids- und die Dro-genaufklärung am Herzen. Mit der Mittelaufstockungauch der vergangenen Jahre, Herr Kollege, wurde dieReichweite der Maßnahmen erhöht und der zielgruppen-spezifische Ansatz verbessert, und da bleiben wir weiter-hin eng dran.
Auch die Mittel für die Forschung in diesem Bereichin Höhe von 1,6 Millionen Euro wurden wieder gut an-gelegt. Ein Beispiel für den Bereich Aids: Wir sprechenhier in mittlerweile rund 20 Fällen – das hört sich wenigan, ist aber eine bahnbrechende Verbesserung – vonfunktioneller Heilung; das heißt, diese Menschen sindpraktisch virusfrei, ohne spezielle Medikamente. Hier istdas Geld also wirklich toll angelegt.Frau Hinz, ich bin mit Ihnen absolut einer Meinung:2014, spätestens aber 2015 müssen wir die Mittel für dieStiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ aufstocken. Das haben Sie vollkom-men richtig gesagt.
Die Renten sind bis maximal 2017 finanziert, und esmuss jetzt einfach zu einer Anschlussfinanzierung kom-men. Hier bin ich auf Ihrer Seite.
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2524 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Karin Maag
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Mit unserem neuen Koalitionspartner werden wir andem, was wir bisher gemacht haben, anknüpfen. Wirwerden für die Menschen, die Versicherten, die Patientenda sein und sie in den Mittelpunkt unseres Handelns stel-len. Mit dem 14. Änderungsgesetz zum SGB V – daswurde schon erwähnt – haben wir sofort begonnen, beider Arzneimittelversorgung nachzusteuern. In diesemZusammenhang ist mir wichtig: Wir haben den G-BAbeauftragt – das ist im Sinne der Patienten –, eine Substi-tutionsliste zu erstellen, um die Medikamentenversor-gung der Patienten zu verbessern.Aktuell steht die Neuordnung der GKV-Finanzen an.Herr Lauterbach hat es erwähnt: Die Finanzreserven la-gen 2013 bei rund 30 Milliarden Euro. Die Krankenkas-sen und der Gesundheitsfonds haben allein im letztenJahr einen Überschuss von 1,7 Milliarden Euro erzielt.Dies war möglich, obwohl wir mit der Abschaffungder Praxisgebühr eine finanzielle Entlastung erreicht ha-ben, die Finanzmittel für die Krankenhäuser erhöht ha-ben und den Apothekennotdienst deutlich besser vergü-ten. Wir senken deshalb den allgemeinen Beitragssatzzum 1. Januar 2015 auf künftig paritätisch finanzierte14,6 Prozent. Darüber hinaus wird es einen einkom-mensabhängigen Zusatzbeitrag geben. Wie hoch er aus-fallen wird, kommt darauf an, wie wirtschaftlich eineKasse arbeitet. Jedenfalls sind rund 20 Millionen Versi-cherte Mitglieder von Kassen, die schon jetzt mit einemniedrigeren Beitrag auskommen könnten. Ich bin mir si-cher, dass diese Kassen ihre Versicherten an den finan-ziellen Reserven teilhaben lassen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur, aber vorallem auch ältere und kranke Menschen haben ein Rechtauf ein Leben in Würde. Deshalb verbessern wir weiter-hin die Rahmenbedingungen der Pflege für die Betroffe-nen, die Familien und die Pflegeberufe. Wir sind davonüberzeugt, dass wir uns das leisten können und müssen,vor allem weil es unserem christlichen Menschenbildentspricht. In diesem Zusammenhang ist auch der Vor-sorgefonds zu sehen, in den 1,2 Milliarden Euro fließen.Damit sparen wir für die Zukunft. Ich gehöre der Gene-ration der Babyboomer an. Wir stellen uns der Verant-wortung für die Zukunft. Meine Generation wird mitdiesen Mitteln dazu beitragen, dass unsere Pflege, alsoauch meine eigene, künftig finanziert werden kann. Dashalte ich für einen zentralen und wichtigen Ansatz.
Eine besondere Herausforderung für uns alle ist indieser Legislaturperiode die Sicherstellung der ärztli-chen Versorgung für alle Menschen, unabhängig von ih-rem Wohnort. Uns liegt vor allem die Grundversorgungam Herzen. Es ist alarmierend, dass in den nächsten zehnJahren 42 Prozent der Hausärzte aus Altersgründen aus-scheiden. Gerade die hausärztlichen Sitze in den ländli-chen Regionen – es wird aber auch in den Großstädtenlangsam schwierig – sind schwer nachzubesetzen. Es istmir ein Anliegen, dass wir insbesondere mit den für dieuniversitäre Ausbildung zuständigen Ländern die Aus-bildung so gestalten, dass das Berufsbild des Hausarztesbzw. das Berufsbild eines in der Grundversorgung täti-gen Arztes auch in der Ausbildung regelhaft auftaucht.Wir müssen auch die Weiterbildung anpassen.
Es ist ein langwieriges Geschäft, neue Versorgungsin-strumente in die Regelversorgung im Lebensalltag zuimplementieren. Ob die hausärztliche Versorgung jetztmit dem 14. Änderungsgesetz bundesweit besser läuft,wird sich zeigen. Ich hoffe es, und wir arbeiten daran.Wir haben bereits 2011 die Bedarfsplanung und Vergü-tung flexibilisiert und regionalisiert. Das Umsetzungs-verfahren hat viel Zeit in Anspruch genommen. 2013war die Übergangsfrist zu Ende. Der G-BA hat 2012 dieBedarfsplanungs-Richtlinie erstellt. Die Ergebnisse sindnoch nicht belastbar. Noch länger dauert die gesetzlicheReglung zur ambulanten fachärztlichen Versorgung.Diese neuen Regelungen müssen jetzt dringend mit Le-ben erfüllt werden. Angesichts der zähen Verhandlungeninnerhalb des G-BA ist es mir ein persönliches Anliegen,die Position der Unparteiischen zu stärken. Sie müssenVerantwortung für den Prozess übernehmen, steuern undlenken.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ja. – Ich will noch den Innovationsfonds erwähnen.
Wir haben mit einer Vielzahl an Selektivverträgen, Ärz-
tenetzen, Medizinischen Versorgungszentren usw. die
unterschiedlichsten intra- und intersektoralen Koopera-
tionsformen. Diese müssen der jeweiligen Situation, den
Regionen und unterschiedlichen Krankheiten angepasst
werden. Es ist mir wichtig, dass passgenaue Lösungen
gefunden werden. Wenn die 225 Millionen Euro in die
Förderung sektorenübergreifender Versorgungsformen
fließen und es so zu Verbesserungen kommt, dann wer-
den wir einige vernünftige Punkte in die Regelversor-
gung übernehmen können.
Ich denke, wir sind mit der Großen Koalition auf
einem guten Weg. Wir haben heute einiges gehört, was
uns wirklich weiterbringt. Ich bin sehr zuversichtlich,
dass wir in vier Jahren einige zentrale Verbesserungen
vorweisen können.
Danke schön.
Vielen Dank. – Letzter Redner zum Einzelplan 15 ist
der Kollege Helmut Heiderich, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Verehrte Gäste auf der Tribüne! Als Haushältermuss man sich etwas mehr der finanziellen Seite zuwen-
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den. Deswegen möchte ich mich am Anfang mit denVorwürfen von der linken Seite beschäftigen, die gesternin der Generaldebatte, aber auch vorhin geäußert wordensind. Es wurde behauptet, dieser Bundeshaushalt ge-fährde die Sozialkassen. Meine verehrten Kolleginnenund Kollegen von der Linken, ich habe den Eindruck,dass Sie immer noch nicht so ganz begriffen haben, waseigentlich Sozialkassen sind. Sozialkassen werden vonden Bürgern und den Unternehmen gefüllt. Je besser diewirtschaftliche Lage in einem Lande ist, desto bessergeht es den Sozialkassen.Heute Morgen wurde der aktuelle Bericht der For-schungsinstitute veröffentlicht. Diese Institute habenfestgestellt, Deutschland steht vor einem weiteren Auf-schwung und dafür verantwortlich ist dieser Bundes-haushalt. Mit dem Bundeshaushalt wird also die Situa-tion der Sozialkassen verbessert. Das sollten Sie einmalöffentlich sagen.
Ich will Sie bei dieser Gelegenheit zurückfragen:Wann hatten wir in Deutschland jemals 42 Millio-nen Beschäftige? Wann hatten wir jemals 29 Millio-nen Menschen, die in die Sozialkassen eingezahlt ha-ben?
Das ist ein Erfolg unserer Politik und stärkt die Sozial-kassen. Das steht im Gegensatz zu dem, was Sie behaup-ten.
Herr Kollege Heiderich, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Weinberg?
Gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege Heiderich, dass Sie die
Zwischenfrage zulassen. – Wir haben derzeit in Deutsch-
land 134 Kassen. Wissen Sie, wie viele von denen im
letzten Jahr auf die Rücklage zugreifen mussten, also das
Jahr mit einer roten Zahl abgeschlossen haben? – Ich
kann es Ihnen sagen: Es waren 104 von 134 Kassen. Das
heißt, die Lage im Gesundheitsbereich und die Lage der
Kassen selbst sind gar nicht so rosig, wie Sie es darstel-
len.
Ich will Ihnen darauf antworten, dass es nicht auf dieAnzahl der Kassen ankommt, sondern darauf, wie vieleVersicherte betroffen sind. Wenn ich den Herrn Ministervorhin richtig verstanden habe, dann ist es so, dassaufgrund der Neuregelung der Versicherungsbeiträge dieHälfte der Versicherten in Deutschland geringere Bei-träge zahlen wird als vorher. Die Lage ist also offen-sichtlich sehr gut, und dies zeigt, dass wir hier auf einemrichtigen Weg sind.
Meine Damen und Herren, Sie können es auch umge-kehrt sehen: Immer dann, wenn es in Deutschland wirt-schaftlich schwierig war, haben auch die Sozialkassen zukämpfen gehabt. Das will ich am Beispiel des Gesund-heitsfonds deutlich machen. Der Gesundheitsfonds, derja 2004 eingeführt worden ist, hat eine relativ wechsel-hafte Geschichte. Am Anfang wurden 2,5 Milliar-den Euro für versicherungsfremde Leistungen zur Verfü-gung gestellt. Das ist deutlich weniger als heute.Mit der Erlaubnis des Präsidenten möchte ich eineGrafik hochhalten. Sie zeigt die Entwicklung des Zu-schusses an den Gesundheitsfonds. In roter Farbe ist derAnstieg dargestellt, den er normalerweise hätte nehmensollen. Im Jahr 2009 kam der wirtschaftliche Einbruch.Was ist dann geschehen? Die Bundesregierung hat auskonjunkturellen Gründen dem Gesundheitsfonds in dendarauffolgenden Jahren – dies ist in anderen Farben dar-gestellt – zusätzliche Milliarden gegeben: 2009 zusätz-lich 3 Milliarden Euro, 2010 zusätzlich 11 Milliar-den Euro und 2011 zusätzlich 8 Milliarden Euro. DasMinisterium hat mir freundlicherweise ausgerechnet,dass weit über 30 Milliarden Euro mehr in den Gesund-heitsfonds gegeben worden sind, als nach der Berech-nung der versicherungsfremden Leistungen eigentlichnotwendig gewesen wären. Das ist die Wahrheit zumGesundheitsfonds. Wenn wir jetzt aus konjunkturellenGründen etwas aus diesem Haushalt zurücknehmen,dann ist das sozusagen ein Stück weit ein Ausgleich undnicht, wie Sie behaupten, die Gefährdung dieses Ge-sundheitsfonds.Auf der anderen Seite müssen wir auch darauf achten– das sage ich auch einmal als Haushälter –, dass dieAusgaben mittel- und längerfristig mit dem Wachstumdes BIP, mit dem Wirtschaftswachstum zur Deckunggebracht werden müssen. Das sollten wir immer beden-ken, wenn wir hier über Einzelmaßnahmen und Einzel-projekte reden.Es gibt in diesem Haushalt eine Reihe von neuenSchwerpunkten. Ich begrüße das außerordentlich. Essind schon einige davon angesprochen worden. Ich be-grüße auch, dass wir hier auf dem Weg zu einem Innova-tionsfonds sind, weil wir diesen mit den neuen Schwer-punkten verbinden können. Ich unterstreiche nocheinmal ganz ausdrücklich: Es geht um die zusätzlicheärztliche Versorgung im ländlichen Raum. Wir wissenalle, dass das im Moment schwierig ist. Wir haben in denletzten Jahren einige Schritte unternommen und einigeVerbesserungen eingeführt, aber wir sind noch langenicht am Ziel. Deswegen befürworte ich, dass wir mitdiesem Innovationsfonds das Thema „Ärzteversorgungim ländlichen Raum“ aufgreifen.
Aber ich empfehle auch, dass wir uns in gleicherWeise mit der Frage der stationären Versorgung in die-
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sen Räumen beschäftigen und damit, ob wir in Zukunftnoch kommunale oder kirchliche Krankenhäuser habenwollen oder ob wir dahin kommen wollen, dass amSchluss nur noch drei oder vier große Gesundheitskon-zerne die gesamte stationäre Versorgung in Deutschlandübernehmen.
Das ist eine Frage, über die wir diskutieren müssen. Dasist auch eine Frage, die wir mit diesem Innovationsfondsaus meiner Sicht angehen müssen.Ich begrüße ausdrücklich auch, dass die Bundesregie-rung die Position eines Pflegebeauftragten geschaffenhat und dass wir mit der entsprechenden Ausstattung, diein diesem Haushalt vorgesehen ist, die Möglichkeit ha-ben, diese wichtige Aufgabe – das ist eben ja schonmehrfach angesprochen worden – weiter zu stärken undzu vertiefen. Auch da brauchen wir einfach nur einenBlick auf das Tagesgeschehen zu werfen. Heute wurdeeine Studie vorgelegt, in der steht, dass Deutschland miteinem Seniorenanteil von 20 Prozent und mit der ge-ringsten Anzahl an Kindern in Europa dasjenige Landist, das am stärksten von der demografischen Entwick-lung betroffen sein wird. Deswegen müssen wir uns indieser Richtung alle gemeinsam um Lösungen bemühen.Da mag es an der einen oder anderen Stelle Unterschiedein der Bewertung geben, aber wir müssen uns alle da-rüber im Klaren sein: Dieser Bereich der Pflege und derPflegeversicherung ist eine der großen Aufgaben im Ge-sundheitshaushalt für die nächsten Jahre.
Herr Kollege.
Ja, bitte schön.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Zimmermann?
Ja, gerne.
Vielen Dank, Herr Heiderich, dass Sie die Zwischen-
frage zulassen. – Ich wollte noch etwas zu dem Referen-
tenentwurf sagen, weil Sie gesagt haben, dass in der
zweiten Stufe der Pflegebegriff eingeführt werden soll.
Da geht es ja darum, dass alle Einschränkungen, egal ob
körperliche oder geistig-kognitive, auch unter diesen
Pflegebegriff fallen. Jetzt haben Sie gesagt, Sie wollen
2016/2017 den Beitrag um 0,2 Prozentpunkte erhöhen
und damit Mehreinnahmen von 2,4 Milliarden Euro er-
zielen. Meine Frage dazu ist: Der Bremer Gesundheits-
ökonom Heinz Rothgang hat gesagt, dass diese 2,4 Mil-
liarden Euro im Jahr gar nicht ausreichen. Der Kollege
ist ja erfahren. Er war ja auch in den Pflegeexpertenbei-
räten mit dabei und hat das alles mit erarbeitet. Er sagt
nun, es müssten mindestens 4 Milliarden Euro sein.
Können Sie da zur Aufklärung beitragen?
Sie werden nicht erwarten, dass ich jetzt in der Kürze
der Zeit die Meinungen des einen oder anderen Experten
gegeneinander abwäge. Es ist völlig klar, dass immer die
Frage ist, was man alles hineinrechnen will, und dass
man sich natürlich unbegrenzt noch weitere Leistungen
ausdenken kann. Aber wir müssen die Mittel, die wir ha-
ben, und die Anforderungen, die auf uns zukommen,
miteinander in Einklang bringen. Die Pflegeversiche-
rung war nie eine Vollversicherung. Wir haben von An-
fang an gesagt, dass es sich hier um eine Teilhilfe bzw.
Teilunterstützung handelt. So müssen wir in dem Aufga-
benbereich, den Sie gerade erwähnt haben, fortfahren.
Lassen Sie mich in der letzten Minute, die mir noch
zur Verfügung steht, auf einen anderen Punkt hinweisen.
Ich begrüße, dass wir uns mit diesem Bundeshaushalt in
die europäische Zusammenarbeit verstärkt einbringen;
das wurde vorhin kurz angedeutet. Deutschland hat ge-
genüber Griechenland die Verpflichtung übernommen,
das griechische Gesundheitssystem zu reformieren und
in ein modernes Gesundheitssystem zu überführen. Dort
stehen wir in der Verantwortung. Dafür müssen wir uns
im Haushalt entsprechend ausstatten. Ich begrüße aus-
drücklich, dass wir hier so aktiv sind.
Lassen Sie mich kurz zusammenfassen. Der Gesund-
heitshaushalt unterstützt die weitere Entwicklung des
Gesundheitssystems in Deutschland. Wir stehen welt-
weit – auch darüber darf man vielleicht einmal ein Wort
verlieren – im Vergleich zu vielen anderen Ländern an
der Spitze, wenn es um die Leistungen geht, die wir un-
seren Bürgern gewähren. Dort wollen wir bleiben. Das
heißt aber nicht, dass wir das Geld mit vollen Händen
ausgeben können. Vielmehr müssen wir immer An-
spruch und Möglichkeiten des Haushalts in Einklang
bringen. Das hat die Koalition mit diesem Haushalt gut
geschafft. So soll es in Zukunft weitergehen.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Heiderich. – WeitereWortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit haben wirdie Rednerliste zum Einzelplan 15 – Gesundheit – been-det.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:– Beratung der Beschlussempfehlung und desBerichts des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Bundes-
regierungEntsendung bewaffneter deutscher Streit-kräfte zur Beteiligung an der Europäi-schen Überbrückungsmission in der
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73/GASP sowie 2014/183/GASP des Ratesder Europäischen Union vom 10. Februar2014 und vom 1. April 2014 in Verbindungmit den Resolutionen 2127 und2134 des Sicherheitsrates der Ver-einten Nationen vom 5. Dezember 2013und vom 28. Januar 2014Drucksachen 18/1081, 18/1095
Drucksache 18/1097Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-mentlich abstimmen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Erster Redner in dieser Aussprache ist der KollegeChristoph Strässer für die SPD-Fraktion, dem ich hier-mit das Wort erteile.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! „Kwibuka“ ist ein Wort ausder Sprache Kinyarwanda, einer der LandessprachenRuandas. Dieses Wort bedeutet „erinnern“. Unter diesemMotto standen zu Beginn dieser Woche die Gedenkver-anstaltungen anlässlich des Genozids in Ruanda vor20 Jahren. Ich hatte mit drei anderen Kollegen aus die-sem Hohen Hause die Gelegenheit, an diesen Veranstal-tungen teilzunehmen. Es war beeindruckend. Es war im-mer wieder die Botschaft an uns, die internationaleGemeinschaft, zu hören, dass so etwas wie in Ruanda niewieder passieren darf. Ban Ki-moon, der Generalsekre-tär der Vereinten Nationen, hat in seiner Rede klar unddeutlich gesagt: Die internationale Gemeinschaft, dieVereinten Nationen, hat im Ruanda-Konflikt versagt.Zitiert wurde immer wieder der damalige Kommandeurder kanadischen Blauhelmtruppen, Roméo Dallaire, derzu Beginn des Genozids nach New York gefunkt hat: Ichbrauche 4 000 bis 5 000 Soldaten. Dann kann ich denMörderbanden Einhalt gebieten. – Nicht nur das ist nichtpassiert. Die Truppen mussten sogar abgezogen werden,und das Drama nahm seinen Lauf.Daran sollten wir im Zusammenhang mit der Situa-tion und der Entwicklung in der ZentralafrikanischenRepublik und dem Mandat denken, über das wir heuteentscheiden, in einem Land, von dessen Existenz vieleMenschen in Deutschland vor der aktuellen Krise – ichhabe viele Gespräche geführt – gar nichts wussten, aberdas nur am Rande.Das Problem in der Zentralafrikanischen Republik istvöllig klar. Die humanitäre Lage ist dramatisch. Der hu-manitäre Zugang, also konkrete Hilfe für Menschen inNot, ist aufgrund der extrem fragilen Sicherheitslage au-ßerordentlich erschwert.Der VN-Beauftragte für humanitäre Hilfe, John Ging,hat am 16. Januar vor einem Völkermord gewarnt. Diegesamte Bevölkerung der Zentralafrikanischen Repu-blik, also circa 4,6 Millionen Menschen, ist von derKrise betroffen. 2,5 Millionen sind auf humanitäre Hilfeangewiesen, davon 1,6 Millionen Menschen aktiv aufNahrungsmittelhilfe. Circa 1 Million Menschen sind imMoment auf der Flucht, davon 615 000 im eigenenLand, der Rest in den Nachbarländern, von denen wirwissen, dass die Situation dort ebenfalls sehr schwierigist.UNICEF berichtet frisch von der zunehmenden Akti-vierung und Rekrutierung von Kindersoldaten in diesemKonflikt. Mittlerweile schätzt UNICEF, dass es 3 500Kinder betrifft, die zum Einsatz genötigt werden. Am-nesty International beklagt den mangelnden Einsatz derinternationalen Gemeinschaft, die mangelnde Robustheitdes Mandats. Médecins sans Frontières, also Ärzte ohneGrenzen, beklagen eine mangelnde und unzureichendeReaktion auf die humanitäre Krise.Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen mussman sich, wie ich finde, wirklich anschauen, über waswir heute eigentlich reden. Wir reden heute über die Be-teiligung der Bundeswehr in Form von 80 Soldatinnenund Soldaten sowie die Bereitstellung von strategischemLufttransport für Transportleistungen nach Bangui.Ich weiß, worüber diskutiert wird. Ich kenne die gan-zen Diskussionen; die führen wir relativ intensiv. Es gehtum die Frage: Ist eigentlich das Mandat, das wir anstre-ben, eine Militarisierung der Außenpolitik? Ich kann Ih-nen nur sagen: Wir sind uns hier, glaube ich, völlig klar,dass wir nie in der Lage sein werden, solche Krisen al-leine mit militärischen Mitteln zu lösen. Aber das be-hauptet auch keiner. Das Militär ist aber erforderlich– das sage ich ganz klar, und das fordern auch ganz vieleMenschen von uns –, um den Zugang der humanitärenHelfer in die Krisenregionen zu gewährleisten. Darumgeht es und um nichts anderes. Wer dem nicht zustimmt,der sagt den Menschen in der Zentralafrikanischen Re-publik: Hilfe können wir euch nicht bieten, weil wirnicht bereit sind, Militär zu entsenden. Ich finde das ab-solut unakzeptabel und werbe deshalb für dieses Man-dat.
Ja, auch das ist richtig: Wenn wir über diesen Einsatzreden – das ist immer bei Militäreinsätzen so –, danngeht es um die Frage, ob Politik versagt hat. Wenn Mili-tär eingesetzt werden muss, hat vorher Politik versagt.Das ist so. Auch das sollte man zur Kenntnis nehmen;denn nicht die Soldatinnen und Soldaten, die wir dahinschicken, verursachen diese Krise, sondern die hat an-dere Gründe und andere Ursachen.Aber ich sage auch eines an dieser Stelle: Es ist rich-tig und wichtig, den Staatsaufbau, den Aufbau vonStrukturen, den Zugang zu Gesundheit, Bildung, Wasser
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und Nahrung zu ermöglichen. Das können die Soldatin-nen und Soldaten nicht schaffen. Das ist die Aufgabe derPolitik. Aber wir müssen uns vor Augen halten, dass,während wir diese Diskussion hier führen, in der Zen-tralafrikanischen Republik Menschen sterben. Dessenmüssen wir uns bewusst sein; denn es geht um klareAussagen zur Hilfe für Menschen in Not, es geht darum,dass Menschen humanitäre Hilfe in Anspruch nehmenkönnen. Die humanitären Organisationen fordern uns imÜbrigen dazu auf, dass wir diese Bereitschaft an den Taglegen und dass wir alles tun, damit geholfen wird. Umnichts anderes geht es, und das geht nicht anders als mitdiesem Mittel.
Zum Schluss möchte ich ein Zitat von Tobias Zickaus der Süddeutschen Zeitung vom Montag dieser Wo-che vortragen, das mich sehr überzeugt hat. Er hat imKommentar Folgendes geschrieben:Die Lehren aus Ruanda – sie tauchen in diesen Ta-gen verlässlich in allerlei Trauerreden auf. Aber zu-gleich zeigt sich, dass die internationale Gemein-schaft, wenn es darauf ankommt, noch immer zumGedächtnisschwund neigt. Es wäre wünschenswert,dass nun die Gedenkfeiern für die 800 000 totenRuander nicht nur dazu anregen, bedauernd zurück-zublicken, auf das Versagen vor 20 Jahren, sondernauch verantwortungsvoll nach vorn: auf das Schick-sal der Menschen in Zentralafrika, in Südsudan undSyrien.Dem kann ich nur zustimmen. Unter diesem Aspekt bitteich Sie alle nach Möglichkeit um Zustimmung zu diesemMandat.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin
Christine Buchholz, Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Ich habehier nicht den Ruf nach Soldaten gehört, sondern denSchrei nach Hilfe.“ So kommentierte Entwicklungshilfe-minister Müller seinen Besuch bei Flüchtlingen in Ban-gui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik.Ich wünschte, Frau von der Leyen, Herr Steinmeier, HerrSträsser, Sie würden Ihren Kollegen Müller ernster neh-men.
Sie wollen, dass die Bundeswehr eine Militäropera-tion der EU in Zentralafrika unterstützt. Ich meine, dassdies keinen Beitrag zur Beseitigung des Elends leistenwird.
Die EU-Mission wird unter Führung der französi-schen Armee laufen. Diese führt bereits seit vier Mona-ten die Operation Sangaris in Zentralafrika durch. Zielwar die Entwaffnung muslimischer Séléka-Rebellen, die2013 die Macht ergriffen hatten und Terror verbreiteten.Was hat das französische Eingreifen gebracht? Das Mor-den geht weiter, nur die Kräfteverhältnisse haben sichumgekehrt. Christliche Anti-Balaka-Milizen gewannenmit dem französischen Eingreifen die Oberhand. Sie ma-chen ihrerseits Jagd auf Muslime. Heute sind fast alleMuslime auf der Flucht; viele wurden umgebracht. Diefranzösische Armee konnte oder wollte das nicht stop-pen. Darüber sollten Sie hier reden.
Stattdessen tun Sie so, als könne sich die EU-Missionneutral zwischen alle Fronten stellen und so das Landbefrieden.
Ich halte das für falsch; denn die Situation ist sehr vielkomplizierter:
Zum einen ist die ehemalige Kolonialmacht Frank-reich nicht neutral. Sie verfolgt auch dort wirtschaftlicheInteressen. Denn so arm die Menschen in Zentralafrikasind, so reich ist das Land an Bodenschätzen: Diaman-ten, Gold, Uranerz und Holz.Zum anderen sind auch die in Zentralafrika stationier-ten Truppen der AU, der Afrikanischen Union, die dieeuropäischen und deutschen Soldaten nach Ihrem Willenunterstützen sollen, nicht neutral. Ein Beispiel: Die Ar-meen Kongos und Ruandas standen bis vor kurzemselbst noch im Krieg miteinander. Sie kontrollieren un-terschiedliche Zonen in Zentralafrika und beäugen sichmisstrauisch. Die geplante EU-Mission in Zentralafrikaläuft Gefahr, sich in einen innerafrikanischen Stellvertre-terkonflikt zu verstricken. Dieses Problem wird auch diegeplante UN-Mission im Herbst haben. Warum ignorie-ren Sie das?
Es wird noch komplizierter. Kamerun führt die AU-Friedensmission an. Doch die Journalistin SimoneSchlindwein berichtete im März, dass AU-Soldaten ausKamerun in Bangui „Tisch an Tisch Bier mit Anti-Ba-laka-Führern trinken.“ Die Anti-Balaka sind aber genaudiejenigen, die die Pogrome gegen Muslime durchfüh-ren. Wie wollen Sie Anti-Balaka-Milizen entwaffnen,wenn Teile der verbündeten afrikanischen Truppen mitihnen gemeinsame Sache machen?
Kommen wir zu den AU-Friedenstruppen des Tschad.Vor zwei Wochen haben tschadische Truppen von einemLaster aus mit Maschinenpistolen in einen Markt ge-schossen. Das sagt die UNO. 30 Tote und 300 Verletztegehen auf das Konto der tschadischen Truppen. Nun
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Christine Buchholz
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zieht sich der Tschad mit seinen 850 Soldaten aus derAU-Mission zurück. Die Bundesregierung und die EUhaben aber mit dem Tschad ihre eigene Mission geplant.Was tun Sie jetzt?Bislang widerspricht sich die Bundesregierung auch,wenn es um das Verhältnis zu den offiziellen Streitkräf-ten der Zentralafrikanischen Republik geht. Das Aus-wärtige Amt hat auf unsere Anfrage geantwortet, eshalte diese für einen Bestandteil einer möglichen Koope-ration. Die UNO hat Ende März gesagt, diese Streit-kräfte seien zu 80 Prozent mit Milizen der Anti-Balakadurchsetzt. Sie handeln nach dem Motto: Wir wissenzwar nicht, mit wem oder gegen wen wir eigentlich dieseEU-Mission aufstellen; Hauptsache, die Bundeswehr istdabei. Ich sage Ihnen: Das hat mit humanitärer Hilfenichts zu tun.
Die Lage in Zentralafrika ist nicht erst seit gestern ka-tastrophal. Bereits 2013 baten Hilfsorganisationen inZentralafrika um Unterstützung. Damals hat die Bundes-regierung nicht reagiert.
Nun wollen Sie endlich 10 Millionen Euro an Nothilfenach Zentralafrika geben. Das ist auch gut. Doch gemes-sen am geschätzten Bedarf von rund 400 Millionen Euroist es viel zu wenig.
Wir sagen Ihnen: Verzichten Sie auf den Bundes-wehreinsatz, der 12 Millionen Euro kostet. Nehmen Siedieses Geld besser für die Nothilfe.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Buchholz. – Ich erteile
jetzt das Wort für die CDU/CSU der Kollegin Anita
Schäfer.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Der Sturz der Regierung in der Zentral-afrikanischen Republik vor einem Jahr hat mittlerweilezu einer Spirale wechselseitiger Vergeltung zwischenChristen und Muslimen geführt, bei der die ursprüngli-chen Motive hinter dem Putsch keine Rolle mehr spielenund stattdessen die religiöse Zugehörigkeit instrumenta-lisiert wird. Dabei geht es nicht um Glaubensfragen.Menschen werden getötet, weil sie zur falschen Volks-gruppe gehören, die angeblich Unrecht an der anderenbegangen hat. Wir kennen das von anderen Konflikten inder Region. Die jetzige Brutalität steht der in jenen Kon-flikten in nichts nach. Die Warnung vor einem neuenRuanda liegt angesichts des Gedenkens vom Wochen-ende an die Opfer dieses Völkermordes vor 20 Jahrennahe.Ich glaube, das vielzitierte Versagen der internationa-len Gemeinschaft von damals steht uns allen vor Augen,wenn wir die derzeitigen Berichte aus Zentralafrika ver-folgen. Die falsche religiöse Aufladung der Auseinan-dersetzung könnte zudem über die Region hinauswirken.Schon rufen Islamisten weltweit zum Dschihad für Zen-tralafrika auf. Das Land gehört außerdem noch zumOperationsgebiet der Lord’s Resistance Army mit ihrerwirren Version eines fundamentalistischen Christen-tums, die für zahlreiche Gräueltaten in mehreren Nach-barstaaten verantwortlich ist.Das alles sind Voraussetzungen für einen weiteren ge-scheiterten Staat, der grenzüberschreitende Instabilitätverursacht, als Basis für Terroristen jeglicher Couleurdient und zum Flüchtlingselend auf unserem Nachbar-kontinent beiträgt. Das darf auch uns in Europa nichtegal sein, nicht aus humanitären und nicht aus sicher-heitspolitischen Gründen.Meine Damen und Herren, die Europäische Unionwar bislang der Hauptpartner der ZentralafrikanischenRepublik in der Aufbauarbeit nach den früheren Frie-densvereinbarungen zwischen 2007 und 2012. Der jet-zige Konflikt zerstört auch das, was in den letzten Jahrenan Fortschritten gemacht worden war. Leider wird überdas sicherheitspolitische Engagement der EU immer nurdann öffentlich gesprochen, wenn es um Militäreinsätzegeht, obwohl die das letzte und am seltensten eingesetzteInstrument sind. Dasselbe gilt für das bilaterale Engage-ment Deutschlands. In der Debatte um Einsätze gehtdann die tägliche, viel weniger schlagzeilenträchtige Ar-beit für zivile Konfliktprävention, Stabilisierung undStaatsaufbau völlig unter.Aber: Soldaten können auch notwendig sein, wiejetzt. Mit der Mission EUFOR RCA unterstützen wir diebereits laufenden Einsätze der Afrikanischen Union undFrankreichs. Es handelt sich dabei angesichts des Aus-maßes der Katastrophe um eine bescheidene Operation.Ziel ist die Sicherheit der Hauptstadt Bangui für eineÜbergangszeit, um insbesondere den Truppen der AU-Mission MISCA eine stabile Basis für die Befriedungder ländlichen Gebiete zu geben. Nach spätestens sechsMonaten wird MISCA hoffentlich eine ausreichendePräsenz etabliert haben und im Herbst möglicherweiseihrerseits in eine UN-Mission überführt werden; einesolche hat der Sicherheitsrat soeben beschlossen.Der deutsche Beitrag dazu ist vom Personal her ge-ring, aber für den Erfolg entscheidend: neben der Be-teiligung an den Hauptquartieren einerseits durch dieGestellung von Fähigkeiten zur luftgestützten Verwun-detenevakuierung und andererseits durch die Finanzie-rung strategischer Lufttransportkapazitäten, die der zivileNATO-Dienstleister SALIS bereitstellt. Wir kommendamit unserer Verantwortung gegenüber unseren Part-nern in der EU und der Solidarität mit unseren afrikani-schen Nachbarn nach, wie wir es kürzlich auf dem EU-Afrika-Gipfel bekräftigt haben.
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Anita Schäfer
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Meine Damen und Herren, hinzuzufügen wäre, dasseine solche Mission – ein Einsatz in Bataillonsstärke fürsechs Monate – genau dem Profil entspricht, für das dieEU-Battle-Groups geschaffen worden sind. In Zukunftsollten die Mitgliedstaaten verstärkt darauf hinwirken,dass dieses Instrument in solchen Fällen auch eingesetztwird. Wäre das geschehen, dann wäre im Vorlauf diesesEinsatzes einiges vermieden worden, was nicht unbe-dingt zur Glaubwürdigkeit der Gemeinsamen Sicher-heits- und Verteidigungspolitik beigetragen hat.Es ist vollkommen nachvollziehbar, dass osteuropäi-sche Mitglieder ihre anfänglichen Truppenzusagen ange-sichts der aktuellen Situation in der Ukraine reduzierthaben. Ich habe hier kürzlich schon in anderem Zusam-menhang erwähnt, dass wir die Ängste dieser Partner an-gesichts des russischen Vorgehens auf der Krim ernstnehmen müssen.
Wer sich direkt bedroht fühlt, wird seine knappen Kräfteeher nicht in Afrika einsetzen wollen. Umso schwierigernachzuvollziehen ist, wenn dann nicht stattdessen dieje-nigen Truppen eingesetzt werden, die bereits für die EU-Battle-Groups in Bereitschaft stehen.Angesichts aktueller Herausforderungen wird die ge-meinsame Nutzung militärischer Ressourcen in Europakünftig noch wichtiger. Da kann es nicht nur bei Ab-sichtserklärungen bleiben. Deutschland als Motor dereuropäischen Integration sollte da im Sinne der kürzlichdiskutierten größeren sicherheitspolitischen Verantwor-tung durchaus einmal den Anstoß geben.
Meine Damen und Herren, es besteht also noch Ver-besserungsbedarf, aber die jetzt anstehende Mission istaus den genannten Gründen richtig, und der deutscheBeitrag dazu wichtig. Ich hoffe, dass wir damit eine wei-tere Verschärfung der Lage in der ZentralafrikanischenRepublik abwenden können und das Land diesen Kon-flikt überwindet. Dazu werden die EU und natürlich wirselbst weiterhin auch mit zivilen Mitteln beitragen, obmit oder ohne öffentliche Aufmerksamkeit, sodass wirhoffentlich kein neues Ruanda erleben werden.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Frithjof Schmidt,Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die humanitäre Lage in der Zentralafrikani-schen Republik ist dramatisch. Das wissen wir alle. Diestaatliche Infrastruktur ist in weiten Teilen des Landeszusammengebrochen. Täglich gibt es Berichte über Ver-treibungen und Morde. Ethnische Unterschiede spielendabei eher weniger eine Rolle als religiöse Zuordnungzum christlichen oder muslimischen Glauben. Abermeist ist auch das eher ein Vorwand.Frau Buchholz, kriminelle Banden und örtliche War-lords terrorisieren weite Teile des Landes. Es gibt meis-tens keine klaren Frontlinien und auch keine klar erkenn-baren Gegner.
Das ist der Kern des Problems. Darauf geben Sie keineAntwort.
Ich räume gerne ein, dass es nicht falsch ist, wenn wiruns angesichts dieser Situation eine gewisse politischeRatlosigkeit offen eingestehen. Die Eskalation der Ge-walt in den letzten Monaten spricht da auf schrecklicheWeise für sich. Es darf aber nicht zur Ausrede werden,nicht einzugreifen.
Aber die große Unübersichtlichkeit der Lage und vieleoffene Fragen stellen uns schon vor eine schwierige Ent-scheidung.Der Konflikt droht sich weiter auszubreiten. DieKrise in Zentralafrika hat eine Sprengkraft, die die ge-samte Region vom Tschad bis zum Norden des Kongodestabilisieren könnte. Der Einsatz von Truppen derAfrikanischen Union und ihre Unterstützung durchFrankreich war daher richtig, reicht aber nicht aus. Des-halb ist es gut, dass die UNO jetzt ihre Verantwortungwahrnehmen will und heute ein Mandat beschlossen hat.Das ist eine gute Nachricht.
Diese Krise muss auf der Ebene der Vereinten Nationenbehandelt werden. Wo sonst?Wenn es ein UN-Mandat gibt, dann müssen wir unsdamit auseinandersetzen, dass die Anforderung an unsgestellt wird, das zu unterstützen. Eine dauerhafte UN-Peacekeeping-Mission ist angesichts der Situation indiesem Land dringend notwendig.
Nur so können mehr Stabilität und mehr Sicherheit fürdie Menschen in Zentralafrika erreicht werden; da hatdie UNO recht. Es ist wichtig, dass diese Mission zu-stande kommt. Im September soll es so weit sein, unddas ist nicht viel Zeit für die Umsetzung einer so schwie-rigen Mission. Deshalb ist eine Zwischenlösung für dienächsten sechs Monate absolut notwendig. Es ist richtig,dass die Europäische Union und Deutschland sich dabeiengagieren, dabei helfen. Ich sage das, auch wenn heute
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Dr. Frithjof Schmidt
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noch nicht sicher ist, dass sie in diesem Zeitrahmenfunktioniert.Die Zentralafrikanische Republik gehört übrigens zurGruppe der Afrika/Karibik/Pazifik-Staaten, die seit Jahr-zehnten sogar eine Paritätische Parlamentarische Ver-sammlung mit der Europäischen Union haben. Ich selberwar dort mal fünf Jahre Mitglied. Es gibt für uns Euro-päer auch deshalb eine besondere politische Verpflich-tung, der Bevölkerung dieses Partnerlandes beizustehen.
Das bedeutet: In den nächsten sechs Monaten müssendie Voraussetzungen für die humanitäre Versorgung unddie elementare Sicherheit auch durch Militär hergestelltwerden. Es ist richtig, dass Deutschland trotz der un-übersichtlichen Lage dabei hilft. Was aber nach der hu-manitären Nothilfe benötigt wird, ist ein langfristigesEntwicklungskonzept für Zentralafrika.
Die Stabilisierung der Sicherheitslage muss mit einemKonzept des zivilen Wiederaufbaus verbunden werden.Dass Minister Müller nun 10 Millionen Euro an So-forthilfe für das Land und die zentralafrikanischenFlüchtlinge zur Verfügung gestellt hat, das ist sehr zu be-grüßen. Aber angesichts der katastrophalen Lage ist dasnur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das kann nur einerster Schritt sein.
Der UN-Nothilfekoordinator beziffert den Bedarf desLandes gegenwärtig auf fast 550 Millionen US-Dollar.Wir können und wir müssen bei der zivilen Hilfe sehrviel mehr tun. Wir erwarten hier weitere Initiativen derBunderegierung.Der militärische Beitrag Deutschlands, über den wirheute zu entscheiden haben, ist dabei nur ein, wenn auchnotwendiges Element, das helfen soll, die Voraussetzun-gen für zivile Hilfe zu stabilisieren.
Meine Fraktion wird dem Antrag der Bundesregierungauf Mandatierung der Bundeswehr für diesen Einsatzdeshalb mit großer Mehrheit zustimmen.Danke für die Aufmerksamkeit.
Für die SPD spricht jetzt der Kollege Karl-Heinz
Brunner.
Sehr verehrter Herr Präsident! Frau Bundesministervon der Leyen! Meine sehr verehrten Kolleginnen undKollegen! Ist es nicht bittere Ironie der Geschichte,wenn Ban Ki-moon, der Generalsekretär der VereintenNationen, auf dem Weg zum Tag des Gedenkens an dieOpfer des Genozids in Ruanda in der Zentralafrikani-schen Republik haltmachen muss, um die dortigen Kon-fliktparteien eindringlich zu ermahnen? Er sagte:Wiederholen Sie nicht die Fehler der Vergangen-heit, ziehen Sie die Lehren daraus.Ihnen, Kollegin Buchholz, will ich sagen: Wiederho-len Sie nicht die Fehler der Vergangenheit, ziehen Siedie Lehren daraus. – Sie haben noch bis zum Ende dieserDebatte, bis zur namentlichen Abstimmung, Zeit, denrichtigen Weg zu finden.
Meine Damen und Herren, das vor wenigen Tagenauch im Hohen Hause beschworene Credo „Nie wiederRuanda! – Nie wieder Völkermord!“ droht ausgerechnetim Jahr der Erinnerung, dem Jahr der Mahnung, zu einerFarce zu werden. Ethnisch-religiöse Säuberungen, Mas-senmorde ohne Sinn und Verstand sind in der Zentral-afrikanischen Republik traurige Realität. BewaffneteTruppen, nein, Horden von Christen und Muslimen ste-hen sich mit nur dem einen Ziel gegenüber, die jeweilsanderen zu vernichten. Unaussprechliche Gräueltaten,bei denen ohne Grund in Menschenmengen geschossenwird, wodurch jene getroffen werden, die sich nichtwehren, die nicht um ihr Leben laufen können, dieschutzlos sind: Kinder, Alte, Behinderte, Frauen,Schwangere.Kolleginnen und Kollegen, ein Land, eine Gesell-schaft, läuft dort Amok; es droht in kompletter Anarchiezu versinken, es befindet sich im freien Fall. Nicht nur,weil die Milizen dort schlecht organisiert sind, sondernauch, weil ihnen die Koordination fehlt, ist ein Völker-mord im Augenblick noch unwahrscheinlich.Ja, meine Kolleginnen und Kollegen, ich kann michtäuschen, ich möchte mich auch gern täuschen, wenn ichParallelen zu Ruanda, zu Srebrenica, zu Bosnien-Herze-gowina herstelle.
Doch als jemand, der in seinem Leben selbst erlebenmusste, was aus Hass gegenüber anderen Religionen undEthnien und aus Rassenwahn geschieht, bin ich zutiefstdavon überzeugt, dass wir Einhalt gebieten müssen, dasswir nicht neutral sein können, sondern Farbe bekennenmüssen. Ich bin überzeugt, dass es Auftrag und Pflichtder internationalen Gemeinschaft ist, wenn schon diebisherige Gewalt nicht verhindert werden konnte, eineweitere Eskalation zu verhindern.Meine Kolleginnen und Kollegen, wenn wir wirklicheine Wertegemeinschaft sein wollen, dann müssen wirdazu stehen, und dies nicht nur bei Sonntagsreden, dann
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Dr. Karl-Heinz Brunner
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dürfen wir nicht wie 1994, als die Blauhelme ausRuanda abgezogen und Hunderttausende ihrem Schick-sal überlassen wurden, nicht wie 1995 in Srebrenica, alsdie Blauhelme zusahen, wie 8 000 Bosniaken niederge-metzelt wurden, die Augen verschließen. Wenn wir un-sere Werte ernst nehmen, dann braucht es unseren Ein-satz, und zwar jetzt eines kleinen, den die Menschen dortbenötigen,
einen Einsatz für die Afrikanische Union, die dringendunsere Hilfe braucht, einen Einsatz, um die französi-schen Soldaten, die bereits dort sind, dabei zu unterstüt-zen, Gewalt zu beenden, einen Einsatz, um zu helfen, de-mokratische Strukturen zu schaffen und die Wahlen imJahr 2015 vorzubereiten. Die Verantwortung, die Zivilis-ten zu schützen, ist Leitgedanke unseres Handelns unddamit der militärischen Überbrückungsmission, derenFokus auf medizinischer Versorgung und Lufttransportliegt.Anders als 1995 in Rest-Jugoslawien, anders als beimBürgerkrieg in Syrien sind sich dieses Mal die Afrikani-sche Union, die Vereinten Nationen, die etwa vor einerStunde im Sicherheitsrat der Peacekeeping Mission zu-gestimmt haben, und die Europäische Union einig, dassHilfe unmittelbar, jetzt und umfassend notwendig ist, umdas Morden zu stoppen und das Land wieder zu stabili-sieren. Nutzen wir diese Einigkeit als wichtiges Zeichen,als Zeichen einer Wertegemeinschaft, die dem sinnlosenMorden die Stirn zeigt.Unser Versprechen im Rahmen des EU-Afrika-Gip-fels vergangene Woche, an einem Afrika der Chancenmitzuwirken, ist nur glaubhaft, wenn wir jetzt unserenWillen und unsere Entschlossenheit zeigen, der afrikani-schen Bevölkerung in einer ihrer dunkelsten Stunden mitallen Mitteln beizustehen. Afrika braucht afrikanischeLösungen. Afrika braucht auch afrikanische Chancen.Auch Zentralafrika! Gerade deshalb dürfen wir Zentral-afrika nicht seinem Schicksal überlassen. Das sind wirden Menschen schuldig.
Das sind wir aber auch uns schuldig, wenn wir Wortewie „Nie wieder Auschwitz!“, „Nie wieder Ruanda!“,„Nie wieder Srebrenica!“ nicht zu leeren Worthülsenwerden lassen wollen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, demErsuchen der Bundesregierung auf Entsendung im Rah-men eines Übergangsmandats zuzustimmen. Ich glaube,die Menschen in Afrika haben es verdient, unseren Bei-stand zu erhalten.
Nächster Redner ist der Kollege Roderich
Kiesewetter, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktionder CDU/CSU stimmt dem Antrag für das Mandat inZentralafrika zu; das haben wir schon Anfang der Wochedeutlich gemacht. Lassen Sie mich drei aus meiner Sichtsehr wesentliche Punkte noch einmal herausstellen.Erstens. Es geht auch um die deutsche Verantwortunginnerhalb der Europäischen Union. Es geht um unser En-gagement innerhalb der Europäischen Union. Ich bin derKollegin Anita Schäfer ausgesprochen dankbar, dass sieeinen ganz wichtigen Punkt angesprochen hat. Wir brau-chen zurzeit angesichts der Entwicklungen östlich derEU und auch in unserer südlichen Nachbarschaft eineabsolut handlungsfähige Gemeinsame Außen- und Si-cherheitspolitik der Europäischen Union, und wir brau-chen eine NATO, die auf Rückversicherung setzt. AnitaSchäfer hat eines deutlich gemacht: Wir müssen unserePartner in der EU überzeugen, dass sie Kräfte für einenEinsatz in Afrika zur Verfügung stellen. Das geht nur,wenn wir Deutsche nicht an der Seite stehen, sondernuns aktiv beteiligen. Deshalb stimmen wir dem Mandatzu.
Zentralafrika hat über 4,5 Millionen Einwohner, überdie Hälfte davon ist auf humanitäre Hilfe angewiesen,über 1 Million Menschen sind täglich auf Nahrungsmit-telhilfen angewiesen, 600 000 Menschen sind innerhalbdes Landes auf der Flucht, und 300 000 Menschen habenihr Land bereits verlassen. Das darf uns nicht kalt lassen,jedenfalls nicht so kalt, wie es die Linken in diesem Falllässt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin auch denGrünen sehr dankbar. Was der Kollege Schmidt gesagthat, kann die Mehrheit des Hauses mittragen.Das führt mich zu meinem zweiten Punkt. Es geht umdas Afrika-Konzept. Wir als Bundestag sind in der Lage,sehr kurzfristig zu handeln. Wir haben dieses Mandat in-nerhalb einer Woche beraten. Die Minister von derLeyen, Steinmeier und Müller
haben mit ihrer Ankündigung eines neuen weiterentwi-ckelten Afrika-Konzepts klargemacht, dass wir auchstrategisch handeln wollen. Diese Bundesregierung nimmtAfrika ernst. Das muss uns auch heute bewusst sein.
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Dieses Ernstnehmen zeigt sich auch daran, dass un-sere Bundeskanzlerin beim EU-Afrika-Gipfel klare Wortegefunden hat. Wenn unsere Bundeskanzlerin, wenn un-sere Regierung, wenn unser Bundestag deutlich macht,dass wir als Europäische Union in Afrika handlungsfä-hig sein müssen, dann werden auch andere Staaten über-zeugt werden und uns folgen. Wir müssen hier gemein-sam Verantwortung tragen. Deutschland kann das nichtalleine. Wir wollen aber auch nicht, dass einzelne Staa-ten vorpreschen und ausschließlich militärische Lösun-gen erreichen. Deshalb brauchen wir ein zivil-militäri-sches Konzept mit diplomatischen Mitteln, mit Mittelnder Entwicklungszusammenarbeit. Ich glaube, diesesZiel müssen wir in dieser Legislaturperiode unbedingterreichen. Wir brauchen ein zivil-militärisches Afrika-Konzept, das auf einer breiten Grundlage steht und auchdie Zivilgemeinschaft einbindet.
Ganz entscheidend ist aus meiner Sicht auch: Die Eu-ropäische Union engagiert sich mit zehn Missionen zi-vil-militärisch in Afrika, die Vereinten Nationen enga-gieren sich mit neun Missionen in Afrika, in deneninsbesondere die Afrikanische Union, also afrikanischeStaaten, Verantwortung tragen. Das macht 19 Missionen.Es ist unsere Aufgabe, die dort engagierten Staaten, diedort engagierten Gesellschaften aus Afrika zu unterstüt-zen und zu befähigen, dass sie mit diplomatischen Mit-teln, mit Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit und,wo angebracht, auch mit militärischen Mitteln zur Kon-fliktlösung beitragen können. Hier sehen wir unsere Er-tüchtigungsaufgabe. Das ist keine rein militärische Auf-gabe. Dieses Afrika-Konzept sollten wir auch in derEuropäischen Union vertreten, damit auf Basis eines Ge-samtkonzeptes diese 19 verschiedenen Missionen vonEU und Vereinten Nationen koordiniert werden.Ich komme zu meinem abschließenden Punkt, zumregionalen Zusammenhalt. Der Kollege Bartels, die Kol-legin Wagner, der Kollege Juratovic und ich hatten ver-gangene Woche die Ehre, für den Deutschen Bundestagbei der Interparlamentarischen Konferenz für die Ge-meinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Athen seinzu dürfen. Wir haben die Gelegenheit genutzt und mitder Hohen Repräsentantin über das Umfeld von Zentral-afrika gesprochen. Dabei sind zwei Dinge deutlich ge-worden:Erstens. In Mali leben 4 Millionen Malier mit einemeuropäischen Pass. Sie sind französische Staatsbürger.Wir wollen, dass diese dort eine Perspektive haben.Der zweite Punkt ist Libyen. Es reicht nicht aus, liebeKolleginnen und Kollegen, wenn wir uns um Mali unddie Zentralafrikanische Republik kümmern. Wir habenFrau Ashton ermutigt, mit Blick auf Libyen stärker nachLösungen zu suchen. Wenn wir an einem Afrika-Kon-zept arbeiten, dann geht es auch darum, dass wir verhin-dern, dass Libyen ein Rückzugsort für Islamisten wird,ein Rückzugsort für ausländische Kämpfer, ein Rück-zugsort für Terroristen und ein Ort, an dem Proliferationan der Tagesordnung ist, also der Verkauf und die Vertei-lung von Waffen, und zwar nicht nur von Kleinwaffen,sondern auch von schweren Waffensystemen. Wir brau-chen ein Gesamtkonzept für diese Region. Der Einsatz,über den wir heute entscheiden, ist ein Baustein, aller-dings ein sehr wesentlicher.Ich werbe um Ihre Unterstützung und fordere die Kol-legen der Linken auf, ihre Position zu überdenken unddiese Menschen nicht zu vernachlässigen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Abschließender Redner in dieser Debatte ist der Kol-
lege Dr. Reinhard Brandl, CDU/CSU.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist der letzte
Debattenbeitrag vor der namentlichen Abstimmung. Ich
darf bitten, auch diesem Redner zuzuhören und den Ge-
räuschpegel im Plenum zu verringern.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Die katastrophale humanitäre Situation inZentralafrika, nahe am Völkermord, beschäftigt unsschon seit Monaten. Ich möchte nicht verhehlen, dass ichebenso wie viele andere Kollegen in dieser Zeit hin- undhergerissen war von der Frage, ob und, wenn ja, wie wirden Menschen dort helfen können. Wir haben das auchinnerhalb der CSU sehr intensiv diskutiert und abgewo-gen.Auf der einen Seite war Zentralafrika bisher nicht imFokus unserer Außenpolitik. Anders als zum Beispiel inMali, im Südsudan oder im Sudan haben wir in demLand relativ wenig Erfahrung, und wir haben auch keindetailliertes Lagebild.Auf der anderen Seite kann die internationale Ge-meinschaft auch nicht einfach zusehen, wenn sich einLand Stück für Stück auf einen Völkermord zubewegt.Dann geht es auch nicht mehr darum, wer welche Inte-ressen oder wer welche Erfahrung in welchem Land hat,sondern es geht dann ganz konkret darum, die Menschenvor Ort vor Mord, Totschlag, Plündereien und Vergewal-tigungen zu schützen.
Die Vereinten Nationen, die Afrikanische Union unddie Europäische Union mit Deutschland haben in denletzten Wochen um eine Lösung gerungen. Ich finde, siehaben auch vor dem Hintergrund der Entscheidung, dieheute vor etwa einer Stunde im UN-Sicherheitsrat ge-troffen wurde, eine gute Lösung gefunden. Dort wurdedie Einrichtung einer VN-Friedensmission, die die ge-samte Bandbreite von zivilen und militärischen Instru-menten zur Krisenbewältigung abdeckt, beschlossen.Die Mission wird wesentlich von den Nachbarländern,
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2534 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Dr. Reinhard Brandl
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also von Ländern der Afrikanischen Union, getragen. Siewird unter anderem Folgendes zum Ziel haben: Schutzder Zivilbevölkerung, Entwaffnung, Wiedereinführungdes Rechtsstaats, Wiederherstellung der territorialen In-tegrität, Einrichtung von humanitären Korridoren, Hilfebeim Wiederaufbau usw.Bis diese VN-Mission aufwächst und tatsächlich inGang kommt, wird die Europäische Union sechs Monateüberbrücken, um die Bevölkerung zu schützen und diehumanitäre Notlage abzumildern. Diese Überbrückungs-mission ist nur ein Teil des Engagements der Europäi-schen Gemeinschaft, das auch humanitäre Entwick-lungshilfe und Entwicklungszusammenarbeit beinhaltet.Ich sehe gerade in der ersten Reihe unseren Entwick-lungshilfeminister Müller. Er war vor etwa zehn Tagenin Zentralafrika, hat sich vor Ort ein Bild von der Lagegemacht
und hat Soforthilfe in Höhe von etwa 10 Millionen Eurofür die Bereiche Nahrungsmittel, Wasseraufbereitungund Verbesserung der hygienischen Zustände zugesagt.Ich finde, auch das ist ein starkes Zeichen von Deutsch-land und dem BMZ.
Wir stimmen jetzt über den Beitrag der Bundeswehrzu dieser Überbrückungsmission ab. Es geht dabei imWesentlichen um ein Flugzeug, sozusagen eine fliegendeIntensivstation, das in Köln stationiert ist und im Falledes Falles, wenn es zu schweren medizinischen Notfäl-len vor Ort kommt, nach Bangui fliegt, dort etwa dreiStunden verbleibt und dann die Verletzten in Kranken-häuser bringt. Um solche Rettungsmaßnahmen zu koor-dinieren, werden wir einige Personen vor Ort, vor allemam Flughafen, einsetzen.
Die Mandatsobergrenze liegt bei 80 Soldaten. DerBeitrag ist nicht groß, aber ohne diesen Beitrag wäre diegesamte Überbrückungsmission nicht zustande gekom-men. Es ist nicht nur ein Beitrag Deutschlands undFrankreichs, sondern ein gemeinschaftlicher Beitrag derEuropäischen Union. Ich möchte Ihnen einmal vorlesen,welche Länder ähnliche Beiträge wie wir zu dieser Mis-sion leisten: Neben Deutschland und Frankreich sind esPortugal, Großbritannien, Schweden, Polen, Estland, Li-tauen, Lettland, Finnland, Griechenland, Georgien, Spa-nien, Luxemburg und Italien. Dazu kommt Einzelperso-nal aus anderen Ländern.Meine Damen und Herren, diese Mission ist ein star-kes Zeichen dafür, dass die Europäische Gemeinschaft,wenn es um humanitäre Notlagen geht, zusammenstehtund bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.
Wir wollen einen Teil dieser Verantwortung überneh-men. Wir werden unseren Teil dazu beitragen. Deswegenbitte ich Sie jetzt gleich um Zustimmung zu diesemMandat.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Es war noch eine Zwischenfrage des
Kollegen Petzold angemeldet.
Ich darf sagen: Wir haben auch noch ein bisschen Zeit,
und zwar deshalb, weil die akustische Information der
Kolleginnen und Kollegen über die namentliche Abstim-
mung derzeit nicht hinreichend funktioniert. Wir brau-
chen also noch ein bisschen Zeit, um alle Kolleginnen
und Kollegen davon in Kenntnis zu setzen, dass es jetzt
gleich zur namentlichen Abstimmung kommt. Insofern
sollte, denke ich, der Kollege Petzold seine Anmerkung
noch machen dürfen.
Vielen Dank, Herr Präsident, auch wenn die Frage
kein Lückenbüßer sein soll. – Ich möchte den Kollegen
Brandl bitten, noch einmal darzustellen, wie ich mir vor
dem Hintergrund der humanitären Hilfe, die geleistet
werden soll, den Verwundetentransport vorstellen soll.
Welche Personengruppen sollen denn tatsächlich trans-
portiert werden? Wie viele Kinder und vor allen Dingen
wie viele verwundete Frauen sollen von den Transporten
tatsächlich erfasst werden?
Herr Kollege Brandl, wollen Sie dazu noch einmal
Stellung nehmen?
Gerne. – Verehrter Herr Kollege, vielen Dank für dieFrage.Es geht, wie bei jedem Einsatz, darum, dass für dieMission, für die dort eingesetzten Soldaten eine Ret-tungskette zur Verfügung steht. Einfache Verletzungenkönnen vor Ort in Krankenhäusern behandelt werden.Bei schwereren Verletzungen steht dann unser strategi-scher Air MedEvac zur Verfügung. Je nachdem, ob esdie Lage und die Kapazitäten vor Ort ermöglichen, kann
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Dr. Reinhard Brandl
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diese Rettungskette aber auch für andere Personengrup-pen genutzt werden. Das ist ein guter und wichtiger Bei-trag. Wir wissen, dass es gerade für die Soldaten wichtigist, dass die Rettungskette funktioniert. Ich bin froh, dasswir diesen Beitrag, einen guten deutschen Beitrag, leis-ten können.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 18/1095 zu dem Antrag der Bundesregie-
rung zur Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte
zur Beteiligung an der Europäischen Überbrückungsmis-
sion in der Zentralafrikanischen Republik.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache
18/1081 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Be-
schlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte alle Kolle-
ginnen und Kollegen, bei der Stimmabgabe, wie üblich,
sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die
Sie verwenden, Ihren eigenen Namen tragen.
Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ich darf um
eine kurze Anzeige bitten, ob alle Plätze an den Wahlur-
nen besetzt sind. – Gibt es noch eine Abstimmungsurne,
die nicht besetzt ist? – Das ist nicht der Fall. Dann er-
öffne ich die namentliche Abstimmung über diese Be-
schlussempfehlung.
Darf ich nachfragen, ob noch ein Mitglied des Hauses
anwesend ist, das seine Stimme abgeben möchte, aber
noch nicht abgegeben hat? – Sind alle, die abstimmen
wollen, auch schon hier im Plenarsaal? – Gibt es noch ir-
gendjemanden, der seine Stimme nicht abgegeben hat? –
Ich sehe jetzt niemanden mehr, der noch nicht die Mög-
lichkeit gehabt hätte, seine Stimme abzugeben. Ich gehe
deshalb davon aus, dass alle auch die akustischen Hin-
weise und Benachrichtigungen mittlerweile vernommen
haben. – Der Kollege Ströbele möchte seine Stimme
noch abgeben. Stimmt das?
– Sie haben die falsche eingeworfen? Das werden wir
dann nachher klären.
Dann schließe ich hiermit die Abstimmung und bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus-
zählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen
Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
1) Ergebnis Seite 2538 C
Wir setzen die Haushaltsberatungen fort und kommen
nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales.
Das Wort hat die Bundesministerin Andrea Nahles.
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und
Soziales:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Einzelplan 11 ist ein großer Block. Wir reden hier heute
über richtig viel Geld.
Frau Ministerin, einen Moment bitte! – Darf ich nocheinmal um Ruhe bitten hier im Haus? Das ist ein sehrwichtiger Haushalt, und ich bitte um die notwendigeAufmerksamkeit.
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit undSoziales:Vielen Dank. – Wir reden hier heute über viel Geld:122 Milliarden Euro, deutlich mehr als ein Drittel desGesamtetats. Auch in diesem Jahr stellt dieser Einzel-plan den mit Abstand umfangreichsten Einzeletat dar. Indiesem Etat liegt eine wichtige Botschaft. Diese Zahlendrücken aus, was unsere Gesellschaft zusammenhält:Wir schaffen soziale Sicherheit, und wir schaffen vorallem auch Teilhabe. Das drückt sich ganz konkret inden vielen Maßnahmen und Initiativen aus, die wir hierfinanzieren.
Die Zuschüsse zur Rentenversicherung steigen auf90,1 Milliarden Euro – mit dabei: Grundsicherung imAlter und bei Erwerbsminderung –, 31,5 MilliardenEuro fließen in die Arbeitsförderung und in die Grund-sicherung, in das Arbeitslosengeld II, und 1,5 MilliardenEuro leisten wir zur sozialen Entschädigung.Wir halten den Menschen den Rücken frei, wenn siearbeitslos werden, und wir halten ihnen den Rücken frei,wenn sie durch eine anhaltende Krankheit aus dem Er-werbsleben ausscheiden müssen. Das gilt natürlich auchim Alter, wenn sie in Rente gehen. Daneben schaffen wiraber auch Chancen für Junge, zeigen Anerkennung fürgeleistete Arbeit und üben Solidarität. – Das alles steckthinter diesen Zahlen.
Ein Punkt steht dabei natürlich im Zentrum, nämlichdie Arbeit. Arbeiten heißt für die Menschen, etwasleisten zu können und dafür dann auch verdiente Aner-kennung zu bekommen. Dies für möglichst viele zu er-
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2536 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Bundesministerin Andrea Nahles
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reichen, ist unser Ehrgeiz. Es ist das zentrale Anliegender Bundesregierung, denen, die Arbeit suchen, dieChance zu geben, Arbeit zu bekommen, für die, die hartarbeiten, einen fairen Lohn zu gewährleisten, denen, diebesonders lange gearbeitet haben, keine Abschlägezuzumuten, und denen, die Kinder großziehen, dieseLeistung auch bei der Rente anzuerkennen. Das alles ge-hen wir an.
Ich verweise darauf, dass wir trotz sinkender Arbeits-losenzahlen die Mittel für die Betreuung und Vermitt-lung von Menschen, die Arbeit suchen, nicht absenken.Wir haben vielmehr eine zusätzliche Mittelübertragungvon 350 Millionen Euro erreicht, die bereits in dieserWoche in den Jobcentern vor Ort angekommen ist.
Gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit – das istmir ein persönliches Anliegen – bemühen wir uns, beijungen Leuten Arbeitslosigkeit zu vermeiden.Ich war vor einigen Wochen bei Airbus in Hamburgund habe dort einen jungen Mann getroffen, der Flug-zeugteile verschraubte. Er hatte ordentlich zu tun. Manmuss sich als Passagier – ich fliege ja häufig – daraufverlassen können, dass er seine Arbeit ordentlich macht.Als er mir seine Geschichte erzählte, erfuhr ich, dasses nicht selbstverständlich war, dass er dort seine Ausbil-dung machen konnte und eine Arbeit erhalten hat; denner war in der Schule keine große Leuchte, wie man sosagt, und hat nur mit Mühe den Schulabschluss ge-schafft. Wenn sich nicht Leute um ihn gekümmert hät-ten, dann wäre er vielleicht nicht in Arbeit gekommen,sondern möglicherweise in einer Warteschleife oder inirgendeinem Gelegenheitsjob gelandet.Darum geht es: Unser Schwerpunkt soll sein, dasssich gerade im Übergang von der Schule in den Berufmehr gekümmert wird, damit wir nicht reihenweise, wiedas in den 2000er-Jahren leider zu oft passiert ist, jungeMenschen verlieren, die dann keine Ausbildung machen.Jeder junge Mensch in Deutschland muss eine Ausbil-dung machen können und auch machen.
Frau Bundesministerin, erlauben Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Zimmermann?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und
Soziales:
Bitte.
Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen,Frau Ministerin. – Wir haben heute die Liste bekommen,auf der steht, wie viel Geld an die einzelnen Jobcentergeht. Wenn ich mir meinen Wahlkreis Zwickau an-schaue, dann sehe ich, dass in diesem Jahr 796 000 Eurozusätzlich dorthin fließen.In meinem Wahlkreis gibt es 9 841 erwerbslose Men-schen. Ich habe das einmal heruntergerechnet und bindabei von durchschnittlich 10 000 Euro ausgegangen;das ist ja die Annahme für Weiterbildungsmaßnahmeninnerhalb der Arbeitsmarktpolitik. Damit würden davon79 Menschen profitieren. 79 Menschen in Zwickau kön-nen von Ihren 350 Millionen Euro profitieren: Sehen Siedas als ein gutes Verhältnis an?
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit undSoziales:Sie stellen das jetzt so dar, als ob das nur für 79 Perso-nen insgesamt eine Chance auf eine Erwerbsbeteiligungeröffnet. Das sind aber zusätzliche Mittel.
Wir haben Jahre der Kürzungen hinter uns. Nach diesenJahren der Kürzungen haben wir jetzt zusätzliche Mittelaufgebracht, und ich glaube, dass sich die 79 Leute inIhrem Wahlkreis, die jetzt zusätzlich eine Chance be-kommen, sehr darüber freuen werden.
Was das Thema Schule angeht, möchte ich Verbesse-rungen in der Kooperation erreichen, um mehr jungenMenschen eine Chance zu geben. Das bedeutet zum Bei-spiel, dass sich die Schule auch nach der Beendigung derSchulzeit dafür mit verantwortlich fühlt, was aus denjungen Leuten wird.Ich möchte, dass die Ämter alle an einem Strang zie-hen, wenn es um die Betreuung von jungen Menschengeht, und dass sich die Ämter nicht in Zuständigkeits-fragen verschleißen. Es geht darum, dass kein Jugend-licher zurückbleiben darf.Das Ganze hat auch einen Namen. Wenn man dasnämlich gut organisiert – und das tun einige, zum Bei-spiel in Hamburg –, dann nennt sich das Jugendberufs-agentur.
Ich möchte, dass wir überall in Deutschland dieseKooperation hinbekommen, dass alle zum Wohle derMenschen an einem Strang ziehen. Das kann auch an-ders organisiert werden als das Beispiel Hamburg. Dasist vollkommen klar. Es ist nur ein gutes Modell. Aberdass es überall dieser Anstrengung bedarf und dass wirhelfen müssen, die Kooperation zu verbessern, halte ichfür ein sehr wichtiges Ziel, und das packen wir an. Dahaben wir einen Schwerpunkt gesetzt.
Wir wollen gemeinsam mit Arbeitgebern und Ge-werkschaften dem Ausbildungspakt neuen Schwung ver-leihen. Das ist auch nötig. Denn wir haben diese Woche
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2537
Bundesministerin Andrea Nahles
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erlebt, dass die Bereitschaft, auszubilden, nachgelassenhat. Es gibt zu wenig Betriebe, die ausbilden. NeueMotivation zu schaffen und nach den Ursachen für dienachlassende Bereitschaft zu fragen, ist, glaube ich, einegute Aufgabe für den Ausbildungspakt.Wir wollen den Ausbildungspakt auch auf das ThemaWeiterbildung erweitern. Ich glaube, dass die Erstausbil-dung und weitere Qualifizierungsschritte immer bessermiteinander verzahnt werden müssen. Das müssen wirgemeinsam in den Blick nehmen, und das werden wirauch tun.Zu viele Jugendliche bleiben in Deutschland ohneAbschluss. Auch das ist ein Befund, der wieder aktuelleNahrung bekommen hat. Deswegen bitte ich auch in die-sem Zusammenhang, die vorhandenen Möglichkeiten zunutzen. Denn es gibt Angebote, zum Beispiel das Spät-starterprogramm mit 100 000 Plätzen. Es gibt bestimmteinige junge Leute zwischen 25 und 27 Jahre, die sagen:Es war ein Fehler, dass ich keine Ausbildung gemachthabe. Ich nutze jetzt die Möglichkeit: Ich drücke in fort-geschrittenem Alter noch die Schulbank und versuche,das wettzumachen. – Dafür gibt es viele Angebote.Ich fordere alle, die zuhören, auf: Nutzen Sie dieMöglichkeiten! Ergreifen Sie die zweite Chance! Wirbieten dafür genügend Möglichkeiten. Es wird Ihnennutzen. Es ist erwiesen: Wer eine Ausbildung hat, ist vielbesser vor Arbeitslosigkeit gefeit. Wer keine Ausbildunghat, gehört leider zu den Ersten, die aus den Betriebenfliegen. Deswegen ist das ein so wichtiger Punkt.
Neben der Jugendarbeitslosigkeit, die wir, wie Siemerken, zum Schwerpunkt machen wollen, ist das be-drückendste Thema die Frage: Wie können wir die Zahlder Langzeitarbeitslosen reduzieren? Wir sind hier, offengesagt, seit einiger Zeit in einer gewissen Stagnation.Wir haben eine positive Entwicklung auf dem Arbeits-markt. Bei den Langzeitarbeitslosen bewegt sich noch zuwenig.Wir müssen, glaube ich, genauer hinschauen, wenn esum die 1 Million Langzeitarbeitslose geht. Diese Gruppeist sehr unterschiedlich zusammengesetzt. Darin sindMenschen, die länger als vier Jahre arbeitslos sind. Fastdie Hälfte der Langzeitarbeitslosen sind länger als vierJahre arbeitslos. Es ist klar, dass sehr viel mehr Betreu-ung notwendig ist und dass wir mehr Aufwand undKommunikation betreiben müssen – übrigens auch mitden Arbeitgebern –, um diesen Menschen eine Chancezu geben. Über 100 000 Langzeitarbeitslose sindschwerbehindert. Für sie bedarf es einer besonderen För-derung. Nicht zuletzt können wir zunehmend erkennen,dass langzeitarbeitslose Menschen psychische Beein-trächtigungen aufweisen. Auch hier fehlen aus meinerSicht noch passgenaue Angebote.Eine andere Gruppe von Langzeitarbeitslosen – sieumfasst einige Hunderttausend Menschen – hat mit ent-sprechender Unterstützung eine gute Chance auf eineVermittlung in den ersten Arbeitsmarkt. Für dieseGruppe wird es auf jeden Fall ein Angebot im Rahmendes neuen ESF-Programms geben. Wir werden gezieltAkquise bei Arbeitgebern betreiben, um genau für dieseMenschen eine Brücke zu bauen.Klar ist auch: Das ESF-Programm ist nur ein Förder-ansatz. Es werden noch weitere Maßnahmen hinzukom-men. Wir werden alle Möglichkeiten nutzen – auch sol-che, die über das ESF-Programm hinausgehen –, umPerspektiven für Menschen in Langzeitarbeitslosigkeitzu schaffen. Ich sage ausdrücklich, dass dies ein per-sönlicher Schwerpunkt meiner Arbeit in den nächstenJahren sein wird. Wann, wenn nicht jetzt, wo der Ar-beitsmarkt aufnahmefähiger als in den vergangenenJahrzehnten ist, wollen wir es schaffen? Jetzt ist die Zeit,um für diese Gruppe neue Brücken in den Arbeitsmarktzu bauen.
Ich habe eben schon die Gruppe der Langzeitarbeits-losen mit Behinderung erwähnt. Dies ist eine besondereGruppe. Für mich ist es ein persönliches Anliegen, dasswir die Inklusion dieser Menschen im Alltag erreichen.Die Inklusion ist zwar schon – Gott sei Dank – im Be-wusstsein der Gesellschaft verankert, aber sie muss auchin den Betrieben, in den Schulen und überall dort, wogesellschaftliche Teilhabe für Menschen mit Behinde-rung noch nicht selbstverständlich ist, erreicht werden.
Wir werden mit dem Teilhabegesetz einen großenSchritt machen. Wir werden im Jahr 2015 einen Schwer-punkt unserer Arbeit auf dieses Gesetz legen. Es wirddann, so hoffe ich, 2016 im Gesetzblatt stehen. Die Ge-setzgebung ist die eine Seite. Die andere Seite sind ganzpraktische Aspekte, die zeigen, wie bereichernd es seinkann, Menschen mit Behinderung zu integrieren.Ich habe kürzlich Fraport, die Betreibergesellschaftam Frankfurter Flughafen, besucht und mit einer Fraugesprochen, die dort seit 16 Jahren arbeitet und voll inte-griert ist. Sie ist eine richtige Stimmungskanone. Was ih-ren Arbeitsplatz von dem Arbeitsplatz der anderen unter-scheidet, ist, dass sie an ihrer Tastatur eine Braille-Zeilehat; denn sie ist blind. Dieses Beispiel zeigt mir: Wennsich Unternehmen öffnen, dann sind behinderte Arbeit-nehmer eine Bereicherung. Dieses Thema sollten wir inden nächsten Monaten nach vorne bringen und ins Zen-trum unserer Bemühungen rücken. Ich glaube, dassMenschen mit Behinderung viel Potenzial haben, daswir aber noch nicht nutzen. Das ist der eigentliche Skan-dal.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die jungen Men-schen brauchen einen guten Start ins Arbeitsleben. Dazubedarf es guter Arbeitsbedingungen und guter Löhne.Mit dem Tarifpaket schaffen wir die Voraussetzungen,um die Arbeitsbedingungen und die Rahmenbedingun-gen für gute Löhne in Deutschland deutlich zu verbes-sern.Wir haben natürlich auch eine Verpflichtung gegen-über den Menschen, die nicht mehr im Erwerbsleben ste-
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2538 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Bundesministerin Andrea Nahles
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hen. Ihre Lebensleistung muss mit einer verlässlichenRente anerkannt werden. Das schaffen wir mit dem Ren-tenpaket, das wir vorgelegt haben. Wir reden hier übergroße Summen. Millionen Menschen tragen zum Funk-tionieren des Sozialstaats bei; gleichzeitig profitierenMillionen Menschen davon. Das ist der Pakt, der in die-sem Land seit Jahrzehnten im Rahmen unserer sozialenMarktwirtschaft sehr gut funktioniert. Das soll so blei-ben, und das werden wir sichern, auch mit dem Einzel-plan 11 für das Jahr 2014.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Ministerin.Bevor wir mit der Rednerliste fortfahren, darf ich dasvon den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelteErgebnis der namentlichen Abstimmung über dieEmpfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-trag der Bundesregierung mit dem Titel „Entsendung be-waffneter deutscher Streitkräfte zur Beteiligung an derEuropäischen Überbrückungsmission in der Zentralafri-kanischen Republik“ bekannt geben: abgegebene Stim-men 576. Mit Ja haben gestimmt 514, mit Nein habengestimmt 59, Enthaltungen 3. Die Beschlussempfehlungist damit angenommen.
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 576;davonja: 514nein: 59enthalten: 3JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerDorothee BärNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid Fischbach
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr. h.c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried Oellers
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Vizepräsident Johannes Singhammer
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Florian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldSibylle PfeifferRonald PofallaEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Annette SchavanAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzSven VolmeringChristel Voßbeck-KayserDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherMarian WendtKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißMichaela Engelmeier-HeiteDr. h.c. Gernot ErlerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerChristian FlisekDr. Edgar FrankeUlrich FreeseMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmThomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Bernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne Schieder
Udo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsWolfgang TiefenseeCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseGülistan YükselStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte Zypries
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2540 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Vizepräsident Johannes Singhammer
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BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeAnnalena BaerbockVolker Beck
Agnieszka BruggerEkin DeligözKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthSteffi LemkePeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsNeinSPDKlaus BarthelPetra Hinz
Waltraud Wolff
DIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerHalina WawzyniakHarald WeinbergBirgit WöllertHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
EnthaltenSPDMarco BülowBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMonika LazarHans-Christian Ströbele
Wir fahren fort mit diesem Tagesordnungspunkt. Icherteile das Wort als nächster Rednerin der KolleginDr. Gesine Lötzsch, Die Linke.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Frau Nahles, Sie haben zu Recht da-rauf verwiesen, dass der Einzelplan „Arbeit und Sozia-les“ mit Ausgaben von über 122 Milliarden Euro fast dieHälfte des gesamten Bundeshaushaltes ausmacht und so-mit der größte Einzelplan ist. Die Bundesregierung ver-weist immer sehr gern auf diese Zahlen, um zu bewei-sen, wie sozial sie doch sei. In der Debatte am Dienstag– Sie werden sich vielleicht erinnern – haben einige Kol-legen von der Union die Meinung vertreten, wir alsLinke wären erst zufrieden, wenn der Sozialetat 100 Pro-zent des Bundeshaushaltes ausmachen würde. Ein be-sonders Pfiffiger aus der Union widersprach dann undsagte: Nein, es müssten 110 Prozent sein. – Ich will Ih-nen nur sagen: Mit dieser Auffassung sind Sie völlig aufdem Holzweg.
Denn die Größe des Etats sagt noch nichts über die Artder Politik aus. Ein großer Sozialetat zeigt doch auch,wie hoch der Reparaturbedarf innerhalb unserer Gesell-schaft ist.
Ich will Ihnen das an einem Beispiel erläutern. Neh-men wir einmal die sogenannten Aufstocker. Sie wissenes alle: Das sind Menschen, die von ihrem Lohn ihrenLebensunterhalt nicht bestreiten können. Heute gingdurch die Medien ein, wie ich nur sagen kann, absurdesUrteil des Arbeitsgerichtes in Cottbus.
Ich habe es mit Empörung aufgenommen. Ich hoffe, Sieauch.
Das Jobcenter in Cottbus hatte nämlich völlig zu Rechtgeklagt, weil es Minilöhne aufstocken musste. Der Sach-verhalt: Ein Anwalt zahlte in seiner Kanzlei einen Stun-denlohn von 1,54 Euro für die eine Dame und von1,65 Euro für die andere.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2541
Dr. Gesine Lötzsch
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Das Arbeitsgericht, man höre und staune, wies nun dieKlage des Jobcenters ab, und zwar mit der Begründung,dass die Beschäftigten schließlich mit dieser geringenBezahlung einverstanden gewesen seien, um auf demArbeitsmarkt wieder Fuß fassen zu können.
Warum erzähle ich Ihnen das? Ich finde, dieser Fallist eine überzeugende Begründung dafür, warum es beimMindestlohn keine Ausnahmen für Langzeitarbeitslosegeben darf.
Es gibt einfach zu viele Arbeitgeber, die schlechte Löhnezahlen und die die Mitarbeiter zum Amt schicken, damitdieses dann ihre Löhne aufstockt. Das ist unsozial undungerecht. Es ist nicht nur ungerecht gegenüber den Ar-beitnehmern, sondern auch gegenüber den Arbeitgebern,die ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ordentlicheLöhne zahlen. Das dürfen wir nicht länger hinnehmen.
Im Augenblick ist es so, dass die Steuerzahler in je-dem Jahr rund 10 Milliarden Euro aufbringen müssen,um solche Löhne aufzustocken, damit diese Menschenauch die notwendigsten Dinge, die sie zum Leben brau-chen, finanzieren können. Wir finden es gut, dass end-lich ansatzweise eine langjährige Forderung der Linken,nämlich die Einführung eines flächendeckenden gesetz-lichen Mindestlohns, aufgegriffen wurde und demnächsthier im Bundestag beschlossen wird. Das ist eine guteNachricht.
Auch wenn wir viele Punkte kritisieren, was ich ja ebenschon getan habe, können wir doch mit einer gewissenGenugtuung feststellen, dass unsere Arbeit in der Oppo-sition ihre Wirkung eben nicht verfehlt hat.
Die Einführung des Mindestlohnes von 8,50 Euro,wie es von der Regierung vorgesehen ist, wird nach derStudie eines Forschungsunternehmens die staatlichenHaushalte um ungefähr 7 Milliarden Euro im Jahr ent-lasten. Das ist die gute Meldung. Die schlechte Meldungist, dass die 8,50 Euro Mindestlohn pro Stunde ebennicht bei allen ausreichen, um ein selbstbestimmtes Le-ben zu führen. Alleinerziehende können von 8,50 Euroihren Lebensunterhalt nicht bestreiten. Allein die Wohn-kosten fressen alles auf.
Deshalb ist unsere Forderung nach einem flächende-ckenden gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro so wich-tig. Wir wollen, dass die Menschen von ihrer eigenenArbeit leben können, und zwar anständig.
Frau Nahles, seit einigen Monaten werben Sie für IhrRentenpaket. Dafür haben Sie am Parlament vorbei maleben 1,5 Millionen Euro locker gemacht. Aber das willich hier nicht mehr auswalzen. Viel schlimmer ist, dassSie für etwas geworben haben, was noch gar nicht be-schlossen ist und was von Ihrem Koalitionspartner, derCDU/CSU, heftig attackiert wird. Einige Menschen ha-ben Ihre Werbekampagne zu ernst genommen, und dasmit fatalen Folgen; denn wer jetzt seine Rente ab 63 be-antragt, bekommt sie nach den alten Regeln, also mitAbschlägen.
Ich finde, das ist etwas, was Politik überhaupt nicht ma-chen darf, nämlich den Menschen etwas vorgaukeln undsie zu fatalen Beschlüssen verleiten.
Abschließend noch ein Wort zur Mütterrente. Ichfinde, die Ungleichbehandlung von Müttern und Kin-dern aus Ost und West ist nicht hinnehmbar. Es gibtüberhaupt keinen Grund dafür, warum Kinder bzw. dieErziehungsleistungen im Osten bzw. in der damaligenDDR weniger wert sein sollen als im Westen. Der Unter-schied beim Rentenpunkt – 28,61 Euro West und26,39 Euro Ost – ist durch nichts gerechtfertigt.
Wir werden in diesem Jahr noch viel über die deutscheEinheit sprechen. Wir haben – das wurde schon mehr-mals gesagt – ein Gedenkjahr. Ich finde, 25 Jahre müss-ten wirklich ausreichen, um die Unterschiede zwischenOst und West zu beseitigen.
Wir sollten bei der Mütterrente damit anfangen.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU erteile ich als nächstem Redner
das Wort dem Kollegen Karl Schiewerling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Rahmenbedingungen,unter denen wir über den Bundeshaushalt und insbeson-dere den Haushalt für Arbeit und Soziales diskutieren,sind denkbar gut. Wir haben Rekordbeschäftigung undstetig sinkende Arbeitslosenzahlen sowie Rekordüber-schüsse in den Kassen der Sozialversicherung zu ver-zeichnen. Das alles ist kein Zufall. Wir haben in denletzten acht Jahren eine intelligente Wirtschafts-, Haus-halts- und Sozialpolitik unter Leitung der Union betrie-
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Karl Schiewerling
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ben. Wir haben die Grundlagen dafür geschaffen, dasswir uns Dinge erlauben können – wir schließen Gerech-tigkeitslücken –, an die wir vor acht Jahren noch nichteinmal gedacht haben.
Das Beste ist: Das Frühjahrsgutachten, das heute vorge-stellt wurde, bestätigt, dass die gute konjunkturelle Ent-wicklung anhält. Das ist die beste Botschaft; denn wirkönnen uns all diese sozialpolitischen Maßnahmen nurerlauben, solange die wirtschaftlichen Rahmenbedin-gungen stimmen. Wenn sie nicht stimmen, können wir inder Sozialpolitik nichts machen. Ich glaube, dass dieGrundlagen dafür gut sind.
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ist aus Sicht derUnion kein Instrument zur Umverteilung, sondern hatden Prinzipien der Personenwürde, der subsidiären Hilfeund der Solidarität zu folgen. Es geht um Chancen, Teil-habe und Leistungsgerechtigkeit. Die Arbeitsmarktpoli-tik ist von zentraler Bedeutung, weil es darum geht, fürfaire Bedingungen am Arbeitsmarkt zu sorgen. Die besteSozialpolitik ist, Menschen in Arbeit zu bringen. Dafürmüssen wir alles tun, und dafür werden wir alles tun.Im Mittelpunkt der Arbeitsmarktpolitik steht die Ta-rifautonomie. Arbeitgeber und Gewerkschaften entschei-den über die Arbeitsbedingungen. Die Spielregeln wer-den durch den Staat festgelegt. Ich freue mich sehr, dassdies unstrittig ist; denn das ist Teil unserer freiheitlichenGrundordnung in der Bundesrepublik Deutschland. Wirwollen die Tarifautonomie stärken. Deswegen werdenwir ein Tarifvertragsgesetz verabschieden, das es in Zu-kunft erleichtert, abgeschlossene Tarifverträge, die einegroße Bedeutung haben, weil sie berechtigten öffentli-chen Interessen dienen, für allgemeinverbindlich zu er-klären. Damit werden wir für mehr Ordnung, von denTarifpartnern beschlossen, auf dem deutschen Arbeits-markt sorgen.
Ich freue mich, dass wir neben den 14 Branchen, fürdie jetzt das Arbeitnehmer-Entsendegesetz gilt, die Mög-lichkeit eröffnen, dass auch andere Branchen dort unter-kommen. Das ist wichtig, weil es nicht wenige Arbeit-nehmer gibt, die jetzt aus osteuropäischen und anderenLändern zu uns kommen und faire Bedingungen auf un-serem Arbeitsmarkt vorfinden sollen. Dafür ist das Ar-beitnehmer-Entsendegesetz da. Das ist ein wichtigerBeitrag zu mehr Gerechtigkeit auch auf dem Arbeits-markt, getragen von den Tarifvertragsparteien.
Wir werden den flächendeckenden Mindestlohn be-schließen,
zum ersten und auch zum letzten Mal im DeutschenBundestag, weil dies danach eine Tarifkommission, be-stehend aus Arbeitgebern und Gewerkschaften, machenwird. Arbeitgeber und Gewerkschaften wissen am bes-ten, wie die Bedingungen in ihrer Region oder Branchesind, und haben den besten Überblick über den Arbeits-markt. Die werden die Entscheidungen treffen. Ich findees auch gut, dass diese Tarifkommission sich genau an-schaut, welche Auswirkungen der Mindestlohn auf dieBeschäftigung haben wird; denn wir wissen letztendlichnoch nicht genau, wie der Mindestlohn und das Tarifpa-ket unter dem Strich wirken. Die Tarifpartner sind dafürdie richtigen Ansprechpartner, und sie können gute Zu-arbeit zu der ohnehin geplanten Überprüfung unseres Ta-rifpakets leisten. Ich halte das für einen guten und für ei-nen wichtigen Schritt.
Der Sozialstaat fußt auf stabilen Familienstrukturenund auf Erwerbsarbeit. Der Sozialstaat braucht guteRahmenbedingungen. Wir wollen insbesondere deswe-gen denjenigen, die jetzt arbeitslos sind – die Bundesar-beitsministerin hat, wie ich finde, anhand beeindrucken-der Beispiele darauf hingewiesen, wo die Hilfen jetztanzusetzen sind –, zielgerichtet helfen, wieder in Be-schäftigung zu kommen. Etwa 3 Millionen Menschensind ohne Arbeit. Darunter sind sehr viele, die sehr langearbeitslos sind. Wir wissen, dass sie es besonders schwerhaben, auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen.Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Bundesarbeits-ministerin das, was in der letzten Legislaturperiode be-reits begonnen wurde, nämlich eine intensive Eins-zu-eins-Betreuung zunächst als Experimentum, jetzt in eineRegelförderung überführen will, damit wir noch mehrMenschen konkret helfen können, wieder in Beschäfti-gung zu kommen. Dabei wollen wir auch die Arbeitge-ber beraten und begleiten; denn manche Schritte, diedann erfolgen müssen, wenn die Betroffenen im Betriebsind, sind nicht ganz so einfach. Aber durch gute wech-selseitige Hilfestellung werden wir das erreichen. Ichhalte das für einen wichtigen und für einen guten Schritt.
Frau Lötzsch, ich teile Ihre Auffassung nicht. Wennwir das Tarifgesetz, in dem auch der Mindestlohn gere-gelt ist, jetzt beschließen werden und für Langzeitar-beitslose für die Dauer eines halben Jahres der Mindest-lohn von 8,50 Euro möglicherweise unterschritten wird,dann kann man das, wie Sie es machen, unter dem Ge-sichtspunkt der Gerechtigkeit diskutieren.
– Ja, das kann man machen. – Aber ist es denn gerechter,wenn ich Menschen einen Arbeitsplatz vorenthalte, weildie Löhne zu hoch sind? Ich sage Ihnen: Unser Ziel ist,Langzeitarbeitslose in Beschäftigung zu bringen. Wennsie zunächst einmal ein halbes Jahr lang nicht den Min-destlohn bekommen, aber eine Berufsperspektive erhal-ten, dann soll uns dieser Schritt viel wert sein; denn esgeht um Gerechtigkeit für die Menschen, die der Hilfebesonders bedürfen.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass wir konsequent inden Bereich der beruflichen Bildung einsteigen und dass
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Karl Schiewerling
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das Bundesarbeitsministerium jetzt insbesondere denenhelfen will, die keine Berufsausbildung haben. Etwa1,4 Millionen Menschen sind es, wenn ich die Zahl rich-tig im Kopf habe, die weder eine Schul- noch eine Be-rufsausbildung haben. Sie werden auf dem Arbeitsmarktkeine Perspektive haben, wenn wir ihnen nicht konse-quent helfen. Hier greift das Prinzip „Fordern und För-dern“. Alle sind gefragt.Das ist gewiss kein einfacher Weg, auch nicht für dieMenschen, die davon betroffen sind. Aber es ist ein le-bensnotwendiger Weg für die Menschen, die in dieserSituation sind. Denn unser Ziel muss es sein, dass sie ei-nes Tages mit ihrer eigenen Hände und ihres eigenenKopfes Arbeit den Lebensunterhalt für sich und ihre Fa-milien verdienen können, um eine Grundlage für ihr Le-ben zu haben.Wir vermeiden über diesen Weg jene Spirale, die imPrinzip zwangsläufig in die Abhängigkeit vom sozialenTransfersystem führt. Wir müssen den Betroffenen alsoin dieser Situation tatkräftig unter die Arme greifen.
Wir halten es auch für notwendig, den Blick auf dieMenschen zu richten, die der besonderen Unterstützungbedürfen, nämlich auf die Menschen mit einer Behinde-rung. Wir teilen ausdrücklich die Auffassung: Hier gibtes viele Potenziale, die wir wecken und stärken müssen.Wir begrüßen auch sehr, dass wir in der letzten Legis-laturperiode begonnen haben, jungen Menschen in ande-ren Ländern, etwa in Spanien oder in Griechenland, dieMöglichkeit zu eröffnen, nach Deutschland zu kommenund hier eine Berufsausbildung zu machen. Wir sehen,dass es da im Augenblick sogar Engpässe gibt, weil dieNachfrage plötzlich so gestiegen ist, dass wir finanziellan unsere Grenzen gestoßen sind. Im Hinblick auf dieje-nigen, die jetzt in Spanien oder anderswo auf gepacktenKoffern sitzen und darauf warten, dass sie mit ihrer Be-rufsausbildung in Deutschland endlich beginnen können,kann ich sagen: Wir wollen alles Notwendige versuchen,diesen finanziellen Engpass zu beseitigen, damit sie eineberufliche Perspektive bekommen.Aber ich sage genauso deutlich: Wenn es um denFachkräftemangel geht – das, was ich beschrieben habe,ist ja ein Teil der Diskussion um den Fachkräftemangel –,müssen wir den Blick auch auf diejenigen Menschenrichten, die in unserem Land leben; sie dürfen wir nichtaußer Acht lassen. Ich denke an die Arbeitslosen, an dieFrauen, die in Erwerbsarbeit zurückwollen, an Men-schen mit einer Behinderung, an Ältere, die wieder anihren Arbeitsplatz zurückwollen. Wir müssen die not-wendigen Wege konsequent gehen, um den Fachkräfte-bedarf auch aus den eigenen Reihen zu decken. Dennauch hier gibt es Menschen mit Begabungen und Fähig-keiten, die wir auf unserem Arbeitsmarkt dringend benö-tigen.
Ein etwas kritischer Punkt, der im Augenblick heftigdiskutiert wird, ist die Eingliederungshilfe. Wir kennendie Diskussion im Hinblick auf die Kommunen, die sichdazu im Augenblick abspielt. Ich will Ihnen sagen, dasswir gerne sähen, dass von diesem Haus die Botschaftausgeht: Im Mittelpunkt steht der Mensch. Unser Anlie-gen besteht darin, den Menschen, die behindert sind, zuhelfen. Ihre Rahmenbedingungen wollen wir verbessern.
In einem zweiten Schritt reden wir darüber, wie die fi-nanziellen Rahmenbedingungen für die Kommunensind. Wir stehen hier zu unserem Wort. Ich denke, dassentsprechende Lösungswege gefunden werden.Wenn wir in diesem Haushalt – das sei noch dazuge-sagt – 5,5 Milliarden Euro für die Grundsicherung imAlter veranschlagt haben, dann bedeutet auch das einemaßgebliche Entlastung für die Kommunen.
Ich halte es für notwendig, einmal in aller Deutlichkeitzu sagen, dass wir hier bereits einen wichtigen Schrittgegangen sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir könnenvieles in der Sozialpolitik bewegen, wenn die wirtschaft-lichen Rahmenbedingungen stimmen. Es ist richtig: Wirwollen das Rentenpaket anpacken. In diesem Bundes-haushalt sind knapp 12 Milliarden Euro zur Finanzie-rung der sogenannten Mütterrente – Frauen, die vor1992 Kinder geboren haben, wird auf ihr Rentenkontoein Rentenpunkt mehr gutgeschrieben – vorgesehen. Ichfinde, das ist ein wichtiger und guter Beitrag. Dies deutetdarauf hin – ich verweise darauf, dass dafür gerade ein-mal 6 Milliarden Euro real ausgegeben werden –, dassder Staat schon einiges an Steuermitteln bereitstellt, umdiese Renten zu finanzieren.Der allgemeine Zuschuss zur Rentenversicherungsteigt zudem um 1,5 Milliarden Euro. Dieser Schritt istdeswegen notwendig, weil wir den Rentenversiche-rungsbeitrag nicht abgesenkt haben; vielmehr zahlen Ar-beitgeber und Versicherte unveränderte Beiträge zurRentenversicherung. Da zudem mehr und höhere Gehäl-ter gezahlt werden, steigen auch die Mittel, die in dieRentenversicherung fließen. Deswegen muss sich auchder Bund mit einem höheren Zuschuss an der Stärkungder Rentenversicherung beteiligen.All dies wird dazu führen, dass wir die Situation derRentenkassen über einen längeren Zeitraum stabil haltenund damit eine gute Grundlage für die Finanzierung un-seres Rentenpakets erwirtschaften.
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2544 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Karl Schiewerling
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Ich will einen letzten Gedanken nennen, der wichtigund zentral ist. Wir haben Anfang dieses Jahrhundertserlebt, wie das wirtschaftspolitische Pendel aufgrund derwirtschaftlich schwierigen Situation sehr stark in eineRichtung ausgeschlagen ist: hin zur Flexibilität in allenBereichen.Es ist völlig klar: Wir haben jetzt eine gute wirtschaftli-che Situation, und das Pendel schlägt zurück. Wir müs-sen allerdings aufpassen – das sage ich aus Sicht derUnion sehr deutlich –, dass wir jetzt nicht wieder ins ge-naue Gegenteil verfallen. Zentral bei der sozialen Markt-wirtschaft ist, dass wir wirtschaftliche Vernunft und so-ziale Notwendigkeit in einen vernünftigen Ausgleichbringen. Die soziale Marktwirtschaft gibt dazu die richti-gen und die notwendigen Antworten, und der Haushaltder Bundesarbeitsministerin für das Jahr 2014 wird demauch gerecht.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Schiewerling. – Nächste
Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin
Ekin Deligöz.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
fange mit der Rente an. Das derzeitige Aushängeschild
Ihres Hauses ist Ihr Rentenpaket. Das kann man auch se-
hen: Es gab dazu rechtzeitig Werbeplakate und eine
ganze Kampagne.
Frau Ministerin, da ich jetzt die Berichterstattung in die-
sem Bereich übernommen habe, fange ich damit an:
Diese Kampagne ist und bleibt politisch indiskutabel
und haushaltsrechtlich absolut bedenklich.
Mir ist jetzt zu Ohren gekommen, dass Sie in Ihrem
Haus eine weitere Kampagne planen, nämlich zum Min-
destlohn – noch bevor dieser Haushalt beschlossen wird.
Ich kann dazu nur sagen: Es ist völlig okay, dass wir in
Deutschland keinen Shutdown wie in Amerika haben,
aber wir haben Regeln, und wir haben auch Regeln beim
Haushalt. Wir sind jetzt in den Verhandlungen. Es hat et-
was mit Respekt vor dem Parlament und vor den Haus-
hältern zu tun, dass man sich an diese Regeln hält und
nicht gutsherrenartig über Mittel für Öffentlichkeitsar-
beit befindet.
Aber kommen wir zur Sache selber. Das Rentenpaket
belastet den Einzelplan 11 durch die zurückgenommene
Beitragssatzsenkung schon jetzt mit rund 1,5 Milliarden
Euro. Dazu werden die Belastungen der Beitragszahler
selbst kommen sowie die Belastungen der Länder- und
Kommunalhaushalte, die wir noch gar nicht beziffern
können. Die Leistungsausweitung selber kostet 9 Mil-
liarden Euro jährlich. Herr Kollege Schiewerling, ich
weiß nicht, ob ich Sie richtig verstanden habe. Das Pro-
blem ist: Die Mittel kommen nicht aus den Steuermit-
teln, sondern sie kommen von den Beitragszahlern. Die
werden das gegenfinanzieren. Das Risiko einer Frühver-
rentungswelle etwa – wir haben im Haushaltsausschuss
gehört, wozu das alles führen kann – ist bei diesen Kos-
ten noch gar nicht berücksichtigt. Es gibt schon jetzt
Zahlen, nach denen sich das Ganze bis zum Jahr 2030
auf 175 Milliarden Euro summieren wird. Das Ganze ist
nicht sachgerecht finanziert. Das Schlimmste ist: Es geht
definitiv nicht die drängendsten Probleme unserer Ge-
sellschaft an.
Ich will das für Sie ein bisschen konkretisieren. Sie
haben, Frau Ministerin, jetzt und auch bei einer anderen
Debatte zum Rentenpaket von der Anerkennung von Le-
bensleistung gesprochen. Armut in Deutschland ist im
Augenblick jung und weiblich. Sie trifft die alleinerzie-
hende Mutter, und sie trifft Eltern von Kindern. Armut in
Deutschland wird älter, bleibt aber weiblich. Viele von
den Frauen, die in Armut hinein älter werden, werden
45 Beitragsjahre nicht erreichen, weil sie Kinder erzogen
oder jemanden gepflegt haben oder aus anderen Gründen
nicht durchgängig gearbeitet haben.
Sie werden aber wohl auch leider nichts von Ihrer
Mütterrente haben, weil in dem Moment, wo sie Sozial-
leistungen in Anspruch nehmen, etwa Grundsicherung
beziehen, Witwenrente bekommen oder auch nur Wohn-
geld erhalten, diese Leistungen gegengerechnet werden.
Das heißt, sie werden mit Nullkommanullnull aus Ihrem
Paket herausfallen. Und wer redet hier von der Anerken-
nung von Lebensleistung?
Wer redet hier von der Verantwortung gegenüber diesen
Frauen? Auch sie haben eine Anerkennung verdient. Wir
Grüne sind für eine Garantierente, weil wir die Verant-
wortung für soziale Gerechtigkeit ernst nehmen.
Wenn ich mir Ihr Paket angucke, dann muss ich fest-
stellen: Die Lebensleistungsrente wird auf der Zeitschiene
erst einmal verschoben, wenn sie in dieser Wahlperiode
überhaupt noch kommt. Leistungen im Falle von Er-
werbsminderung, Rehabilitationsleistungen – das alles
kommt doch vorn und hinten nicht hin. Genau diese
Menschen werden bei Ihnen leer ausgehen. Deren Kin-
der wiederum werden das Ganze gegenfinanzieren.
– Bitte schön, Herr Kollege.
Ich sehe, dass die Zwischenfrage schon gestattet wor-den ist. Deshalb haben Sie das Wort, Herr Kollege.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2545
Vizepräsident Johannes Singhammer
(C)
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Liebe Frau Pothmer, die Debatte ist ein bisschen lang-
weilig. Deswegen muss ich ein bisschen Würze hinein-
bringen.
Ich fand meine Rede nicht langweilig.
Liebe Frau Kollegin Deligöz, vielen Dank, dass Sie
mir die Zwischenfrage gestatten. – Meine Frage lautet
wie folgt: Können Sie mir zustimmen, dass die Legisla-
turperiode nicht 100 Tage, sondern vier Jahre dauert und
dass die Große Koalition genau die Probleme, die Sie
angesprochen haben, zum Beispiel die solidarische Le-
bensleistungsrente, als weiteres Rentenpaket in ihren
Koalitionsvertrag aufgenommen hat?
Lieber Herr Kollege, es wäre schön, wenn ich sagenkönnte: Ja, Sie haben noch drei Jahre Zeit.
Aber das, was Sie hier machen, ist leider keine Aus-nahme. Sie bedienen sich der Beitragsgelder nicht nurim Rentensystem, sondern auch im Gesundheits- undPflegebereich; das hat Methode. Deshalb kann man fest-stellen: Sie konsolidieren den Haushalt, indem Sie ein-fach Mittel aus den sozialen Sicherungssystemen heraus-nehmen, um gut dazustehen.
Deshalb glaube ich Ihnen das nicht. Sie sind in diesemFall nicht glaubwürdig.Ich nenne ein anderes Beispiel: Angesichts dessen,dass Sie im Moment so viel Geld verfrühstücken, wissenwir doch beide, dass uns dies früher oder später auf dieFüße fallen wird. Wir werden es gegenfinanzieren müs-sen. Dann haben Sie nur zwei Alternativen: EntwederSie nehmen es aus dem Bundeshaushalt – dann könnenSie Ihre Konsolidierung nicht weiterführen – oder ausden Beitragsgeldern. Das werden dann die Kinder derMütter finanzieren müssen.
– Ich bin noch nicht ganz fertig.
Sie werden den Unterhalt für ihre Mütter gewährleis-ten müssen, und sie werden erhöhte Beiträge und Steu-ern zahlen müssen. Das wird die Konsequenz Ihrer Poli-tik sein. Mir fehlt der Glaube, dass es in den nächstendrei Jahren viel besser werden wird.
Kommen wir zurück. Sie haben sich überall in denSozialversicherungssystemen bedient. In einem Bereichschlagen Sie nicht zu. Das ist der Arbeitsmarkt. Warum?Weil dort die Bundesmittel schon ausgeschöpft sind. Se-hen Sie sich einmal die Rücklagen an, die es in der Bun-desagentur gibt. Es gibt gerade einmal eine Rücklagevon 2,5 Milliarden Euro, also einen kleinen Puffer.Wenn es nur eine leichte Eintrübung am Arbeitsmarktgibt – ich weiß, Sie gehen davon aus, dass alles superwerden wird –, dann werden wir in diesem Land wederausreichend Kurzarbeitergeld zahlen können noch an-derweitig adäquat darauf reagieren können. Sie beutendie Mittel der Sozialkassen bzw. der Sozialversicherungauf Kosten der Menschen aus. Sie nehmen uns damit dieHandlungsfähigkeit im Falle einer Krise bzw. sogar imFalle eines Ansatzes einer Krise. Eine höhere Rücklagewäre notwendig, um überhaupt reaktionsfähig zu sein.
Sehen wir uns Ihre Sozialpolitik an. Die Eingliede-rungshilfe wird auf die ganz lange Bank geschoben. DenKommunen wird eine Kompensation zugesagt, und dannwerden sie gleich damit getröstet, dass es in diesem Jahrleider nichts wird und sie vielleicht im nächsten Jahrkommen wird.
Schauen wir uns die Bereiche Arbeitsmarkt, Armuts-bekämpfung und Inklusion an. Hier müssen wir feststel-len: Da ist leider nicht viel dahinter. Ehrlich gesagt, FrauMinisterin, war ich von Ihrer Antwort auf die Frage derKollegin Zimmermann von den Linken enttäuscht.
Frau Zimmermann hat zwar eine komplizierte und de-taillierte Frage gestellt, aber der Grundtenor war doch:Was tun Sie gegen eine 1 Million Langzeitarbeitslose indiesem Land? Ihre Antwort: „Aber 79 haben etwas da-von“ reicht nicht aus. Als Ministerin müssen Sie Kon-zepte vorlegen. Als Ministerin müssen Sie uns sagen,welche Ideen Sie haben. Sie dürfen sich nicht mit detail-reichem Klein-Klein auseinandersetzen. Wir wissen,dass das, was im Haushaltsentwurf steht, hinten undvorne nicht ausreichen wird.Kommen wir zu einem anderen Programm, zu Mobi-Pro-EU. Wie groß war die Freude – zugegebenermaßenvorwiegend von Ihrer Vorgängerin und der Kanzlerin –,als sie dieses Programm mitten im Wahlkampf nach au-ßen getragen haben! Haben wir nicht Europa damit ver-sprochen, dass wir Jugendliche ausbilden werden? Heutebekam ich die Antwort: Lediglich ein Bruchteil der An-fragen wird beantwortet. Eigentlich müssten Sie doppeltso viele Mittel zur Verfügung stellen, um auch nur im
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Ekin Deligöz
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Ansatz einem Teil der Anfragen, die es gibt, überhauptentsprechen zu können.
Sie kündigen im Internet großartig an: „The Job of myLife.“ Heraus kommt ein „No Job of my Life“; denn nurein Bruchteil der Menschen, die sich dafür interessieren,wird davon etwas haben.Frau Ministerin, es liegt an Ihnen, ob dies der Job Ih-res Leben wird. Im Moment sehen wir leider keine An-sätze dazu.
Für die Sozialdemokraten erteile ich das Wort dem
Kollegen Ewald Schurer.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Zu Beginn möchte ich einealte und gute Übung aufnehmen und mich auch im Na-men der Berichterstatter der Fraktionen beim BMAS fürdie guten und rechtzeitig bereitgestellten Unterlagen be-danken, durch die wir überhaupt erst beratungsfähigsind. Ich möchte auch den Berichterstattern für den bis-her gepflegten guten Stil, Dialoge zwischen Oppositionund Koalition zu führen, meinen Dank aussprechen.Meine Rede beginnt damit, dass ich wiederholen darf,was die Frau Ministerin gesagt hat: Wir haben einenHaushalt mit einem Volumen von 122,3 MilliardenEuro. Das sind 41 Prozent des gesamten Etats des Bun-des – eine Größenordnung, die, von der Quantität her,für sehr viel spricht. Er enthält folgende Bausteine – siewurden schon genannt –: 88,5 Milliarden Euro an Zu-schüssen für die Rentenversicherung und – nicht zu ver-gessen – für die Grundsicherung im Alter, 31,5 Milliar-den Euro für die Arbeitsförderung, 1,5 Milliarden Eurofür die Entschädigung von Kriegsopfern und immerhin0,8 Milliarden Euro für die Beförderung von Menschenmit schweren Behinderungen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, hinter all diesenKapiteln und Titeln stehen immer auch Inhalte; das istvon der Frau Ministerin schon so intoniert worden. Ichwill drei Beispiele herausgreifen:Eine über Jahre von den kommunalen Spitzenverbän-den erhobene Forderung an den Bund war, die Kostender Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderungkomplett zu übernehmen. Der Koalition, SPD undUnion, ist es nun gelungen, mit dem Entwurf die Voraus-setzungen dafür zu schaffen, künftig die Kommunen andieser Stelle zu 100 Prozent zu entlasten. Ich finde, dasist ein großer Erfolg.
Des Weiteren haben wir bei den Mitteln gemäßSGB II, wie schon angesprochen, endlich für eineTrendumkehr gesorgt, nachdem es hier in den letztenJahren – das darf ich kritisch in Richtung der Freundin-nen und Freunde von der Union sagen – zu einer relativstarken Ausholzung gekommen ist. Mit den Mitteln inHöhe von viermal 350 Millionen Euro, sprich 1,4 Mil-liarden Euro, werden wir – auch wenn es hier schon Kri-tik gab – in der Lage sein, die Vermittlung von langzeit-arbeitslosen Menschen in den Arbeitsmarkt in vielenFällen deutlich zu verbessern.
Das ist ein wesentlicher Schritt, ein erster Punkt, bei demes aber nicht bleiben darf; wir müssen diese Leistungenverstetigen. Wir müssen die Vermittlung von Langzeitar-beitslosen qualitativ und quantitativ ein wenig aufmör-teln.Ich spreche nun ein Programm an, das in der Öffent-lichkeit sehr viel Kritik, aber auch Lob bekommen hat,nämlich das Sonderprogramm MobiPro-EU. Es ist derVersuch, einen solidarischen Beitrag zur Ausbildung vonjungen Menschen und Fachkräften aus europäischenLändern, vornehmlich aus Mittelmeerstaaten, zu leisten.Das Programm ist erfolgreich. Im Augenblick gibt esaufgrund der großen Nachfrage einen technischen Stopp;aber das Programm wird in der Substanz weitergeführt,so meine Information.Ich möchte an dieser Stelle auf etwas hinweisen, daskeine Selbstverständlichkeit ist: Jenseits aller Streitig-keiten über die Ausgestaltung des Rentenpakets gibt esin der Öffentlichkeit Respekt dafür – auch ich will mei-nen Respekt und meine Anerkennung aussprechen –,dass die Ministerin und ihr Haus in der Lage waren, dieVoraussetzungen dafür zu schaffen, dass das gesamteRentenpaket nach kurzer Zeit verabschiedet werdenkann – wir werden bis Mitte oder Ende Mai darüber be-raten und es dann verabschieden – und schon zum 1. Juli2014 in Kraft treten kann. Das ist für die Koalition, wieich finde, ein sehr großer Erfolg.
Ich komme jetzt auf ein Thema zu sprechen, das mei-nes Erachtens im Augenblick neben dem Thema Min-destlohn im Brennpunkt steht: die Debatte um die Rentemit 63. Frau Deligöz, Sie haben gerade im Zusammen-hang mit dem Rentenpaket von einer Kampagne derBundesregierung gesprochen; das war aber nur einekleine Informationskampagne. Ich vernehme, dass esdraußen in der Öffentlichkeit eine Kampagne gibt, fürdie die sogenannte Initiative Neue Soziale Marktwirt-schaft gerade Millionen von Euro einsammelt. Überallim Lande wird mit wirklich bitteren polemischen Thesenversucht, das Vorhaben der Rente mit 63 zu zerschießen,aber ohne Erfolg; denn die jüngsten Umfragen besagen,dass sogar die große Mehrheit der jungen Menschensagt: Wer 45 Jahre gearbeitet und Beiträge gezahlt hat, deroder die verdient eine uneingeschränkte Rente mit 63.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2547
Ewald Schurer
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Die Rente mit 63 ist ein riesiger Erfolg für uns. DieKampagne dagegen ist ein Misserfolg für die Protago-nisten des alten ordo- oder neoliberalen Geistes – die ste-cken meines Erachtens in erster Linie hinter der Initia-tive Neue Soziale Marktwirtschaft. Oder heißt sievielleicht Initiative Alte Soziale Marktwirtschaft? Ichbringe das bewusst ein bisschen durcheinander; denn ichsehe da keine inhaltliche Substanz. Für mich ist das einegroße Kampagne, bei der versucht wird, mit Missinfor-mation gegen den Sozialstaat zu Felde ziehen und die öf-fentlichen Systeme wie etwa die gesetzliche Rente imLande zu diskreditieren.Das geschieht vor dem Hintergrund, dass wir sozusa-gen gestern eine weltweite Wirtschafts- und Finanzkrisehatten: 2008, 2009 und 2010 wurden Billionen von Euroauf ökonomischer Ebene vernichtet. So haben Millionenvon Menschen in Großbritannien ihre Alterssicherung,die in Pensionsfonds angelegt war, verloren. Nun tundiese Protagonisten so, als sei nichts gewesen. Die Krisewar ein Blattschuss für die privaten Versorgungssys-teme, die damals durch die Geschäfte von Lehman Brot-hers und Co. den Bach runtergegangen sind. Vor diesemHintergrund finde ich es unsittlich und unseriös, so zuargumentieren.
Ich komme auf die Substanz zu sprechen, die für michein ganz wichtiger Punkt ist. Laut Berechnungen desBMAS hatten – unter Berücksichtigung der bisherigenGesetzmäßigkeit bei der Rente – 150 000 Menschen dieAbsicht, mit 63 Jahren, aber mit Abschlägen, in Rente zugehen. Durch die neuen Gesetzmäßigkeiten kämen biszu 50 000 Menschen dazu. Es geht also insgesamt umrund 200 000 Menschen. Es sind also keine Millionen,wie es die Kampagnenführer, die ich genannt habe, sug-gerieren. Es ist ersichtlich, dass sie provozieren wollen.Wir wissen: Wenn die Rente mit 63 kommt, dann wirduns das im ersten Jahr 900 Millionen Euro kosten.Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass es in unse-rem Land eine große Zustimmung für die Rente mit 63gibt, und das trotz der zum Teil demagogischen Kampa-gnen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen,dass ich es schade finde, dass auch Leitmedien in unse-rem Lande wie Handelsblatt, Süddeutsche Zeitung undandere ständig und ohne jegliche Korrektur von der Ini-tiative Alte/Neue Soziale Marktwirtschaft abschreibenund so die Kampagne weiterführen.Richtig ist: 80 Prozent der Menschen in unseremLande sind für die Rente mit 63. Selbst zwei Drittel derjungen Menschen sagen – ich wiederhole mich –: Das istverdient und nicht geschenkt. Richtig ist, dass auch an-dere Bestandteile des Rentenpaketes traumhafte Zustim-mungswerte von zum Teil 70, 80 oder 90 Prozent erhal-ten. Die Menschen haben ihre eigene Auffassung vonÖkonomie, die von ihrer Lebenserfahrung oder von ihrerindividuellen Lebensleistung abhängig ist.
Lassen Sie mich auf einen weiteren wichtigen Punktzu sprechen kommen. Um zur Versachlichung beizutra-gen, wäre es wichtig, sich die aktuelle Situation imLande hinsichtlich der Verrentung anzuschauen, um dasProgramm „Rente mit 63“ in die gesellschaftliche Reali-tät einbetten zu können. Nach den Werten der Hans-Böckler-Stiftung – sie greift auf die Daten der DeutschenRentenversicherung und auf die des Instituts für Arbeits-markt- und Berufsforschung in Nürnberg zurück – liegtder Altersdurchschnitt bei der Verrentung im BereichHoch- und Tiefbau bei 57,6 Jahren und bei Maschinisten– dies sind immerhin ein paar Hunderttausend – bei59,6 Jahren. Bei Elektroberufen – hier arbeiten Millio-nen von Beschäftigten – liegt der Durchschnittswertheute bei 60,1 Jahren und bei Kaufleuten im Handels-und Warenbereich bei 61,1 Jahren. In den Sozial- undErziehungsberufen ist der Wert mit 62,9 Jahren amhöchsten. – Nur wer diese Werte kennt, kann überhaupterst einschätzen, worüber wir reden. Das tun die Prota-gonisten, die ich genannt habe, nicht.
Herr Kollege Schurer, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Kurth?
Natürlich.
Herr Schurer, Sie haben das reale Renteneintrittsalter
in bestimmten Branchen aufgezählt. Die Werte lagen bei
ungefähr 60 Jahren, teilweise sogar darunter. Ich frage
Sie: Ist es nicht richtig, dass genau die Personen, die zu
den genannten Zeitpunkten in Rente gehen müssen,
überhaupt nichts von der Rente mit 63 haben, da sie ja
erkennbar vor dem 63. Lebensjahr in Rente gehen? Es ist
doch so, dass sie trotzdem erstens über ihre Beitragszah-
lungen und zweitens durch das niedrigere Rentenniveau,
das Ihr Paket bewirkt, dafür zahlen müssen. Finden Sie
das gerecht?
Ich finde es schade, dass Sie bei dem Spiel mitma-chen, einzelne Gruppen innerhalb der Rentenversiche-rung gegeneinander auszuspielen.
Die Kritik der Grünen ist relativ unstet: Teilweise strapa-zieren Sie die Werte der Initiative Neue Soziale Markt-wirtschaft, teilweise kommen Sie mit einem Gerechtig-keitskodex daher.
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2548 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Ewald Schurer
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– Das ist meine Antwort. – Die Rente mit 63 kann in derTat nicht alle Widersprüche innerhalb des Rentensys-tems auflösen,
aber sie ist eindeutig ein Beitrag für mehr Gerechtigkeitfür jene Menschen, die nach 45 Beitragsjahren ihreRente selbst erwirtschaftet haben.
Ich komme zu einem weiteren wichtigen Baustein,zur Mütterrente. An die Freundinnen und Freunde derUnion gerichtet, sage ich: Ich wünsche mir, dass jetztnicht so viele Kolleginnen und Kollegen von derUnionsfraktion wie wild durch die Gegend hoppeln– Ostern steht vor der Tür – und in den Medien undüberall sonst aufgeregt sagen: Das mit der Rente mit 63geht nicht. Es ist einfach eine Tatsache, dass wir Sozial-demokraten dem Projekt der Mütterrente geschlossen,denke ich, zustimmen werden,
obwohl es sich bei diesem sozialpolitisch induziertenProjekt – sprich: gewollten Projekt – um eine rein versi-cherungsfremde Leistung handelt.
Die Gelder dafür kommen erst einmal aus der Rücklageder Deutschen Rentenversicherung und müssen später –wir Sozialdemokraten glauben, in der nächsten Legisla-turperiode – auf Dauer steuerlich refinanziert werden.Darüber kann man reden. Meine Bitte ist: Sorgt inner-halb des eigenen Ladens für ein bisschen Ordnung. WirSozialdemokraten sagen: Jawohl, die Mütterrente istverdient. Ein weiterer Rentenpunkt für vor 1992 gebo-rene Kinder ist verdient. Dazu stehen wir Sozialdemo-kraten. Macht in der Union aber bitte nicht den Fehler,alles frei laufen zu lassen. Wir haben in der Oppositionschon genügend Desorientierte; das ist bei der Opposi-tion zum Teil reine Sekundärargumentation. Das reichtdoch schon.
Zur Erwerbsminderungsrente: 180 000 Menschen wa-ren 2012 davon betroffen. Die Zurechnungszeit wird umimmerhin zwei Jahre erhöht, gerechnet wird also biszum 62. statt bis zum 60. Lebensjahr. Das ist für Men-schen, die auf diese Rente angewiesen sind, eine guteGeschichte.
Wir werden auch den Rehadeckel anheben.Noch eine letzte Aussage – Frau Präsidentin, wennSie erlauben –: In der Rentendebatte hat man manchmalden Eindruck, dass es nur um Kosten geht. Ich sagedazu: Die Rente wird auch künftig durch Beiträge, er-gänzt durch eine Steuerfinanzierung, gesichert werden.Auch in 10, 20 und 30 Jahren wird es die gesetzlicheRente als großen Baustein der Alterssicherung der Men-schen immer noch geben und geben müssen. In der Ren-tendiskussion wird oft der Fehler gemacht, zu glauben,dass es sich bei der Rente nur um Kosten handelt. Dassind aber nicht nur Kosten. Die Rente ist im Zusammen-hang mit der Wertschöpfung der Volkswirtschaft zu se-hen. Sie bemisst sich an den Produktivitätsfortschrittender Volkswirtschaft, denn daran orientiert sich – nachMöglichkeit – die Lohnpolitik. So trägt die Rente volks-wirtschaftlich – makro- und mikroökonomisch – zur Be-reicherung bei.
Bei der Ausschüttung der Rente handelt es sich umMilliardenwerte, über die durch Konsum und LeistungMenschen, die noch im Arbeitsleben stehen, beschäftigtwerden. Deshalb ist es ein großer humanistischer Fehler,zu glauben, dass wir, wenn wir über die Sozialversiche-rungssysteme reden, nur über Kosten reden. Das stimmtnicht. Diese Milliarden, bei denen es um verschiedeneRentenbestandteile geht, fließen wieder in die Wirtschaftund sind für die Ökonomie und für die Zukunft des Lan-des fundamental. Insofern trägt der Haushalt 2014 zumwirtschaftlichen Wachstum und zur Sicherheit der Men-schen in der Zukunft bei.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Sabine Zimmermann für
die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber, geschätzter Herr Schiewerling!
– Herr Schiewerling, hören Sie mir einmal zu. MeineZeit läuft sonst weg. – Sie klopfen sich hier immer schönauf die Schulter – das tun viele von der CDU/CSU, aberauch von der SPD –, wie toll auf dem Arbeitsmarkt allesläuft, auch bezogen auf die letzten Jahre.
Sie sagen immer gerne, wie viele Menschen in den letz-ten Jahren in Arbeit gekommen sind. Soll ich Ihnen ein-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2549
Sabine Zimmermann
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mal ein paar andere Zahlen nennen? Wir haben in denletzten Jahren einen enormen Wandel am Arbeitsmarkterlebt. Wir haben insgesamt 2,6 Millionen Menschen,die einen Zweitjob brauchen.
Wir haben 1,4 Millionen Menschen, die aufstocken müs-sen. Wir haben 7,5 Millionen Menschen, die einen Mini-job haben.
Wir haben fast 800 000 minijobbende Rentner. Jetzt sa-gen Sie mir nicht, die haben zu viel Zeit und wollen des-halb noch arbeiten.
Nein, sie haben kein Geld. Deswegen müssen sie zusätz-lich noch einen Minijob machen.
Wir haben 2 Millionen Kinder, die bei uns in Deutsch-land in Armut leben. Das ist doch beschämend.Ich will Ihnen noch einige Zahlen nennen, HerrSchiewerling: Wir haben 1,1 Millionen langzeitarbeits-lose Menschen, Tendenz steigend.
Wir haben 183 000 Menschen, die behindert sind undarbeitslos sind, Tendenz in den letzten Jahren steigend.Wir haben 650 000 arbeitslose Menschen, die über55 Jahre alt sind, Tendenz steigend. Deshalb muss ichIhnen ehrlich sagen: Die Bilanz, die Sie hier immer zie-hen, entspricht nicht der Realität. Die richtige Bilanz istdie, die ich Ihnen jetzt genannt habe.
Dazu hat auch die Agenda 2010, meine Damen und Her-ren von der SPD, einen Beitrag geleistet.
Wir beraten heute – es ist schon öfter gesagt worden –das Herzstück des Haushaltes, den Etat des Bundes-ministeriums für Arbeit und Soziales. Hier geht es nichtum Wohltaten, über die die Begünstigten sich freuendürfen oder für die sie dankbar sein müssen. DieserHaushalt zeigt, wie ernst Sie es mit der sozialen Gerech-tigkeit bei uns in Deutschland meinen.
Da ist zum Beispiel die langzeitarbeitslose Textilarbeite-rin aus Sachsen, die Hoffnung hat, aus den Geldern derArbeitsmarktförderung eine Weiterbildung bezahlt zubekommen und dann hoffentlich auch Arbeit zu finden.Da sind die Friseurin aus dem Ruhrgebiet und die Kell-nerin in Mecklenburg-Vorpommern, beide arbeiten zuNiedriglöhnen und stocken zusätzlich mit Hartz IV auf.Da sind auch die über 460 000 Rentnerinnen und Rent-ner, deren Alterssicherung so niedrig ist, dass sie diesedurch Sozialleistungen aufstocken müssen. Mit diesemEtat werden keine Wohltaten finanziert, sondern drin-gende Unterstützungs- und Hilfeleistungen, die oft nichteinmal ausreichen. Das ist beschämend.
Im Jahr 2010 beschloss die damalige schwarz-gelbeKoalition ein Kürzungspaket, das auch heute noch denHaushalt prägt. Um nur einiges zu nennen: Die Renten-beiträge für Hartz-IV-Beziehende wurden abgeschafft,das Elterngeld auf Hartz-IV-Leistungen angerechnet,Gelder der Arbeitsmarktförderung in Millionenhöhewurden zusammengestrichen, und Kosten wurden aufdie Kommunen abgewälzt. Zählt man all diese Kürzun-gen zusammen, kommt unter dem Strich heraus, dass derHaushalt in dem Bereich eigentlich um 13 MilliardenEuro höher sein müsste. Aber so hoch ist er nicht.Die Kollegin Bettina Hagedorn von der SPD hat da-mals in den Haushaltsberatungen gesagt – ich möchte siezitieren –:Dieser Einzelplan des Bundeshaushalts wird wiekein anderer Etatbereich geprägt … von den unso-zialen, milliardenschweren Kürzungen zulasten vonLangzeitarbeitslosen und von dem Abschied aus ei-ner verlässlichen aktiven Arbeitsmarktpolitik …Sie sagte weiter, an die Regierung gerichtet:Sie haben das große Ganze aus dem Blick verloren,sowohl bei der sozialen Gerechtigkeit als auch beider Konsolidierung des Haushaltes.Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, das, was Siedamals gesagt haben, ist richtig. Aber es ist falsch, dassSie heute davon nichts mehr hören wollen, liebe Kolle-gin Mast.
Dieser Haushalt schreibt die falsche Politik der Ver-gangenheit einfach fort. Er ist sozial ungerecht. Er ver-wehrt vielen Menschen die Möglichkeit, ihre Zukunft indie eigenen Hände zu nehmen. Nehmen wir als Beispieldie Arbeitsmarktpolitik. Hier hat es in den zurückliegen-den Jahren einen regelrechten Kahlschlag gegeben. ImBereich Hartz IV wurden die Mittel für die aktive Ar-beitsmarktpolitik fast halbiert.Was bedeutet das für die arbeitslose Textilarbeiterinaus Sachsen, die gerne eine Weiterbildung zur Mechatro-nikerin machen will? Dies ist eigentlich eine tolle Idee,denn dieser Beruf gehört zu den Mangelberufen, wie dieBundesagentur für Arbeit feststellt. Ihr Problem ist je-doch, dass sie keinen Rechtsanspruch auf eine Qualifi-zierung hat. Die Mittel sind knapp. Statt einer neuenBerufsausbildung bekommt sie eine kurzfristige Maß-nahme. Das ist billiger, und sie verschwindet aus der Sta-tistik. Das ist leider die bittere Realität, liebe Frau Minis-terin Nahles.
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2550 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Sabine Zimmermann
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Im Bereich von Hartz IV sind 2013 nur noch 55 000Erwerbslose in einer Maßnahme für eine berufliche Wei-terbildung gefördert worden. Vor drei Jahren waren esnoch 85 000. Ähnlich schlimm sieht es im Bereich deröffentlich geförderten Beschäftigung aus. Die Quittungfür diesen Kahlschlag bekommen wir Jahr für Jahr mitder steigenden Zahl an langzeitarbeitslosen Menschen.Das von der Bundesarbeitsministerin angekündigte neueProgramm für Langzeitarbeitslose ist hier allenfalls einTropfen auf den heißen Stein. Ich hatte vorhin eine Fragedazu gestellt. Auch die Ausgaben für Personal in denJobcentern will die Koalition weiterhin deckeln. Dabeiwissen wir doch, wie wichtig eine gute individuelle Be-treuung bei der Vermittlung ist. Deswegen muss der Per-sonaletat aufgestockt werden.
Nein, diese Koalition will keine Wende in der Arbeits-marktpolitik.Ich komme zum Schluss. Es ließen sich noch zahlrei-che Beispiele aufzählen, die zeigen, dass dieser Haushaltsozial ungerecht ist. Sie sagen immer zu uns: Wir müs-sen einen ausgeglichenen Haushalt haben. – Aber dannmüssen Sie bitte schön auch sagen, dass die Erwerbslo-sen, die Alleinerziehenden sowie die Rentnerinnen undRentner die Zeche dafür zahlen sollen. Sagen Sie auchgleich dazu, dass Sie ruhig zuschauen, wenn die Scherezwischen Arm und Reich in diesem Land immer weiterauseinandergeht.
Kollegin Zimmerman.
Meine Damen und Herren, Ihnen fehlt der Wille und
der Mut, die Reichen zu besteuern. Das sieht man wieder
einmal ganz deutlich.
Danke schön.
Der Kollege Stephan Stracke hat für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Ich habe manchmal den Eindruck, dieseDebatten sind, zum Teil jedenfalls, nämlich was die Op-position angeht, durch einen Wahrnehmungsschleier ge-kennzeichnet.
Richtig ist, dass die deutsche Wirtschaft blendend da-steht. Unser Land ist eines der wettbewerbsfähigsten undinnovativsten weltweit. Das zeigt sich auch auf dem Ar-beitsmarkt. 42 Millionen Menschen sind in Deutschlanderwerbstätig. Wir haben ein Allzeithoch erreicht. Das istgrundsätzlich prima. Das sollten wir auch so sagen undes nicht schlechtreden.
Einer der Gründe, warum dies so ist, besteht darin,dass wir auf Produktion statt auf Spekulation gesetzt ha-ben.
Anders als andere Länder, die sich beispielsweise gna-denlos verzockt haben, weil sie gesagt haben: „Wir wol-len den Weg in eine Dienstleistungsgesellschaft gehen;wir setzen auf Banken“, haben wir immer darauf geach-tet, nicht einseitig zu werden. Wir haben darauf geachtet,einen stabilen industriellen Kern zu haben. Das ist dieKeimzelle und der Ausgangspunkt dafür, dass wir heuteso gut dastehen. Genau diesen Weg wollen wir gemein-sam weitergehen.
Ein weiterer Grund, warum wir gut dastehen, ist un-sere Marktwirtschaft, die eine soziale ist. Wir wissen,auch aus eigener leidvoller Erfahrung, dass Märkte im-mer einer Begrenzung bedürfen und dass entsprechendeLeitplanken gesetzt werden müssen, weil der Zusam-menhalt in einer Gesellschaft ansonsten massiv auf demSpiel steht. Mit unserer sozialen Marktwirtschaft sindwir gut gefahren. Unser Erfolgsrezept dabei lautet Sozi-alpartnerschaft.
Die Sozialpartnerschaft sorgt dafür, dass flächendeckendgute und faire Löhne gezahlt werden und dass es in denBetrieben gute Arbeitsbedingungen gibt. Dazu müssenwir die Sozialpartner immer wieder ermahnen. Wir müs-sen ihnen deutlich machen: Da steht ihr in der Verant-wortung. – Wir setzen auf die Kraft der Tarifvertragspar-teien.
Wir wollen auch das Interesse der Tarifvertragsparteienam Abschluss von Tarifverträgen hochhalten. Deswegenführen wir beispielsweise eine vereinfachte Allgemein-verbindlichkeitserklärung ein.Ein weiterer Grund, warum wir gut dastehen, ist, dassunser Staat seine Rolle als aktiver Staat versteht. Daraufkönnen sich die Menschen gerade in Krisenzeiten verlas-sen. Der Bund hat Milliarden von Euro aufgewendet undin Konjunkturprogramme zur Stärkung und Sicherungdes Arbeitsmarktes investiert. Das hat dazu geführt, dassdie meisten Arbeitsplätze sicher durch die Krise ge-bracht wurden. Unsere Unternehmen waren sich ihrersozialen Verantwortung, gerade in Krisenzeiten, be-wusst. Deswegen sage ich ausdrücklich Dankeschön andie Familienbetriebe und die Unternehmerinnen und Un-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2551
Stephan Stracke
(C)
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ternehmer, die in Krisenzeiten gesagt haben: Wir setzenauf unsere qualifizierten Arbeitskräfte und setzen sienicht frei; wir wollen keine Entlassungswelle. – Davonprofitieren wir jetzt, nachdem wir aus der Krise heraus-gekommen sind.
Das ist der Erfolg der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer. Höchste Produktivität, innovative Ideen undKreativität zeichnen sie aus. Dieser Erfolg muss sichauch in der Höhe der Löhne widerspiegeln.
Das stärkt die Binnennachfrage als eine der Stützen derkonjunkturellen Entwicklung in diesem Land.Die Folge ist, dass wir eine hohe Zahl von Arbeits-plätzen haben und mit Überschüssen in unseren sozialenSicherungssystemen reich gesegnet sind;
sie sind krisenfest.
Das Volumen beträgt insgesamt 800 Milliarden Euro proJahr. Die Menschen sind damit in den letzten Jahren gutgefahren, weil sie sich sicher sein konnten, dass siedurch unsere sozialen Sicherungssysteme gegen zentraleLebensrisiken abgesichert sind, und weil sie sich daraufverlassen konnten, dass ihnen in Not geholfen wird. Ge-nau das wollen wir fortsetzen.Ausdruck dessen ist der Haushalt der Bundesarbeits-ministerin. Er ist mit einem Volumen von 122 Milliar-den Euro der größte Ausgabenblock – sie hat es bereitserwähnt – und macht rund 40 Prozent des gesamtenBundeshaushalts aus. Dies sind im Übrigen 3 MilliardenEuro mehr als im letzten Jahr. Das zeigt: Wir überneh-men die Verantwortung, die wir als starker Sozialstaathaben, sehr bewusst, und wir machen eine Politik füreine hohe Beschäftigungsquote. Die Arbeitslosenquotehat sich seit 2005 halbiert. Besonders erfreulich ist dieEntwicklung der Jugendarbeitslosigkeit.
Hier stehen wir europaweit hervorragend da. Unser An-sporn muss es sein, die Jugendarbeitslosigkeit insgesamtzu bekämpfen und sie gänzlich zu überwinden.
Dabei setzen wir auf einen Dreiklang von Vollbeschäfti-gung, guter Arbeit und sozialer Sicherheit.
Wir haben es in Bayern vorgemacht: Der bayerischeArbeitsmarkt ist Monat für Monat Klassenbester, die Ar-beitslosenquote Bayerns liegt 3 Prozentpunkte unterdem Bundesdurchschnitt. Der Erfolg spricht bayerisch.Deshalb ist auch der FC Bayern München DeutscherMeister.
– Es gibt Gründe, warum wir insgesamt gut dastehen.
Wir wissen aber auch: Nichts ist in Stein gemeißelt, wirdürfen uns auf den Erfolgen nicht ausruhen.
Deswegen ist der FC Bayern München dabei, sich in derChampions League weiter fortzuentwickeln und auch indiesem Jahr das Triple zu holen.
Aber das soll nur beispielhaft dafür stehen, wasErfolg in diesem Land ausmacht. Diejenigen, die sichanstrengen, die sollen auch ihren entsprechenden Lohnhaben. Unser größter Schatz sind die hervorragend qua-lifizierten Arbeitskräfte mit ihrem Wissen und Können.Sie erarbeiten tagtäglich den Wohlstand in dieser Repu-blik. Diesen größten Schatz gilt es entsprechend zupflegen. Deswegen ist uns die Fachkräftesicherung einwichtiges Anliegen, sie ist unser zentrales Ziel in der Ar-beitsmarktpolitik. Die unionsgeführte Bundesregierunghat im Juni 2011 ein langfristig angelegtes, wirksamesKonzept zur Sicherung der Fachkräftebasis angestoßen,und wir sind erfolgreich.
In den Betrieben hat ein Umdenken stattgefunden, wasdie Beschäftigung älterer Arbeitnehmer angeht. Die Be-triebe haben die Erfahrung gemacht: Wir müssen auchauf ältere Arbeitnehmer setzen. – Wertschätzung schaffteben auch Wertschöpfung.
Das ist es, was wir betonen wollen und den Unterneh-men auch anraten: Schätzt auch die Wertschöpfung eurerMitarbeiterinnen und Mitarbeiter, egal welcher Alters-gruppe! Als sichtbares Ergebnis davon hat sich die Er-werbstätigenquote bei den Älteren zuletzt auf 64 Prozenterhöht. Das ist ein Riesenerfolg. Wir sind damit nämlichschon deutlich über dem EU-Ziel für 2020, das bei60 Prozent liegt.
Wir wissen alle: Wir sind, gerade was die Beschäfti-gung Älterer angeht, noch lange nicht am Ziel. Aber wirsind auf dem richtigen Weg. Hier sind die Unternehmengefordert, große Schritte zu tun und nicht nur Klein-Klein. Wir unterstützen sie, beispielsweise indem wir
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2552 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Stephan Stracke
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jetzt den Rehadeckel der demografischen Entwicklunganpassen. Das ist auch ein Schritt dazu, dass wir nichtimmer nur über die Rente ab 67 reden, sondern auch tat-sächlich das Arbeiten bis 67 ermöglichen. Alles anderewürden die Menschen auch als Rentenkürzung erfahren.
Wir brauchen ein ganzes Bündel von Maßnahmen.Das betrifft die Rehabilitation, aber auch die Vereinbar-keit von Familie und Beruf. Deswegen haben wir in denletzten Jahren als unionsgeführte Bundesregierung vielGeld in die Hand genommen, um die Länder, um dieKommunen dabei zu unterstützen, in entsprechende Be-treuungsmöglichkeiten zu investieren. Wir wollen dieVereinbarkeit von Pflege und Beruf verbessern. Deswe-gen gibt es in Zukunft eine Lohnersatzleistung für zehnTage, um spezifische Pflegesituationen zu organisieren.Einer der Kernpunkte ist Bildung, Ausbildung undlebenslanges Lernen. Keiner darf verloren gehen, jederverdient eine zweite oder gar dritte Chance. DassDeutschland die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit inEuropa hat, kommt eben auch daher, dass wir inDeutschland ein so gutes – duales – Berufsausbildungs-system haben. Dies gilt es zu sichern,
auch vor Überlegungen, die derzeit auf der europäischenEbene stattfinden. Hier müssen wir klar sagen: Das wol-len wir nicht.Zum anderen ist es gut, dass hier der Ausbildungspaktin veränderter Form fortgesetzt wird; die Bundeskanzle-rin hat das zuletzt beim Handwerkstag mit angekündigt.Es ist gut, dass wir in diese Richtung gehen.Wir müssen aufpassen, dass wir keine falschen An-reize setzen für diejenigen, die sagen: Ich gehe lieber ineinen Beruf, der einem gesetzlichen Mindestlohn unter-liegt, und nicht in eine Ausbildung. Deswegen unterneh-men wir hier die richtigen Dinge in diese Richtung.Wohlstand zu erhalten, gelingt uns nur, wenn derFachkräftebedarf insgesamt gedeckt ist. Dazu gehörtauch, dass wir die Jobchancen für Langzeitarbeitsloseentsprechend erhöhen. Der deutsche Arbeitsmarkt isthier in großem Maße aufnahmefähig, und wir stellenvonseiten des BMAS auch viel Geld für die Eingliede-rung zur Verfügung. Wir müssen aber aufpassen, dassdieses Geld auch tatsächlich bei den Betroffenen an-kommt.Bayern hat bundesweit die niedrigste Arbeitslosen-quote erreicht. Wir kommen jetzt an den Kernbestandder Arbeitslosen. Deswegen müssen wir genau aufpas-sen, wie wir jetzt mit Langzeitarbeitslosen umgehen. Sieweisen oftmals schwere und mehrfache Vermittlungs-hemmnisse auf, weshalb wir hier die notwendigen Mittelbrauchen. Ich weiß, dass aufgrund der entsprechendenVerteilungsmechanismen nicht sichergestellt ist, dass dienotwendigen Mittel in ausreichendem Maße zur Verfü-gung stehen, sondern diejenigen bestraft werden, die be-sonders erfolgreich sind. Wir haben das allerdings imKoalitionsvertrag entsprechend festgelegt und werdendas auch angehen.All das zeigt: Wir setzen auf Vollbeschäftigung, aufgute Arbeit und auf gute soziale Sicherungssysteme indiesem Land. Lassen Sie uns zusammen mit unsererBundesarbeitsministerin die Themen gemeinsam ange-hen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Brigitte Pothmer für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! FrauNahles, Sie wissen, ich bin eine glühende Unterstützerindes gesetzlichen Mindestlohnes und stehe bei der Durch-setzung dieses Projektes nun wirklich auf Ihrer Seite,
aber ich würde Ihnen gerne einmal sagen: Sie sind nichtnur die Ministerin für die Arbeitsplatzbesitzerinnen und-besitzer, sondern Sie sind auch die Ministerin für dieArbeitslosen.
Sosehr ich Ihr Engagement bei der Durchsetzung desMindestlohnes schätze, so enttäuscht bin ich doch überden wirklichen Mangel an Engagement, wenn es um dieBelange von Arbeitslosen und Abgehängten geht.
– Liebe Frau Griese, Sie wollen mir doch nicht im Ernstsagen, dass eine solche Rede diesen Mangel wirklich be-seitigen könnte.
So bescheiden kann wirklich nur die SPD sein.
Ich weiß, das ist ein schwerer Vorwurf, aber ich finde,er ist leicht begründbar: In der letzten Legislaturperiode,Frau Ministerin, haben Sie gemeinsam mit uns denschwarz-gelben Kahlschlag in der Arbeitsmarktpolitikkritisiert.
Zu Recht, kann ich nur sagen. Das Problem ist aber, dassdiese Kritik bis heute nichts an Berechtigung eingebüßt
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2553
Brigitte Pothmer
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hat. Sie wissen ganz genauso gut wie ich: Wenn wir jetztnicht in die Qualifizierung von Arbeitslosen investieren,dann werden wir sie ein Leben lang alimentieren. Das istein Drama für die Betroffenen, das ist teuer, und das istschlecht für die Volkswirtschaft. Ich nenne jetzt nur nocheinmal das Stichwort Fachkräftemangel.In der Opposition haben Sie 2013 mit genau dieserBegründung 1,6 Milliarden Euro für die aktive Arbeits-marktpolitik gefordert. Heute sind das noch 350 Millio-nen Euro. Frau Nahles, es ist Ihre Aufgabe, uns zu erklä-ren, welche arbeitsmarktpolitischen Wunder sich in derZwischenzeit ereignet haben sollen, dass das Geld jetztplötzlich nicht mehr notwendig ist.
Diese 350 Millionen Euro, die im Laufe der Legis-laturperiode angeblich auf 1,4 Milliarden Euro aufwach-sen sollen, sind wirklich eine fiktive Summe, die nur aufdem Papier steht.
Wenn die Jobcenter wirklich nur die Hälfte des Geldesbekommen würden, das Sie angekündigt haben, dannkönnten sie froh sein. Ich nehme es Ihnen persönlichübel, dass Sie in diesem Bereich schon jetzt mitTaschenspielertricks arbeiten.
Den Gipfel finde ich aber wirklich, dass Sie denAnteil, den Ihr Ministerium erbringen muss, damit dasunsägliche Betreuungsgeld gezahlt werden kann, denArbeitslosen aufdrücken. Die Arbeitslosen sollen die500 Millionen Euro aufbringen, die das Betreuungsgeldkostet. Das mag nicht viel Geld sein, aber ich finde, dasist an Symbolkraft nicht mehr zu toppen.Sie handeln nach dem Motto „Die Etats der Jobcenterreichen sowieso von vorne bis hinten nicht; da kommt esauf die 500 Millionen Euro auch nicht mehr an“. Ichhalte das für eine ungeheure Unverschämtheit.Aber ich rede nicht nur vom Geld. Ich rede auch vonden Strukturen und den inhaltlichen Angeboten. Auch daist von den großen Versprechen eigentlich nichts mehrübrig geblieben. Das ist schlecht für die Langzeitarbeits-losen.Vielleicht erinnern Sie sich noch: Als Projektitis-Projekt haben Sie einst die Bürgerarbeit von Frau vonder Leyen verspottet. Jetzt haben Sie auch ein Projekti-tis-Projekt. Das hat nur einen anderen Namen und ist inder Dimension viel kleiner.Ihr Projektitis-Projekt heißt „Perspektiven in Betrie-ben“. Diejenigen, die sich auskennen, wissen, dass wirdieses Projekt bereits kennen: als Modellprojekt inverschiedenen Bundesländern. Die Ergebnisse sind mehrals ernüchternd. 2013 sind genau 33 Personen über die-ses Projekt in Arbeit gekommen. Für 2014 haben Siesich etwas Gigantisches vorgenommen: Es sollen tat-sächlich 35 werden, die Sie darüber in Arbeit bringen.Wollen Sie uns wirklich allen Ernstes erklären, FrauNahles, dass das Ihr Angebot für Langzeitarbeitslose ist?Mit Verlaub, armseliger geht es nicht mehr.
Vielleicht noch ein paar Fakten: Von 2010 bis 2013sind 190 000 Plätze in der öffentlich geförderten Be-schäftigung weggefallen und damit sechsmal mehr, alsSie schaffen wollen. Hinzu kommen noch die26 000 Bürgerarbeitsplätze, die 2014 auslaufen. Zusam-men sind das 216 000 Plätze, die für die Arbeitslosenfehlen.Auf diese Förderlücke reagieren Sie jetzt mit einemProgramm, das irgendwann – wann genau, weiß nie-mand – auf 30 000 Personen angewachsen sein soll. Dasist weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein. Jedererkennt sofort, dass die Dimension des Problems und dieDimension der Lösung in keiner Weise zusammenpas-sen. Mehrere Hunderttausend Leute werden nach Hausegeschickt und sind auf Angebote angewiesen, und Siekommen mit diesem ganz, ganz kleinen Karo. FrauNahles, ich finde, das ist beschämend.
Ich hatte darauf gesetzt, dass Sie nach jahrelangenDebatten jetzt den verlässlichen sozialen Arbeitsmarktund den Passiv-Aktiv-Transfer auf den Weg bringen.Dafür haben wir doch gemeinsam gestritten. Auch diegrün-roten und die rot-grünen Länder sind dafür in Vor-leistung getreten.
Sie warten jetzt händeringend darauf, dass Sie ihnen dieMöglichkeit des Passiv-Aktiv-Transfers eröffnen.
Kollegin Pothmer, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ich danke Ihnen. Ich komme zum Schluss. – Sie las-sen also nicht nur die Arbeitslosen im Stich; Sie lassenauch Ihre eigenen Länder im Stich.Sie wissen genau wie ich: Die bisherige Politik fürLangzeitarbeitslose ist gescheitert.
Wir brauchen einen richtigen Paradigmenwechsel. Dafürbrauchen wir neue Strukturen.
Dafür brauchen wir genügend Geld, und wir braucheneine Ministerin, die auch für die Belange von Arbeits-losen brennt. Alle drei Punkte sind leider nicht in Sicht.Ich danke Ihnen.
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Brigitte Pothmer
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Die Kollegin Katja Mast hat nun für die SPD-
Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Frau Pothmer, auch ich werde ausführen,
welche Verbesserungen wir in der Koalition für Lang-
zeitarbeitslose und für Jugendliche auf den Weg bringen.
Wir sind verdammt stolz darauf. Ich sage Ihnen auch,
warum. Unsere Arbeitsministerin trägt mit ihrer Politik
dazu bei, dass ein ausgeglichener Haushalt keine einma-
lige Angelegenheit bleibt. Nein, unsere Politik sorgt da-
für, dass es auch für künftige Generationen ausgegli-
chene Haushalte geben wird. Das ist der entscheidende
Punkt in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
Wir freuen uns heute beispielsweise darüber, dass wir
es in drei Schritten geschafft haben, dass die Kosten für
die Grundsicherung im Alter zu 100 Prozent vom Bund
übernommen werden.
Früher mussten dafür die klammen Kommunen zahlen.
Wir können uns aber nicht nur darüber freuen, dass
wir die Kommunen entlasten. Unsere Politik hat nämlich
auch das Ziel, dass weniger Menschen in die Grund-
sicherung im Alter kommen und dass weniger Menschen
vom Arbeitslosengeld II betroffen sind. Deshalb ist es
uns so wichtig, Erwerbsarmut und Bildungsarmut auch
im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik zu bekämpfen. Wir
sagen der Arbeitslosigkeit den Kampf an, betreiben
Fachkräftesicherung und sorgen – es ist schön, dass die
CSU in Bayern dieses Thema auch schon für sich ent-
deckt hat – für gute Arbeitsplätze. Uns ist es nämlich
nicht egal, um welche Arbeit es geht. Für uns geht es im-
mer um gute Arbeit.
Andrea Nahles sorgt mit dem Tarifpaket dafür, dass
4 Millionen Menschen künftig mehr verdienen als heute,
nämlich 8,50 Euro in der Stunde, und zwar gleicherma-
ßen in Ost und in West. Das ist ein Beitrag zum Schutz
der Würde der Arbeit. Es geht um Gerechtigkeit bei der
Entlohnung. Es geht aber auch darum, dass man mit ei-
nem Stundenlohn von 8,50 Euro einerseits mehr Geld
ausgeben kann, was die Wirtschaft ankurbelt, anderer-
seits mehr Steuern und Abgabe zahlen muss. Auch das
ist für die zukünftige Haushaltspolitik ein wichtiger
Punkt.
Wir haben uns vorgenommen, Leiharbeit und Werk-
verträge stärker zu regulieren. Auch das ist ein Beitrag
für gute Arbeit und für den Schutz der Würde der Arbeit
sowie für Zukunftsinvestitionen. Die Erhöhung des Ein-
gliederungstitels um 350 Millionen Euro ist eine Kehrt-
wende in der Arbeitsmarktpolitik. Die letzten vier Jahre
wurde nur gekürzt. Wir sind jetzt diejenigen, die dafür
sorgen, dass für langzeitarbeitslose Menschen in dieser
Republik wieder mehr Geld ausgegeben werden kann.
Auch das ist notwendig.
Unsere Bundesarbeitsministerin sagt, dass das Geld
auch dazu verwendet werden kann, um Fachkräfte aus-
zubilden und ein ESF-Programm aufzulegen. Damit or-
ganisieren wir Teilhabe und schaffen gute Arbeit für
Menschen, die heute in Langzeitarbeitslosigkeit sind. Ich
kann daran nichts Verwerfliches finden, Frau Pothmer.
Wir wollen mit unserem Koalitionspartner darüber
diskutieren, ob nicht auch der Eintritt in den sozialen Ar-
beitsmarkt möglich ist. Dann wären wir noch ein Stück
weiter. Ich bin sicher, dass wir zusammen gute Gesprä-
che führen werden.
Unsere Arbeitsministerin will den Gedanken der Ju-
gendberufsagenturen in ganz Deutschland verbreiten.
Mit diesen Agenturen helfen wir vielen Jugendlichen,
besser einen Job zu finden. Außerdem wollen wir, dass
es die Chance auf eine zweite Ausbildung gibt.
Kollegin Mast, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Pothmer?
Lassen Sie mich bitte diesen Gedanken noch zu Ende
bringen.
Dann ist Ihre Redezeit um. Dann haben Sie keine
Chance auf eine Verlängerung mehr.
Dann muss die Kollegin eine Kurzintervention nachmeiner Rede machen.
Jugendberufsagenturen und eine zweite Chance aufAusbildung für junge Erwachsene zwischen 25 und35 Jahren sowie assistierte Ausbildung und die Förde-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2555
Katja Mast
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rung der Teilzeitausbildung, das sind unsere Vorhaben.Es ist wichtig, dass junge Menschen eine Berufsausbil-dung haben, damit sie zukünftig nicht arbeitslos und ar-beitsuchend werden. Damit leisten wir unseren Beitragfür einen Haushalt der Zukunft und vor allen Dingen ei-nen Beitrag für die Zukunft der Menschen.Uns geht es um Investitionen in Menschen und in ei-nen vorsorgenden Sozialstaat, der ein Garant dafür ist,dass wir in dieser Republik zukünftig keine Schuldenmehr machen.Vielen Dank.
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Mark
Helfrich das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dervorliegende Haushaltsentwurf bildet konsequent die Ver-einbarungen des Koalitionsvertrages ab, ohne dabei vonden Grundsätzen des ersten Regierungsentwurfes ausdem Sommer 2013 abzuweichen. Das war uns an dieserStelle sehr wichtig.
Wir bewegen uns mit dem Bundeshaushalt auf einemnachhaltigen Konsolidierungspfad. Auf diesem Wegstellt der strukturell ausgeglichene Haushalt 2014 einewichtige Wegmarke dar. Beginnend mit dem Jahr 2015legen wir erstmalig seit 1969 einen Haushalt ohne neueSchulden vor.
Das gibt Anlass zur Freude und ist zugleich ein ein-drucksvoller Beleg von erfolgreicher Wachstums- undFinanzpolitik verschiedener Regierungen unter AngelaMerkel.Kommen wir zum Gegenstand dieses Tagesordnungs-punktes. Der Einzelplan 11 hat mit seinen geplantenAusgaben von 122,3 Milliarden Euro einen Anteil amGesamthaushalt von annähernd 41 Prozent. Ich finde dassehr beeindruckend. Damit ist der Einzelplan 11 der mitAbstand höchstdotierte Einzelplan des Bundeshaushaltes.Er ist untergliedert in zwei wesentliche Aufgabenberei-che, zum einen in die Rentenversicherung einschließlichder Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung– das sind round about 88,5 Milliarden Euro –, zum an-deren in den Bereich der Arbeitsförderung nach demSGB II in Höhe von 31,5 Milliarden Euro. Damit liegtallein schon der Bereich der Arbeitsförderung auf Au-genhöhe mit dem Verteidigungsetat, dem zweitgrößtenEinzelplan im Bundeshaushalt.
Wir alle wissen: Ein Haushalt ist in Zahlen gegossenePolitik. Die Zahlen des Einzelplans 11 belegen, was unsan Politik wichtig ist. Das ist zum einen eine auskömmli-che und leistungsgerechte Altersversorgung. Zum ande-ren ist es, Menschen in Arbeit zu bringen und dafür auchdie bestmöglichen Rahmenbedingungen zu setzen. Inso-fern habe ich auch vorhin die Tiraden nicht so wirklichnachvollziehen können, die zu diesem Punkt gekommensind.Wir haben schon viel erreicht. Es gibt 42 Millionenerwerbstätige Menschen. Das ist Rekord. 29,4 MillionenMenschen üben eine sozialversicherungspflichtige Be-schäftigung aus. Wir haben 3 Millionen Arbeitslose. Dassind immer noch zu viele. Aber dahinter verbirgt sicheine Arbeitslosenquote, die wir uns vor einigen Jahrennicht hätten träumen lassen. Das ist auch eine Arbeitslo-senquote, um die uns viele andere Länder in der Euro-päischen Union beneiden.
Insbesondere bei der Jugendarbeitslosigkeit stehtDeutschland hervorragend da. Auch das ist ein gutesZeichen. Die Arbeitsmarktzahlen und -prognosen sinduns Ansporn, diejenigen, die derzeit nicht in Arbeit sind,nicht zu vergessen und die Eingliederungsleistungen aufeinem hohen Niveau zu belassen. Deshalb haben wirauch den Eingliederungstitel im Bereich des SGB II,also den Teil, der sich aus den Verwaltungskosten undden Eingliederungsleistungen zusammensetzt, auf demNiveau von 2013 gelassen, nämlich bei 7,95 MilliardenEuro. Zusätzlich gibt es in diesem Jahr dann, wie es imKoalitionsvertrag vereinbart wurde, weitere 350 Millio-nen Euro, die als Haushaltsreste für diese Aufgaben inAnspruch genommen werden können.Ich möchte an dieser Stelle auch etwas zu der Diskus-sion um die gegenseitige Deckungsfähigkeit sagen; denndiese 350 Millionen Euro können sowohl für das eine alsauch für das andere verwendet werden. Das ist auchrichtig so. Die reflexartige Verteufelung, die mitunter inder politischen Diskussion stattfindet, ist einfach nichtsachgerecht; denn eine erfolgreiche Integration in denArbeitsmarkt setzt eben auch eine hohe Betreuungsin-tensität und aktive Vermittlung durch qualifizierte Fall-manager voraus.
Es schwingt an dieser Stelle auch immer eine gehö-rige Portion Misstrauen mit, was unsere Arbeitsverwal-tung betrifft. Ich glaube, wir sollten es den Spezialistenin der Arbeitsverwaltung überlassen, zu entscheiden, wiedie Mittel am effektivsten und effizientesten eingesetztwerden können. Wichtig ist dabei natürlich, dass dasGanze zielorientiert geschieht und dass Eingliederungs-maßnahmen passgenau vergeben werden. Auch hier giltwie so häufig im Leben: Qualität geht vor Quantität.
Ein Fortschritt ist insoweit auch die Erhöhung derVerpflichtungsermächtigung für das Jahr 2015. Dadurchwird die Handlungsfähigkeit der Jobcenter gestärkt und
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2556 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Mark Helfrich
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werden jahresübergreifende Fördermaßnahmen ermög-licht. Ich glaube, dass das für die Menschen ein großesPlus ist. Es nutzt nichts, die soundsovielte 08/15-Maß-nahme durchzuführen, die innerhalb eines Haushaltsjah-res abgebildet werden kann. Nein, das ist nicht sinnvoll.Insofern sind wir auch hier auf dem richtigen Weg.
Wir müssen nicht nur einen Blick auf die sinkendebzw. stagnierende Arbeitslosigkeit werfen, sondern auchein anderes wichtiges Problem im Fokus behalten. Dasist die Fachkräftesicherung. Der Rückgang bei den Ar-beitskräften bzw. den Fachkräften wird in manchenBranchen dieses Landes zu einem wirtschaftlichen Ri-siko. Schon jetzt reißen sich die Betriebe in bestimmtenBranchen um Nachwuchskräfte, zum Beispiel im Pflege-bereich oder bei den technischen Berufsbildern. DiesesPhänomen wird uns in den nächsten Jahren noch vielstärker begleiten. Demografiebedingt werden wir massivunter Druck geraten.Den Fachkräftemangel in Deutschland lindern undJugendlichen aus dem europäischen Ausland eineChance geben, das ist das Ziel von MobiPro-EU, einemSonderprogramm, das wir für sehr sinnvoll halten.
Es geht um ausbildungsinteressierte Jugendliche und ar-beitslose junge Fachkräfte aus Europa. Egal ob sie amEnde ihrer Ausbildung in ihre Heimatländer zurückkeh-ren oder hierbleiben, es ist für alle Beteiligten eine großeBereicherung und ein Gewinn. Die Mittel für dieses er-folgreiche Programm sind gegenüber dem Regierungs-entwurf 2014 um 15 Millionen Euro auf 48 MillionenEuro aufgestockt worden.
Kollege Helfrich, gestatten Sie eine Frage oder Be-
merkung der Kollegin Pothmer?
Ja.
Herr Kollege, ist Ihnen eigentlich bekannt, dass das
Projekt MobiPro gerade in allergrößten Schwierigkeiten
steckt? Wie wir inzwischen wissen, sind die Anträge, die
in den unterschiedlichen Ländern gestellt wurden, nicht
bewilligt. Die betroffenen Jugendlichen sitzen auf ge-
packten Koffern. Sie haben sich sozusagen auf das deut-
sche Wort verlassen und sind nun verlassen. Aber das ist
nur ein Teil des Problems. Ist Ihnen bekannt, dass die zu-
gesagten Mittel für eine ganze Reihe von Jugendlichen,
die bereits in Deutschland sind und die Zusage erhalten
haben, hier einen Ausbildungsplatz oder Unterstützung
beim Praktikum zu bekommen, nicht fließen?
– Das ist so.
Zum einen ist das so nicht richtig. Zum anderen kann
Erfolg manchmal zum Verhängnis werden. Lassen Sie
uns gemeinsam dafür sorgen, dass diese immense Nach-
frage tatsächlich befriedigt werden kann.
Wir alle wissen, dass die zur Verfügung stehenden Mittel
nicht auskömmlich sind. Es ist eine unangenehme Fü-
gung, dass der Erfolg im Jahr einer Bundestagswahl ein-
setzt, in dem traditionell noch kein Haushalt aufgestellt
ist. Das spricht aber nicht gegen dieses Projekt.
Eine erfolgreiche Fachkräfte- und Nachwuchssiche-
rung trägt dazu bei, unser umlagebasiertes gesetzliches
Rentenversicherungssystem zukunftsfähig zu machen
und damit auch zukünftigen Rentnergenerationen eine
auskömmliche Altersversorgung zu erhalten. Damit
komme ich zum zweiten großen Ausgabenbereich im
Einzelplan 11, zur Rentenversicherung sowie zur Grund-
sicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Hier sind
zwei wesentliche Veränderungen gegenüber dem Vorjah-
reshaushalt 2013 zu nennen. Zum einen tritt die letzte
Stufe der Entlastung der Kommunen im Bereich der
Grundsicherung in Kraft. Allein das sind 1,1 Milliarden
Euro – diese Zahl kann man gar nicht häufig genug nen-
nen –, die den Kommunen bundesweit zugutekommen.
Zum anderen lassen sich die Auswirkungen des Renten-
versicherungs-Leistungsverbesserungsgesetzes, des so-
genannten Rentenpakets, wiederfinden. Wir legen heute
und im weiteren Beratungsverlauf die finanziellen
Grundlagen für die Mütterrente, für die abschlagsfreie
Rente nach 45 Beitragsjahren sowie für die Verbesserun-
gen bei der Erwerbsminderungsrente und bei Rehaleis-
tungen.
Kollege Helfrich, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ja, selbstverständlich. – Ich komme zum Schluss. Es
werden von den genannten Verbesserungen Millionen
Menschen profitieren. 88,5 Milliarden Euro gibt unser
Staat für die heutige Rentnergeneration aus. Das sind an-
nähernd 30 Prozent des Bundeshaushalts. Damit setzen
wir trotz allen notwendigen Sparens ein klares Zeichen
dafür, dass Rente kein Almosen ist, sondern ein verdien-
ter Lohn für Lebensleistung.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich möchte vorsorglich daran erinnern, dass wir dieVereinbarung haben, dass überzogene Redezeiten ein-fach den nächsten Rednern der Fraktion in Rechnung ge-stellt werden, um in der Wortwahl der Haushaltsdebattezu bleiben.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2557
Vizepräsidentin Petra Pau
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Das Wort hat die Kollegin Gabriele Schmidt für dieUnionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Besucher auf den Tribünen!Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! In meinemlangen Berufsleben habe ich schon viele Haushaltsplänegesehen, aber wirklich noch nie einen, der allein in demBereich, den ich hier politisch vertrete, Arbeit und So-ziales, die sagenhafte Summe von 122 Milliarden Euroumfasst. Ich muss ganz ehrlich sagen: Das jagt mir einbisschen Respekt ein.
Das ist eigentlich unvorstellbar viel Geld, und es sindnoch einmal 3 Milliarden Euro mehr als im Jahr zuvor.Mit der Höhe des Etats wächst unsere Verantwortung,die Mittel da einzusetzen, wo es sinnvoll und notwendigist. Ich bin erst einmal froh, dass der Arbeits- und So-zialhaushalt nicht gekürzt, sondern noch erweitertwurde. Auch wir Sozialpolitiker wissen, dass jeder Euro,den wir ausgeben, erst einmal erwirtschaftet werdenmuss. Es gibt aber Bereiche, in denen man besser sparenkann als im Sozialetat.
Wofür geben wir das Geld aus? Es ist schon über vieleEinzelheiten gesprochen worden. Den weitaus größtenTeil umfassen die Leistungen an die Rentenversiche-rung. Das große Rentenpaket, über das wir seit Monatendiskutieren, ist geschnürt. Ich wiederhole es gerne:88 Milliarden Euro Steuermittel geben wir für Rentenaus, für die Beteiligung des Bundes an der Grundsiche-rung im Alter und bei der Erwerbsminderung. Dadurchentlastet der Bund die Kommunen erheblich von den So-zialausgaben, ab 2014 durch eine 100-prozentige Erstat-tung der Nettoausgaben für die Ausführung der Grund-sicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Wenn esauch umstritten sein mag: Die Leute warten auf das Ren-tenpaket.
Die Menschen warten auf die Mütterrente, und ichgebe ganz ehrlich zu: Auch ich profitiere von dieserMütterrentenregelung. Meine Töchter sind 1982 und 1984auf die Welt gekommen. Ich habe sie als Witwe allein er-ziehen müssen, habe 100 D-Mark Kindergeld bekom-men, und es gab keine Kitas und keine Ganztagsbetreu-ung in der Schule. Aber es geht nicht um mich, sondernes geht um Millionen Mütter, die auf diese Rente warten.
Die Verkäuferin im Einzelhandel oder der Schreinerim Küchenbau, der 45 Jahre lang Kisten und Kasten ge-schleppt hat, sie und andere warten auf die abschlags-freie Rente nach 45 Versicherungsjahren. Dafür sind an-teilig Mittel im Haushalt bereitgestellt. Das haben wirversprochen, und das halten wir auch.
Mit den Schwerpunkten des Einzelplans im Haushaltschaffen wir eine solide Grundlage, um den Bedürfnis-sen von Menschen in einem leistungsfähigen und zuver-lässigen Sozialstaat so gut wie möglich gerecht zu wer-den. Nun stellt der Bund für arbeitsmarktpolitischeLeistungen Finanzmittel in Höhe von 31,5 MilliardenEuro zur Verfügung. Ich finde, das ist ganz schön viel.Diese fließen fast ausschließlich in die Ausgaben für dieLeistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nachdem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch. Auch hier sollendie Kommunen entlastet werden. Der Bund beispiels-weise beteiligt sich an den Kosten der Unterkunft undHeizung in den Jahren 2011 bis 2017, was zu Entlastun-gen von 8,7 Milliarden Euro führen wird.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen, dassmöglichst viele Menschen für ein menschenwürdigesLeben einer Erwerbstätigkeit in einer Arbeitswelt mitfairen Bedingungen nachgehen können. Die dauerhafteEingliederung in Arbeit ist daher ein wichtiges Ziel. Wirhaben ein Gesamtbudget von rund 8 Milliarden Euro fürLeistungen zur Eingliederung in Arbeit. Daraus werdenmit Sonderprogrammen wie „Perspektive 50plus“ der-zeit 78 regionale Beschäftigungspakte für Ältere bei derEingliederung erwerbsfähiger Langzeitarbeitsloser über50 unterstützt. Der Erfolg gibt diesem Programm recht.
Von den betroffenen 530 000 Langzeitarbeitslosen über50 haben mehr als 63 000 Männer und Frauen allein imJahr 2012 den Einstieg in die Wiederbeschäftigung ge-schafft.Ein weiteres Sonderprogramm ist vorhin schlechtge-redet worden. Ich weiß nicht, warum. Es ist das „Mo-dellprojekt Bürgerarbeit“. Mit Bundesmitteln in Höhevon 150 Millionen Euro wird dieser Ansatz zur Integra-tion arbeitsloser erwerbsfähiger Leistungsberechtigtererprobt. Allein in meinem Wahlkreis Waldshut gab esMittel für 50 solcher Arbeitsplätze. Der Geschäftsführerder AWO in Waldshut, mit dem ich gestern telefonierthabe, hat mir erklärt, dass er das Modell aus seiner Sichtfür erfolgreich hält, weil es für Menschen mit multiplenVermittlungshemmnissen in einem eher geschützten Be-reich die Möglichkeit zu regelmäßiger Arbeit bietet.Dieses Beispiel aus der Praxis zeigt doch, dass das Geldgenau da ankommt, wo es hingehört. Die AWO bedauertübrigens tatsächlich, dass dieses Projekt Ende des Jahresausläuft.
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Gabriele Schmidt
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Wir kommen darauf noch zu sprechen. Ein neues Projektist auch in Arbeit.In dem vorliegenden Haushalt werden 3,5 MillionenEuro für den „Nationalen Aktionsplan der Bundesregie-rung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonven-tion“ und für den „Teilhabebericht“ bereitgestellt. Ge-rade letzte Woche haben wir über die Umsetzung derUN-Behindertenrechtskonvention hier in diesem Hausdiskutiert.Rund 261 Millionen Euro umfasst das finanzielle Vo-lumen zur Stärkung der Gleichbehandlung und Förde-rung von Chancengleichheit und Inklusion. Der größteTeil geht an Verkehrsunternehmen für die Erstattung vonFahrgeldausfällen. Gut die Hälfte der schwerbehindertenMenschen ist freifahrtberechtigt. Sie können ihren All-tag mit dieser Mobilität selbstbestimmter und unabhän-giger gestalten. Wenn ein Sehbehinderter kostenlos denÖPNV benutzt, ist das ein kleiner, aber wichtiger Bau-stein zur Verwirklichung von Inklusion, für den Mittelim Haushalt eingestellt sind.
Aus unserer Sicht ist der Einzelplan 11 die konse-quente und verlässliche Umsetzung des Wahlprogrammsund des Koalitionsvertrags und damit der erklärte Willeder CDU/CSU-Fraktion. Der Etat Arbeit und Sozialesist, wie häufiger hier erwähnt, der größte Einzeletat imHaushalt der Bundesrepublik. Er ist aber auch der Etat,der bei den Menschen direkt ankommt, und genau des-wegen ist er gut und richtig so.
Ich hatte gehofft, noch ein paar Sekunden Redezeit zuhaben; nun habe ich sie nicht mehr. Ich wollte eigentlichAbgeordneten meiner eigenen Fraktion eben einmal wi-dersprechen. Kollege Stracke, der Erfolg spricht nichtnur bayerisch, sondern auch alemannisch und schwä-bisch.Vielen Dank.
Ebenfalls für die Unionsfraktion hat nun der KollegeAxel E. Fischer das Wort.
Axel E. Fischer (CDU/CSU):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutigeDebatte über den Entwurf des Einzelplans 11, Arbeitund Soziales, der Großen Koalition zeigt ganz deutlich:Die christlich-liberale Koalition hat in den vergangenenvier Jahren eine erfolgreiche Arbeit geleistet.
Wir haben mit einer vorausschauenden, zukunftsorien-tierten Wachstumspolitik, mit vielen ordnungspoliti-schen, notwendigen und sinnvollen Maßnahmen die Fi-nanz- und Wirtschaftskrise erfolgreich gemeistert. Wirhaben viele Menschen wieder, andere neu in Arbeit ge-bracht. Wir haben den Bundeshaushalt konsolidiert. Wirhaben gerade im Bereich der Arbeitsvermittlung bei derAktivierung von Langzeitarbeitslosen und bei den ar-beitsmarktpolitischen Instrumenten Erfolg gehabt.
Dank einer auf Wachstum orientierten, auf sparsamesHaushalten und weniger auf Umverteilung ausgerichte-ten Politik haben wir heute eine solide finanzielle Basisfür eine zukunftsfähige Arbeits- und Sozialpolitik. Dankder großen Leistungen von Arbeitnehmern und Unter-nehmern floriert die Wirtschaft, die Steuer- und Abga-benquellen sprudeln, und auch Löhne, Gehälter undRenten sind gestiegen.
Die weiteren Aussichten sind gut: Die Bundesregie-rung rechnet im kommenden Jahr mit 2 Prozent realemWirtschaftswachstum, und die Lage am Arbeitsmarkt istbei steigender Erwerbstätigkeit mit unter 3 MillionenArbeitslosen stabil.
– Ich finde es bedauerlich, dass das bei den Grünenkeine Freude auslöst. Ich finde es schön, wenn die Wirt-schaft so funktioniert, dass wir mit unter 3 Millionen Ar-beitslosen sehr gut dastehen. Davon haben Sie in der rot-grünen Regierungszeit geträumt.
Die Bundesagentur für Arbeit wird 2014 und in denkommenden Jahren – das mag Ihnen auch nicht gefallen,aber zum Glück ist es so – voraussichtlich Überschüsseerzielen können.
Ein ausgeglichener Bundeshaushalt mit schwarzer Nullist greifbar nahe. Auch das hätten Sie sich in Ihrer Re-gierungszeit nie vorstellen können.
Liebe Frau Ministerin Nahles, Ihre Vorgängerin, FrauMinisterin von der Leyen, und unser Kollege Staatsse-kretär Fuchtel haben ein Haus hinterlassen, das ordent-
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lich aufgeräumt ist. Ich glaube, es liegt jetzt an uns, waswir, was Sie, was wir gemeinsam daraus machen.
Deutschland ist gut durch die Krise gekommen. DerWachstumspakt hat gewirkt.
Damit treten verstärkt neue politische Herausforderun-gen in den Vordergrund.Meine Damen und Herren, dem trägt die neue Bun-desregierung in ihrem ersten Haushaltsentwurf schonRechnung. Die im Entwurf des Bundeshaushaltes2014 für den Einzelplan 11 geplanten Ausgaben von122,3 Milliarden Euro – das wurde schon mehrfach an-gesprochen – liegen um knapp 4 Milliarden Euro überden Ansätzen des vergangenen Jahres. Dieser erste An-stieg nach Jahren konsequenter Einsparung ist beileibekeine politische Kehrtwende; denn mit der Überwindungder Wirtschafts- und Finanzkrise haben sich die arbeits-markt- und sozialpolitischen Verhältnisse und Prioritätenentsprechend geändert.
– Lieber Herr Kollege Kampeter, dann erwähne ich gernauch Sie mit, da Sie als Staatssekretär im Finanzministe-rium Ihren Anteil daran gehabt haben.
Meine Damen und Herren, nachdem jetzt auch derKollege Kampeter im Protokoll entsprechend gewürdigtwurde – den Kollegen Brauksiepe möchte ich natürlichnicht vergessen –,
möchte ich fortfahren.
– Ich habe noch über zwei Minuten. Also keine Sorge!Was ich transportieren will, kriege ich schon noch rüber.
– Wenn Sie eine Frage stellen wollen, gern! Dann habeich noch mehr Zeit.Ich möchte feststellen, dass mit dieser Politik, die dieneue Regierung jetzt macht, im Wesentlichen das fortge-setzt wird, was die frühere Regierung vorangetriebenhat.
Das heißt: Kontinuität ist angesagt.Das Ziel der erfolgreichen Vermittlung langfristig Ar-beitsloser in den ersten Arbeitsmarkt bleibt bestehen:Trotz gesunkener Arbeitslosenzahlen will die Bundesre-gierung nicht nur an der Höhe der Eingliederungsleistun-gen nach dem Sozialgesetzbuch II festhalten; nein, siewill zusätzlich jährlich weitere 350 Millionen Euro zurVerfügung stellen. Sie wird auch deshalb mehr Mittelbereitstellen, weil mit der Steigerung des Anteils schwerzu vermittelnder Arbeitsloser zwangsläufig auch der in-dividuelle Vermittlungsaufwand steigt.
Das weiß auch mein Freund und Kollege Ewald Schurervon der SPD-Fraktion. Wir arbeiten übrigens ganz fan-tastisch zusammen.
Die Vermittler in der Bundesagentur für Arbeit, denenich an dieser Stelle für ihren Einsatz sehr herzlich dan-ken möchte, müssen jetzt zunehmend dickere Bretterbohren, um Arbeitsuchende in Arbeit zu bringen. Das istdeutlich schwerer geworden.In diesem Zusammenhang verweise ich auf die ziel-gerichteten Sonderprogramme des Bundes – auch diesewaren schon Thema in der heutigen Debatte – wie die„Perspektive 50plus“, das Modellprojekt „Bürgerarbeit“und das Bundesprogramm für arbeitsmarktferne Lang-zeitarbeitslose.Meine Damen und Herren, unsere Gesellschaft be-steht aber auch aus jungen Menschen.
Gerade auch diese sollten für einen erfolgreichen Startins Berufsleben unterstützt werden.
– Doch, das machen wir sehr wohl; denn die Bundes-regierung führt das erfolgreiche 12-Milliarden-Euro-Programm für Bildung und Forschung aus der letztenLegislaturperiode fort.
Deshalb sind im Regierungsentwurf 107 Millionen Eurozusätzliche Mittel für die Kofinanzierung der Berufsein-stiegsbegleitung und vor allem für das SonderprogramMobiPro-EU vorgesehen.
Dieses Programm, lieber Kollege Kampeter, war schonmehrfach Thema heute. Ich möchte Ihnen noch einmaldafür danken, dass Sie sehr schnell dafür gesorgt haben,dass wir nicht in eine Lücke geraten sind. Das Entschei-dende wird sein, dass wir Mittel und Wege finden – so-gar dazu gab es heute eine Zwischenfrage –, dass wirdieses Programm fortführen können und dass es nichtaustrocknet. Wir müssen schauen, wie wir im Einzel-plan 11 ein bisschen drauflegen können, Frau Ministerin.
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Ich hoffe, Sie können uns Vorschläge unterbreiten, wo-her wir das eine oder andere nehmen sollen.Meine Damen und Herren, es blinkt das Licht desPräsidenten. Ich möchte mich für Ihre Aufmerksamkeitherzlich bedanken. Ich glaube, wir werden gute Beratun-gen zum Einzelplan 11 führen können. Ich danke Ihnenfür die Aufmerksamkeit und hoffe, dass auch die Oppo-sition konstruktiv an dieser Etatberatung mitwirkenwird.Herzlichen Dank.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegennicht vor.Wir kommen schließlich zum Geschäftsbereich desBundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bauund Reaktorsicherheit, Einzelplan 16.Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen in denFraktionen möglichst zügig vorzunehmen und die ent-sprechende Aufmerksamkeit herzustellen.
Nachdem auch die Zugangswege zum Rednerpultwieder frei sind, hat die Bundesministerin Dr. BarbaraHendricks das Wort.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Umwelt- und Naturschutz, Stadtentwicklung und Bauen,gebündelt in einem Bundesministerium – das gab esnoch nie. Es gab also noch nie einen Haushaltsentwurffür ein solches Haus. Deshalb freue ich mich, Ihnenheute Abend einige interessante Neuigkeiten vorstellenzu können.In der vergangenen Woche wurde in Japan der zweiteTeil des neuen Sachstandsberichtes des WeltklimaratesIPCC verabschiedet. Der Bericht bestätigt, dass bei un-verändertem Wachstum der Emissionen mit einem glo-balen Temperaturanstieg von 4 Grad Celsius gegenübervorindustriellem Niveau gerechnet werden muss unddass daraus sehr hohe Risiken für Mensch, Gesellschaftund Ökosysteme resultieren – eine Welt, die wir uns garnicht mehr vorstellen können. In dieser Woche tagt derIPCC in Berlin, um den dritten Teil des Berichts zu ver-abschieden, der sich mit den Handlungsmöglichkeitenim Klimaschutz befasst, also auch mit den Anpassungs-möglichkeiten beim Klimawandel.Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Klimaschutzsteht bei mir ganz oben auf der umweltpolitischenAgenda. Die Bundesregierung steht zur Umsetzung derKopenhagen-Zusage. Im Hinblick auf den BMUB-Haus-halt schlägt sich das unter anderem darin nieder, dass wirdie internationale Klimaschutzinitiative auf erhöhtemNiveau von rund 309 Millionen Euro fortführen,
um weltweit Klima- und Biodiversitätsprojekte inEntwicklungs- und Schwellenländern zu fördern. Einschönes Beispiel ist ein deutsch-britisches Programm,das mehrere Partnerländer dabei unterstützt, den Über-gang zu einer emissionsarmen Entwicklung zu meistern.Internationale Klimaschutzfinanzierung ist ein entschei-dender Hebel im Hinblick auf ein ambitioniertes, neuesKlimaabkommen 2015 in Paris.
Darüber hinaus sind die bisher im Sondervermögen„Energie- und Klimafonds“ für den internationalenKlimaschutz vorgesehenen Mittel jetzt in den Haushal-ten des BMUB und des BMZ veranschlagt. Der BMUB-Anteil beträgt fast 190 Millionen Euro.Wir müssen verstärkt daran arbeiten, dass wir auchunsere ehrgeizigen nationalen Klimaschutzziele errei-chen. Ich werde in den nächsten Wochen erste Eck-punkte des Aktionsprogramms Klimaschutz 2020 anmeine Ressortkollegen versenden. In einer ressortüber-greifenden Arbeitsgruppe werden wir auf der Basis die-ser Eckpunkte die konkreten Maßnahmen verabredenund sie im Herbst im Kabinett verabschieden. Ichglaube, dass wir uns da alle gemeinsam noch viele Ge-danken machen müssen und das nicht ohne Widerständegehen wird.Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei aller Ambition:Der Klimawandel ist im Gange, und er wird auch hier inDeutschland verstärkte Auswirkungen haben. Wir habendeshalb die Mittel des noch recht jungen Programms zurFörderung von Maßnahmen zur Anpassung an den Kli-mawandel noch einmal um 1 Million Euro auf nunmehr4 Millionen Euro erhöht. Damit werden insbesondere in-novative und modellhafte Projekte auf regionaler undkommunaler Ebene gefördert.
Die Zuständigkeit für die Energiewende ist, wie Siewissen, auf den Bundeswirtschaftsminister übergegan-gen. Die bisher im BMUB-Haushalt veranschlagtenProgrammmittel für erneuerbare Energien sowie derBeitrag für die Internationale Organisation für Erneuer-bare Energien, IRENA, sind deshalb in einem Umfangvon rund 425 Millionen Euro in den Haushalt des Bun-deswirtschaftsministeriums umgesetzt worden. Die ge-änderte Veranschlagung ist der wesentliche Grund dafür,dass die insgesamt veranschlagten Programmmittel fürdie Bereiche Umwelt- und Naturschutz, Klimaschutz so-wie Reaktorsicherheit und Strahlenschutz gegenüber2013 um rund ein Viertel auf nunmehr gut 605 MillionenEuro sinken.Selbstverständlich bleibt die Energiewende für meinHaus weiterhin ein wichtiges Thema.
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Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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Die Energiewende kann nur erfolgreich sein, wenn wirdabei auch die vielfältigen Aspekte des Umwelt- undKlimaschutzes berücksichtigen und sie umweltverträg-lich gestalten. Die ökologische Begleitforschung warinsoweit schon bisher eine Aufgabe des BMUB, die al-lerdings aus den Programmmitteln für erneuerbare Ener-gien finanziert wurde. Deshalb sind von den zum Bun-deswirtschaftsministerium umgesetzten Mitteln für dieerneuerbaren Energien dennoch 8 Millionen Euro imBMUB-Haushalt verblieben und nunmehr im Umwelt-forschungsplan veranschlagt.
In diesen Kontext sind auch die Leistungen des neuenKompetenzzentrums „Naturschutz und Energiewende“einzuordnen, dessen Einrichtung im Koalitionsvertragvereinbart wurde. Hier geht es insbesondere darum, beiInteressenkonflikten zwischen dem Ausbau der erneuer-baren Energien und dem Naturschutz unter Bereit-stellung besonderer fachlicher Expertise zu einer Ver-sachlichung beizutragen und Konfliktvermeidung zubetreiben.Meine liebe Kolleginnen und Kollegen, beim Themakerntechnische Entsorgung sind wir mittlerweile auf ei-nem guten Weg. Ich freue mich, dass wir uns hier undheute mit der Kommission „Lagerung hochradioaktiverAbfallstoffe“ befasst und uns auf eine Doppelspitze ver-ständigt haben. Ich denke, dies ist für alle Beteiligtendurchaus eine nicht nur tragfähige, sondern gute Lösung,die die Chance einer fairen und zielführenden Kommis-sionsarbeit eröffnet.
Für die wichtige Aufgabe als Brückenbauer wünscheich Frau Kollegin Heinen-Esser und Herrn KollegenMichael Müller eine glückliche Hand.
Ich werde in diesem Jahr das neue Bundesamt fürkerntechnische Entsorgung errichten. Mit dem BMUB-Haushalt 2014 sind die Voraussetzungen für den Beginnder Arbeit geschaffen worden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den Endlagernkönnen wir die Ausgaben um etwas mehr als 56 Millio-nen Euro absenken. Der Ansatz für das Projekt Gorlebenwird um 36 Millionen Euro auf nunmehr 40 MillionenEuro abgesenkt. Dies entspricht der Schätzung des in2014 anfallenden Aufwandes für die verbleibendenRest- und Übergangsarbeiten.Für die Schachtanlage Asse veranschlagen wir etwasmehr als 121 Millionen Euro, das sind rund 20 MillionenEuro weniger als 2013. Die Absenkung trägt einerseitsden bestehenden Unwägbarkeiten und andererseits derMöglichkeit Rechnung, den gegebenenfalls entstehen-den Mehrbedarf zu decken. Die Ansätze für die ProjekteKonrad und Morsleben werden unverändert fortge-schrieben: Schacht Konrad mit 200 Millionen Euro undMorsleben mit 50 Millionen Euro. Das sind die aktuellenKosten der Hinterlassenschaft der sogenannten friedli-chen Nutzung der Kernenergie.Lassen Sie mich nun zum Bereich Bauen und Stadt-entwicklung kommen. Wir wollen diesen Bereich wiederstärker in den Fokus der Bundespolitik stellen. EinSchwerpunkt meines Hauses wird darin bestehen, dieStädte zukunftsfähiger zu machen und sie in ihrer Ent-wicklung zu unterstützen. Wir wollen lebenswerteStädte, in denen auch in Zukunft Menschen aller Ein-kommensgruppen, jeden Alters und auch jeder Herkunftnicht nur nebeneinander, sondern miteinander leben kön-nen.
Ab sofort wird es auch darum gehen, den Bereich Bauund Stadtentwicklung sehr viel stärker als bisher mitdem Umwelt- und Naturschutz zu verbinden. Dazu bie-tet die jetzt bestehende Bündelung der Aufgaben untereinem Dach eine gute Chance. Städte sind die zentralenOrte der ökologischen Modernisierung unserer Gesell-schaft und des sozialen Ausgleichs.Die Mittel für Wohnungswesen und Städtebau sowieHochbau und Fördermaßnahmen in Berlin und Bonnstellen mit insgesamt knapp 2,2 Milliarden Euro rund60 Prozent des neuen gesamten BMUB-Haushaltes dar.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bauleute habenzwar relativ viel Geld mitgebracht, aber außer bei derStädtebauförderung, für die uns in der Tat neue Mittelzur Verfügung stehen, ist natürlich alles andere in Pro-jekten verplant:
Bundesnachrichtendienst, Botschaft in Washington,Deutsche Schule in Spanien usw. Diese Projekte sind imGange, und wir können nicht frei über das frische Geldverfügen. Es hört sich nach mehr an, als es ist. Die Auf-gaben sind natürlich trotzdem schön und herausfordernd.Also: Die Mittel für die Städtebauförderung werdendeutlich aufgestockt. Gegenüber dem ersten Regierungs-entwurf sehen wir bereits in diesem Jahr eine Erhöhungum über 12 Millionen Euro auf nunmehr 399 MillionenEuro vor. Das Gesamtvolumen 2014 wird auf 700 Mil-lionen Euro erhöht, eine, wie ich finde, sehr richtige undweitsichtige Entscheidung der Koalition.
Wir wissen, dass die Anzahl haushaltsschwacherKommunen in den letzten Jahren zugenommen hat.Unser Ziel ist es, Kommunen und Regionen wiederhandlungsfähig zu machen. Das können wir durch dieAufstockung der Bundesmittel für die Städtebauförde-rung jetzt deutlich besser tun. Das Geld wird in Städteund Gemeinden aller Größenordnungen fließen, inMetropolen ebenso wie in kleinere Gemeinden im länd-lichen Raum.
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Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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Für den Programmtitel „Soziale Stadt“ stehen Mittelin Höhe von 150 Millionen Euro zur Verfügung. Ge-meinsam mit den Ländern fördern wir damit benachtei-ligte Stadtquartiere. Sie sollen städtebaulich aufgewertetwerden, indem zum Beispiel Begegnungsorte oderAnlaufstellen geschaffen oder ausgebaut werden. Auchöffentliche Plätze sollen sicher und lebenswert gestaltetwerden. Ich halte es für eine zentrale Zukunftsaufgabeganz allgemein, aber insbesondere auch für meinRessort, lebenswerte Wohnquartiere zu schaffen und dassoziale Miteinander zu gestalten.Wie Sie sehen: Es tut sich etwas in der Städtebauför-derung. Wir wollen nicht, dass Kommunen hintenrunterfallen. Wir wollen Chancengerechtigkeit, und wirwollen eine soziale Stadtentwicklung in Deutschlandvorantreiben. Dazu gehören auch die im BMUB-Haushalt veranschlagten Mittel zur nationalen Kofinan-zierung des neuen ESF-Bundesprogramms „Bildung,Wirtschaft, Arbeit im Quartier“ mit einem Gesamtvolu-men von fast 65 Millionen Euro.Wir werden das Wohngeld überarbeiten. – Ich will esjetzt etwas kürzen.
– Nein, ich will nicht das Wohngeld kürzen, sondern denRedefluss kürzen.
Wir haben uns das vorgenommen. Wir müssen dies mitden Ländern verabreden. Die Änderung sehen wir für2015 vor. Auch die Wohnungsbauprämie wird ange-passt.Ich würde es außerdem sehr begrüßen, wenn dieerneute Auflage eines Programms für altersgerechtesUmbauen möglich gemacht werden könnte. Neben derNovellierung des Wohngeldes wird dieses Programm einwichtiger Punkt sein,
der spätestens bei der Aufstellung des Haushalts 2015 zuerörtern sein wird.Der Ihnen heute vorliegende Haushalt des Bundes-ministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-torsicherheit ist mit den Haushalten der Vorjahre natür-lich nicht mehr vergleichbar. Dies liegt nicht nur daran,dass er erstmals und vollständig in der vom Haushalts-ausschuss initiierten neuen Struktur erstellt worden ist.Prägend sind vielmehr der neue Zuschnitt meines Hau-ses und die Übertragung umfangreicher neuer Zustän-digkeiten. Das Gesamtvolumen liegt jetzt insgesamt beiüber 3,6 Milliarden Euro und hat sich im Vergleich zumHaushalt 2013 mehr als verdoppelt. Das spiegelt den ge-wachsenen Aufgabenbereich wider.Umweltschutz und sozialen Ausgleich, die Belangeder Städte und der schutzbedürftigen Landschaft und derNatur zusammenzudenken und danach zu handeln, dasbedeutet, nachhaltige Entwicklung ernst zu nehmen,nachhaltige Entwicklung im besten Sinne. Dafür istmein Haus jetzt gut aufgestellt.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Frak-
tion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Damen undHerren! Frau Umweltministerin Hendricks, ehrlich: Wirhatten Hoffnungen in Ihre Umwelt- und Klimapolitik ge-setzt. Ich befasse mich in meiner Rede mit dem Klima-und Umweltteil. Dazu muss ich sagen: Ich höre IhreWorte wohl; allein, mir fehlt der Glaube. Zwei Beispiele:Erstens: Klimaschutz. Der weltweite Kohlendioxid-ausstoß stieg auf Rekordniveau. Deutschland hat 1 Pro-zent der Weltbevölkerung, verursacht aber fast 3 Prozentdes Kohlendioxidausstoßes. Und was planen Sie imHaushalt? Kürzung der Mittel für die Nationale Klima-schutzinitiative um ein Drittel, Kürzung der Mittel fürden Waldklimafonds um die Hälfte, Kürzung des Ener-gieeffizienzfonds um 43 Prozent. Im Haushalt sind400 Millionen Euro weniger für den Schutz des Klimasund für den Schutz von Menschen vor den Folgen desKlimawandels vorgesehen. Sorry, aber wenn Sie ange-sichts dessen mit einer Erhöhung des CO2-Gebäude-sanierungsprogramms um 33 Millionen Euro daherkom-men, ist das einfach nur noch peinlich.
Jetzt komme ich zu Ihrem Lieblingskind, zur strom-intensiven Großindustrie. Sie stellt dank Ihres Haushalts-entwurfs und der Energiepläne von Herrn Gabriel schonmal den Sekt kalt. Statt 6,24 Cent je Kilowattstunde zahltdie stromintensive Großindustrie nur 0,05 Cent EEG-Umlage.
Ein Tusch auf Union und SPD! Netzentgelte von durch-schnittlich 5 Cent je Kilowattstunde zahlen alle, außerder Großindustrie. Ein Tusch auf Union und SPD!Strompreise von unter 4,5 Cent je Kilowattstunde für diestromintensive Großindustrie. Darauf einen Tusch!
Der Bäcker, die Rentnerin, der Arbeitslose, die Studen-tin, die kleinen und mittleren Firmen hingegen stöhnenüber einen Strompreis von 30 Cent je Kilowattstunde.Die müssen für die stromintensive Industrie mitbezah-len. Eine Zugabe haben Sie noch: Für die energieinten-
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sive Großindustrie, die derzeit unter einem Strompreisvon unter 4,5 Cent leidet, planen Sie weitere 350 Millio-nen Euro Zuschuss aus dem Klimafonds;
klar, zum Ausgleich für Wettbewerbsnachteile. Als dieseUnternehmen noch 6 Cent je Kilowattstunde bezahlten,als für 1 Tonne CO2 bei der fossilen Stromerzeugungnoch jeweils 14 Euro in den Strompreis eingepreist wur-den, da gab es diesen Zuschuss nicht. Heute, wo Vatten-fall, RWE, Eon und EnBW nur noch 3,60 Euro je Zertifi-kat, je Tonne CO2 bezahlen müssen, wo der Strompreisfür Ihre Lieblinge bei unter 4,5 Cent liegt, zahlen Sie350 Millionen Euro für Wettbewerbsnachteile? Das istIrrsinn. Stecken Sie diese Millionen besser in den Kli-maschutz!
Zweitens: Hochwasser. 2002 war das Jahrhundert-hochwasser im Elbe-Gebiet – mit Rekordpegeln. 2013war das Jahrhunderthochwasser im Elbe-Gebiet – mitneuen Rekordpegeln. Häufigere Jahrhunderthochwasserzeugen vom Klimawandel.Beim Hochwasserschutz wird viel zu wenig getan. ImJuni 2013 kämpften die Menschen in Greiz, Gera undanderen Orten mit der Jahrhundertflut. Die Rundfunkan-stalten meldeten: Hochwasserwarnstufe 3 in Thüringenausgerufen. – Das ist die höchste Stufe in Thüringen. DieMenschen in Sachsen-Anhalt, die flussabwärts wohnten,hörten: „Stufe 3“, und dachten sich: Kein Problem, erst abHochwasserstufe 4 wird es in Sachsen-Anhalt kritisch. –Dann stand das Wasser bereits in der Stube. Deshalb for-dert die Linke eine Koordinierung des Hochwasserschut-zes und eine Vereinheitlichung der Hochwasserwarnstu-fen.
Der Saale-Orla-Kreis in Thüringen lebt vom Touris-mus an den Saaletalsperren. Die Touristen finden Tal-sperren mit hohem Wasserstand schöner. Beim Hoch-wasser 2013 fehlte dann dringend benötigter Stauraum.Dumm für Weißenfels und Halle an der Saale; die soffenab. Stecken Sie die 350 Millionen Euro in die Einrich-tung von Überschwemmungsflächen, die Renaturierungvon Feuchtgebieten – das ist übrigens gleichzeitig Natur-schutz –, abgestimmte technische Hochwasserschutz-maßnahmen und in eine gemeinsame Koordinierungs-stelle Hochwasserschutz.
Frau Ministerin, wir beide kennen die kritische Situa-tion in der Asse. Wir beide waren nach der Besichtigungerschüttert. Aber wieso kämpfen Sie nicht für die not-wendige Aufstockung der Gelder, um den Atommüll ausder Asse zu holen?
Erst 2033 soll nach Ihrer Aussage die Bergung begin-nen – viel zu spät. Bei Ihrem Tempo sehe ich bei derAsse-Sanierung schwarz. Die Chancen für eine kom-plette Bergung des Atommülls sinken auf null.Nach Ihrem Haushaltsentwurf sehe ich beim vorbeu-genden Hochwasserschutz schwarz. Denn für die not-wendigen Maßnahmen gibt es null Euro. Die Nullnum-mer beim Klimaschutz sorgt beim Temperaturanstieg fürschwarze Aussichten. Ihre Götzenanbetung, die schwarzeNull, verhindert Umweltschutz und muss aufhören. In-vestieren Sie in die Umwelt! Davon haben auch IhreKinder etwas. Die Linke will beim Hochwasserschutzvorbeugen, den Klimaschutz vorantreiben und die Asserechtzeitig sanieren. Sie können unsere Vorschläge gerneeinarbeiten.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege
Christian Haase.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Hendricks! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Vor uns liegt nicht nurder Entwurf des Haushalts 2014, sondern auch die Leis-tungsbilanz von Bundesfinanzminister Dr. WolfgangSchäuble. Der Bundeshaushalt für das laufende Jahrweist erstmals seit Jahrzehnten kein strukturelles Defizitauf. Im Gegenteil: Strukturell erwirtschaften wir einenÜberschuss von 1,8 Milliarden Euro.
Wolfgang Schäuble legt damit einen Meilenstein, vondem aus wir im nächsten Jahr in die Nullverschuldunggehen. Wir haben finanzielle Spielräume freigeschaufeltund sind wieder in der Lage, uns auf langfristige Priori-täten in der Zukunft zu konzentrieren. Wir übernehmendamit Verantwortung über die zeitlichen und geografi-schen Grenzen hinweg. Das ist Politik im Zeichen derNachhaltigkeit.
„Nachhaltigkeit“ ist ein Begriff, der ursprünglich ausder Umweltpolitik kommt. Damit wird auch ein ganzwichtiger Zusammenhang deutlich: Je solider wir unsereFinanzpolitik gestalten, desto mehr können wir die Um-weltpolitik zu einem zentralen Gestaltungsfeld der Poli-tik entwickeln.
Das erreichen wir auch mit dem vorliegenden Haus-haltsentwurf für das laufende Jahr. Die Programmausga-ben für den Umweltschutz und den Endlagerbereich stei-gen leicht auf 1 050 Millionen Euro.
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2564 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Christian Haase
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Hinzu kommen 6,6 Milliarden Euro für den Umwelt-schutz in anderen Einzelplänen. Wenn man den Energie-und Klimafonds mit 1,6 Milliarden Euro dazu nimmt, istdeutlich, welche Summe wir in diesem Bereich in dieHand nehmen.
Wir nehmen die Zukunft in den Blick: Insbesonderedie Forschungsausgaben für den Naturschutz steigen um78 Prozent, die Mittel für Maßnahmen zur Anpassung anden Klimawandel werden um 33 Prozent erhöht. DieEndlagersuchkommission kommt. Der Asse-Fonds wirderstmals aufgelegt, und das Bundesamt für kerntechni-sche Entsorgung wird auf den Weg gebracht.Für die CDU/CSU in der Bundesregierung ist klar:Deutschland trägt für eine sichere und saubere ZukunftVerantwortung über die geografischen Grenzen hinaus.
Deshalb nehmen wir im Einzelplan des Umweltministe-riums fast 8 Millionen Euro zusätzlich für die internatio-nale Klimaschutzinitiative in die Hand.
Der IPCC-Bericht zu den Auswirkungen des Klima-wandels bekräftigt unmissverständlich, dass die Welthandeln muss, um der nächsten Generation eine saubereund sichere Welt zu hinterlassen.
Dabei handeln wir glaubwürdig. Deutschland setzt unterder Führung von Angela Merkel die Energiewende kon-sequent um und leitet damit auch international ein Um-denken ein.
Deutschland geht mit der CDU-geführten Bundesregie-rung als Vorreiter im Klimaschutz voran, auch wenn daseinige hier im Hause wurmt.
Wir werden nun schauen, wie die Verhandlungen zurAnfinanzierung des Green Climate Fund im Mai diesesJahres ausgehen. Diesen Prozess werden wir aktiv be-gleiten. Aber da blicken wir vorwiegend auf den Haus-haltsplanentwurf 2015.
Ich will daran erinnern: Im letzten Jahr haben wir1,8 Milliarden Euro für die Finanzierung internationalerKlimaschutzprojekte bereitgestellt.
Nun erwarte ich natürlich auch ein klares Bekenntnis deranderen Staaten, spätestens 2015 in Paris.Neben allen Finanzierungsrunden müssen und wollenwir auch konkret werden; das Klima wartet nicht aufuns. Ich messe deshalb dem Waldschutz eine besondereBedeutung für den Klimaschutz zu.
Wälder sind wichtige Klimaschützer, weil sie CO2 bin-den und speichern. Zugleich sind sie von den Auswir-kungen des Klimawandels besonders betroffen. Nurdurch einen verantwortungsvollen Umgang mit demWald können wir die Wiege der Nachhaltigkeit erhalten.
Der nationale Waldklimafonds als Teil des Energie-und Klimafonds ist erfolgreich angelaufen, könnte abernoch ausgebaut werden. Waldschutz ist aber insbeson-dere international von Bedeutung. Wir müssen daher ge-zielt weiterhin Maßnahmen zum Schutz der Tropenwäl-der fördern.
Mit der Aufstockung der Mittel für Investitionen zumSchutz des Klimas und der Biodiversität im Ausland umknapp 8 Millionen Euro leisten wir auch einen signifi-kanten Beitrag zur Erhöhung der Mittel für Entwick-lungszusammenarbeit. Auch hier sind wir erfolgreichund glaubwürdig.
Meine Damen und Herren, sehr konkret wird der Um-welt- und Naturschutz für die Bürger vor Ort immer,wenn es um Hochwasserkatastrophen wie im letzten Jahrgeht. Im Juni 2013 traf Deutschland die zweite soge-nannte Jahrhundertflut. Gemeinsam mit den Bürgerinnenund Bürgern, Kommunen und Ländern müssen wir dafürsorgen, dass die Schäden bei zukünftigen Ereignissengeringer werden. Ich hoffe, dass in den Beratungen derUmweltministerkonferenz im August dieses Jahres eineEinigung über eine endgültige Projektliste erfolgt undwir aufsteigend ab 2015 konkrete Maßnahmen umset-zen. Wir dürfen die Bürgerinnen und Bürger – ichglaube, da sind wir uns hier im Hause einig – hierbeinicht im Stich lassen.
Überhaupt ist die Förderung von Bürgerbeteiligungund Transparenz insbesondere bei umweltrelevantenGroßvorhaben ein neuer Schwerpunkt der Umweltpoli-tik.
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Die massiven Proteste, zum Beispiel gegen den Bau dererforderlichen großen Stromtrassen in unserem Land,zeigen die Notwendigkeit. Die Umsetzung dieser Vorha-ben kann nur gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bür-gern gelingen. Daher muss ein neues Grundverständnisvon Bürgerbeteiligung in der Umweltpolitik entwickeltwerden.Meine Damen und Herren, die CDU/CSU hat vor derWahl und in den Koalitionsverhandlungen unmissver-ständlich klargemacht, dass Investitionen in Bildung, In-frastruktur und Städtebau Vorrang genießen. Wir habenWort gehalten und geben ein klares Bekenntnis zurStädtebauförderung ab: Die Programmmittel werdenvon 455 Millionen Euro auf 700 Millionen Euro erhöht.
Wie in der letzten Legislaturperiode unterstützt der Bunddamit, wie auch an anderen Stellen, die Kommunen.
Denn die deutliche Erhöhung der Mittel für die Städte-bauförderung hilft, den demografischen, sozialen undökonomischen Wandel zu meistern. Davon profitierendie Menschen, aber auch die örtlichen Handwerker undder Mittelstand im ganzen Land, von liebevollen Kur-orten wie Bad Liebenstein bis Gelsenkirchen.
Wir haben dabei die besonderen Herausforderungenin unseren größeren Städten im Blick. Wir wissen aberauch, dass der Großteil der 82 Millionen Menschen nichtin Großstädten, sondern in regionalen Mittelzentren undim ländlichen Raum lebt.
Den Schwerpunkt der Städtebauförderung bilden des-halb die Mittel für den Stadtumbau Ost und West mitzusammen 220 Millionen Euro. Zur Wahrung unsereskulturellen Erbes erhöhen wir die Mittel für den Denk-malschutzbereich um 29 Millionen Euro auf 125 Millio-nen Euro.Im Mittelpunkt steht aber auch das Programm „SozialeStadt“ mit 150 Millionen Euro. Mit einem kleineren Teilder Mittel werden wir auf die besonderen Problemlagen ineinigen Großstädten reagieren. Aber insgesamt ist mirauch hier eine breite Verteilung der Mittel im ganzenLand wichtig. Neben den investiven Städtebaumitteln inbesonderen Problemlagen müssen weitere Mittel aus an-deren Programmen und anderen Ministerien zusammen-kommen, um einen integrierten Ansatz zu ermöglichen.Ich setze da voll auf das Ergebnis der Staatssekretär-runde zur Armutsmigration.
Wir wissen aber auch: Die Zahl der Menschen ab65 Jahre wird in den nächsten 30 Jahren von heute17 auf 24 Millionen anwachsen. Dieser Entwicklungmüssen wir auch im Wohnungsbau begegnen, damit äl-tere Menschen möglichst lange selbstbestimmt in ihrervertrauten Umgebung leben können. Sozialpolitisch sindhier Investitionen richtig; denn eine altersgerechteInfrastruktur mindert den Bedarf an teuren Pflegeein-richtungen. Deshalb wünsche ich mir, dass wir nachAuslaufen des aktuellen Programms erneut initiativ wer-den können.Meine Damen und Herren, ich freue mich auf konst-ruktive Gespräche.
Das Wort hat der Kollege Sven-Christian Kindler fürdie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin Hendricks! Ichwill am Anfang kurz betonen, dass ich mich freue, dassdie Endlagerkommission kommt. Ich hoffe, dass dieUmweltverbände sich daran beteiligen werden, weil ihregroße Sachkenntnis für den Erfolg dieser Kommissionsehr wichtig ist.
Auf alles Weitere zu der Kommission wird meine Kolle-gin Sylvia Kotting-Uhl später in ihrer Rede vertieft ein-gehen. Ich will dazu als Haushälter nur einen Punkt an-sprechen, und zwar die Errichtung des Bundesamts fürkerntechnische Entsorgung. Da frage ich mich schon,Frau Ministerin, warum jetzt im Haushalt 40 Stellen– zum Teil sehr hoch dotierte Stellen – vorgesehen sind,obwohl viele Aufgaben und Kompetenzen noch im Ne-bel liegen. Wir werden das im Haushaltsausschuss sehrkritisch überprüfen und da nachfragen, weil wir nichtwollen, dass es nachher zu Geldverschwendung und zuunnötiger Bürokratie kommt oder dass es Vorfestlegun-gen für den Endlagersuchprozess gibt.
Der Atomausstieg ist ein zentraler Teil der Energie-wende; aber das zweite wichtige Motiv für die Energie-wende war immer der Klimaschutz. Die Frage ist jetzt:Wie ist es bei der Großen Koalition eigentlich um denKlimaschutz bestellt? Ich habe Ihre schönen Worte, FrauMinisterin, wohl gehört. Nur, mit der Realität im Haus-halt hat das überhaupt nichts zu tun.
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Sven-Christian Kindler
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Wie viel Macht die Umweltministerin beim Thema Kli-maschutz hat, steht symbolisch dafür, wie es in der Bun-desregierung um den Klimaschutz steht. Die zentralenKompetenzen sind jetzt bei EnergiewendeministerGabriel. Bei den wenigen Themen, wo Sie etwas machenkönnten, Frau Hendricks, wollen oder dürfen Sie nicht.Das ist nicht nur eine Blamage für das Umweltministe-rium, das ist auch eine Katastrophe für den Klimaschutz.
Ich will Ihnen im Haushalt belegen, warum wir das sosehen. Sie haben selber den IPCC-Bericht angesprochen.Der UN-Klimarat tagt gerade hier in Berlin. Auch dazuhören wir wieder schöne Worte; aber das passt ebennicht zum Haushalt. Wenn man sich die entsprechendenHaushaltsansätze anschaut – Umweltministerium, Ent-wicklungsministerium, Energie- und Klimafonds –, dannsieht man, dass beim internationalen Klimaschutz 2014mindestens 350 Millionen Euro weggekürzt wurden. Fürdie darauffolgenden Jahre wurden die Verpflichtungser-mächtigungen, also die Gelder für die nächsten Jahre,um 1,2 Milliarden Euro zusammengekürzt. Damit sen-den Sie das verheerende Signal an die Welt, dass dieBundesregierung jetzt den internationalen Klimaschutz,die globale Gerechtigkeit endgültig beerdigt. Ich finde,das ist verantwortungslos, das ist zukunftsvergessen.
Zu Deutschland. Bei dem zentralen Klimaschutz-projekt, Frau Hendricks, der Energiewende, haben Sienichts zu melden. Die Zuständigkeit für die Energie-wende liegt jetzt beim Wirtschaftsminister. Das istschlecht für Klima und Gerechtigkeit; das ist nur gut fürdie alten Wirtschaftsstrukturen. Das kann man auch andem Kompromiss in Brüssel sehen. Da hat SigmarGabriel bis zu 2,5 Milliarden Euro zusätzliche Subven-tionen für die Großindustrie herausgeholt. Wer zahlt dieZeche für diese Subventionspolitik? Die Zeche zahlendie Verbraucher, die Kleinunternehmen, das Handwerk.Das ist nicht nur schlecht für das Klima, das ist vor allenDingen auch ungerecht.
Wir Grüne setzen in diesen Haushaltsverhandlungenauf das Motto: Investieren statt Subventionieren. Geradeim Bereich Klimaschutz, im Bereich Naturschutz, beider Energiewende müssen wir viel Geld in die Handnehmen und in die Zukunft investieren. Wir sagen auchklar: Das muss man solide gegenfinanzieren, und zwarüber den Abbau von klimaschädlichen Subventionen.Kollege Lenkert hat es schon angesprochen: Mit den350 Millionen Euro, die Sie neu in den Haushalt einstel-len, schaffen Sie eine neue klimaschädliche Subventionfür die Großindustrie. Dabei hat Ihnen Ihr eigenes Haus,Frau Hendricks, das Umweltbundesamt, bestätigt, dasspro Jahr 50 Milliarden Euro an klimaschädlichen Sub-ventionen gezahlt werden. Ich frage mich: Wann gehenSie das eigentlich an? Sie müssen natürlich kämpfen; dasist klar. Sie müssen gegen Herrn Schäuble und auch ge-gen den Wirtschaftsminister, Herrn Gabriel, kämpfen.Ich fordere Sie aber auf: Kämpfen Sie doch einmal! Ma-chen Sie etwas für den Klimaschutz, und bauen Sie Sub-ventionen ab!
Ich komme zum Baubereich. In Bezug auf die Städte-bauförderung wurde gesagt, dass die Mittel für das Pro-gramm „Soziale Stadt“ erhöht werden. Dafür haben wirGrüne in der letzten Legislaturperiode zusammen mitder SPD gekämpft. Ich finde es gut, dass die Mittel fürdie Städtebauförderung, insbesondere für das Programm„Soziale Stadt“, erhöht werden; denn Schwarz-Gelbhatte sie gekürzt. Das will ich einmal loben. Wir brau-chen das Programm „Die soziale Stadt“ in Deutschland.
Die Frage ist aber, wie Sie das gegenfinanzieren. DerBauetat ist insgesamt nicht gestiegen. Das heißt, für dieErhöhung der Mittel für die Städtebauförderung werdenüber den Haushalt hinweg viele Bauprogramme nach derRasenmähermethode gekürzt. Zum Beispiel können jetztdie beim Investitionsprogramm „Nationale UNESCO-Welterbestätten“ gekürzten Mittel für die Städtebauför-derung verwendet werden. Das bedeutet aber eben nur:linke Tasche, rechte Tasche. Angesichts des großen Be-darfs an Investitionen im Baubereich ist das verheerendund nicht sachgerecht.
Was die Gebiete Klimaschutz und Energieeffizienzanbetrifft, sind Sie im Baubereich einfach blank. So ha-ben Sie zum Beispiel die Mittel für Maßnahmen zurenergetischen Stadtsanierung auf fast die Hälfte zusam-mengestrichen. Das ist schlecht für das Klima, schlechtfür die Mieterinnen und Mieter und auch wieder schlechtfür das Handwerk. Frau Hendricks, gerade da, wo Sie fürden Klimaschutz etwas im Baubereich tun könnten, ha-ben Sie nichts getan, und das finde ich besonders pein-lich für eine Umweltministerin.
Ich weiß aber, Frau Hendricks: Es ist nicht allein IhreSchuld, dass Sie beim Klimaschutz so wenig machenkönnen. Das Problem ist der Subventionsminister undIhr Chef, Herr Gabriel. Frau Hendricks, wenn Sie sicheinmal entschließen sollten, ernsthaft etwas für denKlimaschutz zu tun, und sich einen Ruck geben, dannkönnen Sie sich sicher sein, dass wir Grüne Sie gegenSigmar Gabriel unterstützen.Vielen Dank.
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Der Kollege Steffen-Claudio Lemme hat nun für die
SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich möchte zunächst als Haushälter noch einmal daraufverweisen, dass Frau Dr. Barbara Hendricks ein völligneu zusammengestelltes Haus übernommen hat. HerrKindler, die Zuständigkeit für die Energiewende wurdeabgegeben, und wir haben Verantwortung für denBereich „Städtebau und Wohnungswesen“ übernommen.Durch diesen neuen Zuschnitt hat das Haus natürlicheine starke Aufwertung erfahren. Gegenüber demHaushalt des Jahres 2013 hat sich der Etat mehr als ver-doppelt.Die Zusammenführung von Umwelt- und Baupolitikist meiner Einschätzung nach äußerst sinnvoll; denn dieStädtebauentwicklung und der Baubereich sind wichtigeStellgrößen für den Klimaschutz. Es liegt in unserersozialen Verantwortung, dass das Wohnen trotz derEnergiewende für alle bezahlbar bleibt.
– Wir machen etwas.
Es geht darum, Soziales und Ökologie zukünftig stärkermiteinander zu denken.
– Sie quatschen. – In dieser Verantwortung stehen wiralle.Ich möchte auf drei Punkte des Haushaltsentwurfs zusprechen kommen: erstens Stadtentwicklung, zweitensNaturschutz und drittens Klimaschutz.Erstens. Die Aufstockung der Städtebaufördermittelvon 455 Millionen Euro auf 700 Millionen Euro ist eingroßer Erfolg, mit dem endlich eine jahrelange sozial-demokratische Forderung umgesetzt wird.
Besonders hervorheben möchte ich das Programm„Soziale Stadt“, das wir zum Leitprogramm innerhalbder Städtebauförderung machen. Mit diesem Programmwerden Städte und Gemeinden unterstützt, in denenArbeitslosigkeit, Bildungsarmut, vernachlässigte öffent-liche Räume und soziale Konflikte gebündelt auftretenund die somit der Gefahr einer sozialen Spaltung ausge-setzt sind. Anstatt wie zuletzt nur noch 40 MillionenEuro dafür zur Verfügung zu stellen, werden wir demProgramm mit diesem Haushalt endlich wieder einen hö-heren Stellenwert einräumen. Wir investieren 150 Mil-lionen Euro in die „Soziale Stadt“. Neu ist auch: Bleibenbei anderen Programmen der Städtebauförderung Gelderübrig, können diese künftig ebenfalls in die „SozialeStadt“ fließen.
Diese Möglichkeit blieb jahrelang verwehrt. Die Neue-rungen der Städtebauförderung sind ein großer Erfolg;denn damit unterstützen wir konkret die Menschen,Familien und Kinder in unserem Land, die Unterstüt-zung brauchen.
Zweitens. Im Bereich des Naturschutzes werden diewichtigen Ansätze fortgeführt. Hervorzuheben sind dasBundesprogramm Biologische Vielfalt und die Ausga-ben für Naturschutzgroßprojekte. Erst kürzlich warenSie, Frau Ministerin, in meinem Wahlkreis zu Gast, umeinen Fördermittelbescheid in Höhe von circa 10 Millio-nen Euro für das Naturschutzgroßprojekt „Hohe Schre-cke“ in Thüringen zu überreichen.Drittens, zum Klimaschutz. Der neueste Sachstands-bericht des Weltklimarates hat uns wiederholt die gravie-renden Folgen des Klimawandels vor Augen geführt.Um unser Ziel zu erreichen, den CO2-Ausstoß bis 2020um 40 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu senken,müssen wir daher starke Anstrengungen unternehmen.Dieser Verantwortung sind wir uns bewusst.
Der Umwelt- und Klimaschutz ist, wie wir alle wis-sen, eine Querschnittsaufgabe, die nicht alleine beimUmweltministerium liegt. Welche Bedeutung der Klima-schutz für die Koalition hat, zeigt sich beim Umweltetatin der Ausgabenerhöhung um 189 Millionen Euro fürdie Internationale Klimaschutzinitiative.
Man kann beim Haushalt des Bundesministeriums fürUmwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit alsowahrlich nicht von Einbußen beim Klimaschutz spre-chen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchteunserer Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks meineAnerkennung dafür aussprechen, dass sie die umweltpo-litischen Herausforderungen, vor denen wir stehen, zü-gig angeht und die richtigen Schwerpunkte zum Schutzvon Klima und Natur und zur Schaffung guten undbezahlbaren Wohnraums setzt. Dennoch: Wir Bericht-erstatter der Koalition werden im parlamentarischenVerfahren an der einen oder anderen Stelle versuchen,nachzusteuern. Zu nennen ist insbesondere die Neuauf-
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Steffen-Claudio Lemme
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lage eines Zuschussprogramms für den altersgerechtenUmbau.
Wir brauchen wieder eine zusätzliche, direkte Förde-rung von altersgerechten Umbaumaßnahmen. Vielen,insbesondere einkommensschwächeren, älteren Men-schen, bringen Kredite, wie es das bestehende Programmder Kreditanstalt für Wiederaufbau vorsieht, nichts.Denn viele ältere Menschen wollen keine Kredite mehraufnehmen, oder ihnen werden keine mehr gewährt.Bislang sind nur circa 600 000 Wohnungen in unseremLand altersgerecht. Das entspricht gerade einmal1,2 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes. Dabeiwird sich die Zahl der Menschen im Alter über 80 Jahrein unserem Land bis 2030 auf über 8 Millionen verdop-peln. Allein bis 2020 werden zusätzlich etwa 2,5 Millio-nen barrierearme Wohnungen benötigt. Wir wollen, dassältere Menschen möglichst lange in ihren eigenen vierWänden bleiben können.
Dies führt im Übrigen auch zur Vermeidung oder Verzö-gerung von Heimaufenthalten. Die Sozial- und Pflege-kassen könnten so um 5 Milliarden Euro jährlich bzw.im Jahr 2030 sogar um bis zu 7,5 Milliarden Euro jähr-lich entlastet werden. Dies belegt eine aktuelle Studieder Prognos AG.Über die Notwendigkeit eines solchen Programmsbereits ab diesem Jahr besteht auch über Fraktionsgren-zen hinweg Einigkeit. Daher werden wir uns in denweiteren Haushaltsberatungen für entsprechende Mittelstarkmachen.
Ich ziehe ein Fazit: Im Haushalt 2014 wurden dierichtigen Schwerpunkte bei Umwelt, Klima, Naturschutzund Wohnen gesetzt. Das Haus ist aus meiner Sicht gutaufgestellt.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Roland Claus für die Frak-
tion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! FrauBundesministerin, ich will über das Neuland in IhremEtat, also über den neuen Sektor für Bauen und Wohnen,reden. Sie haben mitgeteilt, dass Ihr Haus zusätzlichmehr als 2 Milliarden Euro bekommen wird. Sie sagten,die Bauleute hätten Ihnen das Geld mitgebracht, aber Ih-nen gesagt, dass alles schon verplant ist. Wenn ich Ihneneinen Tipp geben darf, Frau Bundesministerin: Wenn Siedenen das glauben, dann haben Sie schon verloren.
Wie ich Sie von unserer früheren Zusammenarbeit herkenne, sind Sie nicht so naiv, das zu glauben.„Bauen und Umwelt“ hat einen gewissen Charme;denn was wir bauen, bauen wir auch für unsere Enkel.Wir sollten uns in der Politik allgemein, aber speziell inder Bau- und Raumordnungspolitik immer fragen, obdas, was wir gerade tun, wirklich enkeltauglich ist.
Ich will mit etwas Positivem anfangen. Ich habe michgefreut, dass Mitte der 90er-Jahre die Entscheidung ge-fallen ist, das Umweltbundesamt in die neuen Bundes-länder nach Dessau, jetzt Dessau-Roßlau, zu geben. Ichhabe feststellen können, dass sich in den letzten Jahreneine sehr intensive Ausstrahlung in die Region und vonder Region zurück entwickelt hat. Es gibt die großenChemiestandorte und die Bauhaustradition. Ich habemich natürlich darüber geärgert, dass dieses wunderbareBeispiel nicht Schule gemacht hat und dass wir es mit ei-ner ungeheuren Anhäufung von Bundesämtern in Bonnzu tun haben. Dieses Beispiel, das zeigt, dass man auchin den neuen Bundesländern etwas erfolgreich etablierenkann, blieb einzigartig.
Bei der Städtebauförderung und beim Wohnungsbaumuss man ganz nüchtern sagen, dass die FDP bleibendeSchäden angerichtet hat. So wenig Konstruktives dieseFraktion in diesem Hause geleistet hat, so intensiv hatsie bleibende Schäden angerichtet. Das sieht man vor al-lem daran, wie die zukunftsfähige Wirkung der Maßnah-men in dem Einzelplan für Wohnungswesen und Städte-bau zerstört wurde. Vieles lässt sich nicht so einfachzurückholen.
Sie von der Koalition haben selbst gesagt, es gehe umeine Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus. Wirsind natürlich gern dabei. Aber bevor man etwas wieder-beleben kann, muss man sich zunächst eingestehen, dasseine Sache nahezu tot ist. Hier müssen wirklich großeAnstrengungen unternommen werden. Wir wollen Sie damit einem Antrag unterstützen oder behelligen, wie im-mer Sie es bewerten wollen.
Wir haben in Ballungsräumen gegenwärtig in der Tateine besorgniserregende Mietenexplosion. Ich möchteein Beispiel nennen. Ich wohne in Berlin, im Wedding inder Nähe der Bernauer Straße. Dort ist nach 1961 in her-vorragender Weise ein sozialer Wohnungsbau mit histo-rischem Bezug betrieben worden. Jetzt, 25 Jahre nachdem Mauerfall, besteht die Gefahr, dass diese Errungen-schaften des sozialen Wohnungsbaus – welch ein histori-scher Zynismus – wieder zunichte gemacht werden. Soetwas wollen wir und, so glaube ich, wir alle nicht.
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Roland Claus
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Frau Ministerin, Sie wissen selbst, dass etliche IhrerFörderprogramme in einer Art Treibsand gefangen sind.Es gibt Förderprogramme, die abgewickelt werden; esgibt Förderprogramme, deren Mittel aufgestockt werden,und es gibt welche, deren Mittel reduziert werden. Des-halb werden wir Ihnen im Haushaltsausschuss helfen– das kann ich Ihnen versprechen; ich bitte, dies nicht alsDrohung zu verstehen –, den Treibsand zu sortieren undin die Förderprogramme ein gewisse Richtung zu brin-gen.Das betrifft insbesondere so erfolgreiche Projekte wiedas Programm „Soziale Stadt“, für das es in Ost und inWest hervorragende Beispiele gibt. Im Westen gibt esBremen-Tenever und im Osten Eisenhüttenstadt. DieFreidemokraten, die das Heil immer nur in der Beton-komponente gesehen haben, haben die vernünftige Lo-gik bekämpft, das Bauliche und das Gesellschaftlich-So-ziale zusammenzubringen. Wie es läuft, wenn dieserGrundsatz nicht beachtet wird, kann man an den Favelasin Brasilien und an den Townships in Südafrika erken-nen. Jetzt kommt es darauf an, diese Kompetenz zu reak-tivieren.
Das Programm „Altersgerecht Umbauen“ im Bestandwurde schon angesprochen. Lieber Kollege Lemme, ichhoffe, dass dies nicht nur eine Absicht der Koalition ist.Dieses Programm kommt aus der Mitte des Parlaments.Es ist damals so schnell im Bundesetat zustande gekom-men, weil sich alle Fraktionen im Bundestag einig wa-ren, dass wir hier etwas Zukunftsfähiges, der demografi-schen Entwicklung Angepasstes leisten können. Dasmuss verdammt noch mal wieder implementiert werden,allerspätestens 2015.
Ich will auch sagen, dass mich nach wie vor ärgert,dass wir uns in ostdeutschen Wohnungsunternehmen im-mer noch mit den Altschulden, also eigentlich fiktivenAltschulden, herumplagen müssen. Ich war 1990 in derVolkskammer und habe damals gute Gründe gehabt, ge-gen diese Altschuldenbelastung zu sprechen. Aber ichhätte es nicht für möglich gehalten, dass ich im Jahre2014 im Deutschen Bundestag darüber immer noch re-den muss. Auch hier werden wir mit einem Antrag hel-fen.
Sie sind, Frau Ministerin, Inhaberin einer Schlossbau-stelle geworden. Dazu kann man Ihnen, glaube ich, nichtwirklich gratulieren. Sie tragen jetzt auch die politischeVerantwortung für das Bundesamt für Bauwesen undRaumordnung in Bonn, schonend formuliert: ein Bun-desamt in einer sehr schwierigen Situation. Nun habenSie trotzdem am Anfang gesagt, dass Sie sich freuen, Ih-ren Job zu machen. Ich kann Ihnen dazu nur eines anbie-ten: diese Freude auszufüllen. Ich glaube, gegen oderohne die Opposition kann das nichts werden. Bei einemvernünftigen Umgang mit der Opposition könnte es ge-radezu klappen. Alles Gute!
Das Wort hat die Kollegin Dr. Anja Weisgerber für
die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnenund Kollegen! Der Einzelplan für das Umwelt- und Bau-ministerium ist an diesem langen Beratungstag leider derletzte Tagesordnungspunkt.
Wir sollten diese Debatte aber dennoch sehr konzentriertführen; denn auch hier geht es um wichtige Themen fürdie Menschen in unserem Land.Das Umweltressort hat in dieser Legislaturperiode einneues Gesicht bekommen: Zur Umweltpolitik ist dieBaupolitik hinzugekommen. Damit gibt es auch neueHerausforderungen. Diesen Herausforderungen trägt dervorliegende Haushaltsentwurf Rechnung. Damit nehmenwir unsere Verantwortung für die Bürger, für die Umweltund für den Klimaschutz in der Welt wahr.
Der Schutz unseres Klimas ist eine grenzüberschrei-tende Herausforderung, die wir nur gemeinsam meisternkönnen. So ambitioniert wir in Europa und in der Welt inpuncto erneuerbare Energien und Energieeffizienz vo-ranschreiten: Wir Deutsche alleine können das Welt-klima nicht retten. Deshalb ist es wichtig, dass wir dieLänder in der Welt, die es selbst nicht schaffen, beimKlimaschutz mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt unter-stützen. Der Haushalt sieht deshalb rund 309 MillionenEuro für die Internationale Klimaschutzinitiative vor.
Das ist in unserem Haushalt mehr als doppelt so viel wiebislang, und das ist auch gut so.
2015 ist für den Klimaschutz ein wichtiges Jahr. ImDezember des nächsten Jahres findet die UN-Klimakon-ferenz in Paris statt. Dort wird es darum gehen, ob dieWelt das schafft, was in Kopenhagen nicht gelungen ist,nämlich ein verbindliches Abkommen zur Reduzierungder Treibhausgasemissionen zu beschließen, ein Abkom-men, das die Chance wahrt, den globalen Temperaturan-stieg auf 2 Grad zu beschränken. Das, muss man wohlhinzufügen, ist vielleicht die letzte Chance. Deshalbbrauchen wir dafür alle Länder der Welt.
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2570 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Dr. Anja Weisgerber
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Meine Damen und Herren, rund 309 Millionen Eurofür den internationalen Klimaschutz sind viel Geld. Abersie sind nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Siesind ein sehr wirksamer Hebel, eine Hilfe für die, die be-reit sind, zum Klimaschutz etwas beizutragen und diesenWeg mit uns zu gehen; denn auf diese Weise gewinnenwir vielleicht auch wichtige Verbündete in der Welt beimKlimaschutz. Mit den Mitteln der Internationalen Klima-schutzinitiative können wir den Schwellen- undEntwicklungsländern dabei helfen, dass auch sie ihreWirtschaft klimafreundlich aufbauen und die Treibhaus-gasemissionen bereits an der Quelle reduzieren.
Wir können den Ländern auch dabei helfen, sich an dieFolgen des Klimawandels anzupassen und die nachhal-tige Nutzung von Wäldern und anderen Ökosystemen zufördern. Ein Beispiel dafür ist Kolumbien. Dort hat sichdie Regierung zum Ziel gesetzt, die Entwaldung bis2020 vollständig zu stoppen. Das ist ein effektiverSchlüssel im Kampf gegen den Klimawandel. Deshalbist unser Geld dort gut angelegt.
– Ich hätte mich gefreut, wenn zumindest in diesemPunkt auch die Fraktion der Grünen geklatscht hätte.
Ein Problem, mit dem die Städte insbesondere in denBallungsgebieten zu kämpfen haben, ist die hohe Fein-staubbelastung. Im Europaparlament habe ich die Revi-sion der Feinstaubrichtlinie mit verhandelt und weißdaher, dass Feinstaub eine ernstzunehmende umweltbe-dingte Gesundheitsgefahr ist, die die Atemwege schä-digt; das hat die Weltgesundheitsorganisation jüngstwieder festgestellt. Deshalb ist es wichtig, dass wir dieLuftqualität nachhaltig verbessern und den Feinstaub ander Quelle bekämpfen.
Wir haben daher im Koalitionsvertrag festgeschrieben,dass wir die Umrüstung mit Rußpartikelfiltern für Pkwund leichte Nutzfahrzeuge weiter fördern wollen.
Doch leider habe ich keinen entsprechenden Posten imHaushalt gefunden. Liebe Ministerin Hendricks, wir vonder CDU/CSU fordern dies jedoch mit Nachdruck undgehen davon aus, dass die Förderung dennoch mit freienMitteln aus dem Umwelthaushalt fortgesetzt wird.
Aktuell wird die öffentliche Debatte sehr stark durchdie Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes geprägt,so auch die Haushaltsdebatte der Wirtschaftspolitikerheute Morgen. Ausbautempo der erneuerbaren Energien,Fördersätze und Belastungen sind für Industrie und Ver-braucher die vorherrschenden Themen. Über die andereSeite der Medaille wird viel zu wenig gesprochen: dieEnergieeffizienz. Darin steckt aber viel Einsparpotenzialgerade im Gebäudebereich. Lassen Sie mich das an eini-gen Zahlen belegen: Rund 40 Prozent des Energiever-brauchs und etwa ein Drittel CO2-Emissionen inDeutschland fallen im Gebäudebereich an. Etwa Drei-viertel des Altbaubestands wurden vor 1979 errichtet,also bevor die erste Wärmeschutzverordnung in Krafttrat. Rund 70 Prozent dieser Gebäude haben gar keineDämmung. Bei 20 Prozent ist sie unzureichend. 80 Pro-zent der Heizungen sind heute nicht auf dem Stand derTechnik. Dieses Einsparpotenzial müssen wir nutzen.Mit Förderprogrammen alleine – so wichtig sie sind –wird es uns aber nicht gelingen, die Sanierungsquote zuverdoppeln. Deshalb fordere ich heute – genauso wie be-reits in der Klimadebatte in der letzten Woche –: Es istunumgänglich, dass wir in Deutschland das Thema steu-erliche Absetzbarkeit von Investitionen bei der Gebäu-desanierung angehen. Dafür sollten wir als Umweltpoli-tiker gemeinsam kämpfen.
– Darauf gehe ich gleich ein. – Ich möchte an die Bun-desländer appellieren, an denen die steuerliche Förde-rung in der letzten Legislaturperiode gescheitert ist: Bittebewegt euch! Das ist meine Botschaft an die Bundeslän-der.
Schiebt den Schwarzen Peter nicht immer zum Bundes-finanzminister!
Jeder investierte Euro, der circa 7 Euro an Folgeinvesti-tionen auslöst, kommt über die Steuereinnahmen wiederzurück. Deshalb ist die Energieeffizienz für uns alle einGewinnerthema.
Das sollten sich die Länder vor Augen führen.
Auch die Städtebauförderung kann einen wichtigenBeitrag zur Steigerung der Energieeffizienz leisten. DieErhöhung der Mittel auf das Rekordniveau von 700 Mil-lionen Euro ist daher ausdrücklich zu begrüßen. Das istein starkes und wichtiges Signal an die Städte und Ge-meinden in Deutschland.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2571
Dr. Anja Weisgerber
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Mit dem Programm „Soziale Stadt“ nehmen wir die He-rausforderungen ernst, denen einige Städte durch Ar-mutszuwanderung gegenüberstehen. Allerdings müssenwir dabei, wie wir es in der Koalitionsvereinbarung fest-gehalten haben, endlich den ressortübergreifenden An-satz anwenden. Städtebauförderung ist vor allem ein in-vestives Element mit hoher Hebelwirkung. Deshalb hatsich meine Fraktion ausdrücklich dafür eingesetzt, dassdie Programme „Stadtumbau Ost“ und „StadtumbauWest“ weiterhin den Schwerpunkt bilden.Als Abgeordnete aus dem ländlichen Raum möchteich ganz deutlich betonen: Wir dürfen den Fokus nichtnur auf die Städte legen, sondern wir brauchen auch dieFörderung im ländlichen Raum. Dort ist sie ganz beson-ders wichtig.
Städtebauförderung und die Förderung des ländlichenRaumes sind auch im Hinblick auf die Flächen, diedurch die Bundeswehrreform und den Abzug von Gast-streitkräften frei werden, wichtig. Der Abzug von meh-reren Tausend Gastsoldaten stellt für die Kommuneneinen enormen Einschnitt dar, und zwar für den Woh-nungsmarkt, für die Wirtschaft, das Handwerk und denHandel. Wenn große Kasernenanlagen plötzlich leer ste-hen, stellt das die Kommunen auch vor riesige städte-bauliche Herausforderungen, Herausforderungen, die dieKommunen auch als Chance nutzen können. Deshalbsollte der Staat die Städte in Zukunft noch stärker durchStädtebauförderungsmittel unterstützen.
Zum Abschluss möchte ich noch das Thema Hoch-wasserschutz ansprechen. Vor einem knappen Jahr habenuns verheerende Hochwasser in Teilen Deutschlandsheimgesucht. Wir haben schnell reagiert und uns daraufverständigt, ein nationales Hochwasserschutzprogrammzu erarbeiten. Hier aber mein Appell: Die Finanzierungdieses nationalen Hochwasserschutzprogramms darfnicht zulasten der Förderung der ländlichen Räume imRahmen der Gemeinschaftsaufgabe gehen. Die Drama-tik der Ereignisse vor einem Jahr zeigt, dass wir beidesbrauchen: ein Hochwasserschutzprogramm und die Ge-meinschaftsaufgabe.Vielen Dank.
Als nächster Rednerin erteile ich Kollegin Sylvia
Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Wir reden heute Abend auch über dasSchlimmste, was wir allen nachfolgenden Generationenhinterlassen, den Atommüll, den Müll einer zukunftsver-gessenen technologischen Fehlentscheidung, der Igno-ranz von Risiken und Unwissen. Ja, so ist es: unverant-wortlich.Von daher ist es vielleicht sogar verständlich, dassbisher keiner Verantwortung übernehmen wollte: hin-und hergeschoben, in der Asse und in Morsleben ver-senkt, nach Frankreich zur Vermehrung verschickt undfür den radioaktiven Teil als Endlager Gorleben ausge-guckt, das so schön weit weg am ehemaligen Rand derehemaligen Republik lag. Dass der Müll dort nichtlängst versenkt wurde, ist Bürgerinitiativen zu verdan-ken, die 30 Jahre lang darauf hingewiesen haben, dassein solches Verfahren niemals Akzeptanz finden wird.
Um politisch endlich eine Verantwortungsübernahmezu organisieren, brauchte es diejenigen, die sich imKampf gegen die Atomkraft als Partei gegründet haben,die Grünen, es brauchte einen grünen Ministerpräsiden-ten und einen Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg,der den Anstoß zur vergleichenden Endlagersuche fest-schrieb.Es brauchte aber auch eine Neuausrichtung in derUnion, die kurz vorher in ihrem Abschlussbericht zumUntersuchungsausschuss Gorleben dessen Auswahlver-fahren noch als zielführend und beispielhaft festschrieb.Diese Fähigkeit zur Neuausrichtung verdient Respekt.Es war kein Selbstläufer, ausreichend politische Kräftein Bund und Ländern hinter dem Willen zum Neustart inder Endlagersuche zu versammeln. Den breiten politi-schen Konsens zu erreichen, war ein langer Verhand-lungsweg, bei dem – das ist richtig – die Zivilgesell-schaft wenig eingebunden war.Deshalb gibt es jetzt eine Kommission aus Zivilge-sellschaft und Wissenschaft, in deren Hände der Bundes-tag die nächsten Entscheidungen legt. Da geht es um dieAuswahl der Kriterien, neue Entwicklungen von Partizi-pation und die Evaluation des Standortauswahlgesetzes.Nun gibt es die Kritik, dass die Kommission nur emp-fiehlt. Ja, am Ende entscheidet der Deutsche Bundestagüber die Empfehlungen der Kommission. Das sieht un-sere Verfassung so vor. Aber den Empfehlungen einerheterogenen, repräsentativ zusammengesetzten Kom-mission wird sich der Bundestag nicht entziehen können.Deshalb, um den Bundestag auf die Ergebnisse und dieEmpfehlungen der Kommission zu verpflichten, sindauch die Wissenschaftler so heterogen zusammenge-setzt, wie sie es eben sind.Wir haben die Kommission heute eingesetzt. Leiderwar das der Großen Koalition keine eigene Debatte wert.Deswegen behandeln wir das jetzt hier etwas unwürdig.Es fehlen in der Kommission für uns Grüne zwei ele-mentar wichtige Namen: die Vertreter der Umweltver-bände und Initiativen. Es fehlen die Namen derjenigen,ohne deren jahrzehntelange Proteste gegen Atomkraft,Atommülltransporte und falsche Endlager wir diese De-batte heute nicht führen würden.
Diese wichtigen Akteure mit ihrer hohen Kompetenzsind für die Kommission nicht verzichtbar. Ich hoffe undich baue darauf, dass sie ihre Plätze in der Kommissioneinnehmen.
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Frau Kollegin?
Bitte schön.
Eine Zwischenfrage des Kollege Zdebel ist angemel-
det. Mögen Sie sie hören?
Gerne.
Bitte schön.
Herzlichen Dank, Sylvia Kotting-Uhl, dass du die
Zwischenfrage zugelassen hast. – Ich frage mich, warum
du bzw. ihr der Einsetzung der Kommission jetzt schon
zugestimmt habt und den Umweltverbänden nicht mehr
Zeit gegeben habt, um tatsächlich mehr Vertrauensbil-
dung zu ermöglichen. Es wäre durchaus möglich gewe-
sen – auch ich habe an den Gesprächen teilgenommen –,
die Einsetzung der Kommission zum Beispiel um einige
Monate zu verzögern. Eure Zustimmung hat mich sehr
befremdet, ehrlich gesagt. Deswegen meine Frage an
dieser Stelle.
Vielen Dank für deine Frage. – Wir haben darüber jageredet. Ich meine, ich habe deutlich gemacht, dass ichglaube, dass wir uns nicht leisten können, diese Kom-mission vor der Sommerpause nicht mehr ans Arbeitenzu bringen.
Das wäre natürlich der Fall, wenn wir fünf Wochen ab-warteten, bis wieder der Bundesrat beschließen kann;denn der Einsetzung der Kommission muss der Bundes-rat als zweites Gremium genauso wie der Bundestag zu-stimmen.Die Umweltverbände haben nicht gefordert, nur diesefünf Wochen zu warten, sondern sie wollten eigentlichjetzt in einen Debattenprozess eintreten, den ich durch-aus positiv bewerten würde, was aber hieße, dass wir garnicht wissen, ob wir selbst in dieser Legislatur überhauptnoch dazu kommen, diese Kommission einzusetzen.Weitere fünf Wochen Wartezeit hätten tatsächlich bedeu-tet, dass wir durch all die sich anschließenden Phasenvor der Sommerpause vielleicht die konstituierende Sit-zung, wahrscheinlich aber nicht mehr eine Arbeitssit-zung hätten durchführen können. Das heißt, es hättenauch über die Sommerpause keine Arbeitsaufträge ver-geben werden können, und es wäre wieder ein halbesJahr verloren gewesen. Das empfinde ich als zu lang.Ich habe die Umweltverbände bei unseren letzten De-batten nicht mehr so verstanden, dass es für sie ein ex-trem wichtiger Punkt sei, dass wir noch warteten. Viel-mehr habe ich sie so verstanden, dass sie bereit sind, sichjenseits davon jetzt zu verständigen, ob die Bedingungenin der Kommission so sind, dass sie teilnehmen wollenoder nicht. Diese Entscheidung können wir ihnen auchnicht abnehmen.
Aus den Umweltverbänden kam viel Kritik am Ge-setz, am Verfahren, an der Zusammensetzung derKommission. Als eine, die wie manche meiner Partei-freundinnen und -freunde länger Mitglied in einem Um-weltverband als Mitglied der Grünen ist, kann ich eini-ges an dieser Kritik durchaus nachvollziehen. Auch alsPolitikerin sage ich: Ja, man hätte manches in den letztenbeiden Jahren besser machen können – das BMU, wirParlamentarierinnen, ich. Auch die Umweltverbändehätten einiges besser machen können: früher diskutieren,früher manch guten Vorschlag einbringen.Aber ich sage auch, dass die Zeit des Wartens, derVerhandlungen und der Vordebatten jetzt vorbei ist. Esist ein falscher Denkansatz, dass es bei einer Aufgabe,deren Auswirkungen sich über 1 Million Jahre erstre-cken, egal ist, wann man damit anfängt. Politische Mehr-heiten und Regierungen wechseln. Ich möchte nicht derMöglichkeit Raum geben, dass sich in den Ländernmehrheitlich wieder die Meinung breitmacht, dass dieLösung Gorleben doch eigentlich ganz praktisch war.Ich möchte auch nicht, dass die Ergebnisse der Kommis-sion im nächsten Bundestagswahlkampf zerrieben wer-den.Die Kommission muss jetzt anfangen, zu arbeiten. Sieist mindestens für die nächsten zwei Jahre der Ort derAuseinandersetzung und der Entscheidungen. Sie be-kommt vom Bundestag eine hohe Legitimation und einehohe Kompetenz, ihre Entscheidungen eigenständig zutreffen, ohne Rücksicht auf Interessen. Was sie erarbeitetund vor allem wie sie arbeitet, wird entscheidend dafürsein, ob in der Gesellschaft Vertrauen in das Verfahrender Endlagersuche entsteht. In dieser Metaaufgabe derKommission liegt die nicht geringe Gefahr ihres Schei-terns. Atommüll und Vertrauen sind kein Begriffspaar,das sich aufdrängt.Deshalb sind auch außerhalb der Kommission weiterevertrauensbildende Maßnahmen notwendig. Die Bereit-schaft zum Neuanfang muss erkennbar sein. Da geht esum den alten Planfeststellungsantrag für Gorleben, denMinisterin Hendricks zurückziehen muss. Es geht umdie neue kerntechnische Behörde, in der keine Abteilun-gen aufgebaut werden dürfen, die vor der Evaluierungdes Gesetzes Fakten schaffen.
Es geht um die 26 Castoren, die nicht mehr ins Zwi-schenlager Gorleben transportiert werden dürfen. Fürden Vertrauensaufbau reicht es eben nicht, wenn sich beider Lastenverteilung immer nur grüne Umweltministermelden. Da muss auch mal ein schwarzer dabei sein.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2573
Sylvia Kotting-Uhl
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Ich warte auf das Signal aus Bayern, sich an dieser poli-tischen Aufgabe des Vertrauensaufbaus zu beteiligen.Wir Grüne werden den Deutschen Bundestag erneutauffordern, die Rückstellungen der AKW-Konzerne ineinen öffentlich-rechtlichen Fonds zu überführen. Diegründliche Endlagersuche darf nicht unter Kostendruckgeraten, falls die Konzerne dank eines falschen Wirt-schaftsmodells in den nächsten Jahren zahlungsunfähigwerden. Die Rückstellungen für die Entsorgung müssenrechtzeitig gesichert werden.Die Materie Atommüll trägt allerdings den Zweifelund das Misstrauen in sich.
Frau Kollegin, Sie gucken ab und zu auf die Uhr?
Ich komme zu meiner letzten Aussage, wenn Sie mir
die noch erlauben, Herr Präsident. – Sowenig wir einen
Endlagerstandort finden werden, in dessen Sicherheit
wir alle zweifelsfrei vertrauen, sowenig werden wir ein
Verfahren finden, das alles Misstrauen überwindet. Das
entledigt uns nicht der Aufgabe, uns um den Müll zu
kümmern. Es ist gut, dass Bundestag und Bundesrat mit
dem Standortauswahlgesetz und dem Einsetzen der
Kommission die ersten Schritte gemeinsam unternom-
men haben. Es ist der Anfang auf einem langen, nicht
leichten Weg, und das ist mehr, als wir alle in diesem
Haus noch vor zwei Jahren gedacht hätten.
Vielen Dank.
Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
Dr. Matthias Miersch, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zudieser späten Stunde auch ein herzliches Willkommenden Besucherinnen und Besuchern! Ich sehe, es sind vorallen Dingen jüngere. Schön, dass ihr hier ausharrt!
Ich will heute ganz bewusst einmal anders anfangen,weil ich glaube, dass diese Debatte, in der es eigentlichdarum geht, wie viel Geld wir in die Umweltpolitik, indie Baupolitik dieses Landes stecken, ein schönes Bei-spiel – „schön“ in Anführungsstrichen! – dafür gibt, dassdie Grundsätze der Haushaltspolitik – man kann immernur das ausgeben, was man eingenommen hat – geradeim Bereich der Umweltpolitik jedenfalls nicht immergelten.Am Beispiel Atomenergie können wir etwas erken-nen. Es ist viele Jahrzehnte den Menschen versprochenworden: Hier handelt es sich um eine ganz billige Ener-gie. – Wir sehen heute, dass wir es sein werden, dass ihres sein werdet, dass es zukünftige Generationen seinwerden, die viele Milliarden dafür aufbringen müssen,dass der Müll aus der Energie, von der viele keinen Nut-zen mehr haben, einigermaßen sicher verwahrt werdenkann. Es ist alles andere als eine billige Energie. Es istalles andere als nachhaltig gewesen, was viele Jahr-zehnte praktiziert worden ist, liebe Kolleginnen undKollegen.
Man muss sagen, dass das, was hier heute beschlos-sen worden ist, zumindest ein erster wichtiger Schritt ist,nämlich auf die Suche zu gehen nach einer Lösung fürein, wie ich es nenne, Menschheitsproblem.Es gibt derzeit weltweit kein Beispiel eines funktio-nierenden Endlagers. Wir haben etwas begonnen, was esin der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegebenhat. Wir haben ein Gesetz beschlossen, das ein Elemententhält, in dem der Gesetzgeber selbst sagt: Wir wollenlernen. Wir wollen eine Kommission aus Vertretern zi-vilgesellschaftlicher Gruppen einsetzen, die uns sagt, obwir hier auf dem richtigen oder auf dem falschen Wegsind. – Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist fürmich jedenfalls ein wichtiger Schritt und gibt Anlass,den Umweltverbänden, die damit jetzt noch hadern, zusagen: Bitte gebt uns einen Vertrauensvorschuss! Machtmit bei dieser wichtigen Arbeit!
Natürlich ist es in einer Haushaltsdebatte so, dass manals Opposition die Regierung angreift. Aber ich will andieser Stelle schon sagen: Es ist kein selbstverständli-cher Schritt gewesen, den Barbara Hendricks als zustän-dige Umweltministerin gemacht hat, indem sie die Klagegegen die Aufhebung des Rahmenbetriebsplans in Gor-leben zurückgenommen hat. Das war ein ganz wichtigervertrauensbildender Schritt, und dafür gebührt ihr auchunser Dank.
Aber die Fragen sind offen. Ob es uns gelingt, das Miss-trauen der letzten Jahrzehnte in Vertrauen umzuwandeln– davon bin ich überzeugt –, wird uns nur durch aktivesHandeln gelingen. Wir werden das nicht versprechenkönnen, sondern wir werden beweisen müssen, wie wirals Gesetzgeber mit den ersten Ergebnissen der Kom-mission umgehen, wenn sie vorliegen. Ich wünsche mirsehr, dass nicht zwei Jahre gewartet wird, sondern dasses unter Umständen auch in Form von Zwischenberich-ten möglich ist, dass sich der Deutsche Bundestag früh-zeitig mit den Dingen auseinandersetzt, um weitere ver-trauensbildende Signale zu setzen. Ich glaube, für dieseArbeit wäre es ein ganz wichtiger Schritt, liebe Kolle-ginnen und Kollegen.
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Dr. Matthias Miersch
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Da man nur eine begrenzte Redezeit hat, sage ich ab-schließend, dass ich von den letzten Wochen sehr beein-druckt gewesen bin, weil es uns gelungen ist, das, wasMaria Flachsbart und Ute Vogt als zuständige Bericht-erstatterinnen im letzten Jahr mit Sylvia Kotting-Uhlbegonnen haben, auch im 18. Deutschen Bundestag fort-zusetzen. Ich bedanke mich bei meinen Berichterstatter-kollegen Steffen Kanitz, Sylvia Kotting-Uhl, aber auchHubertus Zdebel, der konstruktiv mitgearbeitet hat. AmEnde konnten wir nicht zusammenkommen. Ich bin miraber sehr sicher, dass es uns gelingt, bei dieser großenFrage zusammenzubleiben; denn es lohnt sich keinparteipolitischer Streit. Wenn uns das bei den nächstengroßen Schritten, die skizziert worden sind, zum Bei-spiel im Bereich des Klimaschutzes – Frau Weisgerber,ich nehme es gerne auf –, gelingen soll, dann werden wirBarbara Hendricks gegenüber dem Finanzminister denRücken stärken müssen und deutlich machen, dass auchhier möglicherweise die schwarze Null nicht alles ist,sondern dass manche Investition für die Zukunft besserist. Gerade beim Klimaschutz gilt, dass jeder Euro wich-tig ist. Insofern lassen Sie uns bei dieser Frage zusam-menbleiben.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
Carsten Müller, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Wenn man hier vorne steht, dann ist es insbesonderefür jemanden, der aus dem östlichen Niedersachsenkommt, zunächst verlockend, einige Worte zum ThemaAsse und Asse-Fonds zu verlieren. Ich habe die Bundes-umweltministerin gehört und darf meiner Hoffnung Aus-druck verleihen, dass der um 20 Millionen Euro gekürzteAnsatz bei der Asse nicht zu Verzögerungen führt. Ichhoffe auch, dass sich in Sachen Asse-Fonds noch etwastut. Ich finde es prima, dass der Vorgänger PeterAltmaier diesen Haushaltstitel aufgenommen hat. Das,meine Damen und Herren, waren nur einleitende Bemer-kungen.Ich will heute ein Thema ansprechen, das bisher lei-der nur in der Rede meiner Kollegin Anja Weisgerberangerissen wurde. Das ist das Thema Mobilität, Verkehr.
– Herr Kindler, seien Sie ganz beruhigt. Ich habe nichtvor, auf Sie im Besonderen einzugehen, obwohl es sichwahrscheinlich lohnen würde.Meine Damen und Herren, Mobilität und Verkehrsind eine wichtige Voraussetzung für persönliche Frei-heit, für gesellschaftliche Teilhabe und natürlich auchfür Wohlstand und Wirtschaftswachstum. Aber wenn wirdieses Thema behandeln, dann müssen wir im Blick be-halten, dass wir Mobilität so gestalten müssen, dass wirRessourcen schonen und dass Mobilität nachhaltigbleibt.Im Energiekonzept 2010 wurde der Auftrag für denVerkehrsbereich sehr präzise formuliert: Der Endener-gieverbrauch muss reduziert werden, und zwar bis zumJahr 2020 um rund 10 Prozent. Bis zum Jahr 2050 habenwir uns eine Absenkung um 40 Prozent im Vergleich zuden Zahlen von 2005 vorgenommen. Meine Damen undHerren, wir sind auf dem richtigen Weg. Erste Erfolgezeichnen sich ab. Bisher ist es uns gelungen, denEndenergieverbrauch im Vergleich zum Wert von vor15 Jahren um 7,5 Prozent zu reduzieren. Aber das reichtnoch nicht. Die Geschwindigkeit muss erhöht werden.Das ist natürlich auch dem Umstand geschuldet, dass derPersonen- und auch der Güterverkehr in der Vergangen-heit quantitativ zugenommen haben.Meine Damen und Herren, Pkw haben heute einen um9 Prozent geringeren Schadstoffausstoß als im Jahr1995. Bei Lkw ist uns ein noch größerer Schritt gelun-gen. Wir sind hier bei einer Minderung um rund 28 Pro-zent des Treibhausgasausstoßes und der Luftschadstoffeangekommen. Ich habe es, glaube ich, in der letztenWoche schon einmal gesagt – die Zahl finde ich persön-lich sehr eindrucksvoll –: Gegenüber 2006 konnten derCO2-Ausstoß neu zugelassener Pkw deutscher Markenum 22 Prozent reduziert werden, und zwar von durch-schnittlich 175 auf 136 Gramm pro Kilometer. Auch die-ses Haus geht mit gutem Beispiel voran.Diese Ergebnisse können sich sehen lassen. DieAnstrengungen müssen fortgesetzt werden. Ich begrüßesehr, dass das Ministerium im Verkehrsbereich sozusa-gen einen Dreiklang aus Forschen, Prüfen und Weiter-entwickeln auf den Weg gebracht hat: Forschen zuMobilitätskonzepten und zum Mobilitätsverhalten, Prü-fen und Messen von Emissionen, Weiterentwickeln vonKraftstoffen und insbesondere Antriebssystemen.Hierbei wird Elektromobilität eine ganz besondereRolle spielen. Sie ist der Schlüssel zu einer klimafreund-lichen Mobilität und zu einem nachhaltigen Wandel indiesem Bereich. Wir haben dort noch einiges zu tun. Ei-nes ist ziemlich klar und liegt auf der Hand: Wir werdendas ursprünglich gesteckte Ziel von 1 Million elektrischangetriebenen Kraftfahrzeugen im Jahre 2020 nichterreichen können. Wir haben heute leider erst 13 000elektrisch angetriebene Fahrzeuge auf den Straßen. Wirhaben aber immerhin im Jahr 2013 eine Verdopplung derNeuzulassungen zu verzeichnen gehabt.Ich finde es im Übrigen gut, dass die deutschen Kraft-fahrzeughersteller bis Ende dieses Jahres 16 Serien-modelle mit Elektroantrieb auf den Markt gebrachthaben werden. Das zeigt uns, dass wir insbesondere fürdiesen Bereich stabile Rahmenbedingungen brauchen.Aus einem Gespräch vor gar nicht allzu langer Zeithabe ich eine in diesem Haushalt gleichwohl noch nichtabgebildete, aber für die Zukunft durchaus überlegens-werte Idee mitgenommen, nämlich tatsächlich darübernachzudenken, ob es gegebenenfalls Sinn macht, dasswir bei der Besteuerung von Dienstwagen auch zur
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2575
Carsten Müller
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privaten Nutzung die Bemessungsgrundlage bei Elektro-fahrzeugen halbieren. Das würde der derzeitigen Situa-tion durchaus Rechnung tragen, dass man für ein elek-trisch angetriebenes Fahrzeug heute einen etwa doppeltso hohen Kaufpreis aufwenden muss wie für ein ver-gleichbares konventionell angetriebenes Fahrzeug. Denndas, meine Damen und Herren, macht es jetzt für densteuerpflichtigen Endnutzer erst einmal unattraktiv, sichfür ein solches Fahrzeug zu entscheiden. Ich halte dieseIdee jedenfalls für verfolgenswert. Wir sollten gemein-sam Überlegungen dazu anstellen.
Meine Damen und Herren, ich will einen zweitenPunkt konkret ansprechen – Anja Weisgerber hat ihnschon angesprochen –: Partikelfilter. Auch dieser Punktwar hier in der letzten Woche Gegenstand einer Debatte.Ich hatte da gesagt: Sehr geehrte Frau Ministerin, damuss Ihrem Haus einfach ein bedauerlicher Fehler unter-laufen sein. – Denn der Ansatz für die Förderung desEinbaus von Partikelfiltern wurde auf null reduziert, unddas kann eigentlich nicht sein, und zwar, weil wir mitdem Nachrüstprogramm eigentlich hervorragende Er-gebnisse erzielt haben: Wir haben in den letzten zweiJahren hierfür 60 Millionen Euro zur Verfügung gestellt,und 186 000 Fahrzeuge konnten nachgerüstet werden.Das führt im Übrigen zu einer Wertschöpfung, die imörtlichen Handwerk verbleibt und damit unseren Regio-nen zugutekommt. Der relativ schwere Fehler, dieseMittel zu streichen – wahrscheinlich nur ein redaktionel-ler Fehler –,
muss meines Erachtens behoben werden. Ich habe ein-mal genauer nachgeschaut: Es kann tatsächlich nur einIrrtum sein, weil wir eine entsprechende Vereinbarungim Koalitionsvertrag festgehalten haben.
Insofern glaube ich, meine Damen und Herren – da warHerr Kollege Kindler etwas zu kleinmütig –, dass es dortganz bestimmt eine Entwicklung geben wird. Das wäreim Sinne des Klimaschutzes gut angelegtes Geld.
– Immer schön sachte.
Ich will abschließend vier Leitlinien unserer Mobili-tätspolitik im Umweltbereich aufzählen:Erstens. Nachhaltige Mobilität darf weder die Unter-nehmen noch die Bürgerinnen und Bürger überfordern.Zweitens. Nachhaltige Mobilität benötigt klare,verlässliche Rahmenbedingungen. Dazu habe ich ebenetwas ausgeführt.Drittens. Nachhaltige Mobilität muss allerdings auchbezahlbar bleiben.Viertens. Nachhaltige Mobilität muss die Wett-bewerbsfähigkeit unserer deutschen Wirtschaft stärken.Ich glaube, wir sind mit dem Haushaltsansatz insge-samt auf einem guten Weg.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit zur spätenStunde.
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kolle-
gin Ute Vogt, SPD-Fraktion.
Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Die bisherige Debatte hat gezeigt,dass dieses Parlament in der nachfolgenden Haushalts-beratung in den Ausschüssen noch einiges zu tun hat.Viele Bereiche wurde angesprochen, in denen wir Parla-mentarier gefragt sind, mit dem Finanzminister um dieStärkung des einen oder anderen Bereichs oder um eineAufstockung zu ringen. Ich freue mich über die Unter-stützung des ganzen Hauses, beispielhaft will ich dieAufstockung des Waldklimafonds und das Thema Hoch-wasserschutz nennen.
Wir befinden uns in der wunderbaren Situation, dassder Finanzminister gleich zwei Häuser glücklich machenkann; denn sowohl in Bezug auf den Waldklimafonds alsauch in Bezug auf den Hochwasserschutz sind dasBundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheit und das Bundesministerium für Er-nährung und Landwirtschaft involviert. Sie haben dortsozusagen Aktien, sie müssen Gelder investieren.Deshalb ist es wichtig – es wäre besonders ertragreich –,dass wir alle daran arbeiten, dass der Finanzminister indiesen Bereichen noch einmal deutlich nachlegt.
Das neu geschaffene Umweltministerium, das sichum die Themen Umwelt und Bau kümmert, ist ein gutesUmfeld für sozialdemokratische Politik. Ich freue mich,dass die Christdemokraten diesen Weg mitgegangensind; denn für uns geht es in der Umweltpolitik nicht nurum gesunde Umwelt für einige wenige, sondern in derUmweltpolitik geht es immer auch um die soziale Ge-rechtigkeit in einer Gesellschaft.
Es geht darum, dass wir ein gutes Leben ermöglichen:in guten Wohnungen, in Städten, in denen es Lebens-räume gibt, wo sich Menschen entfalten können. GutesLeben bedeutet aber auch: saubere Luft, geschützt vorLärm und vor umweltschädigenden Einflüssen. In die-sem Sinne war es gut, dass uns die Zusammenführung
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Ute Vogt
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des Hauses gelungen ist. Für uns stellt sich auch dieFrage, wie wir das gute Leben mit konkreten Projektenausfüllen.Ich möchte ein Projekt ansprechen, das in den letztenJahren ein etwas stiefmütterliches Dasein gefristet hat:die Energieeffizienz.
Sie ist der unterschätzte Sektor, wenn es darum geht,tatsächlich mehr Reserven zu mobilisieren, vor allenDingen jetzt, wo es darum geht, Unabhängigkeit zumBeispiel von Gasimporten zu erlangen. Deshalb freueich mich, dass in dem vorliegenden Haushaltsentwurfauch für diesen Bereich Ansätze vorhanden sind. Ichhoffe, dass wir stärker in das Thema einsteigen werdenund dass zum Beispiel der EU-Gipfel im Juni ein Effizi-enzgipfel sein wird und nicht etwa ein Fracking- odergar ein Atomgipfel auf EU-Ebene.
Ich darf zum Abschluss ergänzen, dass ich als frühe-res Mitglied des Untersuchungsausschusses Gorlebendie Freude der Kolleginnen und Kollegen teile, dass wirjetzt den ersten Schritt gemacht haben, Schlussfolgerun-gen aus dem Ausschuss zu ziehen und eine neue End-lagersuche zu beginnen. Die Kommission steht. Ich darfmich den Wünschen anschließen und hoffe, dass wir indiesem Hohen Hause, wie in der vergangenen Legis-laturperiode begonnen, trotz aller Schwierigkeit, die die-ses Thema mit sich bringt, möglichst sachlich undSchulter an Schulter vorgehen. Nur so können wir derVerantwortung, dieses schwierige Problem zu lösen, ge-recht werden.Vielen Dank.
Als letztem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen
Christian Hirte, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen undKollegen! Einige meiner Vorredner, auch die Ministerin,hatten bereits darauf hingewiesen, dass der Etat indiesem Jahr erheblich von den Vorjahresetats abweicht,was an der Übernahme des Baubereichs, aber auch derÜbertragung des Kapitels der erneuerbaren Energien indas Wirtschaftsressort, also im Wesentlichen am neuenZuschnitt liegt. Damit hat sich der politische Fokusnatürlich deutlich verschoben.Wir haben einen Mittelaufwuchs von 1,6 Milliardenauf 3,6 Milliarden Euro zu verzeichnen. Das ist eine sogewaltige Steigerung, immerhin um über 100 Prozent,dass wir Haushälter in der CDU/CSU-Fraktion uns da-rauf verständigt haben, diesen Etat künftig doppelt zubetreuen. Ich bin für den Bereich Umwelt zuständig,mein Kollege Dr. Berghegger, der im Anschluss redenwird, ist für den Bereich Bau zuständig.In den letzten Reden zur Einbringung des Einzel-plans 16 haben wir hauptsächlich über die Energiewendeund viel weniger über Klima- und Umweltschutz gespro-chen, weil wir anscheinend gemeinsam der Auffassungwaren, das sei irgendwie dasselbe. Bei allen Differenzenund bei allem politischen Streit über den richtigen Wegin der Energiepolitik sollten wir eines nicht vergessen:Die Energiewende selbst ist nicht das eigentliche Ziel.Sie ist nur Mittel zum Zweck. Nicht etwa, weil Kohle-strom altmodisch ist, haben wir mit dem Energiekonzepteine Neuorganisation unserer Energieversorgung ini-tiiert. Der eigentliche Grund war, Ressourcenschonungzu betreiben und vor allem den CO2-Ausstoß zu vermin-dern, um den Treibhauseffekt zu begrenzen.Die Oppositionsparteien, allen voran die Kollegenvon den Grünen, werden nicht müde, immer wieder zubetonen, dass sich die Bundesregierung bei der Finanzie-rung von internationalen Klimaschutzprojekten aus derVerantwortung stehlen wolle.
Dem ist mitnichten so.
Die Industrieländer haben zugesagt, die Entwicklungs-länder bei ihren notwendigen Reformen und Transfor-mationsprozessen hin zu einer kohlenstoffarmen und kli-maangepassten Entwicklung finanziell zu unterstützen.
So haben sich die Industrieländer 2009 im CopenhagenAccord dazu bekannt, langfristig, ab 2020, 100 Milliar-den US-Dollar pro Jahr aus unterschiedlichen Finanzie-rungsquellen bereitzustellen.
Die in Kopenhagen ebenfalls gemachte Fast-Start-Zu-sage, im Zeitraum 2010 bis 2012 zusätzliche öffentlicheMittel in Höhe von 30 Milliarden US-Dollar bereitzu-stellen, haben die Industrieländer eingelöst. Dabei sinddie Zusagen der EU, auch diejenigen der Bundesrepu-blik Deutschland, übererfüllt worden.
Blicken wir zurück: Im Jahr 2013 hat Deutschland1,8 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt nach1,66 Milliarden Euro im Vorjahr.Damit der Green Climate Fund bald seine Arbeitaufnehmen kann, haben Umwelt- und Entwicklungshil-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2577
Christian Hirte
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feministerium bereits jetzt je 1 Million Euro für denVerwaltungshaushalt zugesagt. Die Bundesregierunggeht derzeit auf der Grundlage des Arbeitsplans desGreen Climate Fund Boards für 2014 davon aus, dass dieerste Auffüllung noch in diesem Jahr erfolgt. Gegebe-nenfalls ist daher noch im anstehenden parlamentarischenVerfahren über eine Anpassung der Verpflichtungser-mächtigungen zu entscheiden. Wir werden sicherlichnoch gemeinsam darüber zu beraten haben.Bislang sind im Bundesetat – auch das ist schonmehrfach angeklungen – für die Internationale Klima-schutzinitiative 309 Millionen Euro veranschlagt. Dassind 189 Millionen Euro mehr als im letzten Jahr.
Das ist positiv, darf aber nicht den Blick auf ein drängen-des Problem verstellen, nämlich auf die Finanzausstat-tung des Energie- und Klimafonds. Für 2014 stehen1,58 Milliarden Euro an geplanten Ausgaben an. DerBund will sich mit 655 Millionen Euro am EKF beteili-gen. Wir werden sehen, wie sich die Einnahmen aus demZertifikatehandel tatsächlich entwickeln. Ich sage andieser Stelle ganz offen: Es bleibt abzuwarten, wie sichdas im Januar beschlossene Backloading, das zu einerVerbesserung der Einnahmesituation führen sollte, tat-sächlich entwickelt, wie sich dann die Zertifikatepreiseentwickeln und damit natürlich auch die Finanzausstat-tung des EKF.
Sollte sich die Finanzausstattung des EKF dauerhaft pro-blematisch gestalten und sich die chronische Unterfinan-zierung zu einem permanenten Zustand entwickeln,
sollten wir, so meine ich, auch über die Finanzierung desFonds und über den Fonds als Ganzes nachdenken.
Gestern Abend war ich auf einer Veranstaltung derKfW mit den Umweltverbänden. Ich denke, wir Deut-schen haben zum Klimaschutz mehr beizutragen als nurGeld. Aber ganz ohne Geld geht es nicht. Daher könnteich mir, gerade vor dem Hintergrund unserer Erfahrun-gen mit den Förderbanken, vorstellen, eine Diskussionüber moderne Finanzierungsmöglichkeiten, über Dritt-mittelfinanzierung, über privates oder Stiftungs- undauch über Fondskapital zu führen und uns darüber zuverständigen.
Für den Naturschutz kann der Bund in diesem Jahrmehr ausgeben als in den Vorjahren. Für Maßnahmenzur Förderung des Naturschutzes und der Landschafts-pflege waren 2013 49 Millionen Euro veranschlagt. Fürdieses Jahr sieht der Haushaltsentwurf einen Ausgaben-anstieg um 8 Millionen Euro auf jetzt 57 Millionen Eurovor. Die Erhöhung der Ausgaben wird vor allem For-schungsprojekten in Deutschland zugutekommen, diesich mit der naturnahen Begleitforschung der Energie-wende befassen.
Ebenso soll das neue Bundesprogramm BiologischeVielfalt mit einem Ansatz von 15 Millionen Euro auf ho-hem Niveau fortgesetzt werden. Gefördert werden dabeiMaßnahmen, denen im Rahmen der Nationalen Strategiezur biologischen Vielfalt eine gesamtstaatlich repräsenta-tive Bedeutung zukommt. Nur weil der Feuersalamander,liebe Kolleginnen und Kollegen, mit seiner schwarz-gel-ben Färbung quasi Inbegriff für dieses Programm undseine Initiatoren ist, muss es ja nicht gleich schlecht sein.Zuletzt komme ich zu einem wichtigen Bereich. Finan-ziell ist er mit den höchsten Risiken behaftet. Es geht umden Bereich der Endlagerung. 2013 waren hier etwa500 Millionen Euro etatisiert. Tatsächlich verausgabtwurden dann aber etwa 333 Millionen Euro. Das heißt,etwa 170 Millionen Euro sind als Haushaltsreste stehengeblieben. Wolfgang Schäuble wird es gefreut haben.Der Haushaltsentwurf für 2014 sieht nun weniger vor:445 Millionen Euro. Die Absenkung erfolgte wegen dergesunkenen Ausgaben bei den Projekten Gorleben undAsse. Bei Gorleben vor allem deswegen, weil mit demInkrafttreten des Standortauswahlgesetzes die Arbeiteneingestellt wurden, bei der Asse, weil die Bedarfsschät-zung auch für die Zukunft problematisch ist und wirnicht genau einschätzen können, wie sich die Situationentwickelt.Einen abschließenden Punkt möchte ich noch nennen,Herr Präsident. Ich hoffe, dass wir, wie im Koalitions-vertrag vorgesehen, jetzt in den parlamentarischen Haus-haltsberatungen noch einmal über das Thema Rußparti-kelfilter sprechen. In Kürze kommt es zur Scharfstellungder Umweltzonen, vor allem an Rhein und Ruhr. Ichdenke, gerade für die Inhaber von Altdieselfahrzeugenwird das eine problematische Situation. Deswegen wer-den wir uns als Union auch in den Haushaltsberatungendafür einsetzen und dafür kämpfen, die Förderung vonRußpartikelfiltern, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen,noch in den Haushalt aufzunehmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
Dr. André Berghegger, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Die Debatte neigtsich allmählich dem Ende zu, aber als Haushälter
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Dr. André Berghegger
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möchte ich noch einige grundsätzliche Erwägungen zudiesem Einzelplan anstellen. Wir verfolgen ein überge-ordnetes Ziel, und zwar 2014 einen strukturell ausge-glichenen Haushalt zu beschließen und natürlich 2015einen Haushalt ohne neue Schulden. Das ist eine histori-sche Chance. Dieser waren wir noch nie so nahe wiejetzt. Ich denke, diese Aussage sollte man öfter wieder-holen, damit sie sich wirklich festigt.
Daher sage ich vielen Dank an das Finanzministeriumfür die große Leistung zur Vorlage dieses Haushaltsent-wurfes.Der Einzelplan 16 erfährt einen deutlichen Zuwachs;wir haben es schon mehrfach gehört. Der wesentlicheGrund liegt natürlich in dem veränderten Ressortzu-schnitt. Ich glaube, dieser Ressortzuschnitt ist auch sinn-voll. Denn im Baubereich geht es eben nicht nur um Ei-sen und Beton, sondern wichtig sind auch der Klima-und Umweltschutz. Das wird uns immer wieder bewusst,wenn wir darüber nachdenken, dass rund 40 Prozent derEnergie, die in Deutschland verbraucht wird, in den Ge-bäuden verbraucht wird. Da haben wir auch die Schnitt-stelle zur Energiewende, dem wahrscheinlich größtenProjekt in dieser laufenden Legislaturperiode.
– Lassen Sie mich doch einmal ausreden. – Ich denke,auch in diesem Ressort haben wir unter dem Stichwort„Energetische Sanierung im Quartier“ gute Ansatz-punkte, um dieses Thema weiterzuverfolgen.
Im Rahmen der Haushaltsplanungen verfolgen wirein Leitmotiv, und zwar die wachstumsorientierte Kon-solidierung. Ansätze werden also teilweise gekürzt, aberwir setzen trotzdem Impulse für Wachstum. Das sindauch keine Gegensätze; denn Konsolidierung und Wachs-tum gehören zusammen. Sie sind zwei Seiten einer Me-daille und sichern am Ende unseren Wohlstand. Dasmöchte ich am Beispiel der Städtebauförderung verdeut-lichen.Jeder, der kommunalpolitisch tätig ist, weiß das: DieStädtebauförderung ist städtebaulich, sozialpolitisch undkommunalpolitisch von großer Bedeutung. Hier werdenInvestitionen in das Wohnumfeld, in die Infrastrukturund in die Qualität des Wohnens getätigt. Wir könnenauf den demografischen Wandel reagieren, und wir kön-nen auch dazu beitragen, energie- und klimapolitischeZiele des Bundes zu verfolgen. Insgesamt – daraufmöchte ich Wert legen – erreichen wir hier aufgrundder sehr großen Hebelwirkung einen hohen Wirtschafts-faktor. Denn 1 Euro Städtebaufördermittel stößt rund8,50 Euro an Folgeinvestitionen im Baubereich an.
Weiterhin ist es so, dass 5 000 Euro Städtebaufördermit-tel im Jahr einen Arbeitsplatz in der Baubranche und imvorgelagerten Bereich für ein Jahr sichern. Ich denke,das sind zwei Zahlen, die belegen, dass sich die Städte-bauförderung auch rechnet, dass sie sich rentiert. Ichdenke, deswegen ist es jede Anstrengung wert, vernünf-tige Programme auf den Weg zu bringen.
Der letzte Punkt in diesem Bereich. Natürlich gibt esauch Rückflüsse in die öffentlichen Kassen: über erhöhteSteuer- und Abgabeaufkommen, über die angekurbelteKonsumentennachfrage usw. usf. Insgesamt kann ich auskommunalpolitischer Sicht sagen: Städtebauförderpro-gramme sind segensreich; denn sie bewirken jede Mengevor Ort.
Vor allen Dingen: Die unterschiedlichen Schwer-punkte kann man einzeln benennen. Wir haben das Pro-gramm „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“; es dient derFörderung der Innenentwicklung. Wir haben die Pro-gramme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“; hiererfolgt die Anpassung an den demografischen und anden strukturellen Wandel. Wir haben das Programm „So-ziale Stadt“; hier werden Investitionen im Quartier ge-mäß den Leitmotiven Integration und gesellschaftlicheTeilhabe getätigt. Mein Kollege Steffen-Claudio Lemmehat das schon angesprochen. Nur: Ob dieses Programmdas Leitprogramm im Bereich der Städtebauförderungist, darüber kann man diskutieren. Ich denke, jedes Pro-gramm in diesem Bereich hat einen eigenen Schwer-punkt, und alle sind gleich viel wert.
Wir haben des Weiteren das Denkmalschutzprogrammzum Erhalt historischer Stadtkerne. Auch die kleinerenStädte und Gemeinden werden berücksichtigt, und zwarim Rahmen der Sicherung der Daseinsvorsorge im länd-lichen Raum.Die Maßnahmen sind alle bekannt und bewährt. Siebilden alle wichtigen Zukunftsthemen ab. Wir erfindendas Rad in diesem Sinne nicht neu, aber wir stellen mehrGeld bereit und halten Wort. Das schafft Vertrauen.Die Städtebauförderung ist eine prioritäre Maßnahmeim Koalitionsvertrag; das heißt, es gibt keinen Finanzie-rungsvorbehalt. Wir stellen in der gesamten Legislatur-periode 600 Millionen Euro mehr bereit. Insgesamt ver-folgen wir das Ziel, rund 700 Millionen Euro pro Jahrzur Verfügung zu stellen. Ich denke, das ist für unsereHandlungsweise eine sehr gute Basis.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014 2579
Dr. André Berghegger
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Frau Ministerin Hendricks, bei dem Thema „Alters-gerechtes Umbauen“ bin ich ganz dicht bei Ihnen. Wiralle wissen doch, dass wir in diesem Bereich schon mitwenig Geld sehr viel erreichen können. Durch kleinstebauliche Veränderungen an einer Wohnung erleichternwir den Menschen die Alltagssituation. Ich glaube, wirkämen damit auch dem Wunsch vieler älterer Menschennach mehr Eigenständigkeit und dem dauerhaften Ver-bleib in der gewohnten Umgebung nach.Aber als Haushälter muss ich sagen: Wir haben einenvorliegenden Haushaltsentwurf. Wenn wir daran Verän-derungen vornehmen wollen, müssen wir sie unmittelbar,nachhaltig und im eigenen Politikbereich gegenfinanzie-ren. Ich freue mich auf die kommenden Beratungen. Ichbin gespannt, ob wir dieses Projekt hinbekommen.
Wir müssen sehen, ob wir das schaffen. Ich glaube aber,angesichts dieser Voraussetzungen ist es einen Versuchwert, in gemeinsamen Gesprächen nach einer Lösung zusuchen.
Zum Abschluss möchte ich die Zahl des Tages nen-nen: 3 062. Was hat die Zahl 3 062 mit diesem Einzel-plan zu tun?
Nichts. 3 062 Tage ist unsere Bundeskanzlerin heute imAmt. Sie hat damit einen ihrer Amtsvorgänger, und zwarHelmut Schmidt, überholt. Nur zwei Kanzler in dieserRepublik waren länger im Amt: Helmut Kohl undKonrad Adenauer. An dieser Stelle von den meisten hierim Saal – ich denke, das müsste so richtig formuliertsein – einen herzlichen Glückwunsch und noch vieleweitere Tage im Amt!
Mit einem Augenzwinkern möchte ich dann wirklichschließen: Wie viel Tage noch zur Amtszeit von HelmutKohl und Konrad Adenauer fehlen, erzähle ich Ihnenbeim nächsten Mal.
Als Schlussredner in dieser Debatte erteile ich dem
Kollegen Steffen Kanitz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine sehr verehr-ten Damen und Herren! Wir haben heute nicht nur überden Haushalt der Ministerien gesprochen, sondern – dasist ja auch deutlich geworden – eine wegweisende Ent-scheidung in Sachen Endlagersuche getroffen. Deswe-gen freut es mich, sagen zu können: Das ist ein guter Tagfür alle, die ernsthaft an einer Lösung für die Hinterlas-senschaften des Atomzeitalters interessiert sind.
Wir haben heute Mittag die Kommission eingesetzt, diedie Vorarbeit für ein Standortauswahlverfahren leistensoll. Damit ist ein wichtiger Meilenstein erreicht.Ich danke meinen Koberichterstattern für die konst-ruktive Zusammenarbeit. Matthias Miersch hat das an-gesprochen. Ich habe diese Zusammenarbeit ebenfallsals extrem konstruktiv empfunden. Ich bedanke michebenso bei denjenigen, die sozusagen für die Vorarbeitverantwortlich waren, bei Ute Vogt natürlich und beiMaria Flachsbarth: Vielen, vielen Dank! Insbesondereaber möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich bei FrauKotting-Uhl zu bedanken, die wirklich keinen ganz ein-fachen Stand hat in diesem Verfahren, aber das ganz her-vorragend macht. Sie ist ab und zu Vorwürfen ausge-setzt, die nicht fair sind und nichts mit respektablemUmgang miteinander zu tun haben. Insofern vielen, vie-len Dank, dass Sie in diesem Verfahren sozusagen mode-rieren!
Die Kommission wird in den kommenden Monateneinen umfassenden Bericht erarbeiten, der sämtliche ent-scheidungsrelevanten Kriterien für ein späteres Aus-wahlverfahren entwickelt. Die Arbeit der Kommissionstellt also eine Vorstufe zum eigentlichen Suchverfahrendar.Der kurzfristig eingebrachte Antrag der Linken ent-hält daher leider wenig Konstruktives. Im Gegenteil: Siescheinen die Absicht zu verfolgen, den angestoßenenProzess zu torpedieren.
Vor dem Hintergrund der guten Gespräche, Herr KollegeZdebel, die wir gemeinsam geführt haben – Sie haben jaals Berichterstatter bis zum Schluss mitverhandelt –, istdas mehr als bedauerlich. Sie behaupten, die Ergebnisseder Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse seiennicht zur Kenntnis genommen worden. Das entsprichtschlichtweg nicht den Fakten.
Das Standortauswahlgesetz ist doch gerade aus denErgebnissen des Gorleben-Untersuchungsausschussesund der Lex Asse hervorgegangen. Erst die Aufarbei-tung dieser Themen durch die Politik hat dem Prozess ei-nen ganz neuen Impuls gegeben.
Sie betreiben insofern, liebe Kolleginnen und Kollegenvon den Linken, genau den einseitigen Lobbyismus, denSie andernorts häufig kritisieren, indem sie sich zum ein-
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2580 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 30. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. April 2014
Steffen Kanitz
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seitigen Sprachrohr einiger beteiligter Umweltverbändemachen. Zielorientierte Konsenssuche sieht leider an-ders aus.
Wir verstehen es als unser Ziel, das gesamte Mei-nungsspektrum abzubilden und alle Argumente auszu-tauschen. Daher haben wir uns auf zwei gleichberech-tigte Vorsitzende geeinigt, ohne dafür das Gesetz zuändern. Beide Vorsitzende genießen ein hohes Maß anErfahrung, an Unabhängigkeit und an Akzeptanz. Zu-dem haben alle gesellschaftlichen Akteure die Möglich-keit, den Prozess mitzugestalten, wobei die politischenVertreter ausdrücklich kein Stimmrecht haben. Das istein Novum in der Geschichte, liebe Kolleginnen undKollegen; das muss man auch einmal sagen.
Um auch die Umweltvertreter für eine Mitarbeit zugewinnen, haben wir in den vergangenen Wochen ge-meinsam viele vertrauensbildende Maßnahmen ergrif-fen: Wir haben im Rahmen vieler Gespräche deutlich ge-macht, dass wir auf ihre Expertise nicht verzichtenmöchten. Wir haben einen fraktionsübergreifenden An-trag erarbeitet, der dies deutlich zum Ausdruck bringt– vielleicht einmal kurz zusammengefasst –: Wir bekräf-tigen in diesem Antrag die Möglichkeit, dass das Gesetzfrühzeitig evaluiert wird; wir stärken das Konsensprinzipüber Regelungen in der Geschäftsordnung, die wir nochgemeinsam verabreden wollen; wir benennen schon jetztden zeitlichen Aspekt, den wir durchaus sehen; wir beto-nen die Rechte von Minderheiten, auch externe Gutach-ten zu bestellen; wir stellen die Finanzierung der Kom-mission sicher. Wir als Politik, liebe Kolleginnen undKollegen, sind also in Vorleistung getreten. Ich meine,jetzt sind die Umweltverbände dran.
Wir haben die Einsetzung der Kommission um einenMonat verschoben, obwohl das Zeitfenster sehr eng be-messen ist. Wir haben monatelang über die PersonalieUrsula Heinen-Esser diskutiert, obwohl sie durch ihrekonstruktive Begleitung des Lex-Asse-Prozesses partei-übergreifend Akzeptanz genießt; das ist auch immerwieder deutlich geworden. Wir haben ein starkes Signalan die Umweltverbände gesendet, indem wir uns inner-halb weniger Tage auf Michael Müller, den Bundesvor-sitzenden der NaturFreunde Deutschlands, als Kovorsit-zenden geeinigt haben. Auch an dieser Stelle einmalherzlichen Dank an die Länder, die das ermöglicht ha-ben!
Unter dem Strich ist das Entgegenkommen unserer-seits aus unserer Sicht ein faires Angebot. Das darf jetztaber nicht dazu führen, dass politische Verantwortungverlagert wird. „Weniger Paranoia, mehr Pragmatis-mus“, liebe Kolleginnen und Kollegen,
steht morgen in der Neuen Osnabrücker Zeitung. In die-sem Sinne erwarte ich von den Umweltverbänden, dasssie ihre Verantwortung jetzt auch durch konstruktiveMitarbeit wahrnehmen.Ich fasse noch einmal kurz zusammen: Wir haben imletzten Sommer fraktionsübergreifend unter Beteiligungaller Akteure ein Gesetz auf den Weg gebracht, das denWeg für ein neues Standortauswahlverfahren ermöglicht.Wir haben uns darauf geeinigt, dass es keine Vorfestle-gung geben soll – auch nicht auf Standorte. Stattdessenwollen wir das Prinzip der weißen Landkarte anwenden.Das heißt aber eben auch, dass keine Standorte a prioriausgeschlossen werden.Insofern hoffe ich, dass wir jetzt angesichts des engenZeitplans endlich in die Arbeit einsteigen können, undfreue mich auf die konstruktive Zusammenarbeit.Vielen Dank.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 11. April 2014, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.