Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in dieTagesordnung eintreten, möchte ich Sie bitten, sich vonIhren Plätzen zu erheben.
Seit unserer letzten Plenarsitzung vor der Sommer-pause hat uns die Nachricht vom Tod einiger frühererKollegen erreicht, von denen ich drei langjährige Parla-mentarier mit einigen Hinweisen würdigen möchte.Am 26. August dieses Jahres verstarb nach schwererKrankheit Bundestagspräsident a. D. Dr. Rainer Barzelim Alter von 82 Jahren. Heute Mittag wird er in Bonn zuGrabe getragen.Rainer Barzel hat die Politik in der BundesrepublikDeutschland in herausragenden Positionen über mehrereJahrzehnte entscheidend mitgestaltet. Er war Bundes-tagspräsident, Bundesminister sowie Partei- und Frak-tionsvorsitzender. Rainer Barzel gehörte zu jener Auf-baugeneration von Politikern, die mit ihrem politischenEngagement unser Land und seine Demokratie nachhal-tig geprägt haben.Rainer Barzel wurde am 20. Juni 1924 im ostpreußi-D1BsPoavdOsdAAar2PDdkgRedetschen Braunsberg als fünftes von sieben Kindern gebo-ren. Nach dem Abitur nahm er als Fliegerleutnant amZweiten Weltkrieg teil. 1949 promovierte er nach demStudium der Rechtswissenschaften und der Volkswirt-schaft an der Uni Köln zum Doktor der Rechtswissen-schaften. Seine ersten beruflichen Stationen absolvierteer in der Verwaltung des noch jungen BundeslandesNordrhein-Westfalen, unter anderem als Vertreter desMinisters für Bundesangelegenheiten.In seinem politischen Grundverständnis stark von derkatholischen Soziallehre beeinflusst, schloss sich Barzelim Jahre 1954 der CDU an. Schon 1956 wurde er ge-schäftsführendes Mitglied des CDU-Landespräsidiumsin Nordrhein-Westfalen, 1960 MitgliedBundesvorstand und 1966 erster stellvertretenVorsitzender. Von 1971 bis 1973 war Rainer Bdesvorsitzender der Christlich-Demokratisch
Metadaten/Kopzeile:
4368 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4369
)
)
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für dasHaushaltsjahr 2007
– Drucksache 16/2300 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschussb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungFinanzplan des Bundes 2006 bis 2010– Drucksache 16/2301 –Überweisungsvorschlag:HaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürie heutige Aussprache im Anschluss an die einstündigeinbringung des Haushaltes siebeneinhalb Stunden, fürittwoch neun Stunden, für Donnerstag elf und fürreitag vier Stunden vorgesehen. Darf ich dazu Ihr Ein-ernehmen feststellen? – Das ist offenkundig der Fall.ann ist das so beschlossen.Ich erteile das Wort zur Einbringung des Haushaltesem Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenamen und Herren! Vor gut einem halben Jahr habe ichhnen mit dem Bundeshaushalt 2006 den ersten Haushalter großen Koalition vorgestellt. Damals herrschte einffener und öffentlicher Konkurrenzkampf zwischen no-orischen Pessimisten und auch den unterschiedlichstenxperten darüber, wer am schwächsten sei: die deutscheußballnationalmannschaft oder die deutsche Wirt-chaft.
Meine persönliche Schätzung lautet: So ähnlich, wieund drei Viertel aller Journalisten damals, Wochen, jaonate bevor Deutschland bei der Fußballweltmeister-chaft den dritten Platz erreichen sollte, unser Teamiemlich heruntergeschrieben haben, haben das vieleuch mit den Aussichten der deutschen Konjunktur unden Aussichten der deutschen Wirtschaft getan. Es gibtiele Experten, für die die Konjunktur schon wieder zunde war, bevor sie eigentlich begonnen hatte.Es ist anders gekommen, und darüber freue ich mich.
Metadaten/Kopzeile:
4370 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Bundesminister Peer SteinbrückDie deutsche Wirtschaft wächst so stark wie seit fünfJahren nicht mehr. Gleichzeitig hat der konjunkturelleAufschwung an Breite und vor allen Dingen auch an Ro-bustheit gewonnen. Während die Wachstumsimpulse derletzten Jahre bis zum Frühjahr vor allem aus dem Aus-land kamen, erleben wir jetzt einen, wie wir glauben,eher klassischen Konjunkturaufschwung, bei demsich die positiven außenwirtschaftlichen Impulse endlichauch durch eine gute Entwicklung der Baukonjunktur,durch eine gute Entwicklung der Ausrüstungsinvestitio-nen und durch ein langsames – langsames! – Anziehenauch der Binnenkonjunktur, der Binnennachfrage ergän-zen. In diesen Wochen bewahrheitet sich deshalb wiedereinmal ein sehr kluger Satz von Winston SpencerChurchill, nämlich dass ein Experte ein Mann ist, derhinterher genau sagen kann, warum seine Prognose nichtgestimmt hat.Ich will genauso deutlich sagen, dass umgekehrt keinAnlass für Euphorie, Entwarnungen und geradezu ver-klärte Augen aufgrund von Begehrlichkeiten besteht.Das Wachstum des Bruttosozialprodukts wird in diesemJahr wahrscheinlich eine Zwei vor dem Komma haben.Dass wir über die Klippe des 1. Januar 2007 hinweg-kommen müssen und dass wir noch nicht genau wissen,wie nachhaltig dieses Wachstum ist, steht aber ebensoauf dem Blatt.Der Arbeitsmarkt hat sich erfreulich entwickelt. Wirwissen aber, dass wir in Bezug auf die großen Problem-gruppen in diesem Arbeitsmarkt – Langzeitarbeitslose,jugendliche Arbeitslose, ältere Arbeitslose – nach wievor erhebliche Schwierigkeiten haben.Auch bei den Steuereinnahmen ist Nüchternheit an-gesagt. Lassen Sie sich – das gilt auch für die Öffentlich-keit – nicht davon verwirren, dass von 16 bis 18 Milliar-den Euro Mehreinnahmen gesprochen wird. Man mussbedenken, dass mindestens 14 bis 15 Milliarden Eurodavon bereits Gegenstand der Finanzplanungen des Bun-des, der Länder und der Kommunen sind. Um Ihnenkeine Antwort schuldig zu bleiben: Ich vermute, dass derBund am Ende dieses Jahres gegenüber unseren bisheri-gen Veranschlagungen 3 bis 3,5 Milliarden Euro mehrhaben wird. Mein Vorschlag wird sein, dass der Löwen-anteil davon in die Absenkung der Nettokreditaufnahmegesteckt und nicht an anderer Stelle ausgegeben wird.
Wir haben es in der Bundesrepublik Deutschland– ich sage das auch vor dem Hintergrund der erfreuli-chen Entwicklung bei den Steuereinnahmen – nach wievor mit Schulden in Höhe von 1 500 Milliarden Euro zutun. Unbenommen der vielleicht möglichen Absenkungder Nettokreditaufnahme werden wir in diesem Jahr– zumindest im Soll – immer noch von 38 MilliardenEuro neuen Schulden reden. Im Vergleich dazu investie-ren wir nur 22 Milliarden Euro. Das alles sind Hinweisedafür, dass man nicht plötzlich in eine Euphorie verfal-len und sich durch eine erfreuliche Entwicklung, welchedurch die Zahlen deutlich wird, die öffentlich gehandeltwerden, nicht plötzlich den Blick verstellen lassen soll.gslugEddsuazgptbvgGdüinvdengRbtfHdlgardssBmavsmlsvvpo
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4371
)
)
Ich sage Ihnen: Viele Menschen stimmen sogar dort zu,wo es um Zumutungen geht, weil sie wissen, dass es unsohne Anstrengungen und ohne Veränderungen nicht bes-ser gehen wird, und weil sie wissen, dass die Additionvon individuellen und auch Gruppeninteressen nicht mitdem Allgemeininteresse dieser Republik gleichzusetzenist.Die gegenwärtige robuste wirtschaftliche Erholungzeigt uns einen weiteren Punkt: Unsere soziale Markt-wirtschaft – man kann auch sagen: das deutsche und daskontinentaleuropäische Wirtschafts- und Sozialmodell –gehört mitnichten auf den Scheiterhaufen der Ge-schichte. Diese soziale Marktwirtschaft vermag dyna-misch zweierlei zu leisten, nämlich auf der einen Seitewirtschaftlich-technologischen Wandel zu bewältigen– wenn Sie so wollen: auf der Höhe der Zeit zu sein unddie dafür notwendigen Veränderungen vorzunehmen –und dabei auf der anderen Seite den gesellschaftlichenZusammenhalt im Blick zu behalten, Fliehkräften entge-genzuwirken, Chancengerechtigkeit herzustellen, alldas, was marktradikale Lösungen nicht zu leisten vermö-gen.
Mir ist sehr bewusst, dass das Wort „Aufschwung“mit äußerster Vorsicht zu gebrauchen ist. Gäbe es eineentsprechende Statistik, würde die sehr hohe Inflations-rate des Wortes „Aufschwung“ deutlich. Aber es gibteine sehr gute Entwicklung, nicht nur an den Börsen undin den Bilanzen, sondern endlich auch auf dem Arbeits-maarh4wgwwezdstidpkABgwAGaSseFsdgjvmswdWghEArvmh
ie hat mit Reformen auf dem Arbeitsmarkt und in denozialen Sicherungssystemen, mit Steuerreformschrittenrheblichen Ausmaßes und mit Reformen auf deminanzmarkt die Grundlagen für diese Entwicklung ge-chaffen.Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Situationer Unternehmensteuerreform sollten wir auch nicht ver-essen, dass die Steuerreform von 2000 und den Folge-ahren, für die mein Vorgänger, Hans Eichel, maßgeblicherantwortlich war, die Bürger wie auch die Unterneh-en in der Bundesrepublik Deutschland um sage undchreibe 60 Milliarden Euro pro Jahr entlastet hat. Dasar die größte Steuersenkung, die es in der Geschichteer Bundesrepublik Deutschland je gegeben hat.
ir sollten über den Nachrichten, in denen es um die zu-emuteten Belastungen geht, nicht vergessen, dass wireute, am Ende dieser Steuerreform, insbesondere iminkommensteuerbereich die Situation haben, dass einlleinverdiener – verheiratet, zwei Kinder – unter An-echnung des Kindergeldes auf ein Einkommen in Höheon bis zu 37 000 Euro keinen Cent Steuern bezahlenuss.Auch und gerade die mittelständischen Unternehmenaben konsequent auf die Herausforderungen der
Metadaten/Kopzeile:
4372 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Bundesminister Peer Steinbrückglobalisierten Wirtschaft reagiert, zum Beispiel in Formvon Innovationen, Qualitätssteigerung, Kostensenkun-gen und einer ausgeklügelten Logistik. Auch dies trägtzur wirtschaftlichen Entwicklung bei. Richtig ist, dassgroße Unternehmen nach dem Platzen der New-Economy-Blase ihre Bilanzen weitgehend in Ordnunggebracht und damit den Spielraum für neue Investitionengeschaffen haben, die jetzt mehr und mehr auch inDeutschland zur wirtschaftlichen Erholung beitragen.Nicht zuletzt haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mer und die Gewerkschaften durch sehr moderate Tarif-abschlüsse und auch durch Verzicht auf Lohnbestand-teile, durch unbezahlte Mehrarbeit und flexibleArbeitszeitmodelle einen erheblichen Anteil an der inter-national gewachsenen Wettbewerbsfähigkeit derBundesrepublik Deutschland.
Schließlich hat sich die alte Deutschland AG verän-dert. Beteiligungskapital spielt eine sehr viel größereRolle als die klassische Kreditfinanzierung. Post, Tele-kommunikation, Transportmärkte und andere Bereichewie die öffentlichen Personennahverkehre sind Märktenzugeführt worden. Das alles sind Erscheinungen, die esin den 90er-Jahren noch nicht in der Form gegeben hat.
All das macht deutlich: Wir sind weitaus mutiger undbesser, als wir es uns selber zugetraut und andere unseingeredet haben. – Die aktuelle wirtschaftliche Ent-wicklung zeigt auch, dass die große Koalition mit ihrerDoppelstrategie für den Haushalt 2006 und 2007 richtiglag und liegt.
Wir wollten 2006 einen konjunkturstützenden Haushaltfahren und 2007 sehr viel stärkere Akzente auf die Kon-solidierung setzen. Dies war und ist richtig, so umstrittenes auch in manchen Debatten gewesen ist.Wir haben im Haushalt 2006 auf der Einnahmen- undAusgabenseite alles unterlassen, was die Konjunkturhätte eintrüben können. Das war im Hinblick daraufrichtig, dass sich der Konjunkturhimmel aufhellen sollte,was er auch getan hat.
In einer sehr schwierigen wirtschaftlichen Ausgangs-lage haben wir mit dem Bundeshaushalt 2006 das öko-nomisch Richtige getan. Wir haben klare Prioritäten fürdie Wachstumsförderung gesetzt. Hierzu stellen wirbis 2009 25 Milliarden Euro zur Verfügung, die insbe-sondere dem Bereich der Zukunftsinvestitionen zugutekommen werden. Wie Sie wissen, werden im nächstenJahr rund 6 Milliarden Euro fällig. Bekannt ist auch,dass die Länder weitere 12 Milliarden Euro hinzufügenwerden, und vor allen Dingen, dass private Investitionenauf breiter Ebene ausgelöst worden sind. Denken Sie andas CO2-Gebäudesanierungsprogramm, bei dem wir da-fksdQdwBBntKimwNlvowduddlIvvrvsuimidcwduZdgDluwasz
Mit der Einführung des Elterngeldes ab 2007 stärkenir gezielt die Familienförderung, nachdem wir imundeshaushalt 2006 mit zusätzlichen Impulsen in denereichen Haushalt als Arbeitgeber, Forschung und In-ovation, Belebung der Wirtschaft und Verkehrsinvesti-ionen damit begonnen haben, die Doppelstrategie vononsolidierung einerseits und Impulsen andererseits zumplementieren.Die stärkere Förderung von Zukunftsbereichen wirdittel- und langfristig positiv auf den Haushalt zurück-irken. Deshalb ist auch der Pfad, auf dem wir dieettokreditaufnahme des Bundes bis 2010 von 38,2 Mil-iarden Euro auf 20 Milliarden Euro zurückfahren,olkswirtschaftlich absolut richtig. Ich hätte sogar einffenes Ohr für diejenigen, die fragen, ob dies nicht nocheiter gehen sollte.Wir haben beim Haushalt 2006 nur sehr behutsam miter Konsolidierung begonnen, wie ich dargelegt habe,m die positive Wirtschaftsentwicklung nicht zu gefähr-en; das war Vorsatz. Aber ab 2007 muss die Konsoli-ierung akzentuiert werden. Vor allem die bereits einge-eiteten Maßnahmen der Finanzpolitik tragen dazu bei.ch nenne als Beispiele die in dieser Legislaturperiodeorgenommenen Kürzungen im Bundeshaushalt in Höheon rund 32 Milliarden Euro – von manchen nicht soichtig zur Kenntnis genommen –, den Abbau von Sub-entionen in Höhe von rund 19 Milliarden Euro – ab-trakt von vielen begrüßt, aber wehe, es wird konkretnd betrifft die eigene Klientel – und Steuererhöhungenn Höhe von rund 28 Milliarden Euro. All diese Maßnah-en werden erst ab 2007 – nicht schon im Jahre 2006! –hre volle Wirksamkeit entfalten können, das aber vorem Hintergrund eines sehr viel robusteren wirtschaftli-hen Umfelds und Wachstums.Erste wichtige Fortschritte sind geschafft; das könnenir schwarz auf weiß belegen. Erstens. Wir werden nachem Übergangsjahr 2006 die Regelgrenze des Art. 115nseres Grundgesetzes wieder dauerhaft einhalten.weitens. Wir werden aller Voraussicht nach bereits iniesem Jahr wieder die 3-Prozent-Maastrichtdefizit-renze einhalten, das heißt unterschreiten.
er kürzlich vom Statistischen Bundesamt veröffent-ichte Maastrichtdefizitwert für das erste Halbjahr 2006ntermauert diese Annahme. Es sind 2,5 Prozent ausge-iesen. Das darf man zwar nicht – darauf möchte ich Sieufmerksam machen – auf das Haushaltsergebnis des ge-amten Jahres hochrechnen. Aber realistisch ist ein Defi-it in der Größenordnung von 2,8 Prozent des Brutto-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4373
)
)
Bundesminister Peer Steinbrückinlandsprodukts für das Gesamtjahr 2006. Diesen Wertwerden wir im Herbst der EU-Kommission melden.Politisch weitaus wichtiger als diese formale Mel-dung ist: Mit unserer soliden Haushaltspolitik dokumen-tieren wir unser klares Bekenntnis zu Europa undeinem stabilen Euro. Unsere stabilitätsorientierte undvorausschauende Finanzpolitik entlastet nicht zuletzt dieEuropäische Zentralbank bei ihrer geldpolitischen Steue-rung und eröffnet ihr so zusätzliche Entscheidungsspiel-räume. Kurzum: Wir signalisieren Verlässlichkeit undBerechenbarkeit. Das wird im Übrigen auch von unsereneuropäischen Partnern und der EU-Kommission so gese-hen und bewertet. Es geht nicht nur um unsere nationaleZukunft. Deutschland trägt in Europa vielmehr einegroße ökonomische Mitverantwortung. Deutschland isteiner der Architekten des Stabilitäts- und Wachstums-paktes und hätte deshalb in meinen Augen um keinenPreis diesen Pakt in seiner Bedeutung relativieren dür-fen.
Wir tragen mit unserer wirtschaftlichen Leistungskrafteine besondere Verantwortung für den Erfolg dieses Pak-tes. Dieser Pakt ist eine wichtige Grundlage für den wirt-schaftlichen Wohlstand in Europa und für die Stabilitätdes Euro, der sich – fast unbemerkt und nur selten ge-würdigt – zur zweitwichtigsten Reservewährung derWelt entwickelt hat. Das ist eine Erfolgsgeschichte, wiesie in den letzten zehn Jahren in kaum einem anderenBereich unserer europäischen Politik vorgekommen ist.
Das soll so bleiben. Umso wichtiger ist daher, dassDeutschland die Glaubwürdigkeit des europäischen Sta-bilitäts- und Wachstumspaktes stärkt, und zwar aufDauer, und somit als Vorbild für andere fungiert, die– sehr vorsichtig formuliert – noch nicht so weit sind.Zu den stereotypen Vorwürfen an die Adresse desBundesfinanzministers gehört die Behauptung, ich sei inSachen Maastrichtdefizitentwicklung ein notorischerTiefstapler, der ausschließlich Begehrlichkeiten abweh-ren wolle. Ich werde aber – genauso wie Sie – am Endeeiner Entwicklung lieber von positiven als von negativenNachrichten überrascht. Im Hinblick auf die Glaubwür-digkeit der Politik ist es mir daher generell wichtig, mitPrognosen eher vorsichtig zu sein. Ich sage nur all denje-nigen, die dies vielleicht zum Gegenstand der Haushalts-debatte machen – schon drei-, viermal bin ich damit kon-frontiert worden –: Wenn wir zu Beginn dieses Jahres imZusammenhang mit unserem Haushaltsentwurf 2006 einMaastrichtdefizitkriterium von weniger als 3 Prozentangemeldet hätten, dann hätte dies auch mit entspre-chenden Maßnahmen auf der Einnahme- und Ausgaben-seite korrespondieren müssen. Allein mit vollmundigenAnkündigungen in Richtung Brüssel wäre es nicht getangewesen; das hätte nicht gereicht.Dann allerdings hätten wir den Vorsatz verletzt, FrauHajduk, auf der Einnahmeseite und auf der Ausgaben-seite nichts tun zu wollen, was diese Entwicklung 2006tlLdHsz–dPSPD–mlddnüngevzDdtafssnMgbSfhDnlwn41Fr
chauen Sie auf den Haushalt! Wenn ich Agitation undropaganda betreibe, dann hört sich das ganz anders an.ieses Pult diszipliniert. Insofern bin ich vorsichtig.
Die Propaganda, die Sie in Kiel betrieben haben, hatan bis hierhin hören können.Rund 13 Milliarden Euro bzw. 60 Prozent des Konso-idierungsvolumens im Haushaltsplanentwurf 2007 wer-en durch Kürzungen auf der Ausgabenseite oder durchie Kürzung von Steuersubventionen bzw. direkten Fi-anzsubventionen erbracht. Wir tragen mit 40 Prozentber Steuererhöhungen zur Konsolidierung bei. Das gilticht nur für 2007. Wir konsolidieren stärker durch Aus-abenkürzungen und durch die Streichung von Steu-rsubventionen – von vielen beklagt, von vielen aberorher gefordert – über diese Legislaturperiode, undwar in dem von mir genannten Verhältnis von 60 : 40.as heißt, die Bundesausgaben werden in den kommen-en Jahren kaum steigen. Bereinigt um die haushaltsneu-rale Zuweisung der Einnahmen von einem Prozentpunktus der Mehrwertsteuererhöhung an die Bundesagenturür Arbeit soll der Bundeshaushalt 2007 gegenüber 2006ogar um 500 Millionen Euro sinken. Wir werden in die-em Jahr weniger als im nächsten Jahr ausgeben, berei-igt um die Einnahme eines Prozentpunktes aus derehrwertsteuererhöhung, der an die Bundesagentureht. Über den gesamten Finanzplanungszeitraum 2006is 2010 wird es eine jahresdurchschnittliche nominaleteigerung von bloß 0,7 Prozent geben. Wenn Sie die In-lationsrate mit einrechnen, dann wird der Bundeshaus-alt über diesen Finanzplanungszeitraum real sinken.as hat es in dieser Republik in diesem Ausmaß nochicht gegeben.Damit bestärken wir eine Entwicklung, die in denetzten Jahren eingeleitet wurde. Die Staatsquote sinkteiter. Das dürfte auch von der FDP zur Kenntnis ge-ommen werden. Schon im Jahre 2005 haben wir mit6,8 Prozent den niedrigsten Stand der Staatsquote seit991 gehabt. Wenn ich mich richtig erinnere, war dieDP 1991 und in den Folgejahren Teil der Bundesregie-ung. Bald werden wir die Staatsquote von 46 Prozent
Metadaten/Kopzeile:
4374 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Bundesminister Peer Steinbrückunterschreiten. Vor zehn Jahren lag die Staatsquote bei49,3 Prozent. Ich wäre dankbar, wenn dies in einem Ih-rer Beiträge ganz vorsichtig gewürdigt werden könnte.
Ohne dass ich jetzt Zahlensalat vortragen und in dastypische Ritual verfallen will – es bleibt unter demStrich, dass die Opposition keine tragfähigen Beiträgezur weiteren Begrenzung der Bundesausgaben unterbrei-tet hat. Wer wie die FDP bei den Eingliederungsleistun-gen für Langzeitarbeitslose 3 Milliarden Euro und beiden Verwaltungs- und Betreuungskosten 1 MilliardeEuro sparen will, der unterschätzt schlicht und einfachden sozialpolitischen Sprengstoff, der damit verbundenist.
Wer Vorschläge über abrupte Kürzungen in Milliarden-höhe bei der Steinkohlesubvention macht, der suggeriert,man könne sich über rechtskräftige Verträge hinwegset-zen.
– Selbstverständlich tun Sie das, wenn Sie so tun, als obman während der Laufzeit gültiger Bewilligungsbe-scheide Milliardenbeträge einsparen könne. Darüberhabe ich mir schon einige Male den Mund fusselig gere-det, aber ich werde bei Ihnen leider keinen Erkenntnis-fortschritt auslösen können. Ich verzweifle an dieserStelle.
Das ist genauso realitätsfern und illusorisch wie die Vor-schläge der Linken und der Grünen, ungeachtet unsererinternationalen Verpflichtungen massiv bei den Verteidi-gungsausgaben einzusparen.Ich sage an dieser Stelle, ohne mich in dem Fahrwas-ser weiter bewegen zu wollen: Selbstverständlich gibt esRisiken für den Haushalt.
– Ich weiß doch, dass das im Mittelpunkt Ihrer Ausfüh-rungen stehen wird. – Die Beschreibung von Risikensagt aber noch nichts über die Eintrittswahrscheinlich-keit dieser Risiken aus.
Der Bundeshaushalt ist wie in all den vergangenen Jah-ren selbstverständlich von Risiken umzingelt. Das giltübrigens auch für den Haushalt 2006. Der Punkt ist, dassdiese Risiken in dem von Ihnen beschriebenen Ausmaßnicht eingetreten sind.
Im Übrigen gilt für den Bundesgesetzgeber, also fürSie genauso wie für die Bundesregierung, was OtmarIssing gesagt hat: Der Zwang, zu entscheiden, läuft derbzDhiUAaSnntWnsbacSHbwWdcIscEiws2zneggKsDnmBkssmhgit
as heißt, die Bundesregierung muss einen Bundeshaus-alt aufstellen in Kenntnis von Unsicherheiten. Politikst nichts anderes als das verantwortliche Handeln unternsicherheiten. Das gilt selbstverständlich auch für dieufstellung eines Bundeshaushalts. Sie können michlso gerne darauf hinweisen, dass die Verhandlungen inachen Kosten der Unterkunft noch ausstehen. Sie kön-en mich gerne darauf hinweisen, dass wir nicht so ge-au wissen, wie die Zinspolitik der Europäischen Zen-ralbank ist. Auch können wir im Augenblick einigeährungen, insbesondere die Entwicklung des Verhält-isses von Euro und Dollar zum Yen, nicht richtig ein-chätzen. Selbstverständlich gibt es Risiken auf dem Ar-eitsmarkt. Das alles ist mir sehr bewusst. Wir müssenllerdings in Kenntnis und in Abwägung dieser Unsi-herheit handeln.So wichtig sie auch ist: Konsolidierung ist keinelbstzweck. Wir müssen konsolidieren, um in denaushalten wieder klare Prioritäten für Zukunftsaufga-en und Zukunftsinvestitionen zu setzen. Nur so bringenir unsere Volkswirtschaft auf einen dauerhaft festerenachstumspfad, nur so können wir die Arbeitslosigkeitauerhaft reduzieren und nur so können wir Politik ma-hen, die auch über den Tag hinaus trägt und die auch imnteresse unserer Kinder und unserer Enkelkinder liegt.Wir schulden unseren Kindern und Enkeln jede An-trengung für tragfähige, solide und verlässliche öffentli-he Finanzen. Wir wissen, was auf unsere Kinder undnkelkinder zukommt. Auch in dieser Hinsicht wäre esm Augenblick falsch, die Tatsache zu ignorieren, dassir 1 500 Milliarden Euro Schulden mit uns herum-chleppen. Wie sollten wir unseren Kindern in zehn oder0 Jahren erklären, dass wir dies alles im Jahre 2006war wussten, dass es uns aber egal war und dass wiroch nicht einmal unter den günstigeren Bedingungenines Aufschwungs die Kraft hatten, die Wünsche deregenwärtig in der Verantwortung stehenden Generationegen die berechtigten Zukunftsinteressen unsererinder und Enkelkinder gegebenenfalls zurückzuwei-en?
eshalb frage ich an dieser Stelle sehr bewusst ganz ge-erell: Wann, wenn nicht jetzt, ist der Zeitpunkt, aufehr Vorsorge für die Zukunft zu drängen, auch untererücksichtigung unseres augenblicklichen Gegenwart-onsums? Dies ist und bleibt die Kernfrage.Genau jetzt, in einem Klima des wirtschaftlichen Auf-chwungs, ist der richtige Zeitpunkt, die Haushaltskon-olidierung entschlossen anzugehen und das im Zusam-enspiel mit gezielten Wachstumsimpulsen zu tun. Ichabe hier, an gleicher Stelle, im März bei der Einbrin-ungsrede für den Haushalt 2006 etwas gesagt, wovonch glaube, dass ich damit ziemlich richtig lag – ich zi-iere mit Billigung der Präsidentin –:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4375
)
)
Bundesminister Peer SteinbrückIch kann keinerlei Hoffnung … machen … Wir ha-ben die Anhebung der Umsatz- und der Versiche-rungsteuer zum 1. Januar 2007 beschlossen. Dabeibleibt es,– Einschub: ja, dabei bleibt es –auch wenn ich genau weiß, wie die Debatte in die-sem Jahr verlaufen wird, und zwar aus zwei unter-schiedlichen Richtungen mit demselben Ergebnis.Ich habe im März gesagt, dass die eine Debatte in etwaso verlaufen wird: Das Wirtschaftswachstum ist besser,als Sie, die Bundesregierung, prognostiziert haben, unddeshalb können Sie die Mehrwertsteuer senken. – Dieandere Debatte könnte so verlaufen: Oh, die Konjunkturläuft schlechter, als Sie, die Bundesregierung, gedachthaben, und deshalb müssen Sie die Mehrwertsteuer sen-ken.
Das erste Szenario ist eingetreten. Die für Deutschlandgünstigere Variante ist jetzt da; die Fakten sind aller-dings geblieben. Es ist unverändert: Es sind dieselbenFakten, mit denen wir es bei den Beratungen im März zutun gehabt haben.
Das ändert nichts daran, dass es nicht nur der Bundes-haushalt, sondern auch die Länderhaushalte und diekommunalen Haushalte mit strukturellen Einnahmedefi-ziten zu tun haben. Man kann unterschiedlicher Auffas-sung über die Höhe sein – ich streite nicht um Zahlen –;aber uns liegt auch die Bestätigung vor, dass die kon-junkturunabhängige Finanzlücke in Höhe von wahr-scheinlich 15 bis 20 Prozent sich nicht durch konjunktur-abhängige, temporäre Mehreinnahmen schließen lässt.Davon auszugehen, das ist der Fehler, den Sie machen.
Dass manche inzwischen so tun, als schwimme dieBundesregierung in Geld und müsse sich nur überlegen,wie sie den neuen Reichtum ausgeben könnte, das ist mirsehr bewusst. Aber das ist gerade so, als würden Sie ei-ner Familie sagen: In den letzten Jahren haben Sie jamehr Schulden gemacht als geplant und in diesem Jahrmachen Sie weniger Schulden als geplant. Was machenSie denn jetzt mit dem Geld? – So ähnlich ist das, wasSie uns abverlangen.Mir ist sehr klar, dass eine Partei, die in 13 von16 Ländern keine Regierungsverantwortung trägt, leich-ter – vielleicht sollte ich sagen: leichtfertiger – einenVerzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung fordern kannals solche Parteien, die in diesen Ländern politische Ver-antwortung tragen.
Das ist zweifellos populär. Aber besonders verantwor-tungsbewusst ist es nicht.dndb–eSvEDdbHkgMBsISmmBÜSRB4lFleneDnmksav
Im Übrigen halte ich an einem Verdacht fest: Wennie FDP in die Verlegenheit gekommen wäre, Partner ei-er Koalition im Bund zu sein, dann hätte sie angesichtser Lage diese Mehrwertsteuererhöhung natürlich miteschlossen.
Aber selbstverständlich! Doch! Soll ich Ihnen etwasrzählen? Die FDP hat zwischen 1983 und 1998 zwanzigteuererhöhungen mit einer Gesamtbelastung für die Be-ölkerung von 143 Milliarden DM, gut 70 Milliardenuro also, mit beschlossen.
er Verdacht ist schon deshalb begründet, weil Sie voner FDP in der Zeit drei Mehrwertsteuererhöhungen miteschlossen haben.
err Solms – bei aller gebotenen Vorsicht und Höflich-eit: Sie waren an diesen drei Mehrwertsteuererhöhun-en beteiligt –, vielleicht erklären Sie nachher, was Ihreotive damals gewesen sind oder inwieweit sich Ihreegründungen von unseren Begründungen heute unter-cheiden.
n der Opposition sind Sie gegen Steuererhöhungen. Woie in der Regierung waren, haben Sie alle Erhöhungenitgetragen. Das ist eine klare Linie, aber keine sehrutige.
Damit ich nicht nur in eine Richtung rede, will ich mitlick auf eine andere positive Entwicklung, nämlich dieberschüsse bei der Bundesagentur für Arbeit, meinerkepsis Ausdruck verleihen; das gehört nun mal zurolle eines Bundesfinanzministers. Ja, wir wollen deneitragssatz zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf,5 Prozent senken. Aber wir alle wissen, dass ein erheb-icher Teil der Überschüsse, wahrscheinlich ein Drittel,olge eines einmaligen Effektes ist; die Arbeitgeber zah-en ihre Beiträge zur Sozialversicherung in diesem Jahrinmal öfter als üblich. In diesem Jahr fließen 13 Mo-atsbeiträge in die Kassen der Sozialversicherung, aberben nur in diesem Jahr. Selbst mit Unterstützung deseutschen Bundestages werden wir im kommenden Jahricht von zwölf auf 13 Monate gehen können.Es wäre in meinen Augen sträflich, wegen eines Ein-aleffekts zu einem dauerhaften Einnahmeverlust zuommen. Zieht man diesen Einmaleffekt vom Über-chuss der Bundesagentur für 2006 ab, bleiben – dannuch als Puffer für die kommenden Jahre – bestenfalls 6,ielleicht 7 Milliarden Euro übrig.
Metadaten/Kopzeile:
4376 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Bundesminister Peer Steinbrück– Ja. Es sieht aber ganz danach aus, als wenn die Bun-desagentur diesen Puffer in den nächsten Jahren auchbrauchen könnte. Ich möchte nicht erleben, dass dannplötzlich wieder ein Griff in die Bundeskasse notwendigwird.
Ihre Hinweise darauf – das geht quer durch das ganzeHaus –, es handele sich um Arbeitslosenversicherungs-beiträge, die nicht in die Bundeskasse gehörten, ist rich-tig. Ich würde Ihren rechtlichen Sachverstand infragestellen, wenn ich das nicht anerkennen würde. Aber wasist denn mit den ungefähr 40 Milliarden Euro, die in denletzten zehn Jahren als Zuschuss an die Bundesagenturbzw. an die Bundesanstalt geflossen sind?
Bekommen wir die jetzt zurück?
Wenn die Bundesagentur wieder klamm wird, wollenwir nicht mehr die Debatte haben, wie sie in den letztenJahren durchgängig geführt worden ist. Da hieß es näm-lich immer: Nun gebt uns mal einen Zuschuss von4 Milliarden Euro – vielleicht ein bisschen weniger –;nun gebt uns mal einen Kredit! – Das ist der Grund da-für, dass der Bundesfinanzminister ein großes Interessedaran hat, sich gerade in dieser guten Zeit wie ein Hams-ter etwas zurückzulegen, also einen Puffer zu bilden.Man soll Hilfe nicht mehr vom Bundeshaushalt erwar-ten.
Ich glaube, dass es eine Rückkehr zu den alten Zeiten,wo mit Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt im Zwei-felsfall verhindert worden ist, dass der Beitragssatz zurArbeitslosenversicherung erhöht werden musste, nichtgeben sollte.
– Jetzt gibt es keinen mehr; richtig.Kurzum: Bevor wir die Sektkorken knallen lassen,sollten wir schauen, ob überhaupt etwas in der Flascheist.Lassen Sie mich zu dem wichtigen Thema Unterneh-mensteuerreform Stellung nehmen, das auch unterHaushaltsgesichtspunkten diskutiert wird, wenn auchnoch nicht mit Relevanz für den Haushaltsplanentwurf2007, aber mit Blick auf die mittelfristige Finanzpla-nung.Wie ist die Ausgangslage? Deutschland liegt, auchdank der Steuerreform in den Jahren 2000 folgende, beider steuerlichen Belastung von Personengesellschaftenseit Jahren in einem sehr guten europäischen Mittelfeldund wird dort noch lange bleiben. Auch das darf gele-gentlich anerkennende Worte finden.DtdsgsdmlddeIdsdhipdezdnltvssstszdnzUaaAfsGDlrmK
ie Steuerbelastung der Personengesellschaften war un-er der Regierung mit der FDP extrem hoch. Sie habenamals 53 Prozent Spitzensteuersatz gezahlt; jetzt habenie einen Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Der Ein-angsteuersatz betrug damals 25,9 Prozent; jetzt habenie einen von 15 Prozent. Auch die Regelung bezüglicher Anrechenbarkeit der Gewerbesteuer auf die Einkom-ensteuer ist nun sehr viel günstiger. Das haben Sie al-es nicht gemacht, sondern daran hat jemand mitgewirkt,er dort hinten sitzt, und viele andere auch.Das heißt, inzwischen haben ungefähr 90 Prozent dereutschen Personengesellschaften eine effektive Besteu-rung von unter 20 Prozent. Das ist eine gute Nachricht.ch weiß, dass 10 Prozent darüber liegen, einige sogar iner Größenordnung der Besteuerung von Kapitalgesell-chaften. Ich weiß, dass große Familienunternehmen da-urch erhebliche Probleme haben. Aber zunächst einmalaben 90 Prozent der deutschen Personengesellschaftenn den letzten Jahren eine ausgesprochen positive Steuer-olitik erlebt,
ie sich übrigens inzwischen auch auf die Gewerbesteu-reinnahmen der Kommunen ausgewirkt hat, wo wirum dritten Mal in Folge ein Rekordjahr erleben. Das istie zweite gute Nachricht.Nun ein Wort zu den Kapitalgesellschaften. Das sollicht heißen, dass ich nachher nicht auf die Fragestel-ung zurückkommen will, was wir weiterhin für den Mit-elstand tun müssen. Ich will aber nicht als Generalkritikorgehalten bekommen, wir täten nichts für den Mittel-tand; selbstverständlich tun wir etwas für den Mittel-tand. Vor allen Dingen haben wir für den Mittelstandchon etwas getan und fangen nicht erst heute damit an.
Wir haben ein Problem bei den Kapitalgesellschaf-en; da sieht es nämlich anders aus. Die Kapitalgesell-chaften haben einen Definitivsteuersatz von 38,65 Pro-ent. Mit dieser Steuerbelastung liegen wir in Europa aner Spitze. Das heißt, die Kapitalgesellschaften sindicht wettbewerbsfähig. Die Folgen sind sichtbar: Poten-ielle Investoren werden eher abgeschreckt; deutschenternehmen werden von niedrigeren Steuersätzen, vorllem in direkt angrenzenden Nachbarländern, magischngezogen und verlagern Betriebe und Arbeitsplätze insusland. Gleichzeitig führt diese Situation zu Steueraus-ällen. Vor allem international operierende Unternehmenorgen durch legale – ich betone: legale – steuerlicheestaltung dafür, dass ein erheblicher Teil der ineutschland erwirtschafteten Gewinne nicht in Deutsch-and besteuert wird. Das will diese Regierung ändern.
Über die aus diesen Verschiebebahnhöfen resultie-ende Summe kann man streiten; das weiß ich. Aber sieacht einen höheren zweistelligen Milliardenbetrag aus.onsequenz ist eine immer größere Entkoppelung der in
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4377
)
)
Bundesminister Peer SteinbrückDeutschland versteuerten Gewinne von der in Deutsch-land erarbeiteten Wertschöpfung. Deshalb müssen wir,nicht zuletzt auch im Sinne eines handlungsfähigen Staa-tes, jetzt handeln, um die Steuerbasis in Deutschland zusichern.
Die Steuerreform verfolgt fünf zentrale Ziele:Erstens sollen die Steuereinnahmen langfristig gesi-chert werden.Zweitens soll die internationale steuerliche Wettbe-werbsfähigkeit der Unternehmen und der interessiertenInvestoren in Deutschland verbessert werden.Drittens sollen Unternehmen, die ihre Gewinne inDeutschland versteuern, entlastet werden und Unterneh-men, die Gewinne ins Ausland verschieben, sollen mehrbezahlen.Viertens soll bei der steuerlichen Belastung von Kapi-talgesellschaften und Personengesellschaften eine größt-mögliche Gleichbehandlung erfolgen. Wir wollen imErgebnis, technokratisch gesprochen, Rechtsformneutra-lität.Fünftens wollen wir die Investitionskraft der Kom-munen sichern, die immerhin 60 Prozent aller öffentli-chen Investitionen in der Bundesrepublik Deutschlandvornehmen.Dies alles wollen wir über die Absenkung der nomi-nalen Steuersätze erreichen, und zwar – das ist die Kon-ditionierung – bei einer gleichzeitigen Verbreiterung derBemessungsgrundlage. Mit dieser Strategie folgen wirden Steuerreformansätzen unserer europäischen Nach-barn; die machen es nicht anders. Im Übrigen hat derSachverständigenrat ebenso wie sehr viele andere Wis-senschaftler die Bundesregierung früher und bis heuteimmer wieder aufgefordert, Steuersatzsenkungen vorzu-nehmen und diese mit einer Erweiterung der Beitragsbe-messungsgrundlage zu verbinden. Diese Strategie istnicht falsch.Naturgemäß entzündet sich die Debatte mit den Wirt-schaftsverbänden an einer Verbreiterung der Bemes-sungsgrundlage. Wie sieht eine solche Verbreiterunggenau aus? Wir haben in der von Herrn Koch und mirgeleiteten politischen Arbeitsgruppe eine intensive De-batte über die im Raume stehenden Maßnahmen geführt.Wenn Sie die Eckpunktebeschlüsse des Koalitionsaus-schusses und der Bundesregierung lesen, sehen Sie, dasswir uns dabei in Korridoren bewegen, dass da nichts inStein gemeißelt ist. Wir reden über die Beschränkungdes Finanzierungskostenabzuges, über eine Zinsschran-kenregelung, über eine Grundsteuer C, über verschie-dene Varianten, die, auch mit Blick auf ihre Auswirkun-gen, konkret berechnet werden müssen.Diese Vorschläge sind, wie aus dem Eckpunktepapierhervorgeht, nicht in Beton gegossen. Sie stehen aller-dings auch nicht beliebig zur Disposition. Das sage ichgenauso freimütig; denn ich bekomme zunehmend vonWirtschaftsverbänden und auch von einigen einzelnenVdnnswnmPgkFwENtVßvsed9aUwvMzMgPkDVdzmwhasbneiebIeznzhvd
Metadaten/Kopzeile:
4378 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Im Rahmen des Bundeshaushaltes 2007 will der Bun-desfinanzminister noch einmal Schulden in Höhe von22 Milliarden Euro aufnehmen. Das heißt, PeerSteinbrück hat in diesem Jahr eine Neuverschuldungdes Bundes in Höhe von mehr als 60 Milliarden Euro zuverantworten. Vor allem darauf hätte er in seiner Redeeingehen sollen und nicht auf die Politik der FDP in denJahren 1991 und 1992.
Das wäre viel interessanter gewesen.dddHsdsbdzdzgdFpwAluKNwunirDwushBstkMkSssWmzZ
Sparen, wie wir es fordern, ist für den Bundesfinanz-inister eigentlich kein Fremdwort. Anstatt aber selbstu sparen, empfiehlt er den Bürgern, zu sparen und imweifel auf eine Urlaubsreise zu verzichten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4379
)
)
Jürgen KoppelinDer Bundesfinanzminister hat noch gar nicht begriffen,dass sich mancher in unserem Lande aufgrund der Poli-tik der Bundesregierung, zum Beispiel der Mehrwert-steuererhöhung, bald gar keine Urlaubsreise mehr leistenkann. Wo soll denn da der Bürger überhaupt noch spa-ren?
Es ist schon ein Witz – das sage ich Ihnen allerdingsauch –, die Bürger zum Sparen aufzufordern und gleich-zeitig ab 2007 den Sparerfreibetrag fast zu halbieren. Esist ein Witz – Herr Bundesfinanzminister, lassen Siemich das so süffisant sagen –, die Bürger zum Sparenaufzufordern und dazu, auf eine Urlaubsreise zu verzich-ten, und gleichzeitig hält die Bundeskanzlerin in Meck-lenburg-Vorpommern das teuerste Grillfest der Nationmit Kosten von mehr als 15 Millionen Euro ab. Das istallerdings eine starke Nummer.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben den Freien De-mokraten ein bestimmtes Verhalten in den Regierungs-koalitionen der Vergangenheit vorgehalten; darauf willich zurückkommen. Ich finde, es ist schon ein starkesStück – das kann man natürlich machen; wir stehen zuunserer Verantwortung; wir waren in der Regierungsver-antwortung –, dass Sozialdemokraten wie Sie und an-dere der FDP Vorwürfe machen und Sie selber vor derBundestagswahl versprochen hatten, keine Mehrwert-steuererhöhung vorzunehmen. Das ist ein starkes Stück;das muss noch einmal deutlich gesagt werden. Ich sagedies auch deswegen, weil das Allerstärkste ist – deswe-gen erwähne ich das überhaupt –, dass jemand wie derVizekanzler Müntefering in einer Pressekonferenz dannnoch sagt: Es ist unfair, uns an unsere Wahlversprechenzu erinnern. – Das ist doch inzwischen Ihre Linie.
Nun kommen wir – das haben Sie angesprochen – zuden Überschüssen bei der Bundesagentur. Der Kol-lege Kauder, der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU,erklärt, diese Überschüsse seien ein Erfolg der Bundes-kanzlerin. Das kann ich nun überhaupt nicht erkennen.Diese Überschüsse verdanken sich den Beitragszahlernund beruhen unter anderem – daran darf man wohl nocherinnern – auf der zwangsweise erhobenen zusätzlichen,dreizehnten, Zahlung der Versicherungsbeiträge. Es han-delt sich um Beiträge, die die Beitragszahler aufbringen.Ich finde, wenn in der Kasse zu viel Geld ist, dann ge-hört dieses Geld zurück in die Hand der Beitragszahler.
Kommen Sie mir in diesem Zusammenhang nicht mitdem Zuschuss des Bundes für die Bundesagentur! Wis-sen Sie eigentlich gar nicht, was wir beschlossen haben?Es soll ja keinen Bundeszuschuss für die Bundesagenturmehr geben. Sie könnten sich jetzt nur hinstellen und sa-gen: Jetzt machen wir doch etwas anderes. – Den Bun-deszuschuss gibt es gar nicht mehr. Also reden Sie auchnsczzddAAbkAewjndnseSDdEnNesrhdhgnWrDfPaBSShsSJDM
Metadaten/Kopzeile:
4380 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben am Anfang ge-sagt – da war ich schon etwas erstaunt –: Wir als Bun-desregierung sind nicht besonders beliebt; wir wollenaber die Bürger darüber nicht im Unklaren lassen, wasdie Politik der Bundesregierung ist. Dazu von mir einekleine Kostprobe, Herr Bundesfinanzminister. Vielleichthaben Sie bei all den Aktivitäten im Bundesfinanzminis-terium kaum Zeit gehabt, die Meldungen der letztenTage zu lesen.Da haben wir erstens den Bundeswirtschaftsminister,von dem nicht allzu viel kommt, außer dass er jetzt viel-leicht die Rüstungsexporte nach Indien erhöhen will.Das hält er wahrscheinlich für eine Riesenidee.Zweitens. Der baden-württembergische Ministerprä-sident Oettinger und der CSU-LandesgruppenchefRamsauer bezeichnen die GesundheitsministerinSchmidt als Belastung für die Koalition. Wichtige CDU-Politiker fordern den Rücktritt der Ministerin.Drittens. Bundesverkehrsminister Tiefensee, der bis-her auch nicht durch Aktivitäten aufgefallen ist, plädiert– das ist das Tollste; vielleicht haben Sie die Meldungnicht gelesen – dafür, Hartz-IV-Empfänger als unbewaff-nete Patrouillen im öffentlichen Nahverkehr einzusetzen.Ich sage dazu: Das ist populistischer Quatsch.Viertens. Die SPD wirft dem VerteidigungsministerJung Alleingänge zulasten der Koalition vor; für dasKlima der Koalition sei das alles nicht gut, was derMann mache. Der gleiche Verteidigungsminister fordertübrigens für die nächsten Jahre 6 Milliarden Euro mehrfür seinen Etat, die er für Rüstungsprojekte ausgebenwill.Fünftens. Peer Steinbrück – das habe ich schon er-wähnt – fordert, auf Urlaub zu verzichten.Daneben schlägt Herr Riester vor, die Leute solltenauf das Auto verzichten. Und das, was der Sprecher desSeeheimer Kreises der SPD über die Kanzlerin gesagthat, hätte ich nicht einmal als Oppositionspolitiker übersie zu sagen gewagt.Das ist das Spiegelbild der Koalition. Dieses Drunterund Drüber innerhalb der Koalition erleben die Bürger,es gibt keinen klaren Kurs. Die Bundesregierung ist völ-lig konzeptlos, folglich führungslos und das erkennendie Bürger, was die Umfragewerte deutlich unterstrei-chen.
Herr Bundesfinanzminister, die Forderungen derFreien Demokraten lauten: Verzichten Sie auf die Mehr-wertsteuererhöhung! Sparen Sie, sparen Sie auch bei denAl8muWStdsusdREteZtrmHKHHsmCHgmhdHNndhFHv
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Ich möchte zum Auftakt der Haushaltsberatun-en für das Jahr 2007 als Erstes folgende Bemerkungachen: Mit diesem Haushaltsentwurf kehrt die Haus-altspolitik in Deutschland in die Regelkreise zurück,ie von Recht und Gesetz vorgegeben sind.Lieber Herr Koppelin, die große Koalition ist in deraushaltspolitik mit der Zielsetzung angetreten, dieeuverschuldung zurückzuführen, den Bundeshaushaltachhaltig zu sanieren und die Staatsfinanzen wiederauerhaft auf ein tragfähiges Fundament zu stellen. Dereute eingebrachte Entwurf des Haushalts 2007 und derinanzplan bis 2010 zeigen das klare Konzept und dieandschrift dieser Koalition, um diese Zielsetzung imorgegebenen Zeitraum erreichen zu können.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4381
)
)
Dr. Michael MeisterIch will auf etwas hinweisen, was in den vergangenenfünf Jahren als Unmöglichkeit erschien, sich heute je-doch als Selbstverständlichkeit im Entwurf darstellt. Wirwerden mit diesem Haushalt zum ersten Mal wieder denRegelkreis des Art. 115 des Grundgesetzes, der vor-sieht, dass das Investitionsvolumen größer sein muss alsdie Nettoneuverschuldung, erreichen.
Das ist eine Selbstverständlichkeit, die leider in den letz-ten Jahren in unserem Land keine Selbstverständlichkeitwar.Darüber hinaus werden wir dank der guten konjunk-turellen Entwicklung bereits in diesem Jahr das 3-Pro-zent-Defizitkriterium des Maastrichtvertrags einhal-ten. Die deutsche Finanzpolitik gewinnt damit auchinternational wieder an Glaubwürdigkeit. Denken wirbeispielsweise an die EU-Staaten Mittelosteuropas, diekurz vor der Einführung des Euros in ihrem Land stehen:Auch ihnen verlangen wir die Einhaltung dieser Krite-rien ab. Deshalb müssen wir mit gutem Beispiel voran-gehen und diese Koalition tut das.
Wir tun damit aber auch langfristig etwas für die Sta-bilität unserer Währung. Erinnern wir uns an die Bedin-gungen zur Einführung des Euros. Das waren einerseitsder Vertrag von Maastricht, andererseits die Unabhän-gigkeit der Europäischen Zentralbank. Ich möchte sei-tens meiner Fraktion erklären, dass wir bereit sind unddie Anstrengungen unternehmen wollen, unseren Bei-trag dazu zu leisten, den europäischen Stabilitäts- undWachstumspakt im Jahr 2007 und in den Folgejahrendauerhaft einzuhalten.
Wir sollten aber auch hinsichtlich der Unabhängigkeitder Europäischen Zentralbank den notwendigen Respekt
wahren und nicht in die Aufgaben einer unabhängigenNotenbank eingreifen.
Dieser Haushalt zeigt, dass die große Koalition hält,was sie verspricht. Das ist das Kennzeichen einer neuenPolitik. Ich möchte Herrn Steinbrück, unserem Bundes-finanzminister, ausdrücklich dafür danken, dass er sichdiesen Konsolidierungsauftrag zu Eigen gemacht hat.Herr Steinbrück, ich darf Ihnen versprechen, dass meineFraktion und auch ich persönlich Sie bei der Umsetzungdieser schwierigen Aufgabe nach besten Kräften unter-stützen werden. Das gilt auch für die Haushaltsverhand-lungen, die mit dem heutigen Tage beginnen.
–riHtWzSsrvhdIVdKPlstnSiSdeghwsvEdEgnDd
ie müssten nicht nur sagen, was Sie an unseren Vor-chlägen kritisieren, sondern auch, wie Sie das struktu-elle Defizit des Bundeshaushalts mit einem Volumenon über 60 Milliarden Euro schließen wollen. Ihre bis-erigen Vorschläge zielen auf nicht einmal 10 Prozentieser Summe und greifen deshalb wesentlich zu kurz.ch hätte erwartet, dass Sie heute früh einen konkretenorschlag dazu auf den Tisch legen, über den wir uns inen nächsten Wochen unterhalten können. Herroppelin, das haben Sie leider nicht geleistet.
opulismus ist eine angenehme Sache, da man unheim-ich viel Beifall erntet. Er ersetzt aber keine seriöse undolide Finanzpolitik für eine der größten Volkswirtschaf-en dieser Welt. Wir stehen in der Verantwortung und wirehmen sie auch wahr.
Am Anfang dieses Jahres haben wir – Herrteinbrück hat darauf hingewiesen – das Wachstums-mpulsprogramm beschlossen. Damals gab es vielechwarzseher, die gesagt haben, dass das Programm inie falsche Richtung zielt. Jetzt liegt uns der Haushalts-ntwurf vor und wieder wird darüber geredet, welche ne-ativen Wirtschaftsentwicklungen mit diesem Haus-altsentwurf und den begleitenden Gesetzen eingeleiteterden könnten. Ich will an dieser Stelle darauf hinwei-en, dass die negativen Botschaften, die am Jahresanfangerkündet wurden, nicht eingetreten sind.
s ist hervorragend, dass sie nicht eingetreten sind. Allie Schwarzmaler haben nicht Recht gehabt.
s wäre ein schönes Zeichen gewesen, wenn Sie heuteesagt hätten: Gott sei Dank, unsere Befürchtungen sindicht eingetreten. Wir haben uns geirrt.
Deshalb sage ich ermunternd: Der Stillstand ineutschland ist durch diese Koalition überwunden wor-en. Die Ampeln wurden auf Grün geschaltet.
Metadaten/Kopzeile:
4382 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Dr. Michael MeisterIn Deutschland geht es aufwärts. Wir haben vorsichtiggeschätzt und werden auch zukünftig Vorsicht waltenlassen.Herr Kuhn, wenn Sie sich Ihre Leistungsbilanz an-schauen – fünfmal Maastricht gerissen, fünfmal Art. 115gerissen, Stagnation in Deutschland herbeigeführt, Null-wachstum –, dann ist klar, dass Sie überhaupt kein Rechthaben, solche Zwischenrufe zu machen. Sie sollten sa-gen: Respekt vor dieser neuen Bundesregierung! ZumGlück sitzen wir Grünen endlich in der Opposition!
Im Frühjahr dieses Jahres haben wir prognostiziert,dass die Wirtschaft – vorsichtig gerechnet – um etwa1,6 Prozent wachsen wird. Diese Prognose wird vom Er-gebnis übertroffen werden. Das soll auch so bleiben: Wirwollen erstens weiterhin vorsichtige Prognosen erstellenund zweitens weiter daran arbeiten, dass wir unsere Pro-gnosen auch in den Folgejahren übertreffen. Das ist diePhilosophie dieser Regierung.
Die Arbeitslosenzahl sinkt auf breiter Front. Auch dasist ein positives Signal für die Menschen in diesemLand. Die Arbeitslosigkeit belastet die Menschen inDeutschland nämlich am stärksten; sie ist das Hauptpro-blem. Wir haben es geschafft, dass wir in diesem Landknapp 500 000 Arbeitsplätze mehr haben als vor einemJahr. Wenn wir das vor der letzten Bundestagswahl ange-kündigt hätten, dann wäre das als rosa Wolke bezeichnetworden, aber nicht als realistische Perspektive. Mittler-weile sind wir auf diesem Feld gewaltig vorangekom-men. Durch nachhaltige Strukturreformen müssen wirjetzt dafür sorgen, dass diese Entwicklung anhält undnicht wieder abbricht.
– Frau Hajduk, Kassandrarufe sind bei Ihnen immer da-bei. Sie haben doch in der Arbeitsmarktpolitik versagt,weil Sie den Konjunkturaufschwung in den Jahren 2000/2001 nicht genutzt haben, um strukturelle Reformen um-zusetzen. Sie haben die Chance, die Sie damals hatten,vertan. Wir wollen unsere Chance im Sinne der Men-schen in Deutschland nutzen.
Meine Damen und Herren, ich will noch einmal beto-nen: Wir sind erst am Beginn der Haushaltssanierung.Unsere Konsolidierungsbemühungen beruhen – HerrSteinbrück hat es erwähnt – zu 60 Prozent auf der Aus-gabenseite, dem Abbau von Steuervergünstigungen,steuerlichen Sonderregelungen und Finanzhilfen, und zuetwa 40 Prozent auf dem Anheben von Steuersätzen.Das ist natürlich keine angenehme Botschaft. Aber wersich zu den finanzpolitischen Zielsetzungen bekennt undeine nachhaltige, den zukünftigen Generationen ver-pflichtete Finanzpolitik machen möchte, der kam umdmdrnHkusgegvtsndJ0AJEWmnS3hsanVWaHRFwqkwK
Mit Beginn dieser Haushaltsberatungen stellt sich dieituation so dar, dass die Steuereinnahmen etwaMilliarden Euro über der Summe liegen, die im Haus-altsplan 2006 veranschlagt wurde. Diesen Spielraumollten wir – insofern unterstütze ich Herrn Steinbrückusdrücklich – für eine weitere Absenkung der Netto-euverschuldung nutzen, anstatt an dieser Stelle neueerteilungsdebatten zu beginnen.
ir stehen nicht am Ende der Konsolidierung, sondernm Anfang. Deshalb gibt es nichts zu verteilen.
Ich greife ernsthaft den Hinweis auf die Risiken, dieerr Koppelin genannt hat, auf. Es ist richtig, dass wirisiken haben. Ich glaube, die Koalition und auch derinanzminister sind sich der Risiken, die existieren, be-usst. Aber man muss doch überlegen, welche Konse-uenzen man aus diesen Risiken zieht. Die Konsequenzann doch nicht die sein, die in der Rede aufgezeigturde: Weil Risiken existieren, nehme ich Teile deronsolidierungsanstrengungen weg.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4383
)
)
Dr. Michael MeisterDamit stellen Sie ja die Mehrwertsteuererhöhung in-frage. Viel eher müsste man doch sagen: Weil Risikenbestehen, müssen die Konsolidierungsanstrengungenverstärkt werden.
Deshalb ist Ihr Hinweis auf die Risiken richtig, aber IhreSchlussfolgerung geht leider an der Sache vorbei.
Ich möchte auch das Thema „Mehreinnahmen bei derBundesagentur für Arbeit“ aufgreifen. Aus Sicht meinerFraktion sollten Beitragsmehreinnahmen bei der Bun-desagentur für Arbeit zur Sanierung des Bundeshaus-haltes nicht zur Verfügung stehen. Wir sind sehr froh unddankbar darüber, dass wir jetzt und in den Folgejahrenhoffentlich keine Überweisungen aus dem Bundeshaus-halt an die Bundesagentur leisten müssen, sondern dieBundesagentur in der Lage ist, sich selbst zu finanzieren.Wenn es bei der Bundesagentur für Arbeit Spielräumegibt, die über die bereits beschlossene Senkung der Bei-trägssätze hinausgehen und dauerhaft vorhanden sind,sodass eine nachhaltige weitere Beitragssenkung mög-lich ist, dann sollten wir diese Spielräume in diesemSinne nutzen und keine anderen Verwendungen ins Augefassen.
Denn natürlich hängt die Haushaltssanierung auch vonder nachhaltigen Verbesserung des Arbeitsmarktes undder wirtschaftspolitischen Lage in unserem Lande ab:Die Arbeitskosten, insbesondere die Lohnnebenkostensind wichtig für den Beschäftigungsstand und damit fürdie Ausgabenseite unseres Bundeshaushaltes. Wenn dieZahl der Beschäftigten ansteigt, haben wir weniger Aus-gaben und gleichzeitig mehr Einnahmen, ohne Steuernoder Beiträge erhöhen zu müssen.
Insofern ist es natürlich sehr positiv, dass die Lage aufdem Arbeitsmarkt – und damit die Lage bei Steuern undBeiträgen – besser ist als vor einem Jahr. Wir müssen da-für sorgen, dass die gegenwärtige wirtschaftliche Ent-wicklung über den 1. Januar nächsten Jahres hinaus an-hält. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat sichnämlich verbessert. Die Menschen erwirtschaften mehrGeld und mehr Menschen sind in Beschäftigung. Ich binzuversichtlich, dass diese seit vielen Jahren erstmalswieder positive Entwicklung der Binnenkonjunktur trotzder von uns beschlossenen Maßnahmen über den1. Januar nächsten Jahres hinaus anhalten wird. Daswäre ungeheuer wichtig. Das Fundament für diese Hoff-nung wurde gelegt.Ein weiterer Punkt. Ich glaube, wir müssen dringendüber das Impulsprogramm hinaus investieren und imRahmen der Haushaltssanierung Strukturreformendurchführen. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben zuRIdcdthgdsKbsHtKubD3DbADwüadeEaeVwRwbuwDssRV
Betrachtet man den Umfang der Steuerbelastung vonapitalgesellschaften in Deutschland und in vergleich-aren Ländern, stellt man fest, dass Deutschland bei die-em Vergleich leider am oberen Ende liegt. In dieserinsicht sind wir gegenwärtig nicht hinreichend attrak-iv. Deshalb müssen wir an dieser Stellschraube arbeiten.Herr Kollege Poß, Herr Steinbrück, Kolleginnen undollegen aus meiner Fraktion, ich bin sehr froh, dass wirns bei diesem Thema auf einen Lösungskorridor hin zu-ewegen und die Steuerbelastung für Unternehmen ineutschland zum 1. Januar 2008 gemeinsam auf unter0 Prozent senken wollen.
as ist, was die zeitliche Planbarkeit und Verlässlichkeitetrifft, ein richtiges Signal. Wichtig ist auch die klarensage, in welcher Höhe Unternehmensgewinne ineutschland in Zukunft belastet werden.Ich will ausdrücklich sagen: Für uns ist ungeheuerichtig, dass wir in diesem Zusammenhang nicht nurber die etwa 20 Prozent Kapitalgesellschaften, sondernuch über die 80 Prozent Personengesellschaften iniesem Land sprechen. Wir müssen einen Mechanismusntwickeln, der die Personenunternehmen bei dieserntlastung in gleicher Weise berücksichtigt und sie nichtllein lässt. Ich glaube, auch an dieser Stelle sind wir aufinem vernünftigen Weg.Ich bin allerdings nicht davon überzeugt, dass wir dieseeränderungen im Hinblick auf Steuersatz und -strukturenerden durchführen können, wenn wir sagen, dass dieseeform haushaltsneutral erfolgen muss. Denn diesürde letztlich Mehrbelastungen für die Unternehmenedeuten. Dadurch würden wir Investitionen verhindernnd weitere Arbeitsplätze aus dem Lande treiben. Dasäre eine Politik gegen und nicht für die Menschen ineutschland.
Außerdem warne ich davor, sich ständig in solchentaatlichen Betrachtungen zu ergehen. Wir wollen keinetaatliche Wirtschaftspolitik, sondern wir wollen dieahmenbedingungen so setzen, dass die Akteure ihrerhalten ändern, dass Unternehmensgewinne, die hier
Metadaten/Kopzeile:
4384 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Dr. Michael Meistererwirtschaftet werden, in Zukunft auch hier versteuertwerden,
dass mehr investiert und mehr gearbeitet wird, dass mehrWachstum entsteht und der Fiskus dadurch auch mehrSteuereinnahmen hat.
Die staatliche Betrachtung, die in dieser Diskussion an-gestellt wird, wird der Dynamik, die wir anstreben, nichtgerecht. Deshalb geht diese Debatte an der Sache vorbei.
Wir sollten zum eigentlichen Kern, dem Ziel der Schaf-fung von mehr Wachstum und Beschäftigung, zurück-kehren.
Die Frage, wie wir es schaffen, dass die Unterneh-mensgewinne, die hierzulande anfallen, auch am Stand-ort Deutschland versteuert werden, betrifft eine hochkomplexe Materie. Wir müssen ungeheuer aufpassen,dass wir dieses Problem sachgerecht lösen, ohne eineweitere Substanzbesteuerung der Unternehmen amStandort Deutschland in die Wege zu leiten.
Meine Fraktion steht für Vorschläge, die bei der Körper-schaftsteuer oder auf anderen Gebieten, wie etwa bei denErtragsteuern, weitere Substanzbelastungen mit sichbringen würden, nicht zur Verfügung.
Ich will klar und deutlich festhalten: Solchen Vorschlä-gen werden wir nicht zustimmen.
– Das liegt daran, Herr Koppelin, dass wir die gegenwär-tige wirtschaftliche Dynamik anregen und sie nicht zer-stören wollen.Dem, was der Herr Bundesfinanzminister formulierthat, stehen wir allerdings sehr offen gegenüber. Wirmüssen darüber nachdenken, wie wir für die Unterneh-men eine Motivation schaffen können, ihre Gewinne inunserem Lande zu versteuern, und wie wir den Abzugvon Fremdfinanzierungsaufwendungen begrenzen kön-nen. Wir sind gerne bereit, zu überlegen, ob wir über die-sen Weg eine Lösung dieses Problems finden können,ohne wirtschaftspolitisch kontraproduktiv zu handeln.Ich hoffe, dass wir rechtzeitig im Jahre 2006 auch einwichtiges Signal an die Familienunternehmen auf denWeg bringen, um ihnen deutlich zu machen, dass sichdie Lage verändert. Wir diskutieren ungeheuer viel überExistenzgründungen, wir diskutieren ungeheuer viel da-rüber, wie wir zu mehr Beschäftigung kommen können.Pro Jahr stehen knapp 50 000 Unternehmen vor einemGFpsrsehuPldpmEnwdsmwzmdDsddriDPdAhgsnddKthLdaaHfSLAKl
Der vorgelegte Bundeshaushalt 2007 ist ein wichtigerchritt zur Gesundung der Staatsfinanzen in unseremand. Ich habe erwähnt, dass wir bei diesem Thema amnfang stehen, nicht am Ende. Ich möchte mit meinenollegen aus der Unionsfraktion meinen Beitrag dazueisten, dass wir diesen Weg erfolgreich weitergehen –
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4385
)
)
Dr. Michael Meisterdamit die Menschen in diesem Land ihren Wohlstand er-halten und mehren können.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine
Lötzsch, Fraktion Die Linke.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Der Finanzminister hat sich von denSPD- und den CDU/CSU-Abgeordneten 320 000 Eurofür einen persönlichen Imageberater genehmigen lassen.
Im Sommerloch präsentierten Sie nun Ihr neues Image:Sie forderten von den Bürgern den Verzicht auf eineUrlaubsreise zur Finanzierung der Rente. Sie waren üb-rigens gerade selber aus dem Urlaub gekommen. Viel-leicht war Ihr Urlaub nicht so schön, aber das muss janicht für andere gelten.
Augenscheinlich haben Sie bei Ihrem Vorschlag überse-hen, dass zum Beispiel in einem Land wie Mecklenburg-Vorpommern der Tourismus der wichtigste Wirtschafts-faktor ist. Ich frage mich: Braucht man wirklich eineImageberatung für 320 000 Euro, um so arrogant undanmaßend zu sein?
Das Image des Finanzministers könnte uns eigentlichegal sein, wenn die Folgen nicht so katastrophal wären!Es ist nicht gut für unser Land, dass die Koalition es sichzur Aufgabe gemacht hat, permanent Angst zu verbrei-ten. Die Bürger werden von der Bundesregierung stän-dig in Unsicherheit und Ungewissheit gehalten. JedenTag wird von einem Minister der Untergang der Sozial-systeme und des Abendlandes verkündet. Ich frage michwirklich, wie es die Bundesregierung so schnell ge-schafft hat, die gute Stimmung, die während der Fuß-ballweltmeisterschaft in unserem Land herrschte, wiedergründlich zu vertreiben.Einen muss ich allerdings ausnehmen: Der Innen-minister hat schon während der Fußballweltmeister-schaft versucht, eine schlechte Stimmung zu verbreiten,indem er immer wieder den Einsatz der Bundeswehr for-derte. Ich habe den Eindruck, dass es Herrn Schäublevöllig egal ist, was gerade passiert. Ob in China einReissack umfällt oder die Gletscher schmelzen: Er for-dert immer den Einsatz der Bundeswehr.
ngstCdgndsHKlslswgtinhßahdsÜsmSsgDSvw–wekf
Die Kanzlerin erklärt, dass die Mehrwertsteuererhö-ung zur Entlastung der Arbeitskosten und zur Schlie-ung von Haushaltslöchern genutzt werden soll. Das istber nur die halbe Wahrheit. Die Bürger sollen auch des-alb mehr Steuern zahlen, damit die Bundesregierungie Unternehmen auch in den nächsten Jahren weiterteuerlich entlasten kann.
brigens: Zur Eröffnung der Internationalen Funkaus-tellung hier in Berlin hat die Kanzlerin den Finanz-inister etwas – ich würde einmal sagen – demontiert.ie hat angekündigt, gerade die Teile der Unternehmen-teuerreform zu streichen, die zur Gegenfinanzierungedacht waren.
ie Unternehmensteuerreform wird die Kosten für denteuerzahler also noch erhöhen.Meine Damen und Herren, lediglich Herr Rüttgerson der CDU hat inzwischen endlich verstanden, wasir als Linkspartei seit Jahren sagen.
Vorher als PDS natürlich. Wenn Sie das gerne hörenollen, dann korrigiere ich das, Herr Kollege. – Es istine Lebenslüge, zu glauben, dass die permanente Sen-ung der Unternehmensteuer zu mehr Arbeitsplätzenührt.
Metadaten/Kopzeile:
4386 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Dr. Gesine LötzschLeider ist das nicht die einzige Lebenslüge der CDU,von der sie sich nicht trennen will.Die Bundesregierung glaubt wirklich daran, dass diePrivatisierung von öffentlichen Unternehmen der Kö-nigsweg ist. Es ist eine Lebenslüge, zu glauben, dasskommerzielle Unternehmen von vornherein besser alsöffentliche Unternehmen sind. Das beste Beispiel ist dieBahn. Wenn man an all die Bahnunfälle der letzten Jahrein Großbritannien denkt, dann weiß man, dass eine pri-vatisierte Bahn unpünktlich, teuer und sogar lebensge-fährlich sein kann.
Diese Regierung lässt sich durch die Realitäten abernicht schrecken. Die Deutsche Bahn soll auf Biegen undBrechen verkauft werden und der Steuerzahler soll dieZeche bzw. die Dividende zahlen. Das ist das zweit-größte Enteignungsprogramm seit dem Zweiten Welt-krieg.
Die Bundesregierung hat einen Haushaltsentwurf vor-gelegt, der in sich so widersprüchlich wie die großeKoalition selbst ist. Es wird ein bisschen saniert, ein bis-schen reformiert und ein bisschen investiert. Ich finde,das ist mehr als ein bisschen konzeptionslos.Es gibt für unser Land eigentlich nur zwei denkbareModelle, nämlich das US-amerikanische und das skandi-navische. CDU/CSU, SPD und leider auch Teile derGrünen versuchen seit über zehn Jahren, unserem Landdas für uns untaugliche amerikanische Modell überzu-stülpen. Dieses Modell besteht aus Steuergeschenken fürUnternehmen, der Privatisierung öffentlicher Aufgaben,dem Abbau der Sozialsysteme, der Kommerzialisierungdes Gesundheitswesens, Lohndumping, rücksichtslosemWettbewerb, dem Abbau von Bürgerrechten und eineraggressiven Außenpolitik. Ich bin davon überzeugt – daswissen wir aus vielen Umfragen und Gesprächen –: DieMenschen in unserem Land sagen Ja zu Reformen undJa zu einer solidarischen Gesellschaft. Aber sie sagenNein zu einer Ellbogengesellschaft.
Daran kann zum Glück auch die große Koalitionnichts ändern. Selbst die konservative „Wirtschaftswo-che“ muss zugeben, dass das skandinavische Modellsehr erfolgreich ist: Im Vergleich der gesamtwirtschaftli-chen Wachstumspotenziale stehen Finnland auf Platzeins, Schweden und Dänemark auf den Plätzen drei undvier, Deutschland aber auf Platz 15. Die Arbeitslosigkeitist in den skandinavischen Ländern niedriger als bei uns.Die Schere zwischen Arm und Reich geht nicht so dra-matisch auseinander, wie wir das hier in Deutschland un-ter der CDU/CSU- und SPD-Regierung erleben.
DitKdWMNosHVWsgtiz–DdstwcbdABaErlbaw
un soll man sie nicht ignorieren. Aber ich weiß nicht,b das jeder Arbeitslose verstehen wird.Interessant ist aber auch, was nicht in den Leitlinienteht, zum Beispiel dass CDU/CSU und SPD einenaushalt aufgestellt haben, in dem die Ausgaben für denerteidigungshaushalt am zweithöchsten sind.
as vielleicht auch einmal hervorgehoben werdenollte: Die Bundesregierung will mehr für die Verteidi-ung – rund 28 Milliarden Euro – als für zivile Investi-ionen ausgeben. Gerade an Investitionen fehlt es jedochn unserem Land.
Ich komme noch einmal zum Verteidigungshaushalturück. Schaut man sich die Ausgaben an, können einem sofern vorhanden – die Haare zu Berge stehen.
ie Bundesregierung versucht, die hohen Ausgaben miter Terrorgefahr zu begründen. Aber die großen Be-chaffungsprojekte stammen noch aus der Zeit des Kal-en Krieges. Kann mir jemand in diesem Hause erklären,arum wir ein neues Mittelstreckenraketensystem brau-hen? Wollen Sie damit auf deutschen Bahnhöfen Bom-enleger jagen? Oder wie stellen Sie sich das vor?
In einer Frage möchte ich die Kollegen Haushälter,ie sich dazu öffentlich geäußert haben, unterstützen.uch ich bin dafür, dass die kostenintensive Teilung derundesregierung auf die Standorte Bonn und Berlin inbsehbarer Zeit ein Ende findet.
s kann doch wirklich nicht sein, dass die Bundesregie-ung von allen Bürgern Mobilität und Flexibilität ver-angt, aber selber nicht in der Lage ist, ihre Ministerial-eamten von Bonn nach Berlin zu holen. Diesen Luxusn ministerialem Beharrungsvermögen können wir unsirklich nicht leisten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4387
)
)
Dr. Gesine LötzschWir als Linksfraktion haben den Antrag eingebracht,die Erhöhung der Mehrwertsteuer zurückzunehmen.Diese Erhöhung ist unsozial und Gift für die Konjunktur.Wir wollen steuerlich da ansetzen, wo Menschen ohneeigenes Zutun Extragewinne in die eigene Tasche ste-cken. Wir fordern unter anderem eine Steuer auf Sonder-gewinne der Stromversorger aus dem Emissionshandel.Es ist nicht einzusehen, dass die Stromriesen Extrage-winne einfach einstreichen, ohne dafür einen Fingerkrumm gemacht zu haben.Wir werden in den Haushaltsberatungen alle Vor-schläge im Einzelnen durchgehen. Unsere Vorschlägelassen sich auf einen Nenner bringen: In einer solidari-schen und gerechteren Gesellschaft lassen sich die Pro-bleme unseres Landes lösen, sei es die Arbeitslosigkeit,die die Verarmung ganzer Regionen bedeutet, sei es dieUmgestaltung unserer Sozialsysteme. Lassen Sie uns dievor uns liegenden Haushaltsberatungen nutzen, um denHaushalt vom Kopf auf die Füße zu stellen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Joachim Poß, SPD-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! PeerSteinbrück hat die wirtschaftliche Lage und Entwicklungzutreffend beschrieben. Nach meinem Eindruck ist dieOpposition durch die wirtschaftliche Entwicklung regel-recht entwaffnet worden.
– Lesen Sie bitte Ihre Reden vom Frühjahr dieses Jahres!Dann werden Sie feststellen, inwiefern Sie durch diewirtschaftliche Entwicklung entwaffnet wurden.Zu Ihren Ausführungen, Frau Lötzsch: Ich glaube,dass wir mit Schwarz-Weiß-Rezepten
– meinetwegen auch Schwarz-Rot – nach dem Motto„Kupfern wir doch etwas von Finnland ab!“ nicht wei-terkommen. Wir haben in Deutschland unsere eigeneLage, die insbesondere von der Überwindung der deut-schen Teilung geprägt ist. Dieser Lage müssen wir unsstellen. Wir gehen nicht den amerikanischen Weg. Wirgehen auch nicht den skandinavischen Weg. Wir müssenvielmehr unseren Weg finden und wir sind auf einem gu-ten Weg, wenn man das an den Ergebnissen misst.
Betrachten Sie einmal die skandinavische Arbeits-marktpolitik, ob in Dänemark oder in Finnland! Dannwerden Sie sehen, was den Menschen dort abverlangtwird. Wenn Sie auf Skandinavien verweisen, dann dür-fen Sie sich nicht nur auf die Seite beschränken, die Ih-nen gefällt; Sie müssen vielmehr das Ganze in den BlicknlwgJhgkwuwskmBhWramRzgksDssDmtnDrkwfgdmEu
Wir haben eine bemerkenswerte wirtschaftliche Ent-icklung zu verzeichnen, die uns Recht gibt. Die wirt-chafts- und finanzpolitische Strategie der Regierungs-oalition geht voll auf. Wenn wir ehrlich sind, dannüssen wir zugeben, dass auf dem Arbeitsmarkt mehrewegung entstanden ist, als wir alle es uns eigentlichaben vorstellen können. Auch das ist die Wirklichkeit.ir haben nicht mit einer so schnellen Bewegung ge-echnet. Das geht zwar in der Tat auf das Wachstum,ber auch auf die Weichenstellung im Zusammenhangit den heftig kritisierten Hartz-Reformen und andereneformen der Regierung Schröder zurück. Beides gehörtur Wirklichkeit.
Was Ihren Vorwurf betreffend die Buchhalterei an-eht, Herr Koppelin: Ein Buchhalter hätte in der Tat nuronsolidiert und verkündet, wir müssten sparen, sparen,paren.
iese Sparforderungen und -vorschläge kamen von ver-chiedenen – auch prominenten – Seiten. Wir sind die-en, Ihren Vorschlägen aber zu Recht nicht gefolgt.
er Verzicht auf zusätzliche Konsolidierungsmaßnah-en im laufenden Jahr über das hinaus, was wir bereitsun, hat sich als zielführende konjunkturpolitische Maß-ahme im Interesse der Binnenkonjunktur erwiesen.
ie Binnennachfrage belebt sich deutlich. Es war alsoichtig, diesen Forderungen nach einem forcierten Spar-urs schon im Jahr 2006, die auch aus dem wirtschafts-issenschaftlichen Umfeld erhoben wurden, nicht zuolgen. Die Koalition hat gegen alle Experten, die anderseraten haben, richtig gehandelt.
Zur Konjunkturbelebung trägt auch das 25-Milliar-en-Euro-Investitionsprogramm bei, das alles zusam-engenommen sogar ein Volumen von 37 Milliardenuro erreichen wird. Wenn Sie sich nicht nur in Berlinmhören, sondern auch mit den Handwerkern vor Ort in
Metadaten/Kopzeile:
4388 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Joachim PoßIhren Wahlkreisen reden, dann wird Ihnen das tagtäglichbestätigt.Noch wichtiger als die derzeitige Lage ist, dass auchdie ökonomische Perspektive so positiv ist wie seit lan-gem nicht mehr. Die Voraussetzungen für einen auchlänger andauernden Aufschwung sind gegeben. Es istbereits erwähnt worden, dass Gerhard Schröder und dieRegierungskoalition aus SPD und dem Bündnis 90/DieGrünen mit ihrer Politik die richtigen Weichen gestellthaben. Frau Merkel hat kürzlich darauf hingewiesen. DieWirkungen werden sichtbar.Ich erwähne das bewusst, weil im Sommer an man-chen Orten – nicht nur in der politischen Opposition –schon wieder Miesmacher und Schwarzmaler unterwegswaren, deren Verlautbarungen einem einfachen Erklä-rungsmuster folgen. Ein wirtschaftlicher Aufschwungist offensichtlich etwas, was es in Deutschland nicht ge-ben darf, jedenfalls nicht, solange die Sozialdemokratiean der Regierung beteiligt ist. Das ist das Muster man-cher Verlautbarungen.
Natürlich gibt es Risiken für die wirtschaftliche Ent-wicklung. Peer Steinbrück hat auf diese Risiken hinge-wiesen. Die gibt es aber in jedem Jahr. Sie sind einmalgroß und ein anderes Mal klein. Ihre Eintrittswahr-scheinlichkeit ist sehr unterschiedlich. Risiken könnenauf eine robuste oder auf eine weniger robuste Ökono-mie treffen. Es bedarf deshalb einer differenzierten unddifferenzierenden Analyse und Argumentation, um ab-zuschätzen, was im nächsten Jahr auf die Wirtschaft inDeutschland zukommt. Es muss auf jeden Fall etwasmehr sein als die erschreckende Oberflächlichkeit derFDP und interessegeleitete Äußerungen von Verbänden.
Ein relevantes Risiko ist sicherlich die weitere Ent-wicklung im Nahen und Mittleren Osten. Aber es istnoch nicht ausgemacht, dass der Ölpreis im Zuge desKonflikts in Israel und dem Libanon oder im Zuge desAtomstreits mit dem Iran noch einmal stark steigen wird,wenn es auch nicht unwahrscheinlich ist. Allerdingskann es – unter anderem spekulationsbedingt – auf demÖl- und Benzinmarkt zeitweise zu hohen Ausschlägenkommen. Das ist ein Risiko, das wir sehen müssen. Weilich gerade die Robustheit einer Ökonomie angesprochenhabe: Wir müssen uns klar machen, dass der vorhandeneAufschwung auf der Grundlage eines bereits heuteenorm hohen Ölpreises stattfindet. Vor fünf oder zehnJahren hätte niemand vorhergesagt, dass auf der Grund-lage eines so hohen Ölpreises ein solcher Aufschwungmöglich ist. Offensichtlich besitzt unsere Ökonomie dasVermögen, sehr hohe Energie- und Ölpreise zu verkraf-ten. Aber natürlich gibt es Grenzen der Verträglichkeitvon weltwirtschaftlichen Verwerfungen.Ein weiteres Risiko für den wirtschaftlichen Auf-schwung ist die zukünftige Zinspolitik der Europäi-schen Zentralbank. Die kundigen Thebaner erwarten,dass den bereits seit dem letzten Jahr erfolgten Leitzins-awzbssSSdwdAvDktwd1sWnTShdfzRv–wwrbAmvzbKtJds
ie Europäische Zentralbank hat noch jede Chance, zu-ünftig eine vernünftige und angemessene Politik zu be-reiben. Ich hoffe, dass sie diese Chance nutzt.Wenn die politische Opposition von Risiken für dieirtschaftliche Entwicklung spricht, dann geht es stän-ig nur um die Mehrwertsteuererhöhung zum. Januar nächsten Jahres. Aber das viel relevantere Ri-iko einer falschen EZB-Leitzinspolitik haben meinesissens weder Herr Westerwelle noch Herr Koppelinoch Herr Brüderle in ihren vielen Statements zumhema gemacht.
o wie sich die Dinge entwickeln – das gehört zur Wahr-eit; das kann man jeden Tag von verschiedenen Seiteneutlich vernehmen, ob vom Internationalen Währungs-onds oder von anderen kompetenten Stellen –, ist fest-ustellen, dass die Mehrwertsteuererhöhung nicht dasisiko für die Konjunktur sein wird, wie es von vielenorhergesagt wurde
richtig –, wie es auch von uns gesehen wurde. Es ent-ickelt sich Gott sei Dank in eine andere Richtung. Wirerden sehr wahrscheinlich im nächsten Jahr einen ge-ingeren Dämpfer erleiden, als wir vielfach erwartet ha-en. Für die Menschen im Land und insbesondere für dierbeitslosen ist das auch gut so. Daran sollten Sie,eine Damen und Herren von der Opposition, egal obon rechts oder von links, nicht rühren.
Das „Handelsblatt“ und andere Publikationen weisenu Recht darauf hin, dass die Mehrwertsteuererhöhungesser verkraftet wird als angenommen und dass dieonjunktur dieser Erhöhung trotzen wird. Umfragen un-er Führungskräften machen deutlich, dass im nächstenahr nicht weniger, sondern mehr investiert wird undass die Belegschaften aufgestockt werden sollen. Dasind gute Botschaften für das Land.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4389
)
)
Joachim PoßAls Fazit bleibt damit festzuhalten: Es gibt Risikenfür die Wirtschaftsentwicklung. Aber die geplante Mehr-wertsteuererhöhung spielt dabei keine dominierendeRolle.Deswegen, mit Blick auf die Westerwelle-FDP: Wennman die eigene Politik-Agenda auf den einen Satz redu-ziert, dass, wenn es immer weniger Steuern, immer we-niger Abgaben, immer weniger Arbeitnehmerrechte undimmer weniger Gewerkschaften gibt, Wachstum undWohlstand explodieren, dann kann ich nur sagen, dassIhnen, meine Damen und Herren von der FDP, die ge-genwärtige Entwicklung nicht Recht gibt. Ihre Einschät-zung hat mit der Realität nichts zu tun.
Andere sprechen in diesem Zusammenhang von „Le-benslügen“ und treffen mit ihren kritischen Aussagenschon eher die Tatsachen.Mich betrübt im Übrigen, dass sich das Bündnis 90/Die Grünen, mit dem wir in gemeinsamer Regierungs-verantwortung gute Politik für Deutschland gemacht ha-ben
– ja, so ist das, meine Damen und Herren –, schon jetzt,nach weniger als einem Jahr, bemüht, in der Wirtschafts-und Finanzpolitik den Debattenstil der Westerwelle-FDPzu kopieren.
Ich halte die Mehrwertsteuererhöhung für nicht sokonjunkturgefährdend, wie ich es noch vor einigen Mo-naten gedacht habe. Ich bin fest davon überzeugt, dassdie Mehrwertsteuererhöhung zur nachhaltigen Stabilisie-rung nicht nur des Bundeshaushaltes, sondern auch derLänderhaushalte zwingend erforderlich ist. Es geht umeinen Wirtschafts- und Finanzpakt für ganz Deutschland.Das dürfen wir bei unseren Debatten nicht vergessen.
Peer Steinbrück hat zu Recht darauf hingewiesen,dass die sonstigen zusätzlichen Steuereinnahmen, diesich für 2007 ankündigen, nicht ausreichen, um dieWundertüte aufzumachen. Deswegen kann eine verant-wortungsbewusste und vorsichtige Finanzpolitik ihm indieser Frage nur folgen.So wie der Bundeshaushalt 2006 im Zeichen der Sta-bilisierung und Vertiefung des wirtschaftlichen Auf-schwungs steht, so steht im Zentrum des Bundeshaus-halts 2007 die unabdingbare Zurückführung derNettokreditaufnahme des Bundes. Kollege Meister undandere haben darauf hingewiesen. Auch das erreichenwir entgegen allen Unkenrufen. Wir müssen aber denje-nigen, die nicht jeden Tag mit solchen Dingen zu tun ha-ben, sagen, dass es auch da Risiken gibt und wir nochnicht ganz auf der sicheren Seite sind.Weil wir das Niveau der Investitionen nicht absenkenwollen, weil sich nach den Zumutungen und Verände-rimwRmMgdD2WnawkgdWltNkRssdssMusHufWditrSbDsDlFFGr
uch weil das Thema relativ kompliziert ist. Außerdemird diese Doppelstrategie systematisch von den Kriti-ern in der Darstellung verfälscht. Ich sage: Die Strate-ie für 2007 wird ebenso aufgehen, wie die für 2006 iniesem Jahr aufgegangen ist.
ir schaffen eine stabile, positive Wirtschaftsentwick-ung in Deutschland und konsolidieren ohne Konjunk-ureinbrüche. Das werden Sie sehen, wenn wir uns imovember treffen und über diese Fragen sprechen. Dannann man das noch besser absehen als heute.Kollege Meister und Peer Steinbrück haben etwas zureform der Unternehmensbesteuerung gesagt. Es istelbstverständlich, dass wir gemeinsam verpflichtet sind,o wie es im Koalitionsvertrag und in den Eckpunktener Bundesregierung vereinbart ist, zu einer guten Lö-ung zu kommen. Es geht hier nicht um „Steuerge-chenke“ oder Steuerentlastungen für Unternehmen inilliardenhöhe, wie öfter zu lesen ist, es geht vielmehrm die Verbesserung einer völlig unzulänglichen Be-teuerung in Deutschland und Europa. Es gibt einenandlungszwang, auch im Interesse derjenigen, die treund brav jeden Monat ihre Steuern abliefern. Diese Re-orm ist notwendig, weil der internationale steuerlicheettbewerb Maßnahmen zur nachhaltigen Sicherung dereutschen Steuerbasis erfordert. Denn wir wissen, dassnternational operierende Unternehmen ihre Steuerstra-egie zunehmend optimiert haben. Es gibt Berichte in se-iösen Zeitungen über Seminare zur Optimierung derteuerstrategie, die von sehr bekannten Adressen ange-oten werden. Das können wir nicht länger hinnehmen.eshalb müssen wir handeln und die Unternehmensbe-teuerung entsprechend modifizieren.
as heißt, durch die Senkung der nominalen Steuerbe-astung und durch eine Beschränkung des Abzugs voninanzierungsaufwendungen sollen die durch bestimmteinanzierungskonstruktionen ins Ausland verlagertenewinne wieder für die Besteuerung in Deutschland zu-ückgewonnen werden. Das ist die Aufgabe.
Metadaten/Kopzeile:
4390 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Joachim PoßDie Unternehmen, die ihre Gewinne schon jetzt inDeutschland versteuern, werden durch die Reform ent-lastet. Der Steuer- und Investitionsstandort Deutschlandwird attraktiver. Wir wissen: Wir müssen die hohen no-minalen Steuersätze für Kapitalgesellschaften senken,weil ansonsten bei uns Risiken der weiteren Verlagerungins Ausland bestehen. Diese Verlagerungsrisiken wollenwir beseitigen, da sie auch negative Effekte für den öf-fentlichen Haushalt haben.Nach den Berechnungen des Bundesfinanzministe-riums, die von Professor Wiegard vom Sachverständi-genrat als plausibel bestätigt wurden, werden inDeutschland erwirtschaftete Gewinne bereits heute in ei-ner Größenordnung von rund 60 Milliarden Euro der in-ländischen Besteuerung entzogen. Deswegen sage ich:Das ist noch ein hartes Stück Arbeit. Ich verweise in die-sem Zusammenhang auch auf das, was Herr Meister hierausgeführt hat. Wir haben die Eckpunkte vereinbart;aber wir können sie nur umsetzen, wenn man offen istfür die Vorschläge des Bundesfinanzministeriums oderauch für Vorschläge aus den Ländern, die auf die Siche-rung der Steuerbasis zielen.Es kann nicht angehen, dass wir unter dem anwach-senden Druck der Lobby denen sozusagen noch nachdem Mund reden.
Diese Lobby, Wirtschaftswissenschaftler und Wirt-schaftsjournalisten haben über Jahre gefordert: Runtermit den nominalen Steuersätzen. Immer haben sie hinzu-gefügt: Die Steuerbasis muss natürlich verbreitert wer-den. Mittlerweile haben wir ein solches Konzept entwi-ckelt, das übrigens kommunalfreundlich ist und diekommunale Finanzierungsbasis im Interesse der Investi-tionen in den Kommunen stärkt. Wir haben also alle Ele-mente miteinander verbunden. Dennoch kommt die glei-che Lobby – warum denn wohl? – und sagt: Das geht sonicht an. – Herr Börner vom Bundesverband des Deut-schen Groß- und Außenhandels sagte gestern: Lieberkeine Reform als diese Reform. Was stimmt denn nunbei der Unternehmensbesteuerung?Wir werden kritisiert. Auch in der SPD gibt es einekritische Diskussion über Steuergeschenke. Bei derLinkspartei und bei den Gewerkschaften findet eine sol-che Diskussion sowieso statt. Das ist die eine Seite. Aufder anderen Seite melden sich die betroffenen Wirt-schaftsverbände und die Unternehmen protestieren laut-stark, dass wir durch dieses Konzept die Wertschöp-fungsgrundlagen in der Bundesrepublik Deutschlanderschüttern. Was stimmt denn nun? Es kann ja nur einesstimmen; beides geht nicht zusammen. Deswegen for-dere ich beide Seiten auf, ihre Vorwürfe und ihre Fest-stellungen zu überprüfen.Ich glaube, wir haben dank des vorgelegten Konzepts,das Peer Steinbrück und sein Haus entwickelt haben, alleMöglichkeiten, beide Ziele zu erreichen: die nominalenSteuersätze zu senken und die Besteuerungsgrundlagenfür die Bundesrepublik Deutschland im Interesse derSteuerzahler zu sichern. Wir haben diese Chance. WirsTdtddwBHdrsbgkDASRdMwIudSAwazk
Deswegen bitte ich unseren Koalitionspartner aus-rücklich, auch im Interesse des Erfolges dieser Koali-ion, zu versuchen, die Widerstände, von denen man je-en Tag lesen kann, zu überwinden. Wenn das geschieht,ann können wir, glaube ich, so gut und so optimistischeitermachen, wie das bisher der Fall war.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk, Fraktion des
ündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Lieber Kollege Poß, es hat schon fast Tradition,ass ich eingangs auf Sie eingehe, wenn Sie vor mir ge-edet haben. Wenn Sie auf den wirtschaftlichen Auf-chwung verweisen – wir stellen ihn nicht infrage – undehaupten, damit seien der Opposition schon die Zähneezogen, dann kann ich Ihnen nur sagen: So billigommt die Regierung nicht davon.
as wollen wir einmal festhalten. Ein wirtschaftlicherufschwung und die jetzt in Deutschland existierendeituation verpflichten zu wirklichen und konsequenteneformen bei der Konsolidierung und zu Reformen beier sozialen Sicherung. Da ist das, was Sie nach zehnonaten hingelegt haben, viel zu wenig. Sie hätten et-as ganz anderes leisten müssen.
ch komme darauf noch zurück.Ich möchte noch eine andere Vorbemerkung machen,nd zwar zum Finanzminister Steinbrück. Ich finde, dassie Tonlage, die Sie bei Ihrer Rede gewählt haben, Herrteinbrück – sie hatte für mich den Anschein vonrroganz –,
irklich in einem seltsamen Gegensatz – ich könnte esuch scharf sagen: in einem lächerlichen Gegensatz –ur Widersprüchlichkeit Ihrer Politik steht; auch daraufomme ich noch zurück.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4391
)
)
Anja HajdukAngesichts dessen, was Sie schon an Niederlagen habeneinstecken müssen, etwa bei der Steuerfinanzierung imGesundheitsbereich, was Sie für ein chaotisches Verhält-nis zur Beitrags- oder Steuerfinanzierung bei den Lohn-nebenkosten anrichten, könnten Sie ein bisschen be-scheidener auftreten oder dem parlamentarischen Streitauch ein bisschen demütiger folgen.
Sie brauchen nicht meiner Meinung zu sein, aber kom-men Sie vom Sockel herunter! Das steht Ihnen nicht gutzu Gesicht. Ihren Humor finde ich in Ordnung, abernicht diese Überheblichkeit.
Ich komme zum Haushalt 2007. Ich möchte in meinerRede auf fünf Punkte eingehen. Beginnen wir mit demHaushalt 2007 selbst. Auf den ersten Blick hat er zumin-dest eine bessere Kennzahl als der Haushalt 2006; dennman will mit einer Neuverschuldung von 22 statt38 Milliarden Euro auskommen. Auf den zweiten Blickstellt man fest: Das zeugt noch nicht davon, dass jetztwirklich eine ausreichende Konsolidierung begonnenwird. Einer Absenkung um 16 Milliarden Euro bei derNettokreditaufnahme stehen 20 Milliarden Euro an Steu-ermehreinnahmen gegenüber. Das ist nun wirklich keinKonsolidierungskunststück.Was Sie machen, ist einnahmefixiert. Herr Poß, ge-rade in Zeiten guter wirtschaftlicher Rahmenbedingun-gen muss man mehr für den Haushalt tun; da darf mannicht nur einnahmeseitig konsolidieren.
Jetzt ist die Gelegenheit, wirklich weitere Reformmaß-nahmen zu ergreifen.Ich sage das vor dem Hintergrund, dass wir beidedoch wissen, wovon wir reden. Rot-Grün – das hat HerrMeister zu Recht gesagt – hat im Jahr 2000 in einemZeitfenster mit günstiger wirtschaftlicher Entwicklung inder Tat nicht mit den notwendigen arbeitsmarktpoliti-schen Reformen begonnen.
Rot-Grün hat erst später mit den notwendigen arbeits-marktpolitischen Reformen begonnen, aus denen jetzteine gewisse Reformdividende zu verzeichnen ist.
Die Blockade in der großen Koalition nun ist aber wirk-lich ein Problem für das Land. Sie tun weitaus zu wenig.
Ich möchte das am Haushalt 2007 belegen. Da gibt eszum einen eine Neuverschuldung von 22 MilliardenEEK5sAhlDrfbhDpHE–1TlvnbslpldHgdbumtmdagsAtesN
ie passen nicht zu der vom Finanzminister eigentlichroklamierten neuen Ehrlichkeit und Seriosität in deraushaltsplanung.
Neben der Nettokreditaufnahme von 22 Milliardenuro gibt es also Risiken von 8 Milliarden Euro undvon Ihnen selbst zugestanden – Einmaleffekte von6 Milliarden Euro. Addieren Sie das doch einmal!rotz einer massiven Steuererhöhung von über 20 Mil-iarden Euro haben Sie weiterhin ein strukturelles Defiziton ungefähr 46 Milliarden Euro. Das zeugt wirklichicht von einer soliden Haushaltspolitik und einem Auf-ruch hin zur Konsolidierung. Das ist haushaltspoliti-cher Stillstand bei – zugegeben – günstigen wirtschaft-ichen Rahmenbedingungen.
Ich möchte in einem zweiten Punkt auf die Finanz-lanung eingehen. Die Finanzplanung vermittelt viel-eicht auch einen ehrlicheren Eindruck von der Qualitäter Haushaltspolitik. Zugegebenermaßen kann manaushalte nicht jährlich brutal umsteuern.Da muss man ganz nüchtern Folgendes sehen: Esibt, wie gesagt, erhebliche Steuermehreinnahmen. Nacher Finanzplanung bis zum Jahr 2010 steigen die Zahlenei der Alterssicherung von 96 auf 103 Milliarden Eurond die Zinsen von 37,6 auf 44,8 Milliarden Euro. Wennan auf die andere Seite blickt, einmal nicht auf die al-en Verpflichtungen, sondern in die Zukunft schaut, stelltan fest: Die Investitionen stagnieren bei 23,3 Milliar-en Euro. Bei Bildung und Forschung gibt es von 2006uf 2007 einen Schub, aber ab 2007 stagnieren die Aus-aben dafür bei 13,1 Milliarden Euro. Daran kann manehen: Die notwendige Umsteuerung zu einer stärkerenusrichtung auf Zukunftsfähigkeit, auf Zukunftsinvesti-ionen ist der großen Koalition bislang nicht gelungen;ine solche Umsteuerung ist aus diesem Finanztableauchlicht und ergreifend nicht abzulesen.
Herr Poß, Sie haben darauf hingewiesen, dass dieettokreditaufnahme stark abgesenkt werde. Haben Sie
Metadaten/Kopzeile:
4392 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Anja Hajdukauch einmal in die Finanzplanung gesehen? Die Netto-kreditaufnahme bleibt fast stetig auf dem Niveau – ichwill das gerne noch einmal nachschauen und vorlesen –von 20 Milliarden Euro.
Als Rot-Grün regiert hat, haben wir Finanzplanungenaufgelegt, in denen die Nettokreditaufnahme gesenktwurde. Damals haben wir versucht, in den 10-Milliar-den-Euro-Korridor zu kommen.
In unserer Situation, in der in ungefähr zehn, zwölf,13 Jahren die demografische Spitzenbelastung in den öf-fentlichen Finanzen erreicht wird, sollte eine seriöse,langfristige Politik einen Haushaltsausgleich suchen;von mir aus ruhig über eine Strecke von sechs Jahren.Bei Ihnen sieht man keine Bewegung in diese Rich-tung. – Jetzt muss Herr Schneider richtig die Zähne auf-einander beißen, weil er mir an dieser Stelle am liebstenApplaus geben würde.
Ich möchte neben der Finanzplanung aber noch aufeinen weiteren Punkt zu sprechen kommen, der dieHaushaltssituation, in der wir uns befinden, in Zukunftsehr negativ belasten wird: Das ist schlicht und ergrei-fend die große Koalition selbst.
Sie sind bei den großen Reformthemen zutiefst gespal-ten. Ole von Beust,
der Bürgermeister meiner Heimatstadt, hat unlängst ineinem Interview gesagt, Unternehmensteuer, Arbeits-marktpolitik und Gesundheit, das seien die Reform-themen, die jetzt anstünden.
Man musste nur die heutige Debatte zur Unternehmen-steuer verfolgen, um zu sehen, was hier eigentlich losist. Herr Poß, zu wem haben Sie eigentlich gesprochen,als Sie dafür geworben haben, die Bemessungsgrundlagezu erweitern? Ich hatte den Eindruck, Sie haben zurUnion gesprochen.
Denn Herr Meister hat, wie man feststellen konnte, wennman gut zugehört hat, deutlich gemacht, dass die CDU/CSU im Grunde weiterhin ihr Ziel verfolgt, die Gewer-besteuer auszuhöhlen. Er hat hier deutlich gesagt, dassdie Verbreiterung der Bemessungsgrundlage nicht mach-bar sei, nicht etwa nur mit Blick auf die Körperschaft-steuer,sn–ssksWspwKzDSwcmHCtlSHeiaFhhGhEsRtDFtd
ondern auch darüber hinaus von der CDU/CSU als Zielicht verfolgt werde.
Sie sagen „sehr gut“; da haben wir den Beweis. – Dasteht diametral dem entgegen, was Herr Steinbrück ge-agt hat, nämlich dass er sich eine deutliche Tarifsen-ung bei der Unternehmensteuer zutraue.Das wollen wir Grünen erst einmal gar nicht infragetellen.
ir wollen aber dann den Nachweis haben, dass die Ver-chiebung von Gewinnen und damit auch von Arbeits-lätzen ins Ausland nicht weiter subventioniert wird,eil wir nicht die Kraft haben, die Privilegierung derreditfinanzierung in Deutschland wirklich einzugren-en. Da sind Sie zutiefst gespalten.
as hat Folgen für die Haushaltsplanung ab 2008. Wennie nämlich erneut einen faulen Kompromiss machen,erden wir in der Finanzplanung wieder Haushaltslö-her haben, die diese wirklich nicht mehr verträgt.Ich komme zu einem weiteren Thema: Arbeits-arktpolitik. Tiefer gespalten ging es am Ende deraushaltsberatungen auch bei diesem Thema kaum. DieDU/CSU hat eine Haushaltssperre bei den Fördermit-eln für den schwierigen Bereich der Langzeitarbeits-osen, beim Arbeitslosengeld II, erzwungen. Dieseperre hat die CDU/CSU durchgesetzt.
eute Morgen wurden dann 200 Millionen Euro wiederntsperrt. Das ist zu wenig, aber schon einmal ein Schrittn die richtige Richtung. Die SPD hat, obwohl sie einendere Arbeitsmarktpolitik gewollt hätte, bei der dasördern, gerade bei den Langzeitarbeitslosen, von vorn-erein nicht infrage gestellt wird, die Pille einer Haus-altssperre schlucken müssen, damit die CDU/CSU ihresicht wahren kann.Das, was ich hier schildere, ist nicht irgendein haus-altstechnisches Problem. Diese Haushaltssperre seitnde Juni hat in den Arbeitsgemeinschaften, zum Bei-piel in Mecklenburg-Vorpommern jenseits vonostock, zu einem totalen Einstellen der Vermittlungstä-igkeit geführt.
as ist ein absoluter Widerspruch zu dem Konzept vomördern und Fordern. Das war nicht nur eine haushalts-echnische Sperre, die der Gesichtswahrung der Unioniente, sondern ein Tritt gegenüber den Leuten, die in
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4393
)
)
Anja Hajdukden Arbeitsgemeinschaften Vermittlungserfolge erzie-len wollen, und gegenüber den Arbeitslosen, die davonbetroffen sind. Da sieht man: Diese Spaltung der Koali-tion ist nicht gut fürs Land.
Jetzt komme ich zu dem ganz schweren Thema dergroßen Koalition:
Das ist die Gesundheitsreform.
Sie bildet sich in einem sagenhaften Widerspruch in die-sem Haushalt ab. Da hat der Herr Steinbrück mich nochkritisiert, ich solle doch nicht so positiv über die zukünf-tige Steuerfinanzierung in der Gesundheit reden; siewürde – das steht auch in den Unterlagen, die wir zu denHaushaltsberatungen bekommen haben – ab 2008 end-gültig abgeschafft und in 2007 gäbe es nur noch1,5 Milliarden Euro. Und was ist dann? Nachdem Siediese Kritik geübt haben, ist eine knappe Woche spätervon der großen Koalition beschlossen worden: Ab 2008gibt es wieder Steuergeld in Höhe von 1,5 MilliardenEuro
und ab 2009 in Höhe von 3 Milliarden Euro – nur mitdem Unterschied, dass das in der Finanzplanung nichtberücksichtigt ist und dass Herr Steinbrück immer nochmit den alten Einsparzielen, die Ausgaben in der Ge-sundheit zurückzuführen, herumläuft. Das ist ein kom-pletter Widerspruch. Was soll denn die Öffentlichkeit da-von halten, dass Sie innerhalb einer Woche bei so einemgrundlegenden Reformthema – mehr oder weniger Steu-erfinanzierung in den sozialen Sicherungssystemen –völlig richtungslos auseinander laufen? Man sieht es alsoauch bei der Gesundheitsreform: Die große Koalition isttief zerstritten. Es ist bis heute noch nicht absehbar, wasam 1. Januar 2007 gelten soll.
Auf den 1. Januar 2007 muss ich als Nächstes kom-men. Ich habe das vielleicht nicht ganz richtig ausge-drückt: Was ab dem 1. Januar 2007 gelten wird, das istziemlich klar und entfaltet schon jetzt seine fatale wirt-schaftspolitische Wirkung. Ab dem 1. Januar 2007 wer-den wir eine Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozent-punkte haben. Dazu kommt für die Menschen eineBeitragssatzsteigerung um 0,4 Prozentpunkte bei derRente. Dann kommt bei den Krankenkassenbeiträgeneine Steigerung um nicht nur 0,5 Prozentpunkte, wie ichim Frühjahr noch bescheiden gedacht habe. Nein, keinerstellt mehr in Abrede, dass im Januar 2007 die Kranken-kassenbeiträge um mehr als 1 Prozentpunkt steigen müs-sen. Außerdem besteht auch das Risiko – das habe ichnoch gar nicht erwähnt – einer Beitragssatzsteigerung inder Pflegeversicherung.aDwnsMAmzünmdsxh4ItDgDwDggwmdfhdmhPms1ubvdb
Mit den Steigerungen, die ich genannt habe, kommtan auf einen Rentenversicherungsbeitrag von 19,9 Pro-ent und auf einen Krankenversicherungsbeitrag vonber 14 Prozent – sagen wir einmal 14,5 Prozent; das istoch konservativ geschätzt. Wenn man diese Zahlen ein-al ganz einfach zusammenrechnet und sieht, dass Sieie Arbeitslosenversicherung zwar auf 4,5 Prozent ab-enken, aber die Pflegeversicherung bei 1,7 Prozent plus steht, dann wird jedem Menschen, der der Addition fä-ig ist, klar: Das Ziel, die Lohnnebenkosten unter0 Prozent zu drücken, ist komplett aufgegeben.
ch frage mich: Wo ist eigentlich der Wirtschaftsminis-er?
as Ziel von unter 40 Prozent Lohnnebenkosten ist auf-egeben. Das kann man, wie gesagt, leicht nachweisen.azu ist in dieser Debatte von Ihnen gar nichts gesagtorden.
as spricht nicht für Selbstkritik und Ehrlichkeit, die Sieebrauchen könnten.Ich komme zu grünen Alternativen und Vorschlä-en. Ich will hier nur einen Punkt nennen; alles andereird noch im Prozess der Haushaltsberatung dazukom-en. Der Vorschlag, den wir machen – das sage ich ganzeutlich an die Vorredner aus der SPD gerichtet –, istolgender: Wenn man auf die Mehrwertsteuererhö-ung nicht verzichten will, dann sollte man zumindestarauf verzichten – das halten wir für unablässig –, sieit einem abrupten Schlag um 3 Prozentpunkte zu erhö-en. Das ist keine stetige Politik, das ist eine abrupteolitik, die zu Verwerfungen führt. Wenn man es andersachte, etwa indem man die Erhöhung über drei Jahretreckt somit die Mehrwertsteuer jahresweise umProzentpunkt anhebt und diese Erhöhung verlässlichnd nachweisbar komplett in die Senkung der Lohnne-enkosten steckt, dann hielte ich das langfristig für eineiel erfolgreichere und bessere Strategie – nicht nur füren Arbeitsmarkt, sondern auch für den Haushalt. Da ge-en uns viele Wirtschaftsinstitute und Experten Recht.
Metadaten/Kopzeile:
4394 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Wir schlagen ganz konkret eine Priorität für mehr Be-schäftigung, Herr Poß, und nicht für die Sanierung derHaushaltslöcher bei Bund und Ländern vor. So ist esrichtig.
Wir wollen die Einnahmen aus dem ersten Mehrwert-steuerpunkt zusammen mit den strukturellen Überschüs-sen der BA konsequent für die Absenkung der Lohn-nebenkosten im Niedriglohnbereich vorsehen. Wirhaben ein Progressivmodell entwickelt, mit dem dieLohnnebenkosten im Niedriglohnbereich bis 1 800 Eurostark gesenkt werden können. Dieses Geld fließt also andie Arbeitnehmer und die Arbeitgeber zurück. Das wäreeine intelligente Politik.Wir bemühen uns, Ihnen diese Alternative schmack-haft zu machen. Sie können uns nicht unterstellen, dasswir rigoros und stur gegen Ihre Politik sind. Ich erwartevon Ihnen, dass Sie sich mit solchen Vorschlägen kon-struktiv auseinander setzen. Sie selber haben ja schonein bisschen Sorge, was am 1. Januar 2007 sonst passie-ren wird.
Ich komme zum Schluss. Es wurde hier viel davongesprochen, dass das Vertrauen der Bevölkerung nötigist, dieses Vertrauen gerechtfertigt werden muss und Sieals große Koalition dieses Vertrauen angeblich schaffenkönnten. Ich muss Ihnen sagen: Ihr selbst gesetzter An-spruch der Stetigkeit in Ihrer Politik ist mit Blick auf dieabrupte Mehrwertsteuererhöhung nicht zu rechtfertigen.Die versprochene Verlässlichkeit und BerechenbarkeitIhrer Politik ist mit dem Chaos bei der Gesundheitsre-form überhaupt nicht in Einklang zu bringen. Auch fin-den sich im Haushalt keine realistischen und vorsichti-gen Annahmen im Hinblick auf die Kosten beimArbeitsmarkt wieder. Nach zehn Monaten haben dieMenschen deswegen das Vertrauen in die große Koali-tion verloren.
Frau Kollegin!
Ich komme gleich zum Schluss, Frau Präsidentin. –
Der Sommer hat gezeigt: Die Politik ist zwar von der
Profilsuche der Partner der großen Koalition geprägt,
aber nicht von der Suche nach Lösungen für Reformen.
Das hat das Land wahrlich nicht verdient.
Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter, CDU/
CSU-Fraktion.
H
w
N
R
s
g
d
d
d
F
E
w
d
J
g
K
S
k
A
t
e
U
s
d
r
V
w
d
K
s
s
d
R
b
g
b
f
z
A
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Ich bin durch die Rede meiner Vorrednerin et-as irritiert.
och vor weniger als einem Jahr waren die Grünen alsegierungspartei für all das, was in diesem Haus be-chlossen worden ist, mitverantwortlich. Innerhalb weni-er Wochen halten Sie Reden, bei denen man den Ein-ruck haben kann, dass Sie an keinen Entscheidungen,ie nach dem Zweiten Weltkrieg im Bundestag oder inen Landtagen getroffen worden sind, in irgendeinerorm beteiligt waren. Ich muss ganz ehrlich sagen:inen so hemmungslosen Populismus, eine so verant-ortungslose Art und Weise der politischen Auseinan-ersetzung verschlägt selbst mir die Sprache.
Frau Hajduk, wo waren Sie eigentlich, als vor einemahr beispielsweise der Etatentwurf der damaligen Re-ierung nicht mehr beschlossen, sondern im damaligenabinett lediglich zur Kenntnis genommen worden ist?ie fordern hier, der Bundesfinanzminister möge unseine oberlehrerhaften Ratschläge geben.
ber Sie waren vor einem Jahr in der Regierung. Heuteun Sie so, als ob Sie alles besser wissen. Wo waren Sieigentlich vor einem Jahr?
nd da blasen Sie sich hier so kräftig auf!
Ich gewinne langsam den Eindruck, dass die Verbes-erung der Situation in Deutschland im Wesentlichenamit zusammenhängt, dass die Grünen keine Regie-ungsverantwortung mehr tragen. Das scheint mir imergleich zur Situation vor einem Jahr eine qualitativirklich positive Veränderung zu sein.
Die Herangehensweise unseres Koalitionspartners,er Sozialdemokraten, die gemeinsam mit uns einenassensturz gemacht, in schonungsloser Offenheit ge-agt haben, was notwendig ist, und unangenehme Ent-cheidungen getroffen haben, ist der ehrlichere Weg alser opportunistische der Grünen. Die Erfolge diesesichtungswechsels in der Haushaltspolitik lassen sichereits am laufenden Etat ablesen.Während in der Zeit, als die Grünen Verantwortungetragen haben, alle Prognosen nach unten gewiesen ha-en, werden wir aller Voraussicht nach im Etat des lau-enden Jahres bei den Einnahmen nicht nur im Vergleichur Steuerschätzung, sondern auch im Vergleich zu dennsätzen im Etat um 3 bis 4 Milliarden Euro besser ab-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4395
)
)
Steffen Kampeterschneiden. Wir haben erste Konsolidierungsmaßnahmeneingeleitet und ein Haushaltsbegleitgesetz der „doppel-ten Tonlage“ verabschiedet und schon stellen sich guteNachrichten ein. Das zeigt doch, dass sich diese Haus-haltspolitik wesentlich von der Haushaltspolitik unter-scheidet, für die Sie, Frau Hajduk, mit die Verantwor-tung übernommen haben.
Diese verbesserte finanzpolitische Lage desJahres 2006 ist auch Ursache dafür, dass wir heute Mor-gen bei der Arbeitsmarktpolitik in einer Größenord-nung von 230 Millionen Euro nachsteuern konnten. Wirhaben erst fleißig konsolidiert, damit wir das Geld, überdas wir verfügen, dafür verwenden, was nötig ist. Des-wegen glaube ich, dass nicht nur der Haushalt 2006, son-dern auch der Haushaltsentwurf für 2007 – das ist dererste Haushalt, den die Koalition vollständig zu verant-worten hat – uns auf dem Weg der Konsolidierung vor-anbringen.Erstens. Erstmals wird die in der Verfassung vorgese-hene Regelgrenze bei der Neuverschuldung im Entwurfeingehalten; die Nettokreditaufnahme geht um 16 Mil-liarden auf 22 Milliarden Euro zurück und liegt damitum 1,5 Milliarden Euro unter dem Investitionsvolumen.Zweitens. Erstmals seit vier Jahren wird dasMaastrichtkriterium wieder sicher erreicht werden.Das wird aller Voraussicht nach schon in diesem Jahr derFall sein.
Das stellt einen Unterschied zu den vergangenen Jahrendar. Es mag vielleicht auch eine kleine Bürde sein, weilwir in den nächsten Schritten – der Kollege Meister hates deutlich gesagt – in Richtung ausgeglichener Etatmarschieren. Dies ist das Ziel der großen Koalition.Schließlich drittens. Die Staatsquote sinkt; die Inan-spruchnahme des Bürgers durch den Staat wird erheblichweiter zurückgeführt. Wir werden am Ende dieser Legis-laturperiode eine Staatsquote haben, die wir zuletzt vorder Wiedervereinigung hatten.
Bei diesem Konsolidierungskurs helfen uns – es istwichtig, das festzustellen – gute wirtschaftliche Rah-menbedingungen. Die konjunkturelle Aufwärtsbewe-gung der deutschen Wirtschaft hat im laufenden Jahrdeutlich an Kraft gewonnen; der konjunkturelle Knotenist geplatzt. Wir verzeichnen das stärkste Wachstum seitfünf Jahren. Michael Glos hat geradezu prophetischschon Anfang des Jahres die Werte bei etwa 2 Prozentgesehen; jetzt sprechen alle wirtschaftswissenschaftli-chen Forschungsinstitute von einem Wachstum vonmehr als 2 Prozent. Damit gibt es zum ersten Mal seitvielen Jahren ein Wachstum auch der deutschen Wirt-schaft. 426 000 Arbeitslose weniger und 129 000 sozial-versicherungspflichtig Beschäftigte mehr sprechen einesehr konkrete Sprache. Dies sind die Anzeichen einer so-liden wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Land.olmhnfsiSdmeztnwdnssadmlHmdsLmdTmdzaDaDpGr
Die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Stand-rts Deutschland hat sich verbessert. Ich will ausdrück-ich festhalten, dass die Tarifvertragsparteien durchoderate Abschlüsse einen wesentlichen Anteil daranaben. Es ist erfreulich, dass wir erstmals seit langem ei-en Aufschwung haben, der auch von der Binnennach-rage, das heißt von der Zuversicht der Menschen in die-em Land – nicht nur in den Unternehmen, sondern auchn den Privathaushalten –, getragen wird. Diesenchwung wollen wir in das Jahr 2007 mitnehmen. Alleiejenigen, die noch vor wenigen Monaten in Pessimis-us gemacht haben, was die Steuerpolitik angeht, undinen Konjunktureinbruch für das Jahr 2007 prognosti-iert haben, schweigen jetzt. Nationale wie auch interna-ionale Experten sagen, dass sich dieser Aufschwung imächsten Jahr fortsetzen wird. Wir haben ein solidesirtschaftliches Wachstum.Wir verschweigen den konjunkturdämpfenden Effekter Mehrwertsteuererhöhung nicht. Sie bleibt aberotwendig und ist ohne Alternative. Sie ist mit dem Auf-chwung kompatibel. Das halte ich für eine gute Bot-chaft.
Ich habe gesagt: Der Kurs stimmt. Die Aufgabe istber noch nicht erledigt. Deswegen gehört zu dem Bild,as wir heute, am Beginn der Haushaltsdebatte, zeichnenüssen, auch, dass der Bundeshaushalt selbstverständ-ich ein Sanierungsfall bleibt.Wenn ein Unternehmen jedes Jahr einen Verlust inöhe von ungefähr einem Viertel seines Umsatzesacht, wird jeder dort Beschäftigte, auch ein Mitglieder Geschäftsführung oder des Betriebsrates, sagen: Un-er Unternehmen befindet sich in einer schwierigenage, es ist ein Sanierungsfall. Seit Mitte der 90er-Jahre,it wechselnden politischen Mehrheiten, weist der Bun-eshaushalt ein strukturelles Defizit auf, weil großeeile unserer Ausgaben nicht durch dauerhafte Einnah-en gedeckt sind.Wir in der Union sind der Auffassung, dass wir mitem Haushalt, solange er nicht ausgeglichen ist, nichtufrieden sein können. Die Sanierungsaufgabe bleibtlso bestehen.
er Bundeshaushalt ist eine Sanierungsaufgabe für unslle.
ieser Aufgabe werden wir uns in dieser Legislatur-eriode engagiert stellen. Für Entwarnung gibt es – weißott! – keinen Grund. Wir müssen den Sparkurs fortfüh-en.
Metadaten/Kopzeile:
4396 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Steffen KampeterZiel der Union ist in diesem Zusammenhang, dieKreditaufnahme des Bundes im Laufe der Legislatur-periode unter die 20-Milliarden-Euro-Grenze zu senken.Dazu bedarf es zusätzlicher Anstrengungen, insbeson-dere auf der Ausgabenseite. Wir wollen eines zurückge-winnen: das Vertrauen der Menschen in die Finanz- undHaushaltspolitik dieses Landes. Die ersten Signale gibtes schon: steigendes Verbrauchervertrauen und steigen-des Investorenvertrauen. Es muss jedoch deutlich wer-den: Das sind keine Eintagsfliegen, vielmehr muss dieKonsolidierung nachhaltig und generationengerechtsein. Deswegen werden wir auf diesem Kurs gemeinsammit unserem Koalitionspartner weiter voranschreiten.
Wir wollen keine Wunschlisten anlegen und keinevoreiligen Schlüsse ziehen. Eine Schwalbe macht nochkeinen Frühling.
Die Konsequenz und Beharrlichkeit bei den beschlosse-nen Maßnahmen zeigen die entsprechende nachhaltigeStärkung der Auftriebskräfte.Ich begrüße ausdrücklich, Herr Finanzminister, dassSie festgestellt haben, dass der Löwenanteil an denMehreinnahmen 2006 zur Senkung der Nettokreditauf-nahme verwendet wird. Die Union ist der Auffassung,dass der Löwe ebenso wie der Löwenanteil ziemlichgroß sein muss. Die Formulierung lässt ein kleines Hin-tertürchen. Die Löwen der Union, insbesondere diebayerischen, sind ausgesprochen groß. Das sollten Siezur Kenntnis nehmen.
Ich will noch ein Wort zur Situation der Bundesagen-tur für Arbeit sagen. Wir haben in der Debatte deutlichherausgearbeitet, dass der Überschuss nachhaltig und so-lide ist. Das war die Voraussetzung dafür, dass man überBeitragsabsenkungen nachdenken kann. Wir von derUnion sind der Auffassung: Der nachhaltige Anteil desÜberschusses sollte frühestmöglich zur weiteren Absen-kung der Sozialversicherungsbeiträge verwandt werden.Hier sehen wir noch Spielräume. Ich denke, wir befindenuns darüber seit einigen Tagen in einem guten Gespräch.Ich hoffe, dass wir relativ rasch zum Abschluss der Ge-spräche kommen werden. Dies ist insbesondere vor demHintergrund wichtig, dass wir in niedrigen Sozialversi-cherungsbeiträgen, mehr Wachstum und mehr Haus-haltseinnahmen einen sinnvollen Beitrag zur Konsolidie-rung sehen. Die Union ist für weitere Gesprächeausgesprochen offen.
Folge des Klimawechsels in diesem Hause ist, dassauch über Haushaltsrisiken nicht nur von der Opposi-tion, sondern sogar noch intensiver von der Regierungs-koalition gesprochen wird. Für Entwarnung ist aber nochnicht die richtige Zeit, das will ich deutlich machen. Na-türlich sehen wir uns Haushaltsrisiken gegenüber. Ichbin der Auffassung, dass man eine Regierung auch da-durch unterstützen kann, dass man die HaushaltsrisikenoEwbwMwdMiwsnuragSzbtwerzjHscdIzImsIIEntvlsgZwtJDid
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4397
)
)
Ich will all denjenigen, die sich zu der Fragestellung, wiesich die Zinsen zukünftig entwickeln, äußern, raten: Die-ses Thema kann man in das Nachtgebet einbeziehen; beiöffentlichen Verlautbarungen wäre ich zurückhaltend.
Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens. Wir stehen zurAufgabenteilung zwischen der Politik, die die strukturel-len Anpassungen vornehmen soll, und der Notenbank,die für die Geldpolitik zuständig ist.
Zweitens habe ich nicht den Eindruck, dass Mäßigungs-appelle an die Zentralbank produktiv sind. Um es kon-kret zu sagen: Ich vermute, dass öffentliche Appelle eherkontraproduktiv sind.
Das heißt: Wenn man niedrige Zinsen haben möchte,dann sollte man zu diesem Thema besser schweigen.Wir haben klare Ziele für die Haushaltsberatungen imJahre 2007. Die Union steht gemeinsam mit ihrem Part-ner für seriöse Finanzen. Nachdem in den vergangenenvier Jahren gegen die Maastrichtkriterien verstoßenwurde, wollen wir sie nicht nur 2006, sondern auch inden Folgejahren – bis wir einen ausgeglichenen Haushalthaben und darüber hinaus – einhalten. Wir wollen einenverfassungskonformen Bundeshaushalt. Das heißt,die Höhe der Investitionen muss deutlich über der Höheder Nettokreditaufnahme liegen. Mehr Forderungen anden Etat können vor diesem Hintergrund nicht realisiertwerden.
Am Ende dieser Legislaturperiode – so die Forderungder Union – sollte die Neuverschuldung wieder deutlichunter 20 Milliarden Euro liegen. Wir dürfen aufgrundunserer Verantwortung gegenüber den nachfolgendenGenerationen bei der Nettokreditaufnahme nicht aasen,sondern müssen sparsam sein. Die Grenze muss deutlichunterschritten werden.
Wir wollen die Staatsquote auf das Niveau von 1989absenken, nämlich auf unter 44 Prozent. Wir glauben,dass die Entscheidung, wofür Geld ausgegeben wird,eher beim Bürger als beim Staat liegen sollte. Wir glau-ben, dass dieser Grundsatz vor allem für die Ausgaben-seite gelten sollte. Wenn ich mir die mittelfristigeFinanzplanung anschaue, dann stelle ich fest, dass wirkein Einnahmeproblem haben.Wir werden an allen konstruktiven Beiträgen zur Aus-gabensenkung, die von der Opposition und innerhalb derKoalition vorgelegt werden, gerne mitarbeiten. Wir wol-lKsvDBfHskkDdfMfDbtdarpSbaBllne
as ist eine Freude für uns alle. Es ist aber nicht so, dass
as auf das Handeln dieser Bundesregierung zurückzu-
ühren wäre. Das wäre ein gewaltiger Trugschluss.
an kann geradezu sagen: Die konjunkturelle Erholung
indet trotz dieser Bundesregierung statt.
enn sie ist auf eine Politik der Verbesserung der Ange-
otsbedingungen in den letzten Jahren zurückzuführen.
Die wesentlichen Punkte dabei waren: die zurückhal-
ende Politik der Tarifvertragsparteien,
ie maßvolle Zinspolitik der Europäischen Zentralbank,
Auch ange-sprochen!)ber auch die Politik der Steuersenkung der Vorgänger-egierung insbesondere bei der Einkommen- und Kör-erschaftsteuer.
In diesem Zusammenhang, Herr Finanzministerteinbrück, möchte ich in Erinnerung rufen: Als die alteürgerliche Koalition eine grundsätzliche Steuerreformuf den Weg gebracht hat – Stichwort: Petersbergereschlüsse –, hat die SPD-Opposition unter dem dama-igen Parteivorsitzenden Lafontaine ihre Blockademög-ichkeiten im Bundesrat genutzt. Die Steuerreform isticht zustande gekommen, obwohl sie im Bundestagine Mehrheit gefunden hatte. Damit ist viel Zeit
Metadaten/Kopzeile:
4398 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Dr. Hermann Otto Solmsverschwendet worden. Denn wir hätten schon einigeJahre früher eine angebotsorientierte Politik betreibenkönnen.
Als die rot-grüne Regierung diese Steuerreform aufden Weg gebracht hat, hätten wir sie im Bundesrat blo-ckieren können. Wir haben es aber nicht getan. Durchdas Mitwirken von Rainer Brüderle und Kurt Beck, Ih-rem neuen Parteivorsitzenden, in Rheinland-Pfalz habenwir durchgesetzt, dass die Steuerreform tatsächlich insGesetzbuch gekommen ist
und dass der Spitzensteuersatz von 45 auf 42 Prozent ge-senkt worden ist.
Deswegen fühle ich mich – mit der FDP – mitverant-wortlich für die positiven Entwicklungen, die wir gegen-wärtig erleben.
Diese Politik der Entlastung und der Verbesserung derAngebotsbedingungen müsste jetzt fortgesetzt werden.Diese Bundesregierung tut aber genau das Gegenteil.
Sie erhöht die Kosten, sie erhöht die Steuern, sie erhöhtdie Beiträge und baut die immense Bürokratie nicht ab.Ich möchte einige Beispiel in Erinnerung rufen: Daswichtigste ist natürlich die Erhöhung der Mehrwert-steuer. Das ist ökonomisch gesehen ein grundsätzlicherFehler.
Weitere Beispiele sind die Erhöhung der Versicherungs-steuer, die Erhöhung der Einkommenssteuer unter demStichwort Reichensteuer – man findet immer schöne Be-gründungen für Steuererhöhungen –,
die Verschlechterung bei der Pendlerpauschale, keineAbzugsfähigkeit der Kosten für das Arbeitszimmer,Streichung der Abzugsfähigkeit der Steuerberatungskos-ten und die Halbierung des Sparerfreibetrags. Das wirdjetzt in das Jahressteuergesetz gemogelt, damit es mög-lichst nicht auffällt. Allein diese Steuererhöhungenwerden die Bürger und Unternehmen im nächsten Jahrum 27 Milliarden Euro zusätzlich belasten. Wie soll dasdie Konjunktur fördern?
Wie soll das den Menschen die Möglichkeit geben, mehrzu konsumieren, mehr zu investieren oder mehr Eigen-vorsorge für das Alter und für die Risiken des LebensvitldkftmntBdsGGsmDfwnnhSheldenbbcdBmFdtmd
Zweitens. Legen Sie ein durchdachtes Konzept fürine Unternehmensteuerreform vor, in dem die Unter-ehmen, egal in welcher Rechtsform sie agieren, gleichehandelt und gleich belastet werden,
ei dem das Besteuerungsniveau auf das durchschnittli-he europäische Niveau gesenkt wird und das nichturch die Einbeziehung von Kostentatbeständen in dieesteuerung gegenfinanziert wird. Wie Sie das technischachen, ist völlig egal. Aber das ist ein grundsätzlicherehler. Das ruiniert den deutschen Mittelstand,
er ja in aller Regel mit nur 10 bis 20 Prozent Eigenkapi-al leben und sich zu 80, 90 Prozent fremdfinanzierenuss. Hier geht es um die Existenz des Mittelstandes.
Drittens. Beginnen Sie endlich mit der Vereinfachunges Steuersystems. Das haben alle Parteien in ihren
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4399
)
)
Dr. Hermann Otto SolmsWahlkampfparolen gefordert. Nichts ist bis jetzt gesche-hen.Viertens. Überprüfen Sie Ihr Jahressteuergesetz 2007,in dem auf 127 Seiten herumgeregelt wird.Fünftens. Führen Sie die Abgeltungsteuer auf Kapi-talerträge ein. Schaffen Sie endlich eine Bundesfinanz-verwaltung, die auch Sie, Herr Bundesfinanzminister,immer gefordert haben; dabei unterstützen wir Sie.Sechstens. Senken Sie die Beiträge zur Arbeitslosen-versicherung um mindestens 2,5 Prozentpunkte.
Siebtens. Stoppen Sie die Diskussion über die Ge-sundheitsreform.Achtens. Beginnen Sie endlich zu sparen, und zwarbeim Staat und nicht beim Bürger.
Die ökonomische Wirkungskette gilt auch heutenoch: Nur weniger Steuern und Abgaben bringen mehrArbeitsplätze. Nur mit mehr Beschäftigten hat der Staatmehr Steuer- und Beitragseinnahmen. Nur so erreichenSie eine nachhaltige Konsolidierung des Bundeshaushal-tes und der anderen Haushalte.Entweder fehlt Ihnen der Mut zu dieser Politik oderdie Einsicht. Beides ist verhängnisvoll. Wir brauchen imInteresse der Bürgerinnen und Bürger Fortschritt inDeutschland.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Carsten Schneider für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich habe während der heutigen Debatte, die ich aufmerk-sam verfolgt habe, neue und alte Freunde kennen gelerntbzw. wiedergefunden. Ich hatte den Eindruck, FrauHajduk, dass nach Ansicht der alten Freunde von denGrünen alles, was in der rot-grünen Regierungszeit ge-schehen ist, super war. Dieser Auffassung bin auch ich.Bei den neuen Freunden von der Union hatte ich denEindruck, dass sie alles, was in dieser Zeit auf den Weggebracht wurde, schlecht fanden, dass aber, seitdem dieUnion mitregiert, alles super ist. Ich glaube, die Wahr-heit liegt irgendwo in der Mitte: Es liegt an der Konti-nuität der Regierungsbeteiligung der SPD.
–gnsudggbHvwZgswssnfboDJgmsdr–nmdtbbsssMBrznlWp6tsvk
ass er das nicht getan hat, hat uns in den vergangenenahren immer wieder, gerade beim Steuervergünsti-ungsabbau, geschadet und zu geringeren Steuereinnah-en geführt. Das haben wir jetzt korrigiert. Auch an die-er Stelle sei auf den maßgeblichen Einfluss der SPD aufie Kollegen von der Union hingewiesen.Auf der Ausgabenseite haben wir deutliche Einspa-ungen vorgenommen. Nicht, wie die FDP das fordertum Gottes willen; wir wollen keinen Staat, den sichur Reiche leisten können –, aber so, dass sich die nor-alen Bürgerinnen und Bürger sicher sein können, dasser Deutsche Bundestag solide mit dem ihm anvertrau-en Geld umgeht. Die Ausgabensteigerung liegt für 2007ei 0,2 Prozent, im gesamten Finanzplanungszeitraumis 2010 bei gerade einmal 0,7 Prozent. Bei einer unter-tellten Inflationsrate von über 1 Prozent – was wahr-cheinlich ist; hoffentlich liegt sie unter 2 Prozent – ent-pricht dies einer Ausgabensenkung, und dies trotz derehrausgaben, die wir in den vergangenen Jahren imereich des Arbeitsmarktes und der sozialen Siche-ungssysteme hatten.Der eingeschlagene Kurs, nämlich 2006 den Anschubu geben, die Konjunktur auf Fahrt zu bringen, war in-erhalb der SPD – das muss ich auch für mich persön-ich sagen – nicht unumstritten. Nun stimulieren wir dieirtschaft mit einem 25-Milliarden-Euro-Wachstums-aket, wir erhöhen damit die Mittel für Forschung umProzent und setzen Akzente bei den Infrastrukturinves-itionen. Ich glaube, das ist richtig, insbesondere weilich die Bevölkerung und die Wirtschaftsakteure darauferlassen können, dass die Maßnahmen, die wir ange-ündigt haben, auch umgesetzt werden.
Metadaten/Kopzeile:
4400 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Carsten Schneider
Dieses Vertrauen in eine stetige Finanzpolitik ist für densich jetzt deutlich abzeichnenden Konjunkturauf-schwung entscheidend, entscheidender als kurzfristigesHoch und Runter von Steuersätzen oder auch – um dieaktuelle Debatte aufzugreifen – des Beitrags zur Arbeits-losenversicherung. Wichtiger ist langfristige Stabilität,dass sich die Bürgerinnen und Bürger darauf verlassenkönnen, dass diese Bundesregierung und dieses Parla-ment langfristig im Blick haben, einen Haushalt vorzu-legen, der nicht nur dem Art. 115 des Grundgesetzesentspricht, sondern auch – in der nächsten Legislatur-periode – ausgeglichen ist.Die Konjunkturdaten für die BundesrepublikDeutschland, insbesondere die Wachstumsraten im ers-ten und zweiten Quartal, zeigen, dass das Wachstum ro-bust ist. Im zweiten Quartal hatten wir real ein Wachs-tum von 0,9 Prozent; das ist mehr, als die VereinigtenStaaten in diesem Quartal hatten. Viel wird jetzt davonabhängen, wie sich die Rohstoffpreise, insbesondere derÖlpreis, entwickeln. Es kommt aber auch darauf an, wiesich die konjunkturelle Situation in den USA entwickelt,die ja immer Wachstumsmotor für uns waren und die einsehr stark exportgetriebenes Wachstum hatten. Ich seheda mehr Licht als Schatten am Horizont. Dementspre-chend bin ich, was die Steuereinnahmen betrifft, aucheher zuversichtlich.Ich will aber auch klar unterstreichen, was der Bun-desfinanzminister ausgeführt hat: Wenn wir in Zeitenguter Konjunktur zusätzliche Steuereinnahmen erzielensollten, müssen wir diese zur Senkung der Neuverschul-dung verwenden.
In den vergangenen Jahren haben wir eine antizyklischePolitik betrieben. Ich halte es für richtig, dass man in ei-nem Abschwung nicht hinterherspart; das funktioniertnicht. Da sollte sich der eine oder andere Ökonom ein-mal an die eigene Nase fassen und bei seinen Modellennicht so tun, als gäbe es den Faktor Staat nicht. Jetzt istjedoch der entscheidende Zeitpunkt, um für die zukünf-tige Finanzentwicklung noch Maßstäbe zu setzen unddie Neuverschuldung oder die Privatisierungserlöse zu-rückzufahren.Werfen wir noch einen Blick auf die konjunkturelleSituation: Auffällig ist nicht nur der deutliche Anstiegder Ausrüstungsinvestitionen, sondern auch dass dieBaukonjunktur, die in den letzten Jahren geschwächelthat, Zuwächse zu verzeichnen hat – 2,5 Prozent – understmals auch der private Konsum, mit 0,5 Prozent. Wirsind insgesamt auf einem guten Weg. Von daher mussdie Finanzpolitik jetzt die unterstützenden Maßnahmen,die angekündigt und auch beschlossen worden sind,durchsetzen.Durchsetzen heißt letztendlich auch Verlässlichkeitund kein ständiges Hin und Her.Alle Anträge der FDP zur Aushebelung der Mehr-wertsteuererhöhung und zu allen anderen Punkten, dieich so sicher erwartet habe wie die Tatsache, dass es imWinter schneit, sind meines Erachtens ziemlich kurz-swShvsddseahSdgdtdSsadssdct2rntndaddM2truD3rLfsB
Schauen Sie sich den Sozialhaushalt an! Der Gesamt-aushalt hat ein Volumen von 267 Milliarden Euro. Derozialetat macht 120 Milliarden Euro aus. Danach folgtie Zinsbelastung mit 38 Milliarden Euro. Der Verteidi-ungshaushalt hat einen Umfang von 22 bis 24 Milliar-en Euro, je nachdem worauf wir uns während der Bera-ungen einigen. Danach kommt der Verkehrshaushalt. Iniesen Bereichen wollen Sie auch nicht sparen. Wennie die Steuermehreinnahmen wirklich nicht wollen,ondern den Staat zurückschneiden wollen, wie Sie dasnkündigen, dann müssen Sie auch sagen, dass Sie beien Renten nicht nur keine Steigerungen, sondern tat-ächlich Kürzungen wollen. Um das klar und deutlich zuagen: Dies findet nicht unsere Zustimmung.
Es trifft auch nicht auf unsere Zustimmung, wenn Sieas bei den Empfängern von Arbeitslosengeld II versu-hen. Um das klar zu sagen: Wir haben dort ein haushal-erisches Risiko. Für das Jahr 2007 haben wir1,4 Milliarden Euro veranschlagt. Ich hoffe, dass diesealistisch ist. Wir werden das im Laufe der Beratungenoch sehen. Ich denke, das ist insbesondere dann realis-isch, wenn sich der abzeichnete Konjunkturaufschwungicht nur für die Empfänger von Arbeitslosengeld I, son-ern auch für die Empfänger von Arbeitslosengeld IIuswirkt. Dafür ist aber notwendig, dass wir, wie es beien Hartz-Reformen angedacht war, nicht nur das For-ern, sondern auch das Fördern betonen.Aus diesem Grund haben wir als Koalition heuteorgen die Sperre beim Eingliederungstitel in Höhe von30 Millionen Euro aufgehoben, damit die Arbeitsagen-uren vor Ort Planungssicherheit bis zum Ende des Jah-es haben, um entsprechende Maßnahmen zu bezahlennd Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen.
as geht nur mit beiden Seiten. Ihre Forderung, um,5 Milliarden Euro zu kürzen – das wäre eine Halbie-ung dieses Betrages –, würde dazu führen, dass dieeute überhaupt keine Chancen mehr hätten. Von daherindet das absolut nicht unsere Zustimmung, sondern dastößt auf unsere entschiedene Ablehnung.
Ich komme zu einem weiteren Punkt, der sich in deneratungen zu diesem Haushaltsplan niederschlagen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4401
)
)
Carsten Schneider
wird. Wir müssen uns die Steuerentwicklung natürlichsehr genau anschauen. Ich möchte aber klar sagen, dassich für zusätzliche Ausgabewünsche keinerlei Spiel-raum sehe.
Ich sage das ganz gezielt auch an die Kabinettskollegenvon Finanzminister Steinbrück. Es kann nicht sein, dassder eine oder andere immer fordert, er müsse mehr spa-ren, mehr tun und dieses oder jenes finanzieren, währender den Finanzminister auf der anderen Seite durch dieHintertür mit Forderungen konfrontiert, was dazu führt,dass es immer mehr Wünsche nach Mehrausgaben gibt.Wir kennen das als Haushälter natürlich. Ich weise diesentschieden zurück.
Bevor tatsächlich Mehrausgaben gefordert werden,muss klar sein, dass diese sachgerecht sind und sich inden tatsächlichen Begebenheiten widerspiegeln. Ichglaube nicht, dass man die Situation nutzen sollte, die ei-nem die derzeitige politische Diskussion eröffnet. Esgeht nicht, die Zahlen immer gleich zu lassen und nurdie Begründung ab und zu zu ändern. Ich denke, denEingeweihten ist bekannt, worum es geht.
Ich möchte noch zu einem weiteren Punkt kommen,nämlich dem Bund-Länder-Verhältnis. Wir haben nichtnur die Föderalismusreform durch den Bundestag ge-bracht, sondern wir haben in den nächsten Monaten auchdie Föderalismusreform II vor uns. Ich lege Hoffnung indieses Projekt, auch wenn ich weiß, dass es viele Wider-stände geben wird, wenn es hart auf hart kommen undvor allem ums Geld gehen wird. Ich glaube aber, dass esbezüglich der Gesamtrahmenbedingungen, unter denenwir haushaltswirtschaftlich arbeiten – insbesondere be-zogen auf die Verschuldungsgrenzen und die Abstim-mung im Finanzplanungsrat –, Optimierungsmöglich-keiten gibt. So wie ich die eine oder andere Debatte auchauf der Länderseite sehe, hoffe ich, dass es dort zu einerEinigung kommt.Diese Einigung darf nicht daran scheitern, dass wiruns über solche Sachfragen zerstreiten. Wir müssen ins-besondere zu einer stärkeren Koordinierung in der Aus-gabenpolitik zwischen dem Bund und den Ländern kom-men. Darüber hinaus brauchen wir eine Umsetzung deseuropäischen Stabilitätspaktes in nationales Recht, wiewir das in einem ersten Schritt bei der Aufteilung derSanktionszahlungen zwischen Bund und Ländern imRahmen der Föderalismusreform I bereits getan haben.Ich bin aber ausdrücklich dagegen, dies mit Fragen derFinanz- und Steuerverteilung zu verknüpfen. Eine sach-fremde Debatte nach dem Motto „Was bleibt mir amEnde übrig?“ halte ich an dieser Stelle für schädlich,weil sie zu einem Wettbewerbsföderalismus führenwürde.
Ich möchte noch kurz auf die bereits vom KollegenPoß und vom Kollegen Meister angesprochene Unter-ndtimstsMdMdreiZeEBagftgIwblßdGsdD
us der gerade hier in Berlin aufgeführten „Drei-roschenoper“ enden, die ziemlich kritisiert wurde. Ichinde die Inszenierung gut; aber darüber lässt sich strei-en. Ich beziehe mich auf die erste Verfilmung der „Drei-roschenoper“ von 1930, in der es heißt:Denn die einen sind im Dunklenund die anderen sind im Licht.Und man siehet die im Lichte,die im Dunklen sieht man nicht.Was meine ich wohl damit?
ch meine damit Folgendes: Machen Sie wirklich klar,as Ihre Vorschläge zu den Kürzungen im Sozialbereichedeuten. Es kann nicht sein, dass Sie sich hier hinstel-en und immer wieder den Steuer- und Abgabenstaat gei-eln. Auf der anderen Seite tun Sie so, als würden Sieie Menschen mit sozialen Wohltaten beglücken. Dasegenteil ist der Fall. Sie sind diejenigen, die zur Ero-ion der Gesellschaft beitragen. Das würde letztendlichem Wirtschaftsstandort Deutschland schaden.
Danke sehr.
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kolleger. Dietmar Bartsch.
Metadaten/Kopzeile:
4402 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieRede des Finanzministers und diese Debatte habenebenso wie die Worte von Herrn Schneider eindeutig ge-zeigt, dass der Haushalt 2007 die Agenda 2010 plusAngela Merkel ist. Sie als große Koalition haben einigeMonate von der Hoffnung gelebt, dass jenseits macht-politischer Blockaden die Lösung der großen Problemedes Landes angegangen werden kann. Im Haushalt istdavon nichts, aber auch gar nichts zu spüren. Die Blo-ckaden sind deutlich sichtbar.
In der Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerinerklärt:Wir müssen uns in jeder Generation neu besinnen,was gerecht und was ungerecht ist.Das haben Sie völlig richtig gesagt. Ich will ausnahms-weise noch einmal die Kanzlerin zitieren:Gerecht ist, wenn den Schwachen geholfen wird.Ungerecht ist, wenn sich Starke als Schwache ver-kleiden und damit die Gemeinschaft ausnutzen.Da haben Sie etwas völlig Richtiges gesagt. Aber Siehandeln ganz anders.Ihre Maßnahmen gehen zulasten der sozial Schwä-cheren und der wenig Vermögenden. Gerechtigkeitsieht anders aus. Wen treffen Sie denn mit der Kürzungdes Sparerfreibetrages? Sie treffen eben diejenigen, de-nen das Sparen wirklich schwer fällt. Sie nehmen den15 Millionen Pendlern durch die Kürzung der Pauschalerichtig Geld weg. Das ist insbesondere für Ostdeutsch-land eine katastrophale Entscheidung.Sie nehmen 450 000 jungen Erwachsenen durch dieBeschränkung des Kindergeldes bis zum 25. Lebensjahrdie finanziellen Mittel für ihren Lebensunterhalt. ImKern finanzieren Sie Ihre Steuermehreinnahmen ausEinnahmen der einfachen Bürgerinnen und Bürger. Sienehmen den sozial Schwächeren. Wenn man dazu nochdie Erhöhung der Beiträge bei den Krankenkassen undzur Rentenversicherung rechnet, kann man nur sagen:Das sind katastrophale Entscheidungen.In besonderer Weise trifft das aber auf die fatalsteEntscheidung zu, die Sie getroffen haben: die Erhöhungder Mehrwertsteuer. Sie weigern sich vor allen Din-gen, Herr Steinbrück, neue Erkenntnisse, die nach dieserEntscheidung sichtbar geworden sind, zur Kenntnis zunehmen. Ich will Sie alle daran erinnern, dass es nochkein Jahr her ist – es war im Wahlkampf im vorigenJahr –, als Sie, Herr Steinbrück, und die Kolleginnen undKollegen der SPD die Mehrwertsteuererhöhung gegei-ßelt haben. „Merkelsteuer, das wird teuer!“ lautete IhrSlogan. Er war völlig richtig.
Ich frage mich, ob Ihre heutigen Reden ähnlich glaub-würdig sind. Ist das so oder haben wir jetzt eine andereSituation?whvdrDVVsdBmmiIbashlädadnsrvVsEUStescDKsm
Sie begründen die Mehrwertsteuererhöhung immerieder mit den EU-Stabilitätskriterien und dem Haus-altsdefizit. Wir alle wissen aber – Herr Meister hat esorhin festgestellt –, dass die EU-Stabilitätskriterien iniesem Jahr eingehalten werden. Das hat – das ist völligichtig – mit dem wirtschaftlichen Aufschwung zu tun.en bringt aber niemand ernsthaft mit Ihrer Politik inerbindung. Das ist die Realität.
on Ihrer Regierung geht vielmehr Gefahr für den Auf-chwung in Deutschland aus.Sie haben die Mehrwertsteuererhöhung damit begrün-et, dass ein Prozentpunkt davon der Absenkung dereiträge zur Arbeitslosenversicherung zugute kom-en soll. Sie weigern sich aber, zur Kenntnis zu neh-en, dass der Überschuss der Bundesagentur für Arbeitn diesem Jahr 9 Milliarden Euro beträgt. Ich stimme mithnen überein, dass die Einnahme aus dem 13. Monats-eitrag nicht angetastet werden sollte. Wie finden Sieber die Idee, das Vorhaben aus dem erzielten Über-chuss statt aus den Einnahmen der Mehrwertsteuererhö-ung um einen Prozentpunkt zu finanzieren? Es ist viel-eicht nicht völlig abwegig, darüber zu diskutieren.Beweisen Sie Ihre Lernfähigkeit! Tragen Sie der ver-nderten Realität Rechnung! Sie wissen doch, dassurch die Mehrwertsteuererhöhung die Binnenkaufkraftbgeschöpft und der wirtschaftliche Aufschwung gefähr-et wird. Sie haben feststellen müssen, dass die Politikach dem Motto „Steuersenkung bei Unternehmenchafft Arbeitsplätze“ gescheitert ist, und zwar seit Jah-en.Kehren Sie um! Steigern Sie die Binnenkaufkraft underzichten Sie auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer!erfahren Sie nicht nach dem untauglichen Motto „Wiretzen den einmal als richtig erkannten Weg bis zumnde fort“!
Hinzu kommt, dass Sie zur gleichen Zeit über einenternehmensteuerreform diskutieren, mit der aufteuereinnahmen von bis zu 22 Milliarden Euro verzich-et werden soll. Natürlich handelt es sich dabei um Steu-rgeschenke, Herr Poß. Um was denn sonst? Die Ideetammt von einem SPD-Minister. Da würde sich man-her Sozialdemokrat im Grabe umdrehen.
en Unternehmen, den Vermögenden, den Banken undonzernen geben Sie Steuergeschenke und den Men-chen, die ihre Euros mit schwerer Arbeit verdienenüssen, greifen Sie in die Tasche.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4403
)
)
Dr. Dietmar BartschSie wissen doch, dass Rot-Grün mit der SteuerreformMindereinnahmen von über 60 Milliarden Euro verur-sacht hat. Das hat sich für die Konzerne und ihre Share-holder gelohnt. Nicht gelohnt hat es sich für die Men-schen; denn gleichzeitig sind viele Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer entlassen worden. Das kann nicht derWeg sein. Es geht auch anders. Richten Sie den Blick aufandere Länder,
in denen das Wirtschaftswachstum höher ist und die öf-fentlichen Haushalte besser dastehen!Warum unternehmen Sie keinen ernsthaften Versuch,die Erbschaftsteuer grundlegend zu reformieren? Inden nächsten Jahren werden Billionen vererbt. Warumbrauchen wir in Deutschland neue Dynastien, die nichtsmit Leistung zu tun haben? Warum sollen die sozialenUnterschiede in unserem Land weiter vererbt werden?Das ist ein großer Fehler.
Sie haben von Kindern und Enkeln gesprochen, HerrSteinbrück. Auch das gehört dazu. Warum werden einigeso privilegiert? Sie verweisen darauf, dass zunächst dieEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwar-ten ist. Es gibt immer Begründungen, abzuwarten. Siehätten aber schon lange einen Gesetzentwurf vorlegenkönnen, der auch für alle Haushalte 2007 haushaltsrele-vant geworden wäre.Warum weigern Sie sich, wieder eine Vermögen-steuer einzuführen oder wenigstens darüber zu diskutie-ren? Es gibt Ministerpräsidenten, die das auch weiterhinfür vernünftig halten. Sie haben nicht im Entferntestenden Ansatz beherzigt, dass starke Schultern mehr tragenmüssen.Über viele Jahre hinweg gab es eine Umverteilungvon unten nach oben. Was wir nun brauchen, ist eineUmverteilung von oben nach unten.
Wir brauchen eine andere Politik. Denn Sie betreibeneine falsche Politik.Lassen Sie mich – weil Sie immer wieder von Haus-haltsrisiken und Ähnlichem sprechen – einen Bereich er-wähnen, auf den schon eingegangen worden ist, undzwar den Einzelplan 14, Verteidigung. In diesem Etatspiegeln sich sehr deutlich die Veränderungen in der Au-ßenpolitik wider. Frau Merkel hat gleich nach ihremAmtsantritt deutlich gemacht, dass sie anders als ihr Vor-gänger eine unkritische Verbündete von Präsident Bushsein will. Es gibt keine Distanz zu den Vereinigten Staa-ten, auch nicht dann, wenn diese auf imperiale Gestenund militärische Abenteuer setzen.Für eine soziale und gerechte Politik ist angeblich nieGeld vorhanden. Aber Ihre Vorgängerregierungen habenin den Jahren 1992 bis 2005 für Zusatzaufgaben auf-grund internationaler Einsätze insgesamt 8,8 MilliardenEuro ausgegeben. Wenn es, wie heute früh, um Aus-landseinsätze wie im Kongo geht, dann wird sofort„Hier!“ gerufen. Das sind reale Haushaltsrisiken. WiraGagldgPnsfdndz1ittDnEpnamgstMbAgrwaBkdgcKSkrMbVra
enauso wie die Menschlichkeit, zugunsten der Schwä-heren in diesem Land bessere Lösungen zu finden.Wir haben über viele Jahre Erfahrungen mit großenoalitionen und ihrer Haushaltspolitik gemacht.chauen Sie nach Berlin! Ich nenne nur den Ban-enskandal als Beispiel. Heute muss eine rot-rote Regie-ung das beiseite räumen, was dort angerichtet wurde. Inecklenburg-Vorpommern hat die große Koalition, dieis 1998 regierte, das Land in eine völlig inakzeptableerschuldung gebracht. Auch dort muss nun eine rot-ote Regierung aufräumen. Sorgen Sie dafür, dass dasuf Bundesebene nicht passiert!
Metadaten/Kopzeile:
4404 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Dr. Dietmar BartschDanke schön.
Das Wort hat die Kollegin Anna Lührmann für die
Fraktion der Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Herr Kollege Kampeter – schade, er ist
gar nicht da; dann müssen Sie ihm ausrichten, was ich
ihm zu sagen habe – und lieber Herr Steinbrück, ich
fand, die Diskussion und die offensichtlichen Meinungs-
verschiedenheiten innerhalb der Koalition über die
Frage, was man nun mit den wegen der besseren Kon-
junktur sprudelnden Steuereinnahmen machen soll, wa-
ren sehr interessant zu beobachten. Sie sprachen ver-
niedlichend von einem zu verwendenden Löwenanteil.
Ich möchte Sie noch einmal an den Ernst der Lage erin-
nern. Herr Steinbrück, im Haushaltsjahr 2006 haben Sie
eine Nettokreditaufnahme in Höhe von 38,5 Milliarden
Euro vorgesehen und dies mit einer Störung des gesamt-
wirtschaftlichen Gleichgewichts begründet. Deshalb
sollte es selbstverständlich sein, dass jetzt, wo die Kon-
junktur einigermaßen gut läuft und das Wachstum in die-
sem Jahr sehr wahrscheinlich bei 2 Prozent liegt, die
Steuermehreinnahmen komplett zur Reduzierung der
Nettokreditaufnahme verwendet werden. Alles andere
wäre unverantwortlich.
Wir reden nicht über einen einigermaßen ausgegliche-
nen Haushalt und sprudelnde Quellen oder Manna, das
vom Himmel fällt, sondern über einen Haushalt, der un-
ter dem Vorzeichen einer Störung des gesamtwirtschaft-
lichen Gleichgewichts aufgestellt wurde. Herr
Steinbrück, bei einem Wirtschaftswachstum in Höhe von
2 Prozent können Sie nicht mehr von einer Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sprechen. Ich
finde, Ihre Verantwortung gegenüber künftigen Genera-
tionen besteht darin, nun dafür zu sorgen, dass die Steu-
ermehreinnahmen komplett für die Sanierung des Haus-
halts und die Senkung der Nettokreditaufnahme
verwendet werden.
Ich möchte Sie fragen: Wann ist es denn an der Zeit,
wenn nicht jetzt in diesem konjunkturellen Umfeld, zu
sparen und mit der Konsolidierung zu beginnen? Ich
kann mich gut an die Debatten der letzten Jahre erinnern,
als immer wieder gesagt worden ist, die wirtschaftliche
Lage sei so schlecht und deshalb könne nicht gespart
werden. Jetzt aber ist der Zeitpunkt gekommen, wo man
auf die Konjunktur hoffen kann und wo man mit Blick
auf 2007 mehr Einsparanstrengungen unternehmen
sollte, als Sie tatsächlich machen.
Wenn man sich den Haushalt 2007 anschaut, dann
sieht er auf dem Papier auf den ersten Blick schön aus.
Wenn man ihn aber genau anschaut, dann stellt man fest,
dass Sie eine Senkung der Nettokreditaufnahme von
16 Milliarden Euro für 2007 vorschlagen.
D
m
v
n
d
d
b
L
h
D
r
s
h
j
g
U
H
s
q
d
c
J
W
d
f
e
F
g
s
r
D
e
S
d
f
R
a
d
w
em stehen über 20 Milliarden Euro Steuermehreinnah-
en gegenüber. Hinzu kommen Privatisierungserlöse
on 2,64 Milliarden Euro. Das heißt, dass Sie die Ein-
ahmeseite in viel stärkerem Maße verbessern, als Sie
ie Nettokreditaufnahme senken.
Das heißt unter dem Strich, dass Sie keine Konsoli-
ierungsanstrengungen unternehmen und keine Ausga-
en kürzen, obwohl wir uns in einer wirtschaftlichen
age befinden, angesichts der selbst Keynes gesagt
ätte, dass man jetzt den Schuldenberg abbauen muss.
as fordere ich von Ihnen im Rahmen der Haushaltsbe-
atungen ein. Wir Grüne werden dazu konkrete Anträge
tellen. Wir sind gespannt, ob Sie am Ende der Haus-
altsberatungen immer noch sagen, Sie hätten für all die-
enigen offene Ohren, die Konsolidierungsanstrengun-
en unternehmen.
Das Wort hat der Kollege Georg Fahrenschon für die
nionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Eines steht fest: Mit diesem Haushalt, der ange-ichts der Übergabeprobleme des Jahres 2005/2006uasi der erste Haushalt ist, den die unionsgeführte Bun-esregierung in eigener Verantwortung auflegt, errei-hen wir etwas, was Rot-Grün in den gesamten letztenahren nicht geschafft hat.
ir erreichen die Umkehr von stetig steigenden Schul-en hin zu einer verantwortungsvollen europa- und ver-assungskonformen Haushaltspolitik.Bei allen unterschiedlichen Einschätzungen ist dochines unstrittig: Die zwei wesentlichen Eckpfeiler derinanzpolitik, die Regelgrenze des Art. 115 des Grund-esetzes und das Maastrichtkriterium, werden erstmalseit dem Jahr 2001 mit diesem Haushalt eingehalten. Da-an können Sie nichts ändern.
as ist nicht nur ein wichtiges Signal an Brüssel für dieuropäische Stabilitätskultur, es ist auch ein wichtigesignal an die Bürgerinnen und Bürger im Land;
enn binnen Jahresfrist nach Amtsantritt einer unionsge-ührten Bundesregierung erfüllen wir wieder das, wasot-Grün in mehreren Jahren nicht gelungen ist. Es giltlso: Wenn die Union in der Verantwortung steht, wer-en die Regeln nicht gebrochen, sondern sie werdenieder eingehalten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4405
)
)
Georg Fahrenschon
Dass diese Erfolge keine Eintagsfliegen sind, sondernim Verlauf der Legislaturperiode konsequent fortgesetztwerden, zeigt auch der Finanzplan auf. In den Folgejah-ren ist ein stetiger Abbau des Staatsdefizits in Schrittenvon einem halben Prozent vorgesehen. Damit rückt dieCDU/CSU wieder das Ziel eines ausgeglichenen Haus-halts in den Mittelpunkt. Wir werden daran weiter arbei-ten. An der Erreichung dieses Ziels lassen wir uns nachAbschluss dieser Legislaturperiode messen.
Vor allem im Hinblick auf die wichtige Frage der Ge-nerationengerechtigkeit werden wir sparen, reformierenund investieren; denn mittelfristig eröffnet nur ein aus-geglichener Haushalt ohne neue Schulden den kommen-den Generationen die Möglichkeiten, in ihrer Zeit Politikzu gestalten und nicht nur Zins und Tilgung der Vorgän-gerregierung abzuzahlen.
Doch diese positive Entwicklung darf den Blick nichtdafür verstellen, dass wir beim aktuellen Bundeshaushaltnach wie vor vor schwierigen Herausforderungen ste-hen. Auch wenn das Konsolidierungspaket der großenKoalition im Bundeshaushalt 2007 bereits seine erstenWirkungen zeigt, ist und bleibt der Bundeshaushalt einSanierungsfall,
in dem für politische Gestaltung weiterhin zu wenigfinanzieller Spielraum besteht. Wir dürfen nicht verges-sen: Allein mit den vier Ausgabepositionen Rentenzu-schuss, Zins und Tilgung, Personal und Arbeitsmarkt-politik sind bereits knapp drei Viertel des gesamtenVolumens des Bundeshaushalts fest gebunden. Vor die-sem Hintergrund muss einem klar werden: Die Sanie-rung der Staatsfinanzen ist nach wie vor Topthema aufder Agenda der Finanz- und Haushaltspolitik.
An dieser Stelle muss man ausdrücklich auch all de-nen widersprechen, die in diversen Interviews und Re-den immer wieder betonen, der Bund habe zu wenig Ein-nahmen. Das ist unserer Auffassung nach nicht der Fall.
Bei einer Einnahmesteigerung bis zum Jahr 2009 vonsatten 15 Prozent haben wir kein Einnahmeproblem. Wirhaben ein Ausgabeproblem und daran müssen wir unsmessen lassen. An dieser Stelle müssen wir etwas än-dern.
Deshalb werden wir im Zuge der Haushaltsberatun-gen alle Ausgabenpositionen kritisch prüfen.IwunbsaaDWdKseSkssüsbAwDwgjesJDmhNbcEs
nsbesondere im Bereich der Personalausgaben werdenir weiterhin genau hinschauen
nd vor allem nach Effizienzsteigerungen suchen. Ichenne beispielhaft: Bei 52 nachgeordneten Bundesober-ehörden und 24 Bundesanstalten muss etwas zu findenein, sodass wir die Situation des Bundeshaushalts auchuf der Ausgabeposition noch einmal verbessern.
Die große Koalition setzt in der laufenden Sanierungllerdings auch weiterhin erkennbar politische Akzente.ie doppelte Tonlage von Konsolidierung einerseits undachstum andererseits wird uns auch im Hinblick aufen Bundeshaushalt 2007 beschäftigen und leiten; dennonsolidierung und Wachstum bedingen einander. Zuagen, wir würden dem Wachstum durch Einsparungenntgegenwirken, ist eine Mär. Wir legen mit solidentaatsfinanzen die Grundlage für Wachstum und Zu-unft.
Wir sollten uns auch davor hüten, die Grenzen zwi-chen der Haushaltspolitik und der Finanzpolitik einer-eits und der Kompetenz für die Geldpolitik andererseitsberspringen zu wollen. Wir sollten unsere Aufgabe lö-en. Wir sollten die Notenbanker sowohl in der Bundes-ank als auch in der Europäischen Zentralbank ihrenufgaben nachgehen lassen.
Neben dem Sparen ist es allerdings auch wichtig, dassir politische Impulse geben.
eshalb müssen wir die positive wirtschaftliche Ent-icklung auch über konkrete Maßnahmen mit den richti-en Impulsen unterstützen. Ich möchte zwei Impulspro-ekte nennen.Erstens. Für den deutschen Mittelstand brauchen wirine rasche Neuregelung der betrieblichen Erbschaft-teuer. Allein in Bayern stehen in den nächsten fünfahren mehr als 60 000 Unternehmen zur Übergabe an.eshalb ist es dringend notwendig, dass das Stundungs-odell, auf das wir uns im Koalitionsvertrag geeinigtaben, auch wirklich zum 1. Januar 2007 in Kraft tritt.ur das schafft Sicherheit für Investitionen und für Ar-eitsplätze. Nur dieses Datum zeigt auch, dass die Si-herheit bezogen auf Grundgesetzkonformität und denuropäischen Stabilitätspakt in konkreter Politik fortbe-teht.
Metadaten/Kopzeile:
4406 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Georg FahrenschonDie Menschen müssen darauf vertrauen können, dasswir zu unserem Wort und zu unserer Programmatik ste-hen.Zweitens. Ein ganz anderer, aber für den FinanzmarktDeutschland ebenso wichtiger Bereich ist die Einfüh-rung von REITs. Das ist ein zentraler Punkt, den wir ab-arbeiten müssen.
Weltweit gibt es mittlerweile in rund 20 Staaten solcheKonstruktionen, darunter in den Beneluxstaaten und inFrankreich. Die Einführung britischer REITs wird nochin diesem Jahr erfolgen. Damit müssen wir zur Kenntnisnehmen: Dieses Finanzmarktinstrument hat sich zu ei-nem internationalen Standardprodukt für die indirekteImmobilienanlage entwickelt. Der Finanzplatz Deutsch-land kann es sich einfach nicht leisten, auf dieses Instru-ment zu verzichten.
Lieber Herr Finanzminister, es kann daher nicht sein,dass der Gesetzentwurf quasi fertig in den Schubladendes Finanzministeriums liegt und Staub ansetzt, nur weilwir weiterhin auf eine kleine Gruppe ständiger Be-denkenträger Rücksicht nehmen.
Ich will schon die Gelegenheit nutzen, Folgendes zusagen: Ich glaube, dass die Einführung von REITs dieNagelprobe für die Finanzmarktpolitik der großen Koali-tion ist. Ich fordere Sie auf: Bringen Sie diesen Gesetz-entwurf ein! Lassen Sie uns die parlamentarische Dis-kussion über dieses Instrument starten und verzögern Siedie Debatte nicht!
Bezogen auf den Haushalt treibt die Union eine politi-sche Überzeugung und, wenn Sie so wollen, auch einemoralische Verantwortung an.
Insbesondere unter Berücksichtigung des Gebots derNachhaltigkeit darf die heutige Generation nicht dauer-haft mehr verbrauchen, als sie leistet. Gegenwartskon-sum oder Zukunftsinvestitionen, das ist die entschei-dende Frage. Für uns, für die CDU/CSU, ist die Antwortklar: Wir wollen die Gegenwartsinteressen nicht längerhöher bewerten als die Zukunftsinteressen.Wir haben im ersten Jahr der Regierungsverantwor-tung die Aufgabe angepackt und einen beachtlichen Teilerreicht. Die Nettokreditaufnahme wird dauerhaft unterdie Regelgrenze der Verfassung gedrückt. DasMaastrichtkriterium wird deutlich und im Zeitablauf zu-nehmend unterschritten.hüjrdsDwdDCfdgKWmdEarshbw
as heißt, wir brauchen ausgeglichene Haushalte bzw.ir müssen in den Haushalten Überschüsse erzielen, umie Staatsverschuldung abzubauen.
ieser Schritt ist weitaus schwieriger. Doch die CDU/SU wird ihn gehen. Wir lassen uns an dieser Heraus-orderung messen.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Ulrike Flach
as Wort.
Ja. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-en! Wer dem Finanzminister oder auch dem Kollegenampeter zugehört hat, hat den Eindruck gewonnen:ir haben es hier mit einem Haushalt zu tun, mit deman auf dem richtigen Weg ist, der solide und konzisurchorganisiert ist.
s wird Sie nicht weiter erstaunen, dass die FDP genaun dieser Stelle diametral anderer Meinung ist als Sie.
Uns liegt hiermit eine Kopie früherer verfassungswid-iger Haushalt von Rot-Grün vor; der einzige Unter-chied ist, dass Sie an der Stelle, wo Sie sagen, der Haus-alt sei jetzt plötzlich verfassungsgemäß, schonungsloseim Bürger abkassieren, und zwar in einem Maße, wieir es in der Vergangenheit noch nie erlebt haben.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4407
)
)
Ulrike FlachHerr Poß, für jemanden, der die Diskussionen vor einpaar Jahren miterlebt hat, ist es schon ein bisschen merk-würdig, festzustellen, mit welcher Leidenschaft Sie sonsteigentlich immer das Gegenteil von dem erzählt haben,was Sie gerade gesagt haben.
Offensichtlich – um an das anzuknüpfen, was wir ebenschon hatten – prägt das Sein das Dasein.Herr Poß, Sie haben heute genau das Gegenteil vondem geäußert, was Sie vor einem Jahr gesagt haben. Da-mals haben Sie entschieden dagegen gesprochen, einenHaushalt über die Einnahmeseite zu sanieren. Heutesind Sie auf der Seite der CDU/CSU. Das erstaunt uns.Ich denke nicht, dass die Bürger Ihnen das positiv quit-tieren.
Dieser Haushalt atmet die Mutlosigkeit einer großenKoalition. Sie konsolidieren über die Einnahmeseite.Herr Steinbrück, schon zum zweiten Mal – Sie sind nunzum zweiten Mal dabei – machen Sie den Fehler, dieAusgabenseite bei der Konsolidierung zum größtenTeil außen vor zu lassen.Meine Damen und Herren, Sie haben obendrein Risi-ken im Haushalt. Ich bin froh darüber, dass HerrFahrenschon das eben so deutlich gesagt hat. Diese Risi-ken betreffen nicht nur den Zinsbereich, den Sie, HerrPoß, eben angeführt haben, sondern natürlich vor allemden Arbeitsmarktbereich. Das bleibt trotz der Bele-bung so.Im letzten Jahr musste der Bund 3,6 Milliarden Eurofür Unterkunft und Heizung von Hartz-IV-Empfängernan die Kommunen zahlen. Für 2007 setzen Sie nur2 Milliarden Euro an, Herr Steinbrück. Die Kommunenselbst rechnen mit 5,5 Milliarden Euro. Da frage ichmich wirklich, inwiefern hier eine solide Haushaltsfüh-rung erfolgt, wie Sie sie uns eigentlich in jedem Satzvorzumachen versuchen.
Sie selbst haben gesagt: Konsolidierung kann mannur in Zeiten betreiben, in denen sich die Konjunkturverbessert, nicht in der Krise. Konsolidierung – das istdie Meinung der FDP – darf aber nicht nur auf der Ein-nahmeseite, sondern muss auch auf der Ausgabenseitestattfinden.Ich sage noch einmal das, was Kollege Koppelin ebendargelegt hat. Die Ausgaben in Ihrem Haushalt steigenvon 261,6 auf 267,6 Milliarden Euro. Das ist ein Plusvon 2,3 Prozent.DRfeuR2EaeDEBSbFs8CwdwTowSSkenEdsmn
as ist genau das Gegenteil von dem, was Sie in Ihrerede darzulegen versucht haben.In der mittelfristigen Finanzplanung setzt sich dieseinanzielle Fehlentwicklung noch fort. Es besteht einklatantes Missverhältnis zwischen Schuldenrückgangnd Steuereinnahmen. Frau Kollegin Hajduk hat eben zuecht darauf hingewiesen. Im Zeitraum von 2007 bis010 soll die Neuverschuldung nur um 1,5 Milliardenuro sinken, nämlich von 22 auf 20,5 Milliarden Euro,ber nicht darunter, wie Sie, Herr Kampeter, uns dasben weiszumachen versucht haben.
ie Steuereinnahmen steigen aber um 16,6 Milliardenuro. Das ist doch ein Ungleichgewicht!
Das Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes hat dieundesregierung vollends aus den Augen verloren. Diechuldenlast, die unsere Kinder und Enkel zu tragen ha-en, steigt weiter an.Der Investitionsverfall findet in der mittelfristigeninanzplanung seine Fortsetzung. Die Investitionsquoteinkt, Herr Steinbrück, und zwar von 8,8 Prozent auf,4 Prozent im Jahre 2010. Sie haben eben nicht diehance genutzt, drastische Einsparungen vorzunehmen,ie Herr Kampeter sie eigentlich jeden Tag über die Me-ien von Ihnen fordert. Ich bin erstaunt, Herr Kampeter,ie wenig Sie sich in den Klausurtagungen der letztenage durchgesetzt haben. Er hat doch eben erklärt, er seiffen für positive Vorschläge. Aber Sie fordern gesterniederum Einsparungen von rund 7 Milliarden Euro.
ie können sicher sein: Die Haushälter der FDP werdenie in den nächsten Wochen jeden Tag daran erinnern.
Herr Schneider hält die Rückführung der Netto-reditaufnahme für nicht ambitioniert genug. Jetzt istr gerade nicht mehr da; deswegen können wir ihn nichtoch einmal fragen.
r hat uns aber gesagt, wenn die Wirtschaft wächst undie Steuereinnahmen steigen, dann muss der Staat beieinen Ausgaben sparen und weniger Kredite aufneh-en. Der Präsident des Bundes der Steuerzahler hat Ih-en vorgerechnet,
Metadaten/Kopzeile:
4408 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Ulrike Flach
dass es bei der von Ihnen geplanten Rückführung derNettokreditaufnahme von 500 Millionen Euro per an-num erst im Jahre 2050 einen Bundeshaushalt ohne Neu-verschuldung gäbe. Liebe Damen und Herren, selbstFrau Lührmann wird dann nicht mehr in diesem Bundes-tag sitzen.Ich denke, das ist weder konzis noch solide, HerrSteinbrück. Wir fordern von Ihnen, dass Sie an dieserStelle nachsteuern, wie Sie es uns noch vor Jahren mitHerrn Koch vorgemacht haben. Wo ist denn das wirklichambitionierte Subventionssparprogramm, das Sie unsdamals vorgelegt haben? Das erkennen wir weder imHaushalt 2006 noch im Haushalt 2007.
Die Höhe der Subventionen beträgt laut Bericht desKieler Institutes 145 Milliarden Euro und genau um diegeht es. Genau um die werden wir in den nächsten Tagenkämpfen.
– Wir sind die Schutzengel derjenigen, die diese Subven-tionen nicht wollen, Herr Poß.
Sie werden es jeden Tag erleben: Wir werden Ihnen, an-gefangen bei Kollegen Glos bis hin zu Kollegen Gabriel,vorrechnen, an welcher Stelle diese Subventionen zukürzen sind, und damit sicherlich auch die Frage beant-worten, wo die Milliarden herkommen, die die FDP zurSanierung des Haushaltes braucht.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Bernhard Brinkmann für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn man nach der Einbringung des Bundeshaushalts2007 ziemlich zum Schluss der Debatte an die Reihekommt, dann hat man es einerseits etwas leichter, ande-rerseits aber auch etwas schwerer, weil die Zeit vielleichtnicht ausreicht, um das richtigzustellen, was an der einenoder anderen Ecke ganz einfach falsch oder auch etwasnebulös dargestellt worden ist.Meine Damen und Herren, der Dreiklang Konsolidie-rung, strukturelle Reformen und
IKfzwrwngdgDWdeäivnJnllsaNMlswlGasbnvsaendnawaslkip
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Rahmenbedin-ungen sind in den letzten Monaten besser geworden.as scheint dem einen oder anderen nicht zu gefallen.er sich an die Ausführungen bei der Verabschiedunges Haushaltes 2006 erinnert, weiß, dass damals an derinen oder anderen Stelle von der Opposition etwas ge-ußert worden ist, was Gott sei Dank nicht eingetretenst.Ich will aber auch nicht verhehlen, dass trotz diesererbesserten Rahmenbedingungen die Haushaltslageach wie vor sehr ernst ist. Wir können gegenüber demahr 2006 zwar eine Reduzierung der Nettokreditauf-ahme vorweisen; sie beträgt aber immer noch 22 Mil-iarden Euro. Mit dieser Nettokreditaufnahme werden al-erdings die Ziele erreicht, die sich der Finanzministerchon im Haushalt 2006 vorgenommen hat. Wir werdenlso bei den Investitionen erstmals wieder oberhalb derettokreditaufnahme liegen und werden auch dieaastrichtkriterien einhalten.Wenn die FDP immer davon spricht – manchmal viel-eicht auch wider besseres Wissen –, auf der Ausgaben-eite alles auf den Prüfstand zu stellen, dann, glaube ich,eiß sie auch, dass es dort nur sehr eingegrenzte Mög-ichkeiten gibt. Selbst wenn Ihre Sparvorschläge in derrößenordnung von 8 Milliarden Euro, für die ja dannuch in bestehende Verträge und rechtskräftige Be-cheide eingegriffen werden müsste, im Haushalt 2007erücksichtigt werden könnten, läge das Defizit immeroch in einer Größenordnung, die uns letztendlich dazueranlassen würde, weitere Schritte zu unternehmen, dieich auf der Einnahmeseite in 2006 und 2007 positivuswirken.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es sollteine gemeinsame Aufgabe dieses Hauses sein, in denächsten Jahren darauf hinzuwirken, dass die Nettokre-itaufnahme sinkt und dass wir zu einem ausgegliche-en Haushalt kommen. Das ist natürlich nicht von unsllein zu schaffen. Vielmehr ist das auch von vielen Ein-irkungen, die von außen auf uns zukommen können,bhängig. Ich will an die Steigerung bei den Energieprei-en und auch an die unsichere Lage im Nahen Osten, dieetztendlich Auswirkungen auf die Weltwirtschaft habenönnte, erinnern. Das schlägt dann auch auf uns zurück.Ich möchte einen Vorschlag machen, dessen wir unsn den nächsten Wochen und Monaten im Rechnungs-rüfungsausschuss durchaus ohne Vorurteile annehmen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4409
)
)
Bernhard Brinkmann
sollten. Es gibt in der Schweiz ein Modell, das über eineRegelung, die mit dem Art. 115 in unserer Verfassungvergleichbar ist, die Neuverschuldung und die weitereAufnahme von Krediten eingrenzt. Man kann das natür-lich nicht eins zu eins umsetzen, weil wir ja nicht dieSchweiz sind und weil von der Schweiz bestimmte Son-derlasten – etwa wenn es um die Kosten der deutschenEinheit geht – nicht zu tragen sind.Am Donnerstag soll ohne Debatte die Entlastung derBundesregierung für das Haushaltsjahr 2004 be-schlossen werden. Der Rechnungsprüfungsausschuss hatin acht Sitzungen ausführlich über den Haushaltsvoll-zug 2004 und die dazu ergangenen Bemerkungen 2005des Bundesrechnungshofes beraten. Wie die Berichte inden Vorjahren zeigen auch die Bemerkungen 2005, dassbetriebswirtschaftliches Denken und Handeln immernoch nicht flächendeckend das exekutive Handeln be-stimmt. Nach den Berechnungen des Bundesrech-nungshofes belaufen sich die einmaligen Ausgabemin-derungen und Einnahmesteigerungen, die in den87 Bemerkungen beschrieben werden, auf mehrere Mil-liarden Euro. Wegen der nur ausschnittsweisen Prüfungdes Haushaltes müssen wir davon ausgehen, dass die tat-sächlichen Spar- und Einnahmemöglichkeiten im Bundund sicherlich auch in den Ländern noch um einiges hö-her sein dürften.Ein fachlicher Schwerpunkt des Bundesrechnungsho-fes in den Bemerkungen 2005 war mit Blick auf die Ver-handlungen in der gemeinsamen Kommission zurModernisierung der bundesstaatlichen Ordnung die Auf-gaben- und Finanzverteilung zwischen Bund undLändern. Der Hof kritisierte die Vielzahl von Verant-wortlichkeiten, die unklaren Aufgabenverteilungen, diekomplizierten Entscheidungen und den Ressourcenver-brauch. Mit der von Bundestag und Bundesrat beschlos-senen, letzte Woche in Kraft getretenen Föderalismus-reform ist die dringend notwendige Entflechtung derBund-Länder-Beziehungen in Angriff genommen wor-den. Es muss jetzt auch die zweite Stufe, die Reformder Finanzbeziehungen, zügig folgen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Prüfungen desBundesrechnungshofes zeigen, dass es zu Fehlern querdurch alle Ministerien gekommen ist, es aber keine Kon-zentration von Defiziten, Nachlässigkeiten und fehlen-der Personalaufsicht und -führung in einzelnen Häuserngibt. Wichtig ist mir auch, festzuhalten, dass die Fehler-beschreibungen des Hofes nicht verallgemeinert und aufdie gesamte Verwaltung übertragen werden dürfen. DieBundesverwaltung arbeitet insgesamt, im internationa-len Vergleich und nach Einschätzung des Bundesrech-nungshofes, durchaus gut.Wie in der Vergangenheit konnten über weite Berei-che einvernehmliche Beschlüsse gefasst werden – dafürbin ich sehr dankbar –, denen immer ausgiebige unddurchaus sehr kritische Beratungen der jeweiligen Be-richterstatter mit den Ministerien und dem Bundesrech-nungshof vorausgingen. Ich bin davon überzeugt, dasswir mit Ihnen sachgerechte Antworten gefunden haben.Ich würde mich daher sehr freuen, wenn die Entlastungaf2dmdVBsscWWhdkBnSfWtbk–Wsdh–lEsdmia
Sie sollten die Wahrheit zur Kenntnis nehmen.Die Wirkung der Mehrwertsteuererhöhung ist in derissenschaft sehr unterschiedlich beurteilt worden. Wirehen doch heute, wie die Realitäten sind. Es geht umie Stimmung. Wirtschaft, wirtschaftliche Entwicklungat etwas mit Stimmung zu tun. Der private Konsumdas ist das, woran es in unserer Volkswirtschaft jahre-ang gemangelt hat – steigt.
ntgegen allen Unkenrufen steigt er. Wir haben es ge-chafft – das ist doch klar –, die Abwärtsspirale umzu-rehen. Der Trend zu immer weniger Arbeitsplätzen, im-er weniger sozialversicherungspflichtig Beschäftigten,mmer mehr Arbeitslosen, immer weniger Einnahmenus Steuern und Sozialabgaben und immer höheren
Metadaten/Kopzeile:
4410 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Jochen-Konrad FrommeAusgaben für die Sozialsysteme ist umgedreht worden.Es geht aufwärts.Wir wissen: Nichts ist so gut, dass es nicht besser seinkann. Aber man muss doch erst einmal über das reden,was man erreicht hat. Wir haben fünf Jahre lang wie dasKaninchen auf die Schlange gestarrt, wenn die Arbeits-marktdaten veröffentlicht wurden. Jetzt sind sie positiv– plus 130 000 sozialversicherungspflichtig Beschäf-tigte, fast 500 000 weniger Arbeitslose – und keinMensch redet darüber. Wenn wir über das Gute nichtauch reden, dann brauchen wir uns nicht zu wundern,wenn sich die Stimmung nicht verbessert. Das ist dochdas Geheimnis.
Deswegen müssen wir hier vorwärts gehen.Frau Kollegin Hajduk, Sie haben sich in Polemik ge-gen den Finanzminister erschöpft. Das heißt, Sie habenkeine Vorschläge; sonst hätten Sie etwas Inhaltliches ge-sagt, statt nur über Personen zu reden. Sie sollten einmalanerkennen, dass es bei der Bundesagentur Erfolge gibt.Natürlich ist ein Drittel der Überschüsse auf die13. Zahlung der Sozialbeiträge zurückzuführen. Aberein Drittel der Ersparnisse beruhen darauf, dass uns Effi-zienzsteigerungen gelungen sind.
Ein Drittel beruht darauf, dass wir den Maßnahmenkata-log verändert haben.Ich sage Ihnen: Wenn es eine dauerhafte Entlastunggibt, dann werden wir dafür sorgen, dass diese dauer-hafte Entlastung zu Beitragssenkungen führt. Das istdas Geld der Beitragszahler. Deswegen muss es in einemgeschlossenen Kreislauf bleiben. All das, was da mög-lich ist, werden wir tun. Wir müssen uns natürlich nuranschauen, ob die Entlastung auch wirklich dauerhaft ist.
Wenn es nach dem gegangen wäre, was Sie währendIhrer Regierungsverantwortung geplant haben, wärenwir schon längst bei einer Nettoneuverschuldung vonnull. Nur, solche Ansagen auf Papier nützen uns nichts.Wir betrachten die Dinge realistisch und versuchen, inkleinen Schritten zumindest das zu erreichen, dem Sieimmer hinterhergerannt sind.Dass die PDS unsere Leitlinien nicht versteht, dass sieüberhaupt nicht begriffen hat, dass all das, was wir ma-chen, dazu dient, das Hauptproblem zu lösen, nämlichfür mehr Arbeitsplätze zu sorgen, ist klar.
Es tut mir Leid: Sie haben offensichtlich aus den Erfah-rungen mit der Staatswirtschaft überhaupt nichts gelernt.Da Sie sich gegen alles wenden und sagen: „Nichts darfprivatisiert, nichts darf verändert werden“, frage ichmich schon, welche Erfahrungen uns nach dem Kriegdie ersten 40 Jahre im östlichen Teil unseres VaterlandesbmhBKbes–t–AVoabcgw1dduskugnnK„dmghaemwsdb
Das liegt daran, dass wir das Klima für das Wirtschaf-en verbessert haben.
Ich komme auf das Sparen gleich noch zurück; keinengst.Primärsaldo heißt ja, dass man unter Absehen von derergangenheit schaut: Gebe ich in diesem Jahr mehr ausder gebe ich weniger aus? Auch für den Staat gilt derlte Grundsatz: Niemand kann auf Dauer mehr ausge-en, als er einnimmt. Also muss man dieses Ziel errei-hen. In diesem Jahr haben wir erstmals seit Jahren, wieesagt, einen positiven Primärsaldo. Diesen Saldo habenir in diesem Haushalt im Vergleich zum letzten um5 Milliarden Euro verbessert.Im zweiten Schritt muss man dazu kommen, dass manen Primärüberschuss so weit erhöht, dass man die auser Vergangenheit stammenden Zinslasten tragen kann,nd im dritten Schritt muss man den Primärüberschusso weit entwickeln, dass man die Schulden zurückzahlenann. Auf diesem Weg haben wir die Wende geschafftnd einen ersten Schritt getan. Darauf kommt es an.Ferner kommt es darauf an, dass wir zwei Dingeleichzeitig tun: den Haushalt sanieren, weil nur geord-ete öffentliche Finanzen den Hintergrund für eine ver-ünftige wirtschaftliche Entwicklung abgeben, und dieonsumkraft fördern. Wenn die „Financial Times“ vonMerkels Aufschwung“ spricht, dann zeigt das ganz ein-eutig: Es ist auch eine Frage der Politik und der Stim-ung. Wir lassen uns von unserer Ansicht nicht abbrin-en, dass in dieser Hinsicht etwas geschehen ist.
Natürlich dürfen wir in unseren Anstrengungen über-aupt nicht nachlassen. Dies sage ich insbesondere auchn die Adresse der Fachkollegen, denen ja immer vielinfällt, wenn die Haushaltslage etwas besser wird. Wirüssen weiter sparen. In dieser Frage haben wir – dasill ich gar nicht verhehlen – in der Koalition unter-chiedliche Grundauffassungen. Der Finanzminister re-et ständig davon, dass wir ein Einnahmeproblem ha-en; ich dagegen sage: Wir haben ein Ausgabeproblem.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4411
)
)
Jochen-Konrad Fromme
Da müssen wir ansetzen und da wollen wir auch anset-zen. Im Zeitraum der Finanzplanung werden die Steuer-einnahmen um 19 Prozent steigen; deswegen kann manüberhaupt nicht davon reden, dass wir nur ein Einnah-meproblem hätten.Nichts darf außen vor bleiben. Als Erstes müssen wirda sparen, wo es dem Bürger am wenigsten weh tut, beiden Verwaltungskosten. Ich bekenne mich dazu, dassich in der Arbeitsgruppe vorgetragen habe, dass wir dasThema Bonn/Berlin noch einmal auf den Prüfstandstellen.
Wenn uns das Finanzministerium in einer sehr vorsichti-gen Schätzung mitteilt, dass sich im letzten Haushalts-jahr Mehrkosten in Höhe von 350 000 Euro aufgrund derTeilung des Regierungssitzes zwischen Bonn und Berlinergeben haben, müssen wir hinschauen. Wir werden unsdie Entwicklung für jedes Haus angucken. Es ist dochein Unding, dass der Pendelverkehr 16 000 Flüge imJahr ausmacht. Deshalb werden wir uns dieses an-schauen.
Ich weiß natürlich, dass es ein Bonn/Berlin-Gesetz gibt.Aber wir ändern jeden Tag Gesetze, um sie der Entwick-lung anzupassen. Der Stadt Bonn ist es ja – wie dieOberbürgermeisterin selber erklärt hat – nach dem Re-gierungsumzug nicht schlecht ergangen. Die Prognosen,die man seinerzeit hören konnte, sind nicht eingetreten.Weil das so ist, können wir das überprüfen. Ich bin dafür,dass wir dies auch tun.Wir werden ebenfalls in der Frage des Personal-abbaus hart bleiben. Wir streiten uns innerhalb derKoalition ja nicht darüber, dass wir Verwaltung abbauenwollen; es geht nur um den richtigen Weg. Ich sage: Da,wo Personal ist, finden sich auch Aufgaben. Deswegenmuss man den Umkehrschluss ziehen und Personal ab-bauen. Dann muss gegebenenfalls auch ein Vorschlaggemacht werden, welche Aufgaben nicht mehr erledigtwerden können. Natürlich wird die Bürokratie alles fürwichtig halten.
Wir von der Politik müssen eine Rangfolge der Aufga-ben aufstellen. Solange ein Ministerium eine neue Abtei-lung für Fragen einrichten kann, für die es gar nicht zu-ständig ist,
swukwcasiagrhdvgdvJrfdAtecEidebnbiarie–B
Ich freue mich auf eine muntere Beratung und hoffe,ass uns viele gute Vorschläge gemacht werden, die wirielleicht übernehmen können.
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
örg-Otto Spiller für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir füh-en diese Haushaltsdebatte vor dem Hintergrund sehr er-reulicher ökonomischer Rahmenbedingungen. Die Bun-esbank schreibt in ihrem jüngsten Monatsbericht:Die konjunkturelle Aufwärtsbewegung der deut-schen Wirtschaft hat im bisherigen Jahresverlauf er-heblich an Kraft gewonnen.uf Jahresrate hochgerechnet beträgt das reale Wachs-um des Sozialprodukts im ersten Halbjahr rund zwei-inhalb Prozent. Die meisten wirtschaftswissenschaftli-hen Institute kommen zu einer ähnlichen Einschätzung.s ist eine deutliche Belebung der Wirtschaftstätigkeitn Deutschland zustande gekommen.Wir haben nicht ausschließlich Wachstumsimpulseurch die Auslandsnachfrage erhalten, sondern auchine sehr kräftige Belebung der Investitionstätigkeit, ins-esondere bei Ausrüstungsinvestitionen, und eine Zu-ahme der Bautätigkeit erfahren. Erfreulich ist, dass esei den Ausrüstungsinvestitionen nicht nur um Ersatz-nvestitionen geht, sondern angesichts guter Kapazitäts-uslastungen in wachsendem Maße auch um Erweite-ungsinvestitionen in den Unternehmen.Die günstige gesamtwirtschaftliche Entwicklung hatnzwischen auch den Arbeitsmarkt erreicht. Es gibtine deutliche Minderung der Arbeitslosigkeit und einen wenn auch noch bescheidenen – Zuwachs bei dereschäftigtenzahl. Darüber hinaus gibt es einen
Metadaten/Kopzeile:
4412 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Jörg-Otto Spillererfreulichen Zuwachs der Steuereinnahmen bei Bund,Ländern und Gemeinden.Wenn ich mir die Situation von vor einigen Monatenvor Augen führe, so haben wir damals ganz andere De-batten geführt. Natürlich stellt sich die Frage: Worauflässt sich diese positive Entwicklung zurückführen? DieAntwort, die beispielsweise Herr Professor Rürup, derVorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutach-tung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, gibt, lau-tet, dass mehreres zusammenkommt. Es waren diestrukturellen Reformen der Regierung Schröder, eshat aber auch die Umstrukturierung im Unternehmens-bereich zu einer erhöhten Wettbewerbsfähigkeit beige-tragen. Beide Faktoren zusammen führen zu dieser Ent-wicklung.Ich glaube aber, wir können selbstbewusst sagen, dassdie Finanz- und Haushaltspolitik der großen Koali-tion ebenfalls einen Beitrag dazu geleistet hat;
denn wir haben mit dem Haushalt 2006, dessen Kernaus-sagen schon im Frühjahr feststanden, den Mut gehabt,einen aufkeimenden Aufschwung trotz der Konsolidie-rungsnotwendigkeiten nicht mit einer restriktiven Haus-haltspolitik zu bremsen. Im Gegenteil: Wir haben durchAnreize für private Investitionstätigkeiten – beispiels-weise für Aufträge an Handwerksbetriebe durch privateHaushalte – und durch ein Programm zur energetischenGebäudesanierung kräftige Impulse für die Konjunktur-belebung gegeben. Ich komme, auch wenn es altmodischklingt, zu dem Ergebnis: Die gute alte Makroökonomiehat noch immer Bedeutung für den Haushalt und umge-kehrt hat der Haushalt Bedeutung für die gesamtwirt-schaftliche Entwicklung.
Wir haben einen guten Weg beschritten und das Ziel er-reicht.Es gibt keinen anderen Bereich, bei dem der Zusam-menhang zwischen Haushalt, Steuern und wirtschaftli-cher Entwicklung so deutlich ist wie bei der Unterneh-mensbesteuerung. Dieses Thema hat in der heutigenDebatte schon mehrfach eine Rolle gespielt. Ich will inErinnerung rufen – der Bundesfinanzminister hat esselbst erwähnt –, dass wir nicht bei null anfangen. In dervorvergangenen Wahlperiode, in der RegierungSchröder, haben wir zum einen eine deutliche Entlastungder Personenunternehmen durchgesetzt. Zum anderenhaben wir eine moderne und wirksame Körperschaft-steuerreform durchgeführt.Gleichwohl muss man zugestehen, dass es im Bereichder Unternehmensbesteuerung Handlungsbedarf gibt.Die große Koalition hat verabredet – das haben mehrereKollegen gesagt –, das Gesetzgebungsverfahren recht-zeitig zur Sommerpause 2007 abzuschließen, damit dieveränderten Bedingungen nach einer Vorbereitungszeitzum 1. Januar 2008 in Kraft gesetzt werden können.wUßnbEehhurzewmwzmsendDBtrmfdmNlIzGSsswOeAbhsMd
ie Zinsen werden bei dem deutschen Mutterkonzern alsetriebskosten und die Zinsspanne wird beim Toch-erunternehmen in Dublin – es wird günstiger refinanzie-en – als Gewinn verbucht. Der Gewinn wird in Dublininimal besteuert und kann dann zu 95 Prozent steuer-rei an den deutschen Mutterkonzern ausgeschüttet wer-en.Herr Kollege Solms, ich finde nicht, dass das derarktwirtschaftlichen Ordnung entspricht.
ach der marktwirtschaftlichen Ordnung soll es im Be-ieben des einzelnen Unternehmens liegen, wie es einenvestition finanziert. In diesem Zusammenhang könnenwar viele Gesichtspunkte eine Rolle spielen, steuerlicheesichtspunkte sollen aber keine Rolle spielen; denn dertaat soll die Unternehmen, unabhängig davon, wie sieich aufgestellt haben, für welche Finanzierungsform sieich entschieden haben, fair und gleich behandeln. Des-egen entspricht es einer strengen marktwirtschaftlichenrdnung, dass man die Gestaltungsmöglichkeiten, dientstanden sind, einschränkt.
Ich finde es sehr angenehm, dass in der politischenrbeitsgruppe der Koalition, die sich mit solchen Fragenefasst, ein sehr konstruktives und sachliches Klimaerrscht.Es geht ja nicht darum – in der öffentlichen Diskus-ion wird immer mit dem Holzhammer gearbeitet –, demittelständler, der vielleicht schwach auf der Brust ist,en Weg zum Leasing oder zur Kreditfinanzierung einer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4413
)
)
Jörg-Otto SpillerMaschine, die 1 Million Euro kostet, zu versperren. Na-türlich wird es Freibeträge geben.
Aber das kann doch nicht heißen, dass wir aufgrund derSituation des Mittelständlers auch dem großen interna-tionalen Konzern gestatten, durch diese Form der Finan-zierung seine Steuerschuld in Deutschland so weit zu re-duzieren, dass ein weltweit operierendes, ertragsstarkesUnternehmen in Deutschland weniger Steuern zahlt alsder mittelständische Familienbetrieb, der vielleicht inder vierten Generation als Maschinenbaubetrieb im deut-schen Südwesten erfolgreich arbeitet, treu und bravseine Steuern zahlt und dessen Familie die Tradition desUnternehmensgründers wach hält: Der Gewinn gehörtzunächst einmal der Firma und wird nicht voll entnom-men.
Die Benachteiligung von Eigenkapital kann keinZiel unserer Wirtschaftspolitik sein. Ich glaube, wir wer-den hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Rege-lung zu einem sehr ordentlichen Kompromiss kommen.Mittelständler werden eine Benachteiligung von Eigen-kapital nicht zu befürchten haben. Im Gegenteil: Siemüssen sich eigentlich freuen, dass eine zu ihren Lastenunfaire Steuerregelung eingeschränkt und nach Möglich-keit unterbunden wird.
Ich sage auch: Das Ziel ist nicht, dass wir die Unter-nehmen insgesamt mehr belasten. Ich möchte nur, dassdas Steueraufkommen in Deutschland steigt. Es mag jasein, dass wir durch eine Steuersatzsenkung erreichen,dass für eine große Zahl von Unternehmen, die inDeutschland und anderswo tätig sind, die Steuerlastsinkt. Aber die sozialdemokratische Fraktion im Deut-schen Bundestag möchte erreichen, dass das Steuerauf-kommen in Deutschland steigt.
Das wird möglich sein. Lassen Sie uns gemeinsam andiesem Ziel arbeiten. Es wird noch ein paar Debattendazu geben; da bin ich mir ganz sicher. Es kann ja nichtschaden, wenn noch die eine oder andere intelligente Lö-sung eingebracht wird. Aber fairer Wettbewerb verlangt,dass wir die Steuerbasis in Deutschland sichern und dasswir durchsetzen, dass sich Unternehmen wie Bürger ander Finanzierung der öffentlichen Aufgaben beteiligen.Denn sonst können wir die Qualität des Wirtschafts-standortes Deutschland nicht sichern.
Weitere Wortmeldungen zur allgemeinen Finanz-debatte liegen mir nicht vor.Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz, Einzelplan 10.LLlgdpKsipddduvEdgdldwhDuTtnsBdsnhsndZhinwdd
Metadaten/Kopzeile:
4414 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Der ermittlungsführende Polizeibeamte teilte mit, dieOriginaletiketten seien grob ausgeschnitten oder ge-schwärzt und dann überklebt worden; sie hätten, so diePolizei, allenfalls flüchtigen Überprüfungen standgehal-ten.Daran wird deutlich: Auf der einen Seite sagen dieErmittlungsbehörden bzw. sagt die Polizei, dass dieManipulationen so offenkundig waren, dass man sie ei-gentlich hätte erkennen müssen; auf der anderen Seite istdieser Betrieb von Lebensmittelkontrolleuren und Vete-rinären mehrfach kontrolliert worden und es wurdenichts beanstandet.Deshalb bleibt dieser Aspekt unseres Zehnpunktepro-gramms relevant und aktuell. Die Effizienz und Wirk-samkeit der Lebensmittelkontrolle, die auch nach derFöderalismusreform richtigerweise dezentral bei denLändern angesiedelt ist, muss in Deutschland reformiertwerden. Denn es kann nicht sein, dass Ermittlungsbehör-den solche Täuschungsversuche bereits nach sehr kurzerZeit feststellen, während trotz mehrfacher KontrollendLaQfDLtzswRpmgmzwVtBkZdLnNtswrishuedgRhddnmVKhswd
Die Legitimation des Bundes ergibt sich trotz diesererfassungslage daraus, dass die Folgen von Lebensmit-elkontrollen international, aber auch für die übrigenundesländer relevant werden können. Das heißt, wirönnen uns nicht auf den Standpunkt zurückziehen, dieuständigkeit für Lebensmittelkontrollen liege allein beien Ländern, die Folgen müssten jedoch auch andereänder in Kauf nehmen. Deshalb appelliere ich heuteoch einmal und ich werde das am Donnerstag mit allemachdruck in der Verbraucherschutzministerkonferenzun, dass wir, Bund und Länder, gemeinsam Qualitäts-tandards und Qualitätssicherungsmaßnahmen ent-ickeln. Ich werde zu keiner Entscheidung meine Handeichen, die nur ein Placebo oder nur eine Scheinlösungst. Ich möchte, da wir es bei den entsprechenden wirt-chaftlichen Akteuren offensichtlich mit Leuten zu tunaben, die ein hohes Maß an Energie
nd an Raffinesse einsetzen, dass wir eine intelligente,ine wirksame, eine effiziente Lebensmittelkontrolle iner Bundesrepublik Deutschland bekommen, die aufleicher Augenhöhe mit denen agieren kann, die gegenecht und Gesetz gewissenlos verstoßen.
Das soll kein Vorwurf sein. Die Lebensmittelkontrolleat sich über viele Jahrzehnte so entwickelt; sie ist aller-ings nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Wir verfolgenas seit vielen Monaten. Das sage ich nicht erst, seit dereue Fall aufgetreten ist. Wir haben Verbraucherschutz-inisterkonferenzen abgehalten und die Fachleute dereterinäre versammelt. Leider hatten wir bei unserenoordinierungsbemühungen bisher keinen Erfolg. Ichoffe, dass die neue Situation dazu beiträgt, dass wir ver-uchen, die Probleme gemeinsam zu lösen. Ich glaube,ir werden niemanden überzeugen und schon gar nichtas Vertrauen der Öffentlichkeit herstellen, wenn jeder
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4415
)
)
Bundesminister Horst Seehofersich auf seine Zuständigkeit zurückzieht. Nein, das wirduns nur gelingen, wenn wir gemeinsam zu einem Ergeb-nis kommen.
Mein dritter Punkt betrifft die Diskussion, die in denletzten Tagen eingesetzt hat, das wahre Problem bestehenicht in der Kontrolle, sondern in der Höhe der Straf-bewehrung. Man muss hier deutlich auf die geltendeRechtslage hinweisen. Ich beziehe mich jetzt gar nichtauf das allgemeine Strafrecht, nach dem bei schwerenBetrugsfällen eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahrenverhängt werden kann – solche schweren Fälle mit Er-schleichung eines großen Vermögensvorteils könnte mandurchaus auch einmal unter diesem Gesichtspunkt prü-fen –, sondern ich beschränke mich auf unseren Fachbe-reich: das Lebensmittelrecht. Im Lebensmittelrecht gibtes eine eindeutige Regel: Bei vorsätzlichem In-Verkehr-Bringen oder Herstellen von gesundheitsschädlichen Le-bensmitteln droht eine Freiheitsstrafe oder Geldstrafevon bis zu fünf Jahren, bei Fahrlässigkeit von bis zu dreiJahren. Nach dem Lebensmittelrecht reicht die Gesund-heitsschädlichkeit; eine Gesundheitsbeeinträchtigungmuss für diese Strafbewehrung gar nicht eingetretensein. Wir haben es hier eigentlich noch schärfer als imallgemeinen Strafrecht bei der gefährlichen oder fahrläs-sigen Körperverletzung formuliert: Das Lebensmittelmuss gar nicht verzehrt worden sein; es reicht bereits,wenn man es hergestellt oder in Verkehr gebracht hat.Unterhalb der Schwelle der Gesundheitsschädlichkeithaben wir bei bedenklichen Lebensmitteln, die für Ge-nuss oder Verzehr nicht geeignet sind, wenngleich nichtgesundheitsschädlich sind, die Androhung einer Frei-heitsstrafe von bis zu einem Jahr und einer Geldbußevon bis zu 20 000 Euro. Die Behauptung, die Geldstrafekönne maximal 20 000 Euro betragen, auch dann, wennder Gewinn, den jemand durch ein rechtswidriges Ver-halten erzielt hat, höher ist, entspricht so nicht derRechtslage. Im Gesetz steht eindeutig: Wenn der wirt-schaftliche Erfolg infolge eines Rechtsverstoßes höherist als die zu verhängende Geldbuße von 20 000 Euro,kann die Geldbuße entsprechend erhöht werden.Wenn Sie sich anschauen, wie das Strafmaß bei denFreiheitsstrafen, den Geldstrafen und den Geldbußen inder Bundesrepublik Deutschland bisher ausgefallen ist– diese werden nicht durch den Bundesverbraucher-schutzminister verhängt –, dann sehen Sie, dass man beider Festsetzung im Durchschnitt immer am unterenRand geblieben ist. Auch diesen Punkt haben wir in denletzten Monaten in voller Absprache mit der Bundesjus-tizministerin mit den Bundesländern dahin gehend be-sprochen, dass sie mit der Justiz Gespräche führen unddort ein Bewusstsein dafür schaffen sollen, dass Ver-stöße gegen das Lebensmittelrecht keine Bagatelldeliktesind, sondern mit aller Härte und mit allem Nachdruck– das gilt auch für die Höhe des Strafmaßes – verfolgtwerden müssen.
Auch hier gilt die Feststellung: Wir alle zusammensollten helfen, dass das, was heute nach dem Gesetz alsSaaIbdziwdmdchkzDeAwsrDiaAulVhPmznVigldDgQlwFssG
Metadaten/Kopzeile:
4416 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Ich sage auch: Herr Minister, Sie haben in dieser Frageeiniges gutzumachen. Ich freue mich nicht, dass die„Bild“-Zeitung hinsichtlich des Gammelfleischskandalsfragt: Warum reden Sie nur? Warum tun Sie nichts, HerrSeehofer?Ich möchte gerne, dass sich das Ministerium, Sie per-sönlich, aber auch der ganze Bereich Ernährung, Land-wirtschaft und Verbraucherschutz so darstellen können,dass die Verbraucher Vertrauen in unsere Produktions-wege haben und dass sie eine sach- und fachgerechteEntscheidung treffen können. Sehr geehrter Herr Minis-ter Seehofer, da hapert es bei Ihnen. Das will ich hier anBeispielen deutlich aufzeigen.Im „Focus“ vom 12. Dezember 2005 sagen Sie: „Wirhaben schnell gehandelt …“ Seit Monaten kündigen Sieein Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb an. Sie ha-ben ein 10-Punkte-Sofortprogramm – den Namen mussman auf der Zunge zergehen lassen – aufgelegt. In derDrucksache 16/1615 – Antwort der Bundesregierung aufdie Kleine Anfrage der FDP-Fraktion – mit der Über-schrift „Stand der Umsetzung des 10-Punkte-Sofortpro-gramms als Konsequenz aus dem Fleischskandal“ erklä-ren Sie schon in der Einführung:Das 10-Punkte-Sofortprogramm stellt die Maßnah-men dar, deren alsbaldige Umsetzung im Einver-nehmen mit den Ländern beschlossen wurde … Mitder Umsetzung … ist sofort begonnen worden.dtKBzDnddsswSIpks–Ldfknsnf–mHLnsabB
ei dem Kühlhaus in Bayern handelt es sich um ein EU-ugelassenes Kühlhaus, wie uns heute der Verbandeutscher Kühlhäuser und Kühllogistikunternehmenachdrücklich bestätigt.
Sehr geehrter Herr Minister, warum übermitteln Sieen Verbrauchern eine solche Botschaft, wohl wissend,ass in diesem Bereich trotz dem, was Sie hier eben ge-agt haben, noch jede Menge Aufarbeitungsbedarf be-teht? Warum suggerieren Sie, es sei alles in Ordnung,enn Sie genau wissen, dass dies nicht der Fall ist?
ie wissen ganz genau, dass Sie unmittelbar nach demn-Kraft-Treten Ihres so genannten 10-Punkte-Sofort-rogramms eine solche Aussage überhaupt nicht treffenönnen. Diese Kühlhäuser haben zum Teil die Dimen-ion eines Plenarsaals. Wenn Sie zu Recht feststellendas nehme ich mit Interesse zur Kenntnis –, dass dieebensmittelkontrolle nicht auf der Höhe der Zeit ist,ann frage ich Sie, wie Sie in einer Antwort auf die An-rage einer Fraktion hier im Deutschen Bundestag dazuommen, eine so Frieden stiftende Aussage zu tätigen?Ich will das weiterführen. Sie haben in meinen Augenicht nur in dieser Frage die Dinge nicht richtig darge-tellt. In der schon genannten Kleinen Anfrage wirdach der Verbesserung des Informationsflusses ge-ragt. Antwort:In der Bund-Länder-Besprechung am 29. Novem-ber 2005 hat das BVL das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebens-ittelsicherheit –die praktische Anwendung des Fachinformations-systems … erläutert.Das Fazit der Antwort lautet:Das System bietet die Möglichkeit, zeitnah aktuelleErkenntnisse bei derartigen Ereignissen allen Län-dern und dem Bund zur Verfügung zu stellen.err Seehofer, Sie und das System haben versagt.Am 25. August dieses Jahres, so sagte es Gertindemann, Ihr Staatssekretär, haben wir die Informatio-en über die Medien bekommen. Dann aber haben Sieich eben nicht mit aller Härte und mit allem Nachdruckn die Verfolgung gemacht, wie Sie eben ausgeführt ha-en. Man kann es vielleicht etwas locker formulieren:is zum 1. September haben Sie überhaupt nichts ge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4417
)
)
Hans-Michael Goldmannmacht. Warum haben Sie zwischen dem 25. August unddem 1. September nichts gemacht? Warum waren Sie,der sonst immer sehr präsent ist, abgetaucht? Hing dasmöglicherweise damit zusammen, dass der Skandal ausBayern kam und der Minister für Umwelt, Gesundheitund Verbraucherschutz in Bayern und die ganze Regie-rung der CSU angehören?Ich denke, dass wir ganz klar sagen müssen, HerrMinister, dass es nicht wirklich um ein Zehn-Punkte-Sofortprogramm und das Erreichen konkreter Ziele zumSchutz der Verbraucher geht. Sie reden zwar viel, aberwenn es konkret wird, dann ist Ihr Handeln nicht vonfachlicher Substanz geprägt. Das sage ich Ihnen schon,seit Sie im Amt sind, und ich fühle mich in meiner Ein-schätzung immer wieder bestätigt.
Es geht weiter, Herr Minister: Was denn nun? HeuteMorgen bin ich extra früh aufgestanden, weil das Früh-stücksfernsehen schon um 6.30 Uhr beginnt und ichdachte, ich wäre dabei, aber das war ein Irrtum.
– Ja, das ist tragisch. Aber ich habe es überlebt, wie Siesehen. – Es kam ein Polizeivertreter, der feststellte, dassdie Polizei eingeschaltet werden soll. Ich bitte Sie! Dannkam Herr Lindemann, den ich sehr gerne mag. Er kommtja auch aus Niedersachsen und hat sehr viel Ahnung.Herr Lindemann hat gesagt, dass die Lebensmittel-kontrolle nicht durch eine Bundesbehörde durchgeführtwerden soll, sondern dass die Zuständigkeit bei den Län-dern und Kommunen bleiben muss. Das habe ich auchimmer wieder gefordert; denn sie sind vor Ort und ken-nen sich aus. Berlin hat doch keine Ahnung davon, wiedie Lebensmittelkontrolle in Bayern, Hessen oder mögli-cherweise in Cloppenburg stattzufinden hat.
Eben haben Sie wiederum ausgeführt, dass Sie die Bun-deskompetenz für die Lebensmittelkontrolle für notwen-dig halten. Was denn nun?
Gestern haben Sie festgestellt, eine einjährige Frei-heitsstrafe sei genug. Eben haben Sie von drei bis fünfJahren gesprochen. Was denn nun? Bei Ihnen ist doch al-les wirr und inkonsequent.
Warum verweisen Sie hinsichtlich der Lebensmittel-kontrolle nicht auch auf Kräfte, die in der Wirtschaftvorhanden sind? Warum schließen Sie sich nicht striktmit dem QS-System zusammen?Des Weiteren haben Sie die Namensnennung ange-sprochen. Was soll das, Herr Minister? Ihr VIG ist zwarin Ordnung und bringt hinsichtlich der NamensnennungeenGaiKDdTvvshsWüsgbAFgsPrsgw–dgFrgkpnd
Das Wort hat der Kollege Ernst Bahr von der SPD-
raktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-en! Herr Goldmann, Sie haben gesagt, Namensnennungollte nicht sein, aber die Betreffenden sollten an denranger gestellt werden. Ich kann den Unterschied nichtichtig erkennen; er ist nicht sehr groß. Dies ist ein Bei-piel für Ihre Widersprüchlichkeit, die sich durch Ihreanze Rede zieht.
Wenn Sie Minister Seehofer zugehört haben, dannerden Sie festgestellt haben, dass er nicht nur agiert hat und zwar zielgenau, sachlich, kompetent, richtig under Rechtslage entsprechend –, sondern auch deutlichemacht hat, dass die Rechtslage hier wie in anderenällen viel besser ist, als die öffentliche Meinung sugge-iert. Das sollten wir zur Kenntnis nehmen. Das gilt übri-ens auch für die Haushaltslage und die Haushaltsdis-ussion insgesamt. Die Rechtslage – das heißt, unsereolitische Arbeit – ist viel besser als die öffentliche Mei-ung darüber.Wenn man so polemisch vorgeht wie Sie und so wi-ersprüchlich argumentiert, dann müssen wir uns nicht
Metadaten/Kopzeile:
4418 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Ernst Bahr
wundern, wenn die Leute nur noch über uns lachen unduns nicht ernst nehmen. Sie haben zu Beginn Ihrer Redefestgestellt, dass es eine bestimmte Personengruppe sei,die ausfällig ist; ansonsten sei die Lebensmittelsituationin Deutschland hervorragend. Letzterem stimme ich zu.Die Qualität der Lebensmittel in Deutschland ist wirk-lich vorzeigbar. Wir können uns darauf verlassen undwir müssen unseren Landwirten, der Nahrungsmittel-industrie und den Händlern dafür danken.
Ich richte an dieser Stelle auch einen Appell an den sooft geschmähten öffentlichen Dienst. Ich stehe für denöffentlichen Dienst; ich war selbst einmal als Landrat tä-tig. Aber eines steht fest: Der öffentliche Dienst hat dieVerpflichtung, seine Arbeit so zu gestalten, dass die Kri-tik unberechtigt ist. Offenbar hat der öffentliche Dienst,der für die Kontrolle zuständig war, an einer Stelle ver-sagt.Wir brauchen den öffentlichen Dienst in seiner der-zeitigen Form – so hoch organisiert, kompetent und fort-schrittlich – für eine so hoch organisierte Gesellschaft.
Umso mehr müssen wir aber dafür sorgen, dass die Auf-gaben im öffentlichen Dienst auch verantwortungs-bewusst wahrgenommen werden und dass man sich imöffentlichen Dienst etwas konkreter mit Vergehen, Ober-flächlichkeiten und Ähnlichem auseinander setzt, dieuns in solche Schwierigkeiten bringen, dass europaweiteine Diskussion geführt wird, die der Lage nicht ange-messen ist. Das sage ich ausdrücklich.Ich möchte nun zu dem kommen, worüber wir eigent-lich diskutieren wollen. Ich freue mich, dass ich ein paarAnmerkungen zum Haushaltsplanentwurf machen darf,weil der Minister aus bestimmten Gründen nichts dazusagen konnte. Mit dem Haushaltsplanentwurf 2007 sindwir wieder im Zeitplan. Wir haben mit unserer politi-schen Arbeit solide Grundlagen gelegt, und zwar nichterst seit gestern. Wir arbeiten kontinuierlich. Wir habenvon 2006 bis 2009 für Bund, Länder und Gemeindeneine Entlastung in Höhe von etwa 120 Milliarden Eurovorgesehen. Das lässt sich sehen. Ich denke, das ist einwichtiger Konsolidierungsbeitrag in der Haushaltspoli-tik. Wir halten damit die Vorgaben des Art. 115 desGrundgesetzes und das Defizitkriterium des europäi-schen Stabilitätspaktes – das sind die Eckpfeiler – wie-der ein. Damit hat die große Koalition einen guten Kurseingeschlagen.Wir müssen bei der Gestaltung des Einzelplans 10 da-für sorgen, dass die Landwirtschaft eine verlässliche Ba-sis erhält. Dass wir das tun, belegen die vorliegendenZahlen. Wir stärken zudem den Verbraucherschutz. Esist deutlich geworden, dass das notwendig ist. Die Men-schen auf dem Lande können sich auf unsere politischenMaßnahmen verlassen. Das ist ein wichtiger Beitrag zurEntwicklung der ländlichen Regionen.LvgHzvElnsgdndvsdwDdlwwndvJatpdDnlstardngechDdbAfsMG
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4419
)
)
ch zitiere Punkt 4 von Seehofers Aktionsplan – Herroldmann hat schon darauf hingewiesen –, in dem esieß:Die Überprüfung aller EU-zugelassenen Kühlhäu-ser in Deutschland wird kurzfristig abgeschlossensein.as ist jetzt neun Monate her und das Problem bestehteiter. Abgelaufen – darauf muss man auch hinweisen –ar das Haltbarkeitsdatum des Gammelfleischpostensllerdings auch schon zu rot-grünen Zeiten.
Die Rufe nach Pranger, Haft und Kompetenzneuver-eilung lenken davon ab, dass es erst wenige Wochen herst, dass die Chance auf ein wirksames Verbraucher-nformationsgesetz vertan wurde. Bei Zustimmung zuen Änderungsvorschlägen meiner Fraktion hätten skru-ellose Profiteure deutlich weniger Chancen, ihr Gam-elfleisch über Verbrauchermägen zu entsorgen. Statt-essen wird gemauert und werden Stellen in Kontroll-nd Untersuchungsstellen massiv abgebaut – in Bayern0 Prozent – und Vertrauen wird weiter verspielt.
Ob die geplante Aufstockung des Etats für das Bun-esinstitut für Risikobewertung und das Bundesamt fürerbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit sinnvollder nur leere Symbolik ist, wird zu besprechen sein.Doch weiter in der seehoferschen Problembilanz. Imebruar kam überraschend die Geflügelpest. Das heißt,berraschend waren eigentlich nur Ort und Zeit des Auf-retens. Dass H5N1 Asia die Bundesrepublik erreichenürde, war spätestens ab Spätsommer 2005 wahrschein-ich. Trotz bundesministerieller Beteuerungen, esrauchten nur die Notfallpläne in Kraft gesetzt zu wer-en, war niemand auf diesen Fall einer langfristigen In-ektionsgefahr für Nutzgeflügel aus Wildvogelbeständenirklich vorbereitet.Über das Aufstallungsgebot wird unterdessen anhandegionaler Risikobewertung entschieden. Nur, das wirk-iche Risiko kennt niemand. Wir spielen also seit Wo-hen und Monaten russisches Roulette. Auf der andereneite werden die Halterinnen und Halter von Kleinst-,obby- und Wassergeflügelbeständen in den Risikoge-ieten, die ihre Tiere nicht längere Zeit und schon garicht auf Dauer einstallen können, mit dieser Situationllein gelassen.Das eigentliche Problem aber ist nach meiner Wahr-ehmung: Wir werden das nächste Mal – vielleichtchon in wenigen Wochen – nicht besser vorbereitetein; denn die wirklichen Probleme sind nicht aufgear-eitet. Vom eilig aufgelegten 60-Millionen-Euro-For-chungsprogramm geht nur wenig Geld in die dringendotwendige Qualifizierung der Risikobewertung und des
Metadaten/Kopzeile:
4420 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Dr. Kirsten TackmannKrisenmanagements, und das, obwohl auch die Schwei-nepestausbrüche in diesem Jahr und die erstmals inDeutschland aufgetretene Blauzungenkrankheit bewei-sen, dass gerade auf dem Gebiet der Risikobewertungund des Risikomanagements von Infektionskrankheitenbei Tieren schwerwiegende Wissenslücken bestehen,von denen große volkswirtschaftliche Gefahren ausge-hen.
Ich kann Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehrgeehrter Herr Minister, die Wiederholung meiner Forde-rung nach einem epidemiologischen Zentrum mit ange-messenen Personalkapazitäten und einem geeignetenStandort nicht ersparen.
Eine ernsthafte Prüfung dieses Vorschlags ist längstüberfällig; denn wir brauchen dringend effektive und be-zahlbare Tierseuchenbekämpfungsstrategien.Apropos bezahlbar: Der Landkreis Rügen ist nachmeinen Informationen auf 750 000 Euro Geflügelpestbe-kämpfungskosten sitzen geblieben. Das ist eine Summe,die nicht zu schultern ist. Ich möchte daran erinnern: DerEinsatz der Bundeswehr wurde höchstministeriell er-zwungen. Ich kann die Empörung über dieses nichtselbst verschuldete Haushaltsloch vor Ort gut verstehen.Ich fordere hier nochmals unbürokratische Hilfe.Der Fall Rügen ist gleichzeitig ein Hinweis auf eingrundsätzliches Problem: Die zunehmend klammenKommunalhaushalte sind bei Katastrophenfällen über-fordert. Zudem geraten Feuerwehr, THW, DRK und an-dere Organisationen zunehmend in Nachwuchsproblemeaufgrund des Wegzugs junger und motivierter Menschenaus den ländlichen Regionen.
Wir dürfen die Kommunen mit diesen Problemen nichtallein lassen.
Doch zurück zur Agrarforschung. Ich bin eigentlichganz gespannt auf das schon mehrfach angekündigteKonzept für eine zukunftsfähige Agrarressortfor-schung. Wer jedoch bei der Erarbeitung dieses Konzeptsnur „bürokratische Abläufe straffen und die Struktureneffizienter gestalten“ will, wie Staatssekretär Paziorekvor wenigen Tagen erklärte, macht die gleichen Fehler,die schon das letzte Rahmenkonzept von 1996 scheiternließen. Richtig wäre, erst den wissenschaftlichen Bera-tungsbedarf der Bundesregierung zu definieren und danndie vorhandenen wissenschaftlichen Ressourcen zu prü-fen. Die Beschäftigten in den Einrichtungen habenschließlich ein Recht auf eine belastbare und sinnvolleEntscheidungsgrundlage über die Zukunft ihrer Arbeits-plätze.Die aktuelle Haushaltsdiskussion findet aber auch voreinem neuen Diskussionshintergrund statt. Die Transpa-r3bSFGGdsFfhudAsDcAÜMnwwtsdhudGwnbwssDmddgtzpv
ie Landwirtschaft ist wichtig: In den strukturschwa-hen ländlichen Regionen bietet sie oft die allerletztenrbeitsplätze.Fakt ist aber auch eines: Wir brauchen dringend eineberprüfung der Effekte der öffentlichen Förderungen.it Fördermitteln eine flächendeckende, multifunktio-ale Landnutzung zu sichern, ist zum Beispiel sinnvoll,eil im gesamtgesellschaftlichen Interesse. In der Land-irtschaft werden nicht nur Produkte für den Lebensmit-elmarkt erzeugt; vielmehr werden dort auch weitere ge-ellschaftlich erwünschte Leistungen erbracht, die nichtirekt „verkauft“ werden können. Dazu zählen: Offen-altung der Kulturlandschaft, Schutz von Wasser, Bodennd einer vielfältigen Pflanzenwelt usw. usf. Für alliese Zusatzleistungen gibt es am Markt derzeit kaumegenleistungen. Fördergelder müssen daher den not-endigen Ausgleich schaffen, nicht mehr und nicht we-iger. Schließlich müssen auch Landwirte von ihrer Ar-eit leben können.„Von Arbeit leben können“ ist mein nächstes Stich-ort. Dass man von der Arbeit leben kann, ist unterdes-en nicht mehr selbstverständlich. Die „Lausitzer Rund-chau“ meldete vor wenigen Tagen:Wo es wenig Arbeit gibt, greifen Menschen zu je-dem Strohhalm. So nehmen sie Jobs an, derenBezahlung oft nicht ausreicht, um ihren Lebensun-terhalt zu bestreiten. Damit sind sie auf Zusatzleis-tungen von Hartz IV angewiesen.as deckt sich leider mit Erfahrungen aus der Prignitz,einem Wahlkreis. Durch die dramatische Ausweitunges Niedriglohnsektors gibt es Armut nicht mehr nururch ALG II; Armut gibt es unterdessen immer häufi-er auch trotz Arbeit.Im ländlichen Raum spitzt sich diese dramatische Si-uation zusätzlich zu. Zum Beispiel registrieren wir eineunehmende Verschiebung regulärer in Saisonarbeits-lätze, die dann oft für den regionalen Arbeitsmarktollständig verloren gehen. Wenn die saisonal anfallende
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4421
)
)
Dr. Kirsten TackmannArbeit für die Ausübenden wieder verstetigt werdenkönnte, wie es zum Beispiel französischen Arbeitgeber-zusammenschlüssen gelingt, würde das viele aufgeregteDiskussionen des Sommers zum Thema Saisonarbeitsinnvoll beenden.Mit Schwierigkeiten verbunden ist zudem die Ten-denz, dass in kleinen bäuerlichen Wirtschaften, insbe-sondere in Südwestdeutschland, das Einkommen offen-sichtlich nicht mehr ausreicht, um die Pflichtbeiträge zurKranken- und Altersversicherung sowie zur Berufsge-nossenschaft zahlen zu können.
In dem Willen, ihren Hof zu halten, verarmen Bäuerin-nen und Bauern trotz schwerer Arbeit und Selbstausbeu-tung.Aber es geht nicht nur um den sozialen Brennpunktder ländlichen Räume. Menschen werden auf den Dör-fern in weiteren Bereichen zunehmend ihrer Selbstbe-stimmung beraubt. Zum Beispiel gibt es Regionen, indenen außer dem Schülertransport kein öffentlicher Per-sonennahverkehr mehr stattfindet. Aufgrund der Kür-zung der Regionalisierungsmittel sollen jetzt weitereStrecken abgestellt werden, zum Beispiel in Branden-burg, obwohl von Arbeitskräften Mobilität erwartetwird.Auch für Verbraucherinnen und Verbraucher wird esauf den Dörfern immer schwieriger. Einzelhandel undBibliothek kommen, wenn überhaupt, nur noch mobil.Ärzte, Schulen, Geldautomaten und Poststellen sind im-mer öfter nur schwer erreichbar. Auch vom Zugang zuVerbraucherberatungen und -informationen sind vieleMenschen abgeschnitten; Herr Bahr ist schon darauf ein-gegangen. Darüber müssen wir uns Gedanken machen.Dieser schwierigen Situation im ländlichen Raummüssen wir uns stellen. Die Linken jedenfalls werdensich nicht vom Leitbild gleichwertiger Lebensverhält-nisse in diesem Land verabschieden.
Wir alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, tragen politi-sche Verantwortung auch für die Menschen, die auf demplatten Land leben.Recht herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Bärbel Höhn vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Es ist ge-
rade mal zehn Monate her, dass wir über einen Gammel-
fleischskandal diskutiert haben, und schon diskutieren
wir wieder über einen solchen Skandal. Deshalb ist es
richtig, dass wir die Haushaltsdebatte heute insbeson-
d
O
j
i
a
V
e
m
f
a
w
Ü
n
D
u
W
h
D
a
d
D
d
B
n
d
d
Z
d
st Folgendes: Die Länder schieben dem Bund die Ver-
ntwortung zu und der Bund schiebt den Ländern die
erantwortung zu. Man hat den Eindruck, dass niemand
twas tut. Das wollen die Leute nicht hören. Vielmehr
uss jeder seine Hausaufgaben machen.
Es trifft zu, dass auch in Bayern einiges schief gelau-
en ist. Ich finde es erschreckend, muss ich sagen, dass
uch dieser Skandal wieder durch einen anonymen Hin-
eis aufgedeckt wurde.
brigens – das ist auch interessant – ging der Hinweis
icht an die Veterinärbehörden, sondern an die Polizei.
ie Veterinärbehörden sind in Bayern den Landräten
ntergeordnet.
ir müssen exakt diskutieren, ob das in Ordnung ist; ich
abe es immer angekreidet.
ie Landräte oder die Bürgermeister sind natürlich dicht
n der Gewerbesteuer dran. Sie sind auch dicht dran in
er Frage, was zum Beispiel mit den Arbeitsplätzen ist.
as führt leicht zu einer Verquickung. Das führt dazu,
ass es zu große Nähe gibt.
In Bayern war es so, dass die Behörde bei der Firma
erger Wild über den Skandal Bescheid wusste, aber
icht agiert hat. Es ist also wichtig, die Struktur zu än-
ern. Die Kontrolle darf nicht zu dicht an der Kommune
ran sein, weil das zu Verwerfungen führt.
Frau Kollegin Höhn, eine Sekunde. Erlauben Sie eine
wischenfrage des Kollegen Schirmbeck?
Das wird doch nicht angerechnet. Dann stoppen Sie
ie Zeit bitte.
Nein, das wird nicht angerechnet.
Die Zeit läuft hier aber und läuft.
Bitte schön.
Metadaten/Kopzeile:
4422 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Verehrte Frau Kollegin, jeder von uns hat ja ein Vorle-
ben.
Ja.
Ich kann mich daran erinnern, dass Sie in einem Bun-
desland, in Nordrhein-Westfalen nämlich, das meinen
schönen Wahlkreis umgrenzt, große Verantwortung ge-
tragen haben.
Richtig.
Sie haben gerade gesagt, wer alles unfähig ist, Land-
räte usw. Haben Sie den Namen Coppenrath & Wiese
schon einmal gehört?
Ja.
Durch ein Fernsehinterview von Ihnen wurde dieser
Firma etwas angedichtet, das der Kollege Bartels aus
Niedersachsen dann heilen musste. Das hätte eine hoch-
moderne, hocheffiziente, alle Gesetze einhaltende Firma
fast den Kopf gekostet.
Wenn Sie hier jetzt alle Behörden, alle Institutionen
so kritisieren, wie Sie das gerade im Schnelldurchgang
wieder gemacht haben, dann sollten Sie sich einmal den
Spiegel Ihrer eigenen Vergangenheit vorhalten.
Das mache ich gern. – Bei der Firma Coppenrath &
Wiese war es so, dass die CDU in Hessen uns damals ge-
sagt hat: Wir haben ein Problem. – Dieses Problem habe
ich aufgegriffen. Ich habe das noch nicht einmal so dra-
matisch gemacht wie die Hessen. Richten Sie diesen
Vorwurf also an die CDU in Hessen und gucken Sie sich
den Fall noch einmal an!
Aber lenken Sie nicht ab; denn es geht hier um Herrn
Seehofer
und Herr Seehofer hat seine Hausaufgaben in diesem
Fall nicht gemacht.
Ich kann mich sehr genau erinnern, dass Herr
Seehofer Anfang dieses Jahres gesagt hat: Wir werden
die schwarzen Schafe benennen. – Das war sein Haupt-
punkt: das Verbraucherinformationsgesetz. Heute sagt
er, die Anbieter müssten öffentlich benannt werden.
W
V
d
m
g
E
V
d
j
w
T
d
s
B
d
a
l
z
w
M
B
z
H
A
m
F
i
u
g
D
s
t
as ist denn in der Zwischenzeit geschehen? Dieses
erbraucherinformationsgesetz würde nicht dazu führen,
ass die schwarzen Schafe benannt werden, meine Da-
en und Herren. Das ist das Problem.
Deshalb sage ich Ihnen im Auge des Hurrikans: Er-
reifen Sie endlich Maßnahmen und setzen Sie sie um!
in halbes Jahr später ist aus diesem groß angekündigten
erbraucherinformationsgesetz eine lahme Ente gewor-
en. Ändern Sie dieses Verbraucherinformationsgesetz
etzt! Jetzt haben Sie den Schwung und auch Rücken-
ind von der Bevölkerung; jetzt können Sie es ändern.
un Sie es, nachdem Sie schon ein halbes Jahr nicht in
er Lage waren, etwas zu unternehmen!
Frau Kollegin Höhn, erlauben Sie eine weitere Zwi-
chenfrage, und zwar der Kollegin Heinen?
Ja. Bitte stoppen Sie die Zeit.
Bitte schön.
Frau Höhn, ist Ihnen entgangen, dass der Deutsche
undestag noch vor der Sommerpause eine Änderung
es § 40 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch ver-
bschiedet hat, nach der es in Zukunft ausdrücklich er-
aubt ist und die Behörden angewiesen sind, die Firmen
u nennen, deren Produkte nicht in Ordnung sind, auch
enn sie vom Markt verschwunden bzw. nicht auf dem
arkt sind? Das heißt, im September wird es, wenn der
undesrat, der seine Zustimmung schon signalisiert hat,
ustimmt, zu einer entsprechenden Änderung kommen.
aben Sie an dieser Abstimmung nicht teilgenommen?
ußerdem frage ich: Wie haben Sie denn vor der Som-
erpause im Bundestag über § 40 Lebensmittel- und
uttermittelgesetzbuch abgestimmt?
Ich sage Ihnen sehr deutlich: Dieses Verbraucher-nformationsgesetz habe ich abgelehnt,
nd zwar weil es schlecht ist. Es ist in der Tat ein löchri-er Käse.
as, was Sie erreichen wollen, nämlich dass die in die-em Fall Betroffenen genannt werden, wird nicht eintre-en.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4423
)
)
Bärbel Höhn
Heute sagen Ihnen die Experten, dass die Betroffenennach diesem Verbraucherinformationsgesetz nicht ge-nannt werden müssten. Dass die gewünschte Wirkungdes Verbraucherinformationsgesetzes nicht eingetretenist, sehen Sie ja. Es gibt doch offensichtlich niemandenauf diesem Markt, der vor diesem Verbraucherinforma-tionsgesetz Angst hat. Die abschreckende Wirkung, dieSie sich erhofft haben, ist eben nicht eingetreten. Des-halb ist es falsch, einfach auf dieses Verbraucherinfor-mationsgesetz zu setzen. Wir müssen es ändern.Vor allen Dingen müssen wir eines machen: WennHerr Seehofer heute von den Anbietern spricht, dann istdas wieder nur eine radikale Forderung, hinter der nichtssteckt. Es soll nur wieder der kleine Fleischmakler be-nannt werden. Aber wer hat denn von diesem kleinenFleischmakler das Fleisch gekauft? Das waren großeFleischkonzerne; sie haben es gemacht, weil sie dadurcheine Menge Geld gespart haben. Genau die müssen auchbenannt werden; denn sie wissen, was sie tun.
Nur über diese Selbstheilungskräfte der Branchewerden wir es schaffen, diesen Gammelfleischmarktendlich in den Griff zu bekommen. Das ist der richtigeWeg; der richtige Weg sind nicht irgendwelche billigenund auch rigorosen Ankündigungen, wie sie heute wie-der von Herrn Seehofer kommen.
An einem Punkt gebe ich Herrn Seehofer Recht, undzwar bezüglich der Strafen. Es gibt schon heute ein aus-reichendes Maß an Strafen; das stimmt.
Aber die Gerichte haben in den vergangenen Jahrentrotzdem ein relativ niedriges Strafmaß angewendet;auch das müssen wir sehen.
Der letzte Punkt. Herr Seehofer spricht von Quali-tätsstandards. Ebenso spricht er davon, dass Bund undLänder sich besser abstimmen müssen. Ich kann michsehr genau erinnern, dass er gesagt hat, die Abstimmungzwischen Bund und Ländern werde er in den Griff be-kommen, anders als Frau Künast, die Symbolpolitik be-trieben habe. Er hat sie aber nicht in den Griff bekom-men; Bayern hat eben nicht gemeldet. Jetzt spricht ervon Qualitätsstandards. Das finde ich richtig. Aber wa-rum hat er diesen Punkt nicht bei der Föderalismusre-form eingebracht? Er hatte monatelang die Möglichkeit,eine Änderung der verschiedenen Strukturen herbeizu-führen. Diese Möglichkeit hat er verstreichen lassen,stellt aber heute erneut die gleiche Forderung.Bei der Qualität und den Qualitätsstandards holt ihnseine eigene Politik ein. Herr Seehofer war, als er Minis-tdWunrAdWdnhHVwwHdMzd
ll das, was andere Länder hier in Europa nicht loswer-en, bringen sie in Deutschland auf den Markt.
enn Sie von der CDU dieses Problem nicht einsehen,ann werden wir den Gammelfleischskandal überhaupticht in den Griff bekommen.
Setzen wir wieder da an, wo wir gute Politik gemachtaben: Setzen wir bei der Qualität an, meine Damen underren! Nur bei einem vernünftigen Preis-Leistungs-erhältnis – wenn die Leute nach Qualität einkaufen –erden wir die Diskussion um Gammelfleisch endlichegbekommen in diesem Land.
Frau Höhn – –
Ich komme zum Schluss.
Es ist Zeit, dass sich was dreht, meine Damen und
erren. Machen Sie eine andere Politik!
Frau Höhn, bevor Sie zum Schluss kommen, möchte
er Kollege Goldmann gern eine Zwischenfrage stellen.
Ja, bitte.
Frau Künast, jetzt, wo Sie da sind, sollten Sie einen
oment zuhören. Frau Höhn hatte fünf Minuten Rede-
eit – schauen Sie einmal, wie liebenswürdig der Präsi-
ent zu Frau Höhn war.
Sie sind jetzt ja auch dran!
Metadaten/Kopzeile:
4424 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Frau Höhn, ich finde das ja alles ganz spaßig, was Sie
sagen. Sind Sie bereit, am Freitag in der Ausschusssit-
zung – nicht öffentlich – zu sagen, welche Veterinäre Ih-
nen gesagt haben, dass Deutschland sozusagen ein Land
des Gammelfleisches ist?
Ja, ich bin bereit.
Werden Sie am Freitag verifizieren, um welche Grö-
ßenordnungen es dabei geht? Ich finde das, was Sie hier
sagen, zutiefst skandalös. Wenn Sie, die Sie Fachminis-
terin eines Landes waren, in dem die Fleischwirtschaft
eine sehr zentrale Rolle spielt – ich denke zum Beispiel
an das Münsterland oder an Wiedenbrück –, so etwas sa-
gen, dann bezeichne ich das als einen klassischen Ar-
beitsplatzvernichter ersten Ranges, der durch nichts,
durch überhaupt nichts zu rechtfertigen ist.
Sie haben eben gesagt – wenn ich das ein bisschen
verkürzt wiederholen darf –: Deutsche Fleischkonzerne
handeln mit Gammelfleisch. – Sind Sie sich über die
Aussage, die Sie gerade getätigt haben, im Klaren?
Glauben Sie, dass Sie wirklich einen deutschen Fleisch-
konzern nennen können, der mit Gammelfleisch han-
delt? Oder sind es nicht vielleicht eher die Kleinen, die
Schwachen in diesem System, die diese Situation miss-
brauchen? Ich bitte Sie wirklich, in dieser Frage etwas
rücksichtsvoller gegenüber einer leistungsfähigen Bran-
che und gegenüber den Arbeitsplätzen in diesem Bereich
zu sein, die viele, viele Haushalte finanzieren.
Herr Goldmann, Sie tun der Fleischwirtschaft keinen
Gefallen, wenn Sie dieses Problem negieren.
Wir alle wissen von vielen Bereichen – von der Fleisch-
wirtschaft, aber auch von anderen Bereichen –, dass der
deutsche Markt mittlerweile ein Markt ist, der nicht
mehr von Qualitätsprodukten gekennzeichnet ist.
Wir zwei waren gemeinsam in den Niederlanden. Was
haben uns da die Gemüsehändler erzählt? Sie haben ge-
sagt: Die Gemüse mit der hohen Qualität gehen nach
Großbritannien, die Gemüse mit der niedrigen Qualität
nach Deutschland. Das liegt auch an dem harten Wettbe-
werb der Händler hier in Deutschland. Wenn wir dieses
Problem negieren – für mich ist Großbritannien kein
Gourmetland, das muss ich ganz ehrlich sagen – und der
harte Preiswettbewerb bei uns am Ende dazu führt, dass
a
w
m
A
z
b
v
s
d
b
f
d
d
G
s
e
t
G
s
m
n
d
o
r
b
m
w
s
H
i
m Ende werden die Arbeitsplätze, die Sie jetzt schüt-
en wollen, eher verloren gehen, als wenn wir das Pro-
lem rechtzeitig angehen und die Lösungen dazu nach
orne bringen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Bleser. Bitte
chön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider istiese Generaldebatte um den Haushalt durch ein Themaestimmt, nämlich die Aufarbeitung des Gammel-leischskandals. Deswegen möchte und muss auch ichazu einige Äußerungen machen, gerade in Bezug aufie hier gerade vorgetragenen Reden von Herrnoldmann und von Frau Höhn.Herr Kollege Goldmann, ich glaube, Sie waren nichtehr redlich, als Sie dem Minister unterstellt haben, dassr hier behauptet habe, es gebe bei der Lebensmittelkon-rolle keine Probleme, es sei alles okay.
erade Herr Seehofer hat unabhängig von der politi-chen Farbe einer Landesregierung sehr deutlich ge-acht, welche Fehler zu beheben sind und was bishericht richtig gelaufen ist. Ich glaube, es ehrt einen Bun-esminister insbesondere, wenn er in dieser Klarheit undhne parteipolitische Zuordnung vorgeht. Das ist zuechtfertigen.
Das Nächste, was Sie hier unterstellt haben, hat eineesondere Qualität. Sie meinen, das Verbraucherinfor-ationsgesetz – wenn es denn in Kraft getreten ist; dasird noch einige Wochen dauern; das wissen die Men-chen draußen nicht – schaffe keine verbesserte Lage.
err Goldmann, ich erinnere daran, dass die FDP undnsbesondere Sie es waren, die in den Verhandlungen des
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4425
)
)
Peter BleserVermittlungsausschusses in den letzten Legislaturperio-den
darauf bestanden haben, dass nur dann Namen genanntwerden dürfen, wenn Verwaltungsverfahren rechtskräf-tig abgeschlossen sind.
Das würde bedeuten, dass es unter Umständen Jahredauert, bis ein Gerichtsurteil verkündet ist, infolgedessenman die entsprechende Person oder das entsprechendeUnternehmen nennen darf. Das ist kein Verbraucher-schutz, so wie wir ihn wollen.
Nach dem bald in Kraft tretenden Verbraucherinfor-mationsgesetz ist nicht nur die Nennung des Namensdesjenigen Unternehmens, welches gegen Gesetze ver-stoßen hat, möglich, sondern auch die Nennung derjeni-gen, die das Produkt nicht mehr auf dem Markt haben,und derjenigen, die das Produkt bezogen haben. Das isteine neue Qualität, die ihre Auswirkung auf den Marktmit Sicherheit nicht verfehlen wird.
Ich hoffe, dass die abnehmenden Unternehmen, aberinsbesondere auch die Verbraucher die öffentlich ge-nannten Unternehmen durch Kaufverweigerung entspre-chend sanktionieren. Wenn es nicht anders geht, kanndies zum Schließen eines Unternehmens führen; dennnur so bekommen wir eine veränderte Situation, die zuQualität zwingt. Das ist unser Antritt. Den haben wirsehr klar mit unseren Festlegungen im Verbraucherinfor-mationsgesetz verfolgt.
Sie, Frau Höhn – wenn Sie mir Ihre geneigte Auf-merksamkeit zuwenden würden! –,
haben den Landräten unterstellt, dass die Kommunen dieProduzenten bzw. Vertreiber von Gammelfleisch deckenwürden. Das ist eine Ungeheuerlichkeit. Das sollten Siebelegen; ansonsten würde ich so etwas hier in diesemHaus nicht sagen.
Ich sage auch Ihnen: Sie erwecken den Eindruck, dassdurch das Verbraucherinformationsgesetz nichts verän-dert werde. Das ist eine Fehleinschätzung, deren Ursa-che eine gewisse Realitätsferne ist.KudtsfBdHenUdwgEviGiwFKDsAjedgvKm
anz im Gegenteil: Die räumliche Nähe führt dazu, dassnsbesondere die Kommunen ihre Pappenheimer – soill ich sie einmal bezeichnen – eher kennen, als es derall ist, wenn nicht vor Ort ansässige oder ferngesteuerteontrolleure auftreten.
ie Nähe kann hilfreich sein. Aber in dem einen Fall hatie sicher nicht zu besonderer Objektivität geführt.Meine Damen und Herren, wir beraten heute dengrarhaushalt. Erlauben Sie mir, dass ich neben demetzt angesprochenen Thema auch auf dieses Spektrumingehe.Ich denke, wir können schon voller Stolz sagen, dassie Politik der ersten gut neun Monate dieser Bundesre-ierung gerade in der Agrarwirtschaft enorme Erfolge zuerzeichnen hat. Es gibt einen Stimmungswandel, Frauünast, allein schon durch die Tatsache, dass Sie nichtehr hier vorne sitzen.
Metadaten/Kopzeile:
4426 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
– Man soll sich hier halt nicht mit Zwischenrufen profi-lieren.Dieser Stimmungswechsel drückt sich ganz konkretin der Tatsache aus, dass sich das Agrarkonjunkturbaro-meter von 50 Punkten im März 2004 auf 113 Punkte imJuni dieses Jahres mehr als verdoppelt hat. Die Land-wirte investieren wieder. Sie haben Vertrauen in die Zu-kunft. Ihre Einkommen sind gestiegen. Diesen hoff-nungsvollen Weg setzen wir konsequent fort unddeswegen sind wir schon ein Stück stolz darauf, dass esauch im Haushalt 2007 gelungen ist, eine Kürzung derBundesmittel bei der landwirtschaftlichen Unfallversi-cherung
und Beitragssatzerhöhungen, die Sie immer wieder ver-ursacht haben, zu vermeiden.Wir haben im Übrigen auch die Mittel für den Verbrau-cherschutz in diesem Haushaltsentwurf um 13,2 MillionenEuro angehoben. Ich bin sicher: Auch das wird zu einer ent-sprechenden Veränderung des Bewusstseins draußen füh-ren.
Ich will aber jetzt noch etwas zu der landwirtschaft-lichen Unfallversicherung sagen, weil die von den Be-troffenen in der Öffentlichkeit geäußerte Kritik in denletzten Wochen zugenommen hat. Ich bin nicht sicher,wie lange es noch gelingt,
diese Bundesmittel für die landwirtschaftliche Unfall-versicherung zur Verfügung zu stellen. Deswegen isteine grundsätzliche Reform der landwirtschaftlichen Un-fallversicherung, auch nach dem Bericht des Bundes-rechnungshofes, unvermeidlich.
Dabei sind uns die Beitragszahler, die Bauern und ihreMitarbeiter, am wichtigsten. Ich hoffe, dass die Ange-stellten der Unfallversicherungen das nötige Verständnisaufbringen und sie die notwendigen Veränderungen mit-tragen.
Darüber hinaus stehen wir in den nächsten Monatenauch vor der Frage, ob wir bei der Bewertung der erstenund der zweiten Säule eine Umschichtung durch eine hö-here Modulation vornehmen sollen oder nicht. In diesemZusammenhang und auch im Zusammenhang mit derEU-Transparenzrichtlinie wird eine heftige Debattegeführt. Nicht wenige hier in diesem Haus wollen ja,dass alle Zahlungen an die Landwirte veröffentlicht wer-den. Ich wundere mich insbesondere darüber, dass derLandwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpom-mfswakssDws1dsnerUtIducllHudEhBbaswn
nd dass sie nicht als einzige Berufsgruppe, die staatli-he Hilfen erhält, ihr Einkommen, das zu einem wesent-ichen Teil aus diesen staatlichen Hilfen besteht, offenegen müssen.
ier gehen wir an die Ehre der Bauern und das ist mitns nicht zu machen.
Herr Kollege Bleser, erlauben Sie eine Zwischenfrage
er Kollegin Künast?
Ja, bitte.
Herr Bleser, die von Ihnen aufgeworfene Frage derhre beschäftigt mich an der Stelle. Zunächst einmalabe ich Zweifel daran, dass sich die Einkommen derauern „im Wesentlichen“, wie Sie es gerade gesagt ha-en, aus den Zahlungen aus Brüssel ergeben. Was michber besonders wundert, ist, dass Sie hier eine Sonder-tellung der Bauern behaupten. Können Sie mir erklären,arum für Landwirte die Veröffentlichung der erhalte-en Subventionen irgendwie ungerecht wäre – das ist
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4427
)
)
Renate KünastIhre Formulierung –, während Ihr Gehalt als Mitglieddes Deutschen Bundestages, mein Gehalt oder das desMinisters per Gesetz veröffentlicht wird?
Sie müssten doch gleichermaßen eine Kampagne dafürführen, dass Minister- und Abgeordnetenbezüge in Zu-kunft nicht mehr öffentlich gemacht werden, frei nachdem Motto, das diskriminiere sie und sei der Gesell-schaft nicht zu vermitteln.Durch das Verbraucherinformationsgesetz soll mehrTransparenz geschaffen werden. Meinen Sie nicht, dassdie Steuerzahler das gute Recht haben zu erfahren, wo-hin das Geld fließt? Wohlgemerkt, es geht um die Höheder erhaltenen Subventionen, nicht um den Umsatz einesjeden Betriebes. Wie kommen Sie dazu zu behaupten,das sei ungerecht, da Ihr eigenes Gehalt öffentlich ist?
Frau Künast, wir könnten das für alle Berufsgruppen
und diejenigen, die staatliche Transferleistungen erhal-
ten – das fängt beim Hartz-IV-Empfänger an und geht
über die Kohlesubvention bis hin zu den Gehaltszahlun-
gen der Beamten und Angestellten des öffentlichen
Dienstes –, öffentlich machen. Das würde zu einem ge-
waltigen Bürokratieaufwand führen und unter Umstän-
den sogar Arbeitsplätze schaffen.
– Herr Kelber, sicher ist das elektronisch zu vereinfa-
chen.
Aber was sagen Sie, Frau Künast, als Repräsentantin
der Grünen in diesem Zusammenhang zum Daten-
schutz? Was hat das mit dem Schutz der Privatsphäre zu
tun?
– Das, Frau Künast, war die größte Unverschämtheit, die
ich mir bisher von Ihnen anhören musste.
Sie haben eine Agrarpolitik betrieben, in deren Folge
landwirtschaftliche Betriebe bis zum Jahr 2013 vor gra-
vierende Veränderungen gestellt wurden, die sie ohne
diese Hilfen überhaupt nicht überstehen können. In die-
ser Situation wollen Sie die Menschen an die Öffentlich-
keit zerren und durch eine Neiddiskussion um diese Hil-
fen bringen. Das ist der wahre Grund, der hinter Ihrem
Handeln steht.
s
a
d
z
d
g
w
g
g
h
e
M
d
s
b
k
s
v
H
m
r
s
u
D
v
n
f
d
d
l
1
v
w
1
„
L
B
f
a
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Edmund Geisen
on der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meineerren! Ich bin in vielerlei Hinsicht anderer Meinung alsein Vorredner. Ich denke, dass von der jetzigen Regie-ung bisher noch kein Problem im Bereich Landwirt-chaft, Ernährung und Verbraucherschutz gelöst wurde
nd keine wirksamen Reformen in Gang gesetzt wurden.
as Schlimmste, was man dem zuständigen Ministerorzuwerfen hat, ist der andauernde Zick-Zack-Kurs sei-er Politik.Herr Minister Seehofer, wir von der FDP haben sorg-ältig notiert, dass Sie innerhalb eines halben Jahres min-estens 13 unterschiedliche Bewertungen zum Systemer landwirtschaftlichen Unfallversicherung öffent-ich abgegeben haben. Das heißt: Durchschnittlich alle4 Tage plädierten Sie für eine neue Reformvariante.Bei den Beratungen zum Koalitionsvertrag vom No-ember 2005 setzen Sie sich für ein modernisiertes land-irtschaftliches Sozialversicherungssystem ein. Am2. Dezember 2005 kritisieren Sie Frau Künast imFocus“ wegen der 50-Millionen-Euro-Kürzung derUV-Bundesmittel mit der Begründung, dies werde übereitragserhöhungen zum Knock-out des Berufsstandesühren. Übrigens: Genau dasselbe machen Sie nun imktuellen Haushaltsentwurf.
Metadaten/Kopzeile:
4428 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Dr. Edmund Peter Geisen19. Dezember 2006, „top agrar“: Sie sprechen von der Ver-zahnung der Systeme. 16. Januar 2006, „Agra-Europe“:Kürzungen werden vermieden. 8. April 2006, „BadischeBauern Zeitung“: Der Minister spricht vom System-wechsel in Richtung Kapitaldeckungsverfahren. 29. Mai2006 „top agrar Online“: Kein Systemwechsel. Währender am 19. Juni in „Agra-Europe“ die Privatisierung for-dert, lehnen seine Staatssekretäre diese am 26. Juni in„top agrar Online“ ab. Am 4. Juli, „dlz agrarmagazinOnline“, kommt das Kapitaldeckungsverfahren wiederauf den Tisch. Am 17. Juli, „Bayerisches Landwirt-schaftliches Wochenblatt“, heißt es: Die Privatisierungist nicht möglich. Und nun der Haushaltsentwurf 2007:Die Kürzungsvorschläge ähneln denen von 2005. Eshandelt sich um eine Kürzung: Sie nehmen zunächst eineVerlagerung der Mittel vor, die später in eine direkteBeitragskürzung einmünden wird.Verehrter Herr Seehofer, Ihr Vorgehen – rein in dieKartoffeln, raus aus den Kartoffeln – ist für den betroffe-nen Berufsstand unerträglich und bedeutet einen enor-men Verlust des Vertrauens in die Politik. Dieses Verhal-ten führt zu einer großen Verunsicherung. Wir von derFDP fragen Sie deshalb: Erstens. Welchen Weg schlagenSie als ausgewiesener Sozialpolitiker tatsächlich vor?Zweitens. Was halten Sie von dem FDP-Vorschlag einerkapitalgedeckten landwirtschaftlichen Unfallversiche-rung?
Drittens. Warum verunsichern Sie permanent die zumTeil am Existenzminimum Berührten durch drohendeBeitragserhöhungen, anstatt eine Altlastenbefreiung vor-zunehmen und einen Reformvorschlag auf den Tisch zulegen? Übrigens: Unsere Einsparvorschläge geben dieAbsicherung im sozialen Bereich her.
Wir stehen nun vor der Obst- und Weinernte. Die vorwenigen Monaten beschlossene Eckpunkteregelung fürdie Saisonarbeitskräfte war ein Flop.
Sie hilft weder den Arbeitslosen noch den Saisonarbeits-kräften noch den Bauern. Nein, sie verdirbt die Ernte.Die FDP hat dazu übrigens einen Antrag eingebracht.Geben Sie den Erntehelfern eine Chance, indem Sie fürFreiheit sorgen und bilaterale Vereinbarungen ermögli-chen.
Wir brauchen eine Zukunftspolitik für die deutscheLandwirtschaft und das Vertrauen der Verbraucher in dieangebotenen Produkte. Die Agrarpolitik der großen Ko-alition gleicht einem Spiel, bei dem sich alle lustig aus-toben, aber kein Tor fällt.
Für die betroffenen Landwirte ist dieses ewige Hin undHer indes weniger lustig. Die FDP fordert klare Zielset-zungen, Verlässlichkeit und nachhaltige Entscheidungen.Von Ihrer Agrarpolitik geht aber weder das eine noch dasaaSHVsmkhdGdannFdbkWshnigatdtmvbdwetrakWnn
Verbraucherpolitische Themen stehen – die Debatteat das deutlich gemacht – wieder einmal an der Spitzeer Nachrichtenagenda. Wir haben bereits über denammelfleischskandal in Bayern gesprochen. Ich werdeieses Thema auch noch einmal aufgreifen. Die Strom-nbieter verkünden höhere Preise. Zu den auf der Inter-ationalen Funkausstellung vorgestellten technischen In-ovationen zählt insbesondere die Verbindung vonernsehen, Internet und Sprachkommunikation. Alleiniese drei Felder belegen sehr deutlich, welche Band-reite eine aktive und gestaltende Verbraucherpolitik be-ommen hat.In dieser Debatte ist eines sehr deutlich geworden:ir können und werden es nicht mehr zulassen, dassich skrupellose Unternehmer auf Kosten der Gesund-eit vieler bereichern. Es ist wirklich bitter, dass auchach dem letzten Skandal, der nur wenige Monate herst, viele Bundesländer ihre Hausaufgaben offenbar nichtemacht haben. Wieder einmal ist der Fall nur durchnonyme Hinweise und nicht aufgrund staatlicher Kon-rollen aufgedeckt worden. Es kann und darf nicht sein,ass viele Bundesländer die Kontrollen im Lebensmit-elbereich zum Sparziel bei schwieriger Haushaltslageachen. Die Gesundheit der Menschen muss Vorrangor den Sparnotwendigkeiten der Landeshaushalte ha-en.Im Radio wurde berichtet, dass in München die Zahler Lebensmittelkontrollen in den letzten Jahren halbiertorden ist. Das deutet darauf hin, dass man sich hier aufinem wirklich schlechten Weg befindet und Herr Minis-er Seehofer mit seiner Kritik an den Ländern und an ih-em Gebaren in diesem Zusammenhang Recht hat.Herr Goldmann, Sie haben Unrecht, weil Sie die Ver-ntwortlichkeiten nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Ichann das Gleiche in Richtung von Frau Höhn sagen.enn die Länder im real existierenden Föderalismusicht bereit sind, die notwendige Verantwortung zu über-ehmen, dann muss der Bund reagieren.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4429
)
)
Manfred ZöllmerWir haben bei der Diskussion über die Föderalismus-reform erlebt, wie sehr die Länder ihre Besitzstände indiesem Bereich verteidigt haben. Das kann auf Dauer sonicht mehr gehen.
Wichtig ist – das hat der Minister deutlich gemacht –,dass bundeseinheitliche Qualitätsstandards bei der Le-bensmittelüberwachung eingeführt werden.
– Auf sehr hohem Niveau.
Darüber hinaus müssen wir dafür sorgen, dass dieRückverfolgbarkeit der Waren verbessert wird.
Das ist ganz wichtig, damit klar ist, wer an wen was ge-liefert hat. Der Einsatz moderner Technologien, zumBeispiel der RFID-Tags, kann helfen, eine lückenloseRückverfolgbarkeit möglich zu machen.
– Genau.Das Strafrecht muss in viel stärkerem Maße ange-wandt werden. Es muss sehr sorgfältig geprüft werden,ob eine Strafverschärfung sinnvoll ist. Unternehmer, diein diesem Sinne tätig geworden sind, müssen wissen,dass sie ihre Gewerbeerlaubnis verspielt haben. Hiermuss vor Ort gehandelt werden. In der Vergangenheit istdas zu wenig geschehen. Es muss sichergestellt sein,dass illegale Gewinne abgeschöpft werden. Die Verbrau-cherinnen und Verbraucher haben ein Recht darauf, dassRoss und Reiter genannt werden.Wir können nicht versprechen, alle kriminellen Ma-chenschaften zukünftig zu verhindern. Aber wir könnenversprechen, es diesen Wirtschaftskriminellen so schwerwie möglich zu machen. Wir unterstützen nachdrücklichalle Bemühungen von Herrn Minister Seehofer, diesesZiel zu erreichen.
Erneut haben die Stromversorger Preiserhöhungenzum Beginn des kommenden Jahres angekündigt. DieSchmerzgrenze für viele Verbraucherinnen und Verbrau-cher ist längst überschritten.
Es ist nicht akzeptabel, dass einige wenige Stromkon-zerne ihre Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit undder deutschen Wirtschaft vervielfachen.
Ehdt5H1gpbscTpW1dDpwgdhgENssWüwdMBVVarßhdRsBnnt
Ich sage auch: In diesem Bereich ist kein Platz für Po-ulismus. Der Vorschlag der nordrhein-westfälischenirtschaftsministerin, die Länderaufsicht über den. Juli 2007 hinaus zu verlängern, stellt keine Lösungar. Denn bei diesen Genehmigungen geht es nur um einrittel der Kosten: um die Netznutzungsgebühren für dierivaten Haushalte. Auf diesem Markt brauchen wirirklichen Wettbewerb, keine staatlichen Placebos.Durch die Novellierung des Energiewirtschafts-esetzes stehen die Bundesnetzagentur und zukünftigie Kartellbehörden in der Verantwortung, für Preisklar-eit, Missbrauchsaufsicht und mehr Wettbewerb zu sor-en. Das ist der richtige Weg. Ich fordere die großennergieunternehmen nachdrücklich auf, die niedrigerenetzentgelte, die von der Bundesnetzagentur durchge-etzt worden sind, in Preissenkungen am Markt umzu-etzen.
enn dies nicht geschieht, muss sich der Gesetzgeberber weitere Maßnahmen Gedanken machen. Die Ent-icklungen auf dem Telekommunikationsmarkt habeneutlich gezeigt, dass es möglich ist, erfolgreich vomonopol zum Wettbewerb überzugehen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushalt desundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft underbraucherschutz unterstreicht die Bedeutung, die dieerbraucherpolitik für die Bundesregierung hat. Trotzller Konsolidierungsnotwendigkeiten konnte das bishe-ige Niveau insgesamt gehalten werden. Das ist ein gro-er Erfolg.
Eine aktive Verbraucherpolitik braucht handlungsfä-ige Institutionen. Neben dem Bundesministerium sindies nachgeordnete Behörden wie das Bundesinstitut fürisikobewertung und das Bundesamt für Verbraucher-chutz und Lebensmittelsicherheit. In Anbetracht deredeutung ihrer Aufgaben ist es gut, dass sich ihre Etatsachhaltig erhöhen.Wenn ich über Institutionen rede, dann geht es miricht nur um die staatlichen Institutionen und Organisa-ionen, sondern auch um die unabhängigen Verbände
Metadaten/Kopzeile:
4430 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Manfred Zöllmerund Stiftungen. Der Zuschuss für die Stiftung Warentestwird in Höhe von 6,5 Millionen Euro gehalten und dasist auch gut so.
Darüber hinaus halte ich es für richtig, dass die StiftungWarentest seit dem Jahr 2004 bei ausgewählten Tests As-pekte der sozialen Unternehmensverantwortung mitberücksichtigt. Mehr und mehr Verbraucherinnen undVerbraucher sind an diesen Hintergrundinformationeninteressiert und richten ihre Kaufentscheidungen zuRecht an ihnen aus. Wirtschaft sowie Verbraucherinnenund Verbraucher tragen Verantwortung auch für sozialeund Umweltstandards.Die institutionelle Förderung der Verbraucherzen-trale Bundesverband bleibt nahezu unverändert.
Wenn sich der Bund zu seiner Verantwortung bekenntund die Arbeit der vzbv als wichtige ordnungspolitischeAufgabe betrachtet und entsprechend fördert, müsstenauch die Länder die Förderung der Verbraucher-zentralen als ihre Pflicht ansehen. Leider werden in im-mer mehr Bundesländern die Mittel gekürzt. Viele Bera-tungsstellen und -angebote bluten regelrecht aus. VieleLänder lassen die Verbraucherinnen und Verbraucher imRegen stehen. Die Arbeit der Verbraucherzentralen vorOrt ist von unschätzbarem Wert. Es ist eine wichtigeAufgabe der Landespolitik, dafür zu sorgen, dassniedrigschwellige Beratungsangebote in Deutschlandflächendeckend vorhanden sind.Liebe Kolleginnen und Kollegen, da meine Redezeitabgelaufen ist, komme ich zum Schluss. Dieser Haushaltmacht deutlich, wie eine aktive Verbraucherpolitik, diedie Wirtschaft als Bündnispartner betrachtet und die Ver-braucherinnen und Verbraucher nicht bevormunden will,in Zahlen ihren Ausdruck finden kann. Wir müssen unsden Herausforderungen neuer Märkte, neuer Geschäfts-modelle und der digitalen Welt stellen und sie aktiv mit-gestalten. Dafür sorgen wir.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Cornelia Behm vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr
Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gar
nicht so einfach, vom Gammelfleisch zurück zum Haus-
halt zu kommen; aber da wir die erste Lesung haben,
sollten wir das jetzt tun.
e
H
d
E
k
z
p
f
s
k
p
z
D
b
4
Z
J
D
b
k
b
f
1
o
H
S
v
e
d
v
G
r
z
g
f
d
g
j
r
w
en Etat für das Bundesprogramm „Ökologischer Land-
au“ wollen Sie um 20 Prozent kürzen; das bedeutet
Millionen Euro weniger. Und das, obwohl die Branche
ukunft hat: zweistellige Zuwachsraten in den letzten
ahren, 150 000 Arbeitsplätze in der Naturkostbranche.
ie Förderung von Modell- und Demonstrationsvorha-
en wollen Sie um 18 Prozent, also 1,8 Millionen Euro,
ürzen. Sie schrecken selbst vor Kürzungen bei der Ver-
raucheraufklärung und den nachwachsenden Rohstof-
en nicht zurück.
Summa summarum streichen Sie, Herr Minister,
3,7 Millionen Euro bei Zukunftsaufgaben – und das,
bwohl der Agrarhaushalt im Vergleich zum laufenden
aushaltsjahr um 82,5 Millionen Euro aufgestockt wird.
ie kommen also nicht etwa schmerzlichen Kürzungs-
orgaben nach, sondern Sie streichen Künast-Titel, um
in Zeichen zu setzen. Das ist ideologisch, also genau
as, was Sie uns – zu Unrecht – immer vorwerfen.
Gleichzeitig wollen Sie die Mittel für die Förderung
on Innovationen um 16,6 Millionen Euro erhöhen.
rundsätzlich begrüße ich das, allerdings kommt es da-
auf an, was Sie mit dem Geld machen. Sie wollen damit
um Beispiel die Forschung im Bereich der Agro-
entechnik forcieren.
Frau Kollegin Behm, erlauben Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Bahr von der SPD-Fraktion?
Ja, gerne.
Frau Behm, ist Ihnen bekannt, dass die entsprechen-
en Mittel in den vergangenen Jahren unter Frau Künast
ar nicht vollständig abgerufen worden sind und dass
etzt um weniger gekürzt werden soll, als gar nicht abge-
ufen wurde?
Darüber wird zu reden sein. Auf jeden Fall brauchenir Titel – insbesondere das Programm, auf das Sie an-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4431
)
)
Cornelia Behmspielen –, die sich mit artgerechter Tierhaltung befassen.Es kommt sehr darauf an, wie wir diese Titel in Zukunftausgestalten.
– Wir müssen doch jetzt nicht über die Hühnerstallge-schichte diskutieren!
Wie gesagt, die Frage ist, was man mit den Mitteln fürInnovationsförderung macht. Ich meine, sie in die Agro-gentechnikforschung zu stecken, ist der falsche Weg; mitdiesem Geld könnte man wahrlich Besseres machen.
Denn Sie wissen alle, meine Damen und Herren: DieAkzeptanz für Agrogentechnik ist in Deutschland ein-fach nicht vorhanden. Daher wird diese Forschung nichtwirklich Innovationen hervorbringen, die den Markt er-reichen. Sie werden mit Ihrer Innovationsstrategie eineBauchlandung machen.
Frau Kollegin Behm, erlauben Sie auch eine Zwi-
schenfrage der Kollegin Klöckner von der CDU/CSU-
Fraktion?
Ja, gerne.
Liebe Kollegin Behm, Sie sagten, Sie lehnen es ab, in
die Agrogentechnik Geld zu stecken. Aber ist es nicht
gerade Ihre Fraktion, die Fraktion der Grünen, die die
Anwendung der Grünen Gentechnik ablehnt mit dem
Hinweis, dass es nicht genug Forschung auf diesem Ge-
biet gebe?
Wir lehnen die Agrogentechnik nicht aus diesemGrund ab, sondern wir lehnen sie ab, weil wir die Hoheitüber unsere Teller und über unsere Äcker nicht großenMonopolen überlassen wollen.
Wir meinen, dass diese Innovationsmittel eher in anwen-dungsrelevante Anbau- und Züchtungsforschung ge-steckt werden müssen, und zwar nicht nur im Bereichnachwachsender Rohstoffe; denn damit kann man etwasfür die Zukunft der Landwirtschaft tun. Dies ist ange-sichts des Klimawandels dringend notwendig.Lassen Sie mich zur Gemeinschaftsaufgabe „Ver-besserung der Agrarstruktur und des Küstenschut-zes“ kommen. Dass Sie die Mittel für die GAK nach derAbsenkung um 50 Millionen Euro in diesem Jahr nichtweiter zusammenstreichen, ist kein Trost für den ländli-chen Raum; denn ab Januar 2007 wird die drastischeKgddHsShnzgmtdsFvzdphBmIGlzs2WLkgwgpfdgddrAghr
Metadaten/Kopzeile:
4432 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
Frau Behm, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme gleich zum Schluss. – Mit der Markt-
einführung regionaler Qualitätsprodukte kann man im
Übrigen durchaus etwas gegen Gammelfleischskandale
tun.
Sehr geehrter Herr Minister, liebe Kolleginnen und
Kollegen, noch ist es nicht zu spät. Gehen Sie in sich
und prüfen Sie den Agrarhaushalt auf seine Zukunftsfä-
higkeit. Denken Sie daran, dass wir hier nicht nur Politik
für die Städter machen, sondern dass etwa die Hälfte der
deutschen Bevölkerung im ländlichen Raum lebt. Diesen
Menschen können wir den Stuhl nicht vor die Tür set-
zen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Georg Schirmbeck von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Zwischenzeitlich hat es ja einige Aufgeregtheitengegeben. Allerdings muss man sich fragen, worüber wirhier eigentlich reden.
Wenn ich durch die Gegenden in Deutschland fahre,in denen die Landwirtschaft und die Ernährungswirt-schaft eine große Rolle spielen, dann sehe ich, dass dortneue Schweineställe, Hühnerställe und Kuhställe gebautwerden und Wurstfabriken, Salatfabriken, Gewürz-werke, Biogasanlagen, Sägewerke und Gärtnereien ent-stehen. Ich stelle fest, dass die Investoren im länd-lichen Raum Vertrauen in die Zukunft haben.
Das ist das Ergebnis der Arbeit eines souveränen Minis-ters und einer überzeugenden großen Koalition, also des-sen, was wir in den letzten neun Monaten auf den Weggebracht haben. Das wollten wir so und darauf sind wirstolz.
– Michael, du bist in einer schwierigen Situation. Wirbeide sind uns in den allermeisten Fragen ja durchaus ei-nig.
Du kannst nicht alles, was im Emsland – bei dir zuHause im Wahlkreis – geschieht, zur Kenntnis nehmen.Wenn du mit den Betriebsinhabern sprichst, dann wirstdu feststellen: Die Bauern – auch wenn es anders darge-snnDscDPlhHFAdbggDdKWdssgaHiiDHqmAizsagD
ie eine oder andere Gängelei durch die rot-grünen Ge-etze aus der Vergangenheit muss natürlich durch staatli-he Mittel ausgeglichen werden.
as kann dann zwischenzeitlich in einen kleinkariertenarteienstreit ausarten.Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass in Deutsch-and Tausende von Veterinären und Gesundheitsaufse-ern arbeiten, Zehntausende Betriebsinhaber leben undunderttausende von Menschen in den verschiedenenabriken und Anlagen einen guten Job machen. Für dierbeit, die sie leisten, sollten wir ihnen danken.
Manchmal habe ich den Eindruck: Wir verdrängen,ass wir das Glück haben, in der Hälfte der Welt zu le-en, in der man sich satt essen kann, während wir es ne-ieren, dass die halbe Menschheit schmachtet, um esanz deutlich und krass zu sagen. Wenn man so mancheiskussion in Ruhe verfolgt, gewinnt man den Eindruck,ass wir irgendwann so weit sind, vor einem vollenühlschrank mit den allerbesten Lebensmitteln dieserelt zu stehen, aber so hysterisch geworden zu sein,ass wir Angst haben, von diesen Lebensmitteln zu es-en, und stattdessen lieber verhungern. Manche Diskus-ionen führt man nur, wenn man einen solch vollen Ma-en hat, wie wir ihn haben. Auch das muss man einmaln dieser Stelle sagen.
Jetzt können Sie natürlich für den einen oder anderenaushaltstitel mehr Geld fordern. Über Geld diskutierech auch immer zu Hause mit meiner Frau. Das Ergebnisst: Es ist immer zu wenig Geld da.
arüber kann man lange reden. Fakt ist: Aus diesemaushalt werden nicht wesentlich mehr Mittel herauszu-uetschen sein. Wir werden für diesen Einzelplan nichtehr Geld bereitstellen können. Deshalb ist es unsereufgabe – das ist natürlich schwierig und das muss manntelligent anstellen –, auf Dauer mit weniger Geld mehru bewegen. Das gilt für jeden einzelnen Haushaltsan-atz. Darüber muss man diskutieren. Manchmal ist dasuch heilsam. Schließlich wissen wir, dass manche Pro-ramme und Ansätze rein gar nichts gebracht haben.iese müssen ganz einfach gestrichen werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4433
)
)
Georg Schirmbeck
Wir haben eine Verstetigung der Politik. Aus der mit-telfristigen Finanzplanung kann man ganz einfach er-sehen, dass im ländlichen Bereich mit den 615 MillionenEuro aus der GAK gerechnet werden kann. Das heißt,alle Bundesländer können kalkulieren, was zukünftig aufsie zukommt.
Manche sagen uns auch: Wir brauchen gar nicht mehrGeld. Wir müssen bloß wissen, was mittelfristig auf unszukommt. Wenn das berechenbar ist, können wir mit dereinen oder anderen Einschränkung leben.Aber bei der GAK – das habe ich schon bei den letz-ten Haushaltsberatungen gesagt – stellt sich mir an dereinen oder anderen Stelle die Frage, ob das nicht eineganz und gar undemokratische Einrichtung ist.
An der wirklichen Mittelverteilung sind weder der Bun-destag noch die Länderparlamente beteiligt. Daher mussman sich schon fragen, ob da nicht Beamte bürokra-tische Verteilungsorganismen aufbauen, sodass diese615 Millionen Euro gar nicht in dem vorgesehenen Um-fang dort ankommen, wo sie ankommen sollen. Es istunsere Aufgabe, das gezielt zu überprüfen. Es bringtnichts, nur zu sagen: Mein Gott, hier sind die Mittel ge-kürzt worden und wir brauchen mehr Geld. – Vielmehrmüssen wir ganz konkret auf die Effizienz achten, HerrKollege Goldmann. Das ist gleichzeitig die Antwort aufdie Frage, die Sie eben als Zwischenruf gestellt haben.
Angesichts all der Aufregung um die angeblichengroßen Kürzungen stelle ich mir die Frage, ob Sie dieVorlage vielleicht gar nicht gelesen haben. Der KollegeBahr hat es richtigerweise angesprochen: Nebelhaus-haltsansätze helfen nichts, wenn die Mittel gar nicht ab-fließen. Auch in der Vergangenheit hat es offensichtlichfür das eine oder andere Programm gar keine Notwen-digkeit gegeben.
Diese Programme werden an das angepasst, was sachge-recht ist. Da die Mittel dann auch berechenbar sind, kön-nen die Programme im Bereich des Verbraucherschutzesund in allen anderen Bereichen, die hier schon diskutiertworden sind, sehr gut laufen.Wir müssen natürlich auch noch über andere Dingediskutieren. Ein Beispiel: Die Unterstützung für Pro-gramme für Hilfsmaßnahmen in Osteuropa wird denEinzelplan nicht zu Fall bringen. Aber wenn wir sehen,dass es mittlerweile in Osteuropa Staaten gibt, die imGeld umkommen und bei uns sogar vorzeitig ihre Schul-den ablösen, dann stellt sich die Frage, ob beispielsweisefür das Elend in Kaliningrad – die deutsche Geschichteist hier natürlich emotional hoch belastet – nicht eherPGimtobcanbvtrwzdhuWwnwzzSeKcsbwrDzffhwKghMtSwB
Was ich damit sagen will, ist: Wenn es für die großeoalition in einem Politikbereich eine Erfolgsgeschichteibt, dann ist das in dem Bereich der Fall, über den wirier diskutiert haben. Das zeigt sich daran, dass derinister alle Säle füllt und die Leute, die die Veranstal-ung besucht haben, zufrieden nach Hause gehen. In deminne sollten wir gemeinsam weitermachen. Ich glaube,ir beide schaffen es, das auf den Weg zu bringen, Ernstahr.Herzlichen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
4434 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat das Wort die Kollegin Waltraud Wolff von der SPD-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich bin meinen beiden Haushältern HerrnBahr und Herrn Schirmbeck sehr dankbar – ich glaube,ich spreche auch im Namen beider Arbeitsgruppen –;denn der vorgelegte Haushaltsentwurf zeigt, dass dieschwarz-rote Bundesregierung von Kontinuität geprägtist: Dieser Haushaltsplan entspricht dem vorigen. Wasvon der Opposition in allen Teilen geäußert wurde,bringt mich dazu, festzustellen: Wenn Sie schon Redenhalten, dann sollten Sie wenigstens den AusführungenIhrer Vorredner bzw. des Herrn Ministers Seehofer fol-gen. Dann hätten Sie manche Äußerung nicht getan.
Die großen Posten wie die Gemeinschaftsaufgabe„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschut-zes“ oder die agrarsoziale Sicherung werden auf demdiesjährigen Niveau gehalten. Darauf werde ich späternoch eingehen.Ich möchte mit einem eher selten diskutierten Postendes Haushalts beginnen, nämlich dem Titel für Tagun-gen, Messen und Ausstellungen. Das hat heute nochniemand angesprochen, weil das Thema Gammelfleischim Vordergrund stand. Die Mittel für öffentliche Auf-tritte werden von 4,9 Millionen auf 6,6 Millionen Euroaufgestockt. Das halte ich für ausgesprochen wichtig.Ich denke dabei nur an die Werbung für deutsche Quali-tätsprodukte aus der Landwirtschaft. Aber auch die be-vorstehende EU-Ratspräsidentschaft wird hierbei si-cherlich eine Verpflichtung sein.Finnland, das zurzeit die EU-Präsidentschaft innehat,geht beherzt schwierige Themen wie die Transparenzini-tiative und den Bürokratieabbau an. Österreich hat sichin seiner Amtszeit im ersten Halbjahr 2006 verstärkt derEntwicklung der ländlichen Räume und der Biomassegewidmet.Nach allen Erfahrungen der letzten Monate und Jahrewäre eine Fokussierung auf den Verbraucherschutz bzw.auf die Verbraucherpolitik für die EU-Präsidentschaftunter deutschem Vorsitz ein hervorragendes Thema, weilsich auch die deutsche Bevölkerung damit identifizierenwürde. Ich glaube, das wäre ein sehr geeignetes Thema.
Trotz des sehr engen Spielraums des Haushalts wer-den die GAK-Mittel nicht weiter gesenkt. Aber in Zu-kunft gilt in wesentlich stärkerem Maße, dass wir haus-haltstechnisch die Mittel zur Verfügung stellen, die amwenigsten marktpolitisch verzerrende Wirkungen zei-gen. Die Agrarreform, die wir unter der Vorgängerregie-rung auch im Hinblick auf die WTO gemacht haben,wird sicherlich nicht der letzte Schritt sein, den wir inder Politik gehen, um die landwirtschaftliche Produktionund die Wertschöpfung in den ländlichen Räumen zu si-cAldlndnBLdgwBdEdhsd–sspittSiRhmmElebksDdsWsdvkbbbd
Im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe kann dieundesregierung gute Erfolge verzeichnen. So förderteas Bundesministerium mit insgesamt 50 Millionenuro verschiedene Projekte. Ich nenne als Beispiele nuren Einsatz biogener Schmierstoffe, Demonstrationsvor-aben der energetischen Nutzung nachwachsender Roh-toffe und den Einsatz der Biomasse. Ich weise zu Rechtarauf hin; denn der deutsche Energiebedarf wird schon das sollte man sich einmal auf der Zunge zergehen las-en – zu etwa 4 Prozent über die Biomasse gedeckt. Die-er Prozentsatz steigt und ist noch steigerbar.Der große Posten der landwirtschaftlichen Sozial-olitik macht – Sie sehen mir sicherlich nach, dass auchch zu diesem Thema Aussagen mache – den Löwenan-eil des Einzelplans 10 aus. Wir haben im Koalitionsver-rag die Reform der agrarsozialen Sicherung vereinbart.ie ist notwendig. Vor allem drängt die Zeit. Natürlichst es wichtig, dass diese Reform mit der allgemeineneform des Gesundheitswesens einhergeht. Wir könnenier nicht vorangehen, sondern müssen warten und ge-einsam den Weg gehen. Aber wir haben keine Zeitehr zu verlieren. Herr Geisen, Ihrer Forderung nachinführung eines kapitalgedeckten Verfahrens in derandwirtschaftlichen Unfallversicherung muss ich eineindeutige Absage erteilen. Versicherungen haben sichereits damit befasst und Gutachten erstellt. Demnachann der Bund die alten Lasten nicht übernehmen; denno etwas schüttelt man nicht einfach aus dem Ärmel.arauf weisen wir bereits seit Jahren hin. Zudem ist fürie Versicherten kein erkennbarer Nutzen durch die Um-tellung auf ein kapitalgedecktes Verfahren zu erwarten.enn wir eine Reform machen, sollten wir aber die Ver-icherten im Blick haben und nicht nur sehen, wie wiras Problem vom Tisch bekommen.
In allen Bereichen des landwirtschaftlichen Sozial-ersicherungssystems brauchen wir Beitragsgerechtig-eit, eine größere Transparenz und mehr Effizienz. Wirrauchen ein Konzept, bei dem die Interessen der Ar-eitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Träger im Blickehalten werden und das gleichzeitig gewährleistet, dassie Bundesländer mit im Boot sind. Aber noch einmal:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4435
)
)
Waltraud Wolff
Wir haben keine Zeit zu verlieren. Herr Minister, dieSPD steht in dieser Frage an Ihrer Seite.
Der Bundeshaushalt sieht vor, dass die Forschungs-mittel aufgestockt werden. Da Frau Behm vorhin vonKürzungen geredet hat, bin ich froh, dass HerrSchirmbeck das klargestellt hat. Ich finde, es ist ein gu-tes Zeichen, wenn wir die Einrichtungen und die Laborsso ausstatten, dass gute Arbeit geleistet werden kann.Fortschritt bei der Forschung bedeutet ein Plus fürUnternehmen. Daran besteht ein öffentliches Interesse.Nehmen wir als Beispiel die Impfung von Geflügel. Wiralle warten auf wirksame Impfstoffe, die Entwarnung inBezug auf die Vogelgrippe geben könnten. Das würdezum einen die Geflügelhalter aufatmen lassen, weil diesenicht in der Lage sind, die finanzielle Last zu tragen,wenn der ganze Geflügelbestand getötet werden muss.Die finanziellen Auswirkungen sind enorm und könntenvermieden werden, wenn man die Infektionskrankheit inden Griff bekommt. Zum anderen ist es mindestens ge-nauso wichtig, Schaden von der Bevölkerung abzuwen-den und die gesundheitliche Sicherheit der Bevölkerungzu gewährleisten. Deshalb müssen wir in hohem Maßein die verbraucherorientierte Forschung investieren.
Forschung soll effizient sein. Mittel können an Drittevergeben werden. So kann man bundesseitig sparen. Dienachgeordneten Einrichtungen des Bundes haben in denvergangenen zehn Jahren ungefähr 20 Prozent – sprich:800 Stellen – eingespart. Warum sage ich das? Den Be-hörden geht es um Inhalte und nicht darum, ob sie mög-licherweise bei der nächsten Ausschreibung wieder denZuschlag erhalten oder nicht. Die Neutralität ist für dasBundesministerium ganz sicher von großem Nutzen.Passen wir also auf, dass wir nicht an dem Ast sägen, aufdem wir sitzen.Absolut wichtig ist außerdem, die Verbraucherauf-klärung zu stärken. Auch hier haben wir die Mittel auf-gestockt. Wir haben im Laufe der Debatte gehört, wiewichtig es ist, für die Verbraucher zu sorgen und harteStrafen für eine gewisse Art von Wirtschaftskriminalitätzu verhängen. Ich glaube, dass Herr Minister Seehofermit dem Zehnpunkteprogramm die richtigen Stellschrau-ben gefunden hat. Ich glaube, man muss dieses Programmumsetzen. Das ist in der heutigen Debatte deutlich gewor-den. Die Länder haben den wichtigsten Part bei der Um-setzung: die Kontrollen. An dieser Stelle darf nicht ge-spart werden. Wir brauchen eine hohe Kontrolldichtesowie unangemeldete und konsequente Kontrollen. Zu-sätzlich sind länderübergreifende Qualitätskontrollen not-wendig. Wir haben mit dem Verbraucherinformationsge-setz die richtigen Schritte unternommen. Wenn derBundesrat im September hier noch etwas draufsattelt,dann freuen wir als SPD uns ganz besonders.
Ich hoffe, dass der Bundesrat zu solchen Konsequenzenkommt und wir im September den Bürgerinnen und Bür-gtwpGaBVmnWEsedNjgdk7KdqdndgmhsllPdIemfdd
Metadaten/Kopzeile:
4436 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Das ist an dieser Stelle und bei solchen Gelegenheitenschon oft gewürdigt worden. Die Arbeit, die wir ma-chen, bezieht sich oft auch darauf, dass wir uns bemü-hen, die Verwirklichung des sozialen Rechtsstaats durchGesetze sicherzustellen, auch und gerade im Bereich desVerbraucherschutzes. Ich will jetzt nicht über verdorbe-nes Fleisch und die Frage des Verbraucherschutzes re-den, sondern über andere Aspekte des Verbraucher-schutzes, nämlich über den Ausgleich des freien Spielsder Kräfte.Wir haben als Ideal des Wirtschaftslebens Vertrags-freiheit und Privatautonomie. Aber dieses freie Spiel derKräfte muss staatlich oft genug reguliert werden, um zueinem gerechten Ausgleich zu kommen. Die Verbrau-cher sind vielfach in einer schwächeren Position, wirt-schaftlich, strukturell und auch hinsichtlich der Informa-tionen. Tatsächlich ist es doch so: Wer einen Job odereine Wohnung dringend sucht, ist ein schlechter Ver-handlungspartner. Er kann nämlich nicht mit den Mus-keln spielen, schließlich ist er auf den Job oder die Woh-nung angewiesen. Ein Verbraucher, der sich mit einemGroßkonzern anlegen will, hat allein keine Chance. Wervor einem Vertragsschluss nicht über alle Risiken undDetails aufgeklärt wurde, der kann nicht frei entschei-den.Wir wollen aber Entscheidungsfreiheit und Selbstbe-stimmung der Verbraucherinnen und Verbrauchern stär-ken. Wir wollen den mündigen Verbraucher bzw. diemündige Verbraucherin. Daher sorgen wir zunächst da-für, dass jedermann einen freien Zugang zum Markt be-kommt. Diskriminierung soll und darf es in diesem Be-reich nicht geben.
Wenn Sie das hören, dann denken Sie alle natürlichgleich an das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, mitdem wir einen ersten wichtigen Schritt getan haben. Daswill ich aber gar nicht ausführen. Ich will sagen, dass esnoch zahlreiche andere Bereiche gibt, wo wir einen Be-darf an Lösungen sehen. Ich möchte als ein Beispiel dasThema Girokonto nennen. Ein solches Konto ermög-licht jedermann, am Wirtschaftsverkehr teilzunehmen;denn, wie Sie alle wissen, ohne ein Girokonto ist dieTeilnahme am Wirtschaftsleben heute so gut wie nichtmöglich. Jemand, der einen Job sucht und nicht angebenkann, auf welches Konto das Geld überwiesen werdensoll, hat auch nicht annähernd eine Chance, diesen Jobzu bekommen. Die Zeiten der Lohntüte sind lange vor-bei.
– Genau.SrmpSdtslRsücdnngsskvEBDmnmFSdzrgssdVfuBVisKgoz
Das gilt übrigens auch für das so genannte Scoring.ichtig ist natürlich: Wer einen Kredit haben will, mussich gefallen lassen, dass er auf seine Kreditwürdigkeitberprüft wird. Aber er sollte schon wissen, anhand wel-her Kriterien seine Bonität beurteilt wird; denn nurann kann er dafür sorgen, dass aus allgemeinen Datenicht Schlüsse gezogen werden, die für ihn selbst garicht zutreffen. Das heißt konkret: Wenn eine Bank auf-rund einer bestimmten Postleitzahl oder aufgrund be-timmter Straßennamen davon ausgeht, dass die Men-chen, die dort leben, nicht kreditwürdig sind, weil sieein so hohes Einkommen haben, dann ist das eine Formon Vorurteil, die wir nicht wollen. Wir sagen vielmehr:s muss im Einzelfall geprüft werden. Solche generelleneurteilungen darf es nicht geben.
as ist die Frage der Beteiligung oder des Zugangs.Eine andere Frage ist die: Wie können Verbraucheründig entscheiden? Mündig entscheiden können sieur, wenn sie hinreichende Informationen haben und da-it auch wissen, worüber sie entscheiden. Das ist einerage der Transparenz – ein Stichwort, das an diesertelle schon oft gefallen ist.Sie wissen, dass wir dem Bundeskabinett in Kürzeen Entwurf eines neuen Versicherungsvertragsgeset-es vorlegen werden. Dabei ist Ziel, dass die Versiche-ungen ihre Kunden künftig vor Abschluss eines Vertra-es besser beraten und informieren. Das Kleingedruckteoll man auch nicht erst mit dem Versicherungsschein,ondern bereits vorher bekommen. Wenn Anlass besteht,ann muss in Zukunft auch während eines laufendenertrages über Rechte aus dem Versicherungsvertrag in-ormiert werden. Wenn jemand zur Versicherung kommtnd sagt: „Ich kann aufgrund von Arbeitslosigkeit dieeiträge im Moment nicht weiter bezahlen und muss denertrag kündigen“, dann muss er beraten werden, dasshm gesagt wird: Man kann den Vertrag auch ruhen las-en; man muss ihn nicht gleich kündigen.Für mehr Transparenz wollen wir nicht zuletzt bei denosten sorgen. Beim Abschluss von Lebensversicherun-en ist die Verrechnung von Prämien und Provisionenft nicht erkennbar. Vor allem wird sie auf einen zu kur-en Zeitraum beschränkt. Das wollen wir offen legen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4437
)
)
Bundesministerin Brigitte ZypriesWir wollen den Verbraucherinnen und Verbrauchern da-mit deutlich machen, welche Kosten von ihnen zu tragensind.Verbraucherrechte spielen beim Abschluss von Ver-trägen eine große Rolle. Sie sollen auch im Laufe desVertrages beachtet werden und notfalls erstritten werdenkönnen. Dafür müssen wir – auch dafür ist das Rechts-wesen zuständig – im Zweifel den Einzelnen stärken,wenn es darum geht, seine Rechte durchzusetzen; denneiner gewissen Waffengleichheit bedarf es schon. Wirmachen das, indem wir Verbraucherverbände einbin-den. Das haben wir bei dem neuen AGG ebenfalls getan,wenn auch, zugegebenermaßen, sehr behutsam. Antidis-kriminierungsverbände können jetzt als Beistände vorGericht auftreten und Benachteiligte in Verfahren unter-stützen.Wir stellen noch weitere neue Instrumente zur Verfü-gung, damit auch diejenigen, die beispielsweise nur we-nige Aktienanteile haben, die Möglichkeit haben, sichzur Wehr zu setzen. Seit knapp einem Jahr zum Beispielsind Musterverfahren möglich, mit denen Anleger ihreSchadensersatzansprüche einfacher geltend machen kön-nen. Damit tragen wir der Tatsache Rechnung, dass esimmer mehr Menschen gibt, die Aktien als eine Formder Altersvorsorge halten. Wir haben beim elektroni-schen Bundesanzeiger ein Klageregister und ein Aktio-närsforum geschaffen, womit wir Kleinaktionären dieMöglichkeit geben, sich zu organisieren und abzuspre-chen.Maßnahmen des Verbraucherschutzes brauchen wir,um Verbraucher zum Teil auf Augenhöhe mit Großunter-nehmen zu bekommen. Ein Großunternehmen, über dasim Moment geredet wird, ist die Bahn. Sie wissen, dasses dort in vielen Bereichen noch eine Monopolstellunggibt und die Souveränität des Verbrauchers damit nichtsonderlich ausgeprägt ist; ein Wahlrecht gibt es nicht.Eine Debatte, die in diesem Zusammenhang im Mo-ment geführt wird, ist die über die Stärkung der Fahr-gastrechte im Bahnverkehr. Wir führen diese Debattesowohl auf nationaler Ebene als auch auf europäischerEbene. Innerhalb Deutschlands gab es gerade Vorschlägefür ein sehr ausdifferenziertes System der Schaden-ersatzzahlung bei Verspätung. Auf europäischer Ebeneist dieses System nicht so ausdifferenziert. Ausnahms-weise ist es einmal so, dass auf europäischer Ebene we-niger Bürokratie vorgesehen ist, was ja durchaus nichtimmer der Fall ist.Ich meine, dass wir Regelungen mit Augenmaß brau-chen, insbesondere in dem sehr stark subventioniertenNahverkehrsbereich. Wir müssen, wenn wir die Rege-lung nicht auf gravierende Fälle beschränken, überlegen,wem wir die Ersatzleistungen aufbürden. Denn wenn dieBahn Verspätung hat, weil sie, um die Sicherheit ihrerReisenden zu garantieren, herrenlos herumstehende Kof-fer kontrolliert und Bahnhöfe räumt, auch wenn sich dashinterher als nicht erforderlich herausstellt, oder weilsich Menschen – leider, muss man sagen – in großer An-zahl in Selbstmordabsicht vor die Züge werfen, wird sieals Unternehmen Ersatzleistungen nicht allein zu tragenhaben. Dann wird eine Debatte darüber eröffnet werdenmZTthrEdsbsgmonHAubhgsMdWpgeknanIgdesGdRtgavEAddssitsk
Metadaten/Kopzeile:
4438 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Es kann einen nur sehr beunruhigen, wenn man hört,dass es Urteile gäbe – Rasterfahndung, Lauschangriff,Luftsicherheitsgesetz –, die dringend wieder der Korrek-tur bedürften, weil sie zwar sehr wohl Grundrechtsrecht-sprechung beinhalten, aber Teilen der Praxis so nichtpassen.rVdddtLdesVwzhwGliGbdIvdglVrmwgdiswisswdnsgb
enn nur das schafft Vertrauen in die Politik. Dann sinds nicht nur verständliche Gesetze, sondern auch verfas-ungsrechtlich standfeste Gesetze. Es ist gerade für denerbraucher und für jeden Bürger bzw. jede Bürgerinichtig, wenn sie sehen, was der Gesetzgeber produ-iert. Deshalb muss alles getan werden, damit das Anse-en des Bundesverfassungsgerichtes nicht beschädigtird.Frau Ministerin, ich nehme gern auf, dass Sie sagen,esetze müssten lesbar, verständlich und – das ist wirk-ich das Entscheidende – handwerklich gut sein. Da darfch nur an das „handwerklich gut gemachte“ Allgemeineleichbehandlungsgesetz erinnern,
ei dem jetzt mit einer Nachbesserung endlich der Willees Parlaments in Gesetzesform gegossen werden muss.ch kann nur sagen: Das ist wirklich hochnotpeinlich; daersteht der Bürger Politik nicht mehr. Ich hoffe, dassas wirklich der einzige Ausreißer in dieser Dimensionewesen ist. So etwas hat es in der Gesetzgebung in denetzten Jahren nicht gegeben.
Das darf es natürlich nicht geben bei den wichtigenorhaben, die bevorstehen. Das Projekt der Urheber-echtsreform ist jetzt mit dem Gesetzentwurf des Justiz-inisteriums in die Debatte im Bundestag eingebrachtorden. Ich sage klar für die FDP-Fraktion: Wir haltenerade die Weiterentwicklung des Urheberrechtes miter Stärkung der Stellung des Urhebers in einer für ihnmmer schwieriger werdenden digitalen Informationsge-ellschaft für ganz wichtig. Deshalb ist es dringend not-endig, dass wir mit Sachverständigen diesen Entwurfn einigen Punkten wirklich offen, konstruktiv und – dasage ich für die FDP – kritisch erörtern. Wenn es in be-timmten Bereichen Änderungsvorschläge gibt, werdenir die Letzten sein, die nicht versuchen, gemeinsam miten anderen Fraktionen hier im Hause zu einem Ergeb-is zu kommen. Aber in der jetzigen Form darf der Ge-etzentwurf nicht bleiben; das sage ich an dieser Stelleanz deutlich.
Ein weiteres wichtiges gesellschaftspolitisches Vorha-en ist die Reform des Unterhaltsrechts. Es geht dabei
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4439
)
)
Sabine Leutheusser-Schnarrenbergerdarum, Kindern eine gesicherte, prioritäre Position imUnterhaltsrecht zu geben. Frau Ministerin, wir teilenzwar die Ansätze Ihres Entwurfs, den Sie vorgelegt ha-ben. Wir werden aber über Details reden müssen.Hier wird ein Stück weit ein Paradigmenwechsel vor-genommen. Die gesellschaftlichen Realitäten und Verän-derungen im Hinblick auf die Ehe mit und ohne Kinder,auf Familie und Erziehung werden aufgegriffen. Dieswird zu gewissen Einschränkungen bei Unterhaltsan-sprüchen derjenigen Ehepartner führen, die keine Kinderbetreuen; das müssen wir offen sagen. Ich denke, es gehtnicht anders, weil in den allermeisten Fällen nur Man-gelverwaltung möglich ist.Ich hoffe, dass dann auch der Streit in der CDU/CSUüber das moderne Familienbild, über Familie und Eheim 21. Jahrhundert beendet sein wird. Wenn wir den Be-treuungsunterhalt für allein erziehende und verheirateteMütter regeln werden, wird sich erweisen, wie moderndie CDU/CSU tatsächlich ist.
Wir werden uns konstruktiv in diese notwendigen gesell-schaftspolitischen Reformen einbringen.Lassen Sie mich zum Schluss kurz einen weiteren Be-reich ansprechen; leider habe ich keine Zeit mehr, näherdarauf einzugehen. Natürlich sind für die rechtsberaten-den freien Berufe in Deutschland entsprechende Rah-menbedingungen sehr wichtig. Wir verschließen uns Än-derungen, die jetzt unter anderem im Rahmen einesRechtsdienstleistungsgesetzes angedacht werden,nicht.Dies sollte aber in ein Gesamtkonzept eingebettetwerden. Wir müssen sehen: Es gibt viele andere Berei-che, die die rechtsberatenden freien Berufe genauso be-treffen, zum Beispiel die EU-Geldwäscherichtlinie oderder Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwaltund Mandant. Da hat sich eine Lücke aufgetan, wie wirin der Rechtsprechung sehen. Auch die Stärkung desSchwächeren durch den Anwalt muss eine Rolle spielen.Man muss sehen, durch welche Änderungen des Gesetz-entwurfes im Hinblick auf die Scheidung light dieser As-pekt eingebracht werden kann.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und binfroh, dass das nächste Jahr dieser Legislaturperiode derZeitpunkt für Entscheidungen zu wichtigen rechtspoliti-schen Vorhaben sein wird.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Jürgen Gehb von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ichmich der Agenda unserer Themen für die kommendenMnfdsemgrIrgrgmssbRzrmuldRedgwfgbGwwkstokdphtAg
Für die zweite Hälfte des Jahres stehen ebenso wich-ige Themen auf der Agenda der Rechtspolitik. Ohnenspruch auf Vollständigkeit zu erheben, will ich nur sa-en: Wir werden uns auch und ganz sicher der Stärkung
Metadaten/Kopzeile:
4440 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Dr. Jürgen Gehbder Verbraucherrechte annehmen – und dies nicht nurim Zusammenhang mit dem Stichwort Gammelfleisch.
Bei der Neuregelung des Rechtsdienstleistungsgeset-zes wird es für uns Christdemokraten oberste Maximesein, die hohe Qualität der Rechtsberatung in unseremLand für den rechtsuchenden Bürger zu erhalten.
Daher darf auch zukünftig der qualifizierte und umfas-sende Rechtsrat nur von Rechtsanwälten und Rechtsan-wältinnen erbracht werden.
Es nützt auch nichts – da bin ich nicht so ganz konformmit meiner Justizministerin –: Rechtsanwälte oderLeute, die vielleicht rechtskundig, aber keine zugelasse-nen Anwälte sind, sollten auch nicht kostenlos irgendje-mandem Rechtsrat erteilen können. Wer haftet denn hin-terher? Es gibt weder eine Haftpflichtversicherung nochgibt es ein Aussageverweigerungsrecht. Diese Personenunterliegen nicht der Verschwiegenheitspflicht. Nie-mand käme auf die Idee, selbst einen guten Piloten beieinem Segelflugzeug einen Jumbojet fliegen zu lassen.
Diesen Schutz sind wir allen Verbrauchern schuldig.Dies schließt gewisse Öffnungen des anwaltlichen Bera-tungsmonopols nicht aus; das ist ganz klar. Es gibt eineeuropäische Richtlinie – aber alles mit Augenmaß. Daswerden wir in der gewohnten Gemeinsamkeit hinbekom-men.Gegenüber den Bürgern stehen wir im Wort, alles zutun, damit schwere und schwerste Verbrechen aufgeklärtwerden können. Ich bin froh, dass wir bei der Nutzungder DNA-Analyse – das ist ein naturwissenschaftlicherQuantensprung – weitergekommen sind, und sprechemich mit Blick auf die FDP ausdrücklich dafür aus, zu-künftig auch Mautdaten zur Aufklärung schwerer undschwerster Verbrechen nutzbar zu machen.
Auch hier gilt: Diese Daten sollen nicht zur Aufklä-rung von Ladendiebstählen oder von Schwarzarbeit ge-nutzt werden. Entsprechende Presseerklärungen, FrauKollegin Dyckmans, liebe Mechthild, oder HerrFriedrich, muten schon zynisch an. Ich finde, mankönnte den Mut aufbringen, den Eltern der getötetenKinder zu sagen, dass man hier Mörder mit Schwarz-arbeitern oder Ladendieben gleichsetzen will. Das istnicht unser Ziel. Deswegen bitte ich darum, dass wir esendlich wahr machen, dass Datenschutz nicht Täter-schutz sein kann und dass Opferschutz vor Datenschutzgeht.smF–sbtddsdreeUwdJbfugwdbDaemPrnMskwkmPeSAldM
ibt es nun einen weiteren hausinternen Diskussionsent-urf des Bundesjustizministeriums zur GmbH-Reform,er kurz vor der Sommerpause das Licht der Welt er-lickt hat.
ieser Entwurf greift viele regelungsbedürftige Fragenuf, ist solide und gut, was aber nicht heißt, dass man ausinem guten Entwurf nicht auch noch einen besserenachen kann.Nun stehen wir am Beginn der Diskussion und da wirarlamentarier nicht die Erfüllungsgehilfen der Ministe-ialbürokratie sind – so jedenfalls mein ganz bescheide-es Selbstverständnis; das teile ich vielleicht mit derehrheit des Hauses –,
ollten wir uns auch ganz selbstbewusst an dieser Dis-ussion beteiligen. Dies sollten wir auch deswegen tun,eil die Reform unseres deutschen Gesellschaftsrechtseine Kleinigkeit ist. Lange lebten wir in Deutschlandit unserem Gesellschaftsrecht abgeschottet in einer Artaradies. Da gab es neben der GmbH als Golf-Klasse diebenfalls wohlangesehene Aktiengesellschaft quasi als-Klasse. Aber attraktive Kleinwagen waren nicht imngebot und entsprechenden Modellen aus dem Aus-and war der Zutritt zum deutschen Markt nicht gestattet.All dies ist Vergangenheit. Nach mehreren Urteilenes Europäischen Gerichtshofs sind diese schützendenauern weg. Jedem Firmengründer in unserem Land
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4441
)
)
Dr. Jürgen Gehbstehen alle in der EU angebotenen Gesellschaftsformenzur Verfügung. Es wird in unserem Land bei ausländi-schen Modellen auch rege zugegriffen. Wenn sich in un-serem Land Monat für Monat über 1 000 Unternehmerentscheiden, eine britische Limited als Gesellschafts-form zu wählen, dann müssen wir uns als deutscher Ge-setzgeber die Frage gefallen lassen, warum und wiesosie dies tun. Wir müssen uns auch die Frage stellen, obwir hierauf eine geeignete Antwort geben wollen, indemwir beispielsweise unsere Angebotspalette heimischerRechtsformen erweitern.Wir stehen also in Europa in einem rauen, harten undechten Wettbewerb nicht nur der Güterproduktionen undder Dienstleistungen, sondern auch der Rechtsformen.Vor diesem Hintergrund ist die notwendige Reform un-seres Gesellschaftsrechts wichtig, richtig und viel bedeu-tungsvoller, als manche dies im ersten Augenblick mei-nen. Daher sind zumindest die Rechtspolitiker der Unionder Überzeugung, dass die aus der Feder eines Ministe-rialbeamten stammenden Vorschläge zur GmbH-Re-form an vielen Stellen nützlich und auch interessantsind, aber beispielsweise keine überzeugende Lösunghinsichtlich des Problems der britischen Limited darstel-len. Wir sind der festen Überzeugung, dass es dazu ne-ben der wohl etablierten GmbH einer zusätzlichen, einerneuen, einer extrem einfach geregelten sowie einerpreiswerten Gesellschaftsform bedarf.
Diese neue Gesellschaft soll ganz bewusst ein Aliudzur bestehenden GmbH sein: klein, preiswert, selbstbe-wusst und anspruchsvoll. Nennen wir sie einmal Unter-nehmergesellschaft. Wir wollen die notwendige Re-form unseres Gesellschaftsrechts sozusagen in der Formeines Zweisäulenmodells.Erlauben Sie mir – es soll keine Exegese werden –,Ihnen wichtige Eckpunkte unserer Überlegungen zu die-ser neuen Gesellschaftsform kurz mitzuteilen: kurzeGründungszeit, Eintragung im Handelsregister innerhalbvon 24 Stunden,
kein Mindestkapital und Gründungskosten in Höhe vonmaximal 100 Euro. Es soll noch eine Reihe anderer Er-leichterungen in der Gründungsphase geben.All das muss natürlich mit den Regeln des Gläubi-gerschutzes korrespondieren. Es ist etwa an erweitertePflichtangaben – ich nenne die Stichworte Geschäfts-briefe und Internet – gedacht. Ausschüttungen sollen nuraus Gewinnen erfolgen, eventuell unter der zusätzlichenVoraussetzung eines Solvenztests. Außerdem ist an eineGesellschafterhaftung wie bei der GmbH und zusätzlichbeim Vorliegen einer evidenten Unterkapitalisierung ge-dacht.Die Insolvenz ist ein kritischer Fall. Dabei geht es imDurchschnitt um Beträge in Höhe von 800 000 Euro.Die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit soll gegebensein, wenn die Gesellschaft mit der Erfüllung einer For-derung in Höhe von mindestens 600 Euro länger als vierWkfsiGmvGdvgssWsAMKMNrLngFDtssrSbraudekeSU
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Metadaten/Kopzeile:
4442 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Ganz überwiegend aufgrund dieser Entwicklungenstehen die Töchter und Söhne der einst händeringend ge-suchten Industriearbeiter heute ohne Erwerbsarbeit da.Noch im Jahre 1999 stellte die sozialdemokratische Jus-tizministerin, Frau Dr. Herta Däubler-Gmelin, im „Vor-wärts“ fest, es komme nun darauf an, die Schwachen zuschützen. Für Erinnerungsschwache eine Seh- und Erin-nerungshilfe aus dem „Vorwärts“.
Wörtlich heißt es:Deshalb stehen der Schutz der Schwachen durchdas Recht und die Grundwerte des Sozial- undRechtstaates im Vordergrund meiner Politik.Das finde ich gut. Das findet unsere Unterstützung.
Die rot-grüne Koalition hingegen reagierte auf die ge-schilderte Entwicklung ganz anders. Sie antwortete aufdie Fragen der Zeit mit einer hilflosen Doppelstrategie:Einerseits versuchte sie vergeblich, den Verbleib vonUnternehmen im Inland durch Anreize zu befördern,zum Beispiel indem sie die Steuern für Unternehmenund Bezieher hoher Einkommen senkte. Sie verzichtetedamit „erfolgreich“ auf staatliche Einnahmen in Milliar-denhöhe, die heute nicht zuletzt bei der Finanzierung derSozialsysteme fehlen.Zweitens verringerte und verringert die alte und neuepolitische Mehrheit die individuell gewährten sozialenLeistungen des Staates. Sie setzt dem breiten Bedarf anstaatlicher Unterstützung möglichst schmale Ausgabenentgegen. Vielleicht möchten Sie nun einwenden, diedeutsche Politik könne schließlich nichts für die verän-derten Umgebungsvariablen ihrer Entscheidungen.
Automatisierung und Globalisierung hätten doch nichtdie deutsche Politik zu verantworten und es sei schließ-lich aussichtslos, diese Prozesse zu blockieren.
Vielleicht ist das ein Teil der Wahrheit. Es ist aber höchs-tens ein Teil und nicht ihr Kern. Niemand könnte weni-gdKasekDiisaddvfdHzgDaszvBvriüäsfdüLAaeUulzzk
er zweite Schlag ist die Kürzung der staatlichen Hilfen dieser Situation. Diesen zweiten Schlag führen Sie. Erst politisch gewollt. Politische Entscheidungen habenich auch vor den Grundsätzen der Gerechtigkeit zu ver-ntworten.
Es ist ein unbezweifelbares Prinzip der Gerechtigkeit,ass die Folgen eines Übels niemals den treffen dürfen,er zu diesem Übel keine Ursache gesetzt hat. Hartz IVerletzt dieses Prinzip. Auch die neuerliche Verschär-ung von Hartz IV verletzt dieses Prinzip. Dieses Prinziproht nun erneut verletzt zu werden. Vermutlich noch imerbst werden wir über zwei Entwürfe des Bundesratesur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und zur Be-renzung der Prozesskostenhilfe zu entscheiden haben.
iese Entwürfe sind ebenfalls in jenem Geist des Stolzesuf die eigene Härte geschrieben. Auch Sie schmückenich eitel damit, den Mut für das längst Überfällige auf-ubringen.Das PKH-Begrenzungsgesetz bezweckt, die Prüfungon Prozesskostenhilfe auch für große Teile der ärmerenevölkerungsschichten von einer Bearbeitungsgebühron 50 Euro abhängig zu machen. Hier wird die un-ühmliche Idee der Praxisgebühr im Gesundheitswesenn gesteigerter Form auf den Zugang zu den Gerichtenbertragen. Diese und die weiteren beabsichtigten Ver-nderungen laufen letztlich darauf hinaus – der VdKtellte das in einer Presseerklärung am 17. Juli 2006est –, das vor 26 Jahren abgeschaffte Armenrecht wie-er einzuführen. Die Entwurfsersteller wollen mit längstberwundenen Konzepten aus der Vergangenheit diesesand fit für die Zukunft machen. Das muss scheitern.nachronismus gestaltet keine Zukunft.
Das Sozialgerichtsänderungsgesetz sieht darüber hin-us vor, eine allgemeine Gebühr für klagende Bürgerinzuführen. Grundsätzlich soll diese Gebühr im Fall desnterliegens 75 Euro betragen. Während also Hartz IVnd seine Verschärfung die Erwerbslosen auf das abso-ute Minimum der Lebensführung zurückdrängen, be-wecken diese Entwürfe, den Leistungsempfänger dazuu bewegen, darauf zu verzichten, um die Rechtmäßig-eit seines Leistungsbescheides zu prozessieren.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4443
)
)
Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković
Wer am Existenzminimum lebt, führt kein Sparbuch fürmögliche Rechtsstreitigkeiten. Wer wenig im Leben hat,braucht viel im Recht. Er ist ohne staatliche Hilfe prak-tisch völlig rechtlos, wenn es zum Streit kommt.
Ich sehe keinen Anlass zu dem geschilderten Stolz aufdie eigene Härte. Ich kann bei denjenigen, die diese Ge-setzgebung zu verantworten haben, und bei denjenigen,die die geschilderten Entwürfe auf den Weg gebracht ha-ben, keinen Mut ausmachen. Die Kürzung der sozialenLeistungen und nun auch der Rechtsweggarantie trifftdie Schwachen und Schwächsten der Gesellschaft.
Welcher Mut gehört dazu, von denen zu nehmen, diesich kaum wehren können? Welchen Mut bringt manauf, wenn man ihnen auch noch die gerichtliche Gegen-wehr nimmt? Was ist das für ein Mut, der sich darin ge-fällt, das Ungerechte zu tun? Mut hätte es erfordert, eineGesetzgebung auf die Beine zu stellen, aus der herausdie Menschen dieses Landes die Folgen des von mir ein-gangs beschriebenen ökonomischen Wandels gemein-sam tragen. Mut hätte es erfordert, zur Abfederung derBelastungen des sozialen Systems die Bezieher hoherund höchster Einkommen heranzuziehen. Es wäre ge-recht gewesen, so zu verfahren. Diesen Einkommens-gruppen bescheren die Effektivierung der Produktionund die Erschließung globaler Märkte jährlich beachtli-che Gewinne. Diese Strategie hätte den Willen der Ge-sellschaft zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit ander richtigen Stelle auf die Probe gestellt. Diese Strategiehätte echten Anlass zu Stolz gegeben.
Nur so hätten Sie Ihre Mutfähigkeit im sozialen und imchristlichen Sinne und den sich daraus ergebenden not-wendigen Willen zur sozialen Gerechtigkeit unter Be-weis stellen können.Ich habe am 1. Juli 2006 einen Brief von einemGöttinger Bürger erhalten, aus dem ich zum Abschlusszitieren möchte:
Ich habe, während ich aufwuchs, gelernt, wassoziale Verantwortung meint und bedeutet.
– Haben Sie doch wenigstens so viel Respekt, einemBürger, der mir geschrieben hat, zuzuhören.
Der Geist des Grundgesetzes, so wie ich es verstan-den habe, gab mir bei diesem Gefühl stets Recht.Da ging es um Fairness und wer kann schon gegen–zbesSSFbwztDghii
Es wäre gut, wenn Sie sich solche Gedanken zu Her-en nehmen würden. Das wäre etwas für Ihr Kopfkissenzw. für morgens nach dem Aufwachen.
Sie erodieren, wenn sie nicht fortwährend … vertei-digt werden. Tatsächlich nehme ich heute wahr,dass fundamentale Grundprinzipien des Zusam-menlebens in diesem Land offen von der regieren-den Politik torpediert werden.
Abschließend möchte ich feststellen: Mir ist nichtntgangen, dass die Bundesregierung zu den hier kriti-ierten Gesetzentwürfen zur PKH-Begrenzung und zurozialgerichtsgebühr ihrerseits kritische bis ablehnendetellungnahmen abgegeben hat.
rau Zypries, ich kann Ihnen nur die Kraft wünschen,
ei dieser Notbremsung zu bleiben, damit der schon er-ähnte sozialdemokratische Grundsatz, die Schwachenu schützen, nicht endgültig im Museum sozialdemokra-ischer Grundwerte verschwindet.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Jerzy Montag, Bündnis 90/
ie Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-en! Ich werde jetzt versuchen, im Rahmen der Haus-altsdebatte zur Rechtspolitik zurückzukehren.
Seitdem ich im Bundestag bin, haben sich die Zahlenm Haushalt des Bundesjustizministeriums und auch dien Einzelplan 19 – Bundesverfassungsgericht – nicht
Metadaten/Kopzeile:
4444 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Jerzy Montagwesentlich geändert. Sie sind so solide wie seit vielenJahren.Vielleicht sollte ich an die Adresse der Union sagen:Selbst die Union hat die ideologisch verbrämten An-griffe auf einzelne Posten im Haushalt des Bundesjustiz-ministeriums, die wir noch aus der rot-grünen Regie-rungszeit kennen, inzwischen aufgegeben.
Es scheint bezüglich des Haushalts des BMJ mittler-weile große Einigkeit zu herrschen. Es ist immer nochso, dass sich die Finanzen des Bundesjustizministeri-ums im Vergleich zum Gesamthaushalt im Promillebe-reich bewegen. Es ist immer noch so, dass jeder Bürgerdieses Staates auf Bundesebene einige Cent im Jahr fürdie Justiz ausgibt und auf Landesebene weniger als füreinen Kinobesuch pro Jahr.In diesem Zusammenhang möchte ich den KollegenDr. Röttgen, den früheren rechtspolitischen Sprecher derUnion, zitieren, der hier im Bundestag gesagt hat:Der Stellenwert der Rechtspolitik wird nicht inGeld bemessen. Er drückt sich … darin aus, welcheBedeutung die Politik … dem Recht … als gestal-tende Antwort auf gesellschaftliche Entwicklungenbeimisst.
Meine Damen und Herren, der zweite, wortgewaltigeSatz versperrt die Sicht darauf, dass der erste falsch ist.Zur Rechtsstaatlichkeit in einer Gesellschaft gehört eineJustiz. Deshalb ist Rechtspolitik dann gut, wenn sie dieJustiz, konkret die Staatsanwaltschaften und die Ge-richte, bei der Bewältigung ihrer Aufgaben nicht alleinelässt. So gesehen lässt sich Rechtspolitik selbstverständ-lich nicht ohne Geld machen und denken.Im März dieses Jahres habe ich in der Debatte überden Haushalt 2006 das Bundesverfassungsgericht zi-tiert. Diese Passage will ich an dieser Stelle, da sichnichts geändert hat, ausdrücklich wiederholen. Das Bun-desverfassungsgericht hat in einigen Fällen mutmaßlicheStraftäter aus der Haft entlassen und dazu gesagt:Die Überlastung eines Gerichts fällt in den Verant-wortungsbereich der staatlich verfassten Gemein-schaft … Hilft der Staat der Überlastung der Ge-richte nicht ab, so muss er … seinen … Bürgernerklären, dass mutmaßliche Straftäter … sich derStrafverfolgung … entziehen und erneut Strafta-ten … begehen.Ich sage: Es hat sich nichts geändert. Im Dezemberletzten Jahres hat der Fünfte Strafsenat des Bundesge-richtshofs unter seiner Vorsitzenden Frau Harms, diejetzt Generalbundesanwältin geworden ist, in dem Revi-sionsverfahren zum Kölner Müllskandal Folgendes ge-sagt: In vielen großen Wirtschaftsstrafverfahren kanneine adäquate Aufklärung und Bestrafung nicht erfolgen,weil hierfür die ausreichenden justiziellen Ressourcennicht zur Verfügung stehen. Alleine bessere finanzielleAksDRrdARwSüDagw2saDKdtRPhrhlDduaI
Nun kann man natürlich sagen: Die geforderte Aus-tattung ist Ländersache.
as ist richtig. Aber es ist eine nationale Aufgabe derechtspolitik, hier Druck auszuüben, konkrete Forde-ungen zu stellen, ein Engagement der Länder einzufor-ern. Gute Rechtspolitik wäre es, hier aktiv zu werden.ber dies geschieht nicht.
echtspolitik hat in diesem Hause leider keinen Stellen-ert mehr.
ie kommt im Koalitionsvertrag als eigener Abschnittberhaupt nicht vor.
iese Bundesregierung hat inzwischen die Rechtspolitikls eine rechtsstaatliche, grundrechtsorientierte, die Bür-errechte schützende Kraft abgeschrieben. Ich zitiere,as Bundesjustizministerin Zypries am 14. November005 zur Koalitionsvereinbarung gesagt hat: Rechts-taatlichkeit und Grundrechtsschutz sind der Maßstab,n dem sich die große Koalition messen lassen muss. –iese Worte sind einsam in der Debatte der großenoalition um die großen, notwendigen Aufgaben, die iniesem Hause zu bewältigen wären.
Ich sage an dieser Stelle: Messen wir die große Koali-ion doch daran, was sie in den ersten elf Monaten in derechtspolitik angerichtet hat! Ich komme zum erstenunkt, zur Föderalismusreform. Ihre übergroße Mehr-eit wurde genutzt, um das Grundgesetz – Sie haben da-auf hingewiesen, Herr Gehb – umfänglich und fast zuundert Prozent gegen den ausdrücklichen Vorschlag al-er geladenen Sachverständigen zu verändern.
azu hat Ihre Mehrheit genützt. Aber die Kraft, dabeiie Einheit des Rechts auf nationaler Ebene zu wahrennd es rechtsstaatlich auszubauen, hatte diese große Ko-lition nicht.
ch will dafür nur ein einziges Beispiel anführen:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4445
)
)
Jerzy MontagDas Bundesjustizministerium hat mit seinen Gesetzent-würfen zu Untersuchungshaft und Jugendstrafvollzugnicht nur eine jahrzehntelang versäumte Aufgabe erfüllt,sondern durchaus auch ein Zeichen gesetzt.
Doch es hat keine Kraft in Ihrer übergroßen Koalitiongegeben, diese nationale Aufgabe einer einheitlichenRegelung des Vollzugs der Untersuchungshaft und desJugendstrafvollzugs beim Bund zu belassen. Sie habendiese Rechtsmaterie billig verscherbelt und damit derRechtspolitik und auch den betroffenen Menschen ge-schadet.
Die Kritiker dieser Entwicklung haben einen „Wettlaufder Schäbigkeit“ angekündigt.
Dieser „Wettlauf der Schäbigkeit“ hat bereits begonnen.
Die ersten Entwürfe, aus Bayern und aus Baden-Württemberg, zur Regelung dieser Materie auf Landes-ebene zeigen, wohin die Reise geht: Es wird in Deutsch-land nur noch Strafvollzug nach Kassenlage geben.
Frau Bundesjustizministerin Zypries, Sie haben auf die-sem Gebiet – und dies ist nur ein Beispiel – Rechtsstaat-lichkeit und Grundrechtsschutz eben nicht wahren kön-nen.Ich will ein zweites Beispiel aus den ersten elf Mona-ten nennen: das Antidiskriminierungsgesetz, das Sie in„Allgemeines Gleichstellungsgesetz“ umbenannt haben.Man muss ja froh sein, dass sich die Rechtspolitik derUnion in diesem Gesetzentwurf nur marginal verwirk-licht hat. Bis zur letzten Nacht, der entscheidendenRechtsausschusssitzung, bestand der Beitrag von Ihnenvon der Union in der Namensänderung.
Dann ist das Chaos der großen Koalition über dieses Ge-setz gekommen. Sie haben die seit vielen Jahren be-währte Regel der Beweislastverteilung im bisherigen§ 611 a Abs. 1 Satz 3 BGB, die wir wortwörtlich in dasursprüngliche ADG übertragen haben, so verhunzt, dassder rechtspolitische Sprecher der Union erklärte, erkönne sich jetzt auf keiner juristischen Fachtagung mehrsehen lassen, ohne zum Gespött zu werden.
adurch erklärt sich vielleicht auch, wer für diese Ver-chlimmbesserung in der Koalition wahrscheinlich dieerantwortung trägt.Dafür hat die Union aber heldenhaft und erfolgreichekämpft, die Weltanschauung in letzter Sekunde ausem Gesetz zu streichen. Das Bundesjustizministeriumar aber nicht in der Lage, diesen Auftrag durchzufüh-en, weswegen es bald zu einem Bereinigungsgesetzommen wird.
ch sage Ihnen: Wenn es nicht zum Weinen wäre, dannürden wir als Opposition uns nicht nur klammheim-ich, sondern offen über Ihren Murks freuen können.
Europäischer Haftbefehl: Es wäre wirklich denchweiß der Edlen wert gewesen, sich darüber Gedan-en zu machen, wie man die Entscheidung des Bundes-erfassungsgerichts in ein vernünftiges Gesetz gießt.tattdessen haben Sie ganze Absätze der Entscheidunges Bundesverfassungsgerichts wortwörtlich ins Gesetzeschrieben
nd damit nicht zur Klärung des Sachverhalts beigetra-en. Über alle vernünftigen Vorschläge, im zweiten An-auf ein besseres Gesetz zu machen, haben Sie imechtsausschuss nicht einmal diskutiert, sondern Sie ha-en sie mit Ihrer übergroßen Mehrheit stillschweigendbgelehnt.Ich könnte etwas zur Vorratsdatenspeicherung sagen.
ch könnte auch etwas zum elektronischen Handelsre-ister sagen. Das ist ein ganz interessantes Gesetz, wel-hes die deutsche Wirtschaft dringend braucht. Wir wa-en eigentlich schon so gut wie fertig damit, bis dashaos der großen Koalition wiederum zugeschlagen hatnd Sie den Gesetzentwurf, der mit uns allen bereits ab-estimmt war, in letzter Sekunde wieder zurückgezogenaben. Kein Mensch weiß, wo er geblieben ist. Er isticht wieder aufgetaucht.Ich könnte über das Stalking reden. Es ist eine Ver-ohnepipelung des Bundestages, dass Sie eine Anhörungber ein Gesetz des Bundesrates, das dem Inhalt nachurückgezogen worden ist, und über ein Gesetz der Bun-esregierung, das ebenfalls zurückgezogen worden ist,urchführen wollen, während Sie das Gesetz, das Sie ei-entlich verabschieden wollen, noch niemandem vorge-tellt haben. Über so etwas sollen wir im September imechtsausschuss beraten!
Metadaten/Kopzeile:
4446 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Jerzy MontagMeine Damen und Herren, alles, was wir bisher vonder Rechtspolitik der großen Koalition gehört haben undwas angekündigt wird – von der Kronzeugenregelungbis zur nachträglichen Sicherungsverwahrung –, lässtnichts Gutes vermuten. Deswegen sage ich Ihnen:Rechtspolitik ist in Ihren Händen nicht mehr gut aufge-hoben.
Das Wort hat der Kollege Lothar Binding, SPD-Frak-
tion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Gäste! Ich möchte nichts zur Rechtspo-litik, sondern etwas zu einzelnen Bereichen und demZahlenwerk dieses kleinen Haushalts sagen. Bevor ichdazu komme, möchte ich aber Herrn Nešković gern eineQuizaufgabe stellen, nachdem er in diesem Hause wie-derholt davon gesprochen hat, in welcher Art die Rei-chen besteuert und entlastet werden.Nehmen Sie einen Millionär, der im Jahre 1998 ziem-lich genau null D-Mark an Steuern gezahlt hat. NehmenSie eine steuerpolitische Maßnahme, zum Beispiel dieSenkung des Spitzensteuersatzes! Nennen Sie weitereMaßnahmen! Es ist jetzt Ihre Aufgabe, diese zu finden.Betrachten Sie jetzt den gleichen Millionär imJahre 2004, der plötzlich sehr viel mehr Steuern zahlt– in einer Größenordnung von 20 Prozent und manchmalmehr –, obwohl wir den Spitzensteuersatz gesenkt ha-ben. Ich gebe Ihnen diese Aufgabe zum Lösen, damit Sieerkennen, wie die Steuerpolitik wirken kann, wenn mannicht nur den Steuersatz, sondern gleichzeitig auch nochdie Bemessungsgrundlage berücksichtigt.
Ich denke, die Lösung dieser Aufgabe dient auch dazu,den Bürgern die Wahrheit nicht zu verschweigen.
Im Zweifelsfall hilft Ihnen auch der Kollege in der PDS,der Millionär ist, um Ihnen zu erklären, wie so etwasfunktioniert.
Gemessen an den großen Aufgaben des BMJ und desBundesverfassungsgerichts ist der Haushalt – wir habendas schon gehört – extrem klein. Ich will kurz anspre-chen, was in diesem Haushalt subsumiert ist und haus-halterisch veranlagt wird: der Bundesgerichtshof, derGeneralbundesanwalt, das Bundesverwaltungsgericht,der Bundesfinanzhof, das Bundespatentgericht sowiedas Deutsche Patent- und Markenamt. Man sieht, es istein sehr großes Arbeitsfeld. Damit lässt sich leicht erklä-ren, dass mehr als 80 Prozent der Mittel in diesem Haus-halt Personalkosten sind. Daraus folgt umgekehrt – dasist ein Nachteil im Hinblick auf die Flexibilität und dieFztgBdBianhddVmerw–wsmDuamEBbWmpwczSsmdkAddHAsttnB
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4447
)
)
: Sie sind befangen!)
ie müssen genau darauf achten, welches Verbraucher-ild Sie bei diesem Gesetz haben, Frau Ministerin. Dasilt übrigens auch für die Scheidung light. Glauben Sieirklich, dass ein Bürger, der zur Bank geht, im Allge-einen meint, die Bank sei sein Gegner, die sein Geldolle? Oder glauben Sie, dass die Mehrheit der Men-chen davon ausgeht, dass die Bank ihnen hilft? Ich er-ebe es im Zusammenhang mit Rechtschutzversicherun-en immer wieder: Die Leute erzählen mir, ihreechtschutzversicherung habe ihnen gesagt, das geheuch so; das sei gar nicht anders möglich. Dass dieseuskunft der Rechtschutzversicherungen nie nachzu-eisen ist – sie werden das sofort bestreiten; wahr-cheinlich bekomme ich gleich entsprechende Faxe insüro –, ist klar. Sie würden nie offiziell eine solche Aus-unft geben. Aber sie haben ihre eigenen Interessen.enn sie aber in rechtsgeschäftlichen Fragen bzw. in derechtsberatung eigene Interessen haben, dann wird imrgebnis immer ein Makel festzustellen sein.Das stört mich als Anwalt eigentlich nicht. Ich habeuch keine Angst, dass wir als Feld-, Wald- und Wiesen-nwälte weniger Mandate bekommen.
m Gegenteil: All das, was im Rechtsdienstleistungsge-etz steht, wird dazu führen, dass ich mehr Regresspro-esse führen kann. Wenn ich Glück habe, habe ich – fallss sich um eine Bank oder eine Rechtschutzversicherungandelt – auch noch einen solventen und potenten Zah-er, an den ich mich wenden kann. In solchen Fällenann ich den Mandanten sagen, sie könnten froh sein,ass der etwas falsch gemacht hat.
Metadaten/Kopzeile:
4448 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Otto Fricke– Lieber Herr Kollege, die Frage des Regresses geradegegenüber Großen ist eine der wesentlichen Aufgaben,die ein Anwalt bei kleinen Bürgern – wie man so schönsagt – wahrnehmen sollte und die er mit viel größererFreude wahrnimmt, als sich beim Nachbarschaftsstreitdamit auseinander zu setzen, wer denn nun Recht hatund wo und wie der Baum beschnitten werden muss.
Was die Argumentation im Zusammenhang mit derNebenleistung angeht, Frau Ministerin, halte ich diesesKriterium – ich kenne die Diskussion; sie ist sehr um-fangreich – für höchst gefährlich.
Die Nebenleistung gaukelt nämlich vor, dass es auchdann, wenn es einmal zu einem Fehler kommt, nurkleine Nebenprobleme gibt. Häufig ist es so, dass es beieinem Fehler aufgrund einer eigentlichen Nebenleistungfür die Betroffenen zu erheblichen Schäden, Fristver-säumnissen und vielen Folgen kommt, die den Bürgerviel teurer – und zwar nicht im monetären Sinne, son-dern nach dem persönlichen Gerechtigkeitsempfinden –zu stehen kommen.Das EU-Parlament hat zu den rechtsberatenden Beru-fen einige – wie ich finde, sehr schöne – Erläuterungenformuliert.
Ich halte es auch für notwendig, Folgendes klarzustellen:Die EU verlangt von uns nicht, dass wir komplett so vielGleichmacherei betreiben wie möglich.
Im Gegenteil: Sie will den Schutz der Verbraucher er-reichen.
Darum muss es in erster Linie gehen. Deswegen halteich es auch für richtig, dass die Verbraucherschutzver-bände in dem Gesetz an bestimmter Stelle noch deutli-cher dargestellt werden. Denn sie sind unabhängig undnehmen an vielen Stellen Aufgaben wahr, bei denen sichdie Anwaltschaft fragen muss, ob sie das in der richtigenArt und Weise getan hat oder ob sie sie vielleicht manch-mal vernachlässigt hat, weil sie es für Kleinkram gehal-ten hat.Ich will auf einen weiteren Punkt hinweisen, nämlichauf die Frage, wie mit Anwälten als Vertretern vonRechteinhabern umgegangen wird. Dazu hat der Justiz-minister des Landes Schleswig-Holstein, Herr Döring–gczgNewelrdzBv–hbIndgZGgcvgndddddngsAwlwdmARhus
weitens. Schauen Sie sich einmal genau an, was Herroll dazu gesagt hat. Drittens. Sie haben uns Vorwürfeemacht. Aber wo sind denn das rot-grüne Untersu-hungshaftvollzugsgesetz und das rot-grüne Jugendstraf-ollzugsgesetz? Obwohl Sie sieben Jahre Zeit hatten,ibt es diese Gesetze bislang nicht. Sie wissen ganz ge-au, dass Sie damals ähnliche Probleme hatten.Ich komme zum Schluss meiner Rede. Es geht umen Umgang mit den Institutionen. Ich bin sehr froh,ass der Kollege Binding auf die zukünftigen Aufgabenes Bundesverfassungsgerichts hingewiesen hat. Um eseutlich zu sagen: Das Bundesverfassungsgericht wirdie Aufgabe haben, innerhalb der nächsten Jahre in sei-em Haushalt eine sechsstellige Summe für Rückstellun-en für die Altersversorgung von Richtern, wissen-chaftlichen Mitarbeitern und anderen aufzubringen.ber das kann aus diesem Haushalt nicht erwirtschafteterden. Ich bitte Sie daher um Unterstützung. Herr Kol-ege Binding, meine haben Sie auf jeden Fall; denn wennir mit den Institutionen und den Menschen, die mitem Recht arbeiten, nicht gut umgehen und wenn wirit den Gesetzen so schlecht umgehen, wie das beimntidiskriminierungsgesetz der Fall ist, dann wird derechtsstaat leider vor die Hunde gehen. Liebe Haus-altskollegen, das wäre für den Standort Deutschlandnd im Hinblick auf die Steuereinnahmen des Staatesehr schlecht.Herzlichen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4449
)
)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Raab,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es ist schon mehrfach erwähnt worden, wenn auch mitunterschiedlichem Zungenschlag: Am 1. September die-ses Jahres ist die Föderalismusreform in Kraft getreten.Verehrter Herr Kollege Montag, ich kann Ihre sehr pessi-mistische Einschätzung dieser Reform nicht teilen. Ichweiß nicht, ob wir in unterschiedlichen Anhörungen wa-ren.
– Herr Ströbele, ich habe es durchgelesen, keine Sorge. –Ich bin jedenfalls der Meinung, dass dies ein erfolgrei-ches Projekt ist. Das wird sich in der Praxis sicherlichnoch zeigen. Ich denke, dass uns die Neuverteilung derRechte und Pflichten in Zukunft einige Entzerrungen imGesetzgebungsverfahren und sehr viel mehr Transparenzbringen wird. Es war gut, was wir gemacht haben. DieArt der Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Bun-desrat, die Verwirklichung von Parlamentarismus pur,war für uns alle eine Freude.
Wir haben uns im Rechtsausschuss neben diesem sehrumfangreichen Prozess, der uns lange beschäftigt hat,mit anderen bedeutenden Themen auseinander zu setzen.Eine Auswahl daraus möchte ich kurz ansprechen.Mit Bestürzung müssen wir feststellen, dass schwereund schwerste Kriminalität ein zunehmend jüngeres Ge-sicht bekommt. Natürlich geschehen viele Straftaten ausjugendlichem Übermut und jugendlicher Unreife, auf dieman maßvoll reagieren muss. Unser Jugendstrafrechtbietet dazu gute und ausreichende Möglichkeiten. Aberes gibt auch Jugendliche und insbesondere Heranwach-sende, die schwere und schwerste Straftaten begehen.Gerade was die Bestrafung der Heranwachsenden, alsoderjenigen im Alter von 18 bis 21, angeht, gibt es Lü-cken, die unserer Ansicht nach dringend geschlossenwerden müssen.Nehmen wir nur den abstrakten Fall als Beispiel – da-mit es für die Zuschauer nicht zu realitätsfern ist –, dassein 20-Jähriger zu sechs Jahren Haft nach Jugendstraf-recht verurteilt wird. Nach Verbüßung seiner Strafe ge-hen Sachverständige weiterhin von einer erheblichenGefährlichkeit dieses jungen Mannes aus. Nach gelten-dem Recht ist es aber nicht möglich, ihn nachträglich inSicherungsverwahrung zu nehmen, da eine Verurteilungnach Jugendstrafrecht dem entgegensteht. Mir ist be-wusst, dass solche Fälle nicht in Massen auftreten. Daswäre schlimm und das möchte ich auch nicht behaupten.Aber wir wissen, es gibt sie.cdihgrbuüAuddGhWwhggdDdrwSndrdktvNgiBddsntsvmlEmgsWten
Metadaten/Kopzeile:
4450 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Selbstverständlich müssen auch Notare, die eine einver-nehmliche Scheidungsvereinbarung durchführen, auf et-waige nachteilige Regelungen hinweisen. Sie dürfenaber dem intellektuell oder auch wirtschaftlich unterle-genen Partner nicht vom Vertragsschluss abraten.Wo der Anwalt parteiisch sein darf, muss der Notarneutral bleiben. Der nächste Streit ist hier sozusagenschon vorprogrammiert und der ohnehin zweifelhafteEinspareffekt dürfte damit ebenfalls dahin sein. Das ge-plante vereinfachte Scheidungsverfahren verschiebtKonflikte nur auf einen späteren Zeitpunkt. Das ist je-denfalls meine Meinung.
All diese Punkte müssen im Gesetzgebungsverfahrennoch sehr kritisch hinterfragt werden. Bekanntlich sindwir, das Parlament, der Gesetzgeber. Ich denke, wir wer-den uns noch entscheidende Mitspracherechte heraus-nehmen. Das ist auch unser gutes Recht.Diese Themenauswahl zeigt schon, liebe Zuschauerauf der Tribüne und liebe Zuhörer, wie sehr die oft alstrocken und abstrakt empfundene Rechtspolitik den All-tag der Menschen auf das Nächste berührt. Wir sind vielpsdmFDthzcnstswHhagndlLtQ–acMdmubc
Zweitens. Herr Kollege Nešković, Sie können ganzicher sein, dass das, was Sie über das berichtet haben,as über den Bundesrat auf uns zukommt, in diesemaus in absehbarer Zeit keine Mehrheit finden wird. Sieaben zum Schluss dankenswerterweise gesagt, dassuch die Stellungnahme der Bundesregierung negativewesen ist.Drittens. Lieber Kollege Montag, nehmen Sie miricht übel, dass ich auf Folgendes hinweise. Wie ich inen Sommerferien gelesen habe, sind Sie derjenige Kol-ege, der die zweitmeisten Reden im ersten Jahr dieseregislaturperiode gehalten hat. Ich will jetzt nicht bösar-ig werden und sagen: Ich warte darauf, dass Quantität inualität umschlägt, Herr Montag.
Das weiß ich ja. Das will ich auch nicht sagen. Es wäreuch mir zu billig gewesen. –
Ich meine wirklich, Sie könnten manchmal ein biss-hen freundlicher mit uns umgehen, Herr Kollegeontag. Das ist eigentlich das Einzige, was ich jetztazu sagen will.
In den mir verbleibenden sechseinhalb Minutenöchte ich kurz auf drei Themenbereiche eingehen, diens in diesem Herbst, wie ich meine, ganz unmittelbareschäftigen werden und die bisher noch nicht angespro-hen worden sind. Das eine ist eine sehr anspruchsvolle
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4451
)
)
Joachim StünkerAufgabe, die wir als Parlament vor uns haben. Unter derÜberschrift Korruptionsbekämpfung müssen wir uns allegemeinsam mit den Fragen der Abgeordnetenbeste-chung auf allen parlamentarischen Ebenen beschäftigen.Das wird in diesem Herbst im Rechtsausschuss unsereAufgabe sein.
Der geltende Straftatbestand des Stimmenkaufs, geregeltin § 108 e StGB, genügt den von Deutschland eingegan-genen internationalen Verpflichtungen nicht mehr, wieeinige vielleicht wissen. Ich möchte hier insbesondereauf das von uns unterzeichnete UN-Übereinkommen ge-gen Korruption vom 30. Oktober 2003 hinweisen, dasam 14. Dezember 2005 in Kraft getreten ist.
Im Dezember dieses Jahres wird die erste Vertragsstaa-tenkonferenz zu diesem Übereinkommen stattfinden. Ichmeine, es ist deshalb angezeigt, dass wir noch vor Be-ginn dieser Konferenz deutlich machen, dass Deutsch-land auf dem Weg der Ratifizierung und der Umsetzungin deutsches Recht ist.
Eine zweite Notwendigkeit ergibt sich aus zwei Urtei-len der Strafsenate des Bundesgerichtshofs aus jüngsterZeit. Ein Urteil des 5. Strafsenats vom 9. Mai 2006 be-traf den so genannten Wuppertaler Korruptionsskandal.Ein zweites Urteil des 2. Strafsenats vom 12. Juli 2006betraf den so genannten Kölner Müllskandal. In beidenUrteilen haben die Senate klargestellt, dass kommunaleMandatsträger keine Amtsträger im Sinne von§ 11 StGB sind – dieser Meinung war ich schon immer;die überwiegende Anzahl der OLGs war anderer Mei-nung –, sodass §§ 331 ff. StGB – Amtshaftungsdelikte,wie wir früher gesagt haben – keine Anwendung findenkönnen. Frau Harms, die jetzt Generalbundesanwältinist, hat im Urteil des 5. Strafsenats ausdrücklich daraufhingewiesen, dass wir hier mittlerweile eine Regelungs-lücke haben. Es gehört zur Glaubwürdigkeit der Politik,dass wir uns jetzt der Aufgabe stellen, diese Regelungs-lücke in der Tat zu schließen.
Deshalb wollte ich heute in dieser Debatte mit Nach-druck auf die genannten Problemkreise hinweisen. Da essich hierbei letztlich um Parlamentsrecht handelt, solltenwir nicht gemeinsam auf einen Regierungsentwurf war-ten; darauf dürfen wir auch nicht warten. Wir müssen dieKraft haben, genau dies aus dem Parlament heraus zu re-geln. Das gehört zu den ureigenen demokratischen Auf-gAHzsdwasscmdbGzGrtk„kzdWbzfDn1zPtsngAeWmbWs
ierzu gibt es Überlegungen und Eckpunkte, sodass wiru einer auch in der Öffentlichkeit glaubwürdigen Lö-ung kommen können.Zweiter Punkt – mir läuft die Zeit weg –: Verabschie-ung einer Antiterrordatei. Ich will es kurz machen. Et-as Schriftliches liegt uns bisher nicht vor. Der Rechts-usschuss wird in dieser Sache nicht federführend,ondern nur mitberatend sein. Auch wir im Rechtsaus-chuss haben aber die Verantwortung, uns das, was si-herlich notwendig ist, sehr gründlich anzusehen. Wirüssen uns unserer Verantwortung bewusst werden, beier entschlossenen Bekämpfung von Terrorismus undei allem Einsatz für die innere Sicherheit auch dierenzen des rechtsstaatlich Verantwortbaren ganz genauu sehen.
erade wir in der Rechtspolitik müssen sehr genau da-auf Obacht geben, dass wir hier gemeinsam das Rich-ige wollen und auch schaffen.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt nennen. Manönnte fast bösartig sagen: So wie Cato immer forderte:Aber auf jeden Fall muss Karthago zerstört werden“,ommt der Stünker zum Schluss jeder Haushaltsredeum selben Thema. – Ja, ich komme wieder zum Themaer großen Justizreform. Quo vadis? Wohin geht dereg bei der großen Justizreform? Ich sage das aus gege-enem Anlass. Wir werden in einigen Wochen darüberu reden haben.Ich bin der festen Überzeugung – das gilt, denke ich,ür meine Fraktion und meine Arbeitsgruppe genauso –:er Deutsche Bundestag wird es nicht hinnehmen kön-en, wenn als Ergebnis der größten Justizreform seit889, wie die größte deutsche Tageszeitung schon vorwei Jahren getitelt hat, nur bleiben sollte: erstens dierivatisierung des Gerichtsvollzieherwesens und zwei-ens die Übertragung der Zuständigkeit für die Nachlass-achen vom Amtsgericht auf die Notare. Das kann esicht sein. Das wird der Weg nicht sein, der mit uns zuehen ist.
ber nach den letzten Beschlüssen der JuMiKo scheints dort in diese Richtung zu laufen. Das ist nicht unsereg.Wenn man das Gerichtsvollzieherwesen ändern will,uss man sogar Art. 34 Grundgesetz ändern. Dafürraucht man eine Zweidrittelmehrheit in diesem Haus.ir werden diesen Weg nicht mitgehen. Das ist der fal-che Weg. Ich kann von daher nur dazu auffordern und
Metadaten/Kopzeile:
4452 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Joachim Stünkerdafür werben, dass wir uns in der Tat über Struktur-reformen unterhalten.Wenn man eine Reform der Justiz will, dann ist auchdas der falsche Weg, was jetzt wieder von einigen Län-derjustizministern vorgeschlagen wurde. Man meint, dieEntlastung der Strafgerichte über eine Ausweitung desbeschleunigten Verfahrens erreichen zu können, wie indiesen Tagen in der Presse zu lesen war. Das sind dieGedanken der 90er-Jahre, die uns schon damals nichtweitergebracht haben. Wer das beschleunigte Verfahrenkennt, der weiß, was das heißt: einfacher Sachverhalt,klare Beweislage. Wer meint, dass dies die Verfahrensind, die die Strafgerichte wirklich belasten, der kenntsich in der Strafjustiz nicht aus, der kennt sich im Ergeb-nis im eigenen Haus nicht aus.
Das kann also nicht der Weg sein.Deshalb werbe ich dafür, dass wir in diesem Herbst inwirklich fundierte Gespräche mit den Länderjustizminis-tern einsteigen, wenn es darum geht, über die Reformder Justiz zu reden, über die Bereitstellung der notwen-digen Ressourcen für die Justiz im Sinne des Rechts-staats. Darüber sind wir uns hier alle einig. Wir reden zu-künftig über Strafbarkeit von Doping, über erhöhteStrafandrohung bei Fleischskandalen oder auch über einRauchverbot in öffentlichen Einrichtungen. Wenn Poli-tik so etwas auf den Weg bringt, brauchen wir überall ir-gendwann die Justiz. Dafür brauchen wir in der Justizdie sachlichen und personellen Ressourcen. Die werdenwir nicht über mehr Geld bekommen können, liebe Kol-leginnen und Kollegen; das weiß ich auch. Dafür brau-chen wir auch nicht mehr Geld. Dafür brauchen wir auchnicht mehr Personal in den Ländern. Was wir brauchen,sind wirkliche Strukturreformen. Man muss den Mut ha-ben, die durchzuführen.Ich nenne noch drei Punkte und dann bin ich mit mei-ner Rede auch fertig, Frau Präsidentin: erstens Dreistu-figkeit in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, zweitensneue Strukturen der sachlichen Zuständigkeiten in Straf-verfahren und drittens eine einheitliche öffentliche Ge-richtsbarkeit. Lassen Sie uns darüber reden und nichtüber die alten Kamellen aus den 90er-Jahren; denn damitwerden wir die Justiz im neuen Jahrhundert nicht weiter-bringen.Schönen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Dr. Ole Schröder, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Die beiden Einzelpläne, über die wir heutebJrstuJiaDnkudrSbfgMlPh5mD4„jMtwDzkdbdtDrQuGkfpasnPcl
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4453
)
)
Metadaten/Kopzeile:
4454 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Wir müssen in der Auswertung dessen, was uns alle– auch die Öffentlichkeit – in den letzten Wochen be-schäftigt hat, ein paar Konsequenzen ziehen. Wir habenunmittelbar am 10. August – die Verhaftungsaktion derbritischen Behörden war, um daran zu erinnern, in derNacht vom 9. zum 10. August – die Kontrollmaßnah-men an den Flughäfen, was das Handgepäck anbetrifft,verschärft und alle Mitarbeiter der Bundespolizei aufneue Bedrohungen sensibilisiert, die wir so vor den briti-schen Erkenntnissen bei den normalen Flugkontrollenvermutlich nicht detektiert hätten; das muss man klar sa-gen. Deswegen werden wir uns beim zivilen Flugver-kehr dauerhaft auf ein höheres Kontrollniveau einrichtenmüssen.Ich habe unmittelbar angestrebt, diesen Bereich aufeuropäischer Ebene zu harmonisieren; denn es hat kei-nen Sinn, in den einzelnen europäischen Ländern ein un-terschiedliches Kontrollniveau zu haben. Ich strebe auchan, dass wir die Schutz- und Kontrollmaßnahmen nichtje nach Konjunktur und öffentlicher Erregung herauf-und herunterfahren, sondern hier Stetigkeit haben. Über-haupt bin ich der Überzeugung: Je besser es uns gelingt,entschiedenes Handeln mit der notwendigen Gelassen-heit zu verbinden, umso eher haben wir die Chance, un-sere Mitbürgerinnen und Mitbürger davon zu überzeu-gen, dass wir das Menschenmögliche tun. Aber einehundertprozentige Sicherheit kann es nicht geben.Wir müssen – das haben wir in den Haushaltsentwurf,der zur Beratung vorliegt, noch nicht einstellen können;da bitte ich um Ihre Mitwirkung – aus dem, was wir inunserem Land erkannt haben, ein Stück weit Konse-quenzen ziehen. Wir brauchen insbesondere im Bereichder Bundespolizei stärkere Möglichkeiten, den Bahn-verkehr zu kontrollieren. Wir können bei mehr als4 Millionen Bahnreisenden und mehr als 30 000 Zügenjeden Tag beim Bahnverkehr nicht das Maß an Kontrol-lwescStBdulddmIltfdUdcmhbnHpzsgidhrwcwtDnFmWdsgbnmsDs
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4455
)
)
Ich habe übrigens meine Bemerkungen über dasTechnische Hilfswerk bewusst dazwischen geschoben,um das Missverständnis zu vermeiden, dass das eine mitdem anderen unmittelbar etwas zu tun hätte. Natürlichgibt es da Beziehungen. Diese Aufgabe, die Integrationzu verbessern – die Integrationsbeauftragte der Bundes-regierung, Frau Kollegin Böhmer, die im Kanzleramt an-gesiedelt ist, hat diese Arbeit mit dem Integrationsgipfelauf einen guten Weg gebracht –, ist eine der zentralenAufgaben.Wir im Innenministerium konzentrieren uns auf dieAufgabe, die ganz spezifisch unsere Sache ist, nämlichauf die Beziehungen zu den Religionsgemeinschaften.So wie wir zu der katholischen und der evangelischenKirche Beziehungen haben, müssen wir in Deutschlandversuchen – es ist schwierig, das zu leisten –, ein Ver-hältnis zwischen Staat und muslimischen Gläubigen zuentwickeln. Das ist allein schon aufgrund der innerenOrganisation der Muslime sehr schwierig. Manche sagenmir gelegentlich: Mach es wie in Österreich! Aber in Ös-terreich ist der Islam seit 1912 als Staatsreligion aner-kannt und es sind alle Muslime in einer öffentlich-recht-lichen Körperschaft zusammengefasst. Davon sind wirweit entfernt. Aber mit der Islamkonferenz will ich denWeg gehen, mit den Muslimen und allen anderen darü-ber zu reden, wie wir für das Ziel eines besseren Zusam-menlebens, Zusammenwirkens und einer gemeinsamenVerantwortung für die Grundwerte unserer Verfassung,für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit und Tole-ranz, das Menschenmögliche tun können.
Über die Mittel für die Integrationskurse, die dasBundesamt für Migration und Flüchtlinge, das sich aufallen Seiten des Hauses eines hohen Ansehens und einergroßen Autorität erfreut, anbietet, haben wir im vergan-gzhTAAagtdnncszwUsdtwcEdrazlekdücmlbegVrEn2FEEltvDE
Metadaten/Kopzeile:
4456 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble– Sie kann wiederkommen. Aber im Haushalt für dasJahr 2007 haben wir für eine Wiederholung keine Vor-sorge getroffen, Herr Kollege. Deswegen kann man da-von sprechen, dass die Mittel für die Förderung des Spit-zensportes steigen.Diese maßvolle Steigerung ist auch notwendig.
Ich werbe auch sehr um Unterstützung in diesem Be-reich. Denn der Wettbewerb für unsere Athleten wirdhärter.
– Herr Kollege Benneter, die nächsten OlympischenSommerspiele finden in Peking statt.
Ich sage voraus, dass für alle Athleten der Wettbe-werb von einer ungeheuer großen Intensität sein wird.Daher ist es wichtig, dass unsere Athleten faire Wettbe-werbschancen haben. Dafür müssen wir im Rahmen desMöglichen die notwendige Hilfe leisten. Das sind wirder Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unsererfreiheitlichen Gesellschaftsordnung schuldig.
Wir haben gezeigt, dass wir gute Gastgeber bei inter-nationalen Sportveranstaltungen sind. Wir hatten geradewunderbare Weltreiterspiele in Aachen. Morgen begin-nen die Weltmeisterschaften im Hockey in Mön-chengladbach.
Unsere Sportler leisten das ganze Jahr über – ich denkedabei auch an die Olympischen Winterspiele in Turin –Großartiges. Sie machen uns Freude und sind gute Vor-bilder. Auch deswegen verdienen sie unsere Unterstüt-zung.
Meine Damen und Herren, der Haushalt des Bundes-ministers des Innern ist in einem hohen Maße durch Per-sonalkosten geprägt. Zwei Drittel des Haushaltes sindfür die innere Sicherheit, für Bundespolizei, für Bundes-kriminalamt und für das Bundesamt für Verfassungs-schutz vorgesehen. Wir haben ein enges Finanzkorsett.Trotz aller notwendigen kritischen Betrachtungen bitteich, diesen Aspekt nie aus den Augen zu verlieren.Ich freue mich auf eine intensive Beratung währendder Haushaltsverhandlungen.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz, FDP-Fraktion.
K
W
g
–
m
d
m
s
n
z
t
d
s
r
Z
s
h
w
m
m
p
M
f
m
D
D
t
d
g
S
S
s
d
l
S
d
s
d
d
f
d
k
r
n
K
ie Frage, die wir uns immer wieder stellen müssen, lau-et: Hilft uns diese Maßnahme wirklich weiter? Auch beiem, worüber wir jetzt diskutieren, müssen wir die fol-ende Frage stellen: Hätten wir damit einen einzigenchläfer entdeckt? – Nein, hätten wir nicht, weil einchläfer keinen Mucks von sich gibt, es sei denn erchnarcht.Mich bewegen im Moment insbesondere die folgen-en Fragen: Was geht in diesen Attentätern vor? Wannegen sie den Hebel um und sagen „Jetzt reicht es mir!“?ind Karikaturen der Grund oder was sonst? Ich glaube,ass wir uns mit diesem Phänomen viel intensiver be-chäftigen müssen, als wir das bisher getan haben. Vonaher begrüße ich ausdrücklich Ihre Ankündigung, aufiesem Gebiet mehr Geld zu investieren. Allerdingsrage ich mich, warum das erst jetzt geschieht; denn dassas ein Problem ist, wussten wir schon immer.
Ich begrüße auch den Beschluss der Innenminister-onferenz, in diesem Zusammenhang auf das Ausländer-echt zu schauen. Das halte ich für eine sinnvolle Maß-ahme. Bitte tun Sie uns von der FDP einen Gefallen:ommen Sie nicht wieder mit der Einladerdatei; das ist
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4457
)
)
Gisela Piltznämlich ein alter Hut. Das ist nicht das Problem. Es gibtandere Dinge, die wir angehen müssen.Dritter Punkt: Entschlossenheit. Die Antiterrordateiist ein gutes Beispiel. Fünf Jahre lang haben wir darangearbeitet. Das kann man eigentlich keinem vernünfti-gen Menschen erklären.
– Herr Binninger, wir haben nicht daran gearbeitet, wirwaren aber auch nicht dagegen. Das ist der Unterschiedzu einigen Kollegen aus Ihren Reihen, die nämlich ver-hinderten, dass wir schon längst eine funktionierende In-dexdatei haben. Wir hätten sie nämlich schon lange ha-ben können, wenn nicht Kollegen wie der KollegeBeckstein gesagt hätten: Ich möchte eine Volltextdatei.Das war Politik nach dem Motto „Ich möchte meine In-teressen durchsetzen!“. Das hat nichts mit Sicherheit zutun. Diesbezüglich müssen Sie mit Ihren Kollegen insGericht gehen.
Wir begrüßen diese Einigung, auch wenn sie für einegroße Koalition typisch ist. Ein FDP-Innenminister wardabei. Wir machen jetzt von beidem etwas; das ist aberbesser als nichts. Endlich haben wir eine Einigung.Trotzdem müssen wir aufpassen, dass diese Indexdateinicht zum Selbstbedienungsladen wird. Wir werden da-rauf achten, dass kontrolliert wird, wer über diese Datenverfügt. Die Kontrolle muss ordentlich durchgeführtwerden. Das gilt insbesondere für die Kontrolle des sogenannten Freitextfeldes, das unseres Erachtens dieMöglichkeit bietet, die Volltextdatei durch die Hintertüreinzuführen. Das halten wir für bedenklich. Wir werdendas sorgsam beobachten.Auch in diesem Zusammenhang begrüßen wir dieProtokollnotiz des Innenministers aus Nordrhein-West-falen, dass nach zwei Jahren eine Evaluierung dieserMaßnahme stattfinden muss. Das ist richtig. Diese For-derung teilen wir.
Wir teilen die Forderung des GdP-Vorsitzenden,Konrad Freiberg, der heute gesagt hat: Ohne mehr Poli-zisten bringt diese Datei so gut wie gar nichts. Meineeinzige Anmerkung zur Videoüberwachung ist heute,dass das Gleiche für die Videoüberwachung gilt: Ohnemehr Polizisten bringt sie nur Scheinsicherheit.Uns fehlt bei dem ganzen Thema eine einheitliche Si-cherheitsarchitektur. Viele Bauherren und viele Archi-tekten wuseln auf dem Bauplatz Sicherheitspolitik he-rum, aber ein Gesamtkonzept können wir noch nichterkennen. Wie soll denn in Zukunft die Zusammenarbeitdieser 38 Behörden stattfinden? Die Indexdatei be-schreibt doch nur das Ergebnis. Wichtig ist jedoch, wiewir vorher zusammenarbeiten. Das ist eine Herausforde-rung – das haben Sie richtig gesagt, Herr Minister –, diesich dem Föderalismus stellt. Hier ist er gefragt, er musszeigen, ob er funktioniert oder nicht. Von daher ist dasfür uns ein wesentlicher Punkt.cstMÖjsuPhwdkhAtPfzhdu6wwgceueddAPidEgsgHIKivm
uch das gehört für mich zu einer Sicherheitsarchitek-ur. Das wäre wirkliche Sicherheit und nicht nur einresseerfolg.Noch zum Haushalt: Den Aufwuchs, den man bishereststellen kann, findet man nur bei zwei Positionen:um einen handelt es sich um hauptstadtbedingte Sicher-eitsmaßnahmen – das ist so ein schreckliches Wort,ass ich es ablesen muss –, mit rund 38 Millionen Eurond zum anderen um den Digitalfunk mit rund0 Millionen Euro. Wir sind sehr gespannt, wie sich dieeiteren Veränderungen auswirken werden. Interessantird auch sein, welche Mittel für die Antiterrordatei ein-estellt werden. Denn das, was wir da wollen, ist mit Si-herheit nicht für lau zu haben.Noch kurz zum Digitalfunk: Der Zuschlag ist jetztrfolgt. Hoffentlich wird bei EADS nur der Airbus teurernd nicht auch noch dieses Verfahren. Wir hoffen, dasss einmal ein Großprojekt gibt, das stressfrei im Rahmener öffentlich-privaten Partnerschaften abgewickelt wer-en kann; anders als zum Beispiel bei den biometrischenusweispapieren über die Bundesdruckerei. Dieserauschalvertrag ist immer noch sehr im Dunkeln. Ich er-nnere mich noch gut an den Drang des letzten Bun-esinnenministers, Otto Schily, der die Umsetzung des-Passes forciert hat. Kein Wunder, dass die Firma dasanz toll fand und er jetzt dort im Aufsichtsrat sitzt. Dascheint eine neue, nicht gute Tradition unter SPD-Kolle-en zu werden.
err Minister, ich weiß, dass Sie nicht in der SPD sind.
hnen traue ich zu, dass Sie die Instinktlosigkeit dieserollegen nicht haben, und hoffe darauf, dass Sie nichtm EADS-Aufsichtsrat landen werden, wenn das Ganzeorbei ist.
Zum Thema Integration muss ich zugeben, dass Sieir quasi den Wind aus den Segeln genommen haben.
Metadaten/Kopzeile:
4458 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Gisela PiltzAuch mir ist natürlich aufgefallen, dass die Mittel sichnicht verändert haben. Alle Fraktionen haben das beimletzten Haushalt kritisiert. Ich denke: Es wird ohne eineMittelerhöhung nicht gehen können. Denn eines ist unsklar – wir haben hier schon über viele Details gespro-chen –: Egal, was wir tun, es wird teurer werden, weilmehr Qualität Geld kostet.
Mein letzter Punkt betrifft den Bundesdatenschutz-beauftragten. Auch da kann man sehen, dass sich derAnsatz nicht verändert hat. Wenn wir immer mehr Ein-griffe in die Bürgerrechte vornehmen – das tun wir undinsbesondere Sie in konsequenter Fortsetzung der rot-grünen Koalition –, dann muss man den Bundesdaten-schutzbeauftragten als unabhängige Aufsicht stärken.Das tun wir nicht. Von daher appelliere ich an alle, nocheinmal zu überlegen, ob das nicht möglich wäre. DennAntiterrordatei, Vorratsdatenspeicherung und vieles an-dere bedeuten ein Mehr an Aufgaben für den Bundesda-tenschutzbeauftragten.
Zum Schluss noch zwei Bemerkungen:Erstens. Weil heute die erste Sitzungswoche nach derSommerpause ist, kann man auch einmal nett sein: HerrEdathy, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Ichwünsche Ihnen noch einen schönen Tag.
Zweitens. Wenn es um wirkliche Sicherheit und nichtnur um Scheinsicherheit geht, sind wir, was den Haus-halt des Bundesministers des Innern angeht, gerne an Ih-rer Seite.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Fritz Rudolf Körper, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeFrau Piltz, angesichts dessen, was Sie zum Thema Auf-sichtsratsmandate gesagt haben, ist mir in Bezug auf Sieund die FDP nur eine Bemerkung eingefallen: Wer imGlashaus sitzt, sollte möglichst nicht mit Steinen werfen.
– Ich will Ihnen nur sagen: Darüber sollten Sie einmalnachdenken.
Meine Damen und Herren, wenn man den Haushaltdes Bundesinnenministeriums betrachtet und sich an-schaut, wie sich insbesondere die Personalentwicklungswgdm1ggdHssJRdlWmMpnlSBJzSAsßsnalzzlGdzJtdmsnhwPkk
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4459
)
)
Im Übrigen müssen sich die Koalitionsfraktionen,was das Terrorismusbekämpfungsgesetz angeht, über-haupt keinen Vorwurf gefallen lassen. Frau Piltz, wersich mit den Ergebnissen beschäftigt, wird feststellen,dass sie beachtlich sind.
Es war richtig, große Teile des Terrorismusbekämp-fungsgesetzes zu befristen: um den Zwang zu erzeugen,nach einer gewissen Zeit zu prüfen, ob sich in der Praxisbewährt hat, was wir da zu Papier gebracht haben. Dasist auch hier so entschieden und gesehen worden. Jetztwird das Terrorismusbekämpfungsgesetz sachbezogen,sachgerecht und maßvoll ein Stück weiterentwickelt.Damit zeigt die Koalition deutlich ihre Handlungsfähig-keit.
Ich will nun ein ganz anderes Thema ansprechen, dasauch zu diesem Haushaltstitel gehört: den Bereich desSports. Rückblickend auf die Fußballweltmeisterschaftkann man nur sagen: Das war ein großartiges und fröhli-ches Ereignis, auf das unser Land in der Tat stolz seinkann. Aber, meine Damen und Herren, die Fußballwelt-meisterschaft war kaum vorbei, da hat sich im Bereichdes Radsports etwas abgespielt, was uns sehr nachdenk-lich stimmen muss: die Dopingskandale bei der Tour deFrance, die der gesamten Sportszene immensen Schadengebracht haben. Wir müssen alles tun, dass der Sportwieder sauber wird und insbesondere seine Vorbildfunk-tion für junge Leute erfüllen kann.
Das ist eine Aufgabe, der wir uns stellen.
Ich teile nicht die Meinung einiger Sportfunktionäre,
vdWpkDflnWntwemgachEuddgdntegEszfwfSjKultruS
Metadaten/Kopzeile:
4460 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Fritz Rudolf Körper– Lieber Herr Ströbele, Ihnen fehlt der Glaube. Ich binder Auffassung, dass wir als Gesetzgeber uns überlegenmüssen, was wir in dieser Frage tun können, wenn dasauf der Innenministerkonferenz nicht funktionierensollte. Viele stimmen uns zu, dass hier Handlungsbedarfbesteht. Wir können auch die Unterstützung vieler ge-brauchen. Ich meine, dass wir hier etwas Gutes für dieBetroffenen tun können.In diesem Sinne bedanke ich mich für die Aufmerk-samkeit.
Das Wort hat der Kollege Jan Korte, Fraktion Die
Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Beim Vorschlag zur Bleiberechtsregelung machen wirnatürlich mit. Wir haben dazu bereits einen Vorschlageingebracht. Dem können Sie sich gerne anschließen.Ich möchte nun zu einigen Dingen etwas sagen:Der Terrorismus ist in dieser Debatte das beherr-schende Thema. Auch wir sind natürlich der Meinung– hier herrscht Einigkeit –, dass er keine Chance habendarf: weder durch Anschläge noch durch die Einschrän-kung von Grund- und Freiheitsrechten,
zu denen es aus einem Gefühl der Angst heraus kommt.Diese Angst wurde in den letzten Wochen zum Teil kräf-tig geschürt.
Allein in den letzten zwölf Jahren sind mehr als160 Gesetze geändert worden, mit denen entweder – jenach Großwetterlage – die organisierte Kriminalität,oder, wie aktuell, der Terrorismus bekämpft werden soll-ten. Eine Evaluation ist bis heute ausgeblieben. Die Ein-griffe in die Grundrechte sind aber geblieben. Ichnenne ein paar Beispiele: die Rasterfahndung, also dieAufhebung der Unschuldsvermutung – man muss sicheinmal vorstellen, was dahinter eigentlich steht –, dieSchleierfahndung – x-beliebige Menschen geraten da-durch in die Fänge der Polizei, dass sie beispielsweiseverdächtig aussehen –, der Lauschangriff – Deutschlandist mittlerweile Abhörweltmeister – und die jetzt aktuelleVorratsdatenspeicherung – der wissenschaftliche Diensthat alles dazu gesagt; dieses Vorhaben ist klar rechtswid-rig.Hinzu kommt dann wie eine Phobie die ständige De-batte über die Bundeswehr im Innern. Das ist wirklichschon völlig irre, weil nicht einmal konkret gesagt wird,wie das durchgeführt werden soll. Wollen Sie irgendwel-che Spürpanzer neben die Gepäckabfertigung stellenoder wie soll das Ganze aussehen? – Nein, hier wird mitdmgGinGvdgggzdzlhdDivrdgmssdsurSrtEgdGlwrgwmBdSwI
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4461
)
)
Leider ist aber offensichtlich nicht zu Ihnen durchge-stellt worden, dass das nichts bringt und in die Privat-und Intimsphäre von anderen Menschen eingreift.Sie spielen mit der Angst, um weiterhin autoritäreMaßnahmen zu erlassen. Wahre Populisten sind die Si-cherheitspopulisten, nicht wir: Im Gegensatz zu Ihnenmachen wir vielleicht populäre, nicht aber populistischeVorschläge.
Sie geben vor, mehr Sicherheit schaffen zu wollen.Das ist erst einmal in Ordnung. Es stellt sich nur dieFrage, wie das vonstatten gehen soll. In den letzten Jah-ren sind Tausende Stellen bei den Polizeibehörden in denLändern abgebaut worden. In Ihrem Privatisierungs-wahn, der sich nicht nur in Fragen der sozialen Gerech-tigkeit, sondern auch in Fragen der Sicherheit zeigt,übertragen Sie Sicherheitsaufgaben an private Unterneh-men, die für ein paar Euro am Flughafen Gepäckkontrol-len durchzuführen haben. Das sorgt nicht für mehr, son-dern für weniger Sicherheit. Damit gefährden Sie auchin diesem Bereich durch willkürliche Privatisierung dieSicherheit in der Bundesrepublik Deutschland.Suchen Sie also nach Alternativen. Wir sollten derGefahr des Terrors bürgerschaftliches, zivilgesellschaft-liches Engagement entgegensetzen und deutlich machen,dass wir für bestimmte Werte der Demokratie und derWeltoffenheit stehen. Es muss eine friedliche Außenpo-litik betrieben werden. Es muss eine Integration ermög-licht werden, die gleiche Rechte und gleiche Teilhabe indiesem Land gewährleistet. Es muss auch darum gehen,im In- und Ausland die fortschrittlichen, progressivenMenschen, beispielsweise die Studenten im Iran, zu un-terstützen und ihnen Anerkennung zukommen zu lassen,um letztendlich Dogmatismus und Ideologie zu überwin-den. Das ist eine andere Herangehensweise, die zwarZeit braucht, aber auf Dauer erfolgversprechend ist.Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen.Wenn man möchte, dass die Menschen in diesem Landan demokratischen Entscheidungen teilhaben, für siestreiten und einstehen, dann hat das auch etwas mitsozialer Gerechtigkeit zu tun. Denn nur diejenigen, diemateriell gut versorgt sind und nicht jeden Tag über dasEssen und die Finanzierung der nächsten Woche nach-denken müssen, sind in der Lage, am gesellschaftlichenLeben und an demokratischen Prozessen teilzuhaben.Ich glaube, dass im Haushaltsplanentwurf in diesemSinne nichts Progressives enthalten ist. Stattdessen wirdSie, wie Jutta Limbach zu Recht sagt, das Verfassungs-gericht wie in den letzten Jahren auch regelmäßig in IhreSchranken verweisen.gGDGmHsdhmepaeddPwsOSscsSihKün–ewTevhdWlgftZ
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichöchte nicht damit schließen, sondern damit beginnen:erzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Sebastian!Der Herr Bundesinnenminister Schäuble hat festge-tellt – ich glaube, es war in den „Tagesthemen“ oder iner „Tagesschau“ –, dass wir Glück gehabt haben. Wiraben Glück gehabt, dass es in Koblenz und in Dort-und bei Anschlagsversuchen geblieben ist. Es war aberben nicht die Arbeit der Sicherheitsbehörden, die ge-lanten Anschläge im Vorfeld zu verhindern. Nach derufgeregten Debatte während der Sommerpause habe ichine sachliche Analyse vermisst. Ich habe vermisst, dassie Frage gestellt wurde, warum die Sicherheitsbehördenie Tatverdächtigen nicht rechtzeitig erkennen konnten.Stattdessen beglückte uns die große Koalition – Frauiltz hat bereits Beispiele genannt; ich muss sie nichtiederholen – Tag für Tag mit Aktionismus. Von Gelas-enheit war nichts zu spüren. Es war auch nicht vielrientierung von Ihrer Seite zu bemerken, Herrchäuble. Sie haben es laufen lassen. Sie haben zugelas-en, dass in den Reihen der Hinterbänkler nach einer sol-hen Beunruhigung der Bevölkerung jeden Tag abstru-ere Vorschläge produziert worden sind. Das hat miticherheit nicht dazu geführt, dass das Sicherheitsgefühln Deutschland und das Vertrauen in die Sicherheitsbe-örden gestärkt worden sind.
einer der gemachten Vorschläge – weder die Video-berwachung noch der Einsatz der Bundeswehr im In-ern, der bei jeder Gelegenheit von Ihnen gefordert wird hätte dazu geführt, dass die Bombenleger rechtzeitigrkannt worden wären. Auch das muss einmal gesagterden.Auch in der Antiterrordatei hätten Sie diese jungenatverdächtigen kaum gefunden. Dieses Phänomen gabs bereits in England. Überhaupt haben erst bei zwei Tat-erdächtigen der jüngsten Anschlagserien in Europa vor-er Erkenntnisse vorgelegen. Ich will nicht sagen, dassies gegen die Antiterrordatei spricht. Im Gegenteil:ir brauchen sie. Ich denke – das ist auch nachzu-esen –, dass ich mich in all meinen Reden in den ver-angenen Jahren als Mitglied der grünen Bundestags-raktion ausdrücklich für die Einrichtung einer Anti-errordatei ausgesprochen habe.Lieber Herr Kollege Körper, ich möchte in diesemusammenhang an den Verlauf unserer Diskussion
Metadaten/Kopzeile:
4462 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Silke Stokar von Neufornerinnern. Wir haben damals unter Rot-Grün das Anti-terrorzentrum mit der inhaltlichen Maßgabe eingerichtet,die ich heute noch für richtig halte, dass wir mehrKooperation und Kommunikation zwischen den Sicher-heitsbehörden brauchen. Ein Mausklick reicht nicht, da-mit die Erkenntnisse bundesweit vernetzt werden kön-nen. Aufgrund dieser Debatte sind wir gemeinsam zudem Ergebnis gekommen, dass eine Indexdatei nicht nurausreichend ist; sie ist auch der sinnvollere Weg für dieSicherheitsbehörden. Denn wir wollen, dass sie mit-einander in Kontakt treten und ihre Erkenntnisse, dieschließlich Verdachtsmomente aus allen Bereichen dar-stellen, qualifiziert gemeinsam bewerten.
Der Gesetzentwurf liegt zwar noch nicht vor. Aber ichkann schon jetzt sagen, dass die geplante Antiterrordateifür uns Grüne nicht tragbar ist; denn die Speicherungder Religionszugehörigkeit – das sage ich in aller Deut-lichkeit – lehnen wir ab. Die Zugehörigkeit zu einer be-stimmten Religionsgemeinschaft darf kein Verdachts-moment in einer Antiterrordatei sein.
Das ist in unseren Augen verfassungswidrig. Es ist zu-dem kontraproduktiv. Welche Botschaft wollen Sie dennmit dem Islamgipfel, der ein Angebot sein soll, aussen-den? Sie haben gesagt – das ist eine richtige Erkennt-nis –, dass wir auch die Unterstützung und die Mitarbeitder muslimischen Gemeinden als Hinweisgeber brau-chen. Dies geht aber nur auf der Grundlage gegenseiti-gen Respekts und Vertrauens. Die Botschaft, die Sie nunsenden, ist nichts anderes als eine Stigmatisierung, einGeneralverdacht gegen Muslime. Wir alle wissen aber,dass 99,9 Prozent der Muslime in Deutschland integriertsind und eine liberale Einstellung haben. Gespeichertwerden muss jedoch – –
Frau Kollegin, da Sie nicht Luft holen, muss ich Sie
unterbrechen für die Frage, ob Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Wiefelspütz zulassen.
Ich lasse sie zu, sobald ich Luft geholt und den begon-
nenen Satz beendet habe. – Gespeichert werden muss
stattdessen der konkrete Bezug zu einer radikalen Orga-
nisation oder zu einem radikalen Verein.
Lieber Kollege Wiefelspütz, jetzt dürfen Sie mir
selbstverständlich eine Frage stellen.
Geschätzte Frau Kollegin Stokar, ich teile ausdrück-lich Ihre Einschätzung der Muslime in Deutschland alsin überwältigender Mehrheit gesetzestreue und friedli-che Menschen. Wer mit Verstand wollte das bestreiten?Können Sie mir aber folgen, wenn ich sage, dass im Falleines Terrorismusverdächtigen die Religionszugehörig-keit bzw. die Zugehörigkeit zu einer bestimmten, reli-gzfdpidWessdGdMtgBintlDvcOuezsNnSdSgiTWegmBDmB
Kollege Wiefelspütz, signifikant für einen Terrorver-acht ist nicht, ob eine Person Moslem ist, sondern dieitgliedschaft in einer radikal-islamistischen Organisa-ion bzw. die Nähe zu einer solchen Organisation. Ichlaube, darüber waren wir uns früher einmal einig. LautKA gibt es ungefähr 500 gewaltbereite Personen – dasst etwa 1 Prozent – in Deutschland. Ich hoffe, dass Sieicht planen, alle muslimischen Gemeinden in der Anti-errordatei zu erfassen. Wir waren es doch, die es ermög-icht haben, dass bestimmte religiöse Vereine ineutschland vom Verfassungsschutz beobachtet underboten werden. Daten über die Mitgliedschaft in sol-hen Vereinen bzw. die Nähe dazu zu speichern ist inrdnung. Aber Sie wollen auch die Daten von Kontakt-nd Begleitpersonen speichern. Wir sind uns sicherlichinig, dass die Antiterrordatei einen aktuellen Bezugum islamistischen Terrorismus in Deutschland habenollte. Wollen Sie etwa, dass hinter jedem gespeichertenamen „Moslem“ steht? Das ist doch völlig sinnentleert,icht zielführend und stigmatisierend. Das ist das falscheignal. Das hat mit Integration nichts zu tun.
Kollege Wiefelspütz, Sie dürfen sich setzen. Ich weiß,ass Sie meiner Meinung sind, weil Sie Jurist sind; aberie stehen hier unter dem Druck der Einigung in einerroßen Koalition. Unter ähnlichen Zwängen stand auchch einmal.
rotzdem ist es richtig, das Richtige zu sagen.
ir werden uns im Innenausschuss über diesen Gesetz-ntwurf unterhalten können.Ich will noch ein Wort zur Videoüberwachung sa-en, weil das das zweite Sommerthema war. Herr Innen-inister Schäuble, ich habe Erkundigungen an denahnhöfen eingezogen. Es gab mir zu denken, dass dieB, die für die Anschaffung der Kameras zuständig ist,ittlerweile mehr Kameras hat, die unangeschlossen inahnhöfen herumhängen,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4463
)
)
Silke Stokar von Neuforn
als Kameras, die angeschlossen sind, weil das Bundes-innenministerium seinen Anteil – Sie sind für die Lei-tungskosten und die Software verantwortlich – nichtträgt, weil es an Investitionsprogrammen und Geldernmangelt. Das, was Sie hier gemacht haben, war das Wer-fen von Nebelkerzen.
Ich möchte zu den Sonderprogrammen für das Bun-desamt für Verfassungsschutz kommen. Ich wünschemir eine ehrliche Debatte mit den Verantwortlichen inSchleswig-Holstein. Es wäre die Aufgabe des Landes-amtes für Verfassungsschutz von Schleswig-Holstein ge-wesen, die radikalen Tendenzen in der Kieler Moscheezu erkennen. Ich sehe überhaupt nicht ein, dass wir dasBundesamt für Verfassungsschutz mit Sonderprogram-men ausstatten, während die Länder gleichzeitig ihrePersonalausstattung und ihre Kapazitäten zurückfahren.Wir haben in der Föderalismuskommission noch nichteinmal ansatzweise gesagt, dass die Länder überhauptnicht in der Lage sind, diese Aufgaben wahrzunehmen,und dass das Bundesamt eine Zentralstellenfunktion ein-nehmen muss. Ich vermisse Strukturreformen. Hier wer-den zusätzlich Gelder ausgegeben, ohne dass man dieAufgabenkritik und den Aufgabenabbau zum Beispielim Bereich der Spionageabwehr in Angriff nimmt. Aufdieser Ebene wird es mit uns keine Zusatzprogrammegeben. Wir wollen die Gelder für andere Zwecke ausge-ben.Sie haben das THW angesprochen. Es ist jetzt einJahr her, dass sich die Unwetter in New Orleans ereignethaben. Die Bundesregierung macht offensichtlich diegleichen Fehler wie die Regierung der USA. In NewOrleans kam es zu über 1 000 Todesopfern, weil alle Si-cherheitsbehörden auf die Bekämpfung des Terrorismusausgerichtet sind und der Bevölkerungsschutz vernach-lässigt wurde. Extreme Wetterlagen und großflächigeStromausfälle sind Risiken, die auch unsere Zivilbevöl-kerung bedrohen. Ich halte es für eine ganz gefährlicheFehlentwicklung, dass Sie erneut die Mittel für das Bun-desamt für Bevölkerungsschutz reduzieren. Es mangeltan Einsatzfahrzeugen und an Aus- und Fortbildung. Wirsind in der Fläche noch nicht einmal hinreichend mitFeuerwehrautos ausgestattet. Auch das ist ein konkretesSicherheitsrisiko.Lassen Sie mich ein Wort zur Biometrie sagen. ImHaushaltsplan sind 5 Millionen Euro für Sachverständi-genkosten ausgewiesen. Ich frage mich, für wen bzw. fürwas. Das müssen Sie schon näher erläutern. Überhauptnicht verstehe ich, dass das Projekt zur Iriserkennung amFrankfurter Flughafen weitergeführt wird. Die EU hatsich bekanntlich darauf verständigt, Fingerabdrücke undGesichtserkennung als Merkmale aufzunehmen. Es stehtfür mich der Verdacht im Raum, dass ein Lieblingspro-jekt des ehemaligen Bundesinnenministers Schily voneiner Firma weitergeführt wird, in deren AufsichtsratOtto Schily jetzt sitzt. Ich habe keine Lust, für die Lieb-lvgdskwlnhsbEkltrdgZeGtbNncumsEdEFNsd
Mir bleibt nur noch eine Minute, um etwas zur Inte-ration zu sagen. Die Bleiberechtsregelung scheiterterzeit an der schwarz-gelben Koalition in Niedersach-en. Die FDP ist maßgeblich daran schuld, dass es dazueine Regelung gibt. Wir Grüne haben schon lange er-artet, dass es hier zu einer bundesgesetzlichen Rege-ung kommt und sich die große Koalition nicht perma-ent von Schünemann und Beckstein auf der Naseerumtanzen lässt. Aufgrund der Zahlen über nicht be-tandene Kurse wissen wir, dass wir eine Qualitätsver-esserung, eine Erhöhung der Stundenzahl und einerhöhung der Stundenvergütung brauchen. Insofernönnen Sie nicht mit der gleichen Argumentation wie imetzten Jahr hier zu geringe Mittel einsetzen. Wir erwar-en hier eine Aufstockung. Wir müssen keine Evaluie-ung abwarten.
Meine letzte Bemerkung. Auch nicht hinnehmbar ist,ass die große Koalition die Mittel für den Kampf ge-en den Rechtsextremismus auslaufen lässt. In einereit, in der wir in Deutschland zunehmend rechts-xtreme Gewalt haben – es gab einen Zuwachs dieserewalttaten von 23,5 Prozent –, sorgt die große Koali-ion dafür, dass es flächendeckend zu einem Kahlschlagei den von Rot-Grün initiierten Projekten kommt.
Frau Kollegin!
Das ist nicht hinnehmbar. Das ist eine sträfliche Ver-
achlässigung eines wichtigen Themas der inneren Si-
herheit. Wir erwarten, dass diese Projekte weitergeführt
nd ausgebaut werden.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Ich
öchte etwas zur Fußball-WM und zu den dafür einge-
etzten Beamten sagen. Herr Bundesinnenminister, die
inlösung eines Versprechens steht noch aus, nämlich
er Sonderzahlung im Bereich des öffentlichen Dienstes.
s reicht nicht aus, den Beamten zu sagen: Danke für die
ußball-WM, danke für die Überstunden.
Frau Kollegin!
Sie erwarten auch, dass die für 2005 und 2006 zuge-agten Sonderzahlungen jetzt endlich ausgezahlt wer-en.Danke schön.
Metadaten/Kopzeile:
4464 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Das Wort hat der Kollege Helmut Brandt, CDU/CSU-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Nach der Rückkehr aus den Ferienhat sich durch die zwischenzeitlichen Ereignisse die Si-cherheitslage unseres Landes augenscheinlich verändert.Jedenfalls wird jetzt von der breiten Öffentlichkeit dieGefährdung unseres Landes völlig anders eingeschätzt.Unseren Bürgern ist bewusster geworden, dass die Ein-schätzung unserer Sicherheitspolitiker bezüglich des Ge-fährdungsgrades in punkto innerer Sicherheit leider zu-treffend war und ist. Der positive Schwung der grandiosverlaufenden Fußballweltmeisterschaft hatte viele indem Glauben bestärkt, in Deutschland sicher zu sein undAnschläge nicht befürchten zu müssen.Erlauben Sie auch mir an dieser Stelle, kurz den Dankan all jene zum Ausdruck zu bringen, die – ob ehrenamt-lich oder hauptamtlich – ihren Beitrag zur vorzüglichenOrganisation und Durchführung dieser Weltmeister-schaft geleistet haben.
Dies gilt im Übrigen in gleicher Weise für die am Sonn-tag zu Ende gegangene Weltmeisterschaft der Reiter inAachen. Ich komme aus der Nähe.
Daher ist mir dies ein Anliegen. Sie alle, aber auch un-sere Bürger insgesamt, haben der Welt vermittelt:Deutschland ist ein weltoffenes und gastfreundliches,aber auch ein sicheres Land.Dieser nicht bezahlbare Imagegewinn für unser Landwird auch wirtschaftlich gesehen positive Folgen haben,insbesondere im Bereich der Tourismuswirtschaft. Alldies werden wir sicherlich spätestens im nächsten Jahrpositiv registrieren können.
Andererseits wissen wir heute: Es hätte auch anderskommen können. Inzwischen wurde bekannt, dass diebeiden festgenommenen Attentäter ihre Anschläge aufdie Regionalzüge bereits während der Weltmeisterschaftumsetzen wollten. Den Entschluss dazu hatten sie jeden-falls bereits gefasst. Man wagt es nicht, sich vorzustel-len, wie diese Fußballweltmeisterschaft dann verlaufenwäre und welcher Eindruck dann in der Welt entstandenwäre. Sofort wird man an die Ereignisse bei der Olym-piade in München erinnert.Allzu schnell ist man aber auch bereit, diese Gedan-ken nach den gescheiterten Versuchen und der Fest-nahme der Attentäter zu verdrängen. Es wäre nicht nurtöricht und es stellte nicht nur politisch ein völlig fal-sches Signal dar, sondern es wäre auch sicherheitspoli-tisch grob fahrlässig, wenn man dies täte.aigeBSntDwlslwSj4vkFdswFdnÜBfdtiDSn–giDwVsudbkd
ie derzeitige Situation – Herr Kollege, darin werdenie mir folgen – macht diese Maßnahmen meiner Mei-ung nach unbedingt notwendig.
Wenn Sie mir nicht folgen, haben Sie etwas zu verber-en.
Das Ergebnis der gestrigen Innenministerkonferenzst insoweit ein für unsere Fraktion ermutigendes Signal.ie Antiterrordatei stellt ein wesentliches Element dar,enn es darum geht, die Zusammenarbeit von Polizei,erfassungsschutz und Nachrichtendiensten zu verbes-ern. Man muss sich vor Augen führen, dass aufgrundnserer föderalen Strukturen die Landeskriminalämter,ie Landesämter für Verfassungsschutz und die Bundes-ehörden, also mindestens 38 verschiedene Behörden,ünftig Zugriff auf diese Datei haben werden. Dann wer-en bestehende Lücken in der Ermittlungsarbeit ge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4465
)
)
Helmut Brandtschlossen und wird verhindert, dass solche Lücken vonExtremisten und Terroristen zum Nachteil unserer Be-völkerung genutzt werden können.Erinnern möchte ich in diesem Zusammenhang auchan die schon einmal geführte Diskussion über die Ver-wendung von Daten aus der Mauterfassung bei LKW.Wir sind der Auffassung, dass diese Daten für polizeili-che Ermittlungen herangezogen werden müssen, wennsich dies aufgrund der Verdachtslage und der besonderenUmstände im Einzelfall aufdrängt und für die Ermitt-lungstätigkeit der Polizei unabdingbar ist. Ich erinnerenur an den kürzlich aufgeklärten Fall des so genanntenAutobahnmörders.Man wird auch prüfen müssen, in welchem Umfangdas Ausländerrecht stärker zur Gefahrenabwehr ge-nutzt bzw. dahin gehend verbessert werden kann. Dabeisind die Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus demVisa-Untersuchungsausschuss der letzten Wahlperiodebesonders zu berücksichtigen.Aber nicht nur restriktive und Gefahren abwehrendeMaßnahmen sind erforderlich und insoweit im Haus-haltsplan vorgesehen. Wichtig sind auch die weiterenMaßnahmen zur Vermeidung oder Verringerung von Ge-fährdungspotenzial. Im Bereich des Inneren zielen dieseinsbesondere auf die Integration. Ich danke hier derKanzlerin ausdrücklich dafür, dass sie den Dialog mitdem Islam und den Religionsgemeinschaften insgesamtinitiiert hat.Ein in Deutschland voll integrierter, unser Staatswe-sen bejahender Ausländer wird nicht mehr für Hasstira-den und Aufrufe zum Terror oder zur Unterstützung desTerrors empfänglich sein. Jeder ausgegrenzte oder in ei-ner Nebengesellschaft Lebende wird demgegenüberhierfür anfällig sein und bleiben.
Herr Kollege, Sie denken bitte an die Zeit.
Herr Präsident, ich danke für den Hinweis. Der Bun-
desinnenminister, den ich sehr schätze, hat mir etwas
meiner Zeit gestohlen.
Aber das macht nichts; denn er hat in vortrefflicher
Weise all das vorgetragen, was ich jetzt noch vortragen
wollte. Insofern nehme ich es ihm natürlich nicht übel.
Herr Kollege, ich empfehle eine leichte Glättung für
das Protokoll: Minister stehlen prinzipiell nicht und In-
nenminister schon gar nicht.
Ich gehe davon aus, dass dies weder rechtswidrig
noch schuldhaft war.
n
r
D
f
I
z
g
F
r
l
t
d
W
t
l
D
e
m
G
s
K
l
d
z
e
D
n
A
n
E
t
g
w
w
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Max Stadler für die
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Der geschätzte Kollege Hartmann hat am Ende deretzten Haushaltsdebatte die Gemeinsamkeit aller Frak-ionen bei der inneren Sicherheit beschworen. Wir voner FDP können dem zustimmen, aber nur teilweise.ie Kollegin Gisela Piltz vorhin richtig ausgeführt hat,ragen wir Maßnahmen, die die innere Sicherheit wirk-ich erhöhen, mit, wenn sie verfassungsgemäß sind.
as war in der Vergangenheit nicht immer der Fall. Werntscheidet das? Das Bundesverfassungsgericht. Esusste leider des Öfteren die Entscheidung treffen, dassesetze, die hier mit Mehrheit verabschiedet wordenind, nicht dem Grundgesetz entsprechen.Wir meinen, die richtige Reaktion darauf ist nicht, diearlsruher Richter in die Ecke der Weltfremden zu stel-en. Die richtige Reaktion ist vielmehr, sich künftig anie Vorgaben der Verfassung zu halten.
Verehrter Herr Kollege Brandt, wer sich gegen über-ogene Überwachung ausspricht, hat doch nicht selbertwas zu verbergen.
as ist ein typischer Kurzschluss, der hier zwar ein we-ig Heiterkeit hervorgerufen hat. In Wahrheit ist das einrgument, dem man in der Sicherheitsdebatte oft begeg-et. Es ist ein Argument, mit dem das Bemühen um dieinhaltung der Verhältnismäßigkeit der Mittel diskredi-iert wird. Deswegen kann dieses Argument hier nichtelten.
Sicherheitspolitik ist nicht etwa nur Polizeirecht. Des-egen unterstützen wir Sie, Herr Minister Schäuble,enn Sie mit dem Islamgipfel einen Dialog beginnen
Metadaten/Kopzeile:
4466 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Dr. Max Stadlerund wenn Sie das Versprechen einhalten, das Sie in ei-nem Interview gegeben haben, nämlich bei der Einla-dung die Gesprächspartner ohne Tabu auszuwählen.Aber Sicherheitspolitik ist im Wesentlichen natürlichpolizeiliches Handeln. Wir haben bei Ihren Ausführun-gen heute in der Debatte wieder gehört, dass man ange-sichts der Bedrohung immer mehr in den präventivenBereich hineingehen müsse; es komme darauf an, Straf-taten schon im Vorfeld zu erkennen und zu verhindern.Wer möchte dem widersprechen? Aber wir müssen unsebenso bewusst sein, dass darin auch eine Gefahr liegt.Erinnern wir uns an die klaren Vorgaben des Bundesver-fassungsgerichts, etwa wann polizeiliches Abhören vonTelefonaten oder eine Rasterfahndung vorbeugend zu-lässig sein darf. Man merkt, dass bei der von Ihnen vor-hin favorisierten Tätigkeit der Geheimdienste die Krite-rien für die Eingriffe nicht so klar sind. Geheimdienstedürfen definitionsgemäß viel mehr. Dadurch geraten vielmehr Unverdächtige in ihr Visier. Das ist der eigentlicheKern des Streits darüber, warum es nicht richtig seinkonnte, Dateien der Geheimdienste allen Sicherheits-behörden eins zu eins zur Verfügung zu stellen.
Auch dafür muss es genaue Kriterien geben.Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas erwähnen,worin ich Sie unterstütze, Herr Minister Schäuble. Siesagten, wenn wir – die Koalition will das ja demnächstin die Gesetzgebung einbringen – den Geheimdienstenmehr Befugnisse gäben, wäre auch mehr Kontrolle er-forderlich. Das ist genau das richtige Gegengewicht. Wirvon der FDP verstehen nicht, warum Sie als Koalitiondann nicht unserem Entwurf eines Gesetzes zur besserenparlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste nä-her treten.Ich möchte mit der Bitte an Sie schließen, doch auchdie personellen Ressourcen bei den Diensten sinnvolleinzusetzen. Ich habe heute zufällig den bayerischenVerfassungsschutzbericht in die Hände bekommen;beim Bund ist es nicht besser. Ich lese Ihnen vor, was imbayerischen Verfassungsschutzbericht auf Seite – –
Herr Stadler, das wird nur schwer gehen.
Herr Präsident, dieses Zitat wird auch Sie erfreuen
und Ihre Kenntnisse über die Arbeit der Geheimdienste
erweitern.
Ich lasse mich einmal auf dieses Geschäft ein, Herr
Stadler.
Gestatten Sie, dass ich Ihnen aber doch noch mitteile,
was dort auf Seite 169 zu lesen ist. Über einen PDS-Par-
teitag heißt es:
P
e
H
w
d
n
s
K
e
k
d
h
c
K
d
d
t
e
m
d
t
t
t
w
t
E
g
m
l
s
t
t
m
A
m
s
Herr Stadler, es wäre in der Tat ein Jammer gewesen,
enn ich dieses Zitat nicht gehört hätte.
Nun hat das Wort der Kollege Sebastian Edathy für
ie SPD-Fraktion. Den zahlreichen bereits vorgetrage-
en Glückwünschen zu seinem heutigen Geburtstag
chließt sich das Präsidium vollinhaltlich an.
Vielen Dank. – Guten Abend, Herr Präsident! Liebeolleginnen und Kollegen! Es ist ganz schön, einmaline Rede mit Beifall aus allen Fraktionen beginnen zuönnen. Wenn wir das so beibehalten könnten, würde ichas durchaus begrüßen.
Wir haben in dieser Debatte heute Nachmittag undeute Abend sehr intensiv über innere Sicherheit gespro-hen. Ich freue mich, dass es doch einen sehr breitenonsens gegeben hat, nämlich sowohl in der Hinsicht,ass es nicht redlich wäre, den Bürgerinnen und Bürgernen Eindruck zu vermitteln, man könne hundertprozen-ige Sicherheit garantieren, als auch in der Hinsicht, dasss nicht redlich wäre, so zu tun, als beschäftigten wir unsit dem Thema „Umgang mit den Herausforderungenurch den internationalen Terrorismus“ erst seit vorges-ern oder seit drei Wochen. Da ist auch in der Verantwor-ung der Vorgängerregierung unter Bundesinnenminis-er a. D. Otto Schily viel auf den Weg gebracht worden,obei es immer noch Verbesserungsmöglichkeiten, Op-imierungsmöglichkeiten gibt.
Dazu gehört das, was jetzt im Herbst in Form dervaluierung der Antiterrorismusgesetze ansteht. Dazuehört aber sicherlich auch, das umzusetzen, was nacheinem Dafürhalten inhaltlich auch Konsens ist: näm-ich die Antiterrordatei. So sehr ich es begrüße, dassich die Innenminister der Bundesländer damit sehr in-ensiv beschäftigt haben und auch viele Gemeinsamkei-en entdeckt haben, denke ich, dass wir hier im Parla-ent deutlich sagen sollten: Wir freuen uns über gutenregungen, die von den Länderinnenministern kom-en, aber Gesetzgeber sind wir als Parlamentarier schonelber; dafür haben wir die Legitimation.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4467
)
)
Sebastian Edathy
Wir haben auch den Anspruch, diesen Entwurf genau an-zuschauen, bevor wir ihn hier mit Mehrheit verabschie-den, auch wenn mir das, was da entwickelt worden ist,durchaus plausibel und vernünftig zu sein scheint. Es istmir aber schon im Mai etwas sauer aufgestoßen, dass dieInnenministerkonferenz den Eindruck erweckt hat, siesei es, die zuständig ist für das Staatsangehörigkeitsrechtoder für das Ausländerrecht insgesamt. Da haben wirdoch klare grundgesetzliche Regelungen, an die wir unsin einer Demokratie auch halten sollten.Die Sicherheitsarchitektur in Deutschland – das sollteman bei der ganzen Debatte berücksichtigen – hat sichim Großen und Ganzen bewährt, einschließlich dergrundsätzlichen Trennung zwischen polizeilichen undmilitärischen Aufgaben. Auch wenn man den Eindruckhat, dass die Forderung nach einem bewaffneten Einsatzder Bundeswehr im Innern eine Art ceterum censeovon Teilen der deutschen Innenpolitik des frühen21. Jahrhunderts zu sein scheint, will ich hier doch deut-lich sagen: Die Forderung nach bewaffneten Bundes-wehreinsätzen im Innern wird nicht dadurch besser, dassman sie wiederholt; sie bleibt falsch.
Wir sind der Auffassung, dass die für Bundeswehrein-sätze in Deutschland geltenden grundgesetzlichen Vor-gaben im Kern absolut ausreichend sind. In dem Zusam-menhang möchte ich auf zwei Dinge hinweisen. Zumeinen hat nicht zuletzt – bei aller Skepsis, die es im Vor-feld teilweise gegeben hat – die Fußballweltmeister-schaft in Deutschland sehr eindrücklich unter Beweisgestellt, dass unsere Polizei sehr wohl und in hervorra-gender Weise dazu in der Lage ist, auch mit schwierigenSituationen umzugehen. Zum anderen gehört es auch zurRedlichkeit in der Debatte, sehr deutlich zu sagen, dasses beim Thema „Umgang mit den Herausforderungendurch den internationalen Terrorismus“ nicht so sehr aufdie Muskeln in den Armen als auf die Muskeln zwischenden Ohren ankommt. Die entscheidende Waffe ist mög-lichst gute Informationserhebung und möglichst gute In-formationsvernetzung. Das heißt, neben der Polizei musses nachrichtendienstliche Arbeit geben, die natürlich de-mokratischer Kontrolle und Legitimation unterliegt. Eskommt aber nicht so sehr auf das an – das ist der ent-scheidende Punkt –, was dann in Form von Manpowerzum Beispiel im direkten Sicherheitsbereich zu leistenwäre.Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Zuge der Haus-haltsberatungen in den nächsten Wochen wird sehr ge-nau darauf zu achten sein, dass von den Vorschlägen zurpersonellen und zur sächlichen Verbesserung der Aus-stattung unserer Sicherheitsbehörden diejenigen, die nö-tig sind, umgesetzt werden, und dass wir vor allen Din-gen den Bereich der Prävention, den Bereich derVorbeugung stärken.Lassen Sie mich mit Blick auf die Sicherheitsdebattesagen, dass ich sehr froh darüber bin, dass ganz bewusstund zu Recht parteiübergreifend davon Abstand genom-men wurde, Bürger muslimischen Glaubens mit einemGdgfgnnstsdD–IikLmdgaksvMtggwlgBgJhgPntw
Metadaten/Kopzeile:
4468 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
atWddABewksStBrdmeSENeruRolzmVhNenmesndfB
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!enn wir hier über Leitlinien der Innenpolitik reden,ann dürfen wir einen wichtigen Pfad nicht aussparen:en Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus undntisemitismus.
Wir erleben gerade aktuell in den Wahlkämpfen inerlin und in Mecklenburg-Vorpommern, wie rechts-xtremistische Kameraden zunehmend aggressiv und ge-alttätig agieren. Aber es geht hier nicht nur um Wahl-ampf; es geht um den Alltag in Ost und West. Sie wis-en: Wir fragen seit Jahren Monat für Monat nach dentraf- und Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hin-ergrund. Allein der offizielle Befund ist alarmierend: Imundesdurchschnitt werden inzwischen stündlich dreiechtsextrem motivierte Straftaten registriert und täglichrei Gewalttaten.Deshalb muss das ein Thema bleiben. Ich wünscheir, dass wir dazu, auch im Plenum des Bundestages,ine konstruktive und ressortübergreifende Debatte zutrategien und nachhaltigem Widerstand gegen diesentwicklung führen.
Nun wurde in diesen Tagen wieder vorgeschlagen, diePD verbieten zu lassen. Ich halte das im Moment fürine untaugliche Ersatzdebatte. Denn erstens wurde ge-ade ein Verbotsverfahren blamabel in den Sand gesetztnd zweitens reduzieren sich Rechtsextremismus undassismus keineswegs nur auf Mitglieder dieser Parteider den rechten Rand.Ich will das an einem aktuellen Beispiel aus dem Ber-iner Alltag illustrieren. In Pankow-Heinersdorf tobt der-eit ein Streit, ob eine seit 1924 hier in Berlin ansässigeuslimische Gemeinde dort eine Moschee bauen darf.iele Bürgerinnen und Bürger sind verängstigt. Sie er-alten – gewollt oder ungewollt – Flankenschutz von derPD und von rechtsextremen Kameradschaften. Und sierfahren großzügiges Verständnis von Teilen der Berli-er CDU. Ich finde das verantwortungslos. Natürlichuss man die Sorgen von Bürgerinnen und Bürgernrnst nehmen. Aber man darf sie nicht noch schüren undchon gar nicht darf man Bestrebungen unterstützen,ach denen Pankow-Heinersdorf eine Enklave sei, woas Grundgesetz, das Toleranzgebot und die Religions-reiheit nicht gelten.Das ist keine alleinige Angelegenheit von Teilen dererliner CDU oder der Berliner Politik, sondern der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4469
)
)
Petra PauBundespolitik. Schauen Sie nur einmal, welches Bildvon Muslimen und anderen Bevölkerungsgruppen all-täglich gezeichnet wird. Sie erscheinen viel zu oft syno-nym für Gewalt und Terror. Damit werden MillionenMitbürgerinnen und Mitbürger in eine gefährliche Sip-penhaft genommen, für die es keinerlei Grund gibt.Auch die gestern auf der Innenministerkonferenz be-schlossene Antiterrordatei droht ein weiterer Bausteindafür zu werden.
Ich will jetzt nicht über die Datei an sich reden; dazuwerden wir noch viel Zeit haben. Aber durch die Auf-nahme solcher Daten wie Religionszugehörigkeit wirdeine große Bevölkerungsgruppe unter Generalverdachtgenommen. Ich finde, das schafft ein Klima, das für eineweltoffene und tolerante Gesellschaft Gift ist. Deshalbist die Linke prinzipiell dagegen.Nun noch ein abschließender Gedanke zum Geld;denn wir führen ja hier eine Haushaltsdebatte. Ich kannnamens der Linken im Bund und in den Ländern nur in-ständig appellieren: Kürzen Sie nicht die Mittel, die fürdie Initiativen vor Ort nötig sind, die sich für Demokra-tie und Toleranz engagieren! Schaffen wir gemeinsameine Lösung zur Förderung der Strukturprojekte gegenRechtsextremismus.
Denn wir brauchen sie wie das tägliche Brot. GegenRechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus hilftletztendlich nur eines: eine couragierte Zivilgesellschaft,die ihre Demokratie, ihre Bürgerrechte und damit ihrGrundgesetz verteidigt.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Michael Luther für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Traditionsgemäß gab es anlässlich der Einbringung desHaushalts eine sehr interessante Debatte der Fachpoliti-ker über die Ziele der Innenpolitik in Deutschland. Ichbin Haushälter und erlaube mir daher an dieser Stelle,ein paar Punkte aus dieser Sicht beizutragen.Der Gesamtetat des Einzelplans 06 umfasst4,4 Milliarden Euro. Das sind 80 Millionen Euro mehrals im Jahr 2006 und entspricht einer Steigerung von1,8 Prozent. Davon profitieren zum Beispiel das Statisti-sche Bundesamt, das Bundesamt für Bevölkerungs-schutz und Katastrophenhilfe sowie das THW. Ich finde,das ist gut so.Wir müssen aber auch sehen, dass es zum Beispiel ei-nen Aufwuchs um 14,7 Millionen Euro bei den Versor-gungsaufwendungen gibt, die jetzt in den Einzelplänenetatisiert sind. Nächstes Jahr stehen außerdem die EU-RAtkKfhfkasimsfpnnwaDiFnmmmSnMocDdaitbrhsPGIibskdm
Metadaten/Kopzeile:
4470 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
)
)
Ich bin aber zuversichtlich, dass wir mit der Bahn eineeinvernehmliche Lösung finden werden; zumindesthoffe ich es.
Lassen Sie mich noch ein Wort zum Thema Integra-tion sagen. Integration ist ein wichtiges Anliegen derCDU/CSU-Bundestagsfraktion. Das Erlernen der Spra-che ist eine Voraussetzung für Integration. Für Integra-tionskurse im Jahr 2007 sind wieder rund 140 MillionenEuro vorgesehen. Das Jahr 2006 zeigt, dass dieseSumme ausreichen kann. Ich weiß, dass der Integrations-gipfel dieses Thema aufgegriffen hat und bisher zu kei-ner abschließenden Bewertung gekommen ist. Wir wis-sen noch nicht, welche Implikationen aus diesem Gipfelresultieren werden. In den Haushaltsberatungen werdenwmErBoüssthMnWRKwdswSstFwtwgtwSsggüSsww
icherlich sind wir nicht in allen Bereichen so gut aufge-tellt. Trotzdem sage ich: Recht herzlichen Dank für dieute Arbeit!
Die längst noch nicht abgeschlossene Auswertung derewonnenen Erkenntnisse wird hoffentlich Aufschlussber die genauen Hintergründe und Motive bringen. Diepekulationen, die seitdem auftauchen, bleiben solche,olange wir nicht Tiefgründigeres darüber wissen. Wirollen die Ereignisse – das haben einige festgestellt –eder verharmlosen noch dramatisieren. Beides wäre si-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006 4471
)
)
Maik Reichelcher nicht angebracht. Viele haben von Glück gespro-chen. Wir hatten Glück. Aber dies allein reicht nicht aus.Der Haushalt, über den wir heute in erster Lesungsprechen, hat sich der veränderten Sicherheitslage ange-passt. Es liegt nun an uns, ihn weiter mit- und auszuge-stalten. Ich sage dies vor allen Dingen auch im Hinblick– darüber haben wir heute mehrfach gesprochen – aufdie geplante Antiterrordatei und die Intensivierung derim Falle der Kofferbomben doch aufschlussreichen Vi-deoüberwachung.Wenn wir uns einmal die Niederschrift der gestrigenInnenministerkonferenz anschauen, dann sehen wir,dass sie sich auf die Einführung einer gemeinsamen Dateides Bundes und der Länder geeinigt hat – ich zitiere –, „inder Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden zu relevantenPersonen und Objekten gespeichert werden.“ Schauenwir uns noch einmal genau an, was dort alles drinsteht– ein Punkt, die Religionszugehörigkeit, ist bereits ange-sprochen worden –: Erfasst werden Grunddaten zur Per-son, die Zugehörigkeit zu terroristischen Vereinigungen,Waffenbesitz, Telekommunikations- und Internetdaten,Bankverbindungen und Schließfächer, die Schul- undBerufsausbildung, Arbeitsstellen, sogar der Familien-stand, der Verlust von Ausweispapieren, Reisebewegun-gen und bekannte Aufenthalte an Orten mit terroristi-schem Hintergrund, zum Beispiel Ausbildungslager.Darüber werden wir in diesem Hause sprechen, im In-nenausschuss, im Plenum und auch an anderer Stelle. Inder Debatte zum Ressort Justiz wurde dies bereits ange-deutet. Ich denke, dass wir uns strikt auf grundgesetzli-cher Basis bewegen werden; keiner von uns hier wirddies bestreiten wollen.Die Auswirkungen der gestrigen Innenministerkonfe-renz werden auch in weiteren Beratungen im Haushalt2007 und darüber hinaus Beachtung finden.Ich kann nicht feststellen, dass die Nachrichtendienstekomplett aus den Fugen geraten sind. Wenn es so wäre,hätten wir in dem einen oder anderen Fall doch nicht sol-che Erfolge erzielt. Wir wünschen uns mehr. Aber dazugehört neben finanziell und personell verbesserter Aus-stattung natürlich auch, dass wir dies hier nicht nur bera-ten, sondern auch in den Haushalt einstellen. Der Haus-halt trägt dem bereits Rechnung. Mein Kollege FritzRudolf Körper hat es vorhin genannt. Allein die Stellenim Sicherheitsbereich zeigen das. Ich mache es nicht inProzenten fest, sondern in absoluten Zahlen: Die Zahlder Stellen im Bereich des Bundeskriminalamtes und derBundespolizei stieg von 42 889 im Jahr 1998 über44 722 im Jahr 2002 auf nunmehr 45 588 im kommen-den Jahr. Die Kosten sind im Haushalt entsprechend ein-gestellt.Bei allem, was wir tun, wissen wir natürlich – auchdas ist angesprochen worden –, dass es keine allumfas-sende, keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Eine To-talüberwachung, liebe Kollegin Piltz, stelle ich mirschwierig vor. Im Flugzeug bzw. auf dem Flughafen istdas etwas anderes als auf dem Bahnhof. Wenn es Vor-schläge Ihrerseits gibt, was wir mit den Paketen machenkwIwdsdzsvweiLisvVWnFSuhdLtktüeamdudlslun
ch glaube, es gibt gewisse Grenzen. Darüber werdenir sprechen müssen. Wir sind für jeden Vorschlagankbar.Lassen Sie mich noch einige Worte zur Fußball-WMagen. Vor einem Jahr – so lange gehöre ich dem Bun-estag an – haben wir begonnen, sehr intensiv darüberu diskutieren. Wir haben im Plenum, im Innenaus-chuss und außerparlamentarisch über die Sicherheits-orkehrungen, auch unter Einbeziehung der Bundes-ehr, diskutiert. Wir haben dann vier Wochen langrlebt – hier in Berlin, an anderen Spielorten und auchch in meinem Wahlkreis, benachbart unserer Sportstadteipzig –, was dort alles passiert oder eben nicht passiertt.
In den Gesprächen mit der Polizei vor Ort, speziellor den WM-Spielen in Leipzig, konnte ich die guteorbereitung erfahren, die sich dann auch während dereltmeisterschaft bewährt hat. Ich denke, viele von Ih-en teilen meine Erfahrung. „Die Welt zu Gast beireunden“ war eben nicht nur der auf Plakate gebanntelogan der WM, sondern gelebte und erlebte sportlichend kulturelle Freude. Die zuständigen Sicherheitsbe-örden haben hervorragende Arbeit geleistet, allen voranie Polizei, der mancher im Vorfeld der WM eine solcheeistung nicht zugetraut hat. Aber sie hat ihre Fähigkei-en bewiesen.
Auch wenn die WM weitgehend ohne große Kompli-ationen verlief, legen wir die Hände sicherheitspoli-isch jetzt natürlich nicht in den Schoß. Aber auch einerbertriebenen Hektik sollten wir nicht verfallen.Herr Kollege Wieland – jetzt kommt es; Sie wolltens hören –, das sage ich vor allen Dingen im Hinblickuf eventuell wieder aufkommende Diskussionen überögliche Änderungen des Grundgesetzes, was Einsätzeer Bundeswehr im Innern betrifft. Ich denke, Art. 35nd Art. 87 a des Grundgesetzes reichen aus: Die Bun-eswehr kann im Rahmen von Maßnahmen zur Hilfe-eistung und im Katastrophenfall zum Einsatz kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten gemein-am konstruktiv über die innere Sicherheit in Deutsch-and diskutieren. Dazu ist in den Haushaltsberatungennd danach noch sehr viel Zeit. Deshalb schenke ich Ih-en bzw. uns die letzte Minute meiner Redezeit. Wir
Metadaten/Kopzeile:
4472 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 45. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
(C)
(D)
Maik Reichelsollten unsere Kraft für die Sicherheit in Deutschlandeinsetzen.Herr Kollege Wieland, vielen Dank.
Das Präsidium bedankt sich insbesondere für die
großzügig geschenkte letzte Minute. Das ist ein seltener
Vorgang, der Ihnen für künftige Auftritte besondere
Sympathien sichert.
Wir sind damit am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 6. September 2006, 9 Uhr,
ein. Um Missverständnisse auszuschließen: Das ist mor-
gen früh.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.