Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 100. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Ich darf die Tatsache, daß wir heute die 100. Sitzung haben, doch zu einem kurzen Wort benutzen. Es pflegt im Laufe einer langen Geschichte eines Parlaments nichts zu bedeuten, wenn es 100 Sitzungen hat. Ich meine, daß die Tatsache, daß wir in diesem Bundestage jetzt 100 Sitzungstage zurückgelegt haben, doch etwas bedeutet, weil es sichtbar macht, daß die Arbeit in diesem Parlament, die Arbeit am Neubau einer deutschen Demokratie, die Arbeit am Neuwerden eines deutschen Volkes und Staates jedenfalls in ihren ersten Anfängen begonnen hat; und ich möchte doch der Meinung Ausdruck geben, daß wir für vieles, was in dieser Zeit hat geleistet werden können, dankbar sein dürfen;
wir müssen auch denen, die diese Arbeit in diesem
Hause getan und sie auch weit darüber hinaus ins
deutsche Volk getragen haben, dafür danken in der Bereitschaft und in dem Wollen, diese Arbeit zum Besten unseres deutschen Volkes fortzusetzen.
Ich bitte den Herrn 'Schriftführer, die vorliegenden Mitteilungen bekanntzugeben.
Es sucht für längere Zeit um Urlaub nach der Abgeordnete Dr. Semler für 10 Tage wegen einer Auslandsreise.
Es erfolgt kein Widerspruch; der Urlaub ist genehmigt.
Entschuldigt sind die Abgeordneten Dr. Dr. Höpker-Aschoff, Dr. Preiß, Reitzner, Kurlbaum, Meyer , Dr. Wahl, Dr. Henle, Tobaben, Wönner, .Wittenburg, Dr. Baumgartner, von Knoeringen und Dr. Suhr.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung — den einzigen Punkt für heute —:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1950 .
Als erster Redner hat sich der Herr Abgeordnete Bausch zum Wort gemeldet. Ich erteile ihm das Wort.
Es ist eine Redezeit von 6 Stunden vom Altestenrat vorgeschlagen. Das Hohe Haus ist damit einverstanden. Das bedeutet, daß auf die CDU 75 Minuten entfallen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Juni dieses Jahres hat die Bundesregierung dem Bundestag eine Ubersicht über die Finanz- und Haushaltslage des Bundes und der Länder vorgelegt. Diese Übersicht ist als Drucksache Nr. 1000 in die Akten des Bundestags eingegangen. Sie ist, wie ich festgestellt habe, auch draußen im Lande sehr viel beachtet worden. Eine Zeitung schrieb über diese Denkschrift Nr. 1000, sie sei ein wahres und echtes Volksbuch. Es scheint mir eine höchst bedeutsame Angelegenheit zu sein, daß die öffentliche Meinung unseres Landes eine solche mit nüchternen Zahlen gefüllte Drucksache des Bundestags als ein wahres und echtes Volksbuch bezeichnet. Ich glaube, wir müssen dieses Faktum zur Kenntnis nehmen. Ich bin tatsächlich der Meinung, daß diese Denkschrift ein wahres und echtes Volksbuch ist. Ich möchte wünschen, daß die Zahlen, die in dieser Denkschrift, in der Drucksache Nr. 1000, enthalten sind, weithin in unserem Volke bekannt werden. Denn nichts, gar nichts könnte mehr zur Klärung der politischen Meinung und auch zur Reinigung und Säuberung der politischen Atmosphäre beitragen als die Bekanntgabe der nüchternen und realen Tatsachen, die in den paar Dutzend Zahlen zum Ausdruck kommen, die in der Denkschrift Nr. 1000 enthalten sind. Diese Tatsachen sollten weiten Teilen unseres Volkes zur Kenntnis kommen; sie sollten — das ist meine Überzeugung — in allen Volkshochschulen, in den höheren Schulen und in den Universitäten erörtert werden. Möglichst breite Teile des Volkes sollten Kenntnis von diesen Tatsachen nehmen und darüber nachdenken, welch bitter schwere Aufgabe die Bundesregierung damit hat, das Erbe der Vergangenheit und damit den größten Staatsbankerott der Geschichte zu
verwalten, nach diesem Bankerott wieder eine gesunde Finanzwirtschaft aufzubauen und dazuhin das Riesenheer von notleidenden Gliedern unseres Volkes zu versorgen.
Mit der Drucksache Nr. 1500, — ich habe den Eindruck, unser Finanzminister hat ein ganz besonderes Talent in der Auswahl einprägsamer Drucksachennummern für seine wichtigsten Finanzvorlagen — wurde nunmehr dem Deutschen Bundestag das Haushaltsgesetz für 1950 und nach dem Rumpfhaushalt des vorigen Jahres damit der erste geschlossene Haushaltsplan des Bundes vorgelegt. Der Bundestag ist damit in den Stand gesetzt, sein erstes und wichtigstes Recht, das erste und wichtigste Recht des Parlaments, das Budgetrecht, die Bewilligung der Einnahmen und Ausgaben der Bundesverwaltung, wahrzunehmen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat schon am Mittwoch auf die wichtigsten Zahlen des Bundeshaushalts hingewiesen. Sie werden es mir deshalb sicher nicht übelnehmen, wenn ich darauf verzichte, diese Zahlen noch einmal anzuführen. Die Summe, die im Haushalt in Einnahmen und Ausgaben ausgewiesen ist, bedeutet in jedem Falle eine gewaltige Belastung des Sozialprodukts, mögen auch die Schätzungen über die Höhe des deutschen Sozialprodukts noch weit auseinandergehen. Nebenbei gesagt: es wäre vielleicht gut, wenn wir in der Nennung solch schwer errechenbarer und deshalb geschätzter Zahlen über die Höhe des Sozialprodukts sehr viel behutsamer wären, als wir es in der letzten Zeit waren. Phantasiereiche Schätzungen können für uns sehr nachteilige und tief einschneidende Folgen haben. Je großzügiger w i r sind, desto großzügiger wird das Ausland damit sein. Kürzlich hat denn ja auch ein amerikanischer Sprecher eine Summe von 100 Milliarden DM für das deutsche Sozialprodukt angegeben, eine Summe, von der ich überzeugt bin, daß sie wahrscheinlich um 25 bis 30 % zu hoch gegriffen sein wird.
Der Herr Bundesfinanzminister hat gestern in seiner großen Einbringungsrede zum Haushaltsplan — der Herr Finanzminister kommt jetzt eben, wie ich sehe, und ich freue mich, daß er das, was ich zu sagen im Begriff bin, jetzt hören kann — in seiner Einbringungsrede, die ein Muster an Klarheit, an Sachlichkeit und Gründlichkeit war, — —
Sprechen Sie nach vorn, Herr Abgeordneter. Sonst kann man Sie nicht verstehen.
— die Grundsätze seiner Finanzpolitik dargelegt und hat zudem eine Fülle von erläuternden Zahlen und sonstigen Angaben zum Haushaltsplan bekanntgegeben, die in den kommenden Wochen und Monaten wertvolle Anhaltspunkte dafür geben werden, den Haushaltsplan und die Finanzpolitik der Regierung im Haushaltsausschuß sowie in den kommenden Lesungen des Etats hier im Plenum des Bundestags nach jeder Richtung hin zu überprüfen, zu durchleuchten und zu würdigen. Ich möchte mich deshalb jetzt auf nur einige wenige Bemerkungen zum Haushaltsplan beschränken.
Wir begrüßen es, daß der Herr Bundesfinanzminister sich mit so großer Entschlossenheit für einen klaren und eindeutigen Ausgleich des Hausplans eingesetzt hat. Er hat in diesem Bestreben ben unsere uneingeschränkte Zustimmung. Der Finanzminister hat die Absicht, die durch Beschlüsse des Bundestags entstandenen Mehraufwendungen durch neue Steuern zu decken. Er ist wegen dieser Absicht sehr scharf angegriffen worden. Ich möchte zu den Steuerplänen im einzelnen jetzt nicht Stellung nehmen. Ich lege aber Wert darauf, folgendes festzustellen: Wir können dem Finanzminister keinesfalls einen Vorwurf daraus machen, daß er sich bemüht, für den Ausgleich des Haushalts zu sorgen. Würde er das nicht tun, dann würde er auf unsere Kritik stoßen. Wenn der Bundestag Ausgaben beschließt, bleibt dem Finanzminister nur übrig, sich entweder des Art. 113 des Grundgesetzes zu bedienen oder aber für neue Einnahmen zu sorgen.
Meine Damen und Herren, ich bitte, Ihre Aufmerksamkeit für den Redner etwas zu verstärken.
Würde er etwa versuchen, durch gewagte und undurchsichtige Finanztransaktionen Deckung zu schaffen, so könnte im Handumdrehen eine neue Inflation heraufbeschworen werden. Daß ein solcher Vorgang etwas Schlimmes und in unserer Geschichte sozial Gefährliches für ein Volk ist, haben wir zweimal erlebt. Wenn der Bundesfinanzminister unser besonderes Vertrauen genießt, so gerade deshalb, weil wir wissen, daß er sich niemals dazu hergeben wird, eine inflationistische Finanzwirtschaft zu betreiben.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, nur noch auf einige ganz wenige wichtige Tatsachen, die aus dem Haushaltsplan hervorgehen, hinweisen. Wie Sie sicher schon selbst festgestellt haben werden, wird der Hauptposten der Ausgaben, nämlich 40,3 °/o der sämtlichen Ausgaben des Bundes, für Soziallasten in Anspruch genommen. Wenn man bedenkt, daß darin die auf den Besitz zu legenden Abgaben für den kommenden Lastenausgleich — hier unten sitzt der Herr Kollege Kunze, der sich darum insbesondere abgemüht hat — noch nicht inbegriffen sind — und wir wissen, daß diese Abgaben sehr hohe, in die Hunderte von Millionen gehende Summen erfordern werden —, dann kann man sich erst eine Vorstellung davon machen, welch ungeheure Leistungen die Bundesrepublik in der Fürsorge für die Notleidenden aller Art und für solche vollbringt, die auf der Schattenseite des Lebens wohnen. Man sollte angesichts dieser fundamentalen Tatsache, meine ich, endlich einmal damit aufhören, der Bundesregierung den Vorwurf zu machen, sie habe nichts für soziale Zwecke übrig, ein Vorwurf, der ja landauf, landab überall gemacht wird. Ich bin der Auffassung, daß ein solcher Vorwurf an der gegebenen Wirklichkeit völlig vorbeigeht.
Der nach den Sozialausgaben nächstgrößte Posten wird für die Besatzungs- und Besatzungsfolgekosten mit 36 % der Reinausgaben benötigt. Mit diesen beiden Hauptposten ist aber nun bereits über 76,3 % der Gesamteinnahmen des Bundes verfügt. — Der verbleibende Rest wird ebenfalls zum allergrößten Teil durch Ausgaben in Anspruch genommen, die weithin ebenso zwangsläufig und von der Bundesregierung nur in beschränktem Maße beeinflußbar sind. Für Verwaltungskosten verbleiben insgesamt 542,9 Millionen gleich 4,2% der Reinausgaben.
Nun muß ich aber auf eine Tatsache hinweisen, die mir wichtig zu sein scheint. Es muß darauf hingewiesen werden, daß in dieser Summe von 542,9 Millionen für Verwaltungskosten auch folgende Kosten inbegriffen sind: erstens die Verwaltungskostenerstattung an die Länder für die Einziehung der Umsatz- und anderer Steuern mit rund 100 Millionen, zweitens die Kosten für die Binnenwasserstraßen und die Seewasserstraßen mit rund 95 Millionen und drittens die Kosten des gesamten Aufwands für die Steuer- und Zollverwaltung mit rund 200 Millionen.
Zieht man nun diese Kosten, die man ja wohl kaum als Verwaltungskosten im engeren Sinne ansprechen kann, von der Gesamtsumme der Verwaltungskosten ab, so verbleiben an persönlichen und sachlichen Kosten für die sämtlichen Bundesministerien und für die beiden Bundesparlamente, den Bundestag und den Bundesrat, noch alles in allem 143,9 Millionen gleich 1,2 % der Reineinnahmen des Bundes.
Ich glaube nicht, daß es noch ein anderes Land in Europa gibt, dessen Zentralverwaltung verhältnismäßig so billig ist wie diejenige der Bundesrepublik.
Kein ernst zu nehmender Mensch wird angesichts dieser Zahlen behaupten können, daß etwa durch eine Verwaltungsvereinfachung oder Verwaltungsreform noch nennenswerte Erübrigungen für andere Zwecke des Bundes würden gemacht werden können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit möchte ich aber meine vorläufigen Bemerkungen zum Haushaltsplan abschließen. Einem alten, guten Brauch der Parlamente folgend, soll heute eine politische Generalaussprache durchgeführt werden. Einer meiner Freunde wird nachher zu einigen wichtigen politischen Problemen Stellung nehmen. Ich möchte mich heute nur mit einer einzigen Frage beschäftigen, einer Frage, die mir von allen Fragen, die aus Anlaß einer politischen Generalaussprache zu stellen sind, die allerwichtigste und brennendste Frage zu sein scheint.
Meine Damen und Herren! Jeder von Ihnen wird bei der außenpolitischen Aussprache, die am Mittwoch geführt wurde, den Eindruck bekommen haben, daß wir in einer sehr ernsten Zeit leben. Vielleicht — vielleicht!, wer vermag darüber Sicheres zu sagen — leben wir nur in einer Atempause der Weltgeschichte. Das Schiff unserer neugegründeten Bundesrepublik fährt auf hoher See. Diese See ist stürmisch bewegt. Das wird man wohl sagen dürfen. Schiffe, die auf hoher See sind, pflegen von Zeit zu Zeit eine Standortbestimmung vorzunehmen. Es scheint mir also Anlaß gegeben zu sein, zu fragen: Wo stehen wir? Wo stehen wir mit unserer Bundesrepublik? Wo stehen wir mit unserem neugegründeten Staat? Wohin geht die Reise? Sind wir mit unserer Demokratie auf dem rechten Weg?
Meine Damen und Herren! Wir alle sind in diesem Hause sehr beschäftigt. Es wird in diesem Hause viel gearbeitet. Der Außenstehende kann sich wohl kaum ein Bild davon machen, wieviel in diesem Hause gearbeitet wird. Wir leiden alle unter einer Hetze, die oftmals — jedenfalls geht es mir so — kaum zu ertragen ist. Aber gerade deshalb ist die Frage, ob wir mit unserer Demokratie auf dem richtigen Wege sind, ob wir das rechte Leitbild von der Demokratie haben, von größter Wichtigkeit. Sind wir nämlich auf dem falschen Wege, so mögen wir noch so schnell gehen, aber nichts wird uns davor bewahren, eines Tages wieder umkehren zu müssen. Und deshalb mag die Generalaussprache, 'die wir heute führen, Anlaß geben zu einer Stunde der Besinnung, einer ernsten Besinnung über den Standort, den wir innehaben, und den Weg, den wir verfolgen.
Es gibt heute viele Untergangspropheten. Sie machen sich anheischig, den Untergang Europas mit Sicherheit voraussagen zu können. Unzweifelhaft schenken ihnen viele Leute Glauben. Aber offenkundig — offenkundig! — sind diese Propheten dieselben Narren wie diejenigen, die einst den tausendjährigen Bestand des Hitlerreiches vorausgesagt haben.
Es gibt jedoch andere Vorgänge, die zum Nachdenken mahnen. — Sie sind Signale, die nicht überfahren werden dürfen.
Ich denke in diesen Tagen oftmals an die bitteren Zeiten zwischen 1930 und 1933 zurück. Der falsche Prophet stand vor den Toren. Die Willensträger der Weimarer Demokratie aber lagen ebenso im Streit miteinander wie die übrigen Völker Europas unter sich. Der Zwiespalt im nationalen und internationalen Leben war das besondere Merkmal jener verhängnisvollen Zeit. Eine Einigung kam nicht zustande, bis Hitler seine Herrschaft aufrichtete. Haben nicht die Zustände von heute eine geradezu verzweifelte Ähnlichkeit mit denjenigen der damaligen Zeit?
In Stuttgart wurde eine öffentliche Versammlung mit einer Rede des Bundeskanzlers durch Stör- und Sprengtrupps radikalisierter Elemente terrorisiert. Als ich die Nachricht davon las, mußte ich mich fragen: Sind wir nun wirklich wieder so weit, daß so etwas möglich ist?
Die Zahl der Mitglieder der Parteien ist — wir wollen uns das offen eingestehen, und ich glaube, daß man das von allen Parteien sagen kann — im Verhältnis zur Zahl der Wähler doch beschämend gering. Wieviele Leute gibt es denn, die sich für diesen neugegründeten Staat mit wirklicher Hingabe und Opferbereitschaft einsetzen? Wieviele haben wenigstens einen politischen Standort gewählt? Wieviele sind denn dankbar für die Freiheiten, die die Bürger unseres Landes genießen? Ich habe mir erzählen lassen, daß unlängst ein junger Student aus der Ostzone nach Tübingen, an die Universität meines Landes, kam. Die erste Frage, die er an seine Freunde stellte, war die: Haben Sie nicht eine Verfassung der Bundesrepublik? — Und er ließ sich durch nichts davon abhalten, hinzusitzen und sofort die ganze Verfassung durchzustudieren.
Nachdem er das gemacht hatte, rief er aus: Was sind Sie in der Bundesrepublik für glückliche Leute im Gegensatz zu uns, die wir Sklaven und Knechte sind.
Aber ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wieviele Leute bei uns in der Bundesrepublik haben die Verfassung auch nur gelesen?
Wieviele sind denn dankbar für das, was in unserer Verfassung steht?
Steht nicht der große Teil der Jugend abseits vom Staat und beantwortet jede Aufforderung mitzuarbeiten mit dem Rufe: Ohne mich! Das sind ernste Tatsachen, es sind Signale, die nicht überfahren werden dürfen.
Dieser Tage bekam ich einen Zeitungsartikel in die Hand. Er war in einem sehr ernst zu nehmenden Blatte abgedruckt. Ich habe es hier. In dem Blatte wurde etwa folgendes ausgeführt. Ich bitte den Herrn Präsidenten, mir die Erlaubnis zu geben, das hier vortragen zu dürfen. Ich vermute, daß Sie, Herr Präsident, diesen Artikel auch gelesen haben:
Der politische Mechanismus der heutigen Massendemokratie in Westdeutschland besitzt nur funktionale Bedeutung. Seiner vielen Relativa wegen aber fehlt ihm notwendig die lebendige Beteiligung des Volkswillens. Er stellt ein Gebilde der Vernunft dar, und soweit der einzelne Deutsche sich zur politischen Vernunft bekennt, wird er diese politische Ordnung bejahen und sich vernünftig,
— das heißt also: mit dem Kopf —
mit dem Kopf und mit der ratio, an ihr beteiligen. Mehr — —
Das ist in der Tat der Zustand: Freiheit ohne Bindung, Freiheit ohne Verantwortung! Man schimpft auf alles, was passiert. Man kritisiert den Staat in Grund und Boden hinein. Aber man übernimmt nicht eine Spur von Verantwortlichkeit für das Ganze, für den Staat und für die neu zu schaffende Gemeinschaftsordnung.
— Verehrter Herr Kollege, wollen wir uns nicht einmal die Frage vorlegen, ob dies die richtige Haltung ist, wenn wir uns über solche ernste Dinge auseinandersetzen?
„Das sind Ihre Kreise!"? Haben Sie so gesagt? Habe ich Sie richtig verstanden?
Darf ich Sie auf eines hinweisen: Eine solche Haltung ist ein in unserem Volksleben ganz elementarer Vorgang, er kehrt in vielen Auseinandersetzungen wieder, die heute in unserem Volk geführt werden, und ist geradezu typisch für sie: „Du bist schuld!" Immer der andere ist schuld! Nie ist man es selber! Bedenken Sie doch eins!
„Du bist schuld!" Was passiert denn, wenn ich diese Bewegung mache? Sehen Sie her! Wenn ich dort den Finger hinüberstrecke, nämlich auf den anderen, dann vergesse ich zumeist, daß drei Finger meiner Hand auf die eigene Brust gerichtet sind. Das sollten wir nicht übersehen. Nicht immer ist es der andere. Manchmal sind wir es auch selbst!
Die Schicksalsfrage für uns alle ist daher nach meiner Überzeugung diese: Wie können wir eine Demokratie und eine Gesellschaftsordnung schaffen, der die Liebe, die Hingabe und das ganze Herz ihrer Bürger gehört? Wo ist eine geistige Grundlage, eine Ideologie für diese Demokratie, die der Weltlage von 1950 gerecht wird? Oder, um Formulierungen zu gebrauchen, die vielleicht noch verständlicher sind: Wo ist die Kraft, die unseren nationalen Blutkreislauf mit lebendigem Leben erfüllt, die Energie- und Schutzstoffe bildet, die die Giftstoffe der Dekadenz und Entzweiung genau so ausscheidet, wie ein gesunder Körper die Krankheitsstoffe ausscheidet? Welches sind die großen geistigen Kräfte und Ideen, die unserem Volksleben einen inneren Halt geben und die für den Staatsaufbau richtungweisend sind?
Lassen Sie mich mit diesen bedeutsamen Fragen fortfahren: Wie kommen wir zu einer Gemeinschaftsordnung, die eine magnetische Kraft, eine Leuchtkraft ausstrahlt und unseren Brüdern und Schwestern im Osten und in Berlin, die so schwer leiden, eine Hoffnung und eine Ermutigung gibt? Wie kommen wir zu einer neuen Art gemeinschaftlichen Lebens in Stadt und Land, die Zwiespalt in Einheit verwandelt und die auch den kleinsten Mann im Staat — und darauf scheint es mir anzukommen —, die auch den kleinsten und niedrigsten Mann im Staat mit dem Bewußtsein erfüllt, durch eine eigene Leistung und einen eigenen Beitrag den Lauf der Geschichte zu verändern und an der Schaffung einer neuen Welt verantwortlich mittätig zu sein?
Wenn wir nicht unser Ziel so hoch setzen und unser Denken so weit spannen, wird alles, was wir hier in unserer deutschen Bundesrepublik tun und unternehmen, früher oder später zum Scheitern verurteilt sein. Das gleiche gilt, wenn wir dieser Frage einfach ausweichen, wie das der heutige Mensch so gerne tut.
Ich bin mir des großen Wagnisses, das ich eingehe, wenn ich eine Antwort auf diese Schicksalsfrage suche, voll und ganz bewußt. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, meine Damen und Herren, wenn Sie mir auf diesem Wege folgen oder zumindest über meine Gedanken und Vorstellungen ernsthaft nachdenken würden.
Es mag nun zur Förderung unserer weiteren Untersuchungen gut und nützlich sein, einen Rückblick auf die Zeit zu werfen, von der wir herkommen. Ich weiß, meine Damen und Herren, daß die Dinge, die ich jetzt ausspreche, sonst nicht in diesem Hause ausgesprochen zu werden pflegen. Ich glaube aber, daß es von unerhörter Wichtigkeit ist, daß wir uns auch einmal mit solchen Fragen befassen, die sonst nicht Gegenstand unserer Erörterungen sind.
Ich habe von der Notwendigkeit einer Besinnungspause gesprochen. Wir brauchen diese Besinnungspause! Welches war die Triebkraft des jetzt verflossenen Zeitalters? Ein Mann namens Rudolf Binding — vielleicht haben Sie den Namen schon gehört —, ein Dichter, der in der nationalsozialistischen Zeit eine gewisse Rolle spielte, hat dies verführerisch und scheinbar so überzeugend seinerzeit wie folgt formuliert:
Ganz ehrlich und ohne Hintergedanken und völlig aus sich selber heraus, so recht eigentlich ohne Gottes Hilfe Mensch zu sein, das ist das große Wagnis und die eigentliche Sehnsucht unserer Zeit.
Also ohne Gottes Hilfe so ganz aus sich selber heraus Mensch zu sein, das war das große Wagnis und die eigentliche größte Sehnsucht unserer Zeit. Es war das große Unternehmen der menschlichen Autonomie, der menschlichen Selbstherrlichkeit, das hier unternommen wurde.
Und wie grauenhaft hat das, was so enthusiastisch, in so strahlender Hoffnung, im ganzen Schwung der Freiheit, so ohne jede Bezogenheit auf das Ganze des Seins, so ganz ohne Gott begonnen wurde, — wie grauenhaft hat dieses größte Unternehmen der menschlichen Autonomie geendet! Der Mythos des Übermenschen, die ganze Bestialität des Hitlerreiches und der entsetzliche Zusammenbruch haben einen Schlußstrich unter dieses Unternehmen der menschlichen Selbstherrlichkeit gemacht. Diese ganze Entwicklung aber hätte dann für uns alle einen tiefen Sinn, wenn die Verzweiflung über diese Entwicklung nicht in der nihilistischen Leere auslaufen, sondern zu einer wirklichen Verwandlung des Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts führen würde.
Von der menschlichen Autonomie, von der menschlichen Selbstherrlichkeit zur Rückverbundenheit mit dem Schöpfer, das ist nach meiner Überzeugung das große Anliegen unserer Zeit. In der Verzweiflung unserer Untergangssituation liegt die ganz große Hoffnung und die ganz große Chance für die Zukunft.
Meine Damen und Herren! Wenn heute irgendwo bei uns in Deutschland einige hundert führende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens versammelt wären und es würde einer von diesen Männern oder Frauen den Mut finden, zu sagen: „Ge-
stehen wir es uns doch ein, wir sind eigentlich am Ende mit unserer Weisheit! Wir finden den Weg nicht. Wir bedürfen einer übernatürlichen Kraft und einer höheren Weisheit, um den Weg durch die Wirrsale unserer Zeit finden zu können", — glauben Sie, daß er dann sehr viel Widerspruch finden würde? Wir müssen dem Wahn der menschlichen Autonomie absagen und versuchen, unseren ganzen Alltag einer höheren Führung zu unterstellen.
Ein großer Demokrat hat einmal das Wort ausgesprochen — ich weiß, ,daß es mißverständlich ist, aber ich ich will es trotzdem aussprechen —: „Die Menschen müssen sich von Gott regieren lassen, oder sie werden von Tyrannen regiert!"
Es sind ganz einfache, elementare, für jeden verständliche Grundwahrheiten, um die es sich hier handelt. Wir brauchen absolut gültige, sittliche und moralische Maßstäbe, um uns heute in dieser Welt zurechtzufinden.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die Hälfte der Ihrer Fraktion zustehenden Redezeit verbraucht ist.
Ich habe keinen Einfluß auf die Verwendung der Redezeit; ich möchte Sie nur darauf hinweisen.
Diese Maßstäbe sind uns von unserem Schöpfer gegeben. Wir müssen uns nur entschließen, diese Maßstäbe auch gegen uns selbst mit allen Konsequenzen und für alle Bezirke unseres Lebens gelten zu lassen. Was meinen Sie, was es für die Hitlerzeit bedeutet hätte, wenn unser Volk sich an die einfachen Maßstäbe „gut oder böse" gehalten hätte? Gut oder böse, Wahrheit oder Lüge, Selbstlosigkeit oder Egoismus, Sauberkeit oder Unsauberkeit, Liebe oder Haß; dies sind die für uns entscheidenden Maßstäbe, die, wie ich zu behaupten wage, das wichtigste politische Faktum für unsere Zeit darstellen.
Die Frage ist nur, ob wir uns an ihnen orientieren und ob wir damit bei uns selbst anfangen wollen. Tun wir dies, so bedeutet das Änderung für jeden einzelnen von uns.
Ich möchte hier einem großen Mißverständnis vorbeugen. Ich behaupte nicht, daß der Mensch mit der Orientierung an diesen großen Maßstäben, an diesen wichtigsten Wegweisern für unser Leben schon die politische Lösung, die Lösung für die politische Einzelfrage gefunden hätte. Um sie müssen wir uns nach wie vor schinden, mühen und plagen. Aber ich glaube, daß wir mit dieser Orientierung irgendwie in einen größeren Zusammenhang mit der Welt über uns und um uns hineingestellt sind, der uns vor dem Verirren bewahrt. Ich glaube, daß durch die Ordnung unserer Beziehungen zu der Welt über uns und um uns die wichtigsten Voraussetzungen dafür geschaffen werden, ,daß überhaupt wieder echte politische Entscheidungen möglich sind.
Ich sprach vorhin von der Notwendigkeit der Änderung. Viele haben bezweifelt, ob Menschen geändert werden können. Ich glaube, daß dies möglich ist, und ich glaube, 'daß dies auch für uns Deutsche möglich ist, was vielfach in der Welt bezweifelt wird. Wäre es nicht möglich, so gäbe es keine Zukunft und keine Hoffnung für uns.
Denn die größten Schwierigkeiten in der Politik liegen nicht auf der technischen oder materiellen, sondern überwiegend auf der menschlichen Ebene. Die politischen Probleme sind menschliche Probleme!
Das ist nun die Antwort, die ich auf die gestellte Schicksalsfrage geben möchte: Das schlagende Herz der Demokratie von morgen ist der geänderte und befriedete Mensch, der sich unter die Herrschaft jener höheren Macht über uns stellt, der sich an absolut gültigen sittlichen und moralischen Maßstäben orientiert, der bei sich selbst anfängt und der dadurch einen entscheidenden Beitrag für die Schaffung einer neuen Welt erbringt. Im Mittelpunkt einer erneuerten, wahrhaft inspirierten Demokratie, einer echten Renovatio, steht der Mensch, der nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist und sich zu diesem umgestalten läßt.
Dieser Tage ist der Satz gesprochen worden: „Die soziale Gesundheit ist das Leben der Demokratie". Ich wage zu sagen: Die Änderung des Menschen ist das Leben und die Herzkammer der Demokratie, und aus der Änderung des Menschen ergibt sich die soziale Gesundheit. Wenn sich die Menschen ändern, dann ändern sich auch die Verhältnisse. Aus der persönlichen Änderung ergibt sich die soziale, die politische, die gesellschaftliche, die nationale und die internationale Änderung, die wir alle brauchen und die wir voll und ganz und uneingeschränkt bejahen.
Die Antwort auf die totalitäre Ideologie des Ostens ist die Ideologie der Änderung. Wir müssen uns entscheiden, ob wir diese Antwort geben wollen. Diese Ideologie ist in ihren revolutionären Auswirkungen viel entscheidender als die Revolution des Ostens. Jene Revolution schafft Knechtschaft, Angst, Zwiespalt, Terror und Verzweiflung. Die neue Art zu leben, von der ich spreche, bringt Freiheit, Furchtlosigkeit, Zuversicht und Hoffnung. Sie verwandelt den Zwiespalt in Einheit. Dort wird alles erwartet von der Änderung der äußeren Verhältnisse. Der Mensch wird zum Heloten und zum Sklaven gemacht. Hier vollzieht sich die Revolution der Herzen. Der Mensch erhält den Wert, der ihm von Gottes und Rechts wegen zukommt. Aber aus der Revolution der Herzen kann sich auch eine Änderung der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse ergeben, die unabsehbar ist.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, Ihnen nicht versichern zu brauchen, daß es sich hier um keine parteipolitische Angelegenheit, etwa um eine solche der CDU handelt. Dieses Rezept zur Umwandlung unserer gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse kann überall und von j e der m a n n angewandt werden. Es handelt sich hier um höchst reale und wichtige politische Dinge.
— Sie haben das ganz richtig erfaßt. Ich glaube, die Kommunisten haben am ehesten einen Sinn für ideologische Probleme. Sie haben es richtig erkannt: Es handelt sich um die Schaffung einer ideologischen Grundlage für die Zukunft der Menschheit überhaupt.
Ich kann Ihnen sagen, daß die Umwälzung, von der ich spreche, nicht nur in unserem Lande, sondern auch bereits in vielen Ländern Europas und in der ganzen Welt im Gange ist. Ich habe mich
davon auf mehreren Auslandsreisen überzeugen können. In den skandinavischen Ländern, in der Schweiz, in Holland und in vielen anderen Ländern dieses Erdteiles und der ganzen Welt ist diese Umwälzung im Gange. Auch in Asien. Führende Politiker vieler Länder haben diesen Weg beschritten. Wenn wir ihn auch in Deutschland beschreiten, so kann dies zu einer völligen Erneuerung unserer internationalen Beziehungen führen. Lassen Sie mich darüber noch ein Wort sagen.
Heute stehen allüberall noch Berge von Mißtrauen gegen uns. Deutschland kann nach allem, was geschehen ist, nicht auf stolzem Rosse einherreiten und Forderungen an die übrige Welt stellen. Ein solches Deutschland wird nach meiner Beobachtung überall im Ausland abgelehnt. Ein solches Deutschland wird in Europa nicht. benötigt! Einem geänderten Deutschland aber stehen alle Türen in der ganzen Welt offen. Alles wartet im Ausland darauf, ob wir Deutsche uns ändern und ob es uns ,diesmal gelingen wird, eine gute Demokratie einzuführen und aufzubauen. Wenn wir Deutsche bereit sind, nicht von der Welt etwas zu fordern, sondern der Welt etwas zu geben, dann werden sich uns viele Türen öffnen.
Es ist der besondere geschichtliche Auftrag Deutschlands, der Welt, der wir Deutsche so unerhört viel Unglück und Leid zugefügt haben, durch eine neue Lebensqualität einen Beitrag zu ihrem Wiederaufbau zu geben. Wir müssen es lernen, das Mißtrauen, das uns so vielfach entgegentritt, mit Vertrauen zu erwidern. Es ist eine entscheidende politische Frage, ob wir Deutsche fähig sind und die innere Kraft besitzen, das Böse, das uns in der Welt entgegentritt, durch das Gute zu überwinden. Wenn wir die Dinge anders sehen, wenn wir von der Welt etwas fordern oder erwarten, dann werden wir auch weiterhin von einer Enttäuschung zur anderen gehen.
Was unsere Beziehungen zur Welt des Ostens anlangt, so möchte ich nur folgendes bemerken. Jedem Terror muß mit aller Entschlossenheit, auch unter Einsatz der staatlichen Machtmittel entgegengetreten werden. Den Versuchen der östlichen Machthaber, bei uns Furcht und Schrecken zu erzeugen, muß in völliger Furchtlosigkeit begegnet werden. Wenn Herr Ulbricht unlängst erklärt hat, die Führer der Bundesrepublik würden schneller vor einen Volksgerichtshof kommen, als sie es sich nur träumen ließen, dann muß ich sagen, daß das nicht den geringsten Eindruck auf uns macht.
Den menschlichen Trägern dieser Ideologie des Ostens aber soll, das ist unsere Auffassung, nicht mit Haß begegnet werden. Das ist keine leere Phrase. Ich glaube, daß wir die Kommunisten für unsere Auffassung gewinnen müssen. Nach meiner Beobachtung der Entwicklung der Verhältnisse in
Deutschland sind wir auf dem besten Wege dazu.
Im rheinisch-westfälischen Industriegebiet gibt es heute schon eine große Anzahl ehemals führender Kommunisten, die dieser verderblichen Ideologie abgesagt und diese Ideologie der Änderung bejaht haben.
— Herr Kollege Seelos — — —
Herr Kollege Seelos, daß Sie das eben erst bemerkten, wundert mich eigentlich.
Sie haben es wirklich mit untrüglichem Scharfsinn herausgefunden. Ich war in Caux. Ich weiß, daß Caux ein Zentralplatz erster Ordnung für die Erneuerung der Welt ist. Seien wir dankbar dafür, daß es so etwas gibt!
— Nicht bei der Haushaltsdebatte, Herr Kollege Seelos? Wann wollen wir eigentlich einmal über diese Frage debattieren, wenn nicht aus Anlaß einer solchen Generaldebatte? Wollen wir denn warten, bis die Welt wieder in Flammen steht, ehe wir uns über solche große ideologische Fragen unterhalten?
— Hier! Hier! Jetzt, wenn es sich um die Frage des Neuaufbaues des neuen Staates handelt, müssen wir uns über diese Fragen unterhalten.
Ich weiß es, meine Herren von der Linken, es gibt sehr viele ehemals führende Kommunisten, die nichts mehr von Ihnen wissen wollen und die mit uns gehen. Ich bin mit einer ganzen Reihe von ihnen persönlich befreundet. Sie sind nicht mehr von Haß erfüllt. Sie haben etwas Besseres gefunden. Und darum geht es uns bei dieser ganzen Auseinandersetzung, daß Sie eines Tages merken: Wir sind auf dem falschen Wege, und hier, bei dieser Ideologie der Änderung ist der rechte Weg. Darum, diesen Weg zu finden, — darum geht es!
Meine Damen und Herren! Auch für unsere nationalen Probleme bringt uns diese Revolution der Herzen, von der ich spreche, Lösungen auf allen Gebieten. Ich kann das jetzt nicht mehr im einzelnen hier darlegen. Ich will nur noch über ein besonders wichtiges Gebiet sprechen, von dessen Bedeutung wir alle erfüllt sind. Ich möchte darauf hinweisen, daß es heute schon in vielen Fabriken unseres Landes und ganz Europas ein Klima gibt, eine Atmosphäre gibt, die völlig verändert, völlig neu ist. Arbeitgeber und Arbeitnehmer arbeiten in einer ganz neuen Haltung miteinander. Im Industriegebiet von Nordrhein-Westfalen gibt es eine ganze Anzahl von Zechen, Gruben und Fabriken, in denen sich diese Änderung schon ausgewirkt hat. Ich lasse jetzt den Betriebsratsvorsitzenden eines der größten Bergwerke des Industriegebietes zu Ihnen sprechen. Ich war gestern abend mit ihm zusammen. Er hat folgendes öffentlich erklärt — wohlgemerkt, er ist der Betriebsratsvorsitzende eines Betriebes, in dem 25 000 Arbeiter beschäftigt sind —: „Innerhalb meines Betriebes wird heute demonstriert. wie man ohne Klassenkampf seine Probleme auf gleichberechtigter Basis lösen kann. Wenn bei uns im
Ruhrgebiet im Augenblick der Kampf um die Mitbestimmung im Betriebe geht, so macht mir das bei unserem neuen Verhältnis zu unserer Betriebsführung gar keine großen Sorgen mehr.
Was erst der staatliche Rahmen den anderen Betrieben bringen wird, werden wir weit mehr auch ohne den gesetzlichen Rahmen erreichen durch die Freiheit unserer Beziehungen zueinander. Darum sage ich auch als Arbeiter und als Sozialist zu dieser neuen Art zu leben ein uneingeschränktes Ja." Ich will damit gar nicht sagen, daß wir nicht ein Gesetz über das Mitbestimmungsrecht brauchen. Aber ich bin überzeugt, daß der entscheidende Fortschritt zur Umstellung der ganzen Atmosphäre in den Betrieben und zur Schaffung einer völlig neuen Position für unsere Arbeiter in den Betrieben, ich glaube, daß der entscheidende Anstoß hierzu nicht von Zwangsmaßnahmen des Staates, sondern daher kommen wird, daß die Revolution der Herzen auch in den Betrieben Platz greift, daß Arbeiter und Unternehmer ein neues Verhältnis und eine neue Ordnung zueinander finden und daß es überall in unserem Lande in steigendem Maße solche erneuerten Industriebetriebe gibt, in denen das Gemeinschaftsleben von Arbeiter und Unternehmer, von Kapital und Arbeit nicht eine Quelle ständigen Ärgers, sondern eine Quelle der Kraft, eine Quelle der Ermutigung und eine Quelle der Hoffnung für die Zukunft unseres Landes ist.
Diese Dinge, von denen ich spreche, haben ihre Bedeutung für den Neuaufbau unserer ganzen Verwaltung, auch für die Polizei, auch, wenn wir schon von Sicherheit reden, für ein etwaiges zukünftiges Heer. Solche Dinge aufzubauen ohne eine ausreichende ideologische Grundlage, ist nach meiner Überzeugung heller Wahnsinn.
Herr Abgeordneter, ich bitte um Entschuldigung, daß ich Sie nochmals unterbreche. Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihrer Fraktion noch eine Restredezeit von 20 Minuten zusteht.
Das ist mir sehr wohl bekannt, Herr Präsident.
Diese Dinge haben ihre Bedeutung für unsere Parlamente und für den Neuaufbau des Parteilebens. Sie haben ihre Bedeutung auch für die Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Parlament und Presse.
Wir haben unlängst hier eine Debatte gehabt, von der ich gar nicht befriedigt war. Es ist mir ein Bedürfnis, hier zu sagen, daß ich vielleicht bei dieser Debatte auch Fehler gemacht habe. Die Herren der Presse haben in jener Debatte vielleicht den Eindruck von unseren Ausführungen gewinnen können, als ob wir die Vorwürfe, die wir gegen die Presse erhoben haben, verallgemeinern wollten. Dies war sicher nicht die Absicht. Auch hier müssen wir bereit sein, um neue Lebensformen der Zusammenarbeit zu ringen. Dieses Ringen wird unsere ganze Hingabe, unseren ganzen Einsatz und eine unermüdliche Geduld erfordern.
Mir ist kürzlich ein Wort begegnet, das der letzte Präsident des Deutschen Reichstages, unser verehrter Herr Kollege Löbe, einmal gesprochen hat. In diesem Wort ist das in vortrefflicher Weise ausgesprochen, was mich heute besonders bewegt.
Mit seiner gütigen Erlaubnis will ich dieses Wort anführen:
Erwartet den Sieg nicht von Institutionen und Organisationen, nicht von Gesetzen und Verordnungen allein, sondern tränkt euer Wirken vor allem mit jenem Geist der Brüderlichkeit, der Güte und der Menschenliebe, der den eigentlichen Inhalt unserer Überzeugung ausmacht. Eine große und gute Sache kann nur zum Triumph gelangen, wenn dieser Geist nicht nur unser Reden, sondern auch unser Leben und unser Handeln erfüllt. Nicht Haß und Streit, nicht Verächtlichmachung und Erniedrigung des Gegners sollten das Ringen um unsere Weltanschauung beflecken. Auch der Andersgesinnte hat, selbst wenn er irrt, das Beste seines Volkes zum Ziel. Der Erfolg unserer Mühen wird umso größer und um so nachhaltiger sein, wenn er durch das gute Beispiel im persönlichen Leben und durch ein echtes Menschentum geadelt ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da ich das Recht, anderer Meinung sein zu dürfen, als eines der fundamentalen Rechte der Demokratie betrachte, gestatte ich mir, das auch auf die eben gehörten Ausführungen meines verehrten Kollegen und Landsmanns Bausch anzuwenden. Gerade weil ich anderer Meinung bin, bezeuge ich ihm meinen Respekt vor seiner eigenen Meinung und verzichte auf jede Polemik.
— Ich meine auch, jede Polemik gegen die Äußerungen meines Herrn Vorredners.
— Ich kenne zwar die herrliche geographische Lage von Caux, aber ich war nie dort, Herr Kollege Schäfer.
— Vielleicht verständigen wir uns auch so; aber wir wollen das Zwiegespräch für einen Augenblick unterbrechen und uns der Sache zuwenden.Meine Damen und Herren! Wir haben heute die Generaldebatte über den Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 1950. Der Zeitpunkt ist nicht regulär, wie wir wohl alle in diesem Hause einander zugestehen werden. Er liegt etwas spät im Jahr. Vielleicht ist das aber nur einer der Gründe, warum über dieser Generaldebatte, über dieser Haushaltsberatung nicht jener elektrisierende Atem des Überraschenden, des Spannenden liegt, wie z. B. über einer Budget-Beratung im englischen Unterhaus. Vielleicht haben wir Deutsche viel zu starre Regeln für unsere Budget-Beratung, für unsere Haushaltsordnungen, und vielleicht auch viel zu wenig Tradition, als daß wir diesem einmaligen Ereignis im Jahresablauf des staatlichen Geschehens, der Debatte über den Haushalt, jene Würde und jene Bedeutung geben würden, die ihr eigentlich zukommt.
Mag sein, daß es an der verspäteten Einbringungdes Haushalts liegt; es mag aber auch sein, daß
es an anderen Umständen liegt. Vielleicht sollten wir uns bemühen, auf beiden Gebieten und bei beiden Ursachen Wandel zu schaffen.Ich werde im Laufe meiner Ausführungen noch darauf zurückkommen, was da zu tun wäre. Aber gerade bei der Auseinandersetzung mit den Problemen der Gesamtpolitik möchte ich mich, zumal gestern abend im Ältestenrat der Beschluß gefaßt worden ist, nicht in eine Titeldebatte einzutreten, zunächst einmal mit den allgemeinen Gesichtspunkten unserer politischen Lage beschäftigen. Diese Haushaltsdebatte findet in einer friedlosen, von Spannungen und Gefahren erfüllten Zeit statt. Jedes internationale Ereignis, ganz gleich welcher Art, wirkt auf uns und unser nationales Leben zurück. Wir haben dafür eine Reihe von Beispielen in der allerjüngsten Zeit gehabt, ohne daß man sagen könnte, daß die Lehre dieser Beispiele immer ganz verstanden und befolgt worden wäre. Korea, der daran anschließende Rüstungsboom, die Beunruhigung der internationalen Märkte, der Weltmarktpreise, all das hat unmittelbare Wirkungen auf unsere eigene Lage, auf unsere Wirtschaftslage und auf die Möglichkeiten gehabt, aus dieser Wirtschaftslage Gewinne für die Gestaltung unseres eigenen nationalen Lebens zu ziehen. Die amerikanischen Kongreßwahlen, die in dieser Woche stattgefunden haben, werden auf lange Sicht auch solche Wirkungen haben. Die Unstabilität, die wahrscheinlich durch den Ausgang dieser Wahlen in die amerikanische Innen- und Außenpolitik gekommen ist, die Zuspitzung der Auseinandersetzungen wird unmittelbare Rückwirkungen auf unser nationales und unser Wirtschaftsleben haben. Wenn wir das nicht rechtzeitig sehen, dann bewegen wir uns auf allen Gebieten in der falschen Richtung.Eine außerordentlich wichtige Lehre sollten wir aus allen diesen Dingen ziehen, nämlich die, daß wir nicht nur in den vergangenen fünf Jahren, sondern auch in der Zukunft und auf lange Zeit immer hart am Abgrund entlang marschieren werden, und zwar an einem Abgrund, der sich links und rechts von uns auftut. Wenn man in einer solchen Lage marschiert, dann kann man sich nicht jene Freiheiten gestatten, die man in der bequemen Ebene hätte, wo man links und rechts vom Wege abgehen kann, ohne zu straucheln. Dann muß man einen Kurs steuern, den man auch dann einhalten kann, wenn einmal durch Windstöße von rechts und links das Gleichgewicht des Körpers leicht gestört wird.Ich möchte gar nicht von dem Standpunkt ausgehen — und ich glaube, wir sollten uns das alle abgewöhnen —, daß wir unter allen Umständen gegenüber den anderen recht behalten wollen.
Ich möchte von dem Standpunkt ausgehen, daß jeder von uns, Regierung und Opposition, im Wandel der Ereignisse und der veränderten Verhältnisse jeden Tag bereit sein muß, seine eigenen Entschlüsse und Auffassungen zu überprüfen.
Ich sage: Regierung und Opposition. Aber diejenigen, die durch die Wucht einer politischen Entscheidung der Wähler die Verantwortung für die Führung der Regierungsgeschäfte zu tragen haben oder sie selber vielleicht in einem Anflug von, sagen wir, Überschätzung ihrer eigenen Möglichkeiten übernommen haben, unterliegen am stärksten der Verantwortung, ihre eigenen Entschlüsse zu prüfen. Denn sie haben die Möglichkeit, mit Hilfe ihrer Mehrheit einen Weg auchdann noch zu gehen, wenn er sich als falsch erwiesen hat. Um so größer ist ihre Verantwortung.Im Lichte dieser Überlegungen gesehen war der Herr Bundesfinanzminister gestern bei der Einbringung seines Haushaltsplans ein getreuer Interpret der Gesamtpolitik der Bundesregierung. Wir halten das für seine selbstverständliche Funktion. Aber wir glauben, daß er als dieser getreue Interpret der Politik der Bundesregierung in mancher Hinsicht, wenn auch etwas gehemmt durch seine finanzministerlichen Verpflichtungen, dem etwas allzu rosaroten Optimismus seines Kollegen im Bundeswirtschaftsministerium einen zu großen Tribut gezollt hat.
Wir glauben — und das möchte ich gleich zu Beginn sagen —, daß das, was der Herr Finanzminister gesagt hat und was die Gesamtpolitik der Bundesregierung genannt werden kann, in vielen wesentlichen Punkten eine Politik des Als-ob ist, eine Politik, als ob wir wirtschaftlich unabhängig wären, eine Politik, als ob wir sozial bereits stabilisiert wären, eine Politik, als ob wir politisch frei und ohne Hypotheken unser gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben nach ehernen Gesetzen der Wirtschaft gestalten könnten, ohne daß unser Volk Schaden an Leib und Leben nimmt, eine Politik, als ob wir nach dem großen Absturz von 1945 bereits das innere Gleichgewicht erlangt hätten, das neben der sozialen und wirtschaftlichen Fundierung für den Bestand der Demokratie unentbehrlich ist.Der Ausgangspunkt unserer kritischen Haltung gegenüber der Bundesregierung sind nicht nur einzelne Handlungen und Maßnahmen oder Unterlassungen; es ist ein aus der Gesamtschau geborener Standpunkt. Wir sind der Meinung, daß die Politik der Bundesregierung im ersten Jahr der Bundesrepublik Deutschland nicht sehr viel dazugetan hat, die Spannungen in unserem Volkskörper abzubauen, sondern daß durch ihre Maßnahmen im einzelnen wie im ganzen diese Spannungen verstärkt worden sind.
Wir sind der Meinung, daß sie sich immer wieder durch Ereignisse hat überaschen lassen, die ihren Schatten längst vorausgeworfen haben.
— Ich habe das Recht Ihrer eigenen Meinung akzeptiert und ich bitte Sie, es mir auch zu gewähren.
Ich gestatte Ihnen auch das, Herr Kollege Schäfer.— Wir sind der Meinung, daß die Regierung es nicht verstanden hat, durch voraussehende Planung die Schocks aufzufangen, die von den äußeren und inneren Ereignissen auf die Bevölkerung unseres Landes ausgegangen sind.Wenn wir auch in der Generaldebatte nicht Einzelheiten des Haushaltsplans kritisieren, sondern die Gesamtpolitik der Regierung zur Diskussion steht, so möchten wir doch sagen, daß wir diese Kritik bei aller Fairneß so scharf wie möglich führen möchten. Wir haben in den letzten Tagen eine Reihe von Debatten gehabt, die ein Stück der Haushaltsauseinandersetzung vorweggenommen haben. Die Polizeidebatte vom Dienstag hat einen Teil der inneren Politik und ihrer Probleme behandelt. Die Debatte über Außenpolitik vom Mittwoch hat ebenfalls bereits wesent-
liche Teile der Haushaltsplandebatte behandelt. Sie mögen insoweit außer Betracht bleiben. Aber wir können doch nicht umhin, einen Blick rückwärts insofern zu werden, als es sich um die psychologischen und politischen Fakten handelt, die dabei aufgedeckt worden sind. Wir glauben, daß hier ein Riß sichtbar geworden ist, der durch unser politisches Leben geht. Dieser Riß trennt uns weniger in der Bereitschaft, das bis jetzt Gewonnene zu verteidigen, soweit es echter Gewinn ist. Er trennt uns vielmehr in der Verschiedenheit der Methode des politischen Handelns und des politischen Denkens, hinter der die Verschiedenheit der Auffassungen über Sinn und Inhalt des neuzugestaltenden Daseins unseres Volkes steht.Wir verkennen gar nicht die objektiven Schwierigkeiten, vor denen diese Bundesregierung steht und vor denen jede deutsche Regierung stehen würde. Der Herr Bundesfinanzminister hat nicht ohne Recht eine Aufgliederung der Haushaltszahlen vorgenommen, aus der sich für jeden, der lesen und rechnen kann, ergibt, daß ein großer Teil unserer Aufwendungen im Bundeshaushalt Vorwegbelastungen sind, von denen wir nicht herunterkommen und von denen keine Regierung herunter käme. Das gilt für die Besatzungslasten, über die ich in einem anderen Zusammenhang noch etwas sagen möchte, und gilt für die Kriegsfolgelasten, für die große soziale Last.Aber, meine Damen und Herren, wir sollten es uns auch nicht zu leicht machen; wir sollten vor allem nicht den Eindruck erwecken, als ob gerade die soziale Belastung des Bundes ein Luxus sei, an dem man etwa mit gutem Willen abstreichen oder bei dem man im Bewußtsein einer Schicht der Bevölkerung, die vielleicht für diese Last etwas beizutragen hat, den Eindruck erwecken könnte, wir könnten auch weniger tun. Wir sollten uns alle darüber einig sein, daß wir noch lange nicht genug tun
und daß mehr getan werden muß und daß die soziale Belastung nicht etwas ist, was wir uns willkürlich auf den. Leib gebunden haben, sondern daß es die tragische Schuld der deutschen Geschichte ist, die wir hier abbezahlen und die wir abbezahlen müssen, wenn wir vor uns selber bestehen wollen.
Wenn wir alle die bitteren Notwendigkeiten hinnehmen, die sich aus dem Zwang zum Wiederaufbau unseres Landes, aus der unnatürlichen Lage des Bundes in einem historischen und geographischen Brennpunkt der Welt, kurz aus unserer Gesamtlage ergeben, dann wird uns jene Nüchternheit auch in der Durchleuchtung der Haushaltszahlen nahegelegt, die man gerade bei einem so ernsthaften Geschäft braucht, auch wenn man politisch auseinandergeht.Meine sehr verehrten Freunde! Meine Damen und Herren! Der Schwerpunkt unserer Kritik liegt nicht bei haushaltsrechtlichen oder staatsrechtlichen Gesichtspunkten. obwohl dazu im einzelnen manches zu sagen wäre, Wir wollen aber nicht die Artikel des Grundgesetzes heranziehen, um zu beweisen, daß der Herr Bundesfinanzminister da und dort das Grundgesetz nicht peinlich genau eingehalten hat. Man könnte da bei der Frage der Interessenquoten eine lange Debatte führen,
und man würde sich vielleicht doch nicht einigen, ob das nun haargenau auf der Linie des Grundgesetzes liegt oder nicht. Ich persönlich bin der Meinung, es sei eine deutliche Verbiegung der verfassungsrechtlichen Grundlage,
wenn man hier die Länder aus ihrer Verpflichtung entlassen hat. Aber darüber werden wir uns noch an anderer Stelle zu unterhalten haben.Aber das sind, wie gesagt, gar nicht die Ausgangspunkte; die Ausgangspunkte sind politischer Natur, und da, meine sehr verehrten Damen und Herren, sage ich Ihnen folgendes. Unser Haupteinwand gegen die politische Entwicklung, die sich unter der Flagge der gegenwärtigen Regierungskoalition vollzogen hat, ist der, daß sie eine Politik der planmäßigen Restauration durchgeführt hat.
Das ist nicht nur viel weniger, als unser Volk im Kampf um seine Wiedergesundung braucht, es ist letzten Endes auch eine falsche Richtung, die da eingeschlagen worden ist.
— Mein lieber Herr Kollege, ob es sich hier um ein Schlagwort handelt oder nicht, möchte ich, nachdem ich die Ausführungen des Herrn Kollegen Bausch gehört habe, lieber nicht debattieren. Man kann da sehr verschiedener Meinung sein.
Wir sollten auch da nicht der Versuchung unterliegen, den anderen etwa weniger anständige Motive zu unterstellen, als man sich selber zubilligt.
Wir sind der Meinung, daß die Aufgabe jeder deutschen Regierung nicht einfach die Wiederherstellung des Alten in Gesinnung und Haltung, in Inhalt und Struktur ist, sondern die Neuorientierung unseres Volkes auf Grund seiner völlig gewandelten sozialen Schichtung, seiner materiellen und geistigen Bedürfnisse und seiner von Grund auf umgestürzten Position in dieser Welt.
— Gut, Herr Kollege Schütz, dann wollen wir mal sehr lange darüber debattieren, was wir darunter zu verstehen hätten.
Auch die bereitwilligste Anerkennung der ehrenhaften Absichten des anderen kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die politische Entwicklung in der Bundesrepublik eine Atmosphäre geschaffen hat, in der alle Tendenzen der Absonderung und der Eigenbrötelei, alle Neigungen zur Aufsplitterung in Einzelinteressen, in Gruppeninteressen üppig in die Halme schießen
und die Vorgestrigen und die Unbelehrbaren Morgenluft wittern.
Meine Damen und Herren! Das ist gewiß nicht die Schuld der Regierung und ihrer Parteien allein; da wirken objektive Umstände mit, einmal die internationale Situation, die manches so erscheinen läßt, als ob das Gestern nicht gewesen wäre, und zum anderen leider auch ein objektiver Faktor: die allzugroße Vergeßlichkeit und Bereitschaft zum Vergessen, die bei Millionen Menschen in unserem Volk noch immer vorhanden ist,
obwohl sie vom Leben und von der Geschichte ge-
nügend geprügelt worden sind und eigentlich etwas Besseres gelernt haben sollten.Aber wir können den betonten Rechtskurs, der seit dem 14. August des vorigen Jahres in der Bundesrepublik gesteuert worden ist, nicht freisprechen von der Verantwortung dafür, daß manche Leute von gestern und von vorgestern sich jetzt wieder sehr voreilig in den Vordergrund drängen.
Ich denke da an solche Erscheinungen — für die ich die Bundesregierung nicht haftbar machen will — wie die Bruderschaft, diesen beinahe gewerkschaftlichen Zusammenschluß der alten Generalstäbler
und höheren Offiziere, der heute mit Ansprüchen auftritt, die wir mit aller Entschiedenheit ablehnen und bekämpfen müssen.
Ich denke da an die mehr oder weniger illegitime Heranziehung von Militärs als geistliche oder andere Beichtväter gewisser führender Staatsmänner der Bundesrepublik, ohne daß ihre Funktionen sich in irgendeiner Etatposition widerspiegeln.
Das muß heute manche Leute mit dem Hochmut erfüllen, daß man sie ja doch wieder brauche und daß man ohne sie nicht auskomme.
— Die Berichterstattung ist nicht schuldig zu sprechen für das, was in dieser Konferenz gesagt wurde.
- Nun, Herr Kollege von Brentano, Sie haben sich auf dieser Konferenz vertreten lassen; und wenn Ihr eigener Vertreter Ihnen das gesagt hat, was er dort gesagt hat, dann müßten Sie ihm vielleicht auch noch einen kleinen Rippenstoß versetzen.
— Vielleicht hat er sogar noch mehr gesagt, als in der Zeitung steht. Das ist sogar sehr zu vermuten.Ich will aber nur eines sagen, meine Damen und Herren. Einer der Redner. die dort gesprochen haben — er übt heute eine, sagen wir, geschäftsführende Funktion in einer anderen Evangelischen Akademie aus und ist seines Zeichens General der Panzertruppen a. D. —, hat seine Rede kurz und schlicht unter das Motto gestellt — wenn er das auch nicht genau als Motto bezeichnet hat —:Ich bekenne mich zur Demokratie, weil wir sonst wieder das ganze Ausland auf den Hals bekommen würden.
Meine Damen und Herren, das ist die wahre Liebe nicht!
Das ist der Geist, den wir alle gemeinsam im gemeinsamen Interesse bekämpfen müssen
und für den wir den Türspalt keinen Finger breit aufmachen dürfen, ganz gleich, ob da gesellschaftliche oder politische Assoziationen in die Brüche gehen. Menschen von diesem Geist sind auch nicht in der Lage, in irgendeiner Form positiv am Aufbau unserer Demokratie mitzuwirken. Wenn wir hier nicht schon von Anfang an den Brutus mit dem Dolch hinter dem Rücken
erziehen wollen, — —
— Ich bin immer bereit, Herr Kollege Bausch, jeden Sünder zu begrüßen, und ich ziehe den reuigen Sünder jedem vor, der glaubt, er sei schon immer bekehrt gewesen.
Wenn wir aber von diesen Dingen einmal absehen, meine Damen und Herren. die bedrohliche Randerscheinungen sein mögen — ich sage bedrohliche Randerscheinungen; morgen können sie im Zentrum der Auseinandersetzung stehen —, dann bleibt doch die Tatsache, daß der Riß, der seit 1945, seitdem die Millionen aus dem Osten zu uns hereingeströmt sind, durch unser Volk gegangen ist, nicht nur nicht geschlossen wurde, sondern daß er breiter geworden ist.
Heute löst dieser Riß politische Folgewirkungen aus, an denen die Demokratie deshalb schwer zu tragen haben wird, weil hier politisch unklare, in ihrer Zielrichtung noch längst nicht bestimmte Kräfte zu einer organisatorischen Ausformung drängen und auf der parlamentarischen Ebene auf die Dauer zu einem Störungsfaktor werden können, der gerade die Lösung der Fragen verhindert, deren Lösung diese Kräfte angeblich erstreben.
Man muß leider sagen, daß vielleicht auch hier wieder objektive Umstände und subjektives Versagen eine Rolle gespielt haben — subjektives Versagen gar nicht im Sinne des Versagens in irgendeinem politischen, parteipolitischen Sinne —, das Versagen mancher Leute mit hartem Herzen und mit selbstzufriedener Haltung gegenüber den Ansprüchen von Menschen, die in Not geraten sind.
Das ist eine Sache, die — weitgehend von der Beeinflussung durch politische Faktoren unabhängig — einfach im Egoismus der Menschen wurzelt. Wer alles behalten hat, sieht es natürlich fünf Jahre nach der großen Katastrophe nicht sehr gern, wenn man ihm eine Last zumutet, und er sieht seine eigenen Verdienste, oder vielmehr sein unverdientes Los eigentlich doch in einem viel persönlicheren Licht, als er es 1945 gesehen hätte.
Auf der anderen Seite bleibt aber doch die Verzögerung gesetzgeberischer Maßnahmen auf diesem Gebiete, die die Illusionen der Menschen viel zu lange erhalten ließ und die sie jetzt in einem Augenblich zerstören muß, in dem die Menschen weder politisch noch seelisch auf solche Schocks vorbereitet sind.
Ich glaube, hier kann man die Regierung nicht ganz von der Schuld an der Verzögerung dieser gesetzgeberischen Maßnahmen freisprechen.Ein anderes Element, das diesen Riß in unserem Volk verbreitert und das ich auch in das Kapitel der Politik der Restauration schreiben möchte, ist die Politik, die insbesondere vom Herrn Bundeskanzler sehr lebhaft und aktiv gefördert wurde, die Politik der Ausschaltung der Sozialdemokratie aus der Regierungsverantwortung dort, wo es naheliegen würde, infolge der soziologischen und ökonomischen Struktur des betreffenden Gebiets gerade die Sozialdemokratie in der Verantwortung zu lassen. Der Versuch einer Art von Gleichschaltung der Länderpolitik mit der Politik der Koalition hier in Bonn scheint mir eines der Elemente unseres politischen Lebens zu sein, das auf die Dauer Wirkungen haben kann, an denen Sie und wir keine Freude haben,
weil durch sie die Legitimität dieser Demokratie im Kern getroffen wird,
auf deren Boden wir alle stehen müssen, mit Ausnahme der wenigen Verantwortungslosen, die wir nie auf diesen Boden bringen können, weil sie ja nur ihr Soll zu erfüllen haben.
Meine Damen und Herren! In dieses Kapitel gehört die unglückliche Hand der Bundesregierung in der Personalpolitik des Bundes. Ich weiß, was manche von Ihnen da denken, wenn die Sozialdemokratie von der Personalpolitik redet. Sie denken nicht etwa nur, daß die Sozialdemokratie dort, wo sie es kann, eine falsche Politik macht — Sie wissen genau, daß das nicht der Fall ist —, Sie denken aber, hier handle es sich nur um die Verteidigung von Pfründen. Aber, meine Damen und Herren, wenn wir uns schon nicht über diese Fragen sachlich unterhalten können, dann könnten wir uns doch vielleicht über eines verständigen. Ich glaube nicht, daß es eine demokratische, daß es eine legitime Personalpolitik ist, wenn ein Sozialdemokrat um den andern, der im Bundesdienst war, aus den führenden Stellungen verdrängt oder, weil er politisch unbequem ist, weil er den Mut gehabt hat, sich zu seiner Gesinnung zu bekennen, in der Luft hängen gelassen wird, und weil man plötzlich überall findet, daß man keinen mehr brauchen könne, daß alle Planstellen besetzt seien, oder daß man ihm Dinge zumutet, die man den eigenen Freunden nie und niemals zumuten würde.
Ich glaube, daß hier ein bestimmter Plan und eine Tendenz vorliegen, und wenn man schon diesen Plan und diese Tendenz hat, meine Damen und Herren, dann sollte man sich entweder ehrlich zu ihnen bekennen oder aber aufhören, davon zu reden, daß man ja in vielen Fragen gemeinsame Aufgaben und gemeinsame Absichten habe.
Man sollte dann auch aufhören, der Sozialdemokratie von Fall zu Fall zu sagen, wie notwendigsie zur Erreichung breiter Mehrheiten für wichtige parlamentarische Akte sei; denn dann könnten wir Ihnen antworten, daß wir nicht bereit sind, der Regierungskoalition dann aus der Verlegtenheit zu helfen, wenn sie unsere Hilfe braucht.
— Frau Kalinke, das sind — —
— Wir schätzen Ihren grenzenlosen Altruismus, Frau Kollegin, und wir hoffen nur, daß wir auf der parlamentarischen Ebene einmal Gelegenheit haben, ihn nicht nur zu schätzen, sondern auch an praktischen Beispielen zu bewundern. Nichts würde uns tiefer befriedigen.
Zum Atmosphärischen in der Politik der Bundesregierung und der Bundesrepublik gehört auch das Mißtrauen, und das ist nicht nur auf die Sozialdemokratie beschränkt, auch nicht nur auf die parlamentarische Ebene, das Mißtrauen in die Methoden des Regierens. Ich will niemanden hier irgendwie etwa bloßstellen, aber ich könnte aus Gesprächen mit vielen Herren und Damen hier im Hause, die nicht zur Sozialdemokratie gehören, mehr Beispiele bringen, als an meinen zehn Fingern Platz haben, darüber, wie im tiefsten unbefriedigt sie sind über diese Methoden des Regierens, wie sie sich gelegentlich in einer souveränen Nichtachtung oder Nichtbeachtung des Parlaments ausdrücken. Wir haben dafür in den vergangenen 12 Monaten eklatante Beispiele erlebt.
Dazu kommt die mangelnde Kollegialität in der Regierung selber, die ja kein Märchen und keine Erfindung der böswilligen Opposition, sondern eine inzwischen sozusagen öffentliches Eigentum gewordene Tatsache ist. Es kommt die Zwielichtigkeit und — meine Damen und Herren, ich will es milde ausdrücken — das ungenaue oder schwache Kopfrechnen bei der Vorbereitung von wichtigen politischen Entscheidungen hinzu, die wir in dieser Entstehungszeit der Bundesrepublik erlebt haben.Ich will zum ersten Punkt sagen: die Methode der Interviews, der Überraschungen, von der wir gerade bei der außenpolitischen Debatte wieder ein nicht gerade erfreuliches Beispiel erlebt haben, als uns eine Entschließung der Bundesregierung auf den Tisch geknallt wurde, von der man 24 Stunden vorher noch nichts wußte. Das ist sozusagen nur der letzte Punkt aufs i gewesen. Solche Dinge gab es am laufenden Band. nicht nur gegenüber der Opposition, sondern auch gegenüber dem Parlament und sogar wie böse Zungen behaupten, gegenüber den Mitgliedern der Regierung selber.
Das schafft ein Mißbehagen. das sich weit hinaus über die Mauern des Parlaments verbreitet ins Volk hinein.Nun zum zweiten Punkt: die Faltung gegenüber dem Parlament. Wir haben einige Beispiele erlebt. wie die Regierung sich gegenüber Parlamentsbeschlüssen verhält. Ich denke da an die Entwicklung der Brotpreisdebatte in diesem Hause.
wo man erst mit Mehrheit so und dann mit einer ganz anderen Mehrheit anders beschloß. weil die Regierung geruhte, von dem Beschluß der. Mehrheit dieses Hauses nur mit Stirnrunzeln Kenntnis
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Deutscher Bundestag — 190. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1950 3651
zu nehmen, und weil sich dann eine andere Mehrheit fand, die ihn änderte. Ich denke da an die Beschlüsse, die den Bereich der Außenpolitik, der Organisation unseres auswärtigen Dienstes betreffen. Wir haben damals einen Beschluß gefaßt — er ist schon beinahe sagenhaft geworden —, einen fast einstimmigen Beschluß in diesem Hause, daß der Herr Bundeskanzler aufgefordert werde, einen Staatssekretär für Auswärtiges zu bestellen. Nun, es ist beinahe eine Tragödie geworden. Der Herr Bundeskanzler hat inzwischen einen Staatssekretär bestimmt. Aber der Herr Staatssekretär — ich will ihn hier weder mit Namen nennen noch will ich seine Person und seine Intelligenz kritisieren — hat uns in einem Ausschuß dieses Hauses erklärt, er sei nicht nur ein Staatssekretär für das Äußere, er sei auch einer für das Innere.
Es mag sein, daß ein Mensch so viele Fähigkeiten besitzt. Aber irgendwie erinnert mich das an den Dichter Manfred Kyber, der einmal in einem bezaubernden Märchen nicht nur einen vertrottelten König in Filzpantoffeln, sondern auch einen Minister zeichnete, der sowohl Innen- wie Außenminister war. Wenn er seine Füße einwärts drehte, war er Innenminister, wenn er sie auswärts drehte, war er Außenminister.
Ich hoffe, daß die Funktionen des Herrn Staatssekretärs im Bundeskanzleramt nicht auf diese einfache technische Weise erfüllt werden.
Meine Damen und Herren, wie gesagt, das ist keine Kritik an dem Herrn Staatssekretär, es ist eine Kritik an den Dingen, die wir in allem Ernst jetzt hier vorbringen und bei denen wir eine Änderung erwarten, Dingen, von denen wir glauben, daß das ganze Parlament ihre Änderung erwarten muß.
Dann denken wir daran, meine Damen und Herren, daß wir in diesem Hause einen Bundesinnenminister haben gehen sehen und einen neuen haben kommen sehen. Ich sage weder für den einen noch gegen den andern etwas. Ich sage wieder nur etwas gegen die Methode, sozusagen auf kaltem Wege entscheidende politische Veränderungen im Kabinett vorzunehmen, die die ganze Öffentlichkeit aufregen und die in diesem Parlament überhaupt keinen Niederschlag finden.
Ist es jedesmal notwendig, daß erst die Opposition durch eine Interpellation die Dinge in Fluß bringt und sich dann von den Regierungsparteien oder von der Regierung selber sagen läßt, daß sie hier eigentlich offene Türen einrenne oder Dinge mache, die die Regierung sich schon seit sechs oder acht Monaten überlegt habe, oder daß es sich hier um Zuständigkeiten der Exekutive und des Herrn Bundeskanzlers handle, die das Parlament nichts angingen? Ich glaube, hier wäre die Initiative der Bundesregierung am Platze, dem Parlament Rechenschaft zu geben, wenn sie die notwendige Achtung und das richtige Verhältnis gegenüber diesem Parlament hätte.
Und dann zum Dritten, meine Damen und Herren. Ich sprach von dem schlechten Kopfrechnen, das gelegentlich praktiziert wird. Dabei fällt einem unwillkürlich das Wort „Bonn" ein. Die schöne Stadt, in der wir jetzt tagen - und niemand wird im Ernst daran denken, den Beschluß zu ändern —, ist doch schon zu Anfang, als diese Beschlüsse gefaßt wurden, im düsteren Schatten der Zwielichtigkeit, der Zweideutigkeit gelegen. Meine Damen und Herren, wir müssen jetzt in zwei Untersuchungsausschüssen, die wir hätten vermeiden können, dieses Kapitel aufklären, sowohl nach den sachlichen Aufwendungen wie nach der Seite der persönlichen Integrität einzelner Mitglieder dieses Hauses. Ja, ich möchte die unangenehme Frage aufwerfen — und sie wird vielleicht manchem von Ihnen unangenehm sein —, ob nicht etwa gerade das Jonglieren mit Zahlen und die Arbeit hinter den Kulissen, die diesen Beschluß des Parlaments beinahe an den Haaren herbeigezogen haben, mit die Verantwortung dafür tragen, daß die Dinge, die sich hier in Bonn abspielten, von Anfang an in der Bevölkerung draußen mindestens mit einem Augenzwinkern betrachtet worden sind.
Ich glaube, hier hat der Herr Bundeskanzler eine politische Verantwortung auf sich genommen, deren Last er mindestens ernsthaft spüren und überprüfen sollte.
Sie sehen, ich drücke mich hier gar nicht so scharfaus, wie es vielleicht der Sache angemessen wäre.
Ich spreche die Dinge aber so an, daß sie jeder hier im Hause versteht.
— Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, auf Ihr Verständnis da drüben rechne ich sowieso nicht!
— Auch gut! Ob dort jemand sitzt oder nicht, ins Leere spricht man sowieso!
—Na ja! —Wie oft hat die Regierung die wichtigste Maxime des Regierens in einer parlamentarischen Demokratie vergessen oder übersehen, daß die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg in der Politik, hier im Sinne der Gesamtpolitik gesehen und nicht etwa nur der Politik der Regierung und der Opposition, die volle Information ist, nämlich derer, die mit an der Verantwortung zu tragen haben. Die Regierung ist stolz auf ihre Erfolge. Das haben wir gestern aus dem Bericht des Herrn Bundesfinanzministers gemerkt, das haben wir bei anderen Gelegenheiten gemerkt und bei unzähligen Reden — nicht hier in diesem Hause; die Minister haben ja viele öffentliche Aufgaben, und manche von ihnen reden häufiger außerhalb des Hauses als im Haus!
Daß die Regierung stolz ist auf ihre Erfolge, das haben wir also genügend zur Kenntnis genommen. Aber wir glauben ihr sagen zu müssen, sie sollte etwas bescheidener sein, und sie sollte sich etwas weniger von dem Optimismus ihres Wirtschaftsministers anstecken lassen.
Für die Bescheidenheit gibt es genügend objektive Gründe, die jeder anerkennen kann.
Für den Optimismus gibt es im gegenwärtigen Augenblich so gut wie keinen Grund!
Meine Damen und Herren! Die veränderte Lage, in der sich die Bundesrepublik und die ganze Welt befinden, hätte den Alliierten auch ohne das Verdienst irgendeiner Regierung in Deutschland eine Änderung ihrer Haltung gegenüber der Bundesrepublik aufgezwungen, ob sie wollten oder nicht.
Daß sie unter einem Zwang handeln, zeigen sie dadurch, daß sie den Notwendigkeiten der veränderten politischen Situation immer nur mit kleinen, beinahe homöopathischen Dosen Rechnung tragen.
Daß sie nicht aus freien Stücken handeln, gibt uns aber die Chance, durch eine richtige politische Haltung ihre Entschlüsse vorwärtszutreiben und von ihnen das zu erzwingen, was unsere und ihre eigene Situation erfordert, sie endlich von der Politik der kleinen Mittel abzubringen.Meine Damen und Herren, ich glaube, daß die Bundesregierung, daß in erster Linie der Herr Bundeskanzler, der hier anzusprechen ist und der ja nicht nur die Richtlinien der Politik bestimmt, sondern der die Außenpolitik sozusagen zu seinem Spezialressort gemacht hat, in der Vergangenheit sehr oft Trümpfe aus der Hand gegeben und eine Ungeduld an den Tag gelegt hat, die der Sache nicht genützt hat.
Genossen und Genossinnen! — — Oh, Entschuldigung! — —
— Meine Damen und Herren, ich freue mich außerordentlich darüber, daß Sie auch dieser falsche Zungenschlag gefreut hat!
Man kann gelegentlich dieses Auditorium mit einer freundlichen oder mit einer gegnerischen Parteiversammlung verwechseln.
Sie werden mir zugeben, daß wir manche Episoden in diesem Hause erlebt haben — von beiden Seiten! —, die diesen Schluß durchaus nahelegen!
Ich würde nicht auf den andern mit Fingern zeigen, sondern daran denken, was der Kollege Bausch gesagt hat: wenn man auf einen andern mit zwei Fingern gezeigt hat, deuten immer drei auf die eigene Brust!
Also, meine Damen und Herren, wir freuen uns bestimmt über jede Fessel, die fällt. Wir freuen uns über jeden Fortschritt, der ein solcher ist, wenn der Preis nicht dafür zu hoch war. Aber wieviel von der wirtschaftlichen Belebung, über die auch der Herr Bundesfinanzminister Schäffer gestern soviel sprach, geht denn auf die Politik der Regierung zurück? Wieviel — wir sollten uns doch immer wieder fragen — geht zurück auf die amerikanische Finanz- und Wirtschaftshilfe, die wir erfahren haben?
Wieviel geht auf den Rüstungs-Boom zurück, derim Laufe dieses Sommers eingesetzt hat? Undstehen nicht gerade jetzt die Zeichen auf Sturm,Zeichen, die wir beachten sollten? Ich glaube, wichtiger als das Propagandabedürfnis der Regierung und ihrer Parteien wäre eine nüchterne Analyse unserer bedrohlich zugespitzten Lage.Dieser Tage hat ein von mir sehr geschätzter Kollege aus dem Kreise der Regierungskoalition im Haushaltsausschuß des Bundestags in einer etwas zugespitzten Debatte gegenüber den Vertretern der Opposition erklärt: „Wir haben ja gar keine echte Konjunktur, was wir haben, ist ja nur eine Scheinblüte!" Meine Damen und Herren, niemand aus den Reihen der Opposition wagte diesem Vertreter der Regierungskoalition zu widersprechen,
aus verständlichen Gründen nicht. Er muß gute Gründe für seine Bemerkung gehabt haben. Er ist sonst einer der Treuesten von den Treuen in der Regierungskoalition,
er steht ganz gewiß nicht im Verdacht irgendwelcher sozialdemokratischer Neigungen. Aber kommt diese Bemerkung von der wirtschaftlichen Scheinblüte der Wahrheit nicht viel näher als die gelegentlichen Reden dieses oder jenes Mitglieds des Kabinetts oder gar des Herrn Bundeswirtschaftsministers?
Wir haben gewiß in der Bundesrepublik keine Potemkinschen Dörfer. Die Zeiten sind vorbei, in denen man nur Pappfassaden an den Straßen aufrichten konnte. Aber haben wir nicht eine ebenso gefährliche Realität in unserem Lande? Ich meine die Fassadenarchitektur unserer Geschäftsstraßen in den Großstädten und die Neonlichterflut.
Was verbirgt sich denn hinter dieser schönen Fassade, vor der die Ausländer und auch manche Einheimische teils staunend, teils fassungslos stehen? Dahinter verbergen sich die unangenehmen Tatsachen, daß 58 0/0 der Beschäftigten in der Bundesrepublik — Arbeiter, Angestellte und Beamte — ein Monatseinkommen von weniger als 250 DM haben,
daß 10 Millionen Rentenempfänger, Sozialfürsorgeempfänger und Erwerbslose — und davon 4 Millionen alleinstehend — mit nichts als ihrer Rente da sind, daß 12 Millionen der Bewohner der Bundesrepublik mit weniger als 220 DM Monatseinkommen, davon viele mit unter 100 DM, ja bis hinunter zu 40, 50 und 60 DM im Leben dastehen.
Auch das ist deutsche Wirklichkeit, und nicht nur das Bild, das uns der Herr Bundesfinanzminister gestern entrollt hat. Wir sollten auch diese deutsche Wirklichkeit mit all ihren Gefahren und Warnzeichen sehen; und demgegenüber steht die Tatsache, die auch nicht zu leugnen ist, daß es trotz angeblich unerträglichen Steuerdrucks doch einer kleinen Gruppe unserer Mitbürger in den Jahren seit der Währungsreform gelungen ist, sich aufs neue ganz beträchtliche Vermögen zuzulegen!
Man sollte sich nicht darüber wundern, daß in einer so zugespitzten Situation die Arbeiter und Angestellten in den Betrieben und auch ein Teil der Angestellten des Öffentlichen Dienstes die Geduld verlieren und nach einer Verbesserung ihrer materiellen Lage drängen. Man sollte ihnen da nicht mit billigen Ermahnungen kommen, sondern
überlegen, ob nicht eine wirkliche Änderung der Wirtschafts- und Sozialpolitik notwendig ist,
eine Gesamtpolitik, die die Spannungen mildert und abbaut.Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang einige Bemerkungen zur Finanzpolitik der Bundesregierung. Ich bin kein Finanzexperte, ich habe die Beratungen im Finanz- und Steuerausschuß nicht mitgemacht. Ich will nur einige stichwortartige Bemerkungen machen. Man darf mit Fug und Recht heute die Frage aufwerfen, ob auch vom Standpunkt des Herrn Bundesfinanzministers aus gesehen die Finanzreform dieses Frühjahrs erfolgreich gewesen ist.
Man darf die Frage stellen, auch wenn der Herr Bundesfinanzminister mit leicht gedämpftem Trommelklang ja sagen möchte, ob denn tatsächlich die Wirkungen eingetreten sind, die er sich von dieser Reform versprochen hat. In den Ländern, den Empfängern der Einkommensteuer, hört man andere Töne. Mir ist dieser Tage aus einem Land der französischen Zone — und dieses Land steht keineswegs allein — gesagt worden, daß die Erfüllung der sozialen Aufgaben des Landes durch den katastrophalen Rückgang der Steuereingange in Frage gestellt sei
und daß sich die wissenschaftlichen Methoden des Steuerbetrugs zu einer immer vollkommeneren Höhe entwickelten.
Das ist nicht die einzige Stimme dieser Art. Ich glaube, man kann die Frage sehr wohl aufwerfen, ob es dem Herrn Bundesfinanzminister nicht etwas wohler in seiner Haut wäre, wenn er das Gefühl hätte, er habe sich in diesem Frühjahr nicht allzu sehr zu der Reform drängen lassen, zu einer Reform, die heute in den veränderten Verhältnissen doch offenkundig gerne wieder zurückgenommen werden würde, wenn es so einfach wäre. Man redet jetzt davon, daß man da und dort die Steuerbegünstigungen beseitigen wolle, und wenn ich recht orientiert bin, spricht man davon, daß man insbesondere die steuerbegünstigte Selbstfinanzierung abbauen möchte. Ich erinnere mich an Debatten im Wirtschaftsrat zur Zeit der ersten kleinen Steuer- und Finanzreform, als wir beinahe händeringend die damaligen Träger der Verantwortung vor dieser überspitzten Begünstigung der Selbstfinanzierung der Industrie warnten.
Wohin das geführt hat, sehen Sie an unserer Fassadenarchitektur. Heute ist es nicht so leicht, das alles zurückzunehmen. Es wird ein großes Geschrei im Lande geben. Ich glaube, die Bundesregierung wird sich aber dazu entschließen müssen, nicht nur, wenn sie die sozialen Aufwendungen weiter erfüllen will, die wir etatisieren, sondern wenn sie auch die Löcher, die im Säckel des Bundes, der Länder und der Gemeinden zu entstehen drohen, schließen will.Zu demselben Kapitel gehört auch etwas anderes, nämlich die Frage: Ist die Spekulation des Herrn Bundesfinanzministers eingetreten, daß die Steuerschuldner ehrlicher geworden seien?
Wir haben nicht den Eindruck, daß die moralischenund materiellen Ermahnungen irgendeine wesentliche Wirkung gehabt hätten. Wir haben eher den gegenteiligen Eindruck.
Ich habe - ebenfalls aus einem Lande der französischen Zone — einen Bericht in Stichworten vor mir, in dem mit dürren Worten nicht mehr und nicht weniger gesagt wird, als daß gewisse industrielle Betriebe heute nicht wissen, wie sie ihr Geld dem Steuerfiskus entziehen sollen, und daß sie ,da auf die Idee kommen, es den Gemeinden zinslos anzubieten, weil sie auf diese Weise um die Steuer herumkommen.
Ein eklatantes Beispiel: Eine Firma bietet einer Stadt im Lande Rheinland-Pfalz 40 000 DM zinslos an und fordert in gleichem Atemzuge von der Stadt ein Darlehen von 35 000 DM zu 6 % Zinsen. Die Absicht ist offenkundig. Aber es gibt im Augenblick offenbar keine gesetzliche Möglichkeit, um eine solche Form der Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Dieses Land steht übrigens nicht allein.Der Herr Bundesfinanzminister hat uns die Aussicht auf neue Steuern eröffnet. Wir werden darüber zur gegebenen Zeit zu reden haben. Ich möchte heute nur folgendes sagen. Bei aller Sympathie für die unmögliche Position des Herrn Bundesfinanzministers — mit dem Aufmachen neuer Steuerquellen löst man die Probleme nicht,
solange man nicht die bestehenden Steuerquellenausschöpft, Herr Kollege Kunze. Auch Sie wissen —Sie wohnen ja im Lande Nordrhein-Westfalen —aus dem Beispiel der Soforthilfe, wie gerade diegroßen Pflichtigen es da verstanden haben, sichdurch umfassende Steuerstundungsanträge, die vonden Finanzämtern nur allzu bereitwillig akzeptiertworden sind, aus der Affäre herauszuschlängeln.
Es ist doch ein trauriges Beispiel, wenn im Lande Nordrhein-Westfalen von 100 Millionen DM Soforthilfeleistungen 70 Millionen DM gestundet worden sind.
Das waren doch nicht die kleinen Leute, das waren doch ganz andere Leute, die diese Stundungsanträge gestellt haben.
Dieselben Erfahrungen gibt es in allen Ländern, wobei eine gewisse Laxheit der Finanzverwaltung schon in der Anlaufzeit des Soforthilfegesetzes wesentlich mit daran Schuld trägt, daß die Steuerpflichtigen die Sache nicht ernst genommen haben, weil sie unter dem Eindruck standen, darüber sei das letzte Wort doch noch nicht gesprochen.
— Darüber sollen sich die Sachkundigen unterhalten.
— Ich bediene mich des Materials, das mir gegeben worden ist. Ich erkläre mich in aller Form in dem Sinne als nicht so sachkundig wie Sie.
Die Steuern, die der Herr Bundesfinanzminister in Aussicht gestellt hat — von denen, die der Herr Bundeswirtschaftsminister erwähnt hat, will ich gar nicht reden, weil er sich offenbar auf einem ihm fremden Gebiet bewegt hat —, scheinen uns,
wenn auch auf Umwegen, in jedem Falle eine Belastung der Massen der Verbraucher mit sich zu bringen. ich selber bin Autofahrer, aber ich habe gar keine Sympathie für diese Schicht von Menschen. Wenn die zum Zahlen verurteilt würden, würde ich mit Leidenschaft bezahlen, schon weil ich wüßte, daß die anderen auch bezahlen müssen. Aber ich weiß, daß viele Leute diese Belastung nur dazu benützen, um sie abzuwälzen. Mir scheint, daß die Methode nicht möglich ist. Wir müssen uns nach meiner Ansicht hierüber ernsthaft und grundlich auseinandersetzen.Ein anderes Kapitel. Wir haben hier im Bundestag das erste Wohnungsbaugesetz mit großer Mehrheit beschlossen. Wir alle haben uns darüber gefreut, daß sich in einer brennenden sozialen Frage eine so große Mehrheit zusammengefunden hat. Ich will nicht sagen, daß die optimistischen Schätzungen über die Entwicklung des Wohnungsbaus in der Bundesrepublik ganz und gar unbegründet seien. Aber wenn man die Dinge einmal nicht von der hohen Warte des Bundeswohnungsministeriums, sondern von unten her sieht, von den Gemeinden und den Ländern her, dann wird man einigermaßen bedenklich, auch wenn man nicht in Rechnung zieht, daß durch die neue Entwicklung auf dem Kapitalmarkt das Wohnungsbauprogramm in jedem Fall gefährdet wird. Denn schon jetzt steht fest, daß zwar in vielen Fällen die Wohnungsbaugenehmigung erteilt, die Bauten aber entweder nicht begonnen werden konnten oder aber halb fertig stehen bleiben mußten, weil die Finanzierung stockt und weil Schwierigkeiten in der Baustoffbeschaffung eingetreten sind und aus vielen ähnlichen Gründen. Man weiß weiter — das kommt hinzu —, daß die Entwicklung der Baukosten zu einer solchen Höhe der Mieten geführt hat, daß das Ziel des sozialen Wohnungsbaus im Ernst gefährdet ist. Denn die Mieten sind so hoch, daß die Leute, für die die bezuschußten Wohnungen bestimmt waren, sie nicht mieten können, so daß vielfach schon ein schwungvoller Handel mit Wohnungen aus dem System des sozialen Wohnungsbaus getrieben wird. Dadurch kommen Leute in den Genuß von bezuschußten Wohnungen, die für sie gar nicht gedacht waren.
Ich sage das nicht im Sinne einer definitiven Bilanz des ersten Wohnungsbaugesetzes.
Ich sage das im Sinne einer ernsthaften Warnung, die Dinge nicht schleifen zu lassen, sondern ihnen auf den Grund zu gehen und vor allem sich nüchtern darüber Rechenschaft abzulegen, was die großen und schweren Veränderungen auf dem Gebiete des Kapitalverkehrs, was die Diskonterhöhung und ihre Folgewirkungen auch für dieses wichtige Gebiet des öffentlichen Handelns bedeutet. Erst wenn wir uns darüber nüchtern Rechenschaft geben, werden wir in der Lage sein, das Reelle vom Unreellen zu unterscheiden und statt Propaganda echte Sozialpolitik auch auf dem Gebiete des Wohnungsbaus zu machen.
Wenn man noch hinzunimmt, daß von der Bundesbahn neuerdings Tariferhöhungen, zum Beispiel eine 50%ige Erhöhung im Berufsverkehr, angekündigt worden sind, dann muß man doch wohl sagen, daß es Kreise in unserem Volke gibt, die weniger Grund zum Optimismus haben als der eine oder andere Herr Bundesminister; denn die Wirkungen dieser Maßnahmen bedeuten jedenfalls eine Verengung der sozialen Lage von Hunderttausenden, ja Millionen von Menschen, sie bedeuten eine Senkung des Lebensstandards, und wir müssen davon Kenntnis nehmen, daß eine solche Entwicklung nicht nur materielle, sondern auch politisch-psychologische Konsequenzen hat.
Meine Damen und Herren, das Wort von der Scheinblüte scheint uns also auf vielen Gebieten durch ,die tatsächlichen Zustände und Gefahren in unserer Wirtschaft bestätigt zu werden. Zwar hat der Herr Bundeswirtschaftsminister in Münster in Westfalen am 5. 11. nach der Presse — ich zitiere die Presse, denn sonst ist uns nichts von diesen Ausflügen in den Bereich der Industrie zugänglich — erklärt, daß es keine Rückkehr zur Planwirtschaft gäbe. Nun, das ist uns nichts Neues. Das ist beinahe schon der ewige Refrain dieser Reden. Wir glauben ihm aufs Wort, genau so wie wir ihm aufs Wort glauben, was er auf der Tagung des Bundesverbandes der Industrie über die Kohlenlage gesagt hat.
Es hat wenig Sinn, sich in diesem Zusammenhang mit dem alten Steckenpferd ,des Herrn Bundeswirtschaftsministers auseinanderzusetzen, nämlich Planwirtschaft und Zwangswirtschaft, wie wir sie von der nationalsozialistischen Herrschaft ererbt haben, einander gleichzusetzen. Wir werden uns da wohl kaum verständigen bis zum Ende der Tage, das heißt der Tage des Herrn Bundeswirtschaftsministers, das ja auch einmal kommen wird. Es gibt schon jetzt Leute, die die Axt schleifen. Sie gehören nicht zur Sozialdemokratie. Wir wünschen der Bundesregierung den Herrn Bundeswirtschaftsminister!
Aber etwas anderes muß in diesem Zusammenhang gesagt werden. Warum, so fragen wir, gibt die Bundesregierung dem Parlament, dem Bundestag, nicht offen und umgehend Informationen über die schwierige Lage, in der sie sich nach dem Urteil aller Sachverständigen, auch ihrer eigenen, gegenwärtig befindet, was ihre Devisenreserve, was die Wirkungen der von ihr, vom Bund und vom Zentralbankensystem getroffenen Maßnahmen auf dem Gebiete der Zinspolitik angeht, was es auf sich hat mit den Versuchen, durch Importbeschränkungen der radikalsten Art gewisse Wirkungen auf dem Gebiete der innerdeutschen Wirtschaft zu erzielen, in welchem Umfange die Bundesregierung heute noch in der Lage ist, etwa durch weitgesteckte Importprogramme das zu erreichen, was sie die Regulierung der Preise durch Angebot und Nachfrage, das heißt durch die „ehernen Gesetze der Wirtschaft" nennt? Inwieweit fühlt sich die Bundesregierung noch frei, den Kurs zu steuern, ,den sie nach dem 14. August des vorigen Jahres in vielen programmatischen Erklärungen verkündet hat? Schließlich spricht ja auch Herr Professor Dr. Erhard jetzt in etwas verdeckten Tönen von der Notwendigkeit der Steuerung; Lenkung zu sagen ist vielleicht zuviel. Aber immerhin, man beginnt doch einzusehen, daß es nicht einfach mit dem Gehenlassen geht und daß man gewisse Dinge machen muß, ob man nun will oder nicht, und daß man nicht einfach mit monetären Mitteln den Karren wieder ins richtige Gleis bringen kann.Ich möchte die Bundesregierung fragen, was denn der Professoren-Konvent des Herrn Bundeswirtschaftsministers, der sogenannte Wissenschaft-
liche Beirat, auf seiner letzten Tagung in Bad Neuenahr an neuen Erkenntnissen zur Wirtschaftspolitik der Bundesregierung gefördert hat. Ich bin überzeugt, wir würden da eine Reihe von Aufschlüssen bekommen, die, ich will nicht sagen sensationell, aber zumindest doch für einen großen Teil der Bevölkerung recht beunruhigend wären. Ich habe nicht die Absicht, hier aus der Schule zu plaudern, ich habe nicht die Absicht und kein Sozialdemokrat hat sie, etwa Panik zu fördern; aber es wäre gut, wenn wir auch darüber Bescheid wüßten, was die Herren Professoren dem Herrn Bundeswirtschaftsminister an Ratschlägen geben, wie er die jetzige Situation meistern könne. Ich darf aber doch soviel sagen, daß die Herren Professoren in einigen Punkten vermutlich erheblich anderer Meinung sind als der Herr Bundeswirtschaftsminister. Mehr möchte ich in diesem Zeitpunkt nicht sagen.Nun, meine Damen und Herren, müssen wir noch hinzunehmen, daß wir auf vielen Gebieten des Wirtschaftslebens bereits jetzt sehr empfindliche Engpässe feststellen müssen. Von den Baustoffen, die den Wohnungsbau sehr stark beengen, weil sie knapp sind, habe ich schon gesprochen. Es gibt auf dem Gebiete der eisenschaffenden und eisenverarbeitenden Industrie eine ganze Anzahl von Anzeichen, daß auch dort Knappheit eintritt und daß viel zu lange Lieferfristen notwendig sind. Das schlimmste, was alle Bevölkerungskreise erregt, meine Damen und Herren, ist ja wohl — darüber sind wir uns einig, vermute ich — die Situation auf dem Gebiete der Kohlenversorgung, und darüber muß ich doch einiges sagen.Ich habe gerade in den letzten 24 Stunden von einer Reihe von Freunden Mitteilungen aus ihren Wahlkreisen und Ländern erhalten, die nach unserer Meinung doch etwas anderes besagen als das, was der Herr Bundeswirtschaftsminister vor dem Forum der Industrie gesagt hat. Dort hat er nämlich gesagt — in Köln war das —, die akute Kohlennot — ich zitiere wieder die Presse — sei so weit überwunden, .daß an dem Vierteljahresbedarf von 23 Millionen Tonnen nur noch etwa 1-1,5 Millionen Tonnen fehlten. Wenn man die Leute aus der Kohlen-Industrie, aus den Bergwerken selber fragt und vor allem die Leute, die einen Einblick haben, weil sie an leitender Stelle stehen, dann wird einem das tägliche Defizit an Kohle, gemessen am Bedarf, in ganz anderen Größenverhältnissen dargestellt.
Aber wir brauchen uns gar nicht solcher Zahlen zu bedienen, es genügt das Bündel von Nachrichten von einem einzigen Tage. Gestern kam eine Meldung aus Rüsselsheim, daß die Firma Opel, ich glaube mit 18 000 Arbeitern, vor der Frage steht, ob sie am Wochenende nicht ihren Betrieb stilllegen soll, weil sie nicht in der Lage ist, sich den erforderlichen Kohlenbedarf zu beschaffen. Im Lande Rheinland-Pfalz sind die Ziegelwerke, immerhin eine wichtige Industrie für unseren. Wohnungsbau, wegen Kohlemangels gezwungen, stillzulegen.Im Regierungsbezirk Kassel ist die Kohlenlage für Bäckereien, Krankenhäuser und landwirtschaftliche Unternehmungen, aber auch für Flüchtlingsbetriebe so bedrohlich, daß man die größten Schwierigkeiten befürchtet.
Großbetriebe, die mit Steinkohle arbeiten, sind inGefahr, stillegen zu müssen, weil sie die Kohle nicht bekommen. Die Quellen für diese Nachrichten sind die Industrie- und Handelskammer im Regierungsbezirk Kassel, der Kohlengroßhandelsverband und der Regierungspräsident. Ich glaube, das sind alles Quellen, die durchaus honorig sind und deren Zeugnisse man doch ernst nehmen muß. Aus dem Krankenhaus Spannenberg im Regierungsbezirk Kassel kam gestern ein Telegramm hierher, das besagt, daß dort nur für zwei Tage Koks sei und daß 40 Operierte dort lägen, für die die größte Gefahr bestehe, wenn man nicht beschleunigt die Kohlenversorgung in Ordnung bringe.Aus dem Lande Südbaden hat mein Freund Fritz Meier eine ganze Anzahl von Informationen gegeben, die geradezu alarmierend sind. Vor 8 Tagen waren 2/3 der größeren Gaswerke des Landes nur für zwei bis drei Tage mit Kohlen versorgt. Die Gaswerke Gaggenau-Rastatt verfügten überhaupt nicht mehr über Kohlen, so daß die Gefahr bestehe, daß diese großen Werke mit 4000 Arbeitern stilllegen müßten und daß die Zivilbevölkerung nicht mehr mit Koch-Gas beliefert werden könnte. Schließlich hat eine Intervention bei dem französischen Landeskommissar einen Zuschuß von einigen hundert Tonnen Kohlen erbracht; aber die Verhandlungen mit dem Bundeswirtschaftsministerium haben offenbar gezeigt, daß man die Lage dort nicht so rosig sieht, wie es aus den Äußerungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers hervorzugehen schien.
Es kommt hinzu, daß die Gaswerke im Lande Baden im November nach den Auskünften des Bundeswirtschaftsministeriums nur mit 86% ihrer Septemberbelieferung, d. h. mit 60% ihres Verbrauchs im September, zu rechnen haben. Meine Damen und Herren! Das bedeutet doch in dieser Jahreszeit eine außerordentliche Zuspitzung der Situation, über deren politische Konsequenzen man sich kaum zu unterhalten braucht.Ich sehe, daß meine Redezeit nahezu erschöpft ist, möchte aber noch einige Bemerkungen zum Haushalt machen. Meine Damen und Herren! Spät kam er, aber er kam schließlich! Die Gründe dafür will ich hier gar nicht untersuchen, obwohl sie nicht nur in den objektiven Verhältnissen liegen. Ich will nur eines mit aller Deutlichkeit der Kürze wegen feststellen: Wir müssen so schnell wie möglich — und ich hoffe, daß wir mit den Herren vom Bundesfinanzministerium darin einig sind — wieder zur Jährlichkeit und Vorherigkeit des Haushalts zurückkommen; wir müssen wieder eine Haushaltsberatung abschließen, ehe das Haushaltsjahr beginnt. Was wir jetzt haben, ist ein so enormer und unerträglicher Übergangszustand, daß er nicht mehr länger andauern kann.
Meine Damen und Herren! Das Budgetrecht des Bundestages ist keine bloße staatsrechtliche oder haushaltsrechtliche Fiktion, es muß eine Realität sein, die nur dann realisiert werden kann, wenn tatsächlich der Haushalt so rechtzeitig vorliegt, daß wir alle Konsequenzen übersehen können.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie einmal mit einer für Sie angenehmen Mitteilung unterbrechen. Die Uhr zeigt nur 60
Minuten; deswegen kam das Schlußzeichen. Da Sie aber eine längere Redezeit haben, ist Ihre Redezeit noch nicht so schnell abgelaufen, wie Sie annehmen.
Ich danke Ihnen!
Ich weiß nicht, ob das für alle Teile des Hauses eine so erfreuliche Mitteilung ist.
Ich möchte noch hinzufügen, meine Damen und Herren, ich glaube, wir müssen das Bundesfinanzministerium in allem Ernst und in aller Dringlichkeit bitten, daß es schon jetzt mit den Vorbereitungen für den Haushalt 1951 beginnt.
Es genügt nicht, ein Verlängerungsgesetz für diesen Haushalt schon jetzt vorzubereiten. Wir müssen in der Lage sein, mindestens zu Beginn des nächsten Haushaltsjahres auch den Haushaltsplan in Kraft zu setzen. Das wird in diesem Hause viel Arbeit erfordern, und man muß sich überlegen, wie es zu machen ist, aber ich glaube, es muß in unser aller Interesse gemacht werden; denn die Verzögerung der Haushaltsberatungen und der Verabschiedung des Etats hat nicht nur die Folge, daß wir sozusagen post festum über Dinge beschließen, die schon geschehen sind — ganz abgesehen von den umfangreichen Vorwegbewilligungen, die dieses Haus in die Hände des Haushaltsausschusses gelegt hat —, sondern auch die Konsequenz, daß die Rechnungslegung, d. h. der Vergleich des Ists mit dem Soll des Haushaltsplans nicht möglich ist. Wir haben da ein schönes Beispiel. Bis `heute liegt noch keine Rechnung für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet vor. Ich hoffe, daß sie uns entweder in einem Sammelbericht oder in Details doch sehr bald gegeben wird, damit wir auch auf dem Gebiete der Rechnungslegung den Anschluß an die neue Situation finden. Außerdem wünschen wir, daß die statistischen Erhebungen und Mitteilungen für die Öffentlichkeit und für das Parlament über die Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden und ebenso die kurzfristigen Darstellungen der Kassenlage des Bundes in Bälde wieder eingeführt und so gestaltet werden, daß sich das Parlament laufend eine Vorstellung davon machen kann, wo wir eigentlich halten.
Ich glaube, wir haben ein Recht auf solche Informationen.
Zur Finanzlage von Bahn, Post usw. sollte ebenfalls eine stärkere und regelmäßigere Berichterstattung an die Öffentlichkeit und an das Parlament erfolgen.
Schließlich sollten wir dahin kommen — das ist ein großer Schritt vorwärts, über den man sich sehr ernsthaft aussprechen muß —, daß wir alle öffentlichen Haushalte im Bundesgebiet, nicht nur den des Bundes, sondern auch die der Länder und Gemeinden, als eine Einheit betrachten lernen. Wir sollten, wenn möglich, einmal dahin kommen, daß die Finanzmasse, die allen öffentlichen Haushalten zur Verfügung steht, nach rationellen Gesichtspunkten auf alle öffentlichen Bedarfsträger verteilt wird. Das ist nicht mit einem Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern zu machen; denn heute ist es leider so, daß den letzten die Hunde beißen, und die letzten sind die Gemeinden.
Wir glauben, daß die Gemeinden, bei aller Reverenz vor dem föderalistischen Charakter unseres Grundgesetzes, auch ein Anliegen des Gesamtstaates sind, daß sie nicht nur die Kostgänger der Länder sind. Sie müssen unter allen Umständen auch vom Bund in der Weise pfleglich behandelt werden, daß er in seinem zentralen Kommunalministerium, im Innenministerium, entgegen allen Widerständen von einer pseudoföderalistischen Seite her, die kommunalpolitische Abteilung so entwickelt, daß die Gemeinden auch im Bund einen Fürsprecher finden.
Wenn die Gemeindehaushalte nicht in Ordnung sind — und sie sind heute auf vielen Gebieten nicht in Ordnung —, dann ist im ganzen Staate etwas nicht in Ordnung. Man kann sich nicht damit abfinden, zu sagen: Die Gemeinde ist die Keimzelle der Demokratie. Was ist das für eine Demokratie, in der die Keimzelle sozusagen an Armen und Beinen gelähmt, d. h. nicht funktionsfähig ist? Das ist ein Gesamtinteresse des Volkes, nicht nur ein Interesse der Länder.
Meine Damen und Herren, ich wollte hier keine Detailkritik der Ministerien geben. Wenn ich im einzelnen doch auf das oder jenes Ministerium etwas schärfer losgehackt habe, so liegt das in der Natur der Sache. Ich möchte aber jetzt schon für die dritte Lesung ankündigen, daß die sozialdemokratische Fraktion diesem Hause wahrscheinlich einen Antrag unterbreiten wird, der den Bundesrechnungshof mit der Überprüfung der gesamten Bundesverwaltung beauftragen soll. Das geschieht nicht aus Mißtrauen; das geschieht aus dem Bedürfnis, den Zustand des Aufbaus, in dem viele Dinge improvisiert werden mußten, zu überwinden und durch eine sachliche, von der höchsten dafür zuständigen Stelle vorgenommene Überprüfung eine rationelle, wirksame, sparsame und zweckmäßige Verwaltung zu bekommen. Wir sind keine Anhänger der Verwaltungsreform à tout prix. Wir wissen, daß das Schlagwort vom notwendigen Abbau der Verwaltung eben nichts als ein Schlagwort ist, wenn es nur die Reduzierung der Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst und nicht auch die Reduzierung der Aufgaben oder ein Ausgleichen von Aufgaben und Besetzung des öffentlichen Dienstes mit sich bringt.
Wir möchten also mit aller Deutlichkeit sagen, daß es hier nicht um propagandistische, sondern um sachliche Anliegen geht, die wir glauben im Interesse des gesamten Parlaments und der Demokratie mit erfüllen zu müssen.
Wir glauben nicht, daß es genügt, etwa nach dem Antrag, den eine Fraktion dieses Hauses kürzlich hier eingebracht und über den das Haus gesprochen hat, einen Bundessparkommissar einzusetzen. Wir glauben, daß der Bundesrechnungshof, der durch ein von diesem Haus verabschiedetes Gesetz fundiert ist, nicht nur ein Instrument der Regierung, sondern auch ein Instrument des Parlamentes zur Wahrnehmung seines Haushaltsrechts, seines Kontrollrechts ist, dem der Bundestag — die Regierung hat angeblich schon einen Auftrag erteilt — von sich aus einen Auftrag geben muß, der garantiert, daß auch wir von den Ergebnissen dieser Arbeiten erfahren. Denn letzten Endes handelt es sich hier nicht nur um Sachentscheidungen; es handelt sich auch um politische Entscheidungen im bestverstandenen Sinne dieses Wortes. Wir alle wissen, wie schwer es ist, Entscheidungen gerade auf dem Gebiet der Verwaltungsreform, der Besoldungsreform, des Beamtenrechts und ähnlicher Dinge, unbeeinflußt von den verschiedenen In-
teressen zu treffen. Um so notwendiger ist es, daß wir eine sachliche Grundlage für solche politischen Entscheidungen bekommen.
Ich glaube, es hat auch keinen Sinn — und hier möchte ich ein Wort zum Bundesrat sagen —, den Ratschlägen des Bundesrats zu folgen, der gerade beim Bundesrechnungshof Einsparungen an Personal vornehmen will. Das scheint uns Sparsamkeit am falschen Platz zu sein. Der Bundesrechnungshof muß personell so besetzt sein, daß er seine Aufgaben auf allen Gebieten der Staatsverwaltung erfüllen kann.
Meine Damen und Herren, wir wünschen auch noch etwas mehr Etatsklarheit. Wir möchten, daß im Bereich des Haushalts alle Töpfchen verschwinden. Wir möchten, daß alle Einnahmen und Ausgaben etatisiert werden. Wir möchten nicht, daß da und dort kommissarische Bestellungen erfolgen, von denen das Parlament hinterher erfährt und die dann nur sehr schwer zu regulieren sind. Wir möchten nicht, daß ohne das Parlament und ohne Haushaltstitel weittragende personelle Entscheidungen getroffen werden, die dann so hinschwelen, wie etwa die Benennung eines Abgeordneten dieses Hauses als „mit der kommissarischen Leitung des Staatssekretariats" eines Ministeriums „beauftragt". Daraus ergeben sich dann die allermerkwürdigsten Kombinationen. Man sollte hiermit auf allen Gebieten und in allen Ministerien reinen Tisch machen.
Ich erhebe dabei die Frage nach der Funktion der Staatssekretäre überhaupt. Ich will keinem der Herren zu nahe treten. Heute ist die Regierungsbank außerordentlich gut besetzt, gemessen an den sonstigen Verhältnissen.
Aber oft haben wir das Gefühl, der Umstand, daß wir keine parlamentarischen Staatssekretäre haben, sondern nur die Herren, die an der Spitze des Ministeriums, d. h. der Beamtenschaft des Ministeriums stehen, führe dazu, daß wir weder den Minister noch den Staatssekretär im Hause haben, wenn wichtige Fragen des Ministeriums behandelt werden. Wir möchten da dringend eine Änderung wünschen. Entweder bequemt sich die Regierung dazu, dafür zu sorgen, daß der Minister oder der Staatssekretär im Hause ist, oder sie schafft die Institution des parlamentarischen Staatssekretärs und läßt die andere fallen.
So, wie es in der letzten Zeit gegangen ist, geht es nicht.
Was nun die Frage des ausgeglichenen Etats betrifft, so gestatten wir uns, nicht ' ganz einer Meinung mit dem Herrn Bundesfinanzminister zu sein. Er hat zwar rein rechnerisch, so im Stile einer kaufmännischen Bilanz, den Haushalt ausgeglichen. Aber er wird mir selber zugeben, daß einige dubiose Posten in diesem „ausgeglichenen" Haushalt sind. Ich will gar nicht davon reden — der Herr Bundesfinanzminister selber hat es getan —, daß z. B. der Eingang der Interessenquoten der Länder sich doch etwas stockend vollzieht. Wenn also schon die Zahlen auf dem Papier stehen, dann ist die Realität jedenfalls mit den Zahlen nicht ganz in Übereinstimmung. Man kann sagen, es ist ausgeglichen, man kann auch sagen, es ist nur zum Schein ausgeglichen, Herr Staatssekretär. Man kann ganz bestimmt nicht sagen, der Etat sei ausgeglichen, wenn die — ich glaube 170 Millionen oder so ungefähr — Ablieferungen der Bundesbahn zwar kraft Gesetzes im Etat stehen, wenn aber diesem Etattitel keine materielle Leistung der Bundesbahn gegenübersteht. Über dieses Problem haben wir uns oft unterhalten. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß diese Ablieferungen in den Haushalt gehören. Aber wir würden dringend wünschen, daß man endlich einmal auch, nicht nur mit Bundesbahngesetzen und ähnlichen Dingen, sondern mit einem ernsthaften Versuch der Reform der Bundesbahn den Weg beschreitet, der zur Gesundung der Bundesbahn und zur Ablieferungsfähigkeit der Bundesbahn führt.
Mir scheint, daß wir hier über Ansätze bisher nicht hinausgekommen sind. Das ist eine außerordentlich wichtige Aufgabe, ganz abgesehen davon, daß uns die Mitteilungen des Herrn Bundesfinanzministers über die Lage im außerordentlichen Haushalt, über die Möglichkeit der Beschaffung der dafür vorgesehenen Einnahmen auf dem Wege nicht über den Kapitalmarkt, sondern durch die Hingabe von Anleihestücken an öffentliche Institutionen wie Bundespost und einzelne Banken, nicht restlos befriedigen. Wir glauben, daß hier ein Rest zu tragen peinlich bleibt, und daß die Bundesregierung gerade bei der Durchführung der Aufgaben, für die der außerordentliche Haushalt Einnahmen vorsieht und Ausgaben vorschreibt, in sehr große Schwierigkeiten geraten wird, so daß man von einem ausgeglichenen Etat nur mit großen Vorbehalten reden kann. Aber wir wollen diese Frage nicht zum Kardinalpunkt unserer Kritik machen. Wir wollen sie angesprochen haben, weil wir glauben, daß wir in der nächsten Zeit über diese Dinge noch sehr viel öfter und ernsthafter reden müssen, als es heute möglich ist.
Nun noch einige Bemerkungen zu zwei Posten des Haushalts, die auch der Herr Kollege Bausch in seiner Rede berührt hat. Das sind die Besatzungskosten und die Soziallasten. Wir alle sind uns darüber einig: die einen sind zu hoch und die anderen leider nicht so hoch, wie sie angesichts der Not in unserem Volke sein müßten. Die Besatzungskosten sind zu hoch, und dabei droht durch die politische Entwicklung die Gefahr, daß diese Besatzungskosten sich noch erhöhen. Mein Freund Schumacher hat in der außenpolitischen Aussprache schon davon gesprochen, daß der Begriff der Besatzungskosten völlig gegenstandslos geworden ist, und daß hier eine neue Form des gemeinsamen Bezahlens einer gemeinsamen Aufgabe gefunden werden muß.
Wir dürfen schließlich auch daran erinnern, daß noch vor gar nicht allzu langer Zeit die Argumente auch der Besatzungsmächte, wenn wir die Besatzungskosten ansprachen, ganz anders gelautet haben als heute. Heute sagt man uns, ihr müßt 10% eures Sozialprodukts bezahlen. Heute sagt man uns, die Besatzungskosten, die ihr jetzt bezahlt, genügen noch längst nicht, ihr müßt mehr bezahlen. Noch vor einem halben Jahr und vor einem Jahr hat man uns gesagt: Ihr Deutschen solltet eigentlich froh darüber sein, daß ihr keine Armee habt; dafür bezahlt ihr jetzt Besatzungskosten. — Ja, meine Damen und Herren, das ist doch ein im Grunde völlig anderes Argument gewesen als das, das möglicherweise der heutigen Situation entspricht, das aber doch die Dinge vom realpolitischen Standpunkt aus völlig verschoben hat. Denn wenn schon eine Änderung eingetreten ist, doch nicht in der Weise, daß nun die Last
dieser Besatzung, die zufällig geographisch auf unserem Gebiet steht, ausschließlich vom deutschen Volke getragen werden muß. Dann muß sie auch gemeinsam getragen werden. Dann dürfen wir doch auch hoffen, und wir müssen es fordern, daß auch in eine Detailkritik des Begriffes der Besatzungskosten eingetreten wird;
denn da brauchen wir nicht erst Beispiele an den Haaren herbeizuziehen. Noch keine Besatzungsmacht ist mit den Mitteln, die ihr aus dem unterlegenen Volke gegeben wurden, so pfleglich umgegangen, wie die Finanzminister dieses Volkes es tun müßten.
Wir haben da unzählige Beispiele. Man soll nicht billig argumentieren, aber man soll auch nicht an Tatsachen vorbeisehen, die in weiten Kreisen unseres Volkes, nicht nur bei den Betroffenen, ein Ärgernis sind: daß eben die Besatzungskosten zum Teil in absolut unproduktiven und sinnlosen Ausgaben bestehen,
daß die Beanspruchung von Wohnraum nicht aufhört, wenn niemand mehr in den Häusern wohnt, und noch nicht einmal dann, wenn das Haus schon monate- oder gar jahrelang unbewohnt ist.
Es gibt eine ganze Reihe anderer Dinge, die in
dieser Richtung liegen. Ich glaube, hier müssen
wir noch größere politische Anstrengungen machen,
um die Besatzungsmächte zu veranlassen, endlich
ein ernsthaftes Gespräch mit uns über diesen
Posten unseres Etats zu beginnen, der hoch ist, und
der nicht so hoch sein müßte, der gar nicht so hoch
sein darf, wenn man die tatsächlichen Bedürfnisse
der Besatzung mit den Kosten in Vergleich setzt.
Ich glaube, wir brauchen uns hier, ohne irgend
welche nationalistische Töne anzuschlagen, nicht zu
scheuen, das Kind beim rechten Namen zu nennen.
Die Soziallasten sind hoch. Aber wir haben auch eine Katastrophe ohnegleichen erlebt. Wir haben — ich will sie nicht wieder aufzählen — in unserem Volke eine so hohe Zahl von Menschen, die infolge ihres Alters, infolge ihrer geschwächten Gesundheit, infolge der Tatsache, daß sie zu Krüppeln geschossen worden sind, einfach nicht mehr in der Lage sind, im Leben auf eigenen Beinen zu stehen. Das schlägt sich in unserem Sozialhaushalt nieder, und ich sage es nochmals: Wir sollten diese Ausgaben nicht als einen Luxus empfinden, den sich ein geschlagenes Volk leistet, sondern als eine Notwendigkeit, der Rechnung zu tragen ist, damit dieses Volk wieder auf die Beine kommt, und daß es nicht nur im körperlichen, sondern 'auch im moralischen Sinne auf den Weg der Gesundung kommt.
Meine Damen und Herren! Wenn wir damit die öffentliche Diskussion über die Ausgabenwirtschaft des Bundes in Vergleich setzen, so machen wir oft den Fehler, daß wir uns über Kleinigkeiten aufregen — entschuldigen Sie, wenn das Wort aus meinem Munde kommt —, über Kleinigkeiten in einer falschen Weise aufregen. Es ist klar, daß sehr viel unnötige Aufwendungen für kostspielige Dinge gemacht worden sind. Wenn der Name Bonn fällt, dann ist das Thema schon angesprochen. Ich will es auf eine kurze Formel bringen. Wir sollten uns nicht darüber aufregen, daß da und dort 10 000 DM ausgegeben worden sind, sondern daß da und dort 10 000 DM unnötig und unzweckmäßig ausgegeben worden sind. Das ist schlimmer als die Ausgabe von 10 000 DM an sich, weil die Menschen ein feines Gefühl dafür haben, was nötig und was nicht nötig ist. Das hat nichts mit der sogenannten und oft gerühmten Optik zu tun. Das hat aber mit dem guten Gewissen aller derer zu tun, die für die öffentlichen Ausgaben verantwortlich sind. Und hier, glaube ich, ist eine Selbstkontrolle nötig. Ich empfehle den Herren, sich den Bericht, wenn sie ihn bekommen, des Rechnungshofes des Landes Nordrhein-Westfalen über die Aufwendungen im Raume Bonn zu beschaffen. Sie werden einige sehr nette Nutzanwendungen daraus ziehen können.
Ich komme zum Schluß. Was war der Sinn dieser Ausführungen? Nicht nur die Kritik an der Politik der Regierung, nicht nur die Kritik an Einzelheiten, sondern auch die Bestimmung des eigenen Standortes. Wir stehen zu dieser Regierung in Opposition. Aber wir stehen in Opposition aus derselben Liebe und Anhänglichkeit zu unserem Volke, die wir auch unserem. politischen Gegner zubilligen.
Vom gemeinsamen Boden der legitimen und von uns allen anerkannten Demokratie aus stehen wir zueinander in einem echten politischen Gegensatz, den wir in allen Einzelheiten, in aller Fairneß und in aller Schärfe da, wo es notwendig ist, austragen wollen.
Meine Damen und Herren! Nicht der Herr Bundeswirtschaftsminister oder der Herr Bundesfinanzminister oder sonst einer der Herren auf der Regierungsbank war Ziel unserer Kritik, sie waren das Ziel unserer Kritik als Funktionäre einer Gesamtpolitik, die wir ablehnen.
Ich sage Ihnen zum Schluß folgendes. Wir Sozialdemokraten verfügen nicht oder nur in den seltensten Fällen über das große, patriotische Pathos, das zumeist denen zur Verfügung steht, die dieses Pathos benützen, weil sie sonst nichts zu bieten haben.
— Niemand braucht sich davon getroffen zu fühlen.
Es ist durchaus Sache desjenigen, der sich die Jacke anzieht. — Ich sage, wir verfügen nicht über das nationale Pathos.
Aber wir stehen mit der gleichen Liebe zu unserem Volke, von dem wir ein Teil sind und zu dem wir im Guten und im Bösen stehen.
Meine Damen und Herren! Darf ich vielleicht die Frage einmal stellen, was sich bei uns eigentlich national nennt. Wir Deutschen haben manchmal einen Sport daraus gemacht, unsere politischen Bezeichnungen mit nationalen Adjektiven auszuschmücken. Ich habe jahrelang in einem Lande gelebt, in dem das Wort „national" eine ganz besondere und große Würde besitzt. Man spricht von national newspapers, von national parties, d. h. von Zeitungen und Parteien, die im ganzen Lande zu Hause sind. Aber niemand wird es einfallen, sich als national zu bezeichnen, bloß weil er Scheuklappen links und rechts vor den Augen hat und nicht mehr die Vergangenheit und die Gegenwart richtig zu beurteilen versteht.
Ich muß Sie auf den Ablauf der Redezeit aufmerksam machen.
Ich bin im Augenblick fertig.
Der Augenblick ist etwas weit ausgedehnt worden.
Der Augenblick dauert wirklich nur einen Augenblick.
Ich sage: Wer ist in Wirklichkeit national? Derjenige, der seinem Volke nicht mit Worten, nicht mit Phrasen dient, sondern durch die Arbeit, wer in seinem Volke lebt und für dieses Volk arbeitet, das wir bald wieder frei und glücklich sehen wollen, der darf sich wahrhaft national nennen, ohne daß er es jemals nötig hat, dieses Adjektiv für sich in Anspruch zu nehmen. Ich glaube, hier haben wir eine Gemeinsamkeit, die stärker sein muß als die Trennungen, die uns im politischen Bereich sehr häufig auseinanderführen müssen, eine Gemeinsamkeit im Volke, das wir hinausführen wollen aus seiner Enge in ein freies Europa und in eine gesittete und befriedete Welt.
Aus dieser Gesinnung werden wir am Haushalt in seinen Einzelheiten mitarbeiten, aus dieser Gesinnung stehen wir in Opposition zu dieser Regierung und werden daraus auch die Konsequenzen ziehen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Der Kollege Schoettle hat bereits ,darauf hingewiesen, daß der Haushaltsplan uns erst vor wenigen Tagen zugegangen ist. Notwendigerweise muß die Diskussion in ihrer Konzentration unter dieser Tatsache leiden. Mein Freund Blank hat es übernommen, zu dem Ausgleich des Haushalts zu sprechen. Ich möchte die gute Übung aufnehmen, bei dieser Gelegenheit mit der Regierung in ein Gespräch über alle die grundsätzlichen Fragen zu treten, die irgendwie in der Arbeit des Bundeskanzlers und der von ihm geführten Regierung ihren Niederschlag finden. Das hat auch der Kollege Schoettle getan. Ich sage: Kollege. Er hatte einen zweifachen Zungenschlag. Einmal sprach er von Freunden. Ich stehe unter dem Eindruck seiner Rede und möchte von Person zu Person diesen Ausdruck aufnehmen, schon auf Grund langjähriger Zusammenarbeit im Wirtschaftsrat. Und was den „Genossen" angeht, so decken wir ihn mit dem Mantel der christlichen Liebe zu, oder aber wir formen ihn in „Mitgenossen der Not und des Leides" um. Dann bin ich auch da einverstanden.Meine verehrten Damen und Herren! Wir hatten vor einigen Tagen eine ausführliche Aussprache über .die Außenpolitik. Ich will sie heute beiseite lassen. Ich will aber mit Nachdruck darauf aufmerksam machen, daß die Aufgabe, eine gute Außenpolitik zu machen, die wir nach einem Zwischenraum von 17 Jahren jetzt wieder aufnehmen, nicht nur deshalb ungeheuer schwierig ist, weil die außenpolitische Lage so wechselvoll, so verwickelt und so außerordentlich gefährlich ist, sondern auch deshalb, weil wir uns in dieser langen Zeit — mehr als ein halbes Menschenalter — sachlich und personell der Dinge entwöhnt haben. Um so wichtiger erscheint es uns, daß wir im Aufbau der konsularisch-wirtschaftlichen Vertretungen und hoffentlich sehr bald auch des diplomatischen oder auswärtigen Dienstes schnelle Fortschritte machen. Wiewohl wir ein nicht voll souveräner Staat sind - und das haben wir uns in diesen Tagen hinreichend vor Augen geführt —, haben wir auf diesem Gebiete Freiheiten erhalten. Wir sollten sie ausnützen. Was hindert uns daran?Im Haushalt des Bundeskanzlers finden wir große Posten und große Titel über diese konsularisch-wirtschaftlichen Vertretungen und auch über Anfänge des auswärtigen Dienstes. Wir finden aber keinen Ansatz für ein Ministerium für auswärtige Angelegenheiten. Wir gehören zu den Leuten, die dem Herrn Bundeskanzler die Fußverrenkungen, von denen der Abgeordnete Schoettle gesprochen hat, nicht zumuten möchten, schon wegen seines vorgerückten Alters nicht. Wir haben eine Bitte an den Herrn Bundeskanzler und die ganze Bundesregierung, die ja ein Kollegium ist.
— Ich spreche von dem, was im Grundgesetz steht, Herr von Rechenberg; das ist für mich Gesetz und keine Soll-Vorschrift. Ich bin der Meinung, daß wir auf dem schnellsten Wege zu einem selbständigen Fachministerium für auswärtige Angelegenheiten kommen sollten. Alle Argumente gegen die Erweiterung der Zahl der Ministerien, die sonst hier vorgebracht werden, auch alle Argumente — die wir zum Teil anerkennen — gegen zu viele schon vorhandene Ministerien, versagen hier selbstverständlich. Ich bin in der Lage, den Ausführungen von Herrn Schoettle über die parlamentarischen Staatssekretäre zuzustimmen, will das aber nicht weiter vertiefen.Da ich beim Bundeskanzleramt bin, möchte ich erklären, daß es mehr als eine Formsache ist, daß die Bundesregierung sich die in Art. 65 des Grundgesetzes erwähnte Geschäftsordnung gibt.
Der Bundespräsident hat ,diese Geschäftsordnung zu genehmigen. Er hat dazu nicht die Pflicht, aber das Recht. Daraus ergibt sich schon, welche Bedeutung die Männer des Parlamentarischen Rates dieser Institution der Geschäftsordnung beigemessen haben, ganz abgesehen davon, daß sie die Dinge vereinfacht und auch ordnet.Es beunruhigt uns etwas, daß in diesem selben Einzelplan — und zwar noch nicht einmal vollständig — eine Anhäufung verschiedener Ämter vorhanden ist. Auf diesem Wege sollten wir nicht weitergehen. Dagegen sollten wir ein Amt, das hier erscheint, nämlich das Presse- und Informationsamt, mit Schwung — ich gebrauche diesen Ausdruck absichtlich —, mit einem wirklichen inneren Schwung ausbauen oder, sagen wir, aufbauen und vielleicht auch schon in einigen Punkten umgestalten. Man hat hier und da gesagt, die Mittel, die dafür angefordert seien, seien zu hoch. Eher das Gegenteil ist der Fall, wenn die Aufgaben, die wir uns vorstellen, erfüllt werden sollen.Ich möchte in diesem Zusammenhang noch eine zweite Bemerkung machen. Es scheint uns Zeit zu werden, in dem Volke das Gefühl zu beseitigen, daß in diesem Amt das allein Beständige der Wechsel ist. Mit derartigem Wechsel und was sich daraus ergibt, kommen wir nicht zu einer guten Linie. Ich spreche nicht vom Propagandaministerium. Wir haben bei diesem Wort einen schlechten
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3660 Deutscher Bundestag — 160. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1950
Geschmack auf der Zunge; das scheiden wir aus. Aber die Aufklärung und die Information des Volkes, die dringend nötig sind, sind unzureichend. Ich finde es nicht richtig, daß in dem Maße, wie es heute geschieht, die Gewerkschaften und Herr Niemöller das Volk aufklären und informieren. Bitte, ziehen Sie keine Schlüsse aus dem Nebeneinander dieser beiden Worte. Wir hatten schon einmal Ansätze — ich erinnere an die Tage der Ostzonenwahl —; diese sollten weiter verfolgt werden, nicht nur bei einmaligen Gelegenheiten. Wir vermissen eine umfassende, interessante, nachhaltige und auch systematische Aufklärung und Information des Volkes. Man braucht sie nicht in jeder Stunde und unter allen Umständen unter eine Gradlinigkeit zu stellen. Das ist in den Zeiten, in denen wir heute leben, nicht möglich. Aber die Dementis — sprich: Pannen! — sollten in diesem Amt doch seltener werden.
Hier scheint die Routine in den von mir zitierten 17 Jahren auch völlig verlorengegangen zu sein. Denn Propagandaroutine ist nicht verboten und ist nichts Unehrliches, wenn man eine klare Linie stets vor Augen hat.Das Amt — und damit verlasse ich diesen Punkt — sollte schließlich daran denken, daß es nicht bloß eine Presse, sondern auch Rundfunk und Film als Informations- und Aufklärungsmittel gibt. Hier kann viel geschehen.Ich halte mich zurück. Die Pressedebatte, die wir hier im Bundestag hatten, hat nicht gefallen, und wenn Sie einen Blick auf die Tribüne der Presse werfen — nicht in diesem Augenblick, so eingebildet bin ich nicht, sondern im Augenblick der Rede des Herrn Bundesfinanzministers —, so ' ist die Besetzung der Pressetribüne verglichen mit derjenigen bei der außenpolitischen Debatte wesentlich geringer. Ich will natürlich einen Vorrang zugestehen; darüber rechten wir nicht. Aber ich glaube, der Gedanke: wann passieren im Bundestag Sensationen?, herrscht immer noch in einzelnen Kreisen. Es gibt auch andere in der Presse — gottlob! —, und es werden mehr — gottlob!Erlauben Sie mir — Herr Schoettle hat auch davon Andeutungen gemacht — ein Wort zu unserer eigenen Versammlung. Es liegt mir fern, parteipolitisch zu reden. Es geht auch gar nicht; die Bayernpartei ist nicht da!
Haben sich wohl die Wähler dieses Hauses, die die Männer ihrer Wahl in dieses Haus gesandt haben, gut orientiert, haben sie so ein bißchen deutlich hingeschaut — nicht äußerlich, sondern auf den Kern der Dinge —, und wären sie, wenn sie das getan hätten, nicht vielleicht auf einige Punkte gekommen, die uns die Selbstreinigungsaktion, in der wir uns offensichtlich befinden, ein wenig leichter, ein wenig einfacher hätten machen machen können?
Ich möchte das glauben. Ein Land ragt in dieser Beziehung zu meinem großen Kummer — ich wohne dort seit 25 Jahren — besonders hervor.
Die finanziellen Gesichtspunkte stehen im Vordergrund, das ist selbstverständlich, und das ist auch der Sinn einer Haushaltsdebatte; aber hier könnten die Länder sparen, darüber ist kein Zweifel.
Ich bin damit schon in den Bereich der inneren Verwaltung übergegangen. Das Innenministerium, dessen Chef gewechselt hat — und wir bejahen diesen Wechsel —, steht vor außerordentlichen Aufgaben. Es ist das Beamtenministerium; es hat die Aufgabe, die Beamten an den Staat wieder heranzuführen und die Bevölkerung an die Beamten. Die Beamten haben den ersten Krieg besser überstanden als den zweiten. Das haben wir alle; aber die Beamten doch in besonderem Maße — kein Wunder nach der Nazizeit!
— Na, Herr Greve, das wollen wir nicht sagen; es wäre platt. Ich habe es nicht deswegen gesagt, um in diesem Zusammenhang auf persönliche Zwischenrufe zu antworten. Dazu ist mir das zu wichtig.Also, meine Damen und Herren, die Beamten werden von uns schlecht bezahlt — darüber ist kein Zweifel —, nämlich mit den Gehältern von 1927. Wir haben den Zustand, daß sie nicht hundertprozentig, wie es doch vor 1914 fast der Fall war, als treue Diener des Staates erscheinen. Zu einem Teil — darüber müssen wir uns klar sein — haben wir das mitverschuldet oder, sagen wir, verursacht. Wir haben sie in Ämter hineingeschickt, in Wohnungsämter, in Bezugscheinämter, in Mietämter, in Arbeitsämter und in Ernährungsämter, wo man nicht gerade seine beamtenmäßigen Qualitäten verbessern kann. Wir sollten doch eins tun — ich bin kein Beamter, wie Sie wissen —, wir sollten den Ruf der Beamten nicht auch noch heruntersprechen. Das kann man nämlich. Man kann einen Ruf herunter- und heraufsprechen; und ich glaube, wir tun das erstere gegenüber den Beamten.Wir haben die Polizeifragen hier ausführlich besprochen. Ich will darauf in diesem Zusammenhang nicht eingehen. Gerade unsere Freunde haben eindeutig durch meinen Freund Becker unsere Ansicht verkünden lassen. Im Innenministerium stehen das Bundeskriminalamt und das Amt für Verfassungsschutz vor Aufnahme ihrer Wirksamkeit. Ich meine, wir sollten hiermit keinen Augenblick mehr zögern. Die Situation verlangt, daß derartige Ämter ihre wichtige Aufgabe sofort beginnen.Meine Freunde haben seinerzeit zu Beginn der Arbeit des Bundestages einen Bundestagsausschuß für Kulturpolitik verlangt. Dieser ist von der großen Mehrheit des Hauses bewilligt worden. Ich kann seine Arbeit, die sich mit dem Innenministerium zusammen vollzieht, hier nicht gut übergehen. Ich erinnere an seine Entschließung über die Koordinierung des Bildungswesens in den Ländern. Meine Damen und Herren, über der Vielfalt und Eigenständigkeit des Bildungswesens in den Ländern, die ich nicht verkenne, muß die Einheit des deutschen Schulwesens stehen.
Das sind für uns Selbstverständlichkeiten. Aber leider, leider, meine Damen und Herren, werden sie in der Öffentlichkeit und in der Praxis eher weniger als mehr erkannt, und das macht uns besorgt.Der Herr Finanzminister hat gestern nachmittag in seiner Rede gesagt, wir könnten unserer Jugend wenig mitgeben. Wir wollten ihr wenigstens — er sprach davon bei der Verteilung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern — Wissen und Können mitgeben; und das sei Aufgabe der Länder.Nun, ich meine, nicht so bescheiden! Der Bund sollhier nicht zurückstehen. Aus diesem Grunde habenwir diesem Hause das Deutsche Jugendwerk zurErrichtung vorgeschlagen. Sie erinnern sich an dieEinzelheiten. Es ist uns eine Befriedigung, daß dasBundesministerium diese Dinge mit Nachdruck aufgegriffen hat. Hier sollten wir nicht sparen; um soweniger sollten wir sparen, als die Länder in denletzten fünf Jahren beachtliche Posten für den Aufbau der FDJ zur Verfügung gestellt haben. Hierhaben wir eine Pflicht der Wiedergutmachung, umdieses oft mißbrauchte Wort einmal zu erwähnen.
Ich kann in diesem Zusammenhang, wenn ich von der Jugend und der Fürsorge für sie spreche, auch nicht unerwähnt lassen, daß mehr als 40 % der Arbeitslosen, die wir heute noch haben, im Lebensalter zwischen 15 und 25 Jahren stehen. Es geschieht etwas. Ich habe mit Freude gelesen, daß die Zahl der Lehrlinge im Handwerksstand sich außerordentlich — sprunghaft beinahe — vermehrt hat. Auch die Industrie tut wesentlich mehr als früher. Der Staat, also der Bund darf hier nicht zurückstehen. Wir möchten gern, daß das Bundesinnenministerium dieses Jugendwerk so schnell und so unbürokratisch wie möglich ins Leben ruft. Wir versprechen uns etwas davon.Wir befinden uns überall in einem Anfangsstadium, in einem Aufbau, dessen Schwere und dessen Ausgangspunkt wir uns kaum vorstellen können und den wir uns, glaube ich, viel zu selten klarmachen.In diesem Zusammenhang möchte ich ein Wort über die Arbeit des Bundesjustizministeriums sagen. Es ist ein großes Wort, wenn ich sage, es hat eine der schönsten, bestimmt aber der höchsten Aufgaben im Bundeskabinett, nämlich die, einen Rechtsstaat wieder heraufzuführen, der uns völlig verlorengegangen war. Wenn ein Minister das neben den erforderlichen anderer. Eigenschaften mit Temperament tut wie unser Freund Dehler, dann freuen wir uns darüber, und dann ist uns das recht.
Auf dem Wege dazu und zur Vereinheitlichung des in den letzten fünf Jahren völlig aus den Fugen geratenen einheitlichen materiellen und prozessualen Rechts haben wir bereits große Fortschritte gemacht. Wir haben im Haus und in den Ausschüssen den Eindruck, daß im ganzen Ministerium mit Sachkunde und tiefem Ernst an dieser Arbeit gewirkt wird. Ich möchte das hier in aller Öffentlichkeit anerkennen. Es kommt nicht so sehr darauf an, wo die Arbeit der Minister geleistet wird. Herr Schoettle hat gesagt, sie redeten manchmal sehr viel außerhalb. Es kommt darauf an, daß die Hauptarbeit der Minister in den Ministerien selbst geleistet wird; und das ist in unserem Bundesjustizministerium unter der Führung von Dehler der Fall.
Wir meinen, meine Damen und Herren — eine Einzelheit —, daß die Verabschiedung des Verfassungsgerichtsgesetzes nicht mehr auf sich warten lassen dürfte. Es kann manchmal auch das Bessere der Feind des Guten sein. Die Tatsache, daß wir kein Verfassungsgericht haben, ist jedenfalls nicht mehr länger tragbar.Darf ich nunmehr auf wirtschaftspolitische Fragen übergehen und zunächst — wiewohl das durchaus nicht üblich ist — ein Wort zum Verkehrs-
ministerium sagen. Der Verkehr ist — ein Sachverständiger aus unseren Reihen sagte mir das gerade gestern — der Erfüllungsgehilfe für die Wirtschaft. Funktioniert dieser Gehilfe nicht, dann leidet die ganze Wirtschaft. Ich weiß genau, daß man nicht mit ausschließlich wirtschaftlichen Gedankengängen an die großen Körperschaften des Verkehrs herangehen kann, die vom Verkehrsministerium und vom Postministerium betreut werden. Aber ich frage mich zuweilen, ob in dem Kollegium der Bundesregierung der initiativreiche Verkehrsminister sich so durchsetzt oder zur Geltung kommt, wie es nach der Arbeit, die ihm auferlegt ist, erforderlich ist. Wenn man Kreditprogramme und ähnliches ansieht, meine Damen und Herren, dann spielt der Verkehrssektor, wie es so schön heißt, doch bisher eine recht untergeordnete Rolle. Wenn auch in der dritten Tranche der ERP ein erheblicher Betrag angesetzt ist und wenn auch für die Seeschiffahrt in diesem Fall im außerordentlichen Haushalt, der hoffentlich durchführbar ist— darauf wird mein Kollege Blank zu sprechen kommen —, große Mittel vorgesehen sind, so ist doch die Finanzierung der Seeschiffahrt nicht gesichert.
— Das ist vielleicht auch nicht ganz richtig, es sind Anfänge da.Ich komme mit wenigen Worten auf die Bundesbahn. Ihre Betriebslage hat sich in letzter Zeit gebessert. Man kann die Betriebslage und die Betriebsergebnisse nicht betrachten, ohne immer daran zu denken, daß alljährlich unerhörte Beträge für Kriegsschadenbeseitigung anfallen. Es war in normalen Zeiten ein Ereignis, wenn im Deutschen Reich ein großer Hauptbahnhof gebaut wurde. Heute wird an der Wiederherstellung einer ganzen Reihe von Hauptbahnhöfen gleichzeitig gebaut. Und wer zahlt das? Das muß vorwiegend aus der Fahrkartenkasse — natürlich für beide, Personen- und Güterverkehr — bestritten werden. Und das alles, wiewohl 75% aller Personen-Fahrkarten unter Tarif liegen! Es sieht in der letzten Zeit so aus, als wenn durch in- und ausländische Gutachten die Inangriffnahme der Frage der Bundesbahnfinanzen vorangetrieben würde. Aber wir sollten nicht innerhalb der Bundesbahn darauf verzichten, Kräfte zu lösen. Ich habe zuweilen diesen Eindruck. Meine Damen und Herren, die Bundesbahn hat keine Autonomie. Das verbietet das Grundgesetz. Sie ist kein reiner Staatsbetrieb, das versteht sich auch. Dazwischen liegen viele Möglichkeiten. Das Bundesbahngesetz will sie finden. Wir reden ja zur Zeit darüber. Aber wenn man jemandem eine große Verantwortung auferlegt und eine beachtliche Selbständigkeit zubilligt, dann lösen sich Kräfte, und dann wird meines Erachtens besser und sparsamer gewirtschaftet, als wenn man das nicht tut.Im ganzen schwebt uns also vor, daß der Verkehrsetat — der ja nur äußerlich der dickleibigste ist, weil das Bundesverkehrsministerium als einziges einen Unterbau hat — bei der Verteilung von Krediten und anderen Mitteln mehr berücksichtigt werden sollte, ohne daß ich einen Favoriten aus diesem Verkehrsetat machen möchte.Ein solcher Favorit ist auch — entgegen manchen Ansichten — der Wohnungsbau nicht. Er hat nur die große Rolle, die ihm zukommt. Darüber sind wir uns alle einig. Die Stockungen, von denen der Kollege Schoettle sprach, halte ich bis auf weiteres oder bis zum Beweis des Gegenteils für unerheblich. Worauf beruhen nun diese großen Leistungen, die wir erzielt haben? Sie beruhen nach meiner Ansicht nicht zuletzt darauf, daß wir den Mut gehabt haben, im Wohnungsbau und der Wohnungswirtschaft einen Sektor zu schaffen, der von Plan- und Zwangswirtschaft ausgenommen ist. Das ist für meine Freunde und für mich ein gutes Vorzeichen für die Zukunft, und ich möchte wünschen, daß es durch die allgemeine Entwicklung, auf die der Wohnungsbauminister keinen oder nur einen geringen Einfluß hat, nicht verdunkelt oder getrübt wird. Wenn ich die Entwürfe des Gesetzes über Baulandbeschaffung usw. ansehe, kommen mir Gedanken über gewisse Gefahren. Wir wollen ferner nicht, daß sich im Rahmen des Wohnungsbaues übermäßige Kapitalkonzentrationen bilden, die ja nicht immer bloß, wie es in der Sage heißt, von einer bestimmten Seite mißbraucht werden. Wir möchten, daß die Genossen — in diesem Fall die Genossen der Genossenschaften, die Eigentümer der Genossenschaften — auch sehr schnell Eigentümer der Gebäude werden, an denen sie sich beteiligt haben.Ich weiß nun, daß unsere Hoffnungsfreudigkeit für den gleichen Erfolg des Wohnungsbaues im Jahre 1951 einen Stoß erlitten hat; erhöhte Diskontsätze und andere Dinge — ich komme darauf — werden auch die Finanzierung des Wohnungsbaues nicht erleichtern. Ich möchte wünschen, daß sich die Solidarität fast aller Fraktionen in diesem Hause bewähren wird, wenn es an die Überwindung dieser Schwierigkeiten geht; denn wir brauchen unentwegt und auf unabsehbare Zeit eine ungeheure Menge von Wohnungen, allein dann schon, wenn wir unsere eigenen Beschlüsse — Umsiedlung der Flüchtlinge; hohe Zahlen sind in diesem Hause beschlossen worden — durchführen möchten. 600 Millionen DM aus der Soforthilfe für den Wohnungsbau im Jahre 1950/51, das ist eine beachtliche Zahl; sie spielt eine große Rolle in dem Programm des Wiederaufbauministers.Überhaupt ist die Soforthilfe, die viel geschmähte, nicht so schlecht, und sie wirkt sich nicht so aus, wie manche fürchteten und wie manche auch heute noch behaupten. Dennoch müssen die Bemühungen, zum endgültigen Lastenausgleich zu kommen, in raschem Tempo fortgesetzt werden. Es bedrückt uns, daß das von uns initiativ eingereichte Schädenfeststellungsgesetz in einem so langsamen Tempo vorankommt. Ich wüßte nicht, wie die Notwendigkeit eines organischen Lastenausgleichs, auf den meine Freunde schon auf ihrem Parteitag 1946 in Pyrmont hingewiesen haben, weniger wichtig werden sollte; sie würde unter jeder Regierung, einerlei wie sie aussieht, ihre sehr große Bedeutung haben. Aber man sollte in den internen Vorbereitungen des Guten nicht zu viel tun, sondern diesem Hause den Entwurf eines Gesetzes über den endgültigen Lastenausgleich nunmehr mit größter Beschleunigung vorlegen.Der Finanzminister hat mit sehr großem Recht alle zur Sparsamkeit aufgefordert. Wir haben den Eindruck, daß er sich in seinem eigenen Ministerium auch darum bemüht. Wie sollen wir, ohne sparsam zu sein und zu bleiben, ohne der Gefahr aus dem Wege zu gehen, über unsere Verhältnisse zu leben — es ist nicht nur diese Gefahr vorhanden, sondern wir leben in breiten Kreisen auch der Wirtschaft über unsere Verhältnisse — unsere großen Aufgaben erfüllen, wenn wir nicht sparsam sind oder werden? Es gibt auch Investitionsvorhaben, die sich als
falsch erwiesen haben. Auch hier sollten wir vorsichtiger werden. Der Kreditsegen - für manche ist ja ein Segen herniedergegangen ist nicht immer ganz richtig verwendet worden.Ich muß in diesem Zusammenhang um der Sache willen über die Zuständigkeitsfrage eine Bemerkung machen. Es hat sich, sagen wir, herumgesprochen, daß zwischen dem Bundesfinanzminister und dem Bundeswirtschaftsminister nicht unerhebliche Differenzen über die Zuständigkeit insbesondere auf den Gebieten Geld und Kredit, Währung und Versicherung bestehen und daß sie nicht entschieden werden. Wir fürchten, daß unter diesen Differenzen die Sache langsam zu leiden beginnt. Deswegen bringe ich das im Rahmen der Haushaltsdebatte hier offen vor. Eine Entscheidung ist dringlich.Über die Besatzungskosten, die nach den Worten des Finanzministers den uns ja hinreichend bekannten Anteil am Haushalt ausmachen, haben meine Vorredner Bausch und Schoettle so überzeugend gesprochen, daß ich dem nichts hinzuzufügen brauche. Die Kosten, die durch die Anwesenheit der Schutzmacht verursacht werden, müssen so gehalten werden, und zwar im beiderseitigen Interesse, daß dem Zwecke dieser Schutzmacht sowie der Belastung und der Lage des deutschen Volkes Rechnung getragen wird.Zum Wirtschaftsministerium Stellung zu nehmen, dazu werden wir sehr bald in einer wirtschaftspolitischen Debatte Gelegenheit haben. Meine Freunde wünschen zu erklären, daß sie keinerlei Veranlassung sehen, auf die Marktwirtschaft zu verzichten. Die erforderlich gewordene Abwehr von Notständen mit geeigneten Mitteln hat nichts zu tun mit dem Aufgeben einer Grundsatzpolitik. Die außerordentlichen Erfolge, die bis zum Tage von Korea mit der Marktwirtschaft erzielt worden sind, haben unseren Glauben an diese Wirtschaftsform, den wir von vornherein hatten, noch verstärkt. Diese Erfolge sind aufgezählt, es ist hinreichend darüber gesprochen worden. Stichworte: Erhöhung der Produktion, Erhöhung der Leistung jedes einzelnen - durchaus nicht ohne weiteres die natürliche Folge des ersten —, Steuersenkung, auch der indirekten Steuern, erstaunliche Entwicklung der Ausfuhr, große Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, schnelles Anwachsen der Spareinlagen, Angleichung von Preisen und Löhnen — meine Damen und Herren, das klingt fast sagenhaft —
waren die Folge der Marktwirtschaft. Natürlich — nur ein Tor könnte das bestreiten — hat Korea einen Einbruch in diese Situation gebracht, und zwar einen schweren Einbruch auf vielen Gebieten. Wir haben keine Blüte der Wirtschaft, Herr Kollege Schoettle. Niemals würde ich das behaupten. Aber wir glauben, daß wir diesen akuten Einbruch doch schneller und besser abgefangen haben, als man vielleicht erwarten konnte. Wir hoffen, daß wir durch die Marktwirtschaft auch mit ähnlichen Einbrüchen fertig werden. Auf diese müssen wir gefaßt sein. Wir möchten damit fertigwerden, wiewohl ja solche Einbrüche — meine Damen und Herren, das kann ich in diesem Zusammenhange nicht verschweigen —von manchen Kreisen auch des Inlandes mitgemacht oder sogar verstärkt und unterstrichen werden.Auf einem anderen Gebiet liegt die Entwicklung der Handelsbilanz, über die Herr Schoettle gesprochen hat. Es ist kein Zweifel, daß die Liberalisierung Gefahren hat. Ganz bestimmt hat sie Gefahren, wenn sie allzu schnell und allzu heftig vor sich geht und wenn den mit ihr zusammenhängenden Gedankengängen vielleicht auf der Gegenseite nicht mit der gleichen Liebe, mit der die Liberalisierung von uns angewendet wird, gehandelt wird.Für mich ist es eine noch offene Frage, ob es sich bei den Schwierigkeiten, in die wir geraten sind, um akute oder um chronische handelt. Je nach Beantwortung .dieser Frage werden die Mittel sein, mit denen wir den Schwierigkeiten zu Leibe rücken. In der Auffassung des Auslandes ist durch das bekannte Gutachten erfreulicherweise ein Wandel eingetreten, aber das soll uns nicht in den von Herrn Schoettle vielfach zitierten Optimismus verfallen lassen, sondern das Wirtschaftsministerium muß sicherlich sehr acht geben und sich hinsichtlich der Liberalisierung nicht nur von den inzwischen schon reichlich vertraut gewordenen Gedankengängen leiten lassen, obwohl eine möglichst große Liberalisierung natürlich auch unser Endziel ist.Herr Schoettle hat sich mit einer akuten Frage, deren aktuelles Dasein er unseres Erachtens überschätzt, ausführlich beschäftigt, nämlich mit dem Steinkohlenbergbau. Man kann übrigens auch eine Kohlenverknappung durch Gerede oder durch zu vieles Reden darüber erheblich vergrößern, meine Damen und Herren. Jeder Wirtschaftler und jede Hausfrau sollten sich doch vielleicht fragen, ob die Sommermöglichkeiten ausgenutzt worden sind oder nicht.
Meine Damen und Herren, ich bin in der Lage, eine in Kürze der Presse zugehende Information des Bundeswirtschaftsministers — mit Einverständnis ,des Herrn Präsidenten — zu verlesen:„Zur Behebung der derzeitigen Schwierigkeiten in der Kohlenversorgung im Bundesgebiet, insbesondere zur Vermeidung drohender Stillegungen von zahlreichen Betrieben und ,der damit verbundenen Arbeitslosigkeit ist in einer Verhandlung am 9. 11. unter Vorsitz des Bundesministers für Wirtschaft mit der IG Bergbau und der Deutschen Kohlenbergbauleitung eine grundsätzliche Verständigung über eine Reihe von Maßnahmen erzielt worden.1. Bis zum 31. März 1951 wird der Steinkohlenbergbau monatlich die zusätzliche Förderung von 2 Arbeitstagen in regelmäßiger Mehrarbeit, deren Art den Verhältnissen der einzelnen Gruben angepaßt werden soll, zur Verfügung stellen.
2. Zer Zuschlag für diese regelmäßige Mehrarbeit wird auf 50 % erhöht.3. Zur Steigerung der laufenden Tagesförderung wird neben der am 1. 11. 1950 tariflich bereits vereinbarten Lohnerhöhung von 10 % eine Prämie für regelmäßig verfahrene Schichten für die Untertage-Belegschaft in Höhe von 3 % gewährt.4. Die Verhandlungen über das außerdem vorgesehene Erfolgsanteilsystem sollen beschleunigt zum Abschluß gebracht werden.Diese Maßnahmen werden wirksam am kommenden Montag.
Der Bergbau und die Bergleute beweisen damit erneut ihre Einsicht und Hilfsbereitschaft.Die Bundesregierung wird den Bergarbeiterwohnungsbau in stärkstem Maße fördern.Die hier getroffenen Maßnahmen sind geeignet, der Kohlenknappheit wirksam zu begegnen und eine ausreichende Versorgung zu gewährleisten.
Ich möchte mit dem Verlesen dieser Information mitgeholfen haben, auf dem schnellsten und. sichersten Wege eine erhebliche Beruhigung in das Volk zu tragen.Meine Damen und Herren! Ich muß mich im Hinblick auf meine Redezeit — im übrigen die Redezeit, die in der ersten Sitzung des Altestenrats vereinbart wurde und auf die wir uns eingerichtet haben - kurz fassen. Die verschiedenen Gleise, auf denen Bundeswirtschaftsministerium und Ernährungsministerium daherfahren, ja, beinahe die verschiedenen Züge, die sie benutzen, erfreuen uns wahrlich nicht, aber wir müssen einsehen, daß es im Augenblick von Korea unmöglich war, eine weitere Angleichung vorzunehmen. Es sind nach unserer Ansicht Möglichkeiten hierzu verpaßt worden. Sie lagen um die Jahreswende 1949/50 vor. Im übrigen sollte in diesem Ministerium nun der Ton endgültig mehr auf Landwirtschaftsministerium als auf Ernährungsministerium liegen. Diese Änderung des Namens würde sehr viel mehr als das bedeuten, und wir haben den Eindruck — ich sage das auch als Angehöriger der Regierungskoalition ganz offen —, daß die Bürokratie bis ganz oben hin diesen Weg nicht in dem Maße geht, wie es erforderlich wäre.Zum Landwirtschaftsministerium! Es sind noch große Möglichkeiten der Leistungssteigerung gegeben. Der vermehrte Zuckerrübenanbau, der sich, ich möchte fast sagen: im Handumdrehen, im Zusammenhang mit der Ermäßigung der Zuckersteuer und was sonst in dieser Beziehung geschehen ist, gelohnt hat, sollte in dieser Richtung ein Vorbild sein.Im großen, meine Damen und Herren, sind wir gegen die Subventionen. Diese Ansicht vertraten wir, vertraten meine Freunde seit eh und je. Die Landwirtschaft muß vielmehr, und dieses Ziel lassen wir nicht aus den Augen, als ein Erwerbsunternehmen in die Gesamtwirtschaft eingefügt werden, dann aber auch unter Beachtung des zuweilen nicht gern gehörten, andererseits mit Begeisterung vertretenen Satzes „Gleicher Lohn für alle", oder besser, um nicht in Schlagworten zu sprechen, „Beseitigung des Lohngefälles von der Stadt zum Dorf".Wir erkennen die Sorgen der Landwirtschaft aus der Liberalisierung absolut an. Es ist unmöglich, Obst und Gemüse verderben zu lassen, weil es nicht abzusetzen ist, und gleichzeitig teures ausländisches Obst und Gemüse einzuführen. Wir sehen den Obsteinfuhrstop, der vor wenigen Wochen verordnet worden ist, als eine Einsicht in diese Erkenntnis an. Den Inlandsprodukten gehört der Vorzug im Absatz, und dem muß unsere Handelsvertragspolitik Rechnung tragen, wenn wir nicht eine der wichtigsten Stützen unseres Staates gefährden wollen.Meine Damen und Herren! Ich kann diesen Rundgang nicht beenden und will das selbstverständlich auch unter gar keinen Umständen, ohne die großen Leistungen hier zu erwähnen, die auch dem flüchtigen Leser — und andere gibt es vorläufig nicht bei diesem Haushaltplan — ins Auge springen, nämlich die großen Leistungen auf sozialem Gebiet. Wir machen uns das wirklich nicht leicht. Wie kämen wir auch dazu! Wir sind alles andere als der Meinung, es sei ein Luxus, den man sich nicht leisten könne. Dieses Wort habe ich meinem Vorredner etwas übel genommen: es sei ein Luxus, den wir uns nicht leisten können, sozialen Erfordernissen Rechnung zu tragen. Das Bundesversorgungsgesetz, das mit einer sehr großen Mehrheit dieses Hauses hier kürzlich angenommen worden ist, ist ein Beweis dafür. Es ist ja nicht üblich und soll es auch nicht werden, solche Leistungen mit vielen schönen Reden zu preisen - ich meine jetzt bei den Organisationen usw. —; wir sind bescheiden; wir sind schon zufrieden, wenn man schweigt. Und wer schweigt, stimmt zu. Und die Organisationen, meine Damen und Herren— warum soll man solche Erfolge der Regierungskoalition hier nicht erwähnen —, haben damit zugestimmt. Wir freuen uns, daß wir, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten — die Deckungsvorlage kennen Sie —, diese Leistung haben vollbringen können. Wir wollen auf dem beschrittenen Wege fortfahren. Die Tradition Deutschlands auf dem Gebiet der Sozialversicherung verpflichtet uns unabdingbar dazu, und das versteht sich für uns von selbst.Es ist mir aufgefallen — sicherlich auch Ihnen —, daß der Herr Bundesarbeitsminister bei verschiedenen Gelegenheiten der letzten Zeit Veranlassung genommen hat, auf die Lage der Sozialversicherung hinzuweisen. Er hat damit nach unserer Ansicht völlig recht. Es fehlt das Deckungskapital; es ist angeblich — wir haben die Währungsreform nicht gemacht - gelegentlich der Währungsreform vergessen worden. Das Vermögen der Sozialversicherung, das in Berlin liegt, ist nicht frei. Die Bundesregierung würde sich ein Verdienst erwerben — ich weiß, daß sie sich darum bemüht —, wenn sie mit Nachdruck auf der Freigabe dieses Vermögens bestehen würde.Aber ich unterstütze den Appell des Bundesarbeitsministers, daß wir achtgeben müssen, die Sozialversicherten, die ja maßgeblich zu ihrer Rente mitbezahlt haben, nun nicht in einen unberechtigten Abstand zu anderen Renten- und Fürsorgeempfängern zu bringen. Die versicherungsmathematische Bilanz, die nach sehr vielen Monaten nun demnächst zu unserer Kenntnis kommt, wird uns die Augen öffnen. Wir werden nicht erfreut sein. Die Bilanz wird uns hoffentlich Fingerzeige geben, wie wir verfahren müssen.Ein kurzes Wort über die Bundesanstalt für Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Sie ist noch nicht da. Sie soll von den Sozialpartnern paritätisch errichtet werden. Darüber besteht Einverständnis auch mit dem Bund, weniger mit den Ländern. Es erscheint uns unbedingt erforderlich, daß von einer Selbstverwaltung, der neben dem Schicksal von Millionen arbeitender Menschen auch die Verwaltung von Mitteln anvertraut ist, die in ,die Hunderte von Millionen gehen, die Verantwortung getragen wird; aber die Vertreter dieser Selbstverwaltung dürfen dann nicht in einem destruktiven Gegnerverhältnis des Klassenkampfes zueinander stehen — ich komme noch darauf zurück —, erforderlich ist doch selbstverständlich das konstruktive Partnerverhältnis der Gemeinschaft.
Wir sind froh, daß wir nach nicht weniger als zweijährigen Beratungen fast bei der Wiederherstellung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung angekommen sind. Ich wundere mich, daß die Arbeitnehmer sich eine solche Verzögerung der Wiedergutmachung eines Naziunrechtes gefallen lassen. Würden die Verzögerungen von einer anderen Seite kommen, hätten Sie wahrscheinlich im Blätterwald, in Versammlungen und in Reden schon sehr viel darüber gehört. Wer das auf sich beziehen will, der muß es tun. Nun sind alle Auswege und alle Ausflüchte vergeblich gewesen. Wir haben die von uns vorgeschlagene Parität, die sich zum Segen für ,die Sozialversicherung auswirken wird; davon bin ich überzeugt, sonst hätte ich sie nicht so stark befürwortet.Ich möchte noch die notwendige Regelung des Schlichtungswesens streifen. Auch hier war weitgehende Übereinstimmung der Sozialpartner erzielt worden. Aber wenn man sich die Ausführungen auf dem Gewerkschaftskongreß in Düsseldorf durchliest - Herr Schumacher hat uns ausdrücklich bescheinigt, zweimal sogar, wie neutral die Gewerkschaften sind; ich meine keine einzelne Partei, weil ich den Worten des Herrn Schumacher glaube —, dann wird einem doch angst. Die Grundtendenz der Ausführungen des Herrn Agatz war es, daß man nunmehr mit Lohnkämpfen eine andere Wirtschaftspolitik, überhaupt eine andere Politik herbeiführen müsse. Wenn das die Grundlage, nach der die Gewerkschaften nun antreten wollen, ist und bleibt, dann kommen wir zwischen den Sozialpartnern über Dinge wie Schlichtungswesen, die die Tarifvertragsparteien in die Hand nehmen sollten und wollten, nicht zurecht. Ich spreche das mit vollem Ernst hier aus.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Im Haushaltsausschuß wird Gelegenheit sein, viele Einzelheiten, aber auch viele grundsätzliche Fragen zu erörtern. Ich habe mich darauf beschränkt, von akuten Dingen zu sprechen und vieles nur anzumerken oder anzudeuten. Ich habe aber deutlich erkennen lassen, unter welchen Voraussetzungen meine Freunde bereit sind, die weitere Arbeit in der Koalition mitzumachen, von der uns zu trennen wir keinen Anlaß haben, ebensowenig dazu, andere Kombinationen zu erwägen. Es ist unser heißer Wunsch, daß dieser Koalitionsarbeit nicht nur weitere Wirkungsmöglichkeiten, sondern auch Erfolge beschieden sein mögen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bertram.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen. Wenn wir vom Zentrum Bilanz ziehen, so wird man nicht von uns erwarten, daß wir nur die positiven Leistungen der Regierung hervorheben. Wir müssen Kritik üben. Kritik ist der wirksamste Regulator für jede menschliche Tätigkeit. Sie werden das alte Sprichwort kennen: Konkurrenz hebt's Geschäft. In diesem Sinne ist die Kritik für die Regierungsarbeit das Ventil, das unbedingt notwendig ist, wenn die Regierungsarbeit selbst erfolgreich sein soll. Diese Kritik entspringt nicht einer negativen Haltung zur Regierung und zur Regierungsarbeit als solcher, sondern sie ist die notwendige Ergänzung der Regierungsarbeit.
Diese Debatte zum Haushaltplan findet in einem Zeitpunkt äußerster politischer Unruhe statt. Für einen historischen Rückblick auf die Tätigkeit der Regierung, die jetzt über ein Jahr im Amt ist, haben wir nur wenig Neigung, weil uns die Sorgen der Zukunft zu viel zu schaffen machen. Daraus resultieren Aufgaben und Ausgaben, die sich in der gesamten Finanzpolitik des laufenden Jahres entscheidend bemerkbar machen müssen. Der Herr Finanzminister hat über diese Aufgaben kein Wort verloren. Die Aufgaben, die aber vor uns stehen, sind in ihrer Fülle kaum aufzuzählen; nur einzelne seien genannt: die äußere und innere Sicherheit unseres Staates, die Anpassung des Lebensstandards der Festbesoldeten und der Unterstützungsempfänger an die gestiegenen Lebenshaltungskosten, die Herstellung von menschenwürdigen Wohnungen in der Nähe eines geeigneten Arbeitsplatzes, die Verhinderung des andauernden Verfalls der Altwohnungen, die Einbeziehung der zahlreichen durch Krieg und Kriegsfolgen heimat-
und erwerbslos gewordenen Menschen in den Produktionsprozeß an einer Stelle, die ihren Fähigkeiten entspricht, die sonstigen Aufgaben des Lastenausgleichs, die Sorge für die Besatzungsverdrängten, für die Altsparer und zahlreiche andere mehr, deren Aufzählung im einzelnen hier zu weit führen würde. Diese Aufgaben werden noch im laufenden Haushaltsjahr verstärkte Anforderungen an die Haushalte von Gemeinde, Land und Bund stellen.
Wir müssen deshalb wissen, wie wir finanziell stehen. Das erste Gebot für einen sorgsamen Hausvater ist einen Plan für die laufenden Ausgaben und insbesondere für die Sicherung der Zukunft seiner Familie aufzustellen und danach zu verfahren. Eine ähnliche Aufgabe stellt sich der Finanzpolitik des Staates. Was wir hier in der Bundesrepublik vermissen, ist die Aufstellung eines entsprechenden Finanzplanes. Der vorliegende Haushaltsplan ist nur formal ausgeglichen. Er enthält erstens nicht die kleinste Reserve, aus der die kommenden Ausgaben gedeckt werden könnten. Zweitens ist der Haushaltsplan nur deshalb formal ausgeglichen, weil bereits Steuereinnahmen eingesetzt sind, für die die rechtlichen Grundlagen noch gar nicht geschaffen sind; die Steuern sind nämlich von uns noch nicht bewilligt. Ein Haushaltsplan, der lediglich das Ist von gestern aufzeichnet, aber das Soll von heute und morgen vergißt, verdient seinen eigentlichen Namen nicht.
Die verschiedenen Steueransätze, die der Bundesfinanzminister in den Haushaltsplan aufgenommen hat und die vom Bundestag noch nicht bewilligt sind, ergeben einen Betrag von 226 Millionen DM. Zum mindesten um diesen Betrag ist der Haushaltplan auch noch nicht ausgeglichen. Die Ausgaben für die innere Sicherheit dürften im laufenden Haushaltjahr nicht unter 300 Millionen liegen, so daß bereits jetzt mit Sicherheit ein Defizit von zwei Drittel Milliarden vorauszusehen ist. Die Ausgaben für die Subventionen des Bundesernährungsministeriums für die Landwirtschaft dürften gleichfalls bei der steigenden Weltmarkttendenz durch die Wirklichkeit übertroffen werden. Ob die Interessenquote der Länder in voller Höhe geleistet wird oder besser gesagt geleistet werden kann, ist mit Rücksicht darauf, daß bisher bereits erhebliche Rückstände entstanden sind, doch mehr als zweifelhaft. Die Rückstände für 1949/50 betragen 246 Millionen und für 1950/51 bisher rund 700 Millionen; insgesamt also fast 1 Milliarde an Rückständen, die die Länder dem Bund schulden.
Das Wohnungsbauministerium dürfte mit seinen Mitteln zur Förderung des Wohnungsbaus bei
weitem nicht auskommen, nachdem die Spartätigkeit so außerordentlich zurückgegangen ist. Um das Stilliegen von angefangenen Bauten in diesem Winter zu verhindern, werden erhebliche zusätzliche Anforderungen an die öffentlichen Finanzen kommen. Auch der Ausfall der ERP-Mittel für den Wohnungsbau und, sobald das Lastenausgleichsgesetz angenommen sein wird, der Soforthilfemittel muß als weiterer Ausfall für die Sicherung der Finanzierung des Wohnungsbaus berücksichtigt werden. Man wird also auch im Etat des Wohnungsbauministeriums mit erheblich höheren Fehlbeträgen zu rechnen haben.
Der Überschuß der Einzahlungen über die Auszahlungen im Sparverkehr ist von 150 Millionen im Frühsommer dieses Jahres auf 15 Millionen im Monat August, d. h. auf ein Zehntel geschrumpft. Dazu kommen die Anforderungen der Besatzungsmacht für die Verstärkung der Unterbringung ihrer Truppen in Deutschland, so daß das Gesamtdefizit noch für das laufende Haushaltjahr mindestens 2 Milliarden DM betragen dürfte, sicherlich nicht weniger, eher noch mehr. Wenn aber die Höhe
dieser Ausgaben vorauszusehen ist und im Haushaltplan nicht veranschlagt ist, dann ist der Haushaltplan innerlich nicht ausgeglichen.
Wie kann der Ausgleich herbeigeführt werden? Wir haben uns als Zentrumsfraktion besonders das Thema der Ersparnisse gewählt. Wir haben vor einigen Tagen hier eine Debatte über den Sparkommissar gehabt. Ich glaube, daß erhebliche Ersparnisse möglich sind. Daß der Bundesfinanzminister selbst Sparkommissar werden könnte, wie der Staatssekretär Hartmann es erwähnte, glaube ich, ist ausgeschlossen, nachdem die Kritik des Bundesrates an den einzelnen Haushaltsplänen vorliegt und dort die Beanstandungen sich gehäuft haben. Wie ein roter Faden zieht sich durch den Bericht des Bundesrates die Beanstandung der Erhöhung der Stellenzahl ohne zureichenden Grund, die Umwandlung von nach TOA bezahlten Angestelltenstellen in höher eingestufte Beamtenstellen sowie die Bildung einer übermäßigen Anzahl von Referaten, die sachlich nicht gerechtfertigt sind, und damit verbunden eine übermäßige Anzahl von Spitzenstellungen in den Ministerien. Das bewirkt, daß der Haushalt von 1950/51 auch in den Personalkosten erheblich höher liegt als sein Vorgänger.
In den wenigen Tagen, seit der Haushaltsplan uns Abgeordneten des Bundestages zur Verfügung gestellt worden ist, ließen sich Gesamtzusammenstellungen nicht anfertigen. Das gilt um so mehr, als Sammelnachweisungen mit Haushaltsquerschnitten sowie Vergleichszahlen des Vorjahres, ferner Stellen- und Organisationspläne, bisher nicht vorgelegt worden sind. Ihre Vorlage ist offenbar auch nicht beabsichtigt. Ich glaube aber nicht, daß in irgendeiner Kommunalverwaltung die Gemeindevertreter sich mit einem Haushaltsplan ohne derartige Erläuterungen zufrieden geben würden. Einen solchen Haushaltsplan würde man dem Stadtdirektor zurückgeben. Es ist wirklich nicht nett vom Ministerium, daß uns diese Drucksachen erst zwei Tage vor der Beratung vorgelegt werden, obwohl es ohne weiteres möglich gewesen wäre, die Drucksachen den Fraktionen wenigstens in dem gleichen Zeitpunkt zuzustellen, in dem sie .dem Bundesrat zugegangen sind. Aus dieser Handhabung — Fehlen der Sammelnachweise, Fehlen der Vergleichszahlen des Vorjahres und aus der verspäteten Vorlage — kann doch nur der Schluß gezogen werden, daß der Regierung eine frühzeitige Kritik an den Haushaltsvoranschlägen unbequem ist.
Wer aber eine Kontrolle erschwert — und das wird man ja wohl zugeben müssen —, setzt sich dem Verdacht aus, daß er eine Kontrolle fürchtet.
Die flüchtige Prüfung ergibt schon den Beweis für die mangelnde Sparsamkeit in verschiedenen Punkten. Das Gutachten des Rechnungshofes von Nordrhein-Westfalen ebenso wie die bisherigen Ergebnisse des Untersuchungsausschusses für die im Raume Bonn vergebenen Arbeiten zeigen eindeutig, daß man wesentlich sparsamer hätte arbeiten können. Wenn für die Wandbekleidung — und das ist nur ein Beispiel, das typisch ist — des Bundeskanzlerzimmers und des Sitzungszimmers Velour für 17 000 DM zum qm-Preis von 68 DM angeschafft worden ist, und — das ist entscheidend — wenn nachträglich diese Wandverkleidung wieder entfernt worden ist, so kann doch aus dieser Tatsache der Beweis für mangelnde Sparsamkeit und schlechtes Gewissen in einem erbracht werden. Der Globalabstrich von 200 Millionen DM, den der Herr Bundesfinanzminister hier gestern als Beweis für seinen Sparsamkeitswillen anführte, würde ja gar nicht möglich sein, wenn die Haushalte vorher sorgfältig durchgeprüft worden wären. Ein solcher Globalabstrich beweist immer, daß überflüssige Reserven in den Haushalten vorhanden gewesen sind, und die Tatsache, daß er sich hat durchführen lassen, beweist die mangelnde Sorgfalt bei der Aufstellung der Haushaltspläne.
Ich will nicht auf all die anderen in der Presse veröffentlichten Anzeichen für mangelnde Sparsamkeit hinweisen. Ein Beispiel möchte ich aber noch hervorheben. Wenn für inländische Erdölproduzenten 1949 pro Tonne Förderung 40 DM bei einer Förderung von 841 000 Tonnen jährlich und 30 bis 34 DM = mindestens 30 Millionen im Jahr 1950 bei einer Jahresförderung von einer Million Tonnen gezahlt werden und einer dieser Erdölproduzenten dann in der Lage ist, aus der Westentasche über 20 000 DM an einen Bundestagsabgeordneten zu zahlen, so scheint mir nicht nur das gesamte System der Erdölsubventionen überprüfungsbedürftig, sondern scheinen sicherlich auch erhebliche Ersparnisse, zum mindesten bei den Subventionen an diese Gesellschaft, möglich.
Die Sparsamkeit muß sich aber nicht nur auf den Bund, sondern auch auf Länder und Gemeinden erstrecken. Der Einwand, den ich erwarte, ist der, daß der Bund für die Länder und Gemeinden nicht zuständig ist. Dieser Einwand ist jedoch nicht stichhaltig, weil über den Finanzausgleich nach Art. 106 des Grundgesetzes eine wirksame Einflußnahme des Bundes auf sparsamste Haushaltsgestaltung bei den Ländern möglich ist. Der Minister hat gestern erklärt, die Länder seien eine Schicksalsgemeinschaft. Das ist mit einer Einschränkung richtig. Der Bund bildet die Schicksalsgemeinschaft der Länder. Das System der Regierung schaltet aber diese Schicksalsgemeinschaft, wie sie im Grundgesetz verankert ist, aus. Es schafft neben dem Bundesstaat noch einen Staatenbund der Länder, ein staatsrechtliches monstrum irregulare. Es fing an mit der Kultusministerkonferenz. Dieser Weg führte dann zum Gesetz über die Finanzverwaltung, dann über das System der Interessenquote, die im Grundgesetz keine Verankerung findet, jetzt zu der Polizeivereinbarung der Länder mit dem Bund. Die Kosten dieser Doppelorgani-
sation, auf der einen Seite des Staatenbundes, der verschiedenen Länder, und auf der anderen Seite des Bundes, zahlt das deutsche Volk. Die Zahl der Länderministerien kann natürlich nicht entscheidend verringert werden, wenn in dieser Weise die Länderaufgaben künstlich aufgebläht werden und die Länder gegen das Grundgesetz durch Staatsverträge ihre Beziehungen untereinander regeln müssen, statt die Organe, die das Grundgesetz geschaffen hat, dafür zu verwenden. Die Pflichten gegenüber dem Bund werden den Ländern von unserem Finanzminister nicht klargemacht, weil sein bayerisches Herz in seiner Brust offenbar stärker schlägt, als es die Pflicht gegenüber den Bestimmungen des Grundgesetzes erlauben würde.
Daß insbesondere der Personalbestand der Länder und Gemeinden weit überhöht ist, beweist die Statistik. Bund, Länder und Gemeinden beschäftigen gegenwärtig 1,2 Millionen Angestellte und Arbeiter — ohne Bahn und Post — gegenüber 800 000 vor dem Kriege. Der Personalstand je tausend Einwohner hat sich damit von 18,3 auf 24,6 erhöht. An Gehältern und Löhnen werden für diesen Personenkreis 4 1/2 Milliarden Mark aufgewendet. Die Aufblähung ist zum Teil — und nicht zum unwichtigsten Teil — auf das Parteibuchbeamtentum und auf eine unangebrachte Großzügigkeit vor der Währungsreform zurückzuführen. Zahlreiche Aufgaben sind jetzt weggefallen, so z. B. die Wirtschaftsämter. Das Personal ist aber geblieben.
Bei der Zollverwaltung sind nach den Angaben im Etat fast 28 500 Personen tätig. Wenn wir davon ausgehen, daß ein großer Anteil der Zollbeamten nur deshalb eingesetzt werden muß, weil die hohen fiskalischen Belastungen für Tabak, Kaffee und Tee den Schmuggel so lukrativ machen, so wäre es der einfachste Aufgabenabbau bei der Zollverwaltung, durch eine Änderung der Verbrauchsteuern den Schmuggel unlukrativ zu machen und dadurch auch den überflüssigen Behördenapparat einzuschränken. Es liegt in dieser Richtung ein einstimmiger Beschluß des Bundestags vor. Aber mit einem Eigensinn sondergleichen sträubt sich der Finanzminister dagegen, diesen Beschluß durchzuführen. Dabei ist der Beschluß des Bundestages auf Grund sorgfältiger Vorarbeiten gefaßt worden, nachdem sich herausgestellt hatte, daß bei einer entsprechenden Senkung der Verbrauchsteuern gleichwohl das Gesamtaufkommen aus diesen Steuern sich nicht ermäßigt haben würde. Trotzdem zieht man den Weg vor, mit einem zu großen und deshalb überflüssigen Beamtenapparat die hohen Verbrauchsteuern durchzuziehen.
Der Beamtenkörper ist zum Teil auch mit un-, geeigneten Kräften aufgefüllt worden, die infolge ihrer Unkenntnis Fehler machen und eine verständliche Verärgerung zahlreicher Bevölkerungskreise und abfällige Urteile über die gesamte Beamtenschaft verursachen.
Die Personalpolitik der Regierung in ihrer Einseitigkeit Ist von uns wiederholt gerügt worden, insbesondere die Personalpolitik hinsichtlich des Auswärtigen Amtes. Über diesen Punkt wird bei den Beratungen über die Dienststelle für auswärtige Angelegenheiten noch eingehend zu reden sein. Unsere Fraktion behält sich vor, gerade zu diesem Punkt noch recht aufschlußreiches und interessantes Material vorzulegen.
Die mangelnde Sparsamkeit zeigt sich insbesondere aber auch bei der großen politischen Linie. So hat der Bundeskanzler ohne Genehmigung durch den Bundestag eine Sicherheitsdienststelle geschaffen und deren Bezüge ohne Etatisierung angewiesen. Sie zeigt sich in der höchst überflüssigen Einrichtung von unklassischen Ministerien. Über diese Frage ist oft genug debattiert worden. Daß aber die Minister, die selbst noch Abgeordnete sind, die doppelte Aufwandsentschädigung erhalten, ist ebenfalls ein Beweis dafür, daß die mangelnde Sparsamkeit in der ganzen Linie der Regierung liegt. Daß diese nicht klassischen Ministerien, deren Notwendigkeit auch von Kreisen, die der Regierung nahestehen, bezweifelt wird, trotzdem im neuen Haushaltsplan wieder erheblich höhere Ausgaben verzeichnen als im alten Haushaltsplan, ist uns unverständlich.
Das Marshallplan-Ministerium hat allein bei seinen Beamten eine Zunahme von 75 % zu verzeichnen. Die Stellungnahme der Regierung zu den kritischen Anmerkungen des Bundesrats kann doch nur den Eindruck vermitteln, daß das Marshallplan-Ministerium inzwischen zu einem zweiten Wirtschaftsministerium geworden ist. Es ist ein Vervielfältigungsministerium. Die gleichen Arbeiten, die auch im Wirtschaftsministerium geleistet werden, werden im Marshallplan-Ministerium noch einmal erledigt. Nur eine scharfe Aufgabenaufteilung nach Sachgebieten kann aber die Ableistung der gleichen Arbeiten an zwei Stellen verhindern. Ich will nicht sagen, daß die Beamten im ERP- Ministerium nicht arbeiten; sie beschäftigen sich aber mit der gleichen Arbeit, für die auch im Wirtschaftsministerium Referate und Beamte da sind.
Mit besonderem Nachdruck stellen wir fest, daß diese unklassischen Ministerien eine weitere Steigerung ihrer Ausgaben zu verzeichnen haben und insgesamt im wesentlichen doch nur aus Koalitionsrücksichten aufrechterhalten werden. Das deutsche Volk muß den Betrag aufbringen, der wegen dieser Rücksichten verlangt wird. Wir betonen dabei ausdrücklich, daß wir vor allem die zentrale politische Bedeutung der Grenzlandfrage dem Bundeskanzler schon wiederholt ans Herz gelegt haben und beklagen tief die mangelnde Wirkung der Behandlung der Grenzlandfragen durch die Bundesregierung.
Der Etat des Bundestages beträgt 16 1/2 Millionen Mark. Damit beträgt sein Etat l 1/2 pro mille der Gesamtausgaben. Dem Bundestag sind die wesentlichen Aufgaben der Gesetzgebung vorbehalten. Er ist aber auch — und das ist, glaube ich, etwas, was in der Öffentlichkeit weitgehend übersehen wird — das Kontrollorgan des Volkes gegenüber der Bürokratie. Ein Vergleich mit dem alten Reichstag muß immer dann hinken, wenn nicht gleichzeitig das Anwachsen des gesamten bürokratischen Apparates verglichen wird. Wenn der bürokratische Apparat sich vervielfacht hat, dann werden die Kosten des Kontrollorgans sich natürlich auch erhöhen müssen. Wegen der etatsmäßigen Beschränkung des Bundestages ist er nur sehr schwer in der Lage, die arbeitsmäßigen Voraussetzungen für seine Abgeordneten zu schaffen. So haben in unserer Fraktion 10 Abgeordnete nur e i n Arbeitszimmer. Die Zahl der Assistenten ist viel zu gering, um die laufenden Hilfsarbeiten für eine wirksame Ausübung der Kontrollfunktion und eine Vorbereitung der Gesetzgebung zu leisten.
Der Bundestag müßte sich selbst das Amt eines Sparkommissars organisatorisch eingliedern. Der Sparkommissar kann sich der sehr umfangreichen Einrichtung des Bundesrechnungshofs — mit einem Etat von über 4 Millionen DM und einem Personalbestand von 322 Bediensteten — bedienen. Der Bundesrechnungshof hat jetzt Aufgaben übernom-
men, die früher dem Reichssparkommissar oblagen. Der Bundestag hat jetzt nicht das Recht, den Bundesrechnungshof für seine Aufgaben einzusetzen. Die Mittel des Bundestags zur Regierungskontrolle sind Etatsresolutionen, schriftliche Auskunftserteilungen, Herbeirufung des Ministers, Untersuchungs- und Überwachungsausschüsse und das konstruktive Mißtrauensvotum. Uns fehlt aber die Möglichkeit einer laufenden Überwachung der Verwaltung im Hinblick auf Sparsamkeit. Diese laufende Überwachung könnten wir nur haben, wenn der Bundesrechnungshof nicht allein als Organ der Exekutive tätig wäre, sondern wenn er über den Sparkommissar gleichzeitig das Organ der Legislative wäre und damit die Hauptaufgabe unseres Bundestags, nämlich die Kontrollfunktion der Volksvertretung gegenüber der Exekutive, wirksam zu unterstützen in der Lage wäre. Das ist der Sinn und der Grundgedanke unseres Antrags auf Einsetzung eines Sparkommissars im Rahmen der Organisation des Bundestags, der sich dann des Bundesrechnungshofs zu bedienen hätte, um mit einem Schlage ohne zusätzliche Mehrausgaben unser Haus erst voll funktionsfähig zu machen.
Bei allem Sparsamkeitswillen wird sich durch Sparsamkeit allein niemals ein Haushaltsausgleich erzielen lassen. Dafür sind die Aufgaben zu groß. Der Finanzminister hat sich deshalb Mühe gegeben, Steuervorschläge zu machen. Wir haben ein ganzes stattliches Bukett solcher Vorschläge erhalten. In diesem Bukett aus Brennesseln finde ich keine einzige Rose. Erhöhung des Notopfers Berlin — —
— Ich komme gleich darauf zu sprechen. Es wäre nämlich möglich gewesen, zusammen mit diesen Steuervorschlägen gleichzeitig verschiedene Erleichterungen durchzuführen, getrennte Veranlagung von Ehemann und Ehefrau, die Erhöhung der Steuerfreiheit für Weihnachtsgratifikationen von 100 auf 300 DM, die Erhöhung der Freibeträge von 750 auf 1000 DM. Die dringendsten sozialen Forderungen, die allenthalben als berechtigt anerkannt sind, wären bei einer vernünftigen Steuervorlage mit zu berücksichtigen gewesen, ebenso wie die Herabsetzung der Verbrauchsteuern auf Tabak und Kaffee. Dann würden wir tatsächlich eine Steuervorlage haben, die nicht nur Brennesseln oder Disteln enthalten, sondern in der auch einige freundliche Rosen blühen würden. Die jetzige Vorlage dagegen kann von uns nur abgelehnt werden.
Das Aufkommen an Einkommensteuer und Körperschaftsteuer zeigt eine ganz merkwürdige Entwicklung. Soweit ich weiß, ist diese Entwicklung gestern in dem Bericht des Bundesfinanzministers wesentlich zu kurz gekommen. Die Körperschaftsteuer hat im ersten Quartal 1950 325 Millionen DM erbracht, im zweiten Quartal 293 Millionen DM und im dritten Quartal 262 Millionen DM, die veranlagte Einkommensteuer — nicht die Lohnsteuer — im ersten Quartal 1950 560 Millionen DM, im zweiten Quartal 533 Millionen DM und im dritten Quartal 307 Millionen DM.
Besonders interessant ist die Entwicklung der Körperschaftsteuer, da dieser Steuertarif durch die kleine Steuerreform ja nicht geändert worden ist. Bei einer Steigerung des Sozialprodukts im lauf enden Jahr und einem dementsprechend gesteigerten Gewinn der körperschaftsteuerpflichtigen Gesellschaften ist trotzdem eine Minderung der Körperschaftsteuerzahlungen von 325 Millionen DM über 293 Millionen DM auf 262 Millionen DM eingetreten, eine völlig unerklärliche Entwicklung. Die Ursache liegt nach Meinung des Finanzministers darin, daß die vierteljährliche Vorauszahlung weggefallen ist und daß die Länder von der Bestimmung der Steuergesetzgebung, die Erhöhung der Vorauszahlungen auf Grund der höheren Umsätze zu verlangen, keinen Gebrauch gemacht haben. Dieser Grund kann von uns nicht anerkannt werden; er ist offensichtlich nicht zutreffend. Die wahren Gründe liegen woanders, sie liegen in ganz überhöhten Abschreibungsmöglichkeiten der körperschaftsteuerpflichtigen Gesellschaften und der veranlagten Einkommensteuerpflichtigen. Die Gründe dafür sind das D-Mark-Bilanzgesetz, das die Bilanzkontinuität unterbrochen und damit den Gesellschaften die Möglichkeit gegeben hat, in wildem Maße abzuschreiben, zweitens die Sonderabschreibungen für Ersatzbeschaffung usw., §§ 7 a ff. des Einkommensteuergesetzes. Diese beiden Vergünstigungen begünstigen die leistungsfähigen und vermögenden Gesellschaften stärker als die anderen, die wenig oder nichts verdienen. Hier liegt keine Progression, sondern eine Degression vor, die im Steuerrecht kein Beispiel hat. Die Steuergesetze machen hier die Reichen noch reicher und verhindern den Aufstieg derjenigen, die kein Kapital hatten und die deshalb von diesen Vergünstigungsvorschriften keinen Gebrauch machen können. Das nennen wir wohlüberlegte Restauration. Ohne Abänderung der Besteuerungsvorschriften für Körperschaften wird sich dieser Zustand nur ganz allmählich ändern.
Mit Korea hat das Absinken der Steuern wahrlich nicht das geringste zu tun, wie ja die Entwicklung beweist, die bereits im zweiten Quartal eingetreten ist und sich im dritten Quartal nur verstärkt hat. Die übertriebene Selbstfinanzierung bewirkt eine wahnsinnige Erschwerung, Engpässe der Wirtschaft an anderer Stelle über einen funktionierenden Kapitalmarkt zu beseitigen. Diese übertriebene Selbstfinanzierung erweitert diejenigen Teile der Wirtschaft, die es volkswirtschaftlich nicht nötig haben, und macht den Ausbau der Wirtschaft da, wo es volkswirtschaftlich nötig ist, unmöglich.
Der Tiefstand des Aufkommens an Einkommensteuer und Körperschaftsteuer ist in der deutschen Finanzgeschichte einmalig. Im Jahre 1913 bereits betrug der Anteil der vergleichbaren Steuern am Gesamtsteueraufkommen 34 %. Er lag im Jahre 1949 bei 40 % und ist heute auf 27 % abgesunken. Die Entwicklung der letzten Monate beweist eine Steuerpolitik zu Lasten des Verbrauchers und eine überaus große Schonung der Körperschaften, aber auch der Einkommensbezieher, die zur Einkommensteuer veranlagt werden. Hier liegt die Hauptursache der Schwierigkeit für die Herbeiführung des Haushaltsausgleichs. Wir haben rechtzeitig vor dem Mißbrauch gewarnt und sind vom Finanzminister nicht gehört worden. Die Folgen für das Gewerbesteueraufkommen in den Gemeinden sind gar nicht abzusehen. Zahlreiche Gemeinden stoßen bereits Schreckensrufe aus und melden unerhörte Rückgänge.
Ein Drittel der gesamten Steuereinnahmen beruht heute auf der Genußmittelbesteuerung. Wir finden das bedenklich, da ein möglichst hoher Genußmittelverbrauch doch nicht im moralischen Sinn eines guten Staates liegen sollte. Heute ist es dagegen so, daß sich der Staat wünschen müßte, daß Genußmittel, vom Schnaps angefangen, in möglichst großem Umfang konsumiert werden.
Die Notwendigkeit einer Sanierung der Soforthilfe bestimmte das Ausmaß der Tarifsenkung in der kleinen Steuerreform, sagte uns gestern der Herr Bundesfinanzminister. Das kann nicht der Fall sein, denn die nicht ertragreichen Gewerbezweige und der Hausbesitz konnten von dieser Tarifsenkung keinen Gebrauch machen. Landwirtschaft und Hausbesitz zahlen Soforthilfe weitgehend aus der Substanz. Aber bei den Großeinkommen in der gewerblichen Wirtschaft wurde eine Begünstigung herbeigeführt, indem die Soforthilfeschulden dadurch bezahlt werden konnten, daß ,der Staat sie ,durch die Ermäßigung der Einkommensteuertarife in den hohen Klassen auf seine Schultern nahm. Eine solche Politik: Soforthilfezahlungen aus den Kassen .des Staates können wir nicht mitmachen und nicht billigen. Wir müssen die Regierung auffordern, hier umzukehren. Hier stellt sich die Gretchenfrage der gesamten Wirtschafts-, Finanz- und Kreditpolitik. Ich kann nicht mehr auf die kreditpolitischen und wirtschaftspolitischen Dinge eingehen, weil meine Redezeit abgelaufen ist. Aber diese Gretchenfrage muß sich die Regierung jetzt, an der entscheidenden Stelle, nach einem Jahre Amtstätigkeit, vorlegen: Soll es mit der ständigen Belastung der Verbraucher so weitergehen oder soll eine gerechte Steuerbelastung der Körperschaften und der veranlagten Einkommensbezieher eintreten und damit die Erfüllung ,der kommenden großen Ausgaben auf einer Basis der Belastung nach ,der Leistungsfähigkeit möglich gemacht werden? Nur wenn dieser Weg beschritten wird, verdient die Politik der Regierung das Wort „sozial"; andernfalls verdient sie dieses Beiwort nicht.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Krone.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Schoettle — ich sehe ihn leider nicht im Saal — hat sehr kluge und sehr sachliche Ausführungen vorgetragen. Ich glaube, man kann seine Rede ein Musterstück einer Oppositionsrede nennen:
sehr sachlich, sehr klar, aber auch die Verantwortung der Opposition für die Staatspolitik herausarbeitend. Er hat sich nicht zu Schlagworten verleiten lassen und er hat der Politik der Regierung nicht das Prädikat erteilt, das der letzte Redner der Opposition meinte aussprechen zu müssen, der diese Politik einfach eine schlechthin sozial reaktionäre genannt hat.
Zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Bausch meinte Herr Schoettle, er sei da anderer Ansicht. Nun, im Grunde hat mein Fraktionskollege doch wohl von der sittlichen Verpflichtung gerade des Politikers gesprochen, und ich bin überzeugt davon, daß auch der Kollege Schoettle in diesem Punkt derselben Ansicht ist; denn gerade für unser staatspolitisches Leben könnte man diese Aufforderung auch an manche derjenigen richten, die als Vertreter des Volkes vor uns stehen.
Der Grundzug der Oppositionsrede war wohl der, daß diese Regierung mit dem Prädikat des Mangels an Vorschau und Mangels an Planung charakterisiert werden müsse und deshalb auch des Mangels an Erfolgen. Ich glaube nicht, daß man ein solches Prädikat diesem Jahr Regierungspolitik zuerteilen kann. Ich will gar nicht im einzelnen davon sprechen, was geschehen ist; aber einige Punkte, die mir wichtig zu sein scheinen, gerade auch von der sozialen Seite her, seien hier ganz kurz erwähnt. Ist nicht die Zahl der Arbeitslosen gesunken und die Zahl der Beschäftigten gestiegen? Und das nicht auf dem Wege, der inflatorischen Charakter hat! Sind nicht diese Arbeitslosen von einer Wirtschaft aufgesogen worden, die von Monat zu Monat an Produktivität zugenommen hat, so daß also ein echtes, auch vom finanzpolitischen Standpunkt aus vertretbares Verschwinden der Arbeitslosen vorliegt? Ist nicht der Wohnungsbau über das geplante Soll hinaus gefördert worden? Auch wir haben hier unsere Vorschläge zu machen. Uns gefällt nicht, daß man zum Teil Wohnungen gebaut hat, wo schon der zweite Säugling zu viel ist.
Wir möchten gerade für das kommende Jahr die Aufforderung aussprechen, daß die Wohnung wirklich zu einem Heim für die Familie wird,
daß die Familie weit enger als bisher, wo es nur geht, mit dem Boden verbunden werden möge.
Wir stellen die Forderung auf, daß trotz der zu erwartenden finanziellen Belastungen der soziale Kurs der Regierungspolitik nie und nimmer verlassen werde
und daß die Wohnungsbaupolitik hier mit an erster Stelle zu rangieren hat.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch von dem sprechen, was dieser Bund und diese Regierung für Berlin getan haben. Ich habe hier vor allen Dingen etwas Grundsätzliches zu erwähnen: die Verabschiedung des Kriegsopfergesetzes, in dem nicht nur die Opfer Berlins miteingeschlossen sind, sondern in dem zum ersten Mal das Wort ausgesprochen worden ist, daß dieses Gesetz — beschlossen hier von diesem Bundestag — auch für Berlin gilt, eine Formulierung, gegen die man sich auch in Regierungskreisen aus juristischen Gründen lange gesträubt hat. Politisch gesehen wird also hier Berlin vom Bunde mit erfaßt.
Wir haben die Hoffnung und sprechen die Erwartung aus, daß auch die kommenden großen. sozialen Gesetze hier so beschlossen werden, daß sie auch die sozial Schwachen in Berlin mit umfassen. Ich denke hier an das Gesetz zum Art. 131 und daran, daß diese heimatvertriebenen Beamten, an die man hier denkt, auch in Berlin mit erfaßt werden und auch jene, die jetzt flüchtend aus der Ostzone nach Berlin kommen. Man kann sie hier bedenken, und man muß sie hier bedenken. Man darf sie dann aber auch .in Berlin nicht ausschließen.
Auch zur Außenpolitik ein Wort. Kann man dieses Jahr deutscher Außenpolitik wirklich als leer an Erfolgen hinstellen? Wir sind nicht der Meinung, daß alles erreicht worden ist, aber auch nicht der Meinung, die Herr Kollege Schoettle aussprach, daß doch vieles davon Fassade sei. Wir haben doch einen weit festeren Boden auch in der Stellung zur Umwelt bekommen, wenn auch dank der Verhältnisse im Osten, aber doch auch durch die Politik dieser Regierung.
Hier ist gemeint worden, daß wir unsere deutsche Position nicht klug genug ausgewertet hätten, — man kann diese Methode des Abwartens und Zuschauens auch überspannen und erreicht dann nicht das, was man erreichen will.
Hier das Maß der Mitte zu finden, scheint mir das Richtige zu sein.
Herr Kollege Schoettle sprach einen andern Satz aus, und ich mache ihn mir zu eigen. Er meinte, Regierung und Opposition müßten bereit sein, jederzeit ihre Auffassungen zu korrigieren. Ich unterschreibe diesen Satz und kann mir nicht denken, daß auch nur einer unserer Minister ein Doktrinär wäre,
sondern daß er, wenn sich die Dinge ändern, selbstverständlich den Mut dazu hat, manches von dem zu revidieren, was revidiert werden muß.
— Ich habe es allgemein gesagt, Herr Kollege Mellies. Ich brauche hier nur an das Einkommensteuergesetz zu erinnern, das nach meiner und unserer Auffassung in seinen Tarifen beibehalten werden soll, in dem aber doch manches geändert werden kann, was zu Anfang dieses Jahres eben der Selbstfinanzierung der Wirtschaft dienen sollte,
ein Weg, der heute doch in manchen Punkten abgestoppt werden kann.
Ich möchte ein drittes Wort aus der Rede des Herrn Kollegen Schoettle aufgreifen. Er sprach von einer planmäßigen Restauration. Das scheint mir allerdings ein sehr scharfes Wort zu sein. Hier müßte doch für das, was er gesagt hat, noch der Beweis angetreten werden.
Wenn er der Auffassung Ausdruck gab, daß dieser neue Staat nicht von Leuten von vorgestern aufgebaut werden sollte, so können wir ihm in dieser Hinsicht nur zustimmen.
Wir sind der Meinung, daß die Demokratie, dieser neue Staat, nicht von Auch-Demokraten und auch nicht von Jetzt-Wieder-Demokraten aufgebaut werden kann,
sondern von Männern und Frauen, die wirklich mit ganzem Herzen dieser Regierungsform zugetan sind.
Ich glaube, daß diese Regierung, daß insbesondere der Herr Bundeskanzler gerade in den letzten 14 Tagen in einem besonderen Fall dargetan hat, daß er dafür Sorge tragen will, daß die Politik in diesem Staate von der vom Parlament getragenen Regierung gemacht werden müsse und daß kein Berater, wenn er genommen worden ist, das Recht hat, seine beratenden Kompetenzen zu überschreiten.
Von Interessenten in der Wirtschaft ist gesprochen worden. Auch dazu ein offenes Wort! Meine Damen und Herren, ich bin mir darüber im klaren, daß die Wirtschaft heute eine Chance des Gewinnes hat, daß sie aber auch noch eine andere Chance hat, nämlich die, zu beweisen, daß verantwortliche Unternehmerwirtschaft die beste Wirtschaftsform ist. Wenn sie diese Chance verspielt, dann könnte ihr vielleicht das Grab gegraben sein. Es kommt alles darauf an, daß unsere Wirtschaft diese Chance, die ihr gegeben worden ist, erkennt. Versagt sie hier, würde sie eines guten Tages doch die Konsequenzen daraus ziehen müssen. Gerade auch wir, die wir hinter der Politik der Regierung stehen, weisen auf diese Verantwortung unserer Wirtschaft mit aller Deutlichkeit gerade heute hin. Wir halten daran fest, daß die soziale Politik dieser Regierung fortgeführt werden muß, daß dazu aber eine früchtetragende Wirtschaftspolitik gehört, daß beides zusammengehört und nicht voneinander getrennt werden kann. Zur Wirtschaft gehört aber auch — das wollen meine Freunde hier gewahrt sehen — die Landwirtschaft, unser Bauernstand, mag er Getreide produzieren oder andere Erzeugnisse oder auch hier im Weinbau tätig sein. Auch diesen Stand in unsere Gesamtwirtschaft einzubauen, gerade heute, in einer Zeit, in der die Ernährungsbasis unseres Volkes so beschränkt ist, ist für uns und für meine Freunde eine wichtige Aufgabe konstruktiver deutscher Wirtschaftspolitik. — Ich muß zum Schluß kommen, weil meine Redezeit abgelaufen ist.
Als vor ein paar Wochen die Zone drüben zur Wahl aufgerufen worden ist — die ja keine Wahl war —, sind die 18 Millionen Menschen drüben — sie konnten nicht anders — schweigend und verbissen in das Wahllokal gegangen und haben dort offen ihren Zettel abgegeben. In denselben Tagen, etwas später, läutete zum ersten Mal die Freiheitsglocke in Berlin, und vor dem Rathaus in Schöneberg waren mehr als 400 000 Menschen versammelt, unter ihnen Tausende und aber Tausende aus der Ostzone. Beim Klang der Glocke haben diese 500 000 Menschen den Hut gezogen, weil das, was diese Glocke ihnen sagen sollte und sagen will, für sie ein großes nationales Anliegen ist, nämlich frei zu sein und als freie Deutsche in Berlin zu leben. Die Haltung dieser Stadt, meine Damen und Herren, ist um so bewundernswerter, als in ihr 300 000 Menschen erwerbslos sind. Ich glaube, diese Haltung sollte Vorbild für die Lösung all der Fragen sein, die wir vom Deutschen Bundestag in diesem Staat zu lösen haben. Wir sollten uns durch keine Schwierigkeit in der Erkenntnis beirren lassen, daß die Einheit und Freiheit unseres Volkes doch das letzte und höchste Ziel ist, dem wir hier und unser Volk drüben zu dienen haben. Ich möchte mit dem Wunsch schließen, daß die gesamte Politik dieser Regierung von diesem gesamtdeutschen Verantwortungsbewußtsein wie bisher getragen sein möge.
Das Wort hat der Abgeordnete Blank. — Meine Damen und Herren, die Fraktion des Redners hat an sich nur noch 3 Minuten Redezeit. Ich schlage Ihnen 10 Minuten vor.
— Die FDP hat nur 3 Minuten.
— Sie haben 15 Minuten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Darstellung, die der Herr Bundesfinanzminister uns gestern über die Finanzlage des Bundes gegeben hat, hat uns gezeigt, daß er trotz der steigenden Tendenz der dem Bunde in erster Linie obliegenden sozialen Aufwendungen und Leistungen die Hoffnung hat, daß der Bundeshaushalt am Ende des laufenden Jahres ausgeglichen sein wird. Wir haben vom Herrn Bundesfinanzminister erfahren, was alles geschehen ist, um den außerordentlich kritischen und technisch schwierigen Termin des 1. April dieses Jahres beim Über-
gang vieler Funktionen und Einnahmen auf den Bund glatt und geräuschlos zu überwinden, und wie sich nun allmählich zwischen Bund und Ländern auf diesem Gebiet eine Zusammenarbeit entwickelt, die ihn und uns erhoffen läßt, daß die Anwendung des ominösen Art. 106 Abs. 3 des Grundgesetzes auch in Zukunft nicht notwendig sein wird.
Der Herr Bundesfinanzminister hat uns dargelegt, wie er bestrebt ist, zwischen Inflation und Deflation hindurchzukommen, weil sich beide Extreme letzten Endes gegen die deutsche Bevölkerung auswirken würden. Die Grundsätze, die er uns in allgemeiner Beziehung dargelegt hat, finden durchaus die Billigung meiner Freunde. Immerhin darf man anmerken, daß seit dem September vorigen Jahres, seit der Bund besteht, eine nicht unbeträchtliche Ausweitung und Aufblähung, wenn Sie wollen, Inflation unseres Geldumlauf es stattgefunden hat. Sie ist aber erfreulicherweise wesentlich durch die Ausdehnung der Warenerzeugung übertroffen worden, so daß in dieser Beziehung wohl für den Augenblick keine Besorgnisse gehegt zu werden brauchen.
Immerhin ist es nach unserer Meinung durchaus am Platze, zu prüfen, ob der Bundeshaushalt, so wie er vorliegt, tatsächlich als ausgeglichen angesehen werden kann. Es fällt uns schwer, diese Frage mit einem vorbehaltlosen Ja zu beantworten. Vielleicht hat das nicht einmal der Herr Bundesfinanzminister selbst getan. Ich gehe zwar nicht entfernt so weit, wie es der Vertreter der Zentrumsfraktion, Herr Dr. Bertram, glaubte tun zu müssen, der die Gefahr ungeheuerlicher schwarzer Milliardenfehlbeträge noch für dieses Haushaltsjahr an die Wand gemalt hat. Aber ich glaube schon, daß es einige Punkte gibt, die uns berechtigen, die I Dinge wenigstens einmal zu prüfen.
Der formale Ausgleich in Einnahmen und Ausgaben wird durch die Einsetzung eines Betrages von 300 Millionen herbeigeführt, die dem außerordentlichen Haushalt entnommen werden sollen. Es kommt also so, daß der Bund Schulden macht und das Ergebnis, den Erlös aus diesen Verpflichtungen, im Laufe des Haushaltsjahres mit verbraucht. Da nun dieser Summe von 300 Millionen auf der anderen Seite, ohne daß ein ursächlicher Zusammenhang besteht, 300 Millionen Lebensmittelsubventionen gegenüberstehen, so könnte man sagen, daß diese doch immerhin wesentliche Summe im Laufe des Haushaltsjahres verbraucht und verzehrt wird und daß dem Bund nachher nur noch übrig bleibt, die Schulden zurückzuzahlen. Es hat nach unserem Gefühl gewisse Bedenken, wenn sie auch vielleicht aus der Not der Situation zurückgestellt werden mußten, daß für diese Kredittransaktion 300 Millionen DM Gegenwertmittel stillgelegt werden müssen. Man tut das, um irgendwelchen inflationären Wirkungen vorzubeugen. Das ist vielleicht auch am Platze. Auf der anderen Seite ist natürlich festzustellen, daß diese Gegenwertmittel unserer in gewissen Bereichen doch auch heute noch stark kapitalbedürftigen Wirtschaft während der Laufzeit des Kredits fehlen werden.
Ich glaube, in diesem Zusammenhang zu den Subventionen ein Wort sagen zu sollen. Es entsteht so leicht der Eindruck, daß diese Subventionen, da sie ja für Lebensmittel gezahlt werden, unserer Landwirtschaft zufließen. Ich möchte auch an dieser Stelle noch einmal betonen, daß mit Ausnahme der Summen, die der Verbilligung des Handelsdüngers dienen, diese Summen nicht etwa der deutschen Landwirtschaft zufließen, sondern im Gegenteil dazu verwendet werden müssen, diejenigen ausländischen Lebensmittel, die wir in unserer Lage einzuführen gezwungen sind, für den deutschen Konsumenten erschwinglich zu machen.
Ein anderer Punkt, auf den heute schon Bezug genommen ist, ist die Frage der Ablieferung von 174 Millionen DM, die der Bundesbahn obliegt. Wir wissen alle von der schwierigen Situation und der Unfähigkeit der Bundesbahn, diesen Betrag zu entrichten. Wir achten auf der anderen Seite die gestern vom Herrn Finanzminister erwähnte gesetzliche Verplichtung, solche Einnahmen - ich möchte lieber sagen, solche Forderungen —, die ihm gesetzlich zustehen, auch tatsächlich unter den Einnahmen seines Haushaltes auszubringen. Ich glaube aber, man müßte sich überlegen, ob es nicht richtig wäre, auch im Haushaltsplan für solche dubiosen oder, man möchte beinahe sagen: uneinbringlichen Forderungen irgendwo eine Rückstellung oder einen Gegenposten zu schaffen, damit nicht praktisch ein falsches Bild entsteht. Diese Zahlungsunfähigkeit der Bundesbahn dauert ja schon länger an. Ich verdanke es der „Übersicht über den Stand der Schuld der Bundesrepublik Deutschland" mit dem Datum vom 30. September dieses Jahres, wenn ich feststellen kann, daß der Herr Bundesfinanzminister gezwungen war, von den insgesamt rund 1,4 Milliarden schwebender Schulden, die er zu diesem Zeitpunkt hatte, immerhin 232,5 Millionen für die „Deckung der Minderablieferung der deutschen Bundesbahn" zu verwenden.
Schließlich — und das ist der dritte Punkt, den ich im Vordergrund sehe — sind im Augenblick auch noch rund 200 Millionen ungedeckt, die sich aus erhöhten Aufwendungen für Berlin und aus der Mehrbelastung des Bundes durch das Bundesversorgungsgesetz in der Form ergeben, wie es von diesem Hohen Hause mit großer Mehrheit verabschiedet worden ist. Ich möchte an dieser Stelle einschalten, daß meine Freunde und ich es auf das lebhafteste begrüßen, daß nun seitens des Bundes der Stadt Berlin umfassender geholfen wird als bisher. Wir haben das Verwaltungsabkommen zwischen der Bundesregierung einerseits und dem Magistrat Berlin andererseits auf das lebhafteste begrüßt und hoffen nun, daß sich in diesen Beziehungen, die früher durch die ewigen Geldsorgen und Unsicherheiten von Monat zu Monat belastet waren, allmählich eine Beruhigung ergibt, die die schwergeprüfte Reichshauptstadt so dringend nötig hat.
Der Herr Bundesfinanzminister hat, wie Sie wissen, zur Deckung der noch fehlenden 200 Millionen neue Steuergesetzentwürfe eingebracht, die in manchen Kreisen erbittertem Widerstand begegnet sind. Das parlamentarische Schicksal dieser Gesetzentwürfe steht noch nicht fest, und wir müssen abwarten, wie das ausgehen wird. Fest steht nur, daß im Augenblick auch für diese Summe kein fester Ausgleich im Haushalt vorhanden ist.
Der Herr Bundesfinanzminister hat gestern die Erwartung ausgesprochen, daß schließlich das Aufkommen an Steuern im Laufe des Haushaltsjahres die Vorschätzungen, die in Erwartung der Wirtschaftsentwicklung höher angesetzt waren, auch tatsächlich erreichen wird. Nachdem in den ersten Monaten in dieser Beziehung erhebliche Rückstände zu verzeichnen sind, möchte ich mir erlauben, darauf aufmerksam zu machen, daß wir wohl den Höhepunkt der wirtschaftlichen Aktivität im Laufe dieses Haushaltjahres im Augenblick tatsächlich überschritten haben und daß wir in den
kommenden Wintermonaten, in denen die wirtschaftliche Betätigung ohnehin zurückgeht, wohl nicht allzu viel aufholen werden, um so mehr, als ja, wie der Herr Bundesfinanzminister selbst betont hat, die dem Bund zustehenden Steuern, Umsatzsteuer und Verbrauchssteuern, in unmittelbarer Weise vom Gang der Geschäfte abhängig sind.
Ich glaubte, diese Vorbehalte vorbringen zu müssen gegenüber der Annahme von einem ausgeglichenen Haushalt. Ich bin der Meinung, daß es falsch wäre, sich etwa zu beruhigen und anzunehmen, man könne die Dinge für den weiteren Verlauf dieses Haushaltsjahres sich selbst überlassen. Meine Freunde und ich haben auch gewisse Vorbehalte gegenüber der Aufstellung und Aufmachung des außerordentlichen Haushaltsplanes. Wir glauben z. B., daß der Münzgewinn, der in diesem Haushaltjahr unter den ordentlichen Einnahmen erscheint, zweckmäßigerweise bei den außerordentlichen Einnahmen einzusetzen wäre, da ja keinerlei Aussicht besteht, daß sich das etwa in gleicher Weise laufend wiederholen kann. Wir erblicken jedenfalls in dem höchst willkommenen Anfall von 400 Millionen aus dem Münzgewinn einen mehr oder weniger einmaligen Vorgang.
Meine Freunde und ich glauben auch, daß die Subventionen, die einem länger gepflogenen Brauch entsprechend im ordentlichen Haushaltplan des Bundesministeriums für Ernährung ausgewiesen werden, zweckmäßigerweise im außerordentlichen Haushaltplan erscheinen sollten; das um so mehr, als ja nicht einmal sicher erscheint, ob es möglich, vielleicht sogar, ob es überhaupt notwendig sein wird, diese Subventionen im Laufe der nächsten Jahre aus ordentlichen Einnahmen zu finanzieren. Diese Subventionen belaufen sich im ganzen immerhin auf mehr als eine halbe Milliarde.
Gewisse Fachleute waren im übrigen der Meinung, es sei richtig, daß auch das ERP-Vermögen und die Bewegungen, die sich auf diesem Konto, wenn ich so sagen darf, ergeben, im außerordenlichen Haushalt erscheinen könnten. In diesem Sinne sind ja wohl auch die Beschlüsse des ERP-Ausschusses und des Ausschusses Geld und Kredit dieses Hauses grundsätzlich aufgefaßt worden. Die Bundesregierung hat hier einen etwas anderen Weg gewählt. Es ist ein Sondervermögen beim Einzelplan V des ERP-Ministeriums ausgewiesen. Ich kann die Lektüre gerade dieser Schrift besonders empfehlen. Das Ministerium erklärt sich auch ausdrücklich damit einverstanden, daß der vorgelegte Plan von der Regierung so aufgefaßt wird, daß er in der vom Bundestag zu beschließenden Form verbindlich sein soll.
Dann habe ich in aller Geschwindigkeit noch einen Vorschlag zu machen, der nicht mir persönlich, aber unseren Freunden aus der Arbeit des Haushaltsausschusses gekommen ist. Es handelt sich darum, daß wir, wie Herr Kollege Schoettle schon erwähnt hat, uns mit unserer Arbeit in einem hoffnungslosen Rückstand befinden; dieser Zustand muß möglichst schnell geändert werden. Wir möchten zu erwägen geben, ob es nicht denkbar wäre, den uns jetzt vorliegenden Haushaltsplan für das Haushaltjahr 1950/51 zunächst einmal in der gleichen Form auch für das Haushaltjahr 1951/52 zu verabschieden. Die Bundesregierung könnte aufgefordert werden, für dieses neue Jahr schon jetzt — ähnlich dem Gedanken, den Kollege Schoettle geäußert hat — einen Nachtragshaushalt vorzubereiten. Wir würden aber, wenn wir so vorgehen und tatsächlich — das wird sich ja erreichen lassen — vor dem 31. März nächsten Jahres mit dem Haushaltsplan für 1950/51 fertig sind, gleichzeitig auch ab 1. April einen beschlossenen Haushaltplan vorliegen haben, nach dem sich dann Regierung, Parlament, Wirtschaft und Bevölkerung richten können. Damit würden wir der schauerlichen Notwendigkeit der Vorwegbewilligungen, die uns immer wieder neue Schwierigkeiten macht und auch den Überblick allmählich völlig verloren gehen läßt, enthoben sein. Natürlich muß — das steht im Grundgesetz — für jedes einzelne Haushaltjahr auch ein Haushaltgesetz gemacht werden. Aber das halte ich demgegenüber für eine technische Frage. Dazu muß noch viel überlegt werden. Wenn wir es aber riskieren, diesen entschlossenen Schritt zu tun, dann haber wir, davon sind meine Freunde und ich überzeugt, wirklich etwas gewonnen, das allen nur helfen kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Seelos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hatte in dieser Woche vor der deutschen und vor der Weltöffentlichkeit die große Chance, zu zeigen, ob er seiner Aufgabe gewachsen ist. Denn es folgten sich in einer Woche rasch hintereinander die großen Stellungnahmen zu der Außenpolitik und zu der Innenpolitik. Wenn man nun davon ausgeht, daß in unserer völkerrechtlich so abhängigen Lage doch der Grundsatz des Primats der Außenpolitik gelten muß, dann konnte man von der Diskussion in außenpolitischen Fragen ein enges Zusammenspiel der Regierung und der Opposition erwarten, zumal die bedingte Zustimmung zu einem Wehrbeitrag Deutschlands für die Verteidigung Europas in gleicher Weise gegeben war. Statt dessen hat die außenpolitische Diskussion, meiner Ansicht nach zum Schaden der internationalen Stellung Deutschlands, infolge der übertriebenen Hervorkehrung parteipolitischer Gesichtspunkte mit einer Verschärfung der Gegensätze geendet.
Heute nun- erleben wir fast das Umgekehrte. Es ist ganz naturgemäß, daß bei einem so unbedingten Gegensatz in wirtschaftlichen Auffassungen und auch in anderen Auffassungen bei der Generaldebatte über den Etat die Gegensätze zwischen Opposition und Regierung besonders hart und scharf zur Geltung gebracht werden. Man mußte fast erwarten, daß der Angriff heute geradezu massiv werden würde. Im Gegenteil: es ist in einer geradezu vorbildlichen Weise eine konstruktive Opposition geübt worden, indem Herr Schoettle sachlich und mit teilweise schlagenden Argumenten einfach das beanstandet hat, was zu beanstanden war. Es freut mich, das gerade auch der Sprecher der Regierung, der Abgeordnete aus Berlin, dies voll anerkannt hat. Wenn dieser Geist der Zusammenarbeit öfter hier zur Geltung käme, könnten wir, glaube ich, allgemein wertvollere und positivere Arbeit leisten, als das bisher geschehen ist. Nur ist es eben nach außen hin nicht so wichtig, wie diese innerpolitische Debatte ausfällt. Was wir am Mittwoch hätten tun sollen, haben wir nun schon einmal verschüttet.
Ich möchte, nachdem von Herrn Schoettle wie auch von den anderen Rednern dem Bundestag so viele Argumente und Zahlen gegeben worden sind, nicht auch noch einmal diese Zahlen wiederholen, die einfach Fakten sind. Ich möchte mich auch nicht heute schon in eine ins einzelne gehende Etat-
Deutscher -Bundestag — 100. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1950 3673
kritik begeben. Das soll der zweiten Lesung vorbehalten bleiben. Ich möchte aber schon jetzt sagen, daß mir der Gedanke meines Vorredners sehr gefällt, daß dieser Etat 1950/51 im großen und ganzen schon auf 1951/52 übernommen werden soll, damit wir endlich loskommen von diesen nachträglichen Bewilligungen. Bis dieser Etat in der zweiten und dritten Lesung fertig wird, wird es Januar, Februar; also das Jahr ist bereits vergangen. Der Bundestag kann von seinem verfassungsrechtlich ersten Recht der Etatbewilligung gar keinen Gebrauch mehr Machen. Es wäre also gut, glaube ich, wenn man diesen Weg beschreitet. Eines allerdings müßte wohl an diesem Etat geändert werden, daß solche Globalsummen wie z. B. für die Ausgestaltung der Dienststelle für auswärtige Angelegenheiten, oder des auswärtigen Dienstes überhaupt, mit 3,9 Millionen, glaube ich, nicht noch einmal so global erscheinen; denn das gibt denen, die dafür die Verantwortung haben, zu viel persönliche, unkontrollierte Möglichkeiten, den Dienst so einzurichten, wie es ihnen gefällt.
Ich möchte mich also auf einige grundsätzliche Erwägungen beschränken, und zwar möchte ich an die Spitze folgenden Gedanken stellen: Die Bundesregierung hat trotz der uns allen bekannten Schwierigkeiten eigentlich doch ein unerhörtes und fast seltenes Glück durch Umstände äußerer Art gehabt, auf die sie gar keine Einwirkung hatte. Denn ungefähr zu dem Zeitpunkt, als sie ihre Tätigkeit aufnahm, vor einem Jahr, haben sich die Auswirkungen des Einpumpens der Marshallplangelder in die deutsche Wirtschaft so recht bemerkbar gemacht. Auch der Schuman-Plan, der von dem französischen Außenminister her entwickelt worden ist, hat zu einer Auflockerung des deutschfranzösischen Verhältnisses geführt, das überhaupt I für die Befriedung Europas günstig wirkte. Und schließlich ist doch dieses unerhörte Ereignis von Korea eingetreten, das uns überhaupt in der außenpolitischen Situation eine große Auflockerung und viele Möglichkeiten gegeben hat.
Diese günstigen Umstände muß eine deutsche Regierung in der heutigen Zeit auch fast haben, wenn sie überhaupt die Möglichkeit haben will, zu regieren und etwas zu leisten und diese hoffnungslose Lage Deutschlands zu meistern. Es ist schwer, ein Volk zu regieren, dem der Glaube an Autorität verlorengegangen ist. Es ist schwer, zu regieren, wenn diese Autorität auch von seiten der Alliierten fast vom ersten Tage an untergraben worden ist. Es ist schwer, ein Volk zu regieren bei diesem Mangel einer Führerschicht, die gerade in einem demokratischen Staat besonders notwendig ist. Von einem Volk — das ist ja von den Rednern in verschiedenen Variationen gesagt worden —, das aus 50 % Armen und Entrechteten, aus 8 Millionen Heimatvertriebenen, 10 Millionen Rentenempfängern und 5 Millionen Kriegsopfern besteht, kann man doch nicht so viel verlangen. Ein Volk, das in seiner Wirtschaft kein Kapital hat, in dessen Land die Demontagen weitergehen, ist schwer zu regieren.
Die Regierung hat aber eben doch einige Dinge versäumt, die man ihr auch trotz dieser schwierigen Lage vorwerfen muß. Sie hat nicht verstanden, eine enge Fühlung mit dem Parlament zu gewinnen. Das ist bereits gesagt worden. Sie hat oft gesündigt, durch verspätete Vorlage von Gesetzen, durch 1 berschreitung von Etatspositionen z. B. beim Bonner Ausbau durch eine Verteilung von Marshallplan-Geldern ohne Genehmigung des Parlaments und dergleichen Dinge mehr. Sie hat auch das Vertrauen des Volkes vor allem deshalb nicht gewinnen können, weil sie Versprechungen, die sie besonders in ihrer ersten programmatischen Rede vom vorigen Jahr gemacht hat, nicht gehalten hat. Keine Regierung kann gegenüber Fakten mehr tun, als eben möglich ist. Aber sie braucht nicht zu versprechen und Dinge anzukündigen, von denen man vielleicht von vornherein annehmen kann, daß sie nicht oder kaum durchführbar sind; und da hat sie sich meiner Ansicht nach wiederholt schwer verfehlt. Zum Beispiel: Wenn man die Regierungserklärung nachliest, so kann man feststellen, daß sie den Altsparern eindeutig versprochen hat, ihre Guthaben wenn irgendwie möglich und baldmöglichst aufzuwerten. Das ist nicht geschehen. Man hat wiederholt Zusagen hinsichtlich der Zahlung von Pensionsbeträgen für die entrechteten und heimatvertriebenen Beamten nach Art. 131 des Grundgesetzes gemacht. Im Januar, im Februar sollte diese Frage schon gelöst werden. Noch heute warten diese armen Beamten auf die Erfüllung dieser Versprechungen.
Ganz gleichgültig, wie man zum Lastenausgleich steht, es ist jedenfalls nicht zu verantworten, daß dem Volk immer wieder neue Termine versprochen werden: zuerst der 31. Januar, dann der 1. Setember, dann endgültig November und Dezember, und schließlich hat man diese lang erwartete und angekündigte Vorlage einfach zurückgezogen; als ob man nicht in einem Jahre Möglichkeiten gehabt hätte, alle Kreise zu hören. Ich sage nochmals: ob man auf dem Boden dieser Vorlage steht oder nicht, man kann solche Hoffnungen nicht erwecken, um sie dann nicht zu erfüllen.
Hinsichtlich der Heimatvertriebenen hat man eindeutige Zusagen gemacht, daß die schwerstbelasteten Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern durch einen Flüchtlingsausgleich entlastet werden. Vor einem Jahr ist die Umsiedlung einer ersten Rate von 300 000 Heimatvertriebenen beschlossen worden. Was ist geschehen? Nachdem kaum die Hälfte nach einem Jahr erfüllt worden ist, ist diese Aktion einfach ins Stocken gekommen. Die Bundesregierung hat es nicht verstanden, dieses Versprechen trotz der ihr gegebenen Vollmachten einzulösen. Die Bundesregierung hat es ferner nicht verstanden, dieses brennende Problem Westdeutschlands, das Problem der 8 Millionen Heimatvertriebenen, auf eine solche internationale Basis zu stellen, daß wir die Hilfe der Welt in einem ähnlichen Maße bekommen hätten, wie sie die 200 000 DP's, die wir noch haben, heute noch von der UNO erhalten.
Die Bundesregierung hat ihre Voranschläge air die ganze Gestaltung der Großstadtbauten in Bonn bei weitem überschritten. Der Bundesfinanzminister war z. B. gezwungen, im Finanzausschuß eine Indemnitätsvorlage über 6 1/2 Millionen DM in Aussicht zu stellen.
Es ist erwähnt worden, daß die Bundesregierung hinsichtlich der Preise, insbesondere der Lebensmittelpreise, eindeutige Zusagen gemacht hat, die, wie jeder, der einmal etwas einkauft, weiß, nicht gehalten worden sind.
Hinsichtlich der Besatzungskosten ist wiederholt erwähnt worden, daßt die Bundesregierung darauf noch keinen Einfluß hat. Was ich aber wiederholt in diesem Hause betont habe, ist das: Die Bundesregierung ist ihrer Pflicht nicht nachgekommen, die Unterlagen zu schaffen, die es vor der Weltöffentlichkeit möglich gemacht hätten, diese übertriebenen und oft unverantwortlich hohen Kosten anzugreifen. Gerade in Amerika hätten wir jede Unterstutzung gefunden, wenn man hierüber eindeutige
Unterlagen gegeben hätte. Es zeigt allein ein großes Versagen, daß erst vor einigen Monaten — ich glaube, am 1. August — eine Abteilung unter dem Ministerialdirigenten Hartmann im Finanzministerium eingerichtet worden ist, die diese Dinge zentral bearbeiten soll. Man hätte das ja auch schon dreiviertel Jahr vorher einrichten können, um endlich diese Angaben zu haben. Wenn man bei der Besatzung einen Troß von 4 Deutschen auf einen Besatzungsbeamten oder -soldaten hat, dann ist es ja, wenn man diese Angaben von der Besatzung nicht offen bekommt, auch möglich, sie sich auf andere Weise zu beschaffen. Das ist dann nur am Platz.
Eine besondere Unterlassungssünde sehe ich aber darin, daß trotz der von Herrn Bundeskanzler im vorigen November groß angekündigten Zugeständnisse seitens der Alliierten hinsichtlich der Möglichkeit, Außenvertretungen zu errichten, hiervon bis auf die drei Außenvertretungen in Washington, London und Paris kein Gebrauch gemacht worden ist. Meiner Ansicht nach ist für den Ausbau unseres Exports dadurch ein schwerer Schaden eingetreten, daß diese Möglichkeit nicht mit größerer Energie benützt worden ist. In den Hafenstädten z. B. herrscht eine Anarchie hinsichtlich der Ursprungszeugnisse, die einfach irgendwie fabriziert werden, weil wir keine Außenvertretungen haben. Wie soll man da überhaupt noch einen Handelsvertrag einhalten können, wenn diese Grundlagen einer auswärtigen Handelspolitik fehlen?
Die Schwierigkeiten sind bereits betont worden, die sich mit der Ernennung eines Staatssekretärs des Auswärtigen ergeben haben, der ja praktisch nur vor kurzem einmal in Rom in Funktion getreten ist und als Vorsitzender der SchumanplanKommission in Paris bis jetzt noch nicht die Möglichkeit hatte, sein Amt hier wahrzunehmen.
Schließlich möchte ich darauf hinweisen, daß die Verfassungsbestimmung, daß die Bundesbehörden möglichst nach landsmannschaftlichen Gesichtspunkten zu besetzen sind, in keiner Weise eingehalten worden ist. Es müßten hier 20% Bayern angestellt sein. Auf Grund einer Anfrage ist uns die amtliche Antwort gegeben worden, daß in den Bundesbehörden nur 5% Bayern tätig sind und, wenn man nach dem Wohnsitz geht, 10%.
Ferner sind wir auch bei der Kreditverteilung nicht immer entsprechend dem Prozentsatz, den wir beanspruchen können, beteiligt worden. Auf Grund einer Anfrage z. B. über die Verwendung eines Kredites von 50 Millionen DM für das Handwerk und die Kleinindustrie hat uns der Bundeswirtschaftsminister antworten müssen, daß Bayern schwer benachteiligt worden sei und daß man versuche, das später noch auszugleichen.
Ich muß auch meinerseits — vielleicht in einem anderen Sinn als Herr Schoettle — auf die Interessenquote der Länder hinweisen, die unserer Auffassung nach entgegen der Verfassung auf die Länder abgewälzt worden ist. Der Herr Bundesfinanzminister hat sich hier darauf berufen, daß selbst Bayern zugestimmt habe. Bayern hat zuerst widersprochen. Ich möchte die Gespräche kennen, die zwischen Herrn Schäffer und den zuständigen bayerischen Ministern wegen der Stellungnahme der bayerischen Regierung stattgefunden haben. In der Bundesratsdrucksache zu dieser Frage kommen jetzt bereits die Bedenken zur Geltung. Es heißt jetzt, man müsse diese Frage noch einmal grundsätzlich prüfen. Dazu ist es jetzt zu spät.
Dann muß ich beanstanden, daß für die Notstandsgebiete und gerade für das bayerische Notstandsgebiet — ich nenne das bayerische, weil ich es besonders gut kenne — im Verhältnis zu den Leistungen für das Notstandsgebiet Berlin noch in keiner Weise genügend geleistet worden ist.
Wir haben bereits vor einem Jahr die schlechte Versorgung Bayerns mit Strom, Kohle usw. dargelegt und in Anträgen gebeten, darauf hinzuwirken, daß endlich Bayern als einziges deutsches Land nicht mehr mit Stromsperren bedacht werden muß. Wir sind jetzt glücklich so weit, daß wir in Bayern jeden Tag wieder Stromsperren und dergleichen erwarten müssen. Bäckereien und Industrien müssen stilliegen, weil wir keine Kohle haben. Das ist nach einem Jahr erreicht worden.
Schließlich müssen wir dagegen angehen, daß die verschiedenen föderalistischen Zusagen, die von seiten der Bundesregierung immer wieder gegeben worden sind, nicht eingehalten worden sind, ganz abgesehen davon, daß es für die Bundesregierung natürlich schwer ist, föderalistisch zu sein, wenn eine supra-zentralistische Partei wie die FDP in dieser Regierung mit drin ist, gegen die ja die Angehörigen der SPD als Zentralisten beinahe Waisenknaben sind. Ich muß auch sagen: es ist ganz klar, daß von seiten der CDU hier nichts zu erwarten ist, da sie doch auf ihrem Parteitag in Goslar wieder geschlossen in die altkonservative, preußisch-deutsche Linie zurückgefunden hat.
Von Föderalismus war in Goslar mit keinem Wort mehr die Rede. Das ist die föderalistische CDU/ CSU, die es zu gegebenen Zeiten, besonders wenn Wahlkämpfe in Bayern nahen, mit ihren föderalistischen Prinzpien so wichtig nimmt.
Ich habe einige Punkte aufgezählt, die mir der Erwähnung wert schienen. Wir erkennen auch durchaus die Leistungen der Regierung an. Wir erkennen zum Beispiel an, daß sie das Kriegsopfergesetz durchgebracht hat, nachdem sie aber bis zur letzten Minute versucht hat, möglichst davon wegzukommen, und sich überlegt hat, ob sie nicht doch noch ein Veto einlegen solle. Man muß anerkennen, daß auch die Einkommensteuergesetzgebung verbessert worden ist, wenn sie auch noch lange nicht allen Wünschen gerecht wird. Vor allem muß man anerkennen, daß die Regierung trotz aller Anfechtungen den Grundsatz der sozialen Marktwirtschaft hochgehalten hat, wenn auch diese Politik schließlich nur eine Fortsetzung der Politik des Frankfurter Wirtschaftsrates ist.
Schließlich möchte ich sagen, das Volk ist gar nicht so unvernünftig, daß es von einer Regierung angesichts dieser ungeheueren Schwierigkeiten und des verhängnisvollen Erbes des Hitlerregimes mehr verlangt, als man erwarten kann, zumal die Besatzungseinflüsse bekannt sind. Was aber im Volke nicht verstanden wird, das ist der Mangel an Vertrauen innerhalb des Kabinetts, es ist der Mangel an Vertrauen zwischen Bundestag und Bundeskanzler, und es ist das mangelnde Vertrauen zwischen Bundesregierung und Volk. Die Bundesregierung hat es eben nicht verstanden, den Glauben an Ideale im deutschen Volke wieder zu erwecken, dem deutschen Volke die ungeheuren Möglichkeiten darzulegen und glaubhaft zu machen, die es immer noch trotz seiner Notlage besitzt. Weil sie es nicht verstanden hat, diesen Glauben zu erwecken, hat sie auch nicht die derzeitige nationale Krankheit unseres Volkes überwinden können: die Lethargie, die Hoffnungslosigkeit und die Angst. Das ist das größte Versäumnis der Bundesregierung. Wenn die Bundesregierung auf Grund der unerhört günstigen äußeren Umstände, die ihr
Deutscher Bundestag - 100- Sitzung.- Bonn, Freitag. den 10. November 1950 3675
zu Hilfe kamen, trotzdem an einer Gesamtverbesserung der inneren und äußeren Lage teilhaben konnte, so darf ihr das keineswegs das Gefühl geben, das durch ihre eigenen Arbeiten und Leistungen erreicht zu haben, sondern es soll sie aufgeschlossener machen, um das Volk zu gewinnen, größere Aufgaben, die uns bevorstehen, lösen zu können.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mühlenfeld.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von dem Herrn Finanzminister gestern mit tiefem Ernst vorgetragene Bericht zur Begründung seiner Vorlage hat uns die ganze Problematik und die ganzen moralischen Pflichten und Sorgen, die uns auferlegt sind, schlagartig erhellt, und es ist schon so, wenn auch aus dem Munde des Herrn Kollegen Schoettle so ganz per Zufall, ohne sein Wollen das Wort „Genosse" gefallen ist.
— Gat! Und trotzdem, Herr Kollege Schoettle: Ich greife das Wort auf. Ich glaube, es ist in dem Sinne gemeint - und dazu können wir uns alle auf Grund der Ausführungen, die Sie, Herr Schoettle, gemacht haben, ohne parteipolitische Unterschiede verstehen —: Genossen im Sinne einer echten Genossenschaft in dieser nationalen Not.
— Ja, ich weiß nicht, was Sie darunter verstehen! Jeder begreift den Geist, den er versteht.
Aus den Ausführungen und aus der Vorlage des Herrn Bundesfinanzministers ergeben sich, wenn man sie einmal analysiert, vier wichtige Positionen, uns das Verhältnis unserer Wirtschaftspolitik insbesondere zur Sozialpolitik klarlegen: die Besatzungskosten mit 4,6 Milliarden — 36% des Gesamtetats machen sie aus —, dazu die Sozialaufwendungen und Kriegsfolgelasten mit 5,2 Milliarden — das sind etwas über 40% an Aufwendungen und Lasten, die wir übernehmen müssen und die für uns unabänderlich sind, die vor allen Dingen hinsichtlich des Sozialaufwandes und der Kriegsfolgelasten wirklich keine Luxusausgaben sind und auch nicht so aufgefaßt werden; sie zusammen machen mit den Ausgaben für die staatliche Verwaltung 80 % des gesamten Etats aus, so daß uns für den Wiederaufbau einschließlich der BerlinHilfe — und das in Anbetracht der katastrophalen Lage, in der sich die deutsche Wirtschaft und das deutsche Staatsleben befinden — nur 20% zur Verfügung stehen, nämlich 2,8 Milliarden.
Und wie, meine Damen und Herren, müßte es in Wirklichkeit aussehen? Müßten wir nicht, um eine gesunde Sozialpolitik zu treiben, in erster Linie den wirtschaftlichen Aufbau mit allen Mitteln und viel größeren Mitteln, als uns zur Verfügung stehen, vorantreiben, um eben eine gesunde Sozialpolitik treiben zu können, eine Sozialpolitik, die nicht den Selbsthilfewillen im deutschen Volke unterdrückt, sondern im Gegenteil ihn noch fördert?
Das Problem ist für meine politischen Freunde nicht die Frage von Preisen und Löhnen in erster Linie, sondern die Wiedereingliederung aller der Menschen, die durch den Krieg und die Kriegsfolgen aus ihrer sozialen Position herausgeworfen wurden. Es ist das Problem einer produktiven Sozialpolitik. Unter produktiver Sozialpolitik verstehen wir eine gute Wirtschaftspolitik. Das heißt: wir lehnen eine konsumtive Verrentung als Staatsgrundsatz ab. Nur durch die Schaffung von Arbeitsplätzen und damit durch die Vergrößerung des Sozialprodukts sind wir in der Lage, den Lebensstandard der Massen zu heben und alle diejenigen einzugliedern, deren Arbeitskraft infolge der Kriegszerstörungen freigesetzt worden ist. Durch die Belebung des Produktionsprozesses erreichen wir eine Erhöhung des Steueraufkommens und ermöglichen damit eine menschenwürdige Versorgung aller derjenigen, die aus eigener Kraft nicht in der Lage sind — ich betone: die nicht in der Lage sind —, ein menschenwürdiges Dasein zu führen.
Es handelt sich hierbei um eine Frage von vitaler Bedeutung für die Bundesrepublik, und wir warnen davor, bei der Lösung dieser Frage den Fehler zu begehen, die Dinge von der Einseitigkeit der verschiedensten Interessentenstandpunkte aus zu sehen. Eine solche Einseitigkeit von Interessentenverbänden aller Art, auf allen Seiten der deutschen Wirtschaft würde zu einer Politik führen, bei der man je nach dem Gewicht dieser Interessentenverbände das eine oder andere Loch zustopft und damit Mittel raubt, die den anderen, schwächeren Teilen gerechtermaßen zukommen müßten. Dabei sollte man auch nicht übersehen, daß jede Lohnerhöhung und jede Preiserhöhung eine Minderung der Kaufkraft der Rentenempfänger bedeutet.
Die Wirtschaftspolitik der Gewerkschaften scheint diesen Gesichtspunkt bei ihren ständigen Forderungen auf Lohnerhöhung bei der geringsten temporären Preiserhöhung außer acht gelassen zu haben. Wir sind uns bewußt, daß die Aufgaben der produktiven Sozialpolitik nicht allein aus den Kräften des dafür viel zu kleinen Wirtschaftsraumes der Bundesrepublik bewältigt werden können. Eine wirkliche Lösung der Sozialprobleme dieses Jahrhunderts — d. h. eine gerecht verteilte Erhöhung des Lebensstandards - kann nur in einem größeren Wirtschaftsraum erreicht werden.
Ehe wir uns über die Verteilung des Sozialprodukts unterhalten — und das ist heute auch wieder hier zum Ausdruck gekommen —, sie kann nicht im Vordergrund stehen —, geht jedoch primär die Erhöhung des Sozialproduktes voraus, und wir sehen in dieser Hinsicht einen Vorteil in der Verwirklichung des Schuman-Plans. Hier wird der Versuch unternommen, eine solche Vergrößerung des Sozialproduktes durch eine Vergrößerung des Wirtschaftsraums zu erzielen. Vorgestern erst ist in diesem Hohen Hause der Verdacht geäußert worden, daß der Schuman-Plan auf Kosten des Reallohns der Arbeitnehmerschaft gehen werde. Diese Behauptung ist nach allen Unterlagen, die uns zur Verfügung stehen, durch nichts gerechtfertigt, man müßte denn dem Schuman-Plan unterstellen, daß durch ihn eine Art Interessentenanteil — Kartell wollen wir es mal nennen — auf dem Rücken Deutschlands geschaffen werden soll. Eine solche Annahme ist aber bei einer vernünftigen Würdigung des bisherigen Verhandlungsergebnisses wirklich nicht begründet. Es werden hier in einer fast frivolen Weise Ressentiments und Vorurteile mobilisiert, die letzthin darauf abzielen, den Plan nicht zustandekommen zu lassen aus gewissen ideologischen Erwägungen. Das bedeutet aber die Vernichtung des ersten Ansatzpunktes für die Organisation eines größeren Wirtschaftsraumes, die, wie
gesagt, allein die Voraussetzung bietet, die sozialpolitischen Probleme in einer großzügigeren Weise anfassen und lösen zu können. Wenn man die Zusammenhänge überblickt, so ergibt sich, daß die grundsätzlichen Ausgangspunkte der Problematik im ideologischen Bereich liegen. Sie hängen aufs engste zusammen mit dem weltweiten Gegensatz zwischen Ost und West allerdings, und dieser Gegensatz ist die grundsätzliche Hypothek, die auf allem liegt, und eine Hypothek, mit der auch diese Bundesregierung in dieser oder jener Weise fertigwerden muß.
Wir brauchen den gesicherten Frieden, um eine Ordnung zu gewährleisten, die die grundsätzliche Voraussetzung für das Anfassen der wirtschaftlichen und sozialen Fragen bietet. Daher sind alle Bemühungen auf die Sicherung des Friedens zu richten. Die Sicherung des Friedens ist die Forderung Nummer eins.
Meine Damen und Herren! Die Bearbeitung der Einzelheiten dieser Vorlage der Regierung, die einen Aktenstapel von mehr als zehn Zentimeter Höhe darstellt, in zwei mal vierundzwanzig Stunden ist nicht möglich. Ich erlaube mir aber, den Herrn Finanzminister auf eine Möglichkeit hinzuweisen und bei der angestrengten Suche nach neuen Einnahmequellen sein Augenmerk darauf zu richten, wie es meine politischen Freunde bereits vor kurzer Zeit angeregt haben: Die erfolgreiche Bekämpfung der Schwarzarbeit.
Statistisch ist nachgewiesen, daß im Durchschnitt des Jahres 1949 1,2 Milliarden D-Mark für Schwarzarbeiten aufgewendet worden sind. Das bedeutet, in Arbeitsplätze umgerechnet, Arbeitsplätze für 250 000 Arbeitskräfte, mithin bei einem durchschnittlichen Jahresverdienst von 5000 Mark einen Steuerausfall von zirka 125 bis 126 Millionen D-Mark.
Wenn man dazu ungefähr überschlägt, welche korrespondierende Summe bezüglich der Sozialbeiträge dazugehört, die unseren Rententrägern zur Verfügung gestellt werden könnte, wenn man weiter berücksichtigt, was bei erfolgreicher Bekämpfung der Schwarzarbeit dann an Arbeitslosenunterstützung eingespart werden kann, dann ergibt sich, daß das Beträge sind, die erheblich zu Buche schlagen.
Meine Damen und Herren, es hat sich in den letzten Monaten etwas vollzogen, was außer dem Ost-West-Konflikt die Arbeiten und die guten Ansätze zu einer Gesundung der deutschen Wirtschaftspolitik sehr gefährdet; das, was man auch unter dem Stichwort Liberalisierung zusammenfassen kann. Weiß Gott, die deutsche Bundesrepublik hat im weitesten Maße bis an die Grenze des Verantwortlichen auf diesem Gebiet vorgeleistet, in einem Maße, wie man es nie erwarten konnte. Jetzt haben wir, nachdem wir der Welt bewiesen haben, daß wir guten Willens sind, zahlungsbilanzmäßige Schwierigkeiten, und diese Schwierigkeiten — das muß sich die deutsche Öffentlichkeit auch vor Augen halten — beweisen nicht einen Mißerfolg der deutschen Bundesrepublik, sondern liegen in der Verantwortung nicht zuletzt der Alliierten; denn die Europäische Zahlungsunion hat uns in eine ganz gefährliche Zwangsjacke von vornherein hineingepreßt. Man hat der deutschen Wirtschaft ein Kreditvolumen von 320 Millionen Dollar zugemessen, bei einer Einwohnerzahl von ungefähr 45 Millionen Menschen. Was diese Zahl bedeutet und welche gefährliche Zwangsjacke sie darstellt, ergibt sich, wenn man vergleichsweise den Kreditplafond für Frankreich berücksichtigt. Für Frankreich, dessen Einwohnerzahl nicht größer ist, eher geringer, sind 520 Millionen Dollar vorgesehen und für die weit, weitaus niedrigere Bevölkerungsziffer der Niederlande, für diese Wirtschaft Hollands, 330 Millionen Dollar. Schon aus diesem äußerlichen Anzeichen ist ersichtlich, in welch gefährliche Situation man uns von außen her hineingepreßt hat. Diese Situation scheint mir noch bedeutend prekärer zu werden in allernächster Zeit, und zwar dadurch, daß wir jetzt auf dem Weltmarkt Rohstoffeinkäufe zu weit erhöhten Preisen tätigen müssen, den Export der daraus hergestellten Fertigwaren aber vertragsgemäß zu den bisherigen alten Preisen. Das führt zu einer weiteren Verengung und Verschlechterung unserer Devisenlage.
An dem Beispiel Kautschuk läßt sich unsere Lage auf dem Exportgebiet am besten charakterisieren. Die gleiche Monatsmenge Kautschuk, für die wir bislang 4,6 Millionen Dollar aufzuwenden hatten, muß heute mit 16 Millionen Dollar bezahlt werden. So können wir wohl damit rechnen — und es ist nicht zu schwarz gemalt —, daß wir in Zukunft monatlich ein Defizit von 70 Millionen Dollar praeter propter haben werden. Man ist sich im Lager der Hohen Alliierten über diese unverschuldete prekäre Lage der deutschen Wirtschaft gar nicht im unklaren. Das erhellt daraus, daß man uns einen kurzfristigen Kredit von 120 Millionen Dollar anbieten will, aber unter der Bedingung der konsequenten Beibehaltung der Liberalisierung. Wir sollen also von einer Zwangsjacke in die andere gebracht werden. Hier scheint es uns Aufgabe der deutschen Wirtschaftspolitik zu sein, alles zu versuchen, um weitere Knebelungen zu verhindern.
Mein Kollege Wellhausen hat sich bereits in anerkennnenswerter Weise über die Verknappung der Rohstoffe ausgelassen, insbesondere über die unseres wichtigsten Rohstoffs Kohle. Ich schließe mich seinen Ausführungen bezüglich der Forderungen zugunsten der Besserstellung der Bergarbeiter in vollem Umfange an. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir 1950 nur eine Förderquote von 1,4 t haben gegenüber einer solchen von 2,1 t im Jahre 1936. Das ist so zu begründen, wie mein Kollege Wellhausen das bereits aufgezeigt hat. Die Auswirkungen der Kohlenknappheit sind erheblich und wurden auch mir gestern und werden heute wieder in verstärktem Maße aus meinem Heimatlande Niedersachsen gemeldet. Warum man dann noch ausländischerseits absolut einen Kohlenexport von uns verlangt, obwohl in keinem Lande Europas auch nur so etwas wie eine Kohlennot besteht, ist schlechterdings nicht verständlich und scheint uns in die heutige politische Landschaft nicht hineinzupassen.
Die Beseitigung der Engpässe, meine Damen und Herren, ist das, was uns weitere Sorge macht. In bezug auf die Erhöhung der Stahlkapazität hat meine Fraktion mit besonderem Interesse die Pläne des Herrn Bundeswirtschaftsministers verfolgt, die er neuerdings unter dem Titel „Engpaßprogramm" zusammengefaßt hat und die zum Ziele haben, diejenigen wirtschaftlichen Objekte zu fördern, die, wie gesagt, einen Engpaß darstellen: die Eisen-, Stahl- und Kohlewirtschaft. die Waggon- und Lokomotivindustrie sowie den Seeschiffbau.
Mit Befremden und mit Bedauern stellen wir aber fest, daß Landwirtschaft und Flüchtlingsbetriebe nach unseren Informationen und nach den Ausführungen des Bundeswirtschaftsministers nicht mehr berücksichtigt werden können. Der Bundesregierung ist doch jedenfalls bekannt, daß der Konjunkturanstieg, den wir im Gebiet von Rhein, Main und Neckar haben, der zweifellos — wir erkennen das neidlos und mit Bewunderung an — zu einer Gesundung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse geführt hat, bezüglich der östlichen Teile des Bundesgebietes, derjenigen Gebiete, die an der Grenze der sowjetischen Satellitenstaaten liegen, bei weitem nicht in dieser Höhe zu verzeichnen ist. Wir fragen uns jetzt: was soll geschehen, wenn auch dieses neue Programm der Wirtschaftsförderung sich in erster Linie nur auf die westlichen Gebiete der Bundesrepublik auswirkt?
Dabei gibt es in den Gebieten Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern komplexe Arbeitsmöglichkeiten von eminenter Bedeutung. Wie sehr die Lage gegenüber der der westlichen Gebiete der Bundesrepublik unterschiedlich ist, darf ich Ihnen an einigen wenigen, aber einleuchtenden Zahlen demonstrieren. Die Arbeitslosigkeit hat im Bundesgebiet im März dieses Jahres rund 14 % betragen. Sie beträgt zur Zeit noch nicht einmal 9 % als Durchschnitt des Bundesgebietes. Die Arbeitslosigkeit in Schleswig-Holstein beträgt aber heute noch 27,5 %, in Niedersachsen 16,3 % und in Bayern nahezu 12 %. Die Arbeitslosenziffern von Nordrhein-Westfalen, von Württemberg-Baden und Baden liegen dabei weit, weit unter dem Bundesdurchschnitt. Ich glaube, daß diese wenigen Zahlen genügen, um im Rahmen dieser Ausführungen der Bundesregierung und der deutschen Öffentlichkeit mit allem Ernst vor Augen zu führen, in welcher prekären Lage wir uns in den Gebieten entlang des Eisernen Vorhanges befinden. Ich glaube nicht, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister verlangen kann, daß wir Hände im Schoß zusehen, wie weiterhin die Konjunkturkurve in diesen Gebieten stark abfallend bleibt.
Ich erinnere den Herrn Bundeswirtschaftsminister und auch die gesamte Bundesregierung mit allem Nachdruck noch einmal an Watenstedt-Salzgitter. Ich weiß: die ehemaligen Reichswerke haben als produktiver Betrieb, als eisen- und stahlerzeugender und eisenverarbeitender Betrieb keinen einzigen Freund in der Bundesrepublik und sie haben ihren schärfsten Gegner in der britischen Besatzungsmacht. Um so mehr ist es für meine Freunde und mich Verpflichtung gewesen, uns für Watenstedt-Salzgitter und seine um jede Existenzmöglichkeit bedrohten Menschen zu kümmern. Wir sind nicht des Glaubens, daß die bisher für dieses Notstandsgebiet vorgesehenen Kreditvolumen, diese finanziellen Maßnahmen, die so eine Art Selterbudenwirtschaft in diesen Gebieten aufziehen sollen, ausreichend sind, um auf die Dauer eine soziale Befriedung in diesem Gebiet herbeizuführen. Wir werden uns erlauben, noch in diesen Tagen der Bundesregierung in dieser Hinsicht mit einer parlamentarischen Initiative aufzuwarten.
Meine Damen und Herren! Wir haben auch mit großer Befriedigung festgestellt, daß der Herr Bundesfinanzminister die Berechtigung hatte, von einem harmonischen und erfolgreichen Zusammenarbeiten zwischen Bund und Ländern zu sprechen. Das ist sehr wichtig für diesen jungen Staat und in Anbetracht seiner föderalen Verfassung. Ich weiß aber auch, daß an der Herstellung dieses gesunden Klimas, das zwischen Bund und Ländern besteht und hoffentlich auch weiterhin bestehen wird, das Ministerium für Angelegenheiten des Bundesrats seinen erheblichen Anteil hat.
Ich muß unsere Auffassung und unsere Wünsche zu der eigentlichen Sozialpolitik hier kurz formulieren. Wir begrüßen die endliche Verabschiedung des Selbstverwaltungsgesetzes und die Mehrheitsentschließung des Bundestages und des Bundesrats für die Parität in der Selbstverwaltung der Sozialversicherung und glauben, daß damit eine neue Ära der Verantwortung eingeleitet werden wird und daß dies gleichzeitig dazu beiträgt, die sozialen Versicherungen in echter Selbstverwaltung zu entpolitisieren und damit Arbeitnehmer und Arbeitgeber für ihre Fortentwicklung und sichere Gestaltung nicht nur zu interessieren, sondern auch verantwortlich zu machen.
Wir haben mit Erstaunen die Auffassung der Opposition gehört, daß die Sozialgesetzgebung des Bundes etwa das Niveau von 1883 verteidigen wolle. Es ist schon notwendig, festzustellen, daß die Sozialdemokraten, die seinerzeit gegen die Bismarcksche Sozialgesetzgebung gestimmt haben,
die Auffassung vertreten, daß die Zusammensetzung der Organe etwa so aussehen müsse, wie es 1883 und in den folgenden Jahren beschlossen worden ist.
Abg. Schoettle: Das haben Sie nicht verstanden, Herr Kollege!)
— Ich glaube doch, Herr Schoettle.
— Das ist eine sehr eigenwillige Behauptung, Herr Schoettle. - Wir glauben, daß die Bedürfnisse unserer Epoche andere sind als die der Jahrhundertwende, und wir meinen auch, daß sie nur gelöst werden können auf der Grundlage einer gesunden Wirtschaftspolitik und mit einer echten sozialen Verantwortung aller in der Wirtschaft Tätigen.
Was die umstrittene Frage der Wiedererrichtung von Betriebs- und Innungskrankenkassen, von Land- und Ersatzkassen angeht, so glauben wir, daß gerade die Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse der Berufsgruppen nicht nur die beste Grundlage einer echt sozialen Zusammengehörigkeit und für ein natürliches Selbstbestimmungsrecht und Mitbestimmungsrecht gibt. Wir glauben, daß sie darüber hinaus auch in weiten Schichten unseres Volkes ein echtes Bewußtsein für die Selbstverantwortung wecken wird, die wiederum die beste Grundlage jeder guten Sozialpolitik ist. Selbstverantwortung und Selbsthilfe sind die beiden Kernforderungen, die wir mit großen Lettern über die gesamte Sozialgesetzgebung des Bundes schreiben möchten, auch im Hinblick darauf, daß durch alle Gesetze, die bisher beraten wurden, wie ein roter Faden der Wille nach totaler Staatsfürsorge, nach einer absoluten Sicherung für alle geht, einer Sicherung, die es an sich nicht gibt und die nur dann zu gestalten ist, wenn jeder aus eigener Kraft und eigener Verantwortung soviel als möglich dazu tut, um den Wechselfällen des Lebens zu begegnen.
Unter Berücksichtigung unseres Sozialetats dürfen wir bei aller Anerkennung der hervorragenden Leistungen, die das Bundesversorgungsgesetz weit über die deutsche Möglichkeit hinaus gibt, nicht vergessen, daß noch eine große Anzahl Kriegs- und
Währungsgeschädigter, Alter und Kranker draußen stehen, die auf die Erfüllung ihrer Ansprüche warten. Der Antrag meiner Fraktion zur Wiedererrichtung der Angestelltenversicherung wird die Frage der Altersversorgung des Handwerks und der Angestellten ihrer eidlichen, schon längst notwendigen Lösung hoffentlich recht bald entgegenführen.
Meine Damen und Herren, meine Redezeit scheint in kurzem abgelaufen zu sein. Bedauerlicherweise kann ich mich über diese unsere Wünsche und Kritiken nicht mehr länger auslassen. Wir fordern aber, daß bei allen Maßnahmen der Sozialpolitik da eine Grenze gezogen wird, wo die Möglichkeit der Hilfe aus eigener Kraft noch besteht, und daß die Fürsorge dort einsetzt, wo diese Möglichkeit nicht mehr gegeben ist.
Nun noch ein Wort zu Berlin. Wir haben die Verwaltungsvereinbarung mit Berlin ebenfalls begrüßt und wünschen nichts mehr, als daß Berlin schnellstens zwölftes Land wird. Wir glauben auch, daß Berlin selbst mehr dazu tun könnte, eine echte Anpassung an das Bundesgebiet vorzunehmen, um allen seinen Bürgern die soziale Sicherstellung nach der Rechtsgrundlage zu gewähren, die bei uns durch die Reichsversicherungsordnung geschaffen ist. Wir hoffen, daß es recht bald möglich ist, eine echte Anpassung in Berlin durchzuführen, um auch den Berlinern die Leistungen der Rentenversicherung zu ermöglichen und vom Bedürftigkeitsprinzip und der damit verbundenen Bedürftigkeitsprüfung abzukommen. Wir fordern also im großen und ganzen die Beseitigung des Berliner Experiments der Einheitsversicherung und die echte Anpassung an die Gesetzgebung des Bundes. Wir freuen uns sehr, daß das Bundesversorgungsgesetz auch für Berlin gilt und daß es auf Antrag unserer Fraktion gelungen ist, auch die Opfer des Stalinismus mit in dieses Gesetz einzubeziehen und erstmalig einen guten Weg der Wiedergutmachung zu beschreiten.
Meine Damen und Herren! Es ist schon immer ein großes Anliegen meiner politischen Freunde gewesen, gerade im Zusammenhang mit der Sozialpolitik die Stelle zu sehen, wo Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik sehr, sehr ineinandergreifen. Das ist nicht zuletzt in der Agrarpolitik der Fall, wenn man sie unter dem Gesichtspunkt der Unterbewertung der landwirtschaftlichen Arbeit sieht. Die Preise für die Agrarwirtschaft sind ausgesprochen politische Preise mit dem Erfolg, daß die Landwirtschaft die übrige deutsche Wirtschaft in großem Umfang subventioniert.
Ich möchte hier noch einen dringenden Wunsch meiner politischen Freunde aussprechen, den wir heute nicht zum ersten Male äußern. Es scheint so, als habe man in der Bundesregierung nur sehr wenig Verständnis für die Notlage und .die Bedeutung eines für uns an der Küste, in Schleswig-Holstein und Niedersachsen, ganz bedeutenden Wirtschaftszweiges, nämlich der Fischwirtschaft und der Fischindustrie. Es ist kaum zu glauben, daß in unserem Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten für dieses Gebiet nur ein einziges kleines Referat, mit drei Leuten besetzt, vorgesehen ist.
Ich erinnere die Bundesregierung und insbesondere den Herrn Landwirtschaftsminister daran, wie die Verhältnisse in England, in Norwegen, in Dänemark, in Island, in Holland und in den USA sind. Dort hat man eine eigene Abteilung Fischerei und
nennt das ganze Ministerium Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Fischerei. Wie wollen wir die Nöte dieser Industrie vertreten und ihre Bedeutung gegenüber dem Auslande hervorheben, denn wir werden gerade in nächster Zeit erhebliche Kämpfe für dieses Wirtschaftsgebiet zu führen haben, wenn wir nicht von uns aus das nötige Optische dazu tun, nämlich nach außen hin zu zeigen, was uns dieser Wirtschaftszweig wert ist?
Die Folgen der Liberalisierung sind für die Landwirtschaft bis vor ganz kurzer Zeit noch sehr nachteilig gewesen. Ich erinnere nur an den Obst-
und Gemüsebau und bitte die Bundesregierung, sie möge ihre Aufmerksamkeit darauf richten, ob man nicht dem hart bedrängten deutschen Gemüsebau dadurch helfen kann, daß man ihm die Möglichkeit gibt, auf den Rübenbau umzuwechseln. Es gibt Preismanipulationen, die zu diesem Ziele führen könnten. Dazu gehört natürlich auch der Bau von Zuckerfabriken.
Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist abgelaufen; ich betone nur noch einmal eins: Wir stellen mit großer Genugtuung fest, daß diese Regierung eine Regierung ist, die nicht einer Ideologie verhaftet ist und keiner Dogmatik, sondern daß sie Politik treibt nach den Realitäten und nach den Gesetzen des Lebens.
Ein großer Deutscher hat einmal gesagt, es sei uns Deutschen allzu häufig im Laufe der Geschichte der Fehler unterlaufen, uns vor den Sorgen und Nöten des täglichen Lebens in irgendeine Idee zu retten, um von dieser Idee das Heil und die Heilung zu erwarten. Wir stellen dieser Regierung das Zeugnis aus, daß in ihr keine Rezeptemacher sind, daß sie keiner Dogmatik huldigt, sondern daß sie das Leben so anpackt, wie es angepackt werden muß — nach seinen Gesetzen. Die Prinzipien der Vollbeschäftigung, des Mitbestimmungsrechts, das Prinzip der Planung und der Restauration, es sind Ausflüsse einer einseitigen Ideologie. Ich bestätige dem Herrn Abgeordneten Schoettle sehr wohl die Wahrheit seines Satzes: Wir werden immer hart — und werden es in den nächsten Jahren noch tun — am Abgrund entlang fahren. Ich frage aber auch, meine Kollegen, ob es möglich ist, den Absturz in den Abgrund zu vermeiden, wenn man sich dem statischen Moment einer Idee, einem Rezept verschreibt statt dem dynamischen der Realitäten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Leuchtgens.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Es wird niemand von mir erwarten, daß ich in 15 Minuten eine Etatrede halten kann.
Auf der andern Seite habe ich festzustellen, daß man in einer so kurzen Zeit nur wenige Dinge behandeln kann, daß ich deshalb von der allgemeinen Betrachtung der politischen Lage überhaupt abzusehen habe und mich nicht in weitschweifige Erörterungen über die gesamte Politik und unsere Lage einzulassen vermag.
Ich muß mich deshalb darauf beschränken, einige wenige Gesichtspunkte zur Sache selbst hervorzuheben, d. h. zu dem vorliegenden Gesetzent-
wurf über den Haushaltsplan, und es wäre vielleicht besser gewesen, wenn mancher der Redner, die vor mir gesprochen haben, sich an diesem Plan gehalten hätte; dann wäre vielleicht auch etwas mehr Zeit für mich gewesen.
Im übrigen ist das Entscheidende für Sie hier das Kollektivum. Sie sind große Parteien, und da kann jeder Vertreter lange sprechen. Die kleinen Parteien, die ein kleines Kollektivum sind, dürfen eben weniger sprechen. Ob das Demokratie ist, meine Herren, das ist eine ganz andere Frage.
— Warten Sie es doch nur ab, ich warte ja auch, bis Sie Zwischenrufe machen!
— Meine Damen und Herren, ich weiß ganz genau: Sie da drüben reden viel von Demokratie und sind so undemokratisch, wie man überhaupt nur sein kann!
Ich möchte nun einige Bemerkungen zu dem vorliegenden Voranschlag machen, zunächst zu dem Verhältnis der Länder zum Bund. Der Herr Finanzminister hat gestern die verschiedenen Artikel des Grundgesetzes angezogen, Art. 106, 110, 113, 115 des Bonner Grundgesetzes, und hat in diesen Bestimmungen eine gewisse Hemmung und Begrenzung seiner Politik gesehen. Auf der anderen Seite aber will er sie als Grundlage seiner politischen Äußerungen und Anordnungen betrachten. Ich habe die Überzeugung, daß diese Bestimmungen über das Verhältnis der Länder zum Bund überhaupt verkehrt sind und wir so rasch wie möglich ohne Änderung des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern herbeiführen müßten, wenn wir überhaupt zu einer gesunden Finanzpolitik kommen wollen.
Wir haben im Etat Ausgaben von etwa 12 bis 13 Milliarden Mark. In der Übersicht in Drucksache Nr. 1000, die uns die Regierung vorgelegt hat, sagt sie selbst, daß die Länder noch einmal Ausgaben von 17 Milliarden haben. Darin zeigt sich eben diese ungeheure Spannung zwischen Bund und Ländern, eine Doppelarbeit und eine Zersplitterung der Arbeit, die uns sehr viel Geld kostet. Wenn man wirklich eine gesunde Finanzpolitik führen will, dann muß man dieses Verhältnis ändern. Man muß das tun, was ich schon wiederholt hervorgehoben habe: die Zahl der Länder im Bundesgebiet von 11 auf mindestens 5 herabzusetzen. Wenn wir das nicht tun, hilft alles nichts. Damit wird eine Fülle von Wirtschaftskraft und Steuerkraft verpulvert. Ich möchte deshalb den Herrn Bundeskanzler bitten, sein Augenmerk auf den Art. 29 des Bonner Grundgesetzes zu richten mit dem Ziel, das Verhältnis zwischen Bund und Ländern grundsätzlich zu ändern und auf diese Weise die Zahl der Länder, damit die Ministerien, die Verwaltungs- und auch die Landtagsausgaben wesentlich zu vermindern.
Geschieht das nicht, dann helfen alle unsere Bemühungen, Ordnung in die Finanzen zu bringen, nicht. Das, was hier als der Weisheit letzter Schluß angepriesen worden ist, sind nur Äußerlichkeiten.
Auch das, was der Herr Finanzminister weiter gesagt hat, ist sehr bedenklich. Er wird den Haushalt nicht in Abgleichung, wie er es nennt, bringen können, schon deshalb nicht, weil die Steuern ja gar nicht eingehen. Er hat selbst schon auf die Bedenklichkeit seiner Schätzungsbeträge hingewiesen und gesagt, daß die Steuern im einzelnen so ja gar nicht eingehen werden. Also warum unterhalten wir uns hier dann eigentlich? Wir können ja das Grundziel überhaupt nicht erreichen, wie wir schon sehr bald sehen werden.
Auf der anderen Seite ist auch ein Ausgleich der Einnahmen und der Ausgaben nicht zu erreichen. Sehen wir uns doch nur einmal die Verhältnisse bei der Bundesbahn an! Diese 174 Komma soundsoviel Millionen Einnahmen aus der Bundesbahn stehen doch nun wirklich auf dem Papier! Wir haben sie im vorigen Jahr nicht bekommen und werden sie auch in diesem Jahr nicht bekommen. Wie kann man also von einem Ausgleich des Voranschlags sprechen, wenn solche Lücken klaffen!
Ich muß aber weiter hervorheben, daß die Politik des Herrn Finanzministers auf Kredit aufgebaut ist. Wer seine Sache auf Pump aufbaut, kann von vornherein sicher sein, daß er nicht zum Ziel kommt.
— Warten wir es doch einmal ab! — Er hat zunächst 409 Millionen in den außerordentlichen Etat als Einnahmen eingestellt. Ja, er weiß doch ganz genau, daß er das Geld gar nicht bekommt, obwohl er es so hinstellt, als ob die Aussichten günstig seien. In der heutigen Zeit, in der Mindestreserve und Diskontsatz erhöht werden, ist doch gar nicht damit zu rechnen, daß er diese Beträge überhaupt hereinbekommt.
Weiterhin hat er 300 Millionen DM aus dem außerordentlichen Etat herausgenommen, um damit die Lücke im ordentlichen Etat zu stopfen. Das ist ein ganz grober finanzpolitischer Fehler. Finanzpolitik kann man nicht so machen, daß man aus dem außerordentlichen Etat geliehene Mittel nimmt, um damit Fehlbeträge im ordentlichen Etat zu decken. Darüber hinaus hat er das Kreditplafond von 1,5 Milliarden auf 2 Milliarden erhöhen lassen. Auch hier muß ich die Frage stellen: wo will er denn diese Summen hernehmen, wenn unsere Wirtschaft so schlecht dasteht, wie es hier wiederholt geschildert worden ist, wenn sie keine Überschüsse abwirft und keine Bildung von Sparkapital ermöglicht! Außerdem ist noch ein Fehlbetrag vom vorigen Jahr in Höhe von 246,5 Millionen DM vorhanden. Der soll nun zum Teil, mit 183,5 Millionen, den Ländern zugewiesen werden. Der eine schiebt es auf den andern, der eine pumpt beim andern, und der eine sagt: der andere muß für meine Schulden eintreten!
Dasselbe gilt für die Interessenquote. Glauben wir doch nur nicht, damit, daß die Länder eine Verpflichtung über eine Interessenquote von 1,1 Milliarden eingehen sollen und eingegangen sind, seien die Schwierigkeiten, die sich aus Art. 106 ergeben, beseitigt, wonach die Länder schließlich für die Schulden des Bundes mit einstehen müssen! Alle diese Dinge sind tief betrüblich.
Vor allen Dingen aber dürfen wir doch nicht vergessen, daß der Bund nun schon weitgehend verschuldet ist. Der Bund hat schon eine Verschuldung von 6 Milliarden, die er zum großen Teil verzinsen muß, wenn auch nur mit 3%. Nun pumpen wir weiter und wissen gar nicht, wohin die Dinge führen. Ich habe die Überzeugung, daß mit dieser Kreditschöpfung unter den allerungünstigsten Verhältnissen allmählich das herbeigeführt wird, was der Herr Finanzminister mit Recht vermeiden will: die Inflation. Auf dem Wege dieser Kreditbeschaffung, wie ich es hier kurz skizziert habe, führt er notwendigerweise die Inflation herbei.
— Das ist kein Unsinn, sondern das ist völlig richtig. Das kann nur jemand für Unsinn erklären, der von finanzpolitischen Dingen nichts versteht.
Ganz in der Schwebe gelassen hat man die Fragen der Wohnungsbeschaffung und der Arbeitsbeschaffung. Es ist doch nicht zu leugnen, daß diese ganzen Maßnahmen, eben weil sie übersteigert und auf Kredit aufgebaut waren, heute stocken. Die Bauten können nicht durchgeführt werden bzw. wenn sie durchgeführt werden, werden die Mieten unter den obwaltenden Zinsverhältnissen so teuer, daß sie überhaupt nicht aufzubringen sind.
Also auch hier wieder eine vollständige Fehllertung von Maßnahmen und Mitteln.
Nun wird immer wieder damit operiert, 90% aller Ausgaben seien zwangsbedingt. Ich gebe das für die Besatzungskosten zu, ich gebe es bis zu einem gewissen Grade auch zu für die Aufwendungen zur sozialen Betreuung unseres Volkes. Aber ich bin nicht überzeugt, daß diese grundsätzlich notwendigen Maßnahmen so einfach gehandhabt werden, wie es in unserer Lage geboten ist, und ich bezweifle, daß diese hohen Summen wirklich benötigt werden. Man wird sich im Haushaltsausschuß die Dinge noch sehr genau darauf ansehen müssen, ob nicht tatsächlich noch Abstriche möglich sind. So jedenfalls kann der Etat nicht ausgeglichen werden.
Eine weitere Frage ist die: was kostet die Verwaltung? Die Regierung sagt: sie kostet 442,5 Millionen, das sind nur 3,4 % der reinen Ausgaben, und für Gehälter sind nur 277 Millionen nötig. Das ist gewiß, objektiv betrachtet und in Vergleich gesetzt zu der Gesamtsumme des Etats, nicht sehr viel. Aber es sind immerhin gewaltige Beträge. Sieht man sich die Einzelpläne und vor allen Dingen die Organisations- und Stellenpläne im Etat an, so wird man feststellen, daß die Referate sich vielfach überschneiden. Ich habe die feste Überzeugung, daß, wenn diese Referate einmal im einzelnen geprüft werden, wir dort auf dem Gebiet des Übersetzungswesens, des Rechtswesens und des Personalwesens eine Menge Überschneidungen finden. Die einzelnen Ministerien sind so aufgebaut, daß sie beinahe in sich eine Gesamtregierung bilden, daß nicht bei dem Justizministerium etwa das Rechtswesen liegt, sondern auch im Finanzministerium sind Abteilungen, die sich wieder mit Rechtsdingen beschäftigen. Und so geht es weiter durch alle Ministerien hindurch. Wir müssen vor allem diese Doppelarbeit vermeiden, und es muß gesehen werden, daß wir auch von den 277 Millionen im Wege der Einsparung noch mancherlei Erleichterung schaffen.
Dann bin ich der Meinung, daß unbedingt eine Besoldungsordnung kommen muß, denn die Besoldungsverhältnisse sind bei den Beamten und Angestellten dermaßen angreifbar und dermaßen schlecht, daß hier generell eine neue Ordnung geschaffen werden muß. Wir haben vielzuviel Gruppen in den einzelnen Besoldungsordnungen, vielzuviel Gruppen in der TOA, das Besoldungsschema muß überall vereinfacht werden und muß natürlich auch in dem Sinne dadurch eine gewisse Ersparnis erzielen.
Im übrigen ist es bedauerlich, daß die Regierung schon wieder mit einer Steuervorlage kommt, nämlich mit der Autobahnbenutzungsabgabe und der Erhöhung der Benzinabgabe. Meine Damen und Herren, es ist wahrhaftig kein Kunststück, eine
Finanzpolitik zu treiben, wenn man dann immer mit neuen Steuern kommt, sobald es irgendwo fehlt.
Das ist eine so einfache Sache, daß man wirklich allmählich von dieser Methode abrücken sollte. Wir können der deutschen Wirtschaft keine Steuern mehr zumuten. Wenn man gestern gesagt hat, das betrifft ja die Wohlhabenden — meine Damen und Herren, das mag in gewissem Sinn zutreffen; denn wer ein Auto hat und Benzin braucht und die Autobahn benutzt, der gehört ja wohl zu den Wohlhabenden.
Aber wir müssen auf der anderen Seite doch auch wissen, daß diese Belastung nicht ins Aschgraue gehen kann und schließlich auf die breite Verbrauchermasse abgewälzt wird.
Ich bin der Meinung, die Regierung muß ohne Steuervorlage auskommen.
Wir müssen im Haushaltsausschuß versuchen, nun wirklich eine Ersparnis von Mitteln herbeizuführen. Es ist heute schon wieder hier wie vor ein paar Tagen vom Sparkommissar geredet worden. Der Herr Schoettle hat heute morgen vom Rechnungshof gesprochen. Wir rufen alle möglichen Geister herbei, die uns den Finanzausgleich herbeiführen und uns aus unserer Misere befreien sollen, anstatt daß wir es selbst machen! Der Haushaltsausschuß und hier die hohen Herren, die zum Hohen Haus gehören, sollen selbst mitarbeiten und sollen selbst versuchen, das zu machen. Was brauchen wir immer wieder nach den Methoden der vergangenen Zeit zu handeln zu suchen? Wir suchen einen Autokraten, wir suchen einen Despoten, der uns das macht, ob er nun Sparkommissar heißt oder Rechnungshof, anstatt daß wir hier in demokratischer Weise unter dem Einsatz derjenigen, die etwas von den Dingen verstehen, nun wirklich auch den Etat ausgleichen und die Ausgaben senken.
Ich bin der Meinung, wir müssen vor allen Dingen dafür sorgen, daß der übersetzte Beamtenapparat, den wir nun mal haben, abgebaut wird. Wenn Sie irgendwo in den Voranschlag des Bundes hineinsehen oder wenn Sie die Voranschläge der Länder und auch die Voranschläge der Gemeinden sehen — überall haben wir diese unglaubliche Übersetzung des Behörden- und Beamtenapparates. Wenn wir hier nicht eingreifen und wenn wir hier nicht den Mut haben, die Aufgaben der öffentlichen Hand zu senken und damit auch die Ausgaben zu senken, dann werden wir nie Ordnung in unseren Haushalt bekommen. Dann werden wir uns immer wieder mit Recht von der Öffentlichkeit den Vorwurf machen lassen müssen: Ihr könnt ja weiter nichts als Steuern erheben und Kredite aufnehmen!
— Das andere machen wir später.
Ich stelle mit Freude fest, daß der Herr Abgeordnete Dr. Leuchtgens sich genau an seine Redezeit gehalten hat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Paul.
Meine Damen und Herren! Der vorliegende Etat ist von der Politik der Bundesregierung nicht zu trennen. Mein Parteifreund Reimann
machte zu der Erklärung der Bundesregierung darauf aufmerksam,
daß diese Regierung in kolonialer Abhängigkeit zu den Gründern dieses westdeutschen Staates steht. Der vorliegende Etat drückt diese Abhängigkeit und die Zielsetzung der Auftraggeber dieser Regierung mit aller Deutlichkeit aus. Im Haushaltsplan gibt es einen entscheidenden Posten, der nach der Meinung des Kollegen Schoettle nicht zu ändern ist, nämlich der Posten der Besatzungskosten. 4,6 Milliarden müssen für die Unterhaltung der Okkupationsmächte im Bundesgebiet bereitgestellt werden.
In den Zeitungen — und in denen der letzten Tage in steigendem Maße — können Sie lesen, wie willkürlich diese Mittel verwandt werden. Die CDU hat ja in einer Anfrage ebenfalls auf diesen wunden Punkt in der Frage der Besatzungskosten hingewiesen.
Es ist mittlerweile allgemein bekannt, nur die Bundesregierung schweigt sich darüber aus, daß große Mittel für Luxusausgaben der Besatzungstruppen verausgabt wurden. Die Bundesregierung schweigt dazu und hat es bisher unterlassen, dem Bundestag eine genaue Aufgliederung der Besatzungskosten zu unterbreiten. Werden die Besatzungskosten geringer werden?
Wir hatten vor 2 Tagen hier die außenpolitische Debatte. In dieser Debatte kam ganz deutlich zum Ausdruck, daß die Bundesregierung mit der konstruktiven Opposition des Herrn Dr. Schumacher eine Verstärkung der Besatzungstruppen verlangt. Man spricht von einer Erhöhung der Stärke der Besatzungstruppen von 5 auf 14 Divisionen. Das wird bedeuten, daß die deutsche Bevölkerung 8 bis 9 Milliarden Mark allein für die Besatzungstruppen aufzubringen haben wird. Diese Tatsache können Sie nicht aus der Welt schaffen.
Heute bringt die Zeitung „Der Mittag" eine wichtige Meldung, die auf den vorliegenden Etat einen großen Einfluß haben wird. Es ist eine Meldung der amerikanischen Presseagentur UP. Dort wird gesagt:
„Von gut informierter alliierter Seite verlautet, daß der deutsche Beitrag für die alliierten Truppen zur Verteidigung Europas sich Ende November auf über die Hälfte des gesamten deutschen Bundeshaushalts belaufen werde. Deutschland wird der Tatsache Rechnung tragen müssen, daß Verteidigung eine kostspielige Angelegenheit ist. Es dürften sich etwa 2,5 Milliarden Mark an zusätzlichen Kosten für die letzten 5 Monate des Rechnungsjahres 1950/51 ergeben, so daß die Besatzungs- bzw. Sicherheitskosten 7 Milliarden Mark betragen werden."
Das ist eine Meldung des heutigen Tages. Der Herr Finanzminister hat gestern bereits darauf hingewiesen, daß Nachtragsforderungen der Okkupationsmächte zu erwarten seien. Jetzt hören wir, in welcher Höhe sie für das laufende Rechnungsjahr bereits angefordert werden. In Anbetracht solcher Tatsachen gibt sich der Finanzminister einer trügerischen Hoffnung hin, wenn er glaubt, seinen Haushalt ausgleichen zu können. Er glaubt aber im Innersten selbst nicht daran. Man setzt jedoch die Politik des Rufens nach der Verstärkung der Okkupationstruppen fort, weil man sich der politischen Konzeption des amerikanischen Imperialismus untergeordnet hat, die unser Volk so teuer zu bezahlen hat.
In den nächsten Jahren und schon im kommenden Jahr werden weitere zusätzliche Ausgaben hinzukommen. Ich denke hier an die Auswirkungen der New Yorker Beschlüsse und Anweisungen für die Verstärkung der Polizeitruppen. Diese Summen wurden gestern nicht genannt, die für die Verstärkung der Polizeitruppen — die tatsächlich militärischen Verbänden gleichkommen — benötigt werden.
Ich weise weiter darauf hin, daß im Haushaltsausschuß vor einigen Tagen eine Vorwegbewilligung für die Verstärkung des sogenannten Zollschutzes verlangt wurde. Im Raume Bonn soll ein Ausbildungslager für Zöllner mit einer ständigen Bereitschaft von 1000 Mann des Zollschutzes eingerichtet werden. Auch diese Summen werden dem deutschen Volke nicht in ihrer ganzen Größe bekanntgegeben.
Manche Politiker dieses Hauses geben sich einer trügerischen Hoffnung hin, wenn sie meinen, nicht wir würden die ungeheuren Beträge für Militärausgaben zu zahlen haben. Ich mache aufmerksam auf die widersprechenden Äußerungen in den Pressebesprechungen des Bundeskanzlers und des Herrn Dr. Schumacher. Herr Dr. Adenauer sagte ganz deutlich: Jawohl, wir werden einen Teil dieser Dinge zu tragen haben; während der Herr Schumacher sagte: Die anderen sollen zahlen. Aber der Hohe britische Kommissar und auch der amerikanische Kommissar sagen ganz deutlich: Wenn die westdeutschen Politiker eine Verstärkung der Besatzungstruppen verlangen, dann müssen sie zahlen, und wenn sie wollen, daß wieder eine Wehrmacht aufgerichtet wird, dann sollen sie auch zahlen. — Ja, wir sollen zahlen, sollen Soldaten stellen für die amerikanischen Interessen, für die amerikanische Kriegsvorbereitung auf deutschem Boden. Das ist der Wille der Auftraggeber und der politischen Diktatoren auf dem Petersberg für diesen westdeutschen Staat.
Wenn die Bundesregierung eine Politik des Friedens betreiben würde, wenn die Politik der Bundesregierung ausgerichtet wäre auf einen echten Willen zur Verständigung mit den deutschen Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik, mit den Völkern des Ostens, mit den Völkern der Sowjetunion.
dann würden dem deutschen Volk diese ungeheuren amerikanischen Belastungen erspart. Aber die Politik der Bundesregierung unterliegt den amerikanischen Anweisungen. Die Bundesregierung betreibt eine Politik im Interesse auch des deutschen Finanzkapitals in der Richtung auf die Vorbereitung eines neuen Krieges.
Wenn man den Ratschlägen und Vorschlägen, die auf der Prager Außenministerkonferenz der Oststaaten gemacht wurden, folgen würde, dann gäbe es sehr wohl eine Möglichkeit, die internationalen Spannungen beizulegen und zu beseitigen. Damit würde dem deutschen Volk ein großer Dienst erwiesen. Ihm würde nämlich erspart, daß Deutschland bei diesen Auseinandersetzungen zu einem Operationsgebiet und zu einem neuen Schlachtfeld würde. Deshalb muß die Bundesregierung, wenn sie behauptet, im Interesse des deutschen Volkes zu handeln, mit ihrer bisherigen Politik brechen und eine Politik betreiben, die auf die deutschen Interessen und auf die wahre Sicherung des Friedens ausgerichtet ist. Das bedeutet aber Einstellung der Hetze gegen die Völker des Ostens, das bedeutet, sich mit den Vertretern der Deutschen Demokratischen Republik zusammenzufinden, um einen Weg zu beraten, der aus dem nationalen Notstand, in dem sich unser Volk und Land befindet, herausführt. Ich gebe mich allerdings nicht der trügerischen Hoffnung hin, daß diese Regierung, eben weil sie sich in den Fängen der Amerikaner befindet.
Schluß machen wird mit einer Politik, die mit den Londoner Empfehlungen eingeleitet wurde, über den Atlantikpakt und Europarat bis zum SchumanPlan ging und jetzt bis zur Wiederaufrüstung Westdeutschlands im Interesse ausländischer und deutscher Finanzkapitalisten führt.
Dieser amerikanischen Konzeption gemäß ist auch die Wirtschaftspolitik der Regierung.
Man hat die sogenannte Liberalisierung eingeführt. Von dem Vertreter der Deutschen Partei wurde hier gesagt, man habe die Liberalisierung von seiten der Bundesregierung weit vorgetragen. Diese Politik hat zur Schädigung der deutschen Wirtschaft und unserer Landwirtschaft geführt. Kein geringerer als Dr. Adenauer selbst hat einmal erklärt: Wir müssen leider einen Teil unserer Landwirtschaft in diesem Ringen opfern. Das ist die Auswirkung einer solchen politisch falschen, den deutschen Interessen widersprechenden Konzeption. Und jetzt steuert alles auf die Kriegswirtschaft hin. Was ist denn das Engpaßprogramm des Herrn Professor Dr. Erhard? Das ist ebenfalls ein Ausfluß der amerikanischen Kriegführung in Korea und der Vorbereitung des amerikanischen Krieges in Europa gegen die friedliebenden Völker des Ostens.
Jetzt wird die westdeutsche Wirtschaft in diesen Plan eingegliedert.
Man redete gestern davon, daß die Arbeitslosigkeit so weit zurückgegangen sei.
Machen Sie sich doch nicht selbst etwas vor! Wenn wir nicht das Land mit den Zubringerindustrien für die Atlantikpakt-Rüstung wären, dann hätten wir heute eine tiefe Wirtschaftskrise, nicht nur in Westdeutschland, sondern in allen kapitalistischen Ländern. Nur durch die wahnsinnige Rüstungspolitik hat man bisher Auswirkungen der kapitalistisch-anarchistischen Wirtschaftsweise in Art der Krise verhindern können.
Lesen Sie einmal aufmerksam bürgerliche Zeitungen:
sie sprechen jetzt schon davon, daß in Amerika die kommende Inflation gefürchtet wird. Was bedeuten denn laufende Preissteigerungen und laufende Steigerungen der Lebenshaltungskosten? Ist das nicht eine Tendenz der Inflation, der Entwertung des Geldes?
Wollen Sie uns und der Bevölkerung begreiflich machen, daß der 100-Mark-Schein, den der einzelne Mensch verdient, noch immer den gleichen Wert hat wie vor einem Jahr?
— Das können Sie doch keinem weismachen. Tatsache ist, daß die Preise gewaltig angezogen haben. Der Vertreter der Deutschen Partei hat die Preise für einige der wichtigsten Rohstoffe genannt.
Das wirkt sich jetzt schon auch auf die westdeutsche Wirtschaft aus. Die Hortungskäufe, die strategischen Käufe nehmen zu. Dadurch erschwert sich die wirtschaftliche Lage in Westdeutschland. Dadurch treten in einer Reihe von Betrieben bereits Produktionsschwierigkeiten auf.
— Die werden wieder beseitigt, sagen Sie.
Ich sage Ihnen, diese Schwierigkeiten werden zunehmen. Auch auf dem Kohlenmarkt werden sie nicht beseitigt werden. Wenn Sie glauben, durch ein Abkommen, das angeblich mit dem Industrieverband Bergbau geschlossen sein soll, die Schwierigkeiten im Bergbau aus dem Wege geräumt zu haben, dann irren Sie sich gewaltig. Die Bergarbeiter erheben mit Recht neue Lohnforderungen. Die Bergarbeiter sind zu dem Abkommen noch nicht gefragt worden. Das letzte Wort ist darüber noch nicht gesprochen.
Die Wirtschaftspolitik des Herrn Dr. Erhard hat nicht zu dem geführt, was man auf den Wahlplakaten der CDU gesehen hat: Hausfrauen mit vollen Lebensmitteltaschen, sondern sie hat dazu geführt, daß die Leute weniger für ihr Geld bekommen als vor Jahresfrist.
Das sind die Auswirkungen dieser Politik. Wollen Sie vielleicht sagen, daß die wirtschaftliche Lage in den letzten Monaten günstiger geworden sei? Sie ist keineswegs günstiger geworden. Das Steueraufkommen, das wurde bereits gesagt, ist zurückgegangen. Und nicht nur das. Die Spareinlagen haben sich ebenfalls gewaltig verringert.
Ich habe hier den Monatsbericht der Bank Deutscher Länder. Dort wird folgendes gesagt:
Typisch für die durch die Korea-Krise ausgelöste Nervosität ist die Entwicklung der Spareinlagen bei den Kreditinstituten. Die Einzahlungsüberschüsse, die seit Beginn des Jahres immer über 100 Millionen DM lagen, sind im Juli auf knapp 23 Millionen DM zurückgegangen, und man muß damit rechnen, daß sie noch weiter sinken.
Das ist aus dem Bericht der Bank deutscher Länder entnommen, und sie wird ja Überschätzungen vermeiden, wird ihren Bericht wohl auf ganz konkrete Unterlagen stützen.
Wohin hat die Wirtschafts- und Steuerpolitik dieser Regierung geführt? Gestern wurde vom Finanzminister und heute von einigen anderen Herren gesagt: Ja, wir werden vielleicht das Einkommensteuergesetz in dieser oder jener Richtung ändern und andere Maßnahmen treffen müssen. Als wir bei der Behandlung des Einkommensteuergesetzes darauf aufmerksam machten, daß den Großkapitalisten ein Milliardengeschenk gemacht würde, daß man dadurch nicht eine Erhöhung der Steuereinnahmen erreichen würde, hat man das bestritten. Und wie ist die Entwicklung der Situation seit diesem Tage vor sich gegangen? Tatsache ist, daß die Kapitalbildung gewaltige Formen angenommen hat. Tatsache ist weiter, daß gewaltige Steuerhinterziehungen durch Abschreibungen und solche unkontrollierbaren Investitionen vor sich gehen. Nach den Berichten der Gewerkschaften sind im zweiten Jahre nach der Währungsreform rund 16,6 Milliarden DM in der Wirtschaft investiert worden. Hinzu kommen die 10 Milliarden DM aus den Hortungsgewinnen. Das sind rund 26,6 Milliarden DM. Wir erleben jetzt, daß die großen Konzerne — ich denke hier nur an die Stahlwerke des Klöckner-Konzerns, ich denke an die Opelwerke — ihre Aktien im Verhältnis 1 : 1 umgestellt haben. Aber was hat man denn für den kleinen Mann getan? Für die kleinen Leute wurde nichts getan. Ihre Spargroschen gingen restlos vor die Hunde, aber die Aktienbesitzer erhalten ihre volle Umstellung. Hat die Regierung hier eingegriffen?
Hat sie hier versucht, die Gewinne abzuschöpfen? Keineswegs! Man hat heute sogar gesagt, dieser Weg müsse weiter gegangen werden. Ja, wenn man diesen Weg der Begünstigung der Konzerne und der Begünstigung solcher ausländischer Finanzkapitalisten, die ihr Geld in den Opel-Werken stecken haben, geht, dann muß eben die breite Masse ,des schaffenden Volkes bluten und zahlen. Das ist die Devise dieser Regierung.
Wie sieht es denn aus auf dem Gebiete der Handelspolitik?
— Ausgezeichnet sagen Sie? Hören Sie den Bericht, ebenfalls amtlicher Stellen. Tatsache ist, daß der Saldo der Ausfuhr nach wie vor passiv ist. Tatsache ist, daß wir keine ausgeglichene Ein- und Ausfuhr haben.
— Sie sagen, wir bekommen sie bis Weihnachten. Das klingt beinahe, als ob der Weihnachtsmann uns diesen Ausgleich bescheren würde. Sie können aber selbst nicht bestreiten, daß es ein Minus in der Ein- und Ausfuhr zu Lasten der Bundesrepublik gibt. Wie sieht es aus mit der Ausfuhr deutscher Waren nach den USA? Hören Sie den Bericht.
Es wird hier gesagt, daß die Ausfuhr nach den USA z. B. im August 29,6 Millionen betrug, daß aber die Ausfuhr aus den USA nach Westdeutschland 233,3 Millionen DM betrug. Jetzt wollen Sie sagen, daß der Marshallplan eine Hilfe für das deutsche Volk bedeutet? Er bringt eine weitere Verschuldung der deutschen Wirtschaft und des deutschen Volkes. Demgegenüber wird der Handel mit den östlichen Völkern, mit der großen Sowjetunion, mit Polen, der Tschechoslowakei, mit China und mit der
Deutschen Demokratischen Republik planmäßig sabotiert. Jedem Wink der Hohen Kommissare wird Rechnung getragen. Erst vor einigen Wochen ordneten die Kommissare an, die Ausfuhr von Maschinen in die östlichen Länder einzustellen, und prompt wurde dem gefolgt. Ich denke an den Skandal um das Stahlembargo, um das Kohlenembargo usw., ich denke an die Sabotage bei den Verhandlungen zwischen den Vertretern des Wirtschaftsministeriums hier in der Bundesrepublik und den Vertretern der Deutschen Demokratischen Republik. Was hat man nicht für Schwierigkeiten gemacht, und zwar mit der Absicht, das interzonale Handelsabkommen hinauszuzögern und nach Möglichkeit stillzulegen und zu torpedieren.
Ja, wenn man eine solche Handelspolitik betreibt, dann gerät man immer mehr und immer mehr in Abhängikeit von kapitalistischen Märkten und von den USA-Kapitalisten. Wir sind der Meinung, daß diese Handelspolitik, die betrieben wird, nicht im Interesse des deutschen Volkes liegt. Die natürlichen Abnehmer der deutschen Friedenswirtschaft waren und sind die Völker des Balkans und der Ostländer. Das ließe sich an Hand von Dutzenden von Statistiken aus ,der Vergangenheit nachweisen. Wenn man diesen Kurs nicht ändert, wird es in der Wirtschaft nicht besser werden. Unsere Wirtschaft wird dann durch Marshallplan und Schumanplan an die imperialistischen Kriegstreiber weiter ausgeliefert werden. Die Beschlüsse von New York sagen ja mit aller Deutlichkeit, die Aufhebung der Begrenzung der Stahlquote bezieht sich nur auf Lieferungen für die Aufrüstung. Für den friedlichen Bedarf, für die friedliche Wirtschaft werden die Stahlquoten nicht freigegeben.
Betrachten wir die Steuerpolitik, die ich bereits ansprach. Was hat man getan? Hat die Regierung gemäß den Beschlüssen .des Bundestages gehandelt? Sie hat keineswegs danach gehandelt, sondern sie hat entgegen den Beschlüssen des Bundestages gehandelt. Der Kollege Schoettle hat heute morgen bereits darauf hingewiesen, wie es in der Brotpreisfrage war. Ich habe hier die Drucksache Nr. 964, den am 2. Juni 1950 auf Grund eines Berichts des Ausschusses gefaßten Beschluß. In dem Beschluß, der von der CDU bis zu den Kommunisten einstimmig angenommen wurde, heißt es:
Die Bundesregierung wird daher ersucht,
den gesetzgebenden Körperschaften bis zum 1. Juli 1950 Gesetzentwürfe über eine ausreichende Senkung der Tabak-, Kaffee- und Teesteuer vorzulegen.
Das hat sie nicht getan; im Gegenteil. Gestern hat sich der Bundesfinanzminister erneut für die hohen Umsatzsteuern eingesetzt, und neue Steuern sind angekündigt. Wir können jetzt schon sagen, daß wir mit der gesamten Bevölkerung diesen Kurs bekämpfen werden. Die Benzinsteuer und die Autobahnabgabe wird doch wieder auf die Verbraucher abgewälzt. Es glaubt doch kein Mensch daran, daß die Transportunternehmen die Last allein tragen werden; sie werden sie durch Erhöhung der Transportkosten auf die Verbraucher abwälzen.
Einige Worte zum Notopfer Berlin. Heute sind soviel starke Worte und angeblich auch warme Worte für West-Berlin gesprochen worden.
Wir haben auf das Problem Berlin schon mehrfach
hingewiesen. Es kommt nicht darauf an, den amerikanischen Kriegsfonds in Berlin zu erhöhen — damit ist der Berliner Bevölkerung keineswegs ge-
dient —, sondern es kommt darauf an, eine solche Politik zu treiben, daß die Spaltung Berlins und die Spaltung Deutschlands aufgehoben wird. Dann wird die Berliner Wirtschaft auch in den Westsektoren neue Möglichkeiten der Existenz haben, 300 000 Arbeitslose werden Arbeit und Brot finden und brauchen nicht aus der Kriegskasse der Bundesrepublik bezahlt zu werden.
Wir stellen die Frage: Wie können wir aus dieser Gesamtsituation herauskommen? Trotz aller Außerungen des Finanzministers wird der Haushalt am Ende des Jahres ein großes Defizit aufweisen. Wir werden uns auch später noch einmal über die Frage des Wohnungsbaues und über andere Probleme unterhalten. Ich möchte Sie nur kurz auf den Etat für Besatzungskosten verweisen. Darin wird ausgesagt, daß rund 414 Millionen DM für Neubauten der Besatzung ausgegeben werden müssen, während wir in unserem Etat nur 365 Millionen DM für den sozialen Wohnungsbau unserer Bevölkerung haben. Ich möchte Sie weiter darauf hinweisen, daß in diesem Etat Besatzungskosten über 800 Millionen DM für die Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen, für die Wohnungen und die Unterkünfte der Besatzungstruppen vorhanden sind. Diese Kosten sind wesentlich überhöht.
Das sind Zahlen, die im Etat stehen.
Wir können eine solche Politik nicht mitmachen. Es gibt einen Weg aus dieser Situation. Die Finnanzkalamität des Bundes ist nur ein Teil der gesamtdeutschen Notlage, ist ein Teil des nationalen Notstandes unseres Volkes. Es gibt einen Weg: alle Männer und Frauen, die das deutsche Volk und den Frieden lieben, müssen sich zusammenfinden und den Kampf für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, für die Erreichung der vollen Souveränität und der vollen Freiheit unserer Wirtschaft verstärkt aufnehmen.
Sie müssen für den Abschluß eines Friedensvertrages und den Abzug der Besatzungstruppen aus Deutschland eintreten,
damit Deutschland nicht ein internationales Spannungsfeld bleibt und ein Schlachtfeld wird, sondern damit Deutschland ein friedliebendes Land wird, in dem seine Bevölkerung darangeht, aus eigener Kraft durch friedliche Zusammenarbeit mit anderen Völkern sich ein neues, besseres Leben aufzubauen.
Das Wort hat der Abgeordnete Willy Brandt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte in Ergänzung dessen, was mein Fraktionskollege Schoettle heute morgen gesagt hat, als Auffassung meiner politischen Freunde zum Ausdruck bringen, daß das Bekenntnis des Herrn Bundesfinanzministers zu Berlin unsere volle Zustimmung gefunden hat. Ich möchte im Namen der sozialdemokratischen Abgeordneten aus Berlin — und ich darf vielleicht sagen: trotz eines angelaufenen Wahlkampfes in Berlin — an dieser Stelle erklären, daß wir die Maßnahmen der Bundesregierung für Berlin ausdrücklich anerkennen.
Ich möchte hinzufügen, daß wir die Gelegenheit dieser Debatte nicht vorbeigehen lassen möchten, ohne den deutschen Mitbürgern in allen Teilen der Bundesrepublik für die Opfer zu danken, die sie im Laufe dieser Zeit für Berlin aufgebracht haben und weiter aufbringen.
Meine Damen und Herren, um so mehr bedauern wir die — ich darf wohl so sagen — Entgleisung des Herrn Bundeskanzlers am Schluß der vorgestrigen Debatte. Seine Schlußbemerkung konnte nur so aufgefaßt werden, als sollte über den Rundfunk der Eindruck erweckt werden: allein die Politik der Regierungskoalition biete die Gewähr dafür, daß Berlin und die Sowjetzone nicht im Stich gelassen und wiedergewonnen werden. Dieser Beitrag zum Berliner Wahlkampf kann in der Sowjetzone nur Verwirrung hervorrufen. In Berlin wird er wegen des Mangels an innerer Wahrhaftigkeit auf weitgehende Ablehnung stoßen.
Ich bedaure sehr, daß das hier gesagt werden mußte. Aber es mußte gesagt werden.
— Es muß auch gesagt werden, sehr geehrter Herr Kollege, daß übereifrige Verfechter der Koalition damit hausieren gehen, Berlin könne erst dann ausreichende Hilfe erwarten, wenn es nicht mehr von Sozialdemokraten regiert werde.
Zur Ehre des Herrn Finanzministers und des Vorsitzenden der Fraktion der CDU/CSU, Herrn von Brentano, möchte ich ausdrücklich feststellen, daß sie beide von solcher Agitation Abstand genommen haben. Es kann doch wohl nichts anderes als eine Beleidigung der Bundesregierung sein, wenn Parteigänger den Eindruck hervorrufen, die Bonner Politik gegenüber Berlin sei nicht durch nationalpolitische, sondern durch parteipolitische Gesichtspunkte bestimmt.
Die Berliner Körperschaften — und das gilt für die demokratischen Parteien in ihrer Gesamtheit — sind entschlossen, alle Konsequenzen zu übernehmen, die sich daraus ergeben, daß Berlin nach deutscher Auffassung und nach dem Text des Grundgesetzes Gliedstaat der Bundesrepublik Deutschland ist. Wir bemühen uns um eine fortlaufende Rechtsangleichung. Wir beanspruchen aber auch — das sage ich in aller Bescheidenheit, aber mit aller Bestimmtheit — den Status und die Achtung, die sich aus Buchstaben und Geist. der Verfassung für das Verhältnis zwischen Bund und Ländern ergeben. Wir haben mit Befremden festgestellt, daß von Vertretern der Bundesregierung in letzter Zeit zweimal der Versuch unternommen wurde, die autonome Gesetzgebung des Landes Berlin zu beeinflussen.
Es ist nicht der Sinn dieser Debatte, auf einzelne Titel des Haushalts einzugehen. Der Herr Finanzminister hat gestern in seiner Begründung etwas über den Einzelplan XXII gesagt. Ich darf erwähnen, daß die Ausführungen des Herrn Finanzministers zu der Hoffnung berechtigen, daß das Notopfer Berlin nach den bisherigen Sätzen vielleicht statt der veranschlagten 320 Millionen DM 350 Millionen DM oder so etwas ergeben wird, womit sich das erwähnte Loch von 75 Millionen DM auf 45 oder 35 Millionen DM verengern würde. Die 75
Millionen DM waren ja das Argument für die Erhöhung des Notopfers. Es sei hier nicht verhehlt, daß uns in Berlin — und ich glaube, das gilt auch wieder unabhängig von der Parteizugehörigkeit — der Weg der Erhöhung des Notopfers mit einiger Sorge erfüllt hat, weil es sich dabei vielleicht nicht um die geeignetste Methode zur Popularisierung Berlins in der Bundesrepublik handelt.
In einem Ausschuß dieses Hohen Hauses hat ein Mitglied der Bundesregierung neulich erklärt: Den Berlinern kommt es ja nur darauf an, uns Geld abzuknöpfen. Das war eine scherzhafte Bemerkung. Sie bedeutet trotzdem eine völlige Verkennung unserer Bemühungen. Es geht auch nicht, wie der Herr Kollege Seelos in einem Vergleich vorhin gemeint hat, um die Frage Berlin als Notstandsgebiet; es geht einfach darum, daß wir ausreichende und konstruktive Unterstützung brauchen, um unseren Teil des Freiheitskampfes erfolgreich bestehen zu können.
Das gilt nicht nur für Westberlin, Herr Kollege Paul. Auf unserer Seite steht auch die erdrückende Mehrheit der Männer und Frauen des sowjetischen Sektors, die erst vor wenigen Wochen durch das Einsenden von 400 000 Stammabschnitten eindeutig manifestiert haben, wo sie stehen.
Die Spaltung Berlins können Sie jeden Tag aufheben, wenn Sie denen, auf deren Geheiß Sie und Ihre politischen Freunde Reden halten, zu verstehen geben, daß sie freie Wahlen im sowjetischen Sektor Berlins zulassen sollen.
Ich bin mit dem Herrn Kollegen Dr. Krone völlig einer Meinung in der Anerkennung der Fortschritte, die in der letzten Zeit erreicht worden sind. Ich darf nur die Worte Verwaltungsvereinbarung als ersten Schritt zur Eingliederung in das Überleitungsgesetz und Bundesversorgungsgesetz wiederholen. Ich darf erwarten, daß diese Entwicklung fortgeführt wird durch die Einbeziehung auch Berlins in das Gesetz gemäß Art. 131 des Grundgesetzes, durch die Einbeziehung Berlins in den Lastenausgleich der Sozialversicherungsträger, in den allgemeinen Lastenausgleich und in die neu zu errichtende Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Berlin muß gleichberechtigt in alle Organe einbezogen werden, in denen die deutschen Länder vertreten sind.
Zum Schluß darf ich noch auf eine Entschließung dieses Hohen Hauses vom 21. Oktober vergangenen Jahres zurückgreifen. Damals wurde beschlossen, daß die Regierung dem Bundestag vierteljährlich Bericht über die Maßnahmen erstatten sollte, die sie getroffen hat, um Dienststellen und Aufträge nach Berlin zu verlegen. Eine solche Berichterstattung hat leider nicht stattgefunden, und auf beiden Gebieten ist unserer Meinung nach bisher reichlich wenig geschehen. Nun geht es aber gerade bei der Frage der Bundesbehörden weniger um eine Frage der Beschäftigung als um eine solche der Politik.
Ich habe gesagt, nach deutschem Recht ist Berlin Teil der Bundesrepublik. Der alliierte Einspruch gegen die volle Einbeziehung steht der vollen, gleichberechtigten Einbeziehung bisher entgegen. Es ergibt sich die Frage — das darf ich in dieser Debatte den Vertretern der Regierung noch sagen —, was die Regierung bisher im einzelnen getan hat, um den Einspruch der Alliierten gegen Art. 23 des Grundgesetzes aufzulockern und um ihn dann aufheben zu können. Wir haben mehrfach die Antwort bekommen: Ja, die Franzosen und die Engländer wollen keine Änderung! Darf ich darum an dieser Stelle ausdrücklich fragen: Was hat die Bundesregierung getan, um den deutschen Standpunkt, den Standpunkt dieses Hohen Hauses vom 21. Oktober vergangenen Jahres, mit Nachdruck auf dem Petersberg zu vertreten und die alliierte Meinungsbildung zu beeinflussen? Darf ich fragen, bei welchen seiner Besuche auf dem Petersberg in den vergangenen Monaten der Herr Bundeskanzler in Gegenwart der Hohen Kommissare diese Frage angeschnitten hat? Wir anerkennen die Fortschritte, aber Vorgänge wie die Unklarheiten im Zusammenhang mit der Frage der vollberechtigten Einbeziehung Berlins lassen immer wieder den Eindruck aufkommen, daß die BerlinPolitik der Bundesregierung noch weniger zögernd, noch klarer, noch entschlossener sein könnte, damit wir durch eine kühne und weitsichtige Politik, die Berlin nicht nur als Vorposten betrachtet, sondern als Kraftfeld, als einen Angelpunkt des gesamtdeutschen Geschehens, durch das, was in Berlin abgelesen werden kann, unseren Landsleuten in der Zone und dem Ausland dokumentieren können, daß wir es ernst meinen mit dem Ringen um die deutsche Einheit in Freiheit, dessen wichtigster Teil uns erst noch bevorsteht.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der letzten Debatte über die Frage der Remilitarisierung Deutschlands ist auch ein Vertreter zu Worte gekommen, der wohl mehr ausländische Interessen vertritt, nämlich dänische, und der hier über die Offiziere der alten deutschen Reichswehr, also des Heeres des Weimarer Staates, sich Äußerungen erlaubt hat, die nicht unwidersprochen bleiben dürfen.
Er sagte nämlich — —
— Das mache ich, wie ich will. Ich brauche Ihren Auftrag dazu nicht, Herr Mayer!
Er hat diese Männer, die ja letzten Endes im Dienst des Staates ihre Pflicht taten, Reaktionäre genannt, und ich glaube, daß diejenigen, die. heute in kleinlichem Nationalismus machen wie gerade diese dänischen Separatisten oben in Südschleswig, wohl viel eher als Reaktionäre zu bezeichnen wären.
Es wird in diesem Zusammenhang im Hinblick auf die durchaus berechtigten Forderungen der ehemaligen berufsmäßigen Wehrmachtsangehörigen auch sehr leicht ein falscher Eindruck erweckt, und ich glaube, in diesem Punkte dem Kollegen Schoettle widersprechen zu müssen, der heute morgen gesagt hat, daß die Notgemeinschaft so eine Art Gewerkschaft gebildet habe und daß sie mit Forderungen auftrete. Ich meine vielmehr: sie hat ein Recht, ja sie hat sogar eine Pflicht, mit ihren Forderungen zu kommen.
Man darf sich nicht darüber im unklaren sein, daß
von dieser Notgemeinschaft im wesentlichen, nämlich zu 60 %, Unteroffiziere vertreten werden, zu
3686 Deutscher Bundestag - 100, Sitzung Bonn, Freitag, den 10. November 1950
13% Offiziere, zu 8% Wehrmachtsbeamte, und der Rest besteht aus Witwen und Waisen, denen gegenüber selbstverständlich Pflichten bestehen.
Man darf in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, welche großen Opfer im Kriege und in der Nachkriegszeit gerade das Unteroffizierkorps gebracht hat. Denken wir doch daran, daß, wenn auch heute nur einige wenige Namen im deutschen Volke allgemein bekannt sind — die Namen jener militärischen Führer von einst, die in Schauprozessen zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt worden sind —, allein über 200 Unteroffiziere nur deswegen heute hinter Gefängnismauern sitzen, weil sie nichts anderes getan haben als das, was man von jedem Soldaten letzten Endes verlangen kann, nämlich einen Befehl auszuführen, und ich möchte wissen, was mit einem amerikanischen Soldaten passiert wäre, der einen Befehl etwa in Korea nicht ausgeführt hätte mit der Bemerkung: Der widerspricht meinem Gewissen, oder was weiß ich, wem das sonst widersprechen könnte.
Das hätten Sie viel früher rufen müssen! Mit dieser Bemerkung kommen Sie reichlich spät.
Wenn man nun hier vor einigen Tagen so sehr stark die Trommel für die Remilitarisierung rührte, dann darf man eines nicht vergessen, worauf kürzlich auch einmal eine süddeutsche Zeitung hinwies, die nämlich erklärte: Hitler hat zwei Jahre nach Übernahme der Kanzlerschaft die Remilitarisierungstrommel gerührt und mit denselben Bemerkungen für die Remilitarisierung geworben wie heute der Bundeskanzler, nämlich: Si vis pacem, para bellum.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie zur Sache rufen. Wir haben eine Debatte über die Drucksache Nr. 1500.
Ich komme auch gleich noch darauf zu sprechen. —
Diese Einstellung, die ganze Einschätzung, die man bisher diesen Menschen hat zuteil werden lassen, die einstmals ihre Pflicht im Heer getan haben, muß natürlich dazu führen, daß heute in diesen Kreisen kein großes Interesse vorhanden ist, sich für irgendwelche noch nicht ganz definierbaren Pläne zu opfern.
Es wurde auch darauf hingewiesen,
daß man einst einmal diesen Menschen den Vorwurf gemacht hat: Ihr habt eure Pflicht nicht getan, indem ihr das nicht erkannt habt, was ihr hättet erkennen müssen. Man könnte heute daran denken, daß sie vielleicht ihre Pflicht tun sollten.
— Ja, Herr Kollege, das hätte man heute früh sagen können.
— Meine Damen und Herren, das hätten Sie heute früh schon sagen können — nicht gerade mir!
Herr Präsident, —
Ich möchte gegen diese — —
Ich bitte, es mir zu überlassen, in welcher Form ich die Dinge handhabe. Ich habe Sie zur Sache gerufen und bitte, mich nicht in die Lage zu bringen, das ein zweites und drittes Mal tun zu müssen.
Ich möchte dazu folgendes sagen. Alle die Ausgaben, die heute notwendig sind, sollte man sich sehr genau überlegen. Gerade weil hier nämlich — und es hängt schon damit zusammen, meine Damen und Herren — heute von erhöhten Ausgaben für die Besatzungsmächte gesprochen wird, sind wir der Meinung, daß über diese Dinge noch lange nicht geredet werden kann. Das ist noch längst nicht fällig. Vor allem haben wir keine Lust, für hier schmarotzende Frauen und Kinder große Summen aufzubringen, die weiß Gott etwa unseren Vertriebenen oder den Ostbeamten, die noch immer auf die Erfüllung ihrer berechtigten Ansprüche warten,
zugebilligt werden könnten.
- Ich rede, wenn es mir paßt; und da frage ich Sie gar nicht darum.
Darüber hinaus ist hier die Rede davon gewesen,
daß auch die Betreuung der Jugend im Rahmen des Haushaltsplanes eine besondere Berücksichtigung finden müßte. Wir haben schon mehrfach in diesem Hause darauf hingewiesen — allerdings ist davon herzlich wenig Kenntnis genommen worden - und möchten nicht versäumen, das heute noch einmal zu tun.
Man hat im Zusammenhang mit dem Art. 131 des Grundgesetzes einen Teil von Menschen, die unbedingt das Recht, den Rechtsanspruch auf Versorgung haben, nahezu restlos übersehen; und das sind die Angehörigen des Arbeitsdienstes gewesen. Ich glaube, wenn man diese bewährten Männer und Frauen, die einst im Arbeitsdienst gestanden haben, heute wieder mit einer Aufgabe betrauen würde,
nämlich die Jugend lediglich zur Arbeit zu führen und ihr eine entsprechende Erziehung zuteil werden zu lassen,
die sie zur Ordnung führt, dann würden wir der
deutschen Bundesrepublik und dem deutschen
Volke entschieden einen wertvollen Dienst leisten.
Es ist vorhin im Rahmen der Debatte
von Berlin die Rede gewesen. Ich glaube, Herr Kollege Brandt, es dürfte kaum einen Menschen in diesem Hause geben, der sich nicht voll und ganz
zu Berlin bekennt; denn Berlin ist nicht bloß eine Stadt — —
— Ist auch gar nicht notwendig!
Ich möchte nur das eine dazu sagen, Sie dürfen das nicht als Ihr Privileg ansehen, daß etwa nur Sie für Berlin wären; denn wir sehen in Berlin nämlich nicht etwa bloß eine Stadt,
mit der die SPD vielleicht Propaganda machen könnte, sondern wir sehen in Berlin die Vorstadt Europas. Wenn Sie das noch nicht begriffen haben sollten, dann will ich es Ihnen hiermit wenigstens gesagt haben.
Wenn darüber hinaus von der deutschen Einheit die Rede war, — ich glaube, dazu bekennt sich ebenfalls jeder. Nur müßte allerdings die Bundesregierung nun wahrhaftig alles tun, um für das deutsche Volk die Rechte herauszuholen, die letzten Endes; nicht zuletzt auch unter Ausnützung der heutigen Lage, herausgeholt werden könnten, vor allem das Recht, sich nicht in jede innerdeutsche Angelegenheit weiterhin durch die Alliierten hineinreden zu lassen, die nämlich absolut kein Recht dazu haben, unsere inneren Angelegenheiten zu beeinflussen. Die Haager Landkriegsordnung, die sie auch eigentlich achten sollten, wo sie solche Vorkämpfer für die Völkerrechte sind, verbietet ihnen das ausdrücklich. Wir müßten uns mit aller Macht dagegen zur Wehr setzen, weiterhin Befehle des Petersbergs entgegenzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wittmann.
Herr Präsident! Mitglieder des Hohen Hauses!
— Ich danke schön; es ist doch gemütlich und freundlich! Ich werde gleich Anlaß nehmen,
auf das einzugehen, was ich soeben im Herwege, als ich zum Rednerpult ging, hörte: „Wie kommt denn der da her?" — Ich sage darauf nur: Genau so wie Sie, Herr Kollege, der Sie die Frage gestellt haben: durch die Stimmen meiner Wähler! Ansonsten kann ich mich länger äußern, weil ein Ähnliches bereits einmal geschehen ist, und etwa einmal eine persönliche Erklärung abgeben.
Das nebenbei. Es dürfte noch nicht acht Tage sein, da wurde die Anregung laut, die Diskussion etwas lebhafter zu gestalten. Ich glaube, sie ist in den letzten Tagen lebhaft genug geworden, heute vormittag auch im Innern des Hauses so lebhaft, daß der Herr Präsident sich veranlaßt sah, das Glockenzeichen zu geben mit der Bemerkung: „Ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit". Ein Zwischenrufer — es würde mich interessieren; wir werden es dann erfahren, ob es bis vorne gehört wurde — antwortete darauf: „Na, Junge, was heißt Aufmerksamkeit? Die Ruhe im Hause bestimmen
wir!" — Das nebenbei zur Diskussion, ohne irgendein Werturteil abzugeben.
Da diese Worte „zum Haushalt" wieder fallen, werde ich mich nicht von meinem Thema abhalten lassen und hinzufügen: Es haben heute sehr viele zum Haushalt in engerer und weiterer Beziehung gesprochen. Es ist von dem und jenem berichtet worden, was in das Thema eigentlich nicht hineingehörte. Ich danke für die Bemerkung und halte mich nun an den Haushalt.
Der Haushaltsplan, der uns heuer vorgelegt wurde,
— na also: der heurige, welcher nach der gestrigen Vorlage heute diskutiert wurde, wird nicht allein die Rettung bringen.
Es ist nicht so, wie in den letzten Wochen oftmals verlautbart wurde, von den einen: der Westen müßte dem Osten den „Geist" entgegensetzen, und von den anderen: die „finanziellen Kräfte". Es braucht auch schon etwas mehr dazu.
Ich will nicht der Regierung in allem voll und ganz rechtgeben. Ich glaube aber, daß Sie ebenso wie die Regierungsparteien mir nicht gar böse sind, wenn ich hier in der Diskussion Ihnen etwas abnehme,
und zwar zu dem, was der Herr Kollege Paul gesagt hat.
Es ist die Gefahr aus dem Osten, von der jetzt alle Welt spricht. Diese Gefahr aus dem Osten, mag man sie so oder so nennen — —
- Nun, Herr Zwischenrufer, da Sie nun noch einmal reden „zum Haushalt": Bringen Sie den goldigsten Haushaltsplan ein! Wenn Sie dem einen durch Zwischenrufe oder durch Machinationen verbieten, seine Gedanken in der erweiterten Form vorzubringen, wie es heute ein jeder getan hat, ohne daß ihm dazwischengerufen wurde, dann können Sie zehn goldene Haushaltspläne einbringen: die Entwicklung wird über diese Haushaltspläne hinweggehen,
und gerade diese Regierung wird keinen mehr aufstellen, sondern eine andere wird dann den Haushaltsplan aufstellen.
Es ist nur — —
Herr Abgeordneter, darf ich bitten, zum Haushalt zu sprechen! Das Haus legt sicher Wert darauf, die wertvollen Äußerungen Ihrer Fraktion zu dieser Frage kennen zu lernen.
Der Anerkennung, die in bezug auf die Hilfe für Berlin heute von verschiedenen Seiten ausgesprochen wurde, ist voll und ganz beizustimmen. Daß nun auch so etwas wie Meinungsverschiedenheiten mit einer Spitze da- oder
dorthin dazwischen gekommen sind, sollte in diesem Hause unmöglich sein; denn die Hilfe für Berlin wird nicht von dieser oder jener Partei allein getragen, sondern auch vom gesamten Volk und gerade auch von den ärmeren Schichten des Volkes. Ich darf darauf hinweisen, daß auch die Heimatvertriebenen, welche über ganz Westdeutschland verstreut sind, durch die Zweipfennig-Marken sich vieles vom Munde absparen, um ihren durch Gewalt zerrissenen und von ihnen getrennten Familien wieder einmal Nachricht zukommen zu lassen. Dieses wollte ich nur andeuten! Man sollte hierin nicht nur von der Schale sprechen und am Kern vorbeireden. Über die wesentlichen Dinge sollten sich doch alle Mitglieder des Hauses einig sein, und ich glaube, sie sind sich auch einig; aber durch „Spitzfindigkeiten" wird die Verständigung über das Wesentliche unmöglich gemacht, und man redet an den wesentlichen Dingen vorbei.
Dann weise ich noch auf folgendes hin. Die Darlegungen von dieser Seite des Hauses durch den Abgeordneten Paul wären vielleicht anders ausgefallen, vieles wäre unterblieben und würde in Zukunft unterlassen werden, wenn die Herren das mitgemacht hätten, was w i r durch die Heimatvertreibung überstanden haben. Wir haben den Bolschewismus kennengelernt und können nur wünschen und hoffen, daß nichts unversucht bleibt, damit diese Kräfte sich nicht noch bis an den Rhein vorschieben und daß alle Mittel — ob jene, die durch den Haushaltsplan der Bundesregierung, oder jene Mittel, die von den Besatzungsmächten zur Verfügung gestellt werden — noch rechtzeitig zur Anwendung kommen, nicht aber einen halben Tag zu spät!
Ich darf dann auch auf die Leistungen der Heimatvertriebenen hinweisen, die zum Haushaltsplan beitragen, auf diese Leistungen, an die vielleicht nicht so sehr gedacht wird; ich meine jenen Geist der Widerstandskraft, der vielleicht mindestens ebensoviel Geld wert ist wie das Geld der besitzenden Klassen und den sich die Heimatvertriebenen in der überwältigenden Mehrzahl bis heute bewahrt haben. Wären wir als finanziell Arme mit der charakterlichen Haltung und der geistigen Gesinnung hierher nach dem Westen gekommen, mit der man uns aus der Heimat verjagt hat, dann wäre die Frage eines Haushaltsplanes und von Besatzungskosten in dieser Form nicht mehr nötig; denn hier würden der Osten und die Volkspolizei herrschen. Wir werden also auch dieser Gruppe von Menschen dankbar sein. Ich darf die Regierung bitten, nichts unversucht zu lassen, um gerade diesen Menschen durch Förderung der Industrie usw. bevorzugt und ausreichend zu helfen.
Ich darf die Regierung weiter bitten, dafür zu sorgen; daß sich die Dinge, die heute berührt und manchmal scharf apostrophiert wurden, nicht mehr wiederholen. Ich meine die Ausgaben, sei es für Inneneinrichtungen, die nicht gerade notwendig sind, sei es für Bequemlichkeiten, sei es für einen Garten; die Liste aufzuzählen, erübrigt sich. Das darf nicht mehr vorkommen. Wenn die Herren von der besitzenden Klasse, alle Herren von der Regierung tatsächlich eine Ahnung von dem Elend nicht nur der Mehrzahl der Heimatvertriebenen, sondern auch vieler von der Stammbevölkerung haben, dann ist es unmöglich, daß solche Ausgaben vorkommen. Die müssen verhindert werden. Das Volk ist darüber entsetzt, ob es nun dieser oder jener Partei angehört. Da ist es vielleicht nicht ganz überheblich, den Rat auszusprechen: gerade die Kreise des Besitztums — und je höher ihr Besitz ist, um so mehr — sollten einmal ihre Urlaubstage dazu verwenden, so acht Tage in den Elendsquartieren zu hausen und die Not mit diesen Menschen zu teilen.
Die besten Pläne — daß der Haushaltsplan gut ist, will ich nicht bezweifeln; daß er anders gestaltet werden kann, wird die weitere Debatte noch ergeben —, all das allein wird uns vor dem, was allen droht, nicht retten. Allen Bemühungen müßte das Bestreben zugrunde liegen, durch tatsächliches Rechttun, durch Opfer auch auf finanzpolitischem Gebiet uns vor dem Ruin zu erretten. Nicht durch die schönste Konzeption und durch geschliffene Reden, wie wir Kleinen es nicht vermögen, wird die Rettung kommen, sondern nur durch die Zusammenarbeit aller auf das Wesen hin und durch das Rechttun insbesondere der besitzenden Kreise gegenüber denen, die auf Bessergestaltung ihres Lebens harren.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich schließe die erste Beratung der Drucksache Nr. 1500. Ich nehme an, daß das Haus mit der Überweisung der Drucksache an den Haushaltsausschuß einverstanden ist.
— Die Überweisung ist erfolgt.
Darf ich bitten, noch einen Augenblick zuzuhören. Ich bin gebeten worden, noch darauf hinzuweisen, daß die Fächer im Tagungsbüro entleert werden möchten, da inzwischen weitere Drucksachen für die Plenarsitzungen der nächsten Woche verteilt worden sind.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Schluß der Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung auf Dienstag, den 14. November 1950, 14 Uhr, ein und schließe die 100. Sitzung des Deutschen Bundestages.