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ID0110003600

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    Deutscher Bundestag — 100. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1950 3639 100. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. November 1950. Gedenkworte des Präsidenten aus Anlaß der 100. Sitzung des Deutschen Bundestages 3639B Geschäftliche Mitteilungen . . . . 3639C, 3688D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1950 (Nr. 1500 der Drucksachen) 3639C Bausch (CDU) 3639D Schoettle (SPD) 3646C Dr. Wellhausen (FDP) 3659B Dr. Bertram (Z) 3665B Dr. Krone (CDU) 3669B Dr. Blank (Oberhausen) (FDP) . . 3670D Dr. Seelos (BP) 3672C Dr. Mühlenfeld (DP) 3675A Dr. Leuchtgens (DRP) 3678D Paul (Düsseldorf) (KPD) 3681A Brandt (SPD) 3684B Dr. Richter (Niedersachsen) (parteilos) 3685C Wittmann (WAV) 3687B Nächste Sitzung 3688D Die Sitzung wird um 9 Uhr 1 Minute durch den Präsidenten Dr. Ehlers unter lebhaftem Beifall auf allen Seiten des Hauses eröffnet.
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    Rede von Dr. Hans Mühlenfeld


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von dem Herrn Finanzminister gestern mit tiefem Ernst vorgetragene Bericht zur Begründung seiner Vorlage hat uns die ganze Problematik und die ganzen moralischen Pflichten und Sorgen, die uns auferlegt sind, schlagartig erhellt, und es ist schon so, wenn auch aus dem Munde des Herrn Kollegen Schoettle so ganz per Zufall, ohne sein Wollen das Wort „Genosse" gefallen ist.

    (Abg. Schoettle: Was habe ich eigentlich getan, Herr Kollege, daß i c h statt des Haushaltsplans das Zentrum der Debatte werde?)

    — Gat! Und trotzdem, Herr Kollege Schoettle: Ich greife das Wort auf. Ich glaube, es ist in dem Sinne gemeint - und dazu können wir uns alle auf Grund der Ausführungen, die Sie, Herr Schoettle, gemacht haben, ohne parteipolitische Unterschiede verstehen —: Genossen im Sinne einer echten Genossenschaft in dieser nationalen Not.

    (Abg. Seuffert: Sie sind noch lange nicht Genosse!)

    — Ja, ich weiß nicht, was Sie darunter verstehen! Jeder begreift den Geist, den er versteht.
    Aus den Ausführungen und aus der Vorlage des Herrn Bundesfinanzministers ergeben sich, wenn man sie einmal analysiert, vier wichtige Positionen, uns das Verhältnis unserer Wirtschaftspolitik insbesondere zur Sozialpolitik klarlegen: die Besatzungskosten mit 4,6 Milliarden — 36% des Gesamtetats machen sie aus —, dazu die Sozialaufwendungen und Kriegsfolgelasten mit 5,2 Milliarden — das sind etwas über 40% an Aufwendungen und Lasten, die wir übernehmen müssen und die für uns unabänderlich sind, die vor allen Dingen hinsichtlich des Sozialaufwandes und der Kriegsfolgelasten wirklich keine Luxusausgaben sind und auch nicht so aufgefaßt werden; sie zusammen machen mit den Ausgaben für die staatliche Verwaltung 80 % des gesamten Etats aus, so daß uns für den Wiederaufbau einschließlich der BerlinHilfe — und das in Anbetracht der katastrophalen Lage, in der sich die deutsche Wirtschaft und das deutsche Staatsleben befinden — nur 20% zur Verfügung stehen, nämlich 2,8 Milliarden.
    Und wie, meine Damen und Herren, müßte es in Wirklichkeit aussehen? Müßten wir nicht, um eine gesunde Sozialpolitik zu treiben, in erster Linie den wirtschaftlichen Aufbau mit allen Mitteln und viel größeren Mitteln, als uns zur Verfügung stehen, vorantreiben, um eben eine gesunde Sozialpolitik treiben zu können, eine Sozialpolitik, die nicht den Selbsthilfewillen im deutschen Volke unterdrückt, sondern im Gegenteil ihn noch fördert?
    Das Problem ist für meine politischen Freunde nicht die Frage von Preisen und Löhnen in erster Linie, sondern die Wiedereingliederung aller der Menschen, die durch den Krieg und die Kriegsfolgen aus ihrer sozialen Position herausgeworfen wurden. Es ist das Problem einer produktiven Sozialpolitik. Unter produktiver Sozialpolitik verstehen wir eine gute Wirtschaftspolitik. Das heißt: wir lehnen eine konsumtive Verrentung als Staatsgrundsatz ab. Nur durch die Schaffung von Arbeitsplätzen und damit durch die Vergrößerung des Sozialprodukts sind wir in der Lage, den Lebensstandard der Massen zu heben und alle diejenigen einzugliedern, deren Arbeitskraft infolge der Kriegszerstörungen freigesetzt worden ist. Durch die Belebung des Produktionsprozesses erreichen wir eine Erhöhung des Steueraufkommens und ermöglichen damit eine menschenwürdige Versorgung aller derjenigen, die aus eigener Kraft nicht in der Lage sind — ich betone: die nicht in der Lage sind —, ein menschenwürdiges Dasein zu führen.
    Es handelt sich hierbei um eine Frage von vitaler Bedeutung für die Bundesrepublik, und wir warnen davor, bei der Lösung dieser Frage den Fehler zu begehen, die Dinge von der Einseitigkeit der verschiedensten Interessentenstandpunkte aus zu sehen. Eine solche Einseitigkeit von Interessentenverbänden aller Art, auf allen Seiten der deutschen Wirtschaft würde zu einer Politik führen, bei der man je nach dem Gewicht dieser Interessentenverbände das eine oder andere Loch zustopft und damit Mittel raubt, die den anderen, schwächeren Teilen gerechtermaßen zukommen müßten. Dabei sollte man auch nicht übersehen, daß jede Lohnerhöhung und jede Preiserhöhung eine Minderung der Kaufkraft der Rentenempfänger bedeutet.
    Die Wirtschaftspolitik der Gewerkschaften scheint diesen Gesichtspunkt bei ihren ständigen Forderungen auf Lohnerhöhung bei der geringsten temporären Preiserhöhung außer acht gelassen zu haben. Wir sind uns bewußt, daß die Aufgaben der produktiven Sozialpolitik nicht allein aus den Kräften des dafür viel zu kleinen Wirtschaftsraumes der Bundesrepublik bewältigt werden können. Eine wirkliche Lösung der Sozialprobleme dieses Jahrhunderts — d. h. eine gerecht verteilte Erhöhung des Lebensstandards - kann nur in einem größeren Wirtschaftsraum erreicht werden.
    Ehe wir uns über die Verteilung des Sozialprodukts unterhalten — und das ist heute auch wieder hier zum Ausdruck gekommen —, sie kann nicht im Vordergrund stehen —, geht jedoch primär die Erhöhung des Sozialproduktes voraus, und wir sehen in dieser Hinsicht einen Vorteil in der Verwirklichung des Schuman-Plans. Hier wird der Versuch unternommen, eine solche Vergrößerung des Sozialproduktes durch eine Vergrößerung des Wirtschaftsraums zu erzielen. Vorgestern erst ist in diesem Hohen Hause der Verdacht geäußert worden, daß der Schuman-Plan auf Kosten des Reallohns der Arbeitnehmerschaft gehen werde. Diese Behauptung ist nach allen Unterlagen, die uns zur Verfügung stehen, durch nichts gerechtfertigt, man müßte denn dem Schuman-Plan unterstellen, daß durch ihn eine Art Interessentenanteil — Kartell wollen wir es mal nennen — auf dem Rücken Deutschlands geschaffen werden soll. Eine solche Annahme ist aber bei einer vernünftigen Würdigung des bisherigen Verhandlungsergebnisses wirklich nicht begründet. Es werden hier in einer fast frivolen Weise Ressentiments und Vorurteile mobilisiert, die letzthin darauf abzielen, den Plan nicht zustandekommen zu lassen aus gewissen ideologischen Erwägungen. Das bedeutet aber die Vernichtung des ersten Ansatzpunktes für die Organisation eines größeren Wirtschaftsraumes, die, wie


    (Dr. Mühlenfeld)

    gesagt, allein die Voraussetzung bietet, die sozialpolitischen Probleme in einer großzügigeren Weise anfassen und lösen zu können. Wenn man die Zusammenhänge überblickt, so ergibt sich, daß die grundsätzlichen Ausgangspunkte der Problematik im ideologischen Bereich liegen. Sie hängen aufs engste zusammen mit dem weltweiten Gegensatz zwischen Ost und West allerdings, und dieser Gegensatz ist die grundsätzliche Hypothek, die auf allem liegt, und eine Hypothek, mit der auch diese Bundesregierung in dieser oder jener Weise fertigwerden muß.
    Wir brauchen den gesicherten Frieden, um eine Ordnung zu gewährleisten, die die grundsätzliche Voraussetzung für das Anfassen der wirtschaftlichen und sozialen Fragen bietet. Daher sind alle Bemühungen auf die Sicherung des Friedens zu richten. Die Sicherung des Friedens ist die Forderung Nummer eins.
    Meine Damen und Herren! Die Bearbeitung der Einzelheiten dieser Vorlage der Regierung, die einen Aktenstapel von mehr als zehn Zentimeter Höhe darstellt, in zwei mal vierundzwanzig Stunden ist nicht möglich. Ich erlaube mir aber, den Herrn Finanzminister auf eine Möglichkeit hinzuweisen und bei der angestrengten Suche nach neuen Einnahmequellen sein Augenmerk darauf zu richten, wie es meine politischen Freunde bereits vor kurzer Zeit angeregt haben: Die erfolgreiche Bekämpfung der Schwarzarbeit.

    (Sehr richtig! bei der DP.)

    Statistisch ist nachgewiesen, daß im Durchschnitt des Jahres 1949 1,2 Milliarden D-Mark für Schwarzarbeiten aufgewendet worden sind. Das bedeutet, in Arbeitsplätze umgerechnet, Arbeitsplätze für 250 000 Arbeitskräfte, mithin bei einem durchschnittlichen Jahresverdienst von 5000 Mark einen Steuerausfall von zirka 125 bis 126 Millionen D-Mark.

    (Abg. Dr. Schäfer: Hört! Hört!)

    Wenn man dazu ungefähr überschlägt, welche korrespondierende Summe bezüglich der Sozialbeiträge dazugehört, die unseren Rententrägern zur Verfügung gestellt werden könnte, wenn man weiter berücksichtigt, was bei erfolgreicher Bekämpfung der Schwarzarbeit dann an Arbeitslosenunterstützung eingespart werden kann, dann ergibt sich, daß das Beträge sind, die erheblich zu Buche schlagen.
    Meine Damen und Herren, es hat sich in den letzten Monaten etwas vollzogen, was außer dem Ost-West-Konflikt die Arbeiten und die guten Ansätze zu einer Gesundung der deutschen Wirtschaftspolitik sehr gefährdet; das, was man auch unter dem Stichwort Liberalisierung zusammenfassen kann. Weiß Gott, die deutsche Bundesrepublik hat im weitesten Maße bis an die Grenze des Verantwortlichen auf diesem Gebiet vorgeleistet, in einem Maße, wie man es nie erwarten konnte. Jetzt haben wir, nachdem wir der Welt bewiesen haben, daß wir guten Willens sind, zahlungsbilanzmäßige Schwierigkeiten, und diese Schwierigkeiten — das muß sich die deutsche Öffentlichkeit auch vor Augen halten — beweisen nicht einen Mißerfolg der deutschen Bundesrepublik, sondern liegen in der Verantwortung nicht zuletzt der Alliierten; denn die Europäische Zahlungsunion hat uns in eine ganz gefährliche Zwangsjacke von vornherein hineingepreßt. Man hat der deutschen Wirtschaft ein Kreditvolumen von 320 Millionen Dollar zugemessen, bei einer Einwohnerzahl von ungefähr 45 Millionen Menschen. Was diese Zahl bedeutet und welche gefährliche Zwangsjacke sie darstellt, ergibt sich, wenn man vergleichsweise den Kreditplafond für Frankreich berücksichtigt. Für Frankreich, dessen Einwohnerzahl nicht größer ist, eher geringer, sind 520 Millionen Dollar vorgesehen und für die weit, weitaus niedrigere Bevölkerungsziffer der Niederlande, für diese Wirtschaft Hollands, 330 Millionen Dollar. Schon aus diesem äußerlichen Anzeichen ist ersichtlich, in welch gefährliche Situation man uns von außen her hineingepreßt hat. Diese Situation scheint mir noch bedeutend prekärer zu werden in allernächster Zeit, und zwar dadurch, daß wir jetzt auf dem Weltmarkt Rohstoffeinkäufe zu weit erhöhten Preisen tätigen müssen, den Export der daraus hergestellten Fertigwaren aber vertragsgemäß zu den bisherigen alten Preisen. Das führt zu einer weiteren Verengung und Verschlechterung unserer Devisenlage.
    An dem Beispiel Kautschuk läßt sich unsere Lage auf dem Exportgebiet am besten charakterisieren. Die gleiche Monatsmenge Kautschuk, für die wir bislang 4,6 Millionen Dollar aufzuwenden hatten, muß heute mit 16 Millionen Dollar bezahlt werden. So können wir wohl damit rechnen — und es ist nicht zu schwarz gemalt —, daß wir in Zukunft monatlich ein Defizit von 70 Millionen Dollar praeter propter haben werden. Man ist sich im Lager der Hohen Alliierten über diese unverschuldete prekäre Lage der deutschen Wirtschaft gar nicht im unklaren. Das erhellt daraus, daß man uns einen kurzfristigen Kredit von 120 Millionen Dollar anbieten will, aber unter der Bedingung der konsequenten Beibehaltung der Liberalisierung. Wir sollen also von einer Zwangsjacke in die andere gebracht werden. Hier scheint es uns Aufgabe der deutschen Wirtschaftspolitik zu sein, alles zu versuchen, um weitere Knebelungen zu verhindern.
    Mein Kollege Wellhausen hat sich bereits in anerkennnenswerter Weise über die Verknappung der Rohstoffe ausgelassen, insbesondere über die unseres wichtigsten Rohstoffs Kohle. Ich schließe mich seinen Ausführungen bezüglich der Forderungen zugunsten der Besserstellung der Bergarbeiter in vollem Umfange an. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir 1950 nur eine Förderquote von 1,4 t haben gegenüber einer solchen von 2,1 t im Jahre 1936. Das ist so zu begründen, wie mein Kollege Wellhausen das bereits aufgezeigt hat. Die Auswirkungen der Kohlenknappheit sind erheblich und wurden auch mir gestern und werden heute wieder in verstärktem Maße aus meinem Heimatlande Niedersachsen gemeldet. Warum man dann noch ausländischerseits absolut einen Kohlenexport von uns verlangt, obwohl in keinem Lande Europas auch nur so etwas wie eine Kohlennot besteht, ist schlechterdings nicht verständlich und scheint uns in die heutige politische Landschaft nicht hineinzupassen.
    Die Beseitigung der Engpässe, meine Damen und Herren, ist das, was uns weitere Sorge macht. In bezug auf die Erhöhung der Stahlkapazität hat meine Fraktion mit besonderem Interesse die Pläne des Herrn Bundeswirtschaftsministers verfolgt, die er neuerdings unter dem Titel „Engpaßprogramm" zusammengefaßt hat und die zum Ziele haben, diejenigen wirtschaftlichen Objekte zu fördern, die, wie gesagt, einen Engpaß darstellen: die Eisen-, Stahl- und Kohlewirtschaft. die Waggon- und Lokomotivindustrie sowie den Seeschiffbau.


    (Dr. Mühlenfeld)

    Mit Befremden und mit Bedauern stellen wir aber fest, daß Landwirtschaft und Flüchtlingsbetriebe nach unseren Informationen und nach den Ausführungen des Bundeswirtschaftsministers nicht mehr berücksichtigt werden können. Der Bundesregierung ist doch jedenfalls bekannt, daß der Konjunkturanstieg, den wir im Gebiet von Rhein, Main und Neckar haben, der zweifellos — wir erkennen das neidlos und mit Bewunderung an — zu einer Gesundung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse geführt hat, bezüglich der östlichen Teile des Bundesgebietes, derjenigen Gebiete, die an der Grenze der sowjetischen Satellitenstaaten liegen, bei weitem nicht in dieser Höhe zu verzeichnen ist. Wir fragen uns jetzt: was soll geschehen, wenn auch dieses neue Programm der Wirtschaftsförderung sich in erster Linie nur auf die westlichen Gebiete der Bundesrepublik auswirkt?
    Dabei gibt es in den Gebieten Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern komplexe Arbeitsmöglichkeiten von eminenter Bedeutung. Wie sehr die Lage gegenüber der der westlichen Gebiete der Bundesrepublik unterschiedlich ist, darf ich Ihnen an einigen wenigen, aber einleuchtenden Zahlen demonstrieren. Die Arbeitslosigkeit hat im Bundesgebiet im März dieses Jahres rund 14 % betragen. Sie beträgt zur Zeit noch nicht einmal 9 % als Durchschnitt des Bundesgebietes. Die Arbeitslosigkeit in Schleswig-Holstein beträgt aber heute noch 27,5 %, in Niedersachsen 16,3 % und in Bayern nahezu 12 %. Die Arbeitslosenziffern von Nordrhein-Westfalen, von Württemberg-Baden und Baden liegen dabei weit, weit unter dem Bundesdurchschnitt. Ich glaube, daß diese wenigen Zahlen genügen, um im Rahmen dieser Ausführungen der Bundesregierung und der deutschen Öffentlichkeit mit allem Ernst vor Augen zu führen, in welcher prekären Lage wir uns in den Gebieten entlang des Eisernen Vorhanges befinden. Ich glaube nicht, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister verlangen kann, daß wir Hände im Schoß zusehen, wie weiterhin die Konjunkturkurve in diesen Gebieten stark abfallend bleibt.
    Ich erinnere den Herrn Bundeswirtschaftsminister und auch die gesamte Bundesregierung mit allem Nachdruck noch einmal an Watenstedt-Salzgitter. Ich weiß: die ehemaligen Reichswerke haben als produktiver Betrieb, als eisen- und stahlerzeugender und eisenverarbeitender Betrieb keinen einzigen Freund in der Bundesrepublik und sie haben ihren schärfsten Gegner in der britischen Besatzungsmacht. Um so mehr ist es für meine Freunde und mich Verpflichtung gewesen, uns für Watenstedt-Salzgitter und seine um jede Existenzmöglichkeit bedrohten Menschen zu kümmern. Wir sind nicht des Glaubens, daß die bisher für dieses Notstandsgebiet vorgesehenen Kreditvolumen, diese finanziellen Maßnahmen, die so eine Art Selterbudenwirtschaft in diesen Gebieten aufziehen sollen, ausreichend sind, um auf die Dauer eine soziale Befriedung in diesem Gebiet herbeizuführen. Wir werden uns erlauben, noch in diesen Tagen der Bundesregierung in dieser Hinsicht mit einer parlamentarischen Initiative aufzuwarten.
    Meine Damen und Herren! Wir haben auch mit großer Befriedigung festgestellt, daß der Herr Bundesfinanzminister die Berechtigung hatte, von einem harmonischen und erfolgreichen Zusammenarbeiten zwischen Bund und Ländern zu sprechen. Das ist sehr wichtig für diesen jungen Staat und in Anbetracht seiner föderalen Verfassung. Ich weiß aber auch, daß an der Herstellung dieses gesunden Klimas, das zwischen Bund und Ländern besteht und hoffentlich auch weiterhin bestehen wird, das Ministerium für Angelegenheiten des Bundesrats seinen erheblichen Anteil hat.
    Ich muß unsere Auffassung und unsere Wünsche zu der eigentlichen Sozialpolitik hier kurz formulieren. Wir begrüßen die endliche Verabschiedung des Selbstverwaltungsgesetzes und die Mehrheitsentschließung des Bundestages und des Bundesrats für die Parität in der Selbstverwaltung der Sozialversicherung und glauben, daß damit eine neue Ära der Verantwortung eingeleitet werden wird und daß dies gleichzeitig dazu beiträgt, die sozialen Versicherungen in echter Selbstverwaltung zu entpolitisieren und damit Arbeitnehmer und Arbeitgeber für ihre Fortentwicklung und sichere Gestaltung nicht nur zu interessieren, sondern auch verantwortlich zu machen.
    Wir haben mit Erstaunen die Auffassung der Opposition gehört, daß die Sozialgesetzgebung des Bundes etwa das Niveau von 1883 verteidigen wolle. Es ist schon notwendig, festzustellen, daß die Sozialdemokraten, die seinerzeit gegen die Bismarcksche Sozialgesetzgebung gestimmt haben,

    (Zuruf von der SPD: Warum?)

    die Auffassung vertreten, daß die Zusammensetzung der Organe etwa so aussehen müsse, wie es 1883 und in den folgenden Jahren beschlossen worden ist.
    Abg. Schoettle: Das haben Sie nicht verstanden, Herr Kollege!)
    — Ich glaube doch, Herr Schoettle.

    (Abg. Schoettle: Nein, Sie haben es nie verstanden!)

    — Das ist eine sehr eigenwillige Behauptung, Herr Schoettle. - Wir glauben, daß die Bedürfnisse unserer Epoche andere sind als die der Jahrhundertwende, und wir meinen auch, daß sie nur gelöst werden können auf der Grundlage einer gesunden Wirtschaftspolitik und mit einer echten sozialen Verantwortung aller in der Wirtschaft Tätigen.
    Was die umstrittene Frage der Wiedererrichtung von Betriebs- und Innungskrankenkassen, von Land- und Ersatzkassen angeht, so glauben wir, daß gerade die Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse der Berufsgruppen nicht nur die beste Grundlage einer echt sozialen Zusammengehörigkeit und für ein natürliches Selbstbestimmungsrecht und Mitbestimmungsrecht gibt. Wir glauben, daß sie darüber hinaus auch in weiten Schichten unseres Volkes ein echtes Bewußtsein für die Selbstverantwortung wecken wird, die wiederum die beste Grundlage jeder guten Sozialpolitik ist. Selbstverantwortung und Selbsthilfe sind die beiden Kernforderungen, die wir mit großen Lettern über die gesamte Sozialgesetzgebung des Bundes schreiben möchten, auch im Hinblick darauf, daß durch alle Gesetze, die bisher beraten wurden, wie ein roter Faden der Wille nach totaler Staatsfürsorge, nach einer absoluten Sicherung für alle geht, einer Sicherung, die es an sich nicht gibt und die nur dann zu gestalten ist, wenn jeder aus eigener Kraft und eigener Verantwortung soviel als möglich dazu tut, um den Wechselfällen des Lebens zu begegnen.
    Unter Berücksichtigung unseres Sozialetats dürfen wir bei aller Anerkennung der hervorragenden Leistungen, die das Bundesversorgungsgesetz weit über die deutsche Möglichkeit hinaus gibt, nicht vergessen, daß noch eine große Anzahl Kriegs- und


    (Dr. Mühlenfeld)

    Währungsgeschädigter, Alter und Kranker draußen stehen, die auf die Erfüllung ihrer Ansprüche warten. Der Antrag meiner Fraktion zur Wiedererrichtung der Angestelltenversicherung wird die Frage der Altersversorgung des Handwerks und der Angestellten ihrer eidlichen, schon längst notwendigen Lösung hoffentlich recht bald entgegenführen.
    Meine Damen und Herren, meine Redezeit scheint in kurzem abgelaufen zu sein. Bedauerlicherweise kann ich mich über diese unsere Wünsche und Kritiken nicht mehr länger auslassen. Wir fordern aber, daß bei allen Maßnahmen der Sozialpolitik da eine Grenze gezogen wird, wo die Möglichkeit der Hilfe aus eigener Kraft noch besteht, und daß die Fürsorge dort einsetzt, wo diese Möglichkeit nicht mehr gegeben ist.
    Nun noch ein Wort zu Berlin. Wir haben die Verwaltungsvereinbarung mit Berlin ebenfalls begrüßt und wünschen nichts mehr, als daß Berlin schnellstens zwölftes Land wird. Wir glauben auch, daß Berlin selbst mehr dazu tun könnte, eine echte Anpassung an das Bundesgebiet vorzunehmen, um allen seinen Bürgern die soziale Sicherstellung nach der Rechtsgrundlage zu gewähren, die bei uns durch die Reichsversicherungsordnung geschaffen ist. Wir hoffen, daß es recht bald möglich ist, eine echte Anpassung in Berlin durchzuführen, um auch den Berlinern die Leistungen der Rentenversicherung zu ermöglichen und vom Bedürftigkeitsprinzip und der damit verbundenen Bedürftigkeitsprüfung abzukommen. Wir fordern also im großen und ganzen die Beseitigung des Berliner Experiments der Einheitsversicherung und die echte Anpassung an die Gesetzgebung des Bundes. Wir freuen uns sehr, daß das Bundesversorgungsgesetz auch für Berlin gilt und daß es auf Antrag unserer Fraktion gelungen ist, auch die Opfer des Stalinismus mit in dieses Gesetz einzubeziehen und erstmalig einen guten Weg der Wiedergutmachung zu beschreiten.
    Meine Damen und Herren! Es ist schon immer ein großes Anliegen meiner politischen Freunde gewesen, gerade im Zusammenhang mit der Sozialpolitik die Stelle zu sehen, wo Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik sehr, sehr ineinandergreifen. Das ist nicht zuletzt in der Agrarpolitik der Fall, wenn man sie unter dem Gesichtspunkt der Unterbewertung der landwirtschaftlichen Arbeit sieht. Die Preise für die Agrarwirtschaft sind ausgesprochen politische Preise mit dem Erfolg, daß die Landwirtschaft die übrige deutsche Wirtschaft in großem Umfang subventioniert.
    Ich möchte hier noch einen dringenden Wunsch meiner politischen Freunde aussprechen, den wir heute nicht zum ersten Male äußern. Es scheint so, als habe man in der Bundesregierung nur sehr wenig Verständnis für die Notlage und .die Bedeutung eines für uns an der Küste, in Schleswig-Holstein und Niedersachsen, ganz bedeutenden Wirtschaftszweiges, nämlich der Fischwirtschaft und der Fischindustrie. Es ist kaum zu glauben, daß in unserem Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten für dieses Gebiet nur ein einziges kleines Referat, mit drei Leuten besetzt, vorgesehen ist.

    (Hört! Hört! links.)

    Ich erinnere die Bundesregierung und insbesondere den Herrn Landwirtschaftsminister daran, wie die Verhältnisse in England, in Norwegen, in Dänemark, in Island, in Holland und in den USA sind. Dort hat man eine eigene Abteilung Fischerei und
    nennt das ganze Ministerium Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Fischerei. Wie wollen wir die Nöte dieser Industrie vertreten und ihre Bedeutung gegenüber dem Auslande hervorheben, denn wir werden gerade in nächster Zeit erhebliche Kämpfe für dieses Wirtschaftsgebiet zu führen haben, wenn wir nicht von uns aus das nötige Optische dazu tun, nämlich nach außen hin zu zeigen, was uns dieser Wirtschaftszweig wert ist?
    Die Folgen der Liberalisierung sind für die Landwirtschaft bis vor ganz kurzer Zeit noch sehr nachteilig gewesen. Ich erinnere nur an den Obst-
    und Gemüsebau und bitte die Bundesregierung, sie möge ihre Aufmerksamkeit darauf richten, ob man nicht dem hart bedrängten deutschen Gemüsebau dadurch helfen kann, daß man ihm die Möglichkeit gibt, auf den Rübenbau umzuwechseln. Es gibt Preismanipulationen, die zu diesem Ziele führen könnten. Dazu gehört natürlich auch der Bau von Zuckerfabriken.
    Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist abgelaufen; ich betone nur noch einmal eins: Wir stellen mit großer Genugtuung fest, daß diese Regierung eine Regierung ist, die nicht einer Ideologie verhaftet ist und keiner Dogmatik, sondern daß sie Politik treibt nach den Realitäten und nach den Gesetzen des Lebens.

    (Zurufe links: Aha!)

    Ein großer Deutscher hat einmal gesagt, es sei uns Deutschen allzu häufig im Laufe der Geschichte der Fehler unterlaufen, uns vor den Sorgen und Nöten des täglichen Lebens in irgendeine Idee zu retten, um von dieser Idee das Heil und die Heilung zu erwarten. Wir stellen dieser Regierung das Zeugnis aus, daß in ihr keine Rezeptemacher sind, daß sie keiner Dogmatik huldigt, sondern daß sie das Leben so anpackt, wie es angepackt werden muß — nach seinen Gesetzen. Die Prinzipien der Vollbeschäftigung, des Mitbestimmungsrechts, das Prinzip der Planung und der Restauration, es sind Ausflüsse einer einseitigen Ideologie. Ich bestätige dem Herrn Abgeordneten Schoettle sehr wohl die Wahrheit seines Satzes: Wir werden immer hart — und werden es in den nächsten Jahren noch tun — am Abgrund entlang fahren. Ich frage aber auch, meine Kollegen, ob es möglich ist, den Absturz in den Abgrund zu vermeiden, wenn man sich dem statischen Moment einer Idee, einem Rezept verschreibt statt dem dynamischen der Realitäten.

    (Beifall bei der DP.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Leuchtgens.

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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DRP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Meine Damen und Herren! Es wird niemand von mir erwarten, daß ich in 15 Minuten eine Etatrede halten kann.

    (Zuruf von der SPD: Das verlangen wir auch nicht! — Abg. Dr. Wuermeling: Nehmen wir die Hälfte!)

    Auf der andern Seite habe ich festzustellen, daß man in einer so kurzen Zeit nur wenige Dinge behandeln kann, daß ich deshalb von der allgemeinen Betrachtung der politischen Lage überhaupt abzusehen habe und mich nicht in weitschweifige Erörterungen über die gesamte Politik und unsere Lage einzulassen vermag.
    Ich muß mich deshalb darauf beschränken, einige wenige Gesichtspunkte zur Sache selbst hervorzuheben, d. h. zu dem vorliegenden Gesetzent-


    (Dr. Leuchtgens)

    wurf über den Haushaltsplan, und es wäre vielleicht besser gewesen, wenn mancher der Redner, die vor mir gesprochen haben, sich an diesem Plan gehalten hätte; dann wäre vielleicht auch etwas mehr Zeit für mich gewesen.

    (Heiterkeit.)

    Im übrigen ist das Entscheidende für Sie hier das Kollektivum. Sie sind große Parteien, und da kann jeder Vertreter lange sprechen. Die kleinen Parteien, die ein kleines Kollektivum sind, dürfen eben weniger sprechen. Ob das Demokratie ist, meine Herren, das ist eine ganz andere Frage.

    (Zuruf von der SPD: Sagen Sie doch mal was!)

    — Warten Sie es doch nur ab, ich warte ja auch, bis Sie Zwischenrufe machen!

    (Zurufe links.)

    — Meine Damen und Herren, ich weiß ganz genau: Sie da drüben reden viel von Demokratie und sind so undemokratisch, wie man überhaupt nur sein kann!

    (Heiterkeit und Zurufe.)

    Ich möchte nun einige Bemerkungen zu dem vorliegenden Voranschlag machen, zunächst zu dem Verhältnis der Länder zum Bund. Der Herr Finanzminister hat gestern die verschiedenen Artikel des Grundgesetzes angezogen, Art. 106, 110, 113, 115 des Bonner Grundgesetzes, und hat in diesen Bestimmungen eine gewisse Hemmung und Begrenzung seiner Politik gesehen. Auf der anderen Seite aber will er sie als Grundlage seiner politischen Äußerungen und Anordnungen betrachten. Ich habe die Überzeugung, daß diese Bestimmungen über das Verhältnis der Länder zum Bund überhaupt verkehrt sind und wir so rasch wie möglich ohne Änderung des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern herbeiführen müßten, wenn wir überhaupt zu einer gesunden Finanzpolitik kommen wollen.
    Wir haben im Etat Ausgaben von etwa 12 bis 13 Milliarden Mark. In der Übersicht in Drucksache Nr. 1000, die uns die Regierung vorgelegt hat, sagt sie selbst, daß die Länder noch einmal Ausgaben von 17 Milliarden haben. Darin zeigt sich eben diese ungeheure Spannung zwischen Bund und Ländern, eine Doppelarbeit und eine Zersplitterung der Arbeit, die uns sehr viel Geld kostet. Wenn man wirklich eine gesunde Finanzpolitik führen will, dann muß man dieses Verhältnis ändern. Man muß das tun, was ich schon wiederholt hervorgehoben habe: die Zahl der Länder im Bundesgebiet von 11 auf mindestens 5 herabzusetzen. Wenn wir das nicht tun, hilft alles nichts. Damit wird eine Fülle von Wirtschaftskraft und Steuerkraft verpulvert. Ich möchte deshalb den Herrn Bundeskanzler bitten, sein Augenmerk auf den Art. 29 des Bonner Grundgesetzes zu richten mit dem Ziel, das Verhältnis zwischen Bund und Ländern grundsätzlich zu ändern und auf diese Weise die Zahl der Länder, damit die Ministerien, die Verwaltungs- und auch die Landtagsausgaben wesentlich zu vermindern.

    (Abg. Dr. Gerstenmaier: Sehr richtig!)

    Geschieht das nicht, dann helfen alle unsere Bemühungen, Ordnung in die Finanzen zu bringen, nicht. Das, was hier als der Weisheit letzter Schluß angepriesen worden ist, sind nur Äußerlichkeiten.
    Auch das, was der Herr Finanzminister weiter gesagt hat, ist sehr bedenklich. Er wird den Haushalt nicht in Abgleichung, wie er es nennt, bringen können, schon deshalb nicht, weil die Steuern ja gar nicht eingehen. Er hat selbst schon auf die Bedenklichkeit seiner Schätzungsbeträge hingewiesen und gesagt, daß die Steuern im einzelnen so ja gar nicht eingehen werden. Also warum unterhalten wir uns hier dann eigentlich? Wir können ja das Grundziel überhaupt nicht erreichen, wie wir schon sehr bald sehen werden.
    Auf der anderen Seite ist auch ein Ausgleich der Einnahmen und der Ausgaben nicht zu erreichen. Sehen wir uns doch nur einmal die Verhältnisse bei der Bundesbahn an! Diese 174 Komma soundsoviel Millionen Einnahmen aus der Bundesbahn stehen doch nun wirklich auf dem Papier! Wir haben sie im vorigen Jahr nicht bekommen und werden sie auch in diesem Jahr nicht bekommen. Wie kann man also von einem Ausgleich des Voranschlags sprechen, wenn solche Lücken klaffen!
    Ich muß aber weiter hervorheben, daß die Politik des Herrn Finanzministers auf Kredit aufgebaut ist. Wer seine Sache auf Pump aufbaut, kann von vornherein sicher sein, daß er nicht zum Ziel kommt.

    (Abg. Spies: Wenn er kreditwürdig ist, warum denn nicht?!)

    — Warten wir es doch einmal ab! — Er hat zunächst 409 Millionen in den außerordentlichen Etat als Einnahmen eingestellt. Ja, er weiß doch ganz genau, daß er das Geld gar nicht bekommt, obwohl er es so hinstellt, als ob die Aussichten günstig seien. In der heutigen Zeit, in der Mindestreserve und Diskontsatz erhöht werden, ist doch gar nicht damit zu rechnen, daß er diese Beträge überhaupt hereinbekommt.
    Weiterhin hat er 300 Millionen DM aus dem außerordentlichen Etat herausgenommen, um damit die Lücke im ordentlichen Etat zu stopfen. Das ist ein ganz grober finanzpolitischer Fehler. Finanzpolitik kann man nicht so machen, daß man aus dem außerordentlichen Etat geliehene Mittel nimmt, um damit Fehlbeträge im ordentlichen Etat zu decken. Darüber hinaus hat er das Kreditplafond von 1,5 Milliarden auf 2 Milliarden erhöhen lassen. Auch hier muß ich die Frage stellen: wo will er denn diese Summen hernehmen, wenn unsere Wirtschaft so schlecht dasteht, wie es hier wiederholt geschildert worden ist, wenn sie keine Überschüsse abwirft und keine Bildung von Sparkapital ermöglicht! Außerdem ist noch ein Fehlbetrag vom vorigen Jahr in Höhe von 246,5 Millionen DM vorhanden. Der soll nun zum Teil, mit 183,5 Millionen, den Ländern zugewiesen werden. Der eine schiebt es auf den andern, der eine pumpt beim andern, und der eine sagt: der andere muß für meine Schulden eintreten!
    Dasselbe gilt für die Interessenquote. Glauben wir doch nur nicht, damit, daß die Länder eine Verpflichtung über eine Interessenquote von 1,1 Milliarden eingehen sollen und eingegangen sind, seien die Schwierigkeiten, die sich aus Art. 106 ergeben, beseitigt, wonach die Länder schließlich für die Schulden des Bundes mit einstehen müssen! Alle diese Dinge sind tief betrüblich.
    Vor allen Dingen aber dürfen wir doch nicht vergessen, daß der Bund nun schon weitgehend verschuldet ist. Der Bund hat schon eine Verschuldung von 6 Milliarden, die er zum großen Teil verzinsen muß, wenn auch nur mit 3%. Nun pumpen wir weiter und wissen gar nicht, wohin die Dinge führen. Ich habe die Überzeugung, daß mit dieser Kreditschöpfung unter den allerungünstigsten Verhältnissen allmählich das herbeigeführt wird, was der Herr Finanzminister mit Recht vermeiden will: die Inflation. Auf dem Wege dieser Kreditbeschaffung, wie ich es hier kurz skizziert habe, führt er notwendigerweise die Inflation herbei.

    (Abg. Spies: Unsinn!)



    (Dr. Leuchtgens)

    — Das ist kein Unsinn, sondern das ist völlig richtig. Das kann nur jemand für Unsinn erklären, der von finanzpolitischen Dingen nichts versteht.

    (Heiterkeit. — Abg. Spies: Es gibt immer noch Ansichten!)

    Ganz in der Schwebe gelassen hat man die Fragen der Wohnungsbeschaffung und der Arbeitsbeschaffung. Es ist doch nicht zu leugnen, daß diese ganzen Maßnahmen, eben weil sie übersteigert und auf Kredit aufgebaut waren, heute stocken. Die Bauten können nicht durchgeführt werden bzw. wenn sie durchgeführt werden, werden die Mieten unter den obwaltenden Zinsverhältnissen so teuer, daß sie überhaupt nicht aufzubringen sind.

    (Zuruf in der Mitte: Stimmt nicht!)

    Also auch hier wieder eine vollständige Fehllertung von Maßnahmen und Mitteln.
    Nun wird immer wieder damit operiert, 90% aller Ausgaben seien zwangsbedingt. Ich gebe das für die Besatzungskosten zu, ich gebe es bis zu einem gewissen Grade auch zu für die Aufwendungen zur sozialen Betreuung unseres Volkes. Aber ich bin nicht überzeugt, daß diese grundsätzlich notwendigen Maßnahmen so einfach gehandhabt werden, wie es in unserer Lage geboten ist, und ich bezweifle, daß diese hohen Summen wirklich benötigt werden. Man wird sich im Haushaltsausschuß die Dinge noch sehr genau darauf ansehen müssen, ob nicht tatsächlich noch Abstriche möglich sind. So jedenfalls kann der Etat nicht ausgeglichen werden.
    Eine weitere Frage ist die: was kostet die Verwaltung? Die Regierung sagt: sie kostet 442,5 Millionen, das sind nur 3,4 % der reinen Ausgaben, und für Gehälter sind nur 277 Millionen nötig. Das ist gewiß, objektiv betrachtet und in Vergleich gesetzt zu der Gesamtsumme des Etats, nicht sehr viel. Aber es sind immerhin gewaltige Beträge. Sieht man sich die Einzelpläne und vor allen Dingen die Organisations- und Stellenpläne im Etat an, so wird man feststellen, daß die Referate sich vielfach überschneiden. Ich habe die feste Überzeugung, daß, wenn diese Referate einmal im einzelnen geprüft werden, wir dort auf dem Gebiet des Übersetzungswesens, des Rechtswesens und des Personalwesens eine Menge Überschneidungen finden. Die einzelnen Ministerien sind so aufgebaut, daß sie beinahe in sich eine Gesamtregierung bilden, daß nicht bei dem Justizministerium etwa das Rechtswesen liegt, sondern auch im Finanzministerium sind Abteilungen, die sich wieder mit Rechtsdingen beschäftigen. Und so geht es weiter durch alle Ministerien hindurch. Wir müssen vor allem diese Doppelarbeit vermeiden, und es muß gesehen werden, daß wir auch von den 277 Millionen im Wege der Einsparung noch mancherlei Erleichterung schaffen.
    Dann bin ich der Meinung, daß unbedingt eine Besoldungsordnung kommen muß, denn die Besoldungsverhältnisse sind bei den Beamten und Angestellten dermaßen angreifbar und dermaßen schlecht, daß hier generell eine neue Ordnung geschaffen werden muß. Wir haben vielzuviel Gruppen in den einzelnen Besoldungsordnungen, vielzuviel Gruppen in der TOA, das Besoldungsschema muß überall vereinfacht werden und muß natürlich auch in dem Sinne dadurch eine gewisse Ersparnis erzielen.
    Im übrigen ist es bedauerlich, daß die Regierung schon wieder mit einer Steuervorlage kommt, nämlich mit der Autobahnbenutzungsabgabe und der Erhöhung der Benzinabgabe. Meine Damen und Herren, es ist wahrhaftig kein Kunststück, eine
    Finanzpolitik zu treiben, wenn man dann immer mit neuen Steuern kommt, sobald es irgendwo fehlt.

    (Abg. Dr. Wuermeling: Haben Sie einen besseren Vorschlag?)

    Das ist eine so einfache Sache, daß man wirklich allmählich von dieser Methode abrücken sollte. Wir können der deutschen Wirtschaft keine Steuern mehr zumuten. Wenn man gestern gesagt hat, das betrifft ja die Wohlhabenden — meine Damen und Herren, das mag in gewissem Sinn zutreffen; denn wer ein Auto hat und Benzin braucht und die Autobahn benutzt, der gehört ja wohl zu den Wohlhabenden.

    (Widerspruch und Heiterkeit.)

    Aber wir müssen auf der anderen Seite doch auch wissen, daß diese Belastung nicht ins Aschgraue gehen kann und schließlich auf die breite Verbrauchermasse abgewälzt wird.

    (Abg. Dr. Schäfer: Was ist aschgrau?)

    Ich bin der Meinung, die Regierung muß ohne Steuervorlage auskommen.
    Wir müssen im Haushaltsausschuß versuchen, nun wirklich eine Ersparnis von Mitteln herbeizuführen. Es ist heute schon wieder hier wie vor ein paar Tagen vom Sparkommissar geredet worden. Der Herr Schoettle hat heute morgen vom Rechnungshof gesprochen. Wir rufen alle möglichen Geister herbei, die uns den Finanzausgleich herbeiführen und uns aus unserer Misere befreien sollen, anstatt daß wir es selbst machen! Der Haushaltsausschuß und hier die hohen Herren, die zum Hohen Haus gehören, sollen selbst mitarbeiten und sollen selbst versuchen, das zu machen. Was brauchen wir immer wieder nach den Methoden der vergangenen Zeit zu handeln zu suchen? Wir suchen einen Autokraten, wir suchen einen Despoten, der uns das macht, ob er nun Sparkommissar heißt oder Rechnungshof, anstatt daß wir hier in demokratischer Weise unter dem Einsatz derjenigen, die etwas von den Dingen verstehen, nun wirklich auch den Etat ausgleichen und die Ausgaben senken.

    (Zuruf von der Mitte: Das ist doch gemacht!)

    Ich bin der Meinung, wir müssen vor allen Dingen dafür sorgen, daß der übersetzte Beamtenapparat, den wir nun mal haben, abgebaut wird. Wenn Sie irgendwo in den Voranschlag des Bundes hineinsehen oder wenn Sie die Voranschläge der Länder und auch die Voranschläge der Gemeinden sehen — überall haben wir diese unglaubliche Übersetzung des Behörden- und Beamtenapparates. Wenn wir hier nicht eingreifen und wenn wir hier nicht den Mut haben, die Aufgaben der öffentlichen Hand zu senken und damit auch die Ausgaben zu senken, dann werden wir nie Ordnung in unseren Haushalt bekommen. Dann werden wir uns immer wieder mit Recht von der Öffentlichkeit den Vorwurf machen lassen müssen: Ihr könnt ja weiter nichts als Steuern erheben und Kredite aufnehmen!

    (Abg. Jacobi: Bis jetzt haben Sie nur Allgemeinplätze von sich gegeben!)

    — Das andere machen wir später.

    (Abg. Jacobi: Wird aber Zeit bei Ihrem Alter! — Abg. Dr. Greve: Zu Weihnachten; da ist Ihre große Zeit! — Heiterkeit.)