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    Deutscher Bundestag — 100. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1950 3639 100. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. November 1950. Gedenkworte des Präsidenten aus Anlaß der 100. Sitzung des Deutschen Bundestages 3639B Geschäftliche Mitteilungen . . . . 3639C, 3688D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1950 (Nr. 1500 der Drucksachen) 3639C Bausch (CDU) 3639D Schoettle (SPD) 3646C Dr. Wellhausen (FDP) 3659B Dr. Bertram (Z) 3665B Dr. Krone (CDU) 3669B Dr. Blank (Oberhausen) (FDP) . . 3670D Dr. Seelos (BP) 3672C Dr. Mühlenfeld (DP) 3675A Dr. Leuchtgens (DRP) 3678D Paul (Düsseldorf) (KPD) 3681A Brandt (SPD) 3684B Dr. Richter (Niedersachsen) (parteilos) 3685C Wittmann (WAV) 3687B Nächste Sitzung 3688D Die Sitzung wird um 9 Uhr 1 Minute durch den Präsidenten Dr. Ehlers unter lebhaftem Beifall auf allen Seiten des Hauses eröffnet.
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    Rede von Erwin Schoettle


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da ich das Recht, anderer Meinung sein zu dürfen, als eines der fundamentalen Rechte der Demokratie betrachte, gestatte ich mir, das auch auf die eben gehörten Ausführungen meines verehrten Kollegen und Landsmanns Bausch anzuwenden. Gerade weil ich anderer Meinung bin, bezeuge ich ihm meinen Respekt vor seiner eigenen Meinung und verzichte auf jede Polemik.

    (Beifall in der Mitte. — Abg. Dr Schumacher: Das war etwas voreilig! — Heiterkeit.)

    — Ich meine auch, jede Polemik gegen die Äußerungen meines Herrn Vorredners.

    (Abg. Strauß: Ich habe es genau so verstanden! — Abg. Dr. Schäfer: Caux-operation!)

    — Ich kenne zwar die herrliche geographische Lage von Caux, aber ich war nie dort, Herr Kollege Schäfer.

    (Abg. Bausch: Höchste Zeit, daß Sie hinkommen! — Weiterer Zuruf.)

    — Vielleicht verständigen wir uns auch so; aber wir wollen das Zwiegespräch für einen Augenblick unterbrechen und uns der Sache zuwenden.
    Meine Damen und Herren! Wir haben heute die Generaldebatte über den Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 1950. Der Zeitpunkt ist nicht regulär, wie wir wohl alle in diesem Hause einander zugestehen werden. Er liegt etwas spät im Jahr. Vielleicht ist das aber nur einer der Gründe, warum über dieser Generaldebatte, über dieser Haushaltsberatung nicht jener elektrisierende Atem des Überraschenden, des Spannenden liegt, wie z. B. über einer Budget-Beratung im englischen Unterhaus. Vielleicht haben wir Deutsche viel zu starre Regeln für unsere Budget-Beratung, für unsere Haushaltsordnungen, und vielleicht auch viel zu wenig Tradition, als daß wir diesem einmaligen Ereignis im Jahresablauf des staatlichen Geschehens, der Debatte über den Haushalt, jene Würde und jene Bedeutung geben würden, die ihr eigentlich zukommt.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Mag sein, daß es an der verspäteten Einbringung
    des Haushalts liegt; es mag aber auch sein, daß


    (Schoettle)

    es an anderen Umständen liegt. Vielleicht sollten wir uns bemühen, auf beiden Gebieten und bei beiden Ursachen Wandel zu schaffen.
    Ich werde im Laufe meiner Ausführungen noch darauf zurückkommen, was da zu tun wäre. Aber gerade bei der Auseinandersetzung mit den Problemen der Gesamtpolitik möchte ich mich, zumal gestern abend im Ältestenrat der Beschluß gefaßt worden ist, nicht in eine Titeldebatte einzutreten, zunächst einmal mit den allgemeinen Gesichtspunkten unserer politischen Lage beschäftigen. Diese Haushaltsdebatte findet in einer friedlosen, von Spannungen und Gefahren erfüllten Zeit statt. Jedes internationale Ereignis, ganz gleich welcher Art, wirkt auf uns und unser nationales Leben zurück. Wir haben dafür eine Reihe von Beispielen in der allerjüngsten Zeit gehabt, ohne daß man sagen könnte, daß die Lehre dieser Beispiele immer ganz verstanden und befolgt worden wäre. Korea, der daran anschließende Rüstungsboom, die Beunruhigung der internationalen Märkte, der Weltmarktpreise, all das hat unmittelbare Wirkungen auf unsere eigene Lage, auf unsere Wirtschaftslage und auf die Möglichkeiten gehabt, aus dieser Wirtschaftslage Gewinne für die Gestaltung unseres eigenen nationalen Lebens zu ziehen. Die amerikanischen Kongreßwahlen, die in dieser Woche stattgefunden haben, werden auf lange Sicht auch solche Wirkungen haben. Die Unstabilität, die wahrscheinlich durch den Ausgang dieser Wahlen in die amerikanische Innen- und Außenpolitik gekommen ist, die Zuspitzung der Auseinandersetzungen wird unmittelbare Rückwirkungen auf unser nationales und unser Wirtschaftsleben haben. Wenn wir das nicht rechtzeitig sehen, dann bewegen wir uns auf allen Gebieten in der falschen Richtung.
    Eine außerordentlich wichtige Lehre sollten wir aus allen diesen Dingen ziehen, nämlich die, daß wir nicht nur in den vergangenen fünf Jahren, sondern auch in der Zukunft und auf lange Zeit immer hart am Abgrund entlang marschieren werden, und zwar an einem Abgrund, der sich links und rechts von uns auftut. Wenn man in einer solchen Lage marschiert, dann kann man sich nicht jene Freiheiten gestatten, die man in der bequemen Ebene hätte, wo man links und rechts vom Wege abgehen kann, ohne zu straucheln. Dann muß man einen Kurs steuern, den man auch dann einhalten kann, wenn einmal durch Windstöße von rechts und links das Gleichgewicht des Körpers leicht gestört wird.
    Ich möchte gar nicht von dem Standpunkt ausgehen — und ich glaube, wir sollten uns das alle abgewöhnen —, daß wir unter allen Umständen gegenüber den anderen recht behalten wollen.

    (Sehr gut! rechts.)

    Ich möchte von dem Standpunkt ausgehen, daß jeder von uns, Regierung und Opposition, im Wandel der Ereignisse und der veränderten Verhältnisse jeden Tag bereit sein muß, seine eigenen Entschlüsse und Auffassungen zu überprüfen.

    (Bravo-Rufe bei den Regierungsparteien.)

    Ich sage: Regierung und Opposition. Aber diejenigen, die durch die Wucht einer politischen Entscheidung der Wähler die Verantwortung für die Führung der Regierungsgeschäfte zu tragen haben oder sie selber vielleicht in einem Anflug von, sagen wir, Überschätzung ihrer eigenen Möglichkeiten übernommen haben, unterliegen am stärksten der Verantwortung, ihre eigenen Entschlüsse zu prüfen. Denn sie haben die Möglichkeit, mit Hilfe ihrer Mehrheit einen Weg auch
    dann noch zu gehen, wenn er sich als falsch erwiesen hat. Um so größer ist ihre Verantwortung.
    Im Lichte dieser Überlegungen gesehen war der Herr Bundesfinanzminister gestern bei der Einbringung seines Haushaltsplans ein getreuer Interpret der Gesamtpolitik der Bundesregierung. Wir halten das für seine selbstverständliche Funktion. Aber wir glauben, daß er als dieser getreue Interpret der Politik der Bundesregierung in mancher Hinsicht, wenn auch etwas gehemmt durch seine finanzministerlichen Verpflichtungen, dem etwas allzu rosaroten Optimismus seines Kollegen im Bundeswirtschaftsministerium einen zu großen Tribut gezollt hat.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wir glauben — und das möchte ich gleich zu Beginn sagen —, daß das, was der Herr Finanzminister gesagt hat und was die Gesamtpolitik der Bundesregierung genannt werden kann, in vielen wesentlichen Punkten eine Politik des Als-ob ist, eine Politik, als ob wir wirtschaftlich unabhängig wären, eine Politik, als ob wir sozial bereits stabilisiert wären, eine Politik, als ob wir politisch frei und ohne Hypotheken unser gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben nach ehernen Gesetzen der Wirtschaft gestalten könnten, ohne daß unser Volk Schaden an Leib und Leben nimmt, eine Politik, als ob wir nach dem großen Absturz von 1945 bereits das innere Gleichgewicht erlangt hätten, das neben der sozialen und wirtschaftlichen Fundierung für den Bestand der Demokratie unentbehrlich ist.
    Der Ausgangspunkt unserer kritischen Haltung gegenüber der Bundesregierung sind nicht nur einzelne Handlungen und Maßnahmen oder Unterlassungen; es ist ein aus der Gesamtschau geborener Standpunkt. Wir sind der Meinung, daß die Politik der Bundesregierung im ersten Jahr der Bundesrepublik Deutschland nicht sehr viel dazugetan hat, die Spannungen in unserem Volkskörper abzubauen, sondern daß durch ihre Maßnahmen im einzelnen wie im ganzen diese Spannungen verstärkt worden sind.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wir sind der Meinung, daß sie sich immer wieder durch Ereignisse hat überaschen lassen, die ihren Schatten längst vorausgeworfen haben.

    (Zuruf rechts: Na, na!)

    — Ich habe das Recht Ihrer eigenen Meinung akzeptiert und ich bitte Sie, es mir auch zu gewähren.

    (Abg. Dr. Schäfer: Aber ich darf doch mal murmeln!)

    Ich gestatte Ihnen auch das, Herr Kollege Schäfer.
    — Wir sind der Meinung, daß die Regierung es nicht verstanden hat, durch voraussehende Planung die Schocks aufzufangen, die von den äußeren und inneren Ereignissen auf die Bevölkerung unseres Landes ausgegangen sind.
    Wenn wir auch in der Generaldebatte nicht Einzelheiten des Haushaltsplans kritisieren, sondern die Gesamtpolitik der Regierung zur Diskussion steht, so möchten wir doch sagen, daß wir diese Kritik bei aller Fairneß so scharf wie möglich führen möchten. Wir haben in den letzten Tagen eine Reihe von Debatten gehabt, die ein Stück der Haushaltsauseinandersetzung vorweggenommen haben. Die Polizeidebatte vom Dienstag hat einen Teil der inneren Politik und ihrer Probleme behandelt. Die Debatte über Außenpolitik vom Mittwoch hat ebenfalls bereits wesent-


    (Schoettle)

    liche Teile der Haushaltsplandebatte behandelt. Sie mögen insoweit außer Betracht bleiben. Aber wir können doch nicht umhin, einen Blick rückwärts insofern zu werden, als es sich um die psychologischen und politischen Fakten handelt, die dabei aufgedeckt worden sind. Wir glauben, daß hier ein Riß sichtbar geworden ist, der durch unser politisches Leben geht. Dieser Riß trennt uns weniger in der Bereitschaft, das bis jetzt Gewonnene zu verteidigen, soweit es echter Gewinn ist. Er trennt uns vielmehr in der Verschiedenheit der Methode des politischen Handelns und des politischen Denkens, hinter der die Verschiedenheit der Auffassungen über Sinn und Inhalt des neuzugestaltenden Daseins unseres Volkes steht.
    Wir verkennen gar nicht die objektiven Schwierigkeiten, vor denen diese Bundesregierung steht und vor denen jede deutsche Regierung stehen würde. Der Herr Bundesfinanzminister hat nicht ohne Recht eine Aufgliederung der Haushaltszahlen vorgenommen, aus der sich für jeden, der lesen und rechnen kann, ergibt, daß ein großer Teil unserer Aufwendungen im Bundeshaushalt Vorwegbelastungen sind, von denen wir nicht herunterkommen und von denen keine Regierung herunter käme. Das gilt für die Besatzungslasten, über die ich in einem anderen Zusammenhang noch etwas sagen möchte, und gilt für die Kriegsfolgelasten, für die große soziale Last.
    Aber, meine Damen und Herren, wir sollten es uns auch nicht zu leicht machen; wir sollten vor allem nicht den Eindruck erwecken, als ob gerade die soziale Belastung des Bundes ein Luxus sei, an dem man etwa mit gutem Willen abstreichen oder bei dem man im Bewußtsein einer Schicht der Bevölkerung, die vielleicht für diese Last etwas beizutragen hat, den Eindruck erwecken könnte, wir könnten auch weniger tun. Wir sollten uns alle darüber einig sein, daß wir noch lange nicht genug tun

    (Sehr richtig! bei der SPD und bei der CDU)

    und daß mehr getan werden muß und daß die soziale Belastung nicht etwas ist, was wir uns willkürlich auf den. Leib gebunden haben, sondern daß es die tragische Schuld der deutschen Geschichte ist, die wir hier abbezahlen und die wir abbezahlen müssen, wenn wir vor uns selber bestehen wollen.

    (Beifall bei der SPD, in der Mitte und rechts.)

    Wenn wir alle die bitteren Notwendigkeiten hinnehmen, die sich aus dem Zwang zum Wiederaufbau unseres Landes, aus der unnatürlichen Lage des Bundes in einem historischen und geographischen Brennpunkt der Welt, kurz aus unserer Gesamtlage ergeben, dann wird uns jene Nüchternheit auch in der Durchleuchtung der Haushaltszahlen nahegelegt, die man gerade bei einem so ernsthaften Geschäft braucht, auch wenn man politisch auseinandergeht.
    Meine sehr verehrten Freunde! Meine Damen und Herren! Der Schwerpunkt unserer Kritik liegt nicht bei haushaltsrechtlichen oder staatsrechtlichen Gesichtspunkten. obwohl dazu im einzelnen manches zu sagen wäre, Wir wollen aber nicht die Artikel des Grundgesetzes heranziehen, um zu beweisen, daß der Herr Bundesfinanzminister da und dort das Grundgesetz nicht peinlich genau eingehalten hat. Man könnte da bei der Frage der Interessenquoten eine lange Debatte führen,

    (Sehr richtig! bei der BP)

    und man würde sich vielleicht doch nicht einigen, ob das nun haargenau auf der Linie des Grundgesetzes liegt oder nicht. Ich persönlich bin der Meinung, es sei eine deutliche Verbiegung der verfassungsrechtlichen Grundlage,

    (Hört! Hört! rechts)

    wenn man hier die Länder aus ihrer Verpflichtung entlassen hat. Aber darüber werden wir uns noch an anderer Stelle zu unterhalten haben.
    Aber das sind, wie gesagt, gar nicht die Ausgangspunkte; die Ausgangspunkte sind politischer Natur, und da, meine sehr verehrten Damen und Herren, sage ich Ihnen folgendes. Unser Haupteinwand gegen die politische Entwicklung, die sich unter der Flagge der gegenwärtigen Regierungskoalition vollzogen hat, ist der, daß sie eine Politik der planmäßigen Restauration durchgeführt hat.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Das ist nicht nur viel weniger, als unser Volk im Kampf um seine Wiedergesundung braucht, es ist letzten Endes auch eine falsche Richtung, die da eingeschlagen worden ist.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf in der Mitte: Das ist ein Schlagwort!)

    — Mein lieber Herr Kollege, ob es sich hier um ein Schlagwort handelt oder nicht, möchte ich, nachdem ich die Ausführungen des Herrn Kollegen Bausch gehört habe, lieber nicht debattieren. Man kann da sehr verschiedener Meinung sein.

    (Sehr richtig! und Beifall bei der SPD.)

    Wir sollten auch da nicht der Versuchung unterliegen, den anderen etwa weniger anständige Motive zu unterstellen, als man sich selber zubilligt.

    (Sehr gut! und Beifall bei der SPD.)

    Wir sind der Meinung, daß die Aufgabe jeder deutschen Regierung nicht einfach die Wiederherstellung des Alten in Gesinnung und Haltung, in Inhalt und Struktur ist, sondern die Neuorientierung unseres Volkes auf Grund seiner völlig gewandelten sozialen Schichtung, seiner materiellen und geistigen Bedürfnisse und seiner von Grund auf umgestürzten Position in dieser Welt.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Schütz: Wir auch!)

    — Gut, Herr Kollege Schütz, dann wollen wir mal sehr lange darüber debattieren, was wir darunter zu verstehen hätten.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Auch die bereitwilligste Anerkennung der ehrenhaften Absichten des anderen kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die politische Entwicklung in der Bundesrepublik eine Atmosphäre geschaffen hat, in der alle Tendenzen der Absonderung und der Eigenbrötelei, alle Neigungen zur Aufsplitterung in Einzelinteressen, in Gruppeninteressen üppig in die Halme schießen

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    und die Vorgestrigen und die Unbelehrbaren Morgenluft wittern.

    (Erneute Zustimmung bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Das ist gewiß nicht die Schuld der Regierung und ihrer Parteien allein; da wirken objektive Umstände mit, einmal die internationale Situation, die manches so erscheinen läßt, als ob das Gestern nicht gewesen wäre, und zum anderen leider auch ein objektiver Faktor: die allzugroße Vergeßlichkeit und Bereitschaft zum Vergessen, die bei Millionen Menschen in unserem Volk noch immer vorhanden ist,

    (Beifall bei der SPD und in der Mitte)

    obwohl sie vom Leben und von der Geschichte ge-


    (Schoettle)

    nügend geprügelt worden sind und eigentlich etwas Besseres gelernt haben sollten.
    Aber wir können den betonten Rechtskurs, der seit dem 14. August des vorigen Jahres in der Bundesrepublik gesteuert worden ist, nicht freisprechen von der Verantwortung dafür, daß manche Leute von gestern und von vorgestern sich jetzt wieder sehr voreilig in den Vordergrund drängen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich denke da an solche Erscheinungen — für die ich die Bundesregierung nicht haftbar machen will — wie die Bruderschaft, diesen beinahe gewerkschaftlichen Zusammenschluß der alten Generalstäbler

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    und höheren Offiziere, der heute mit Ansprüchen auftritt, die wir mit aller Entschiedenheit ablehnen und bekämpfen müssen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU: Wir auch!)

    Ich denke da an die mehr oder weniger illegitime Heranziehung von Militärs als geistliche oder andere Beichtväter gewisser führender Staatsmänner der Bundesrepublik, ohne daß ihre Funktionen sich in irgendeiner Etatposition widerspiegeln.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Das muß heute manche Leute mit dem Hochmut erfüllen, daß man sie ja doch wieder brauche und daß man ohne sie nicht auskomme.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)


    (Abg. Dr. von Brentano: In der Berichterstattung!)

    — Die Berichterstattung ist nicht schuldig zu sprechen für das, was in dieser Konferenz gesagt wurde.

    (Abg. Dr. von Brentano: Aber sie ist falsch! — Weiterer Zuruf von der Mitte: Tendenziös!)

    - Nun, Herr Kollege von Brentano, Sie haben sich auf dieser Konferenz vertreten lassen; und wenn Ihr eigener Vertreter Ihnen das gesagt hat, was er dort gesagt hat, dann müßten Sie ihm vielleicht auch noch einen kleinen Rippenstoß versetzen.

    (Abg. Dr. von Brentano: Er hat das nicht gesagt, was in der Zeitung steht, sondern der Berichterstatter!)

    — Vielleicht hat er sogar noch mehr gesagt, als in der Zeitung steht. Das ist sogar sehr zu vermuten.
    Ich will aber nur eines sagen, meine Damen und Herren. Einer der Redner. die dort gesprochen haben — er übt heute eine, sagen wir, geschäftsführende Funktion in einer anderen Evangelischen Akademie aus und ist seines Zeichens General der Panzertruppen a. D. —, hat seine Rede kurz und schlicht unter das Motto gestellt — wenn er das auch nicht genau als Motto bezeichnet hat —:
    Ich bekenne mich zur Demokratie, weil wir sonst wieder das ganze Ausland auf den Hals bekommen würden.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, das ist die wahre Liebe nicht!

    (Heiterkeit. — Abg. Dr. von Brentano: Sehr richtig!)

    Das ist der Geist, den wir alle gemeinsam im gemeinsamen Interesse bekämpfen müssen

    (lebhafter Beifall bei der SPD und bei den Regierungsparteien)

    und für den wir den Türspalt keinen Finger breit aufmachen dürfen, ganz gleich, ob da gesellschaftliche oder politische Assoziationen in die Brüche gehen. Menschen von diesem Geist sind auch nicht in der Lage, in irgendeiner Form positiv am Aufbau unserer Demokratie mitzuwirken. Wenn wir hier nicht schon von Anfang an den Brutus mit dem Dolch hinter dem Rücken

    (Zuruf von der Mitte: Mit dem Dolch im Gewande!)

    erziehen wollen, — —

    (Abg. Bausch: Die sollten wir gewinnen!)

    — Ich bin immer bereit, Herr Kollege Bausch, jeden Sünder zu begrüßen, und ich ziehe den reuigen Sünder jedem vor, der glaubt, er sei schon immer bekehrt gewesen.

    (Sehr gut! in der Mitte. — Heiterkeit bei der SPD und in der Mitte.)

    Wenn wir aber von diesen Dingen einmal absehen, meine Damen und Herren. die bedrohliche Randerscheinungen sein mögen — ich sage bedrohliche Randerscheinungen; morgen können sie im Zentrum der Auseinandersetzung stehen —, dann bleibt doch die Tatsache, daß der Riß, der seit 1945, seitdem die Millionen aus dem Osten zu uns hereingeströmt sind, durch unser Volk gegangen ist, nicht nur nicht geschlossen wurde, sondern daß er breiter geworden ist.

    (Zustimmung.)

    Heute löst dieser Riß politische Folgewirkungen aus, an denen die Demokratie deshalb schwer zu tragen haben wird, weil hier politisch unklare, in ihrer Zielrichtung noch längst nicht bestimmte Kräfte zu einer organisatorischen Ausformung drängen und auf der parlamentarischen Ebene auf die Dauer zu einem Störungsfaktor werden können, der gerade die Lösung der Fragen verhindert, deren Lösung diese Kräfte angeblich erstreben.

    (Beifall bei der SPD und in der Mitte.)

    Man muß leider sagen, daß vielleicht auch hier wieder objektive Umstände und subjektives Versagen eine Rolle gespielt haben — subjektives Versagen gar nicht im Sinne des Versagens in irgendeinem politischen, parteipolitischen Sinne —, das Versagen mancher Leute mit hartem Herzen und mit selbstzufriedener Haltung gegenüber den Ansprüchen von Menschen, die in Not geraten sind.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Das ist eine Sache, die — weitgehend von der Beeinflussung durch politische Faktoren unabhängig — einfach im Egoismus der Menschen wurzelt. Wer alles behalten hat, sieht es natürlich fünf Jahre nach der großen Katastrophe nicht sehr gern, wenn man ihm eine Last zumutet, und er sieht seine eigenen Verdienste, oder vielmehr sein unverdientes Los eigentlich doch in einem viel persönlicheren Licht, als er es 1945 gesehen hätte.


    (Schoettle)

    Auf der anderen Seite bleibt aber doch die Verzögerung gesetzgeberischer Maßnahmen auf diesem Gebiete, die die Illusionen der Menschen viel zu lange erhalten ließ und die sie jetzt in einem Augenblich zerstören muß, in dem die Menschen weder politisch noch seelisch auf solche Schocks vorbereitet sind.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich glaube, hier kann man die Regierung nicht ganz von der Schuld an der Verzögerung dieser gesetzgeberischen Maßnahmen freisprechen.
    Ein anderes Element, das diesen Riß in unserem Volk verbreitert und das ich auch in das Kapitel der Politik der Restauration schreiben möchte, ist die Politik, die insbesondere vom Herrn Bundeskanzler sehr lebhaft und aktiv gefördert wurde, die Politik der Ausschaltung der Sozialdemokratie aus der Regierungsverantwortung dort, wo es naheliegen würde, infolge der soziologischen und ökonomischen Struktur des betreffenden Gebiets gerade die Sozialdemokratie in der Verantwortung zu lassen. Der Versuch einer Art von Gleichschaltung der Länderpolitik mit der Politik der Koalition hier in Bonn scheint mir eines der Elemente unseres politischen Lebens zu sein, das auf die Dauer Wirkungen haben kann, an denen Sie und wir keine Freude haben,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    weil durch sie die Legitimität dieser Demokratie im Kern getroffen wird,

    (Zustimmung bei der SPD)

    auf deren Boden wir alle stehen müssen, mit Ausnahme der wenigen Verantwortungslosen, die wir nie auf diesen Boden bringen können, weil sie ja nur ihr Soll zu erfüllen haben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! In dieses Kapitel gehört die unglückliche Hand der Bundesregierung in der Personalpolitik des Bundes. Ich weiß, was manche von Ihnen da denken, wenn die Sozialdemokratie von der Personalpolitik redet. Sie denken nicht etwa nur, daß die Sozialdemokratie dort, wo sie es kann, eine falsche Politik macht — Sie wissen genau, daß das nicht der Fall ist —, Sie denken aber, hier handle es sich nur um die Verteidigung von Pfründen. Aber, meine Damen und Herren, wenn wir uns schon nicht über diese Fragen sachlich unterhalten können, dann könnten wir uns doch vielleicht über eines verständigen. Ich glaube nicht, daß es eine demokratische, daß es eine legitime Personalpolitik ist, wenn ein Sozialdemokrat um den andern, der im Bundesdienst war, aus den führenden Stellungen verdrängt oder, weil er politisch unbequem ist, weil er den Mut gehabt hat, sich zu seiner Gesinnung zu bekennen, in der Luft hängen gelassen wird, und weil man plötzlich überall findet, daß man keinen mehr brauchen könne, daß alle Planstellen besetzt seien, oder daß man ihm Dinge zumutet, die man den eigenen Freunden nie und niemals zumuten würde.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Ich glaube, daß hier ein bestimmter Plan und eine Tendenz vorliegen, und wenn man schon diesen Plan und diese Tendenz hat, meine Damen und Herren, dann sollte man sich entweder ehrlich zu ihnen bekennen oder aber aufhören, davon zu reden, daß man ja in vielen Fragen gemeinsame Aufgaben und gemeinsame Absichten habe.

    (Sehr wahr! und Beifall bei der SPD.)

    Man sollte dann auch aufhören, der Sozialdemokratie von Fall zu Fall zu sagen, wie notwendig
    sie zur Erreichung breiter Mehrheiten für wichtige parlamentarische Akte sei; denn dann könnten wir Ihnen antworten, daß wir nicht bereit sind, der Regierungskoalition dann aus der Verlegtenheit zu helfen, wenn sie unsere Hilfe braucht.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zuruf rechts.)

    — Frau Kalinke, das sind — —

    (Abg. Frau Kalinke: Ich würde Ihnen immer helfen, wenn es richtig und vernünftig ist!)

    — Wir schätzen Ihren grenzenlosen Altruismus, Frau Kollegin, und wir hoffen nur, daß wir auf der parlamentarischen Ebene einmal Gelegenheit haben, ihn nicht nur zu schätzen, sondern auch an praktischen Beispielen zu bewundern. Nichts würde uns tiefer befriedigen.

    (Zuruf rechts: Haben wir schon!)

    Zum Atmosphärischen in der Politik der Bundesregierung und der Bundesrepublik gehört auch das Mißtrauen, und das ist nicht nur auf die Sozialdemokratie beschränkt, auch nicht nur auf die parlamentarische Ebene, das Mißtrauen in die Methoden des Regierens. Ich will niemanden hier irgendwie etwa bloßstellen, aber ich könnte aus Gesprächen mit vielen Herren und Damen hier im Hause, die nicht zur Sozialdemokratie gehören, mehr Beispiele bringen, als an meinen zehn Fingern Platz haben, darüber, wie im tiefsten unbefriedigt sie sind über diese Methoden des Regierens, wie sie sich gelegentlich in einer souveränen Nichtachtung oder Nichtbeachtung des Parlaments ausdrücken. Wir haben dafür in den vergangenen 12 Monaten eklatante Beispiele erlebt.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Dazu kommt die mangelnde Kollegialität in der Regierung selber, die ja kein Märchen und keine Erfindung der böswilligen Opposition, sondern eine inzwischen sozusagen öffentliches Eigentum gewordene Tatsache ist. Es kommt die Zwielichtigkeit und — meine Damen und Herren, ich will es milde ausdrücken — das ungenaue oder schwache Kopfrechnen bei der Vorbereitung von wichtigen politischen Entscheidungen hinzu, die wir in dieser Entstehungszeit der Bundesrepublik erlebt haben.
    Ich will zum ersten Punkt sagen: die Methode der Interviews, der Überraschungen, von der wir gerade bei der außenpolitischen Debatte wieder ein nicht gerade erfreuliches Beispiel erlebt haben, als uns eine Entschließung der Bundesregierung auf den Tisch geknallt wurde, von der man 24 Stunden vorher noch nichts wußte. Das ist sozusagen nur der letzte Punkt aufs i gewesen. Solche Dinge gab es am laufenden Band. nicht nur gegenüber der Opposition, sondern auch gegenüber dem Parlament und sogar wie böse Zungen behaupten, gegenüber den Mitgliedern der Regierung selber.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Das schafft ein Mißbehagen. das sich weit hinaus über die Mauern des Parlaments verbreitet ins Volk hinein.
    Nun zum zweiten Punkt: die Faltung gegenüber dem Parlament. Wir haben einige Beispiele erlebt. wie die Regierung sich gegenüber Parlamentsbeschlüssen verhält. Ich denke da an die Entwicklung der Brotpreisdebatte in diesem Hause.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    wo man erst mit Mehrheit so und dann mit einer ganz anderen Mehrheit anders beschloß. weil die Regierung geruhte, von dem Beschluß der. Mehrheit dieses Hauses nur mit Stirnrunzeln Kenntnis




    (Schoettle)

    zu nehmen, und weil sich dann eine andere Mehrheit fand, die ihn änderte. Ich denke da an die Beschlüsse, die den Bereich der Außenpolitik, der Organisation unseres auswärtigen Dienstes betreffen. Wir haben damals einen Beschluß gefaßt — er ist schon beinahe sagenhaft geworden —, einen fast einstimmigen Beschluß in diesem Hause, daß der Herr Bundeskanzler aufgefordert werde, einen Staatssekretär für Auswärtiges zu bestellen. Nun, es ist beinahe eine Tragödie geworden. Der Herr Bundeskanzler hat inzwischen einen Staatssekretär bestimmt. Aber der Herr Staatssekretär — ich will ihn hier weder mit Namen nennen noch will ich seine Person und seine Intelligenz kritisieren — hat uns in einem Ausschuß dieses Hauses erklärt, er sei nicht nur ein Staatssekretär für das Äußere, er sei auch einer für das Innere.

    (Heiterkeit.)

    Es mag sein, daß ein Mensch so viele Fähigkeiten besitzt. Aber irgendwie erinnert mich das an den Dichter Manfred Kyber, der einmal in einem bezaubernden Märchen nicht nur einen vertrottelten König in Filzpantoffeln, sondern auch einen Minister zeichnete, der sowohl Innen- wie Außenminister war. Wenn er seine Füße einwärts drehte, war er Innenminister, wenn er sie auswärts drehte, war er Außenminister.

    (Große Heiterkeit.)

    Ich hoffe, daß die Funktionen des Herrn Staatssekretärs im Bundeskanzleramt nicht auf diese einfache technische Weise erfüllt werden.

    (Abg. Dr. Schmid man einen Orthopäden als Kanzler!)

    Meine Damen und Herren, wie gesagt, das ist keine Kritik an dem Herrn Staatssekretär, es ist eine Kritik an den Dingen, die wir in allem Ernst jetzt hier vorbringen und bei denen wir eine Änderung erwarten, Dingen, von denen wir glauben, daß das ganze Parlament ihre Änderung erwarten muß.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Dann denken wir daran, meine Damen und Herren, daß wir in diesem Hause einen Bundesinnenminister haben gehen sehen und einen neuen haben kommen sehen. Ich sage weder für den einen noch gegen den andern etwas. Ich sage wieder nur etwas gegen die Methode, sozusagen auf kaltem Wege entscheidende politische Veränderungen im Kabinett vorzunehmen, die die ganze Öffentlichkeit aufregen und die in diesem Parlament überhaupt keinen Niederschlag finden.

    (Sehr gut! und Beifall bei der SPD.)

    Ist es jedesmal notwendig, daß erst die Opposition durch eine Interpellation die Dinge in Fluß bringt und sich dann von den Regierungsparteien oder von der Regierung selber sagen läßt, daß sie hier eigentlich offene Türen einrenne oder Dinge mache, die die Regierung sich schon seit sechs oder acht Monaten überlegt habe, oder daß es sich hier um Zuständigkeiten der Exekutive und des Herrn Bundeskanzlers handle, die das Parlament nichts angingen? Ich glaube, hier wäre die Initiative der Bundesregierung am Platze, dem Parlament Rechenschaft zu geben, wenn sie die notwendige Achtung und das richtige Verhältnis gegenüber diesem Parlament hätte.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Und dann zum Dritten, meine Damen und Herren. Ich sprach von dem schlechten Kopfrechnen, das gelegentlich praktiziert wird. Dabei fällt einem unwillkürlich das Wort „Bonn" ein. Die schöne Stadt, in der wir jetzt tagen - und niemand wird im Ernst daran denken, den Beschluß zu ändern —, ist doch schon zu Anfang, als diese Beschlüsse gefaßt wurden, im düsteren Schatten der Zwielichtigkeit, der Zweideutigkeit gelegen. Meine Damen und Herren, wir müssen jetzt in zwei Untersuchungsausschüssen, die wir hätten vermeiden können, dieses Kapitel aufklären, sowohl nach den sachlichen Aufwendungen wie nach der Seite der persönlichen Integrität einzelner Mitglieder dieses Hauses. Ja, ich möchte die unangenehme Frage aufwerfen — und sie wird vielleicht manchem von Ihnen unangenehm sein —, ob nicht etwa gerade das Jonglieren mit Zahlen und die Arbeit hinter den Kulissen, die diesen Beschluß des Parlaments beinahe an den Haaren herbeigezogen haben, mit die Verantwortung dafür tragen, daß die Dinge, die sich hier in Bonn abspielten, von Anfang an in der Bevölkerung draußen mindestens mit einem Augenzwinkern betrachtet worden sind.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich glaube, hier hat der Herr Bundeskanzler eine politische Verantwortung auf sich genommen, deren Last er mindestens ernsthaft spüren und überprüfen sollte.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Sie sehen, ich drücke mich hier gar nicht so scharf
    aus, wie es vielleicht der Sache angemessen wäre.

    (Erneute Zustimmung bei der SPD.)

    Ich spreche die Dinge aber so an, daß sie jeder hier im Hause versteht.

    (Zuruf von der SPD: Hoffentlich! — Weitere Zurufe links.)

    — Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, auf Ihr Verständnis da drüben (zu den Bänken der KPD) rechne ich sowieso nicht!

    (Große Heiterkeit und Zurufe.)

    — Auch gut! Ob dort jemand sitzt oder nicht, ins Leere spricht man sowieso!

    (Erneute große Heiterkeit.) —Na ja! —Wie oft hat die Regierung die wichtigste Maxime des Regierens in einer parlamentarischen Demokratie vergessen oder übersehen, daß die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg in der Politik, hier im Sinne der Gesamtpolitik gesehen und nicht etwa nur der Politik der Regierung und der Opposition, die volle Information ist, nämlich derer, die mit an der Verantwortung zu tragen haben. Die Regierung ist stolz auf ihre Erfolge. Das haben wir gestern aus dem Bericht des Herrn Bundesfinanzministers gemerkt, das haben wir bei anderen Gelegenheiten gemerkt und bei unzähligen Reden — nicht hier in diesem Hause; die Minister haben ja viele öffentliche Aufgaben, und manche von ihnen reden häufiger außerhalb des Hauses als im Haus!


    (Heiterkeit.)

    Daß die Regierung stolz ist auf ihre Erfolge, das haben wir also genügend zur Kenntnis genommen. Aber wir glauben ihr sagen zu müssen, sie sollte etwas bescheidener sein, und sie sollte sich etwas weniger von dem Optimismus ihres Wirtschaftsministers anstecken lassen.

    (Erneute Heiterkeit.)

    Für die Bescheidenheit gibt es genügend objektive Gründe, die jeder anerkennen kann.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Für den Optimismus gibt es im gegenwärtigen Augenblich so gut wie keinen Grund!

    (Zustimmung bei der SPD.)



    (Schoettle)

    Meine Damen und Herren! Die veränderte Lage, in der sich die Bundesrepublik und die ganze Welt befinden, hätte den Alliierten auch ohne das Verdienst irgendeiner Regierung in Deutschland eine Änderung ihrer Haltung gegenüber der Bundesrepublik aufgezwungen, ob sie wollten oder nicht.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Daß sie unter einem Zwang handeln, zeigen sie dadurch, daß sie den Notwendigkeiten der veränderten politischen Situation immer nur mit kleinen, beinahe homöopathischen Dosen Rechnung tragen.

    (Erneute Zurufe von der SPD: Sehr gut! Sehr wahr!)

    Daß sie nicht aus freien Stücken handeln, gibt uns aber die Chance, durch eine richtige politische Haltung ihre Entschlüsse vorwärtszutreiben und von ihnen das zu erzwingen, was unsere und ihre eigene Situation erfordert, sie endlich von der Politik der kleinen Mittel abzubringen.
    Meine Damen und Herren, ich glaube, daß die Bundesregierung, daß in erster Linie der Herr Bundeskanzler, der hier anzusprechen ist und der ja nicht nur die Richtlinien der Politik bestimmt, sondern der die Außenpolitik sozusagen zu seinem Spezialressort gemacht hat, in der Vergangenheit sehr oft Trümpfe aus der Hand gegeben und eine Ungeduld an den Tag gelegt hat, die der Sache nicht genützt hat.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Genossen und Genossinnen! — — Oh, Entschuldigung! — —

    (Anhaltende große Heiterkeit. — Beifall bei der SPD.)

    — Meine Damen und Herren, ich freue mich außerordentlich darüber, daß Sie auch dieser falsche Zungenschlag gefreut hat!

    (Erneute Heiterkeit.)

    Man kann gelegentlich dieses Auditorium mit einer freundlichen oder mit einer gegnerischen Parteiversammlung verwechseln.

    (Heiterkeit.)

    Sie werden mir zugeben, daß wir manche Episoden in diesem Hause erlebt haben — von beiden Seiten! —, die diesen Schluß durchaus nahelegen!

    (Erneute Heiterkeit. — Zuruf von der CDU: Wir nehmen es gar nicht übel! — Abg. Kunze: Wir freuen uns darüber!)

    Ich würde nicht auf den andern mit Fingern zeigen, sondern daran denken, was der Kollege Bausch gesagt hat: wenn man auf einen andern mit zwei Fingern gezeigt hat, deuten immer drei auf die eigene Brust!

    (Heiterkeit.)

    Also, meine Damen und Herren, wir freuen uns bestimmt über jede Fessel, die fällt. Wir freuen uns über jeden Fortschritt, der ein solcher ist, wenn der Preis nicht dafür zu hoch war. Aber wieviel von der wirtschaftlichen Belebung, über die auch der Herr Bundesfinanzminister Schäffer gestern soviel sprach, geht denn auf die Politik der Regierung zurück? Wieviel — wir sollten uns doch immer wieder fragen — geht zurück auf die amerikanische Finanz- und Wirtschaftshilfe, die wir erfahren haben?

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wieviel geht auf den Rüstungs-Boom zurück, der
    im Laufe dieses Sommers eingesetzt hat? Und
    stehen nicht gerade jetzt die Zeichen auf Sturm,
    Zeichen, die wir beachten sollten? Ich glaube, wichtiger als das Propagandabedürfnis der Regierung und ihrer Parteien wäre eine nüchterne Analyse unserer bedrohlich zugespitzten Lage.
    Dieser Tage hat ein von mir sehr geschätzter Kollege aus dem Kreise der Regierungskoalition im Haushaltsausschuß des Bundestags in einer etwas zugespitzten Debatte gegenüber den Vertretern der Opposition erklärt: „Wir haben ja gar keine echte Konjunktur, was wir haben, ist ja nur eine Scheinblüte!" Meine Damen und Herren, niemand aus den Reihen der Opposition wagte diesem Vertreter der Regierungskoalition zu widersprechen,

    (Heiterkeit)

    aus verständlichen Gründen nicht. Er muß gute Gründe für seine Bemerkung gehabt haben. Er ist sonst einer der Treuesten von den Treuen in der Regierungskoalition,

    (erneute Heiterkeit)

    er steht ganz gewiß nicht im Verdacht irgendwelcher sozialdemokratischer Neigungen. Aber kommt diese Bemerkung von der wirtschaftlichen Scheinblüte der Wahrheit nicht viel näher als die gelegentlichen Reden dieses oder jenes Mitglieds des Kabinetts oder gar des Herrn Bundeswirtschaftsministers?

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wir haben gewiß in der Bundesrepublik keine Potemkinschen Dörfer. Die Zeiten sind vorbei, in denen man nur Pappfassaden an den Straßen aufrichten konnte. Aber haben wir nicht eine ebenso gefährliche Realität in unserem Lande? Ich meine die Fassadenarchitektur unserer Geschäftsstraßen in den Großstädten und die Neonlichterflut.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Was verbirgt sich denn hinter dieser schönen Fassade, vor der die Ausländer und auch manche Einheimische teils staunend, teils fassungslos stehen? Dahinter verbergen sich die unangenehmen Tatsachen, daß 58 0/0 der Beschäftigten in der Bundesrepublik — Arbeiter, Angestellte und Beamte — ein Monatseinkommen von weniger als 250 DM haben,

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    daß 10 Millionen Rentenempfänger, Sozialfürsorgeempfänger und Erwerbslose — und davon 4 Millionen alleinstehend — mit nichts als ihrer Rente da sind, daß 12 Millionen der Bewohner der Bundesrepublik mit weniger als 220 DM Monatseinkommen, davon viele mit unter 100 DM, ja bis hinunter zu 40, 50 und 60 DM im Leben dastehen.

    (Erneute Rufe bei der SPD: Hört! Hört!)

    Auch das ist deutsche Wirklichkeit, und nicht nur das Bild, das uns der Herr Bundesfinanzminister gestern entrollt hat. Wir sollten auch diese deutsche Wirklichkeit mit all ihren Gefahren und Warnzeichen sehen; und demgegenüber steht die Tatsache, die auch nicht zu leugnen ist, daß es trotz angeblich unerträglichen Steuerdrucks doch einer kleinen Gruppe unserer Mitbürger in den Jahren seit der Währungsreform gelungen ist, sich aufs neue ganz beträchtliche Vermögen zuzulegen!

    (Sehr wahr! bei der SPD. Zuruf von der SPD: Es gibt wieder 200 Millionäre!)

    Man sollte sich nicht darüber wundern, daß in einer so zugespitzten Situation die Arbeiter und Angestellten in den Betrieben und auch ein Teil der Angestellten des Öffentlichen Dienstes die Geduld verlieren und nach einer Verbesserung ihrer materiellen Lage drängen. Man sollte ihnen da nicht mit billigen Ermahnungen kommen, sondern


    (Schoettle)

    überlegen, ob nicht eine wirkliche Änderung der Wirtschafts- und Sozialpolitik notwendig ist,

    (Beifall bei der SPD)

    eine Gesamtpolitik, die die Spannungen mildert und abbaut.
    Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang einige Bemerkungen zur Finanzpolitik der Bundesregierung. Ich bin kein Finanzexperte, ich habe die Beratungen im Finanz- und Steuerausschuß nicht mitgemacht. Ich will nur einige stichwortartige Bemerkungen machen. Man darf mit Fug und Recht heute die Frage aufwerfen, ob auch vom Standpunkt des Herrn Bundesfinanzministers aus gesehen die Finanzreform dieses Frühjahrs erfolgreich gewesen ist.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Man darf die Frage stellen, auch wenn der Herr Bundesfinanzminister mit leicht gedämpftem Trommelklang ja sagen möchte, ob denn tatsächlich die Wirkungen eingetreten sind, die er sich von dieser Reform versprochen hat. In den Ländern, den Empfängern der Einkommensteuer, hört man andere Töne. Mir ist dieser Tage aus einem Land der französischen Zone — und dieses Land steht keineswegs allein — gesagt worden, daß die Erfüllung der sozialen Aufgaben des Landes durch den katastrophalen Rückgang der Steuereingange in Frage gestellt sei

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    und daß sich die wissenschaftlichen Methoden des Steuerbetrugs zu einer immer vollkommeneren Höhe entwickelten.

    (Erneute Rufe bei der SPD: Hört! Hört!)

    Das ist nicht die einzige Stimme dieser Art. Ich glaube, man kann die Frage sehr wohl aufwerfen, ob es dem Herrn Bundesfinanzminister nicht etwas wohler in seiner Haut wäre, wenn er das Gefühl hätte, er habe sich in diesem Frühjahr nicht allzu sehr zu der Reform drängen lassen, zu einer Reform, die heute in den veränderten Verhältnissen doch offenkundig gerne wieder zurückgenommen werden würde, wenn es so einfach wäre. Man redet jetzt davon, daß man da und dort die Steuerbegünstigungen beseitigen wolle, und wenn ich recht orientiert bin, spricht man davon, daß man insbesondere die steuerbegünstigte Selbstfinanzierung abbauen möchte. Ich erinnere mich an Debatten im Wirtschaftsrat zur Zeit der ersten kleinen Steuer- und Finanzreform, als wir beinahe händeringend die damaligen Träger der Verantwortung vor dieser überspitzten Begünstigung der Selbstfinanzierung der Industrie warnten.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wohin das geführt hat, sehen Sie an unserer Fassadenarchitektur. Heute ist es nicht so leicht, das alles zurückzunehmen. Es wird ein großes Geschrei im Lande geben. Ich glaube, die Bundesregierung wird sich aber dazu entschließen müssen, nicht nur, wenn sie die sozialen Aufwendungen weiter erfüllen will, die wir etatisieren, sondern wenn sie auch die Löcher, die im Säckel des Bundes, der Länder und der Gemeinden zu entstehen drohen, schließen will.
    Zu demselben Kapitel gehört auch etwas anderes, nämlich die Frage: Ist die Spekulation des Herrn Bundesfinanzministers eingetreten, daß die Steuerschuldner ehrlicher geworden seien?

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir haben nicht den Eindruck, daß die moralischen
    und materiellen Ermahnungen irgendeine wesentliche Wirkung gehabt hätten. Wir haben eher den gegenteiligen Eindruck.

    (Zustimmung.)

    Ich habe - ebenfalls aus einem Lande der französischen Zone — einen Bericht in Stichworten vor mir, in dem mit dürren Worten nicht mehr und nicht weniger gesagt wird, als daß gewisse industrielle Betriebe heute nicht wissen, wie sie ihr Geld dem Steuerfiskus entziehen sollen, und daß sie ,da auf die Idee kommen, es den Gemeinden zinslos anzubieten, weil sie auf diese Weise um die Steuer herumkommen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Ein eklatantes Beispiel: Eine Firma bietet einer Stadt im Lande Rheinland-Pfalz 40 000 DM zinslos an und fordert in gleichem Atemzuge von der Stadt ein Darlehen von 35 000 DM zu 6 % Zinsen. Die Absicht ist offenkundig. Aber es gibt im Augenblick offenbar keine gesetzliche Möglichkeit, um eine solche Form der Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Dieses Land steht übrigens nicht allein.
    Der Herr Bundesfinanzminister hat uns die Aussicht auf neue Steuern eröffnet. Wir werden darüber zur gegebenen Zeit zu reden haben. Ich möchte heute nur folgendes sagen. Bei aller Sympathie für die unmögliche Position des Herrn Bundesfinanzministers — mit dem Aufmachen neuer Steuerquellen löst man die Probleme nicht,

    (Abg. Kunze: Wie denn?)

    solange man nicht die bestehenden Steuerquellen
    ausschöpft, Herr Kollege Kunze. Auch Sie wissen —
    Sie wohnen ja im Lande Nordrhein-Westfalen —
    aus dem Beispiel der Soforthilfe, wie gerade die
    großen Pflichtigen es da verstanden haben, sich
    durch umfassende Steuerstundungsanträge, die von
    den Finanzämtern nur allzu bereitwillig akzeptiert
    worden sind, aus der Affäre herauszuschlängeln.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Es ist doch ein trauriges Beispiel, wenn im Lande Nordrhein-Westfalen von 100 Millionen DM Soforthilfeleistungen 70 Millionen DM gestundet worden sind.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Das waren doch nicht die kleinen Leute, das waren doch ganz andere Leute, die diese Stundungsanträge gestellt haben.

    (Abg. Kunze: Das stimmt nicht!)

    Dieselben Erfahrungen gibt es in allen Ländern, wobei eine gewisse Laxheit der Finanzverwaltung schon in der Anlaufzeit des Soforthilfegesetzes wesentlich mit daran Schuld trägt, daß die Steuerpflichtigen die Sache nicht ernst genommen haben, weil sie unter dem Eindruck standen, darüber sei das letzte Wort doch noch nicht gesprochen.

    (Abg. Kunze: Herr Schoettle, es sind 13 % gestundet und nicht 70!)

    — Darüber sollen sich die Sachkundigen unterhalten.

    (Abg. Kunze: Das bin ich!)

    — Ich bediene mich des Materials, das mir gegeben worden ist. Ich erkläre mich in aller Form in dem Sinne als nicht so sachkundig wie Sie.

    (Abg. Kunze: Dann durften Sie die Zahlen auch nicht nennen!)

    Die Steuern, die der Herr Bundesfinanzminister in Aussicht gestellt hat — von denen, die der Herr Bundeswirtschaftsminister erwähnt hat, will ich gar nicht reden, weil er sich offenbar auf einem ihm fremden Gebiet bewegt hat —, scheinen uns,


    (Schoettle)

    wenn auch auf Umwegen, in jedem Falle eine Belastung der Massen der Verbraucher mit sich zu bringen. ich selber bin Autofahrer, aber ich habe gar keine Sympathie für diese Schicht von Menschen. Wenn die zum Zahlen verurteilt würden, würde ich mit Leidenschaft bezahlen, schon weil ich wüßte, daß die anderen auch bezahlen müssen. Aber ich weiß, daß viele Leute diese Belastung nur dazu benützen, um sie abzuwälzen. Mir scheint, daß die Methode nicht möglich ist. Wir müssen uns nach meiner Ansicht hierüber ernsthaft und grundlich auseinandersetzen.
    Ein anderes Kapitel. Wir haben hier im Bundestag das erste Wohnungsbaugesetz mit großer Mehrheit beschlossen. Wir alle haben uns darüber gefreut, daß sich in einer brennenden sozialen Frage eine so große Mehrheit zusammengefunden hat. Ich will nicht sagen, daß die optimistischen Schätzungen über die Entwicklung des Wohnungsbaus in der Bundesrepublik ganz und gar unbegründet seien. Aber wenn man die Dinge einmal nicht von der hohen Warte des Bundeswohnungsministeriums, sondern von unten her sieht, von den Gemeinden und den Ländern her, dann wird man einigermaßen bedenklich, auch wenn man nicht in Rechnung zieht, daß durch die neue Entwicklung auf dem Kapitalmarkt das Wohnungsbauprogramm in jedem Fall gefährdet wird. Denn schon jetzt steht fest, daß zwar in vielen Fällen die Wohnungsbaugenehmigung erteilt, die Bauten aber entweder nicht begonnen werden konnten oder aber halb fertig stehen bleiben mußten, weil die Finanzierung stockt und weil Schwierigkeiten in der Baustoffbeschaffung eingetreten sind und aus vielen ähnlichen Gründen. Man weiß weiter — das kommt hinzu —, daß die Entwicklung der Baukosten zu einer solchen Höhe der Mieten geführt hat, daß das Ziel des sozialen Wohnungsbaus im Ernst gefährdet ist. Denn die Mieten sind so hoch, daß die Leute, für die die bezuschußten Wohnungen bestimmt waren, sie nicht mieten können, so daß vielfach schon ein schwungvoller Handel mit Wohnungen aus dem System des sozialen Wohnungsbaus getrieben wird. Dadurch kommen Leute in den Genuß von bezuschußten Wohnungen, die für sie gar nicht gedacht waren.

    (Widerspruch in der Mitte.)

    Ich sage das nicht im Sinne einer definitiven Bilanz des ersten Wohnungsbaugesetzes.

    (Abg. Dr. Wellhausen: Das wäre auch falsch!) Ich sage das im Sinne einer ernsthaften Warnung, die Dinge nicht schleifen zu lassen, sondern ihnen auf den Grund zu gehen und vor allem sich nüchtern darüber Rechenschaft abzulegen, was die großen und schweren Veränderungen auf dem Gebiete des Kapitalverkehrs, was die Diskonterhöhung und ihre Folgewirkungen auch für dieses wichtige Gebiet des öffentlichen Handelns bedeutet. Erst wenn wir uns darüber nüchtern Rechenschaft geben, werden wir in der Lage sein, das Reelle vom Unreellen zu unterscheiden und statt Propaganda echte Sozialpolitik auch auf dem Gebiete des Wohnungsbaus zu machen.


    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn man noch hinzunimmt, daß von der Bundesbahn neuerdings Tariferhöhungen, zum Beispiel eine 50%ige Erhöhung im Berufsverkehr, angekündigt worden sind, dann muß man doch wohl sagen, daß es Kreise in unserem Volke gibt, die weniger Grund zum Optimismus haben als der eine oder andere Herr Bundesminister; denn die Wirkungen dieser Maßnahmen bedeuten jedenfalls eine Verengung der sozialen Lage von Hunderttausenden, ja Millionen von Menschen, sie bedeuten eine Senkung des Lebensstandards, und wir müssen davon Kenntnis nehmen, daß eine solche Entwicklung nicht nur materielle, sondern auch politisch-psychologische Konsequenzen hat.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, das Wort von der Scheinblüte scheint uns also auf vielen Gebieten durch ,die tatsächlichen Zustände und Gefahren in unserer Wirtschaft bestätigt zu werden. Zwar hat der Herr Bundeswirtschaftsminister in Münster in Westfalen am 5. 11. nach der Presse — ich zitiere die Presse, denn sonst ist uns nichts von diesen Ausflügen in den Bereich der Industrie zugänglich — erklärt, daß es keine Rückkehr zur Planwirtschaft gäbe. Nun, das ist uns nichts Neues. Das ist beinahe schon der ewige Refrain dieser Reden. Wir glauben ihm aufs Wort, genau so wie wir ihm aufs Wort glauben, was er auf der Tagung des Bundesverbandes der Industrie über die Kohlenlage gesagt hat.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Es hat wenig Sinn, sich in diesem Zusammenhang mit dem alten Steckenpferd ,des Herrn Bundeswirtschaftsministers auseinanderzusetzen, nämlich Planwirtschaft und Zwangswirtschaft, wie wir sie von der nationalsozialistischen Herrschaft ererbt haben, einander gleichzusetzen. Wir werden uns da wohl kaum verständigen bis zum Ende der Tage, das heißt der Tage des Herrn Bundeswirtschaftsministers, das ja auch einmal kommen wird. Es gibt schon jetzt Leute, die die Axt schleifen. Sie gehören nicht zur Sozialdemokratie. Wir wünschen der Bundesregierung den Herrn Bundeswirtschaftsminister!

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Aber etwas anderes muß in diesem Zusammenhang gesagt werden. Warum, so fragen wir, gibt die Bundesregierung dem Parlament, dem Bundestag, nicht offen und umgehend Informationen über die schwierige Lage, in der sie sich nach dem Urteil aller Sachverständigen, auch ihrer eigenen, gegenwärtig befindet, was ihre Devisenreserve, was die Wirkungen der von ihr, vom Bund und vom Zentralbankensystem getroffenen Maßnahmen auf dem Gebiete der Zinspolitik angeht, was es auf sich hat mit den Versuchen, durch Importbeschränkungen der radikalsten Art gewisse Wirkungen auf dem Gebiete der innerdeutschen Wirtschaft zu erzielen, in welchem Umfange die Bundesregierung heute noch in der Lage ist, etwa durch weitgesteckte Importprogramme das zu erreichen, was sie die Regulierung der Preise durch Angebot und Nachfrage, das heißt durch die „ehernen Gesetze der Wirtschaft" nennt? Inwieweit fühlt sich die Bundesregierung noch frei, den Kurs zu steuern, ,den sie nach dem 14. August des vorigen Jahres in vielen programmatischen Erklärungen verkündet hat? Schließlich spricht ja auch Herr Professor Dr. Erhard jetzt in etwas verdeckten Tönen von der Notwendigkeit der Steuerung; Lenkung zu sagen ist vielleicht zuviel. Aber immerhin, man beginnt doch einzusehen, daß es nicht einfach mit dem Gehenlassen geht und daß man gewisse Dinge machen muß, ob man nun will oder nicht, und daß man nicht einfach mit monetären Mitteln den Karren wieder ins richtige Gleis bringen kann.
    Ich möchte die Bundesregierung fragen, was denn der Professoren-Konvent des Herrn Bundeswirtschaftsministers, der sogenannte Wissenschaft-


    (Schoettle)

    liche Beirat, auf seiner letzten Tagung in Bad Neuenahr an neuen Erkenntnissen zur Wirtschaftspolitik der Bundesregierung gefördert hat. Ich bin überzeugt, wir würden da eine Reihe von Aufschlüssen bekommen, die, ich will nicht sagen sensationell, aber zumindest doch für einen großen Teil der Bevölkerung recht beunruhigend wären. Ich habe nicht die Absicht, hier aus der Schule zu plaudern, ich habe nicht die Absicht und kein Sozialdemokrat hat sie, etwa Panik zu fördern; aber es wäre gut, wenn wir auch darüber Bescheid wüßten, was die Herren Professoren dem Herrn Bundeswirtschaftsminister an Ratschlägen geben, wie er die jetzige Situation meistern könne. Ich darf aber doch soviel sagen, daß die Herren Professoren in einigen Punkten vermutlich erheblich anderer Meinung sind als der Herr Bundeswirtschaftsminister. Mehr möchte ich in diesem Zeitpunkt nicht sagen.
    Nun, meine Damen und Herren, müssen wir noch hinzunehmen, daß wir auf vielen Gebieten des Wirtschaftslebens bereits jetzt sehr empfindliche Engpässe feststellen müssen. Von den Baustoffen, die den Wohnungsbau sehr stark beengen, weil sie knapp sind, habe ich schon gesprochen. Es gibt auf dem Gebiete der eisenschaffenden und eisenverarbeitenden Industrie eine ganze Anzahl von Anzeichen, daß auch dort Knappheit eintritt und daß viel zu lange Lieferfristen notwendig sind. Das schlimmste, was alle Bevölkerungskreise erregt, meine Damen und Herren, ist ja wohl — darüber sind wir uns einig, vermute ich — die Situation auf dem Gebiete der Kohlenversorgung, und darüber muß ich doch einiges sagen.
    Ich habe gerade in den letzten 24 Stunden von einer Reihe von Freunden Mitteilungen aus ihren Wahlkreisen und Ländern erhalten, die nach unserer Meinung doch etwas anderes besagen als das, was der Herr Bundeswirtschaftsminister vor dem Forum der Industrie gesagt hat. Dort hat er nämlich gesagt — in Köln war das —, die akute Kohlennot — ich zitiere wieder die Presse — sei so weit überwunden, .daß an dem Vierteljahresbedarf von 23 Millionen Tonnen nur noch etwa 1-1,5 Millionen Tonnen fehlten. Wenn man die Leute aus der Kohlen-Industrie, aus den Bergwerken selber fragt und vor allem die Leute, die einen Einblick haben, weil sie an leitender Stelle stehen, dann wird einem das tägliche Defizit an Kohle, gemessen am Bedarf, in ganz anderen Größenverhältnissen dargestellt.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Aber wir brauchen uns gar nicht solcher Zahlen zu bedienen, es genügt das Bündel von Nachrichten von einem einzigen Tage. Gestern kam eine Meldung aus Rüsselsheim, daß die Firma Opel, ich glaube mit 18 000 Arbeitern, vor der Frage steht, ob sie am Wochenende nicht ihren Betrieb stilllegen soll, weil sie nicht in der Lage ist, sich den erforderlichen Kohlenbedarf zu beschaffen. Im Lande Rheinland-Pfalz sind die Ziegelwerke, immerhin eine wichtige Industrie für unseren. Wohnungsbau, wegen Kohlemangels gezwungen, stillzulegen.
    Im Regierungsbezirk Kassel ist die Kohlenlage für Bäckereien, Krankenhäuser und landwirtschaftliche Unternehmungen, aber auch für Flüchtlingsbetriebe so bedrohlich, daß man die größten Schwierigkeiten befürchtet.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Großbetriebe, die mit Steinkohle arbeiten, sind in
    Gefahr, stillegen zu müssen, weil sie die Kohle nicht bekommen. Die Quellen für diese Nachrichten sind die Industrie- und Handelskammer im Regierungsbezirk Kassel, der Kohlengroßhandelsverband und der Regierungspräsident. Ich glaube, das sind alles Quellen, die durchaus honorig sind und deren Zeugnisse man doch ernst nehmen muß. Aus dem Krankenhaus Spannenberg im Regierungsbezirk Kassel kam gestern ein Telegramm hierher, das besagt, daß dort nur für zwei Tage Koks sei und daß 40 Operierte dort lägen, für die die größte Gefahr bestehe, wenn man nicht beschleunigt die Kohlenversorgung in Ordnung bringe.
    Aus dem Lande Südbaden hat mein Freund Fritz Meier eine ganze Anzahl von Informationen gegeben, die geradezu alarmierend sind. Vor 8 Tagen waren 2/3 der größeren Gaswerke des Landes nur für zwei bis drei Tage mit Kohlen versorgt. Die Gaswerke Gaggenau-Rastatt verfügten überhaupt nicht mehr über Kohlen, so daß die Gefahr bestehe, daß diese großen Werke mit 4000 Arbeitern stilllegen müßten und daß die Zivilbevölkerung nicht mehr mit Koch-Gas beliefert werden könnte. Schließlich hat eine Intervention bei dem französischen Landeskommissar einen Zuschuß von einigen hundert Tonnen Kohlen erbracht; aber die Verhandlungen mit dem Bundeswirtschaftsministerium haben offenbar gezeigt, daß man die Lage dort nicht so rosig sieht, wie es aus den Äußerungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers hervorzugehen schien.

    (Zuruf von der SPD: Interessiert aber den Bundeswirtschaftsminister nicht!)

    Es kommt hinzu, daß die Gaswerke im Lande Baden im November nach den Auskünften des Bundeswirtschaftsministeriums nur mit 86% ihrer Septemberbelieferung, d. h. mit 60% ihres Verbrauchs im September, zu rechnen haben. Meine Damen und Herren! Das bedeutet doch in dieser Jahreszeit eine außerordentliche Zuspitzung der Situation, über deren politische Konsequenzen man sich kaum zu unterhalten braucht.
    Ich sehe, daß meine Redezeit nahezu erschöpft ist, möchte aber noch einige Bemerkungen zum Haushalt machen. Meine Damen und Herren! Spät kam er, aber er kam schließlich! Die Gründe dafür will ich hier gar nicht untersuchen, obwohl sie nicht nur in den objektiven Verhältnissen liegen. Ich will nur eines mit aller Deutlichkeit der Kürze wegen feststellen: Wir müssen so schnell wie möglich — und ich hoffe, daß wir mit den Herren vom Bundesfinanzministerium darin einig sind — wieder zur Jährlichkeit und Vorherigkeit des Haushalts zurückkommen; wir müssen wieder eine Haushaltsberatung abschließen, ehe das Haushaltsjahr beginnt. Was wir jetzt haben, ist ein so enormer und unerträglicher Übergangszustand, daß er nicht mehr länger andauern kann.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Das Budgetrecht des Bundestages ist keine bloße staatsrechtliche oder haushaltsrechtliche Fiktion, es muß eine Realität sein, die nur dann realisiert werden kann, wenn tatsächlich der Haushalt so rechtzeitig vorliegt, daß wir alle Konsequenzen übersehen können.

    (Sehr gut! bei der SPD und rechts.)



Rede von Dr. Hermann Schäfer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Abgeordneter, darf ich Sie einmal mit einer für Sie angenehmen Mitteilung unterbrechen. Die Uhr zeigt nur 60


(Vizepräsident Dr. Schäfer)

Minuten; deswegen kam das Schlußzeichen. Da Sie aber eine längere Redezeit haben, ist Ihre Redezeit noch nicht so schnell abgelaufen, wie Sie annehmen.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Erwin Schoettle


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich danke Ihnen!

    (Zuruf von der CDU: Schade!)

    Ich weiß nicht, ob das für alle Teile des Hauses eine so erfreuliche Mitteilung ist.

    (Heiterkeit.)

    Ich möchte noch hinzufügen, meine Damen und Herren, ich glaube, wir müssen das Bundesfinanzministerium in allem Ernst und in aller Dringlichkeit bitten, daß es schon jetzt mit den Vorbereitungen für den Haushalt 1951 beginnt.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Es genügt nicht, ein Verlängerungsgesetz für diesen Haushalt schon jetzt vorzubereiten. Wir müssen in der Lage sein, mindestens zu Beginn des nächsten Haushaltsjahres auch den Haushaltsplan in Kraft zu setzen. Das wird in diesem Hause viel Arbeit erfordern, und man muß sich überlegen, wie es zu machen ist, aber ich glaube, es muß in unser aller Interesse gemacht werden; denn die Verzögerung der Haushaltsberatungen und der Verabschiedung des Etats hat nicht nur die Folge, daß wir sozusagen post festum über Dinge beschließen, die schon geschehen sind — ganz abgesehen von den umfangreichen Vorwegbewilligungen, die dieses Haus in die Hände des Haushaltsausschusses gelegt hat —, sondern auch die Konsequenz, daß die Rechnungslegung, d. h. der Vergleich des Ists mit dem Soll des Haushaltsplans nicht möglich ist. Wir haben da ein schönes Beispiel. Bis `heute liegt noch keine Rechnung für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet vor. Ich hoffe, daß sie uns entweder in einem Sammelbericht oder in Details doch sehr bald gegeben wird, damit wir auch auf dem Gebiete der Rechnungslegung den Anschluß an die neue Situation finden. Außerdem wünschen wir, daß die statistischen Erhebungen und Mitteilungen für die Öffentlichkeit und für das Parlament über die Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden und ebenso die kurzfristigen Darstellungen der Kassenlage des Bundes in Bälde wieder eingeführt und so gestaltet werden, daß sich das Parlament laufend eine Vorstellung davon machen kann, wo wir eigentlich halten.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich glaube, wir haben ein Recht auf solche Informationen.
    Zur Finanzlage von Bahn, Post usw. sollte ebenfalls eine stärkere und regelmäßigere Berichterstattung an die Öffentlichkeit und an das Parlament erfolgen.
    Schließlich sollten wir dahin kommen — das ist ein großer Schritt vorwärts, über den man sich sehr ernsthaft aussprechen muß —, daß wir alle öffentlichen Haushalte im Bundesgebiet, nicht nur den des Bundes, sondern auch die der Länder und Gemeinden, als eine Einheit betrachten lernen. Wir sollten, wenn möglich, einmal dahin kommen, daß die Finanzmasse, die allen öffentlichen Haushalten zur Verfügung steht, nach rationellen Gesichtspunkten auf alle öffentlichen Bedarfsträger verteilt wird. Das ist nicht mit einem Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern zu machen; denn heute ist es leider so, daß den letzten die Hunde beißen, und die letzten sind die Gemeinden.
    Wir glauben, daß die Gemeinden, bei aller Reverenz vor dem föderalistischen Charakter unseres Grundgesetzes, auch ein Anliegen des Gesamtstaates sind, daß sie nicht nur die Kostgänger der Länder sind. Sie müssen unter allen Umständen auch vom Bund in der Weise pfleglich behandelt werden, daß er in seinem zentralen Kommunalministerium, im Innenministerium, entgegen allen Widerständen von einer pseudoföderalistischen Seite her, die kommunalpolitische Abteilung so entwickelt, daß die Gemeinden auch im Bund einen Fürsprecher finden.

    (Beifall bei der SPD und in der Mitte.) Wenn die Gemeindehaushalte nicht in Ordnung sind — und sie sind heute auf vielen Gebieten nicht in Ordnung —, dann ist im ganzen Staate etwas nicht in Ordnung. Man kann sich nicht damit abfinden, zu sagen: Die Gemeinde ist die Keimzelle der Demokratie. Was ist das für eine Demokratie, in der die Keimzelle sozusagen an Armen und Beinen gelähmt, d. h. nicht funktionsfähig ist? Das ist ein Gesamtinteresse des Volkes, nicht nur ein Interesse der Länder.

    Meine Damen und Herren, ich wollte hier keine Detailkritik der Ministerien geben. Wenn ich im einzelnen doch auf das oder jenes Ministerium etwas schärfer losgehackt habe, so liegt das in der Natur der Sache. Ich möchte aber jetzt schon für die dritte Lesung ankündigen, daß die sozialdemokratische Fraktion diesem Hause wahrscheinlich einen Antrag unterbreiten wird, der den Bundesrechnungshof mit der Überprüfung der gesamten Bundesverwaltung beauftragen soll. Das geschieht nicht aus Mißtrauen; das geschieht aus dem Bedürfnis, den Zustand des Aufbaus, in dem viele Dinge improvisiert werden mußten, zu überwinden und durch eine sachliche, von der höchsten dafür zuständigen Stelle vorgenommene Überprüfung eine rationelle, wirksame, sparsame und zweckmäßige Verwaltung zu bekommen. Wir sind keine Anhänger der Verwaltungsreform à tout prix. Wir wissen, daß das Schlagwort vom notwendigen Abbau der Verwaltung eben nichts als ein Schlagwort ist, wenn es nur die Reduzierung der Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst und nicht auch die Reduzierung der Aufgaben oder ein Ausgleichen von Aufgaben und Besetzung des öffentlichen Dienstes mit sich bringt.

    (Zustimmung bei der SPD und in der Mitte.) Wir möchten also mit aller Deutlichkeit sagen, daß es hier nicht um propagandistische, sondern um sachliche Anliegen geht, die wir glauben im Interesse des gesamten Parlaments und der Demokratie mit erfüllen zu müssen.

    Wir glauben nicht, daß es genügt, etwa nach dem Antrag, den eine Fraktion dieses Hauses kürzlich hier eingebracht und über den das Haus gesprochen hat, einen Bundessparkommissar einzusetzen. Wir glauben, daß der Bundesrechnungshof, der durch ein von diesem Haus verabschiedetes Gesetz fundiert ist, nicht nur ein Instrument der Regierung, sondern auch ein Instrument des Parlamentes zur Wahrnehmung seines Haushaltsrechts, seines Kontrollrechts ist, dem der Bundestag — die Regierung hat angeblich schon einen Auftrag erteilt — von sich aus einen Auftrag geben muß, der garantiert, daß auch wir von den Ergebnissen dieser Arbeiten erfahren. Denn letzten Endes handelt es sich hier nicht nur um Sachentscheidungen; es handelt sich auch um politische Entscheidungen im bestverstandenen Sinne dieses Wortes. Wir alle wissen, wie schwer es ist, Entscheidungen gerade auf dem Gebiet der Verwaltungsreform, der Besoldungsreform, des Beamtenrechts und ähnlicher Dinge, unbeeinflußt von den verschiedenen In-


    (Schoettle)

    teressen zu treffen. Um so notwendiger ist es, daß wir eine sachliche Grundlage für solche politischen Entscheidungen bekommen.
    Ich glaube, es hat auch keinen Sinn — und hier möchte ich ein Wort zum Bundesrat sagen —, den Ratschlägen des Bundesrats zu folgen, der gerade beim Bundesrechnungshof Einsparungen an Personal vornehmen will. Das scheint uns Sparsamkeit am falschen Platz zu sein. Der Bundesrechnungshof muß personell so besetzt sein, daß er seine Aufgaben auf allen Gebieten der Staatsverwaltung erfüllen kann.
    Meine Damen und Herren, wir wünschen auch noch etwas mehr Etatsklarheit. Wir möchten, daß im Bereich des Haushalts alle Töpfchen verschwinden. Wir möchten, daß alle Einnahmen und Ausgaben etatisiert werden. Wir möchten nicht, daß da und dort kommissarische Bestellungen erfolgen, von denen das Parlament hinterher erfährt und die dann nur sehr schwer zu regulieren sind. Wir möchten nicht, daß ohne das Parlament und ohne Haushaltstitel weittragende personelle Entscheidungen getroffen werden, die dann so hinschwelen, wie etwa die Benennung eines Abgeordneten dieses Hauses als „mit der kommissarischen Leitung des Staatssekretariats" eines Ministeriums „beauftragt". Daraus ergeben sich dann die allermerkwürdigsten Kombinationen. Man sollte hiermit auf allen Gebieten und in allen Ministerien reinen Tisch machen.
    Ich erhebe dabei die Frage nach der Funktion der Staatssekretäre überhaupt. Ich will keinem der Herren zu nahe treten. Heute ist die Regierungsbank außerordentlich gut besetzt, gemessen an den sonstigen Verhältnissen.

    (Heiterkeit.)

    Aber oft haben wir das Gefühl, der Umstand, daß wir keine parlamentarischen Staatssekretäre haben, sondern nur die Herren, die an der Spitze des Ministeriums, d. h. der Beamtenschaft des Ministeriums stehen, führe dazu, daß wir weder den Minister noch den Staatssekretär im Hause haben, wenn wichtige Fragen des Ministeriums behandelt werden. Wir möchten da dringend eine Änderung wünschen. Entweder bequemt sich die Regierung dazu, dafür zu sorgen, daß der Minister oder der Staatssekretär im Hause ist, oder sie schafft die Institution des parlamentarischen Staatssekretärs und läßt die andere fallen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    So, wie es in der letzten Zeit gegangen ist, geht es nicht.

    (Beifall bei der SPD und beim Zentrum.)

    Was nun die Frage des ausgeglichenen Etats betrifft, so gestatten wir uns, nicht ' ganz einer Meinung mit dem Herrn Bundesfinanzminister zu sein. Er hat zwar rein rechnerisch, so im Stile einer kaufmännischen Bilanz, den Haushalt ausgeglichen. Aber er wird mir selber zugeben, daß einige dubiose Posten in diesem „ausgeglichenen" Haushalt sind. Ich will gar nicht davon reden — der Herr Bundesfinanzminister selber hat es getan —, daß z. B. der Eingang der Interessenquoten der Länder sich doch etwas stockend vollzieht. Wenn also schon die Zahlen auf dem Papier stehen, dann ist die Realität jedenfalls mit den Zahlen nicht ganz in Übereinstimmung. Man kann sagen, es ist ausgeglichen, man kann auch sagen, es ist nur zum Schein ausgeglichen, Herr Staatssekretär. Man kann ganz bestimmt nicht sagen, der Etat sei ausgeglichen, wenn die — ich glaube 170 Millionen oder so ungefähr — Ablieferungen der Bundesbahn zwar kraft Gesetzes im Etat stehen, wenn aber diesem Etattitel keine materielle Leistung der Bundesbahn gegenübersteht. Über dieses Problem haben wir uns oft unterhalten. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß diese Ablieferungen in den Haushalt gehören. Aber wir würden dringend wünschen, daß man endlich einmal auch, nicht nur mit Bundesbahngesetzen und ähnlichen Dingen, sondern mit einem ernsthaften Versuch der Reform der Bundesbahn den Weg beschreitet, der zur Gesundung der Bundesbahn und zur Ablieferungsfähigkeit der Bundesbahn führt.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Mir scheint, daß wir hier über Ansätze bisher nicht hinausgekommen sind. Das ist eine außerordentlich wichtige Aufgabe, ganz abgesehen davon, daß uns die Mitteilungen des Herrn Bundesfinanzministers über die Lage im außerordentlichen Haushalt, über die Möglichkeit der Beschaffung der dafür vorgesehenen Einnahmen auf dem Wege nicht über den Kapitalmarkt, sondern durch die Hingabe von Anleihestücken an öffentliche Institutionen wie Bundespost und einzelne Banken, nicht restlos befriedigen. Wir glauben, daß hier ein Rest zu tragen peinlich bleibt, und daß die Bundesregierung gerade bei der Durchführung der Aufgaben, für die der außerordentliche Haushalt Einnahmen vorsieht und Ausgaben vorschreibt, in sehr große Schwierigkeiten geraten wird, so daß man von einem ausgeglichenen Etat nur mit großen Vorbehalten reden kann. Aber wir wollen diese Frage nicht zum Kardinalpunkt unserer Kritik machen. Wir wollen sie angesprochen haben, weil wir glauben, daß wir in der nächsten Zeit über diese Dinge noch sehr viel öfter und ernsthafter reden müssen, als es heute möglich ist.
    Nun noch einige Bemerkungen zu zwei Posten des Haushalts, die auch der Herr Kollege Bausch in seiner Rede berührt hat. Das sind die Besatzungskosten und die Soziallasten. Wir alle sind uns darüber einig: die einen sind zu hoch und die anderen leider nicht so hoch, wie sie angesichts der Not in unserem Volke sein müßten. Die Besatzungskosten sind zu hoch, und dabei droht durch die politische Entwicklung die Gefahr, daß diese Besatzungskosten sich noch erhöhen. Mein Freund Schumacher hat in der außenpolitischen Aussprache schon davon gesprochen, daß der Begriff der Besatzungskosten völlig gegenstandslos geworden ist, und daß hier eine neue Form des gemeinsamen Bezahlens einer gemeinsamen Aufgabe gefunden werden muß.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Wir dürfen schließlich auch daran erinnern, daß noch vor gar nicht allzu langer Zeit die Argumente auch der Besatzungsmächte, wenn wir die Besatzungskosten ansprachen, ganz anders gelautet haben als heute. Heute sagt man uns, ihr müßt 10% eures Sozialprodukts bezahlen. Heute sagt man uns, die Besatzungskosten, die ihr jetzt bezahlt, genügen noch längst nicht, ihr müßt mehr bezahlen. Noch vor einem halben Jahr und vor einem Jahr hat man uns gesagt: Ihr Deutschen solltet eigentlich froh darüber sein, daß ihr keine Armee habt; dafür bezahlt ihr jetzt Besatzungskosten. — Ja, meine Damen und Herren, das ist doch ein im Grunde völlig anderes Argument gewesen als das, das möglicherweise der heutigen Situation entspricht, das aber doch die Dinge vom realpolitischen Standpunkt aus völlig verschoben hat. Denn wenn schon eine Änderung eingetreten ist, doch nicht in der Weise, daß nun die Last


    (Schoettle)

    dieser Besatzung, die zufällig geographisch auf unserem Gebiet steht, ausschließlich vom deutschen Volke getragen werden muß. Dann muß sie auch gemeinsam getragen werden. Dann dürfen wir doch auch hoffen, und wir müssen es fordern, daß auch in eine Detailkritik des Begriffes der Besatzungskosten eingetreten wird;

    (Sehr richtig! rechts)

    denn da brauchen wir nicht erst Beispiele an den Haaren herbeizuziehen. Noch keine Besatzungsmacht ist mit den Mitteln, die ihr aus dem unterlegenen Volke gegeben wurden, so pfleglich umgegangen, wie die Finanzminister dieses Volkes es tun müßten.

    (Sehr gut! rechts.)

    Wir haben da unzählige Beispiele. Man soll nicht billig argumentieren, aber man soll auch nicht an Tatsachen vorbeisehen, die in weiten Kreisen unseres Volkes, nicht nur bei den Betroffenen, ein Ärgernis sind: daß eben die Besatzungskosten zum Teil in absolut unproduktiven und sinnlosen Ausgaben bestehen,

    (Zurufe: Sehr gut!)

    daß die Beanspruchung von Wohnraum nicht aufhört, wenn niemand mehr in den Häusern wohnt, und noch nicht einmal dann, wenn das Haus schon monate- oder gar jahrelang unbewohnt ist.

    (Zurufe: Sehr gut!)

    Es gibt eine ganze Reihe anderer Dinge, die in
    dieser Richtung liegen. Ich glaube, hier müssen
    wir noch größere politische Anstrengungen machen,
    um die Besatzungsmächte zu veranlassen, endlich
    ein ernsthaftes Gespräch mit uns über diesen
    Posten unseres Etats zu beginnen, der hoch ist, und
    der nicht so hoch sein müßte, der gar nicht so hoch
    sein darf, wenn man die tatsächlichen Bedürfnisse
    der Besatzung mit den Kosten in Vergleich setzt.

    (Bravo! rechts.)

    Ich glaube, wir brauchen uns hier, ohne irgend
    welche nationalistische Töne anzuschlagen, nicht zu
    scheuen, das Kind beim rechten Namen zu nennen.
    Die Soziallasten sind hoch. Aber wir haben auch eine Katastrophe ohnegleichen erlebt. Wir haben — ich will sie nicht wieder aufzählen — in unserem Volke eine so hohe Zahl von Menschen, die infolge ihres Alters, infolge ihrer geschwächten Gesundheit, infolge der Tatsache, daß sie zu Krüppeln geschossen worden sind, einfach nicht mehr in der Lage sind, im Leben auf eigenen Beinen zu stehen. Das schlägt sich in unserem Sozialhaushalt nieder, und ich sage es nochmals: Wir sollten diese Ausgaben nicht als einen Luxus empfinden, den sich ein geschlagenes Volk leistet, sondern als eine Notwendigkeit, der Rechnung zu tragen ist, damit dieses Volk wieder auf die Beine kommt, und daß es nicht nur im körperlichen, sondern 'auch im moralischen Sinne auf den Weg der Gesundung kommt.
    Meine Damen und Herren! Wenn wir damit die öffentliche Diskussion über die Ausgabenwirtschaft des Bundes in Vergleich setzen, so machen wir oft den Fehler, daß wir uns über Kleinigkeiten aufregen — entschuldigen Sie, wenn das Wort aus meinem Munde kommt —, über Kleinigkeiten in einer falschen Weise aufregen. Es ist klar, daß sehr viel unnötige Aufwendungen für kostspielige Dinge gemacht worden sind. Wenn der Name Bonn fällt, dann ist das Thema schon angesprochen. Ich will es auf eine kurze Formel bringen. Wir sollten uns nicht darüber aufregen, daß da und dort 10 000 DM ausgegeben worden sind, sondern daß da und dort 10 000 DM unnötig und unzweckmäßig ausgegeben worden sind. Das ist schlimmer als die Ausgabe von 10 000 DM an sich, weil die Menschen ein feines Gefühl dafür haben, was nötig und was nicht nötig ist. Das hat nichts mit der sogenannten und oft gerühmten Optik zu tun. Das hat aber mit dem guten Gewissen aller derer zu tun, die für die öffentlichen Ausgaben verantwortlich sind. Und hier, glaube ich, ist eine Selbstkontrolle nötig. Ich empfehle den Herren, sich den Bericht, wenn sie ihn bekommen, des Rechnungshofes des Landes Nordrhein-Westfalen über die Aufwendungen im Raume Bonn zu beschaffen. Sie werden einige sehr nette Nutzanwendungen daraus ziehen können.
    Ich komme zum Schluß. Was war der Sinn dieser Ausführungen? Nicht nur die Kritik an der Politik der Regierung, nicht nur die Kritik an Einzelheiten, sondern auch die Bestimmung des eigenen Standortes. Wir stehen zu dieser Regierung in Opposition. Aber wir stehen in Opposition aus derselben Liebe und Anhänglichkeit zu unserem Volke, die wir auch unserem. politischen Gegner zubilligen.

    (Bravo! in der Mitte.)

    Vom gemeinsamen Boden der legitimen und von uns allen anerkannten Demokratie aus stehen wir zueinander in einem echten politischen Gegensatz, den wir in allen Einzelheiten, in aller Fairneß und in aller Schärfe da, wo es notwendig ist, austragen wollen.
    Meine Damen und Herren! Nicht der Herr Bundeswirtschaftsminister oder der Herr Bundesfinanzminister oder sonst einer der Herren auf der Regierungsbank war Ziel unserer Kritik, sie waren das Ziel unserer Kritik als Funktionäre einer Gesamtpolitik, die wir ablehnen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ich sage Ihnen zum Schluß folgendes. Wir Sozialdemokraten verfügen nicht oder nur in den seltensten Fällen über das große, patriotische Pathos, das zumeist denen zur Verfügung steht, die dieses Pathos benützen, weil sie sonst nichts zu bieten haben.

    (Rufe rechts: Na! Na!)

    — Niemand braucht sich davon getroffen zu fühlen.

    (Lachen links.)

    Es ist durchaus Sache desjenigen, der sich die Jacke anzieht. — Ich sage, wir verfügen nicht über das nationale Pathos.

    (Abg. Frau Kalinke: Haben Sie Herrn Schumacher schon einmal gehört?)

    Aber wir stehen mit der gleichen Liebe zu unserem Volke, von dem wir ein Teil sind und zu dem wir im Guten und im Bösen stehen.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren! Darf ich vielleicht die Frage einmal stellen, was sich bei uns eigentlich national nennt. Wir Deutschen haben manchmal einen Sport daraus gemacht, unsere politischen Bezeichnungen mit nationalen Adjektiven auszuschmücken. Ich habe jahrelang in einem Lande gelebt, in dem das Wort „national" eine ganz besondere und große Würde besitzt. Man spricht von national newspapers, von national parties, d. h. von Zeitungen und Parteien, die im ganzen Lande zu Hause sind. Aber niemand wird es einfallen, sich als national zu bezeichnen, bloß weil er Scheuklappen links und rechts vor den Augen hat und nicht mehr die Vergangenheit und die Gegenwart richtig zu beurteilen versteht.