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    Deutscher Bundestag — 100. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1950 3639 100. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. November 1950. Gedenkworte des Präsidenten aus Anlaß der 100. Sitzung des Deutschen Bundestages 3639B Geschäftliche Mitteilungen . . . . 3639C, 3688D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1950 (Nr. 1500 der Drucksachen) 3639C Bausch (CDU) 3639D Schoettle (SPD) 3646C Dr. Wellhausen (FDP) 3659B Dr. Bertram (Z) 3665B Dr. Krone (CDU) 3669B Dr. Blank (Oberhausen) (FDP) . . 3670D Dr. Seelos (BP) 3672C Dr. Mühlenfeld (DP) 3675A Dr. Leuchtgens (DRP) 3678D Paul (Düsseldorf) (KPD) 3681A Brandt (SPD) 3684B Dr. Richter (Niedersachsen) (parteilos) 3685C Wittmann (WAV) 3687B Nächste Sitzung 3688D Die Sitzung wird um 9 Uhr 1 Minute durch den Präsidenten Dr. Ehlers unter lebhaftem Beifall auf allen Seiten des Hauses eröffnet.
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    Rede von Hugo Paul


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (KPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)

    Meine Damen und Herren! Der vorliegende Etat ist von der Politik der Bundesregierung nicht zu trennen. Mein Parteifreund Reimann

    (Abg. Jacobi: Es bleibt uns nichts erspart!)

    machte zu der Erklärung der Bundesregierung darauf aufmerksam,

    (Zuruf von der SPD: Warum ist Reimann nicht hier? — Wo ist Reimann?)

    daß diese Regierung in kolonialer Abhängigkeit zu den Gründern dieses westdeutschen Staates steht. Der vorliegende Etat drückt diese Abhängigkeit und die Zielsetzung der Auftraggeber dieser Regierung mit aller Deutlichkeit aus. Im Haushaltsplan gibt es einen entscheidenden Posten, der nach der Meinung des Kollegen Schoettle nicht zu ändern ist, nämlich der Posten der Besatzungskosten. 4,6 Milliarden müssen für die Unterhaltung der Okkupationsmächte im Bundesgebiet bereitgestellt werden.

    (Zuruf von der Mitte: Was hat die Ostzone schon gekostet?)

    In den Zeitungen — und in denen der letzten Tage in steigendem Maße — können Sie lesen, wie willkürlich diese Mittel verwandt werden. Die CDU hat ja in einer Anfrage ebenfalls auf diesen wunden Punkt in der Frage der Besatzungskosten hingewiesen.

    (Abg. Lücke: Da ist die CDU doch ab und • zu mal zu etwas gut!)

    Es ist mittlerweile allgemein bekannt, nur die Bundesregierung schweigt sich darüber aus, daß große Mittel für Luxusausgaben der Besatzungstruppen verausgabt wurden. Die Bundesregierung schweigt dazu und hat es bisher unterlassen, dem Bundestag eine genaue Aufgliederung der Besatzungskosten zu unterbreiten. Werden die Besatzungskosten geringer werden?
    Wir hatten vor 2 Tagen hier die außenpolitische Debatte. In dieser Debatte kam ganz deutlich zum Ausdruck, daß die Bundesregierung mit der konstruktiven Opposition des Herrn Dr. Schumacher eine Verstärkung der Besatzungstruppen verlangt. Man spricht von einer Erhöhung der Stärke der Besatzungstruppen von 5 auf 14 Divisionen. Das wird bedeuten, daß die deutsche Bevölkerung 8 bis 9 Milliarden Mark allein für die Besatzungstruppen aufzubringen haben wird. Diese Tatsache können Sie nicht aus der Welt schaffen.

    (Zuruf von der CDU: Schlecht gerechnet!)

    Heute bringt die Zeitung „Der Mittag" eine wichtige Meldung, die auf den vorliegenden Etat einen großen Einfluß haben wird. Es ist eine Meldung der amerikanischen Presseagentur UP. Dort wird gesagt:
    „Von gut informierter alliierter Seite verlautet, daß der deutsche Beitrag für die alliierten Truppen zur Verteidigung Europas sich Ende November auf über die Hälfte des gesamten deutschen Bundeshaushalts belaufen werde. Deutschland wird der Tatsache Rechnung tragen müssen, daß Verteidigung eine kostspielige Angelegenheit ist. Es dürften sich etwa 2,5 Milliarden Mark an zusätzlichen Kosten für die letzten 5 Monate des Rechnungsjahres 1950/51 ergeben, so daß die Besatzungs- bzw. Sicherheitskosten 7 Milliarden Mark betragen werden."
    Das ist eine Meldung des heutigen Tages. Der Herr Finanzminister hat gestern bereits darauf hingewiesen, daß Nachtragsforderungen der Okkupationsmächte zu erwarten seien. Jetzt hören wir, in welcher Höhe sie für das laufende Rechnungsjahr bereits angefordert werden. In Anbetracht solcher Tatsachen gibt sich der Finanzminister einer trügerischen Hoffnung hin, wenn er glaubt, seinen Haushalt ausgleichen zu können. Er glaubt aber im Innersten selbst nicht daran. Man setzt jedoch die Politik des Rufens nach der Verstärkung der Okkupationstruppen fort, weil man sich der politischen Konzeption des amerikanischen Imperialismus untergeordnet hat, die unser Volk so teuer zu bezahlen hat.

    (Abg. Spies: Die Rede gefällt mir, weil er sie selber nicht glaubt.)

    In den nächsten Jahren und schon im kommenden Jahr werden weitere zusätzliche Ausgaben hinzukommen. Ich denke hier an die Auswirkungen der New Yorker Beschlüsse und Anweisungen für die Verstärkung der Polizeitruppen. Diese Summen wurden gestern nicht genannt, die für die Verstärkung der Polizeitruppen — die tatsächlich militärischen Verbänden gleichkommen — benötigt werden.
    Ich weise weiter darauf hin, daß im Haushaltsausschuß vor einigen Tagen eine Vorwegbewilligung für die Verstärkung des sogenannten Zollschutzes verlangt wurde. Im Raume Bonn soll ein Ausbildungslager für Zöllner mit einer ständigen Bereitschaft von 1000 Mann des Zollschutzes eingerichtet werden. Auch diese Summen werden dem deutschen Volke nicht in ihrer ganzen Größe bekanntgegeben.

    (Zuruf von der CDU: Etwas Zollschutz müssen wir ja haben, Herr Paul!)

    Manche Politiker dieses Hauses geben sich einer trügerischen Hoffnung hin, wenn sie meinen, nicht wir würden die ungeheuren Beträge für Militärausgaben zu zahlen haben. Ich mache aufmerksam auf die widersprechenden Äußerungen in den Pressebesprechungen des Bundeskanzlers und des Herrn Dr. Schumacher. Herr Dr. Adenauer sagte ganz deutlich: Jawohl, wir werden einen Teil dieser Dinge zu tragen haben; während der Herr Schumacher sagte: Die anderen sollen zahlen. Aber der Hohe britische Kommissar und auch der amerikanische Kommissar sagen ganz deutlich: Wenn die westdeutschen Politiker eine Verstärkung der Besatzungstruppen verlangen, dann müssen sie zahlen, und wenn sie wollen, daß wieder eine Wehrmacht aufgerichtet wird, dann sollen sie auch zahlen. — Ja, wir sollen zahlen, sollen Soldaten stellen für die amerikanischen Interessen, für die amerikanische Kriegsvorbereitung auf deutschem Boden. Das ist der Wille der Auftraggeber und der politischen Diktatoren auf dem Petersberg für diesen westdeutschen Staat.

    (Abg. Spies: Und das alles der Sowjets wegen!)

    Wenn die Bundesregierung eine Politik des Friedens betreiben würde, wenn die Politik der Bundesregierung ausgerichtet wäre auf einen echten Willen zur Verständigung mit den deutschen Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik, mit den Völkern des Ostens, mit den Völkern der Sowjetunion.

    (Zuruf von der CDU: Demokratisch ist gut!)

    dann würden dem deutschen Volk diese ungeheuren amerikanischen Belastungen erspart. Aber die Politik der Bundesregierung unterliegt den amerikanischen Anweisungen. Die Bundesregierung betreibt eine Politik im Interesse auch des deutschen Finanzkapitals in der Richtung auf die Vorbereitung eines neuen Krieges.

    (Abg. Lücke: Herr Paul, hierzu brauchen wir ein paar nähere Einzelheiten.)



    (Paul [Düsseldorf])

    Wenn man den Ratschlägen und Vorschlägen, die auf der Prager Außenministerkonferenz der Oststaaten gemacht wurden, folgen würde, dann gäbe es sehr wohl eine Möglichkeit, die internationalen Spannungen beizulegen und zu beseitigen. Damit würde dem deutschen Volk ein großer Dienst erwiesen. Ihm würde nämlich erspart, daß Deutschland bei diesen Auseinandersetzungen zu einem Operationsgebiet und zu einem neuen Schlachtfeld würde. Deshalb muß die Bundesregierung, wenn sie behauptet, im Interesse des deutschen Volkes zu handeln, mit ihrer bisherigen Politik brechen und eine Politik betreiben, die auf die deutschen Interessen und auf die wahre Sicherung des Friedens ausgerichtet ist. Das bedeutet aber Einstellung der Hetze gegen die Völker des Ostens, das bedeutet, sich mit den Vertretern der Deutschen Demokratischen Republik zusammenzufinden, um einen Weg zu beraten, der aus dem nationalen Notstand, in dem sich unser Volk und Land befindet, herausführt. Ich gebe mich allerdings nicht der trügerischen Hoffnung hin, daß diese Regierung, eben weil sie sich in den Fängen der Amerikaner befindet.

    (Zuruf rechts: Stimmt das genau?)

    Schluß machen wird mit einer Politik, die mit den Londoner Empfehlungen eingeleitet wurde, über den Atlantikpakt und Europarat bis zum SchumanPlan ging und jetzt bis zur Wiederaufrüstung Westdeutschlands im Interesse ausländischer und deutscher Finanzkapitalisten führt.

    (Zuruf rechts: Aha!)

    Dieser amerikanischen Konzeption gemäß ist auch die Wirtschaftspolitik der Regierung.
    Man hat die sogenannte Liberalisierung eingeführt. Von dem Vertreter der Deutschen Partei wurde hier gesagt, man habe die Liberalisierung von seiten der Bundesregierung weit vorgetragen. Diese Politik hat zur Schädigung der deutschen Wirtschaft und unserer Landwirtschaft geführt. Kein geringerer als Dr. Adenauer selbst hat einmal erklärt: Wir müssen leider einen Teil unserer Landwirtschaft in diesem Ringen opfern. Das ist die Auswirkung einer solchen politisch falschen, den deutschen Interessen widersprechenden Konzeption. Und jetzt steuert alles auf die Kriegswirtschaft hin. Was ist denn das Engpaßprogramm des Herrn Professor Dr. Erhard? Das ist ebenfalls ein Ausfluß der amerikanischen Kriegführung in Korea und der Vorbereitung des amerikanischen Krieges in Europa gegen die friedliebenden Völker des Ostens.

    (Zuruf rechts: O je!)

    Jetzt wird die westdeutsche Wirtschaft in diesen Plan eingegliedert.

    (Zuruf rechts: Ostdeutschland ist schon drin!)

    Man redete gestern davon, daß die Arbeitslosigkeit so weit zurückgegangen sei.

    (Zuruf rechts: Gott sei Dank!)

    Machen Sie sich doch nicht selbst etwas vor! Wenn wir nicht das Land mit den Zubringerindustrien für die Atlantikpakt-Rüstung wären, dann hätten wir heute eine tiefe Wirtschaftskrise, nicht nur in Westdeutschland, sondern in allen kapitalistischen Ländern. Nur durch die wahnsinnige Rüstungspolitik hat man bisher Auswirkungen der kapitalistisch-anarchistischen Wirtschaftsweise in Art der Krise verhindern können.

    (Zuruf rechts: Davon lebt Rußland schon 20 Jahre!)

    Lesen Sie einmal aufmerksam bürgerliche Zeitungen:

    (Zuruf rechts: Aber mit Tendenz!)

    sie sprechen jetzt schon davon, daß in Amerika die kommende Inflation gefürchtet wird. Was bedeuten denn laufende Preissteigerungen und laufende Steigerungen der Lebenshaltungskosten? Ist das nicht eine Tendenz der Inflation, der Entwertung des Geldes?

    (Zuruf rechts: Nein!)

    Wollen Sie uns und der Bevölkerung begreiflich machen, daß der 100-Mark-Schein, den der einzelne Mensch verdient, noch immer den gleichen Wert hat wie vor einem Jahr?

    (Zuruf rechts: Noch mehr!)

    — Das können Sie doch keinem weismachen. Tatsache ist, daß die Preise gewaltig angezogen haben. Der Vertreter der Deutschen Partei hat die Preise für einige der wichtigsten Rohstoffe genannt.
    Das wirkt sich jetzt schon auch auf die westdeutsche Wirtschaft aus. Die Hortungskäufe, die strategischen Käufe nehmen zu. Dadurch erschwert sich die wirtschaftliche Lage in Westdeutschland. Dadurch treten in einer Reihe von Betrieben bereits Produktionsschwierigkeiten auf.

    (Zuruf rechts: Die sind wieder beseitigt!) — Die werden wieder beseitigt, sagen Sie.


    (Zuruf rechts: Sie sind schon beseitigt!)

    Ich sage Ihnen, diese Schwierigkeiten werden zunehmen. Auch auf dem Kohlenmarkt werden sie nicht beseitigt werden. Wenn Sie glauben, durch ein Abkommen, das angeblich mit dem Industrieverband Bergbau geschlossen sein soll, die Schwierigkeiten im Bergbau aus dem Wege geräumt zu haben, dann irren Sie sich gewaltig. Die Bergarbeiter erheben mit Recht neue Lohnforderungen. Die Bergarbeiter sind zu dem Abkommen noch nicht gefragt worden. Das letzte Wort ist darüber noch nicht gesprochen.

    (Zuruf rechts: Das ist auch nicht nötig!)

    Die Wirtschaftspolitik des Herrn Dr. Erhard hat nicht zu dem geführt, was man auf den Wahlplakaten der CDU gesehen hat: Hausfrauen mit vollen Lebensmitteltaschen, sondern sie hat dazu geführt, daß die Leute weniger für ihr Geld bekommen als vor Jahresfrist.
    Das sind die Auswirkungen dieser Politik. Wollen Sie vielleicht sagen, daß die wirtschaftliche Lage in den letzten Monaten günstiger geworden sei? Sie ist keineswegs günstiger geworden. Das Steueraufkommen, das wurde bereits gesagt, ist zurückgegangen. Und nicht nur das. Die Spareinlagen haben sich ebenfalls gewaltig verringert.

    (Zuruf rechts: Siehe Korea!)

    Ich habe hier den Monatsbericht der Bank Deutscher Länder. Dort wird folgendes gesagt:
    Typisch für die durch die Korea-Krise ausgelöste Nervosität ist die Entwicklung der Spareinlagen bei den Kreditinstituten. Die Einzahlungsüberschüsse, die seit Beginn des Jahres immer über 100 Millionen DM lagen, sind im Juli auf knapp 23 Millionen DM zurückgegangen, und man muß damit rechnen, daß sie noch weiter sinken.
    Das ist aus dem Bericht der Bank deutscher Länder entnommen, und sie wird ja Überschätzungen vermeiden, wird ihren Bericht wohl auf ganz konkrete Unterlagen stützen.


    (Paul [Düsseldorf])

    Wohin hat die Wirtschafts- und Steuerpolitik dieser Regierung geführt? Gestern wurde vom Finanzminister und heute von einigen anderen Herren gesagt: Ja, wir werden vielleicht das Einkommensteuergesetz in dieser oder jener Richtung ändern und andere Maßnahmen treffen müssen. Als wir bei der Behandlung des Einkommensteuergesetzes darauf aufmerksam machten, daß den Großkapitalisten ein Milliardengeschenk gemacht würde, daß man dadurch nicht eine Erhöhung der Steuereinnahmen erreichen würde, hat man das bestritten. Und wie ist die Entwicklung der Situation seit diesem Tage vor sich gegangen? Tatsache ist, daß die Kapitalbildung gewaltige Formen angenommen hat. Tatsache ist weiter, daß gewaltige Steuerhinterziehungen durch Abschreibungen und solche unkontrollierbaren Investitionen vor sich gehen. Nach den Berichten der Gewerkschaften sind im zweiten Jahre nach der Währungsreform rund 16,6 Milliarden DM in der Wirtschaft investiert worden. Hinzu kommen die 10 Milliarden DM aus den Hortungsgewinnen. Das sind rund 26,6 Milliarden DM. Wir erleben jetzt, daß die großen Konzerne — ich denke hier nur an die Stahlwerke des Klöckner-Konzerns, ich denke an die Opelwerke — ihre Aktien im Verhältnis 1 : 1 umgestellt haben. Aber was hat man denn für den kleinen Mann getan? Für die kleinen Leute wurde nichts getan. Ihre Spargroschen gingen restlos vor die Hunde, aber die Aktienbesitzer erhalten ihre volle Umstellung. Hat die Regierung hier eingegriffen?

    (Zuruf von rechts: Ja!)

    Hat sie hier versucht, die Gewinne abzuschöpfen? Keineswegs! Man hat heute sogar gesagt, dieser Weg müsse weiter gegangen werden. Ja, wenn man diesen Weg der Begünstigung der Konzerne und der Begünstigung solcher ausländischer Finanzkapitalisten, die ihr Geld in den Opel-Werken stecken haben, geht, dann muß eben die breite Masse ,des schaffenden Volkes bluten und zahlen. Das ist die Devise dieser Regierung.
    Wie sieht es denn aus auf dem Gebiete der Handelspolitik?

    (Zuruf von rechts: Ausgezeichnet!)

    — Ausgezeichnet sagen Sie? Hören Sie den Bericht, ebenfalls amtlicher Stellen. Tatsache ist, daß der Saldo der Ausfuhr nach wie vor passiv ist. Tatsache ist, daß wir keine ausgeglichene Ein- und Ausfuhr haben.

    (Zuruf rechts: Bekommen wir bis Weihnachten!)

    — Sie sagen, wir bekommen sie bis Weihnachten. Das klingt beinahe, als ob der Weihnachtsmann uns diesen Ausgleich bescheren würde. Sie können aber selbst nicht bestreiten, daß es ein Minus in der Ein- und Ausfuhr zu Lasten der Bundesrepublik gibt. Wie sieht es aus mit der Ausfuhr deutscher Waren nach den USA? Hören Sie den Bericht.

    (Zuruf rechts: Zugleich aber mit Rußland, damit wir einen Vergleich haben!)

    Es wird hier gesagt, daß die Ausfuhr nach den USA z. B. im August 29,6 Millionen betrug, daß aber die Ausfuhr aus den USA nach Westdeutschland 233,3 Millionen DM betrug. Jetzt wollen Sie sagen, daß der Marshallplan eine Hilfe für das deutsche Volk bedeutet? Er bringt eine weitere Verschuldung der deutschen Wirtschaft und des deutschen Volkes. Demgegenüber wird der Handel mit den östlichen Völkern, mit der großen Sowjetunion, mit Polen, der Tschechoslowakei, mit China und mit der
    Deutschen Demokratischen Republik planmäßig sabotiert. Jedem Wink der Hohen Kommissare wird Rechnung getragen. Erst vor einigen Wochen ordneten die Kommissare an, die Ausfuhr von Maschinen in die östlichen Länder einzustellen, und prompt wurde dem gefolgt. Ich denke an den Skandal um das Stahlembargo, um das Kohlenembargo usw., ich denke an die Sabotage bei den Verhandlungen zwischen den Vertretern des Wirtschaftsministeriums hier in der Bundesrepublik und den Vertretern der Deutschen Demokratischen Republik. Was hat man nicht für Schwierigkeiten gemacht, und zwar mit der Absicht, das interzonale Handelsabkommen hinauszuzögern und nach Möglichkeit stillzulegen und zu torpedieren.

    (Zuruf rechts: Warum denn wohl?)

    Ja, wenn man eine solche Handelspolitik betreibt, dann gerät man immer mehr und immer mehr in Abhängikeit von kapitalistischen Märkten und von den USA-Kapitalisten. Wir sind der Meinung, daß diese Handelspolitik, die betrieben wird, nicht im Interesse des deutschen Volkes liegt. Die natürlichen Abnehmer der deutschen Friedenswirtschaft waren und sind die Völker des Balkans und der Ostländer. Das ließe sich an Hand von Dutzenden von Statistiken aus ,der Vergangenheit nachweisen. Wenn man diesen Kurs nicht ändert, wird es in der Wirtschaft nicht besser werden. Unsere Wirtschaft wird dann durch Marshallplan und Schumanplan an die imperialistischen Kriegstreiber weiter ausgeliefert werden. Die Beschlüsse von New York sagen ja mit aller Deutlichkeit, die Aufhebung der Begrenzung der Stahlquote bezieht sich nur auf Lieferungen für die Aufrüstung. Für den friedlichen Bedarf, für die friedliche Wirtschaft werden die Stahlquoten nicht freigegeben.
    Betrachten wir die Steuerpolitik, die ich bereits ansprach. Was hat man getan? Hat die Regierung gemäß den Beschlüssen .des Bundestages gehandelt? Sie hat keineswegs danach gehandelt, sondern sie hat entgegen den Beschlüssen des Bundestages gehandelt. Der Kollege Schoettle hat heute morgen bereits darauf hingewiesen, wie es in der Brotpreisfrage war. Ich habe hier die Drucksache Nr. 964, den am 2. Juni 1950 auf Grund eines Berichts des Ausschusses gefaßten Beschluß. In dem Beschluß, der von der CDU bis zu den Kommunisten einstimmig angenommen wurde, heißt es:
    Die Bundesregierung wird daher ersucht,
    den gesetzgebenden Körperschaften bis zum 1. Juli 1950 Gesetzentwürfe über eine ausreichende Senkung der Tabak-, Kaffee- und Teesteuer vorzulegen.
    Das hat sie nicht getan; im Gegenteil. Gestern hat sich der Bundesfinanzminister erneut für die hohen Umsatzsteuern eingesetzt, und neue Steuern sind angekündigt. Wir können jetzt schon sagen, daß wir mit der gesamten Bevölkerung diesen Kurs bekämpfen werden. Die Benzinsteuer und die Autobahnabgabe wird doch wieder auf die Verbraucher abgewälzt. Es glaubt doch kein Mensch daran, daß die Transportunternehmen die Last allein tragen werden; sie werden sie durch Erhöhung der Transportkosten auf die Verbraucher abwälzen.
    Einige Worte zum Notopfer Berlin. Heute sind soviel starke Worte und angeblich auch warme Worte für West-Berlin gesprochen worden.

    (Abg. Lücke: Angeblich? Sehr vorsichtig!)

    Wir haben auf das Problem Berlin schon mehrfach
    hingewiesen. Es kommt nicht darauf an, den amerikanischen Kriegsfonds in Berlin zu erhöhen — damit ist der Berliner Bevölkerung keineswegs ge-


    (Paul [Dusseldorf])

    dient —, sondern es kommt darauf an, eine solche Politik zu treiben, daß die Spaltung Berlins und die Spaltung Deutschlands aufgehoben wird. Dann wird die Berliner Wirtschaft auch in den Westsektoren neue Möglichkeiten der Existenz haben, 300 000 Arbeitslose werden Arbeit und Brot finden und brauchen nicht aus der Kriegskasse der Bundesrepublik bezahlt zu werden.
    Wir stellen die Frage: Wie können wir aus dieser Gesamtsituation herauskommen? Trotz aller Außerungen des Finanzministers wird der Haushalt am Ende des Jahres ein großes Defizit aufweisen. Wir werden uns auch später noch einmal über die Frage des Wohnungsbaues und über andere Probleme unterhalten. Ich möchte Sie nur kurz auf den Etat für Besatzungskosten verweisen. Darin wird ausgesagt, daß rund 414 Millionen DM für Neubauten der Besatzung ausgegeben werden müssen, während wir in unserem Etat nur 365 Millionen DM für den sozialen Wohnungsbau unserer Bevölkerung haben. Ich möchte Sie weiter darauf hinweisen, daß in diesem Etat Besatzungskosten über 800 Millionen DM für die Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen, für die Wohnungen und die Unterkünfte der Besatzungstruppen vorhanden sind. Diese Kosten sind wesentlich überhöht.

    (Abg. Lücke: Es ist zuzugeben: sie sind wesentlich überhöht!)

    Das sind Zahlen, die im Etat stehen.
    Wir können eine solche Politik nicht mitmachen. Es gibt einen Weg aus dieser Situation. Die Finnanzkalamität des Bundes ist nur ein Teil der gesamtdeutschen Notlage, ist ein Teil des nationalen Notstandes unseres Volkes. Es gibt einen Weg: alle Männer und Frauen, die das deutsche Volk und den Frieden lieben, müssen sich zusammenfinden und den Kampf für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, für die Erreichung der vollen Souveränität und der vollen Freiheit unserer Wirtschaft verstärkt aufnehmen.

    (Abg. Spies: Wie in der Ostzone!)

    Sie müssen für den Abschluß eines Friedensvertrages und den Abzug der Besatzungstruppen aus Deutschland eintreten,

    (Abg. Spies: Dann geht es uns wie in Korea!) damit Deutschland nicht ein internationales Spannungsfeld bleibt und ein Schlachtfeld wird, sondern damit Deutschland ein friedliebendes Land wird, in dem seine Bevölkerung darangeht, aus eigener Kraft durch friedliche Zusammenarbeit mit anderen Völkern sich ein neues, besseres Leben aufzubauen.


    (Beifall bei der KPD.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Willy Brandt.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Willy Brandt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte in Ergänzung dessen, was mein Fraktionskollege Schoettle heute morgen gesagt hat, als Auffassung meiner politischen Freunde zum Ausdruck bringen, daß das Bekenntnis des Herrn Bundesfinanzministers zu Berlin unsere volle Zustimmung gefunden hat. Ich möchte im Namen der sozialdemokratischen Abgeordneten aus Berlin — und ich darf vielleicht sagen: trotz eines angelaufenen Wahlkampfes in Berlin — an dieser Stelle erklären, daß wir die Maßnahmen der Bundesregierung für Berlin ausdrücklich anerkennen.

    (Beifall rechts.) Ich möchte hinzufügen, daß wir die Gelegenheit dieser Debatte nicht vorbeigehen lassen möchten, ohne den deutschen Mitbürgern in allen Teilen der Bundesrepublik für die Opfer zu danken, die sie im Laufe dieser Zeit für Berlin aufgebracht haben und weiter aufbringen.


    (Beifall bei der SPD., in der Mitte und rechts.)

    Meine Damen und Herren, um so mehr bedauern wir die — ich darf wohl so sagen — Entgleisung des Herrn Bundeskanzlers am Schluß der vorgestrigen Debatte. Seine Schlußbemerkung konnte nur so aufgefaßt werden, als sollte über den Rundfunk der Eindruck erweckt werden: allein die Politik der Regierungskoalition biete die Gewähr dafür, daß Berlin und die Sowjetzone nicht im Stich gelassen und wiedergewonnen werden. Dieser Beitrag zum Berliner Wahlkampf kann in der Sowjetzone nur Verwirrung hervorrufen. In Berlin wird er wegen des Mangels an innerer Wahrhaftigkeit auf weitgehende Ablehnung stoßen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich bedaure sehr, daß das hier gesagt werden mußte. Aber es mußte gesagt werden.

    (Abg. Spies: Es wird ja noch darauf ankommen. Die Wahl wird es zeigen!)

    — Es muß auch gesagt werden, sehr geehrter Herr Kollege, daß übereifrige Verfechter der Koalition damit hausieren gehen, Berlin könne erst dann ausreichende Hilfe erwarten, wenn es nicht mehr von Sozialdemokraten regiert werde.

    (Zurufe von der SPD: Wie in SchleswigHolstein!)

    Zur Ehre des Herrn Finanzministers und des Vorsitzenden der Fraktion der CDU/CSU, Herrn von Brentano, möchte ich ausdrücklich feststellen, daß sie beide von solcher Agitation Abstand genommen haben. Es kann doch wohl nichts anderes als eine Beleidigung der Bundesregierung sein, wenn Parteigänger den Eindruck hervorrufen, die Bonner Politik gegenüber Berlin sei nicht durch nationalpolitische, sondern durch parteipolitische Gesichtspunkte bestimmt.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Die Berliner Körperschaften — und das gilt für die demokratischen Parteien in ihrer Gesamtheit — sind entschlossen, alle Konsequenzen zu übernehmen, die sich daraus ergeben, daß Berlin nach deutscher Auffassung und nach dem Text des Grundgesetzes Gliedstaat der Bundesrepublik Deutschland ist. Wir bemühen uns um eine fortlaufende Rechtsangleichung. Wir beanspruchen aber auch — das sage ich in aller Bescheidenheit, aber mit aller Bestimmtheit — den Status und die Achtung, die sich aus Buchstaben und Geist. der Verfassung für das Verhältnis zwischen Bund und Ländern ergeben. Wir haben mit Befremden festgestellt, daß von Vertretern der Bundesregierung in letzter Zeit zweimal der Versuch unternommen wurde, die autonome Gesetzgebung des Landes Berlin zu beeinflussen.
    Es ist nicht der Sinn dieser Debatte, auf einzelne Titel des Haushalts einzugehen. Der Herr Finanzminister hat gestern in seiner Begründung etwas über den Einzelplan XXII gesagt. Ich darf erwähnen, daß die Ausführungen des Herrn Finanzministers zu der Hoffnung berechtigen, daß das Notopfer Berlin nach den bisherigen Sätzen vielleicht statt der veranschlagten 320 Millionen DM 350 Millionen DM oder so etwas ergeben wird, womit sich das erwähnte Loch von 75 Millionen DM auf 45 oder 35 Millionen DM verengern würde. Die 75


    (Brandt)

    Millionen DM waren ja das Argument für die Erhöhung des Notopfers. Es sei hier nicht verhehlt, daß uns in Berlin — und ich glaube, das gilt auch wieder unabhängig von der Parteizugehörigkeit — der Weg der Erhöhung des Notopfers mit einiger Sorge erfüllt hat, weil es sich dabei vielleicht nicht um die geeignetste Methode zur Popularisierung Berlins in der Bundesrepublik handelt.
    In einem Ausschuß dieses Hohen Hauses hat ein Mitglied der Bundesregierung neulich erklärt: Den Berlinern kommt es ja nur darauf an, uns Geld abzuknöpfen. Das war eine scherzhafte Bemerkung. Sie bedeutet trotzdem eine völlige Verkennung unserer Bemühungen. Es geht auch nicht, wie der Herr Kollege Seelos in einem Vergleich vorhin gemeint hat, um die Frage Berlin als Notstandsgebiet; es geht einfach darum, daß wir ausreichende und konstruktive Unterstützung brauchen, um unseren Teil des Freiheitskampfes erfolgreich bestehen zu können.

    (Sehr richtig! rechts und bei der SPD.)

    Das gilt nicht nur für Westberlin, Herr Kollege Paul. Auf unserer Seite steht auch die erdrückende Mehrheit der Männer und Frauen des sowjetischen Sektors, die erst vor wenigen Wochen durch das Einsenden von 400 000 Stammabschnitten eindeutig manifestiert haben, wo sie stehen.

    (Beifall bei der SPD., in der Mitte und rechts.) Die Spaltung Berlins können Sie jeden Tag aufheben, wenn Sie denen, auf deren Geheiß Sie und Ihre politischen Freunde Reden halten, zu verstehen geben, daß sie freie Wahlen im sowjetischen Sektor Berlins zulassen sollen.

    Ich bin mit dem Herrn Kollegen Dr. Krone völlig einer Meinung in der Anerkennung der Fortschritte, die in der letzten Zeit erreicht worden sind. Ich darf nur die Worte Verwaltungsvereinbarung als ersten Schritt zur Eingliederung in das Überleitungsgesetz und Bundesversorgungsgesetz wiederholen. Ich darf erwarten, daß diese Entwicklung fortgeführt wird durch die Einbeziehung auch Berlins in das Gesetz gemäß Art. 131 des Grundgesetzes, durch die Einbeziehung Berlins in den Lastenausgleich der Sozialversicherungsträger, in den allgemeinen Lastenausgleich und in die neu zu errichtende Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Berlin muß gleichberechtigt in alle Organe einbezogen werden, in denen die deutschen Länder vertreten sind.
    Zum Schluß darf ich noch auf eine Entschließung dieses Hohen Hauses vom 21. Oktober vergangenen Jahres zurückgreifen. Damals wurde beschlossen, daß die Regierung dem Bundestag vierteljährlich Bericht über die Maßnahmen erstatten sollte, die sie getroffen hat, um Dienststellen und Aufträge nach Berlin zu verlegen. Eine solche Berichterstattung hat leider nicht stattgefunden, und auf beiden Gebieten ist unserer Meinung nach bisher reichlich wenig geschehen. Nun geht es aber gerade bei der Frage der Bundesbehörden weniger um eine Frage der Beschäftigung als um eine solche der Politik.
    Ich habe gesagt, nach deutschem Recht ist Berlin Teil der Bundesrepublik. Der alliierte Einspruch gegen die volle Einbeziehung steht der vollen, gleichberechtigten Einbeziehung bisher entgegen. Es ergibt sich die Frage — das darf ich in dieser Debatte den Vertretern der Regierung noch sagen —, was die Regierung bisher im einzelnen getan hat, um den Einspruch der Alliierten gegen Art. 23 des Grundgesetzes aufzulockern und um ihn dann aufheben zu können. Wir haben mehrfach die Antwort bekommen: Ja, die Franzosen und die Engländer wollen keine Änderung! Darf ich darum an dieser Stelle ausdrücklich fragen: Was hat die Bundesregierung getan, um den deutschen Standpunkt, den Standpunkt dieses Hohen Hauses vom 21. Oktober vergangenen Jahres, mit Nachdruck auf dem Petersberg zu vertreten und die alliierte Meinungsbildung zu beeinflussen? Darf ich fragen, bei welchen seiner Besuche auf dem Petersberg in den vergangenen Monaten der Herr Bundeskanzler in Gegenwart der Hohen Kommissare diese Frage angeschnitten hat? Wir anerkennen die Fortschritte, aber Vorgänge wie die Unklarheiten im Zusammenhang mit der Frage der vollberechtigten Einbeziehung Berlins lassen immer wieder den Eindruck aufkommen, daß die BerlinPolitik der Bundesregierung noch weniger zögernd, noch klarer, noch entschlossener sein könnte, damit wir durch eine kühne und weitsichtige Politik, die Berlin nicht nur als Vorposten betrachtet, sondern als Kraftfeld, als einen Angelpunkt des gesamtdeutschen Geschehens, durch das, was in Berlin abgelesen werden kann, unseren Landsleuten in der Zone und dem Ausland dokumentieren können, daß wir es ernst meinen mit dem Ringen um die deutsche Einheit in Freiheit, dessen wichtigster Teil uns erst noch bevorsteht.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)