Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hatte in dieser Woche vor der deutschen und vor der Weltöffentlichkeit die große Chance, zu zeigen, ob er seiner Aufgabe gewachsen ist. Denn es folgten sich in einer Woche rasch hintereinander die großen Stellungnahmen zu der Außenpolitik und zu der Innenpolitik. Wenn man nun davon ausgeht, daß in unserer völkerrechtlich so abhängigen Lage doch der Grundsatz des Primats der Außenpolitik gelten muß, dann konnte man von der Diskussion in außenpolitischen Fragen ein enges Zusammenspiel der Regierung und der Opposition erwarten, zumal die bedingte Zustimmung zu einem Wehrbeitrag Deutschlands für die Verteidigung Europas in gleicher Weise gegeben war. Statt dessen hat die außenpolitische Diskussion, meiner Ansicht nach zum Schaden der internationalen Stellung Deutschlands, infolge der übertriebenen Hervorkehrung parteipolitischer Gesichtspunkte mit einer Verschärfung der Gegensätze geendet.
Heute nun- erleben wir fast das Umgekehrte. Es ist ganz naturgemäß, daß bei einem so unbedingten Gegensatz in wirtschaftlichen Auffassungen und auch in anderen Auffassungen bei der Generaldebatte über den Etat die Gegensätze zwischen Opposition und Regierung besonders hart und scharf zur Geltung gebracht werden. Man mußte fast erwarten, daß der Angriff heute geradezu massiv werden würde. Im Gegenteil: es ist in einer geradezu vorbildlichen Weise eine konstruktive Opposition geübt worden, indem Herr Schoettle sachlich und mit teilweise schlagenden Argumenten einfach das beanstandet hat, was zu beanstanden war. Es freut mich, das gerade auch der Sprecher der Regierung, der Abgeordnete aus Berlin, dies voll anerkannt hat. Wenn dieser Geist der Zusammenarbeit öfter hier zur Geltung käme, könnten wir, glaube ich, allgemein wertvollere und positivere Arbeit leisten, als das bisher geschehen ist. Nur ist es eben nach außen hin nicht so wichtig, wie diese innerpolitische Debatte ausfällt. Was wir am Mittwoch hätten tun sollen, haben wir nun schon einmal verschüttet.
Ich möchte, nachdem von Herrn Schoettle wie auch von den anderen Rednern dem Bundestag so viele Argumente und Zahlen gegeben worden sind, nicht auch noch einmal diese Zahlen wiederholen, die einfach Fakten sind. Ich möchte mich auch nicht heute schon in eine ins einzelne gehende Etat-
Deutscher -Bundestag — 100. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1950 3673
kritik begeben. Das soll der zweiten Lesung vorbehalten bleiben. Ich möchte aber schon jetzt sagen, daß mir der Gedanke meines Vorredners sehr gefällt, daß dieser Etat 1950/51 im großen und ganzen schon auf 1951/52 übernommen werden soll, damit wir endlich loskommen von diesen nachträglichen Bewilligungen. Bis dieser Etat in der zweiten und dritten Lesung fertig wird, wird es Januar, Februar; also das Jahr ist bereits vergangen. Der Bundestag kann von seinem verfassungsrechtlich ersten Recht der Etatbewilligung gar keinen Gebrauch mehr Machen. Es wäre also gut, glaube ich, wenn man diesen Weg beschreitet. Eines allerdings müßte wohl an diesem Etat geändert werden, daß solche Globalsummen wie z. B. für die Ausgestaltung der Dienststelle für auswärtige Angelegenheiten, oder des auswärtigen Dienstes überhaupt, mit 3,9 Millionen, glaube ich, nicht noch einmal so global erscheinen; denn das gibt denen, die dafür die Verantwortung haben, zu viel persönliche, unkontrollierte Möglichkeiten, den Dienst so einzurichten, wie es ihnen gefällt.
Ich möchte mich also auf einige grundsätzliche Erwägungen beschränken, und zwar möchte ich an die Spitze folgenden Gedanken stellen: Die Bundesregierung hat trotz der uns allen bekannten Schwierigkeiten eigentlich doch ein unerhörtes und fast seltenes Glück durch Umstände äußerer Art gehabt, auf die sie gar keine Einwirkung hatte. Denn ungefähr zu dem Zeitpunkt, als sie ihre Tätigkeit aufnahm, vor einem Jahr, haben sich die Auswirkungen des Einpumpens der Marshallplangelder in die deutsche Wirtschaft so recht bemerkbar gemacht. Auch der Schuman-Plan, der von dem französischen Außenminister her entwickelt worden ist, hat zu einer Auflockerung des deutschfranzösischen Verhältnisses geführt, das überhaupt I für die Befriedung Europas günstig wirkte. Und schließlich ist doch dieses unerhörte Ereignis von Korea eingetreten, das uns überhaupt in der außenpolitischen Situation eine große Auflockerung und viele Möglichkeiten gegeben hat.
Diese günstigen Umstände muß eine deutsche Regierung in der heutigen Zeit auch fast haben, wenn sie überhaupt die Möglichkeit haben will, zu regieren und etwas zu leisten und diese hoffnungslose Lage Deutschlands zu meistern. Es ist schwer, ein Volk zu regieren, dem der Glaube an Autorität verlorengegangen ist. Es ist schwer, zu regieren, wenn diese Autorität auch von seiten der Alliierten fast vom ersten Tage an untergraben worden ist. Es ist schwer, ein Volk zu regieren bei diesem Mangel einer Führerschicht, die gerade in einem demokratischen Staat besonders notwendig ist. Von einem Volk — das ist ja von den Rednern in verschiedenen Variationen gesagt worden —, das aus 50 % Armen und Entrechteten, aus 8 Millionen Heimatvertriebenen, 10 Millionen Rentenempfängern und 5 Millionen Kriegsopfern besteht, kann man doch nicht so viel verlangen. Ein Volk, das in seiner Wirtschaft kein Kapital hat, in dessen Land die Demontagen weitergehen, ist schwer zu regieren.
Die Regierung hat aber eben doch einige Dinge versäumt, die man ihr auch trotz dieser schwierigen Lage vorwerfen muß. Sie hat nicht verstanden, eine enge Fühlung mit dem Parlament zu gewinnen. Das ist bereits gesagt worden. Sie hat oft gesündigt, durch verspätete Vorlage von Gesetzen, durch 1 berschreitung von Etatspositionen z. B. beim Bonner Ausbau durch eine Verteilung von Marshallplan-Geldern ohne Genehmigung des Parlaments und dergleichen Dinge mehr. Sie hat auch das Vertrauen des Volkes vor allem deshalb nicht gewinnen können, weil sie Versprechungen, die sie besonders in ihrer ersten programmatischen Rede vom vorigen Jahr gemacht hat, nicht gehalten hat. Keine Regierung kann gegenüber Fakten mehr tun, als eben möglich ist. Aber sie braucht nicht zu versprechen und Dinge anzukündigen, von denen man vielleicht von vornherein annehmen kann, daß sie nicht oder kaum durchführbar sind; und da hat sie sich meiner Ansicht nach wiederholt schwer verfehlt. Zum Beispiel: Wenn man die Regierungserklärung nachliest, so kann man feststellen, daß sie den Altsparern eindeutig versprochen hat, ihre Guthaben wenn irgendwie möglich und baldmöglichst aufzuwerten. Das ist nicht geschehen. Man hat wiederholt Zusagen hinsichtlich der Zahlung von Pensionsbeträgen für die entrechteten und heimatvertriebenen Beamten nach Art. 131 des Grundgesetzes gemacht. Im Januar, im Februar sollte diese Frage schon gelöst werden. Noch heute warten diese armen Beamten auf die Erfüllung dieser Versprechungen.
Ganz gleichgültig, wie man zum Lastenausgleich steht, es ist jedenfalls nicht zu verantworten, daß dem Volk immer wieder neue Termine versprochen werden: zuerst der 31. Januar, dann der 1. Setember, dann endgültig November und Dezember, und schließlich hat man diese lang erwartete und angekündigte Vorlage einfach zurückgezogen; als ob man nicht in einem Jahre Möglichkeiten gehabt hätte, alle Kreise zu hören. Ich sage nochmals: ob man auf dem Boden dieser Vorlage steht oder nicht, man kann solche Hoffnungen nicht erwecken, um sie dann nicht zu erfüllen.
Hinsichtlich der Heimatvertriebenen hat man eindeutige Zusagen gemacht, daß die schwerstbelasteten Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern durch einen Flüchtlingsausgleich entlastet werden. Vor einem Jahr ist die Umsiedlung einer ersten Rate von 300 000 Heimatvertriebenen beschlossen worden. Was ist geschehen? Nachdem kaum die Hälfte nach einem Jahr erfüllt worden ist, ist diese Aktion einfach ins Stocken gekommen. Die Bundesregierung hat es nicht verstanden, dieses Versprechen trotz der ihr gegebenen Vollmachten einzulösen. Die Bundesregierung hat es ferner nicht verstanden, dieses brennende Problem Westdeutschlands, das Problem der 8 Millionen Heimatvertriebenen, auf eine solche internationale Basis zu stellen, daß wir die Hilfe der Welt in einem ähnlichen Maße bekommen hätten, wie sie die 200 000 DP's, die wir noch haben, heute noch von der UNO erhalten.
Die Bundesregierung hat ihre Voranschläge air die ganze Gestaltung der Großstadtbauten in Bonn bei weitem überschritten. Der Bundesfinanzminister war z. B. gezwungen, im Finanzausschuß eine Indemnitätsvorlage über 6 1/2 Millionen DM in Aussicht zu stellen.
Es ist erwähnt worden, daß die Bundesregierung hinsichtlich der Preise, insbesondere der Lebensmittelpreise, eindeutige Zusagen gemacht hat, die, wie jeder, der einmal etwas einkauft, weiß, nicht gehalten worden sind.
Hinsichtlich der Besatzungskosten ist wiederholt erwähnt worden, daßt die Bundesregierung darauf noch keinen Einfluß hat. Was ich aber wiederholt in diesem Hause betont habe, ist das: Die Bundesregierung ist ihrer Pflicht nicht nachgekommen, die Unterlagen zu schaffen, die es vor der Weltöffentlichkeit möglich gemacht hätten, diese übertriebenen und oft unverantwortlich hohen Kosten anzugreifen. Gerade in Amerika hätten wir jede Unterstutzung gefunden, wenn man hierüber eindeutige
Unterlagen gegeben hätte. Es zeigt allein ein großes Versagen, daß erst vor einigen Monaten — ich glaube, am 1. August — eine Abteilung unter dem Ministerialdirigenten Hartmann im Finanzministerium eingerichtet worden ist, die diese Dinge zentral bearbeiten soll. Man hätte das ja auch schon dreiviertel Jahr vorher einrichten können, um endlich diese Angaben zu haben. Wenn man bei der Besatzung einen Troß von 4 Deutschen auf einen Besatzungsbeamten oder -soldaten hat, dann ist es ja, wenn man diese Angaben von der Besatzung nicht offen bekommt, auch möglich, sie sich auf andere Weise zu beschaffen. Das ist dann nur am Platz.
Eine besondere Unterlassungssünde sehe ich aber darin, daß trotz der von Herrn Bundeskanzler im vorigen November groß angekündigten Zugeständnisse seitens der Alliierten hinsichtlich der Möglichkeit, Außenvertretungen zu errichten, hiervon bis auf die drei Außenvertretungen in Washington, London und Paris kein Gebrauch gemacht worden ist. Meiner Ansicht nach ist für den Ausbau unseres Exports dadurch ein schwerer Schaden eingetreten, daß diese Möglichkeit nicht mit größerer Energie benützt worden ist. In den Hafenstädten z. B. herrscht eine Anarchie hinsichtlich der Ursprungszeugnisse, die einfach irgendwie fabriziert werden, weil wir keine Außenvertretungen haben. Wie soll man da überhaupt noch einen Handelsvertrag einhalten können, wenn diese Grundlagen einer auswärtigen Handelspolitik fehlen?
Die Schwierigkeiten sind bereits betont worden, die sich mit der Ernennung eines Staatssekretärs des Auswärtigen ergeben haben, der ja praktisch nur vor kurzem einmal in Rom in Funktion getreten ist und als Vorsitzender der SchumanplanKommission in Paris bis jetzt noch nicht die Möglichkeit hatte, sein Amt hier wahrzunehmen.
Schließlich möchte ich darauf hinweisen, daß die Verfassungsbestimmung, daß die Bundesbehörden möglichst nach landsmannschaftlichen Gesichtspunkten zu besetzen sind, in keiner Weise eingehalten worden ist. Es müßten hier 20% Bayern angestellt sein. Auf Grund einer Anfrage ist uns die amtliche Antwort gegeben worden, daß in den Bundesbehörden nur 5% Bayern tätig sind und, wenn man nach dem Wohnsitz geht, 10%.
Ferner sind wir auch bei der Kreditverteilung nicht immer entsprechend dem Prozentsatz, den wir beanspruchen können, beteiligt worden. Auf Grund einer Anfrage z. B. über die Verwendung eines Kredites von 50 Millionen DM für das Handwerk und die Kleinindustrie hat uns der Bundeswirtschaftsminister antworten müssen, daß Bayern schwer benachteiligt worden sei und daß man versuche, das später noch auszugleichen.
Ich muß auch meinerseits — vielleicht in einem anderen Sinn als Herr Schoettle — auf die Interessenquote der Länder hinweisen, die unserer Auffassung nach entgegen der Verfassung auf die Länder abgewälzt worden ist. Der Herr Bundesfinanzminister hat sich hier darauf berufen, daß selbst Bayern zugestimmt habe. Bayern hat zuerst widersprochen. Ich möchte die Gespräche kennen, die zwischen Herrn Schäffer und den zuständigen bayerischen Ministern wegen der Stellungnahme der bayerischen Regierung stattgefunden haben. In der Bundesratsdrucksache zu dieser Frage kommen jetzt bereits die Bedenken zur Geltung. Es heißt jetzt, man müsse diese Frage noch einmal grundsätzlich prüfen. Dazu ist es jetzt zu spät.
Dann muß ich beanstanden, daß für die Notstandsgebiete und gerade für das bayerische Notstandsgebiet — ich nenne das bayerische, weil ich es besonders gut kenne — im Verhältnis zu den Leistungen für das Notstandsgebiet Berlin noch in keiner Weise genügend geleistet worden ist.
Wir haben bereits vor einem Jahr die schlechte Versorgung Bayerns mit Strom, Kohle usw. dargelegt und in Anträgen gebeten, darauf hinzuwirken, daß endlich Bayern als einziges deutsches Land nicht mehr mit Stromsperren bedacht werden muß. Wir sind jetzt glücklich so weit, daß wir in Bayern jeden Tag wieder Stromsperren und dergleichen erwarten müssen. Bäckereien und Industrien müssen stilliegen, weil wir keine Kohle haben. Das ist nach einem Jahr erreicht worden.
Schließlich müssen wir dagegen angehen, daß die verschiedenen föderalistischen Zusagen, die von seiten der Bundesregierung immer wieder gegeben worden sind, nicht eingehalten worden sind, ganz abgesehen davon, daß es für die Bundesregierung natürlich schwer ist, föderalistisch zu sein, wenn eine supra-zentralistische Partei wie die FDP in dieser Regierung mit drin ist, gegen die ja die Angehörigen der SPD als Zentralisten beinahe Waisenknaben sind. Ich muß auch sagen: es ist ganz klar, daß von seiten der CDU hier nichts zu erwarten ist, da sie doch auf ihrem Parteitag in Goslar wieder geschlossen in die altkonservative, preußisch-deutsche Linie zurückgefunden hat.
Von Föderalismus war in Goslar mit keinem Wort mehr die Rede. Das ist die föderalistische CDU/ CSU, die es zu gegebenen Zeiten, besonders wenn Wahlkämpfe in Bayern nahen, mit ihren föderalistischen Prinzpien so wichtig nimmt.
Ich habe einige Punkte aufgezählt, die mir der Erwähnung wert schienen. Wir erkennen auch durchaus die Leistungen der Regierung an. Wir erkennen zum Beispiel an, daß sie das Kriegsopfergesetz durchgebracht hat, nachdem sie aber bis zur letzten Minute versucht hat, möglichst davon wegzukommen, und sich überlegt hat, ob sie nicht doch noch ein Veto einlegen solle. Man muß anerkennen, daß auch die Einkommensteuergesetzgebung verbessert worden ist, wenn sie auch noch lange nicht allen Wünschen gerecht wird. Vor allem muß man anerkennen, daß die Regierung trotz aller Anfechtungen den Grundsatz der sozialen Marktwirtschaft hochgehalten hat, wenn auch diese Politik schließlich nur eine Fortsetzung der Politik des Frankfurter Wirtschaftsrates ist.
Schließlich möchte ich sagen, das Volk ist gar nicht so unvernünftig, daß es von einer Regierung angesichts dieser ungeheueren Schwierigkeiten und des verhängnisvollen Erbes des Hitlerregimes mehr verlangt, als man erwarten kann, zumal die Besatzungseinflüsse bekannt sind. Was aber im Volke nicht verstanden wird, das ist der Mangel an Vertrauen innerhalb des Kabinetts, es ist der Mangel an Vertrauen zwischen Bundestag und Bundeskanzler, und es ist das mangelnde Vertrauen zwischen Bundesregierung und Volk. Die Bundesregierung hat es eben nicht verstanden, den Glauben an Ideale im deutschen Volke wieder zu erwecken, dem deutschen Volke die ungeheuren Möglichkeiten darzulegen und glaubhaft zu machen, die es immer noch trotz seiner Notlage besitzt. Weil sie es nicht verstanden hat, diesen Glauben zu erwecken, hat sie auch nicht die derzeitige nationale Krankheit unseres Volkes überwinden können: die Lethargie, die Hoffnungslosigkeit und die Angst. Das ist das größte Versäumnis der Bundesregierung. Wenn die Bundesregierung auf Grund der unerhört günstigen äußeren Umstände, die ihr
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zu Hilfe kamen, trotzdem an einer Gesamtverbesserung der inneren und äußeren Lage teilhaben konnte, so darf ihr das keineswegs das Gefühl geben, das durch ihre eigenen Arbeiten und Leistungen erreicht zu haben, sondern es soll sie aufgeschlossener machen, um das Volk zu gewinnen, größere Aufgaben, die uns bevorstehen, lösen zu können.