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ID0110003200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 100. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1950 3639 100. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. November 1950. Gedenkworte des Präsidenten aus Anlaß der 100. Sitzung des Deutschen Bundestages 3639B Geschäftliche Mitteilungen . . . . 3639C, 3688D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1950 (Nr. 1500 der Drucksachen) 3639C Bausch (CDU) 3639D Schoettle (SPD) 3646C Dr. Wellhausen (FDP) 3659B Dr. Bertram (Z) 3665B Dr. Krone (CDU) 3669B Dr. Blank (Oberhausen) (FDP) . . 3670D Dr. Seelos (BP) 3672C Dr. Mühlenfeld (DP) 3675A Dr. Leuchtgens (DRP) 3678D Paul (Düsseldorf) (KPD) 3681A Brandt (SPD) 3684B Dr. Richter (Niedersachsen) (parteilos) 3685C Wittmann (WAV) 3687B Nächste Sitzung 3688D Die Sitzung wird um 9 Uhr 1 Minute durch den Präsidenten Dr. Ehlers unter lebhaftem Beifall auf allen Seiten des Hauses eröffnet.
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    Rede von Dr. Martin Blank


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Darstellung, die der Herr Bundesfinanzminister uns gestern über die Finanzlage des Bundes gegeben hat, hat uns gezeigt, daß er trotz der steigenden Tendenz der dem Bunde in erster Linie obliegenden sozialen Aufwendungen und Leistungen die Hoffnung hat, daß der Bundeshaushalt am Ende des laufenden Jahres ausgeglichen sein wird. Wir haben vom Herrn Bundesfinanzminister erfahren, was alles geschehen ist, um den außerordentlich kritischen und technisch schwierigen Termin des 1. April dieses Jahres beim Über-


    (Dr. Blank [Oberhausen])

    gang vieler Funktionen und Einnahmen auf den Bund glatt und geräuschlos zu überwinden, und wie sich nun allmählich zwischen Bund und Ländern auf diesem Gebiet eine Zusammenarbeit entwickelt, die ihn und uns erhoffen läßt, daß die Anwendung des ominösen Art. 106 Abs. 3 des Grundgesetzes auch in Zukunft nicht notwendig sein wird.
    Der Herr Bundesfinanzminister hat uns dargelegt, wie er bestrebt ist, zwischen Inflation und Deflation hindurchzukommen, weil sich beide Extreme letzten Endes gegen die deutsche Bevölkerung auswirken würden. Die Grundsätze, die er uns in allgemeiner Beziehung dargelegt hat, finden durchaus die Billigung meiner Freunde. Immerhin darf man anmerken, daß seit dem September vorigen Jahres, seit der Bund besteht, eine nicht unbeträchtliche Ausweitung und Aufblähung, wenn Sie wollen, Inflation unseres Geldumlauf es stattgefunden hat. Sie ist aber erfreulicherweise wesentlich durch die Ausdehnung der Warenerzeugung übertroffen worden, so daß in dieser Beziehung wohl für den Augenblick keine Besorgnisse gehegt zu werden brauchen.
    Immerhin ist es nach unserer Meinung durchaus am Platze, zu prüfen, ob der Bundeshaushalt, so wie er vorliegt, tatsächlich als ausgeglichen angesehen werden kann. Es fällt uns schwer, diese Frage mit einem vorbehaltlosen Ja zu beantworten. Vielleicht hat das nicht einmal der Herr Bundesfinanzminister selbst getan. Ich gehe zwar nicht entfernt so weit, wie es der Vertreter der Zentrumsfraktion, Herr Dr. Bertram, glaubte tun zu müssen, der die Gefahr ungeheuerlicher schwarzer Milliardenfehlbeträge noch für dieses Haushaltsjahr an die Wand gemalt hat. Aber ich glaube schon, daß es einige Punkte gibt, die uns berechtigen, die I Dinge wenigstens einmal zu prüfen.
    Der formale Ausgleich in Einnahmen und Ausgaben wird durch die Einsetzung eines Betrages von 300 Millionen herbeigeführt, die dem außerordentlichen Haushalt entnommen werden sollen. Es kommt also so, daß der Bund Schulden macht und das Ergebnis, den Erlös aus diesen Verpflichtungen, im Laufe des Haushaltsjahres mit verbraucht. Da nun dieser Summe von 300 Millionen auf der anderen Seite, ohne daß ein ursächlicher Zusammenhang besteht, 300 Millionen Lebensmittelsubventionen gegenüberstehen, so könnte man sagen, daß diese doch immerhin wesentliche Summe im Laufe des Haushaltsjahres verbraucht und verzehrt wird und daß dem Bund nachher nur noch übrig bleibt, die Schulden zurückzuzahlen. Es hat nach unserem Gefühl gewisse Bedenken, wenn sie auch vielleicht aus der Not der Situation zurückgestellt werden mußten, daß für diese Kredittransaktion 300 Millionen DM Gegenwertmittel stillgelegt werden müssen. Man tut das, um irgendwelchen inflationären Wirkungen vorzubeugen. Das ist vielleicht auch am Platze. Auf der anderen Seite ist natürlich festzustellen, daß diese Gegenwertmittel unserer in gewissen Bereichen doch auch heute noch stark kapitalbedürftigen Wirtschaft während der Laufzeit des Kredits fehlen werden.
    Ich glaube, in diesem Zusammenhang zu den Subventionen ein Wort sagen zu sollen. Es entsteht so leicht der Eindruck, daß diese Subventionen, da sie ja für Lebensmittel gezahlt werden, unserer Landwirtschaft zufließen. Ich möchte auch an dieser Stelle noch einmal betonen, daß mit Ausnahme der Summen, die der Verbilligung des Handelsdüngers dienen, diese Summen nicht etwa der deutschen Landwirtschaft zufließen, sondern im Gegenteil dazu verwendet werden müssen, diejenigen ausländischen Lebensmittel, die wir in unserer Lage einzuführen gezwungen sind, für den deutschen Konsumenten erschwinglich zu machen.
    Ein anderer Punkt, auf den heute schon Bezug genommen ist, ist die Frage der Ablieferung von 174 Millionen DM, die der Bundesbahn obliegt. Wir wissen alle von der schwierigen Situation und der Unfähigkeit der Bundesbahn, diesen Betrag zu entrichten. Wir achten auf der anderen Seite die gestern vom Herrn Finanzminister erwähnte gesetzliche Verplichtung, solche Einnahmen - ich möchte lieber sagen, solche Forderungen —, die ihm gesetzlich zustehen, auch tatsächlich unter den Einnahmen seines Haushaltes auszubringen. Ich glaube aber, man müßte sich überlegen, ob es nicht richtig wäre, auch im Haushaltsplan für solche dubiosen oder, man möchte beinahe sagen: uneinbringlichen Forderungen irgendwo eine Rückstellung oder einen Gegenposten zu schaffen, damit nicht praktisch ein falsches Bild entsteht. Diese Zahlungsunfähigkeit der Bundesbahn dauert ja schon länger an. Ich verdanke es der „Übersicht über den Stand der Schuld der Bundesrepublik Deutschland" mit dem Datum vom 30. September dieses Jahres, wenn ich feststellen kann, daß der Herr Bundesfinanzminister gezwungen war, von den insgesamt rund 1,4 Milliarden schwebender Schulden, die er zu diesem Zeitpunkt hatte, immerhin 232,5 Millionen für die „Deckung der Minderablieferung der deutschen Bundesbahn" zu verwenden.
    Schließlich — und das ist der dritte Punkt, den ich im Vordergrund sehe — sind im Augenblick auch noch rund 200 Millionen ungedeckt, die sich aus erhöhten Aufwendungen für Berlin und aus der Mehrbelastung des Bundes durch das Bundesversorgungsgesetz in der Form ergeben, wie es von diesem Hohen Hause mit großer Mehrheit verabschiedet worden ist. Ich möchte an dieser Stelle einschalten, daß meine Freunde und ich es auf das lebhafteste begrüßen, daß nun seitens des Bundes der Stadt Berlin umfassender geholfen wird als bisher. Wir haben das Verwaltungsabkommen zwischen der Bundesregierung einerseits und dem Magistrat Berlin andererseits auf das lebhafteste begrüßt und hoffen nun, daß sich in diesen Beziehungen, die früher durch die ewigen Geldsorgen und Unsicherheiten von Monat zu Monat belastet waren, allmählich eine Beruhigung ergibt, die die schwergeprüfte Reichshauptstadt so dringend nötig hat.
    Der Herr Bundesfinanzminister hat, wie Sie wissen, zur Deckung der noch fehlenden 200 Millionen neue Steuergesetzentwürfe eingebracht, die in manchen Kreisen erbittertem Widerstand begegnet sind. Das parlamentarische Schicksal dieser Gesetzentwürfe steht noch nicht fest, und wir müssen abwarten, wie das ausgehen wird. Fest steht nur, daß im Augenblick auch für diese Summe kein fester Ausgleich im Haushalt vorhanden ist.
    Der Herr Bundesfinanzminister hat gestern die Erwartung ausgesprochen, daß schließlich das Aufkommen an Steuern im Laufe des Haushaltsjahres die Vorschätzungen, die in Erwartung der Wirtschaftsentwicklung höher angesetzt waren, auch tatsächlich erreichen wird. Nachdem in den ersten Monaten in dieser Beziehung erhebliche Rückstände zu verzeichnen sind, möchte ich mir erlauben, darauf aufmerksam zu machen, daß wir wohl den Höhepunkt der wirtschaftlichen Aktivität im Laufe dieses Haushaltjahres im Augenblick tatsächlich überschritten haben und daß wir in den


    (Dr. Blank [Oberhausen])

    kommenden Wintermonaten, in denen die wirtschaftliche Betätigung ohnehin zurückgeht, wohl nicht allzu viel aufholen werden, um so mehr, als ja, wie der Herr Bundesfinanzminister selbst betont hat, die dem Bund zustehenden Steuern, Umsatzsteuer und Verbrauchssteuern, in unmittelbarer Weise vom Gang der Geschäfte abhängig sind.
    Ich glaubte, diese Vorbehalte vorbringen zu müssen gegenüber der Annahme von einem ausgeglichenen Haushalt. Ich bin der Meinung, daß es falsch wäre, sich etwa zu beruhigen und anzunehmen, man könne die Dinge für den weiteren Verlauf dieses Haushaltsjahres sich selbst überlassen. Meine Freunde und ich haben auch gewisse Vorbehalte gegenüber der Aufstellung und Aufmachung des außerordentlichen Haushaltsplanes. Wir glauben z. B., daß der Münzgewinn, der in diesem Haushaltjahr unter den ordentlichen Einnahmen erscheint, zweckmäßigerweise bei den außerordentlichen Einnahmen einzusetzen wäre, da ja keinerlei Aussicht besteht, daß sich das etwa in gleicher Weise laufend wiederholen kann. Wir erblicken jedenfalls in dem höchst willkommenen Anfall von 400 Millionen aus dem Münzgewinn einen mehr oder weniger einmaligen Vorgang.
    Meine Freunde und ich glauben auch, daß die Subventionen, die einem länger gepflogenen Brauch entsprechend im ordentlichen Haushaltplan des Bundesministeriums für Ernährung ausgewiesen werden, zweckmäßigerweise im außerordentlichen Haushaltplan erscheinen sollten; das um so mehr, als ja nicht einmal sicher erscheint, ob es möglich, vielleicht sogar, ob es überhaupt notwendig sein wird, diese Subventionen im Laufe der nächsten Jahre aus ordentlichen Einnahmen zu finanzieren. Diese Subventionen belaufen sich im ganzen immerhin auf mehr als eine halbe Milliarde.
    Gewisse Fachleute waren im übrigen der Meinung, es sei richtig, daß auch das ERP-Vermögen und die Bewegungen, die sich auf diesem Konto, wenn ich so sagen darf, ergeben, im außerordenlichen Haushalt erscheinen könnten. In diesem Sinne sind ja wohl auch die Beschlüsse des ERP-Ausschusses und des Ausschusses Geld und Kredit dieses Hauses grundsätzlich aufgefaßt worden. Die Bundesregierung hat hier einen etwas anderen Weg gewählt. Es ist ein Sondervermögen beim Einzelplan V des ERP-Ministeriums ausgewiesen. Ich kann die Lektüre gerade dieser Schrift besonders empfehlen. Das Ministerium erklärt sich auch ausdrücklich damit einverstanden, daß der vorgelegte Plan von der Regierung so aufgefaßt wird, daß er in der vom Bundestag zu beschließenden Form verbindlich sein soll.
    Dann habe ich in aller Geschwindigkeit noch einen Vorschlag zu machen, der nicht mir persönlich, aber unseren Freunden aus der Arbeit des Haushaltsausschusses gekommen ist. Es handelt sich darum, daß wir, wie Herr Kollege Schoettle schon erwähnt hat, uns mit unserer Arbeit in einem hoffnungslosen Rückstand befinden; dieser Zustand muß möglichst schnell geändert werden. Wir möchten zu erwägen geben, ob es nicht denkbar wäre, den uns jetzt vorliegenden Haushaltsplan für das Haushaltjahr 1950/51 zunächst einmal in der gleichen Form auch für das Haushaltjahr 1951/52 zu verabschieden. Die Bundesregierung könnte aufgefordert werden, für dieses neue Jahr schon jetzt — ähnlich dem Gedanken, den Kollege Schoettle geäußert hat — einen Nachtragshaushalt vorzubereiten. Wir würden aber, wenn wir so vorgehen und tatsächlich — das wird sich ja erreichen lassen — vor dem 31. März nächsten Jahres mit dem Haushaltsplan für 1950/51 fertig sind, gleichzeitig auch ab 1. April einen beschlossenen Haushaltplan vorliegen haben, nach dem sich dann Regierung, Parlament, Wirtschaft und Bevölkerung richten können. Damit würden wir der schauerlichen Notwendigkeit der Vorwegbewilligungen, die uns immer wieder neue Schwierigkeiten macht und auch den Überblick allmählich völlig verloren gehen läßt, enthoben sein. Natürlich muß — das steht im Grundgesetz — für jedes einzelne Haushaltjahr auch ein Haushaltgesetz gemacht werden. Aber das halte ich demgegenüber für eine technische Frage. Dazu muß noch viel überlegt werden. Wenn wir es aber riskieren, diesen entschlossenen Schritt zu tun, dann haber wir, davon sind meine Freunde und ich überzeugt, wirklich etwas gewonnen, das allen nur helfen kann.

    (Beifall bei der FDP.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Seelos.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gebhard Seelos


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hatte in dieser Woche vor der deutschen und vor der Weltöffentlichkeit die große Chance, zu zeigen, ob er seiner Aufgabe gewachsen ist. Denn es folgten sich in einer Woche rasch hintereinander die großen Stellungnahmen zu der Außenpolitik und zu der Innenpolitik. Wenn man nun davon ausgeht, daß in unserer völkerrechtlich so abhängigen Lage doch der Grundsatz des Primats der Außenpolitik gelten muß, dann konnte man von der Diskussion in außenpolitischen Fragen ein enges Zusammenspiel der Regierung und der Opposition erwarten, zumal die bedingte Zustimmung zu einem Wehrbeitrag Deutschlands für die Verteidigung Europas in gleicher Weise gegeben war. Statt dessen hat die außenpolitische Diskussion, meiner Ansicht nach zum Schaden der internationalen Stellung Deutschlands, infolge der übertriebenen Hervorkehrung parteipolitischer Gesichtspunkte mit einer Verschärfung der Gegensätze geendet.
    Heute nun- erleben wir fast das Umgekehrte. Es ist ganz naturgemäß, daß bei einem so unbedingten Gegensatz in wirtschaftlichen Auffassungen und auch in anderen Auffassungen bei der Generaldebatte über den Etat die Gegensätze zwischen Opposition und Regierung besonders hart und scharf zur Geltung gebracht werden. Man mußte fast erwarten, daß der Angriff heute geradezu massiv werden würde. Im Gegenteil: es ist in einer geradezu vorbildlichen Weise eine konstruktive Opposition geübt worden, indem Herr Schoettle sachlich und mit teilweise schlagenden Argumenten einfach das beanstandet hat, was zu beanstanden war. Es freut mich, das gerade auch der Sprecher der Regierung, der Abgeordnete aus Berlin, dies voll anerkannt hat. Wenn dieser Geist der Zusammenarbeit öfter hier zur Geltung käme, könnten wir, glaube ich, allgemein wertvollere und positivere Arbeit leisten, als das bisher geschehen ist. Nur ist es eben nach außen hin nicht so wichtig, wie diese innerpolitische Debatte ausfällt. Was wir am Mittwoch hätten tun sollen, haben wir nun schon einmal verschüttet.
    Ich möchte, nachdem von Herrn Schoettle wie auch von den anderen Rednern dem Bundestag so viele Argumente und Zahlen gegeben worden sind, nicht auch noch einmal diese Zahlen wiederholen, die einfach Fakten sind. Ich möchte mich auch nicht heute schon in eine ins einzelne gehende Etat-
    Deutscher -Bundestag — 100. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1950 3673

    (Dr. Seelos)

    kritik begeben. Das soll der zweiten Lesung vorbehalten bleiben. Ich möchte aber schon jetzt sagen, daß mir der Gedanke meines Vorredners sehr gefällt, daß dieser Etat 1950/51 im großen und ganzen schon auf 1951/52 übernommen werden soll, damit wir endlich loskommen von diesen nachträglichen Bewilligungen. Bis dieser Etat in der zweiten und dritten Lesung fertig wird, wird es Januar, Februar; also das Jahr ist bereits vergangen. Der Bundestag kann von seinem verfassungsrechtlich ersten Recht der Etatbewilligung gar keinen Gebrauch mehr Machen. Es wäre also gut, glaube ich, wenn man diesen Weg beschreitet. Eines allerdings müßte wohl an diesem Etat geändert werden, daß solche Globalsummen wie z. B. für die Ausgestaltung der Dienststelle für auswärtige Angelegenheiten, oder des auswärtigen Dienstes überhaupt, mit 3,9 Millionen, glaube ich, nicht noch einmal so global erscheinen; denn das gibt denen, die dafür die Verantwortung haben, zu viel persönliche, unkontrollierte Möglichkeiten, den Dienst so einzurichten, wie es ihnen gefällt.
    Ich möchte mich also auf einige grundsätzliche Erwägungen beschränken, und zwar möchte ich an die Spitze folgenden Gedanken stellen: Die Bundesregierung hat trotz der uns allen bekannten Schwierigkeiten eigentlich doch ein unerhörtes und fast seltenes Glück durch Umstände äußerer Art gehabt, auf die sie gar keine Einwirkung hatte. Denn ungefähr zu dem Zeitpunkt, als sie ihre Tätigkeit aufnahm, vor einem Jahr, haben sich die Auswirkungen des Einpumpens der Marshallplangelder in die deutsche Wirtschaft so recht bemerkbar gemacht. Auch der Schuman-Plan, der von dem französischen Außenminister her entwickelt worden ist, hat zu einer Auflockerung des deutschfranzösischen Verhältnisses geführt, das überhaupt I für die Befriedung Europas günstig wirkte. Und schließlich ist doch dieses unerhörte Ereignis von Korea eingetreten, das uns überhaupt in der außenpolitischen Situation eine große Auflockerung und viele Möglichkeiten gegeben hat.
    Diese günstigen Umstände muß eine deutsche Regierung in der heutigen Zeit auch fast haben, wenn sie überhaupt die Möglichkeit haben will, zu regieren und etwas zu leisten und diese hoffnungslose Lage Deutschlands zu meistern. Es ist schwer, ein Volk zu regieren, dem der Glaube an Autorität verlorengegangen ist. Es ist schwer, zu regieren, wenn diese Autorität auch von seiten der Alliierten fast vom ersten Tage an untergraben worden ist. Es ist schwer, ein Volk zu regieren bei diesem Mangel einer Führerschicht, die gerade in einem demokratischen Staat besonders notwendig ist. Von einem Volk — das ist ja von den Rednern in verschiedenen Variationen gesagt worden —, das aus 50 % Armen und Entrechteten, aus 8 Millionen Heimatvertriebenen, 10 Millionen Rentenempfängern und 5 Millionen Kriegsopfern besteht, kann man doch nicht so viel verlangen. Ein Volk, das in seiner Wirtschaft kein Kapital hat, in dessen Land die Demontagen weitergehen, ist schwer zu regieren.
    Die Regierung hat aber eben doch einige Dinge versäumt, die man ihr auch trotz dieser schwierigen Lage vorwerfen muß. Sie hat nicht verstanden, eine enge Fühlung mit dem Parlament zu gewinnen. Das ist bereits gesagt worden. Sie hat oft gesündigt, durch verspätete Vorlage von Gesetzen, durch 1 berschreitung von Etatspositionen z. B. beim Bonner Ausbau durch eine Verteilung von Marshallplan-Geldern ohne Genehmigung des Parlaments und dergleichen Dinge mehr. Sie hat auch das Vertrauen des Volkes vor allem deshalb nicht gewinnen können, weil sie Versprechungen, die sie besonders in ihrer ersten programmatischen Rede vom vorigen Jahr gemacht hat, nicht gehalten hat. Keine Regierung kann gegenüber Fakten mehr tun, als eben möglich ist. Aber sie braucht nicht zu versprechen und Dinge anzukündigen, von denen man vielleicht von vornherein annehmen kann, daß sie nicht oder kaum durchführbar sind; und da hat sie sich meiner Ansicht nach wiederholt schwer verfehlt. Zum Beispiel: Wenn man die Regierungserklärung nachliest, so kann man feststellen, daß sie den Altsparern eindeutig versprochen hat, ihre Guthaben wenn irgendwie möglich und baldmöglichst aufzuwerten. Das ist nicht geschehen. Man hat wiederholt Zusagen hinsichtlich der Zahlung von Pensionsbeträgen für die entrechteten und heimatvertriebenen Beamten nach Art. 131 des Grundgesetzes gemacht. Im Januar, im Februar sollte diese Frage schon gelöst werden. Noch heute warten diese armen Beamten auf die Erfüllung dieser Versprechungen.
    Ganz gleichgültig, wie man zum Lastenausgleich steht, es ist jedenfalls nicht zu verantworten, daß dem Volk immer wieder neue Termine versprochen werden: zuerst der 31. Januar, dann der 1. Setember, dann endgültig November und Dezember, und schließlich hat man diese lang erwartete und angekündigte Vorlage einfach zurückgezogen; als ob man nicht in einem Jahre Möglichkeiten gehabt hätte, alle Kreise zu hören. Ich sage nochmals: ob man auf dem Boden dieser Vorlage steht oder nicht, man kann solche Hoffnungen nicht erwecken, um sie dann nicht zu erfüllen.
    Hinsichtlich der Heimatvertriebenen hat man eindeutige Zusagen gemacht, daß die schwerstbelasteten Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern durch einen Flüchtlingsausgleich entlastet werden. Vor einem Jahr ist die Umsiedlung einer ersten Rate von 300 000 Heimatvertriebenen beschlossen worden. Was ist geschehen? Nachdem kaum die Hälfte nach einem Jahr erfüllt worden ist, ist diese Aktion einfach ins Stocken gekommen. Die Bundesregierung hat es nicht verstanden, dieses Versprechen trotz der ihr gegebenen Vollmachten einzulösen. Die Bundesregierung hat es ferner nicht verstanden, dieses brennende Problem Westdeutschlands, das Problem der 8 Millionen Heimatvertriebenen, auf eine solche internationale Basis zu stellen, daß wir die Hilfe der Welt in einem ähnlichen Maße bekommen hätten, wie sie die 200 000 DP's, die wir noch haben, heute noch von der UNO erhalten.
    Die Bundesregierung hat ihre Voranschläge air die ganze Gestaltung der Großstadtbauten in Bonn bei weitem überschritten. Der Bundesfinanzminister war z. B. gezwungen, im Finanzausschuß eine Indemnitätsvorlage über 6 1/2 Millionen DM in Aussicht zu stellen.
    Es ist erwähnt worden, daß die Bundesregierung hinsichtlich der Preise, insbesondere der Lebensmittelpreise, eindeutige Zusagen gemacht hat, die, wie jeder, der einmal etwas einkauft, weiß, nicht gehalten worden sind.
    Hinsichtlich der Besatzungskosten ist wiederholt erwähnt worden, daßt die Bundesregierung darauf noch keinen Einfluß hat. Was ich aber wiederholt in diesem Hause betont habe, ist das: Die Bundesregierung ist ihrer Pflicht nicht nachgekommen, die Unterlagen zu schaffen, die es vor der Weltöffentlichkeit möglich gemacht hätten, diese übertriebenen und oft unverantwortlich hohen Kosten anzugreifen. Gerade in Amerika hätten wir jede Unterstutzung gefunden, wenn man hierüber eindeutige


    (Dr. Seelos)

    Unterlagen gegeben hätte. Es zeigt allein ein großes Versagen, daß erst vor einigen Monaten — ich glaube, am 1. August — eine Abteilung unter dem Ministerialdirigenten Hartmann im Finanzministerium eingerichtet worden ist, die diese Dinge zentral bearbeiten soll. Man hätte das ja auch schon dreiviertel Jahr vorher einrichten können, um endlich diese Angaben zu haben. Wenn man bei der Besatzung einen Troß von 4 Deutschen auf einen Besatzungsbeamten oder -soldaten hat, dann ist es ja, wenn man diese Angaben von der Besatzung nicht offen bekommt, auch möglich, sie sich auf andere Weise zu beschaffen. Das ist dann nur am Platz.
    Eine besondere Unterlassungssünde sehe ich aber darin, daß trotz der von Herrn Bundeskanzler im vorigen November groß angekündigten Zugeständnisse seitens der Alliierten hinsichtlich der Möglichkeit, Außenvertretungen zu errichten, hiervon bis auf die drei Außenvertretungen in Washington, London und Paris kein Gebrauch gemacht worden ist. Meiner Ansicht nach ist für den Ausbau unseres Exports dadurch ein schwerer Schaden eingetreten, daß diese Möglichkeit nicht mit größerer Energie benützt worden ist. In den Hafenstädten z. B. herrscht eine Anarchie hinsichtlich der Ursprungszeugnisse, die einfach irgendwie fabriziert werden, weil wir keine Außenvertretungen haben. Wie soll man da überhaupt noch einen Handelsvertrag einhalten können, wenn diese Grundlagen einer auswärtigen Handelspolitik fehlen?
    Die Schwierigkeiten sind bereits betont worden, die sich mit der Ernennung eines Staatssekretärs des Auswärtigen ergeben haben, der ja praktisch nur vor kurzem einmal in Rom in Funktion getreten ist und als Vorsitzender der SchumanplanKommission in Paris bis jetzt noch nicht die Möglichkeit hatte, sein Amt hier wahrzunehmen.
    Schließlich möchte ich darauf hinweisen, daß die Verfassungsbestimmung, daß die Bundesbehörden möglichst nach landsmannschaftlichen Gesichtspunkten zu besetzen sind, in keiner Weise eingehalten worden ist. Es müßten hier 20% Bayern angestellt sein. Auf Grund einer Anfrage ist uns die amtliche Antwort gegeben worden, daß in den Bundesbehörden nur 5% Bayern tätig sind und, wenn man nach dem Wohnsitz geht, 10%.
    Ferner sind wir auch bei der Kreditverteilung nicht immer entsprechend dem Prozentsatz, den wir beanspruchen können, beteiligt worden. Auf Grund einer Anfrage z. B. über die Verwendung eines Kredites von 50 Millionen DM für das Handwerk und die Kleinindustrie hat uns der Bundeswirtschaftsminister antworten müssen, daß Bayern schwer benachteiligt worden sei und daß man versuche, das später noch auszugleichen.
    Ich muß auch meinerseits — vielleicht in einem anderen Sinn als Herr Schoettle — auf die Interessenquote der Länder hinweisen, die unserer Auffassung nach entgegen der Verfassung auf die Länder abgewälzt worden ist. Der Herr Bundesfinanzminister hat sich hier darauf berufen, daß selbst Bayern zugestimmt habe. Bayern hat zuerst widersprochen. Ich möchte die Gespräche kennen, die zwischen Herrn Schäffer und den zuständigen bayerischen Ministern wegen der Stellungnahme der bayerischen Regierung stattgefunden haben. In der Bundesratsdrucksache zu dieser Frage kommen jetzt bereits die Bedenken zur Geltung. Es heißt jetzt, man müsse diese Frage noch einmal grundsätzlich prüfen. Dazu ist es jetzt zu spät.
    Dann muß ich beanstanden, daß für die Notstandsgebiete und gerade für das bayerische Notstandsgebiet — ich nenne das bayerische, weil ich es besonders gut kenne — im Verhältnis zu den Leistungen für das Notstandsgebiet Berlin noch in keiner Weise genügend geleistet worden ist.
    Wir haben bereits vor einem Jahr die schlechte Versorgung Bayerns mit Strom, Kohle usw. dargelegt und in Anträgen gebeten, darauf hinzuwirken, daß endlich Bayern als einziges deutsches Land nicht mehr mit Stromsperren bedacht werden muß. Wir sind jetzt glücklich so weit, daß wir in Bayern jeden Tag wieder Stromsperren und dergleichen erwarten müssen. Bäckereien und Industrien müssen stilliegen, weil wir keine Kohle haben. Das ist nach einem Jahr erreicht worden.
    Schließlich müssen wir dagegen angehen, daß die verschiedenen föderalistischen Zusagen, die von seiten der Bundesregierung immer wieder gegeben worden sind, nicht eingehalten worden sind, ganz abgesehen davon, daß es für die Bundesregierung natürlich schwer ist, föderalistisch zu sein, wenn eine supra-zentralistische Partei wie die FDP in dieser Regierung mit drin ist, gegen die ja die Angehörigen der SPD als Zentralisten beinahe Waisenknaben sind. Ich muß auch sagen: es ist ganz klar, daß von seiten der CDU hier nichts zu erwarten ist, da sie doch auf ihrem Parteitag in Goslar wieder geschlossen in die altkonservative, preußisch-deutsche Linie zurückgefunden hat.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Von Föderalismus war in Goslar mit keinem Wort mehr die Rede. Das ist die föderalistische CDU/ CSU, die es zu gegebenen Zeiten, besonders wenn Wahlkämpfe in Bayern nahen, mit ihren föderalistischen Prinzpien so wichtig nimmt.
    Ich habe einige Punkte aufgezählt, die mir der Erwähnung wert schienen. Wir erkennen auch durchaus die Leistungen der Regierung an. Wir erkennen zum Beispiel an, daß sie das Kriegsopfergesetz durchgebracht hat, nachdem sie aber bis zur letzten Minute versucht hat, möglichst davon wegzukommen, und sich überlegt hat, ob sie nicht doch noch ein Veto einlegen solle. Man muß anerkennen, daß auch die Einkommensteuergesetzgebung verbessert worden ist, wenn sie auch noch lange nicht allen Wünschen gerecht wird. Vor allem muß man anerkennen, daß die Regierung trotz aller Anfechtungen den Grundsatz der sozialen Marktwirtschaft hochgehalten hat, wenn auch diese Politik schließlich nur eine Fortsetzung der Politik des Frankfurter Wirtschaftsrates ist.
    Schließlich möchte ich sagen, das Volk ist gar nicht so unvernünftig, daß es von einer Regierung angesichts dieser ungeheueren Schwierigkeiten und des verhängnisvollen Erbes des Hitlerregimes mehr verlangt, als man erwarten kann, zumal die Besatzungseinflüsse bekannt sind. Was aber im Volke nicht verstanden wird, das ist der Mangel an Vertrauen innerhalb des Kabinetts, es ist der Mangel an Vertrauen zwischen Bundestag und Bundeskanzler, und es ist das mangelnde Vertrauen zwischen Bundesregierung und Volk. Die Bundesregierung hat es eben nicht verstanden, den Glauben an Ideale im deutschen Volke wieder zu erwecken, dem deutschen Volke die ungeheuren Möglichkeiten darzulegen und glaubhaft zu machen, die es immer noch trotz seiner Notlage besitzt. Weil sie es nicht verstanden hat, diesen Glauben zu erwecken, hat sie auch nicht die derzeitige nationale Krankheit unseres Volkes überwinden können: die Lethargie, die Hoffnungslosigkeit und die Angst. Das ist das größte Versäumnis der Bundesregierung. Wenn die Bundesregierung auf Grund der unerhört günstigen äußeren Umstände, die ihr
    Deutscher Bundestag - 100- Sitzung.- Bonn, Freitag. den 10. November 1950 3675

    (Dr. Seelos)

    zu Hilfe kamen, trotzdem an einer Gesamtverbesserung der inneren und äußeren Lage teilhaben konnte, so darf ihr das keineswegs das Gefühl geben, das durch ihre eigenen Arbeiten und Leistungen erreicht zu haben, sondern es soll sie aufgeschlossener machen, um das Volk zu gewinnen, größere Aufgaben, die uns bevorstehen, lösen zu können.

    (Lebhafter Beifall bei der BP und dem Zentrum.)