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    Deutscher Bundestag — 100. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1950 3639 100. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. November 1950. Gedenkworte des Präsidenten aus Anlaß der 100. Sitzung des Deutschen Bundestages 3639B Geschäftliche Mitteilungen . . . . 3639C, 3688D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1950 (Nr. 1500 der Drucksachen) 3639C Bausch (CDU) 3639D Schoettle (SPD) 3646C Dr. Wellhausen (FDP) 3659B Dr. Bertram (Z) 3665B Dr. Krone (CDU) 3669B Dr. Blank (Oberhausen) (FDP) . . 3670D Dr. Seelos (BP) 3672C Dr. Mühlenfeld (DP) 3675A Dr. Leuchtgens (DRP) 3678D Paul (Düsseldorf) (KPD) 3681A Brandt (SPD) 3684B Dr. Richter (Niedersachsen) (parteilos) 3685C Wittmann (WAV) 3687B Nächste Sitzung 3688D Die Sitzung wird um 9 Uhr 1 Minute durch den Präsidenten Dr. Ehlers unter lebhaftem Beifall auf allen Seiten des Hauses eröffnet.
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    Rede von Dr. Helmut Bertram


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen. Wenn wir vom Zentrum Bilanz ziehen, so wird man nicht von uns erwarten, daß wir nur die positiven Leistungen der Regierung hervorheben. Wir müssen Kritik üben. Kritik ist der wirksamste Regulator für jede menschliche Tätigkeit. Sie werden das alte Sprichwort kennen: Konkurrenz hebt's Geschäft. In diesem Sinne ist die Kritik für die Regierungsarbeit das Ventil, das unbedingt notwendig ist, wenn die Regierungsarbeit selbst erfolgreich sein soll. Diese Kritik entspringt nicht einer negativen Haltung zur Regierung und zur Regierungsarbeit als solcher, sondern sie ist die notwendige Ergänzung der Regierungsarbeit.
    Diese Debatte zum Haushaltplan findet in einem Zeitpunkt äußerster politischer Unruhe statt. Für einen historischen Rückblick auf die Tätigkeit der Regierung, die jetzt über ein Jahr im Amt ist, haben wir nur wenig Neigung, weil uns die Sorgen der Zukunft zu viel zu schaffen machen. Daraus resultieren Aufgaben und Ausgaben, die sich in der gesamten Finanzpolitik des laufenden Jahres entscheidend bemerkbar machen müssen. Der Herr Finanzminister hat über diese Aufgaben kein Wort verloren. Die Aufgaben, die aber vor uns stehen, sind in ihrer Fülle kaum aufzuzählen; nur einzelne seien genannt: die äußere und innere Sicherheit unseres Staates, die Anpassung des Lebensstandards der Festbesoldeten und der Unterstützungsempfänger an die gestiegenen Lebenshaltungskosten, die Herstellung von menschenwürdigen Wohnungen in der Nähe eines geeigneten Arbeitsplatzes, die Verhinderung des andauernden Verfalls der Altwohnungen, die Einbeziehung der zahlreichen durch Krieg und Kriegsfolgen heimat-
    und erwerbslos gewordenen Menschen in den Produktionsprozeß an einer Stelle, die ihren Fähigkeiten entspricht, die sonstigen Aufgaben des Lastenausgleichs, die Sorge für die Besatzungsverdrängten, für die Altsparer und zahlreiche andere mehr, deren Aufzählung im einzelnen hier zu weit führen würde. Diese Aufgaben werden noch im laufenden Haushaltsjahr verstärkte Anforderungen an die Haushalte von Gemeinde, Land und Bund stellen.
    Wir müssen deshalb wissen, wie wir finanziell stehen. Das erste Gebot für einen sorgsamen Hausvater ist einen Plan für die laufenden Ausgaben und insbesondere für die Sicherung der Zukunft seiner Familie aufzustellen und danach zu verfahren. Eine ähnliche Aufgabe stellt sich der Finanzpolitik des Staates. Was wir hier in der Bundesrepublik vermissen, ist die Aufstellung eines entsprechenden Finanzplanes. Der vorliegende Haushaltsplan ist nur formal ausgeglichen. Er enthält erstens nicht die kleinste Reserve, aus der die kommenden Ausgaben gedeckt werden könnten. Zweitens ist der Haushaltsplan nur deshalb formal ausgeglichen, weil bereits Steuereinnahmen eingesetzt sind, für die die rechtlichen Grundlagen noch gar nicht geschaffen sind; die Steuern sind nämlich von uns noch nicht bewilligt. Ein Haushaltsplan, der lediglich das Ist von gestern aufzeichnet, aber das Soll von heute und morgen vergißt, verdient seinen eigentlichen Namen nicht.
    Die verschiedenen Steueransätze, die der Bundesfinanzminister in den Haushaltsplan aufgenommen hat und die vom Bundestag noch nicht bewilligt sind, ergeben einen Betrag von 226 Millionen DM. Zum mindesten um diesen Betrag ist der Haushaltplan auch noch nicht ausgeglichen. Die Ausgaben für die innere Sicherheit dürften im laufenden Haushaltjahr nicht unter 300 Millionen liegen, so daß bereits jetzt mit Sicherheit ein Defizit von zwei Drittel Milliarden vorauszusehen ist. Die Ausgaben für die Subventionen des Bundesernährungsministeriums für die Landwirtschaft dürften gleichfalls bei der steigenden Weltmarkttendenz durch die Wirklichkeit übertroffen werden. Ob die Interessenquote der Länder in voller Höhe geleistet wird oder besser gesagt geleistet werden kann, ist mit Rücksicht darauf, daß bisher bereits erhebliche Rückstände entstanden sind, doch mehr als zweifelhaft. Die Rückstände für 1949/50 betragen 246 Millionen und für 1950/51 bisher rund 700 Millionen; insgesamt also fast 1 Milliarde an Rückständen, die die Länder dem Bund schulden.
    Das Wohnungsbauministerium dürfte mit seinen Mitteln zur Förderung des Wohnungsbaus bei


    (Dr. Bertram)

    weitem nicht auskommen, nachdem die Spartätigkeit so außerordentlich zurückgegangen ist. Um das Stilliegen von angefangenen Bauten in diesem Winter zu verhindern, werden erhebliche zusätzliche Anforderungen an die öffentlichen Finanzen kommen. Auch der Ausfall der ERP-Mittel für den Wohnungsbau und, sobald das Lastenausgleichsgesetz angenommen sein wird, der Soforthilfemittel muß als weiterer Ausfall für die Sicherung der Finanzierung des Wohnungsbaus berücksichtigt werden. Man wird also auch im Etat des Wohnungsbauministeriums mit erheblich höheren Fehlbeträgen zu rechnen haben.
    Der Überschuß der Einzahlungen über die Auszahlungen im Sparverkehr ist von 150 Millionen im Frühsommer dieses Jahres auf 15 Millionen im Monat August, d. h. auf ein Zehntel geschrumpft. Dazu kommen die Anforderungen der Besatzungsmacht für die Verstärkung der Unterbringung ihrer Truppen in Deutschland, so daß das Gesamtdefizit noch für das laufende Haushaltjahr mindestens 2 Milliarden DM betragen dürfte, sicherlich nicht weniger, eher noch mehr. Wenn aber die Höhe
    dieser Ausgaben vorauszusehen ist und im Haushaltplan nicht veranschlagt ist, dann ist der Haushaltplan innerlich nicht ausgeglichen.
    Wie kann der Ausgleich herbeigeführt werden? Wir haben uns als Zentrumsfraktion besonders das Thema der Ersparnisse gewählt. Wir haben vor einigen Tagen hier eine Debatte über den Sparkommissar gehabt. Ich glaube, daß erhebliche Ersparnisse möglich sind. Daß der Bundesfinanzminister selbst Sparkommissar werden könnte, wie der Staatssekretär Hartmann es erwähnte, glaube ich, ist ausgeschlossen, nachdem die Kritik des Bundesrates an den einzelnen Haushaltsplänen vorliegt und dort die Beanstandungen sich gehäuft haben. Wie ein roter Faden zieht sich durch den Bericht des Bundesrates die Beanstandung der Erhöhung der Stellenzahl ohne zureichenden Grund, die Umwandlung von nach TOA bezahlten Angestelltenstellen in höher eingestufte Beamtenstellen sowie die Bildung einer übermäßigen Anzahl von Referaten, die sachlich nicht gerechtfertigt sind, und damit verbunden eine übermäßige Anzahl von Spitzenstellungen in den Ministerien. Das bewirkt, daß der Haushalt von 1950/51 auch in den Personalkosten erheblich höher liegt als sein Vorgänger.
    In den wenigen Tagen, seit der Haushaltsplan uns Abgeordneten des Bundestages zur Verfügung gestellt worden ist, ließen sich Gesamtzusammenstellungen nicht anfertigen. Das gilt um so mehr, als Sammelnachweisungen mit Haushaltsquerschnitten sowie Vergleichszahlen des Vorjahres, ferner Stellen- und Organisationspläne, bisher nicht vorgelegt worden sind. Ihre Vorlage ist offenbar auch nicht beabsichtigt. Ich glaube aber nicht, daß in irgendeiner Kommunalverwaltung die Gemeindevertreter sich mit einem Haushaltsplan ohne derartige Erläuterungen zufrieden geben würden. Einen solchen Haushaltsplan würde man dem Stadtdirektor zurückgeben. Es ist wirklich nicht nett vom Ministerium, daß uns diese Drucksachen erst zwei Tage vor der Beratung vorgelegt werden, obwohl es ohne weiteres möglich gewesen wäre, die Drucksachen den Fraktionen wenigstens in dem gleichen Zeitpunkt zuzustellen, in dem sie .dem Bundesrat zugegangen sind. Aus dieser Handhabung — Fehlen der Sammelnachweise, Fehlen der Vergleichszahlen des Vorjahres und aus der verspäteten Vorlage — kann doch nur der Schluß gezogen werden, daß der Regierung eine frühzeitige Kritik an den Haushaltsvoranschlägen unbequem ist.

    (Zurufe von der CDU: Na, na!)

    Wer aber eine Kontrolle erschwert — und das wird man ja wohl zugeben müssen —, setzt sich dem Verdacht aus, daß er eine Kontrolle fürchtet.
    Die flüchtige Prüfung ergibt schon den Beweis für die mangelnde Sparsamkeit in verschiedenen Punkten. Das Gutachten des Rechnungshofes von Nordrhein-Westfalen ebenso wie die bisherigen Ergebnisse des Untersuchungsausschusses für die im Raume Bonn vergebenen Arbeiten zeigen eindeutig, daß man wesentlich sparsamer hätte arbeiten können. Wenn für die Wandbekleidung — und das ist nur ein Beispiel, das typisch ist — des Bundeskanzlerzimmers und des Sitzungszimmers Velour für 17 000 DM zum qm-Preis von 68 DM angeschafft worden ist, und — das ist entscheidend — wenn nachträglich diese Wandverkleidung wieder entfernt worden ist, so kann doch aus dieser Tatsache der Beweis für mangelnde Sparsamkeit und schlechtes Gewissen in einem erbracht werden. Der Globalabstrich von 200 Millionen DM, den der Herr Bundesfinanzminister hier gestern als Beweis für seinen Sparsamkeitswillen anführte, würde ja gar nicht möglich sein, wenn die Haushalte vorher sorgfältig durchgeprüft worden wären. Ein solcher Globalabstrich beweist immer, daß überflüssige Reserven in den Haushalten vorhanden gewesen sind, und die Tatsache, daß er sich hat durchführen lassen, beweist die mangelnde Sorgfalt bei der Aufstellung der Haushaltspläne.
    Ich will nicht auf all die anderen in der Presse veröffentlichten Anzeichen für mangelnde Sparsamkeit hinweisen. Ein Beispiel möchte ich aber noch hervorheben. Wenn für inländische Erdölproduzenten 1949 pro Tonne Förderung 40 DM bei einer Förderung von 841 000 Tonnen jährlich und 30 bis 34 DM = mindestens 30 Millionen im Jahr 1950 bei einer Jahresförderung von einer Million Tonnen gezahlt werden und einer dieser Erdölproduzenten dann in der Lage ist, aus der Westentasche über 20 000 DM an einen Bundestagsabgeordneten zu zahlen, so scheint mir nicht nur das gesamte System der Erdölsubventionen überprüfungsbedürftig, sondern scheinen sicherlich auch erhebliche Ersparnisse, zum mindesten bei den Subventionen an diese Gesellschaft, möglich.
    Die Sparsamkeit muß sich aber nicht nur auf den Bund, sondern auch auf Länder und Gemeinden erstrecken. Der Einwand, den ich erwarte, ist der, daß der Bund für die Länder und Gemeinden nicht zuständig ist. Dieser Einwand ist jedoch nicht stichhaltig, weil über den Finanzausgleich nach Art. 106 des Grundgesetzes eine wirksame Einflußnahme des Bundes auf sparsamste Haushaltsgestaltung bei den Ländern möglich ist. Der Minister hat gestern erklärt, die Länder seien eine Schicksalsgemeinschaft. Das ist mit einer Einschränkung richtig. Der Bund bildet die Schicksalsgemeinschaft der Länder. Das System der Regierung schaltet aber diese Schicksalsgemeinschaft, wie sie im Grundgesetz verankert ist, aus. Es schafft neben dem Bundesstaat noch einen Staatenbund der Länder, ein staatsrechtliches monstrum irregulare. Es fing an mit der Kultusministerkonferenz. Dieser Weg führte dann zum Gesetz über die Finanzverwaltung, dann über das System der Interessenquote, die im Grundgesetz keine Verankerung findet, jetzt zu der Polizeivereinbarung der Länder mit dem Bund. Die Kosten dieser Doppelorgani-


    (Dr. Bertram)

    sation, auf der einen Seite des Staatenbundes, der verschiedenen Länder, und auf der anderen Seite des Bundes, zahlt das deutsche Volk. Die Zahl der Länderministerien kann natürlich nicht entscheidend verringert werden, wenn in dieser Weise die Länderaufgaben künstlich aufgebläht werden und die Länder gegen das Grundgesetz durch Staatsverträge ihre Beziehungen untereinander regeln müssen, statt die Organe, die das Grundgesetz geschaffen hat, dafür zu verwenden. Die Pflichten gegenüber dem Bund werden den Ländern von unserem Finanzminister nicht klargemacht, weil sein bayerisches Herz in seiner Brust offenbar stärker schlägt, als es die Pflicht gegenüber den Bestimmungen des Grundgesetzes erlauben würde.
    Daß insbesondere der Personalbestand der Länder und Gemeinden weit überhöht ist, beweist die Statistik. Bund, Länder und Gemeinden beschäftigen gegenwärtig 1,2 Millionen Angestellte und Arbeiter — ohne Bahn und Post — gegenüber 800 000 vor dem Kriege. Der Personalstand je tausend Einwohner hat sich damit von 18,3 auf 24,6 erhöht. An Gehältern und Löhnen werden für diesen Personenkreis 4 1/2 Milliarden Mark aufgewendet. Die Aufblähung ist zum Teil — und nicht zum unwichtigsten Teil — auf das Parteibuchbeamtentum und auf eine unangebrachte Großzügigkeit vor der Währungsreform zurückzuführen. Zahlreiche Aufgaben sind jetzt weggefallen, so z. B. die Wirtschaftsämter. Das Personal ist aber geblieben.
    Bei der Zollverwaltung sind nach den Angaben im Etat fast 28 500 Personen tätig. Wenn wir davon ausgehen, daß ein großer Anteil der Zollbeamten nur deshalb eingesetzt werden muß, weil die hohen fiskalischen Belastungen für Tabak, Kaffee und Tee den Schmuggel so lukrativ machen, so wäre es der einfachste Aufgabenabbau bei der Zollverwaltung, durch eine Änderung der Verbrauchsteuern den Schmuggel unlukrativ zu machen und dadurch auch den überflüssigen Behördenapparat einzuschränken. Es liegt in dieser Richtung ein einstimmiger Beschluß des Bundestags vor. Aber mit einem Eigensinn sondergleichen sträubt sich der Finanzminister dagegen, diesen Beschluß durchzuführen. Dabei ist der Beschluß des Bundestages auf Grund sorgfältiger Vorarbeiten gefaßt worden, nachdem sich herausgestellt hatte, daß bei einer entsprechenden Senkung der Verbrauchsteuern gleichwohl das Gesamtaufkommen aus diesen Steuern sich nicht ermäßigt haben würde. Trotzdem zieht man den Weg vor, mit einem zu großen und deshalb überflüssigen Beamtenapparat die hohen Verbrauchsteuern durchzuziehen.
    Der Beamtenkörper ist zum Teil auch mit un-, geeigneten Kräften aufgefüllt worden, die infolge ihrer Unkenntnis Fehler machen und eine verständliche Verärgerung zahlreicher Bevölkerungskreise und abfällige Urteile über die gesamte Beamtenschaft verursachen.
    Die Personalpolitik der Regierung in ihrer Einseitigkeit Ist von uns wiederholt gerügt worden, insbesondere die Personalpolitik hinsichtlich des Auswärtigen Amtes. Über diesen Punkt wird bei den Beratungen über die Dienststelle für auswärtige Angelegenheiten noch eingehend zu reden sein. Unsere Fraktion behält sich vor, gerade zu diesem Punkt noch recht aufschlußreiches und interessantes Material vorzulegen.
    Die mangelnde Sparsamkeit zeigt sich insbesondere aber auch bei der großen politischen Linie. So hat der Bundeskanzler ohne Genehmigung durch den Bundestag eine Sicherheitsdienststelle geschaffen und deren Bezüge ohne Etatisierung angewiesen. Sie zeigt sich in der höchst überflüssigen Einrichtung von unklassischen Ministerien. Über diese Frage ist oft genug debattiert worden. Daß aber die Minister, die selbst noch Abgeordnete sind, die doppelte Aufwandsentschädigung erhalten, ist ebenfalls ein Beweis dafür, daß die mangelnde Sparsamkeit in der ganzen Linie der Regierung liegt. Daß diese nicht klassischen Ministerien, deren Notwendigkeit auch von Kreisen, die der Regierung nahestehen, bezweifelt wird, trotzdem im neuen Haushaltsplan wieder erheblich höhere Ausgaben verzeichnen als im alten Haushaltsplan, ist uns unverständlich.
    Das Marshallplan-Ministerium hat allein bei seinen Beamten eine Zunahme von 75 % zu verzeichnen. Die Stellungnahme der Regierung zu den kritischen Anmerkungen des Bundesrats kann doch nur den Eindruck vermitteln, daß das Marshallplan-Ministerium inzwischen zu einem zweiten Wirtschaftsministerium geworden ist. Es ist ein Vervielfältigungsministerium. Die gleichen Arbeiten, die auch im Wirtschaftsministerium geleistet werden, werden im Marshallplan-Ministerium noch einmal erledigt. Nur eine scharfe Aufgabenaufteilung nach Sachgebieten kann aber die Ableistung der gleichen Arbeiten an zwei Stellen verhindern. Ich will nicht sagen, daß die Beamten im ERP- Ministerium nicht arbeiten; sie beschäftigen sich aber mit der gleichen Arbeit, für die auch im Wirtschaftsministerium Referate und Beamte da sind.
    Mit besonderem Nachdruck stellen wir fest, daß diese unklassischen Ministerien eine weitere Steigerung ihrer Ausgaben zu verzeichnen haben und insgesamt im wesentlichen doch nur aus Koalitionsrücksichten aufrechterhalten werden. Das deutsche Volk muß den Betrag aufbringen, der wegen dieser Rücksichten verlangt wird. Wir betonen dabei ausdrücklich, daß wir vor allem die zentrale politische Bedeutung der Grenzlandfrage dem Bundeskanzler schon wiederholt ans Herz gelegt haben und beklagen tief die mangelnde Wirkung der Behandlung der Grenzlandfragen durch die Bundesregierung.
    Der Etat des Bundestages beträgt 16 1/2 Millionen Mark. Damit beträgt sein Etat l 1/2 pro mille der Gesamtausgaben. Dem Bundestag sind die wesentlichen Aufgaben der Gesetzgebung vorbehalten. Er ist aber auch — und das ist, glaube ich, etwas, was in der Öffentlichkeit weitgehend übersehen wird — das Kontrollorgan des Volkes gegenüber der Bürokratie. Ein Vergleich mit dem alten Reichstag muß immer dann hinken, wenn nicht gleichzeitig das Anwachsen des gesamten bürokratischen Apparates verglichen wird. Wenn der bürokratische Apparat sich vervielfacht hat, dann werden die Kosten des Kontrollorgans sich natürlich auch erhöhen müssen. Wegen der etatsmäßigen Beschränkung des Bundestages ist er nur sehr schwer in der Lage, die arbeitsmäßigen Voraussetzungen für seine Abgeordneten zu schaffen. So haben in unserer Fraktion 10 Abgeordnete nur e i n Arbeitszimmer. Die Zahl der Assistenten ist viel zu gering, um die laufenden Hilfsarbeiten für eine wirksame Ausübung der Kontrollfunktion und eine Vorbereitung der Gesetzgebung zu leisten.
    Der Bundestag müßte sich selbst das Amt eines Sparkommissars organisatorisch eingliedern. Der Sparkommissar kann sich der sehr umfangreichen Einrichtung des Bundesrechnungshofs — mit einem Etat von über 4 Millionen DM und einem Personalbestand von 322 Bediensteten — bedienen. Der Bundesrechnungshof hat jetzt Aufgaben übernom-


    (Dr. Bertram)

    men, die früher dem Reichssparkommissar oblagen. Der Bundestag hat jetzt nicht das Recht, den Bundesrechnungshof für seine Aufgaben einzusetzen. Die Mittel des Bundestags zur Regierungskontrolle sind Etatsresolutionen, schriftliche Auskunftserteilungen, Herbeirufung des Ministers, Untersuchungs- und Überwachungsausschüsse und das konstruktive Mißtrauensvotum. Uns fehlt aber die Möglichkeit einer laufenden Überwachung der Verwaltung im Hinblick auf Sparsamkeit. Diese laufende Überwachung könnten wir nur haben, wenn der Bundesrechnungshof nicht allein als Organ der Exekutive tätig wäre, sondern wenn er über den Sparkommissar gleichzeitig das Organ der Legislative wäre und damit die Hauptaufgabe unseres Bundestags, nämlich die Kontrollfunktion der Volksvertretung gegenüber der Exekutive, wirksam zu unterstützen in der Lage wäre. Das ist der Sinn und der Grundgedanke unseres Antrags auf Einsetzung eines Sparkommissars im Rahmen der Organisation des Bundestags, der sich dann des Bundesrechnungshofs zu bedienen hätte, um mit einem Schlage ohne zusätzliche Mehrausgaben unser Haus erst voll funktionsfähig zu machen.

    (Beifall beim Zentrum.)

    Bei allem Sparsamkeitswillen wird sich durch Sparsamkeit allein niemals ein Haushaltsausgleich erzielen lassen. Dafür sind die Aufgaben zu groß. Der Finanzminister hat sich deshalb Mühe gegeben, Steuervorschläge zu machen. Wir haben ein ganzes stattliches Bukett solcher Vorschläge erhalten. In diesem Bukett aus Brennesseln finde ich keine einzige Rose. Erhöhung des Notopfers Berlin — —

    (Zuruf von der Mitte)

    — Ich komme gleich darauf zu sprechen. Es wäre nämlich möglich gewesen, zusammen mit diesen Steuervorschlägen gleichzeitig verschiedene Erleichterungen durchzuführen, getrennte Veranlagung von Ehemann und Ehefrau, die Erhöhung der Steuerfreiheit für Weihnachtsgratifikationen von 100 auf 300 DM, die Erhöhung der Freibeträge von 750 auf 1000 DM. Die dringendsten sozialen Forderungen, die allenthalben als berechtigt anerkannt sind, wären bei einer vernünftigen Steuervorlage mit zu berücksichtigen gewesen, ebenso wie die Herabsetzung der Verbrauchsteuern auf Tabak und Kaffee. Dann würden wir tatsächlich eine Steuervorlage haben, die nicht nur Brennesseln oder Disteln enthalten, sondern in der auch einige freundliche Rosen blühen würden. Die jetzige Vorlage dagegen kann von uns nur abgelehnt werden.
    Das Aufkommen an Einkommensteuer und Körperschaftsteuer zeigt eine ganz merkwürdige Entwicklung. Soweit ich weiß, ist diese Entwicklung gestern in dem Bericht des Bundesfinanzministers wesentlich zu kurz gekommen. Die Körperschaftsteuer hat im ersten Quartal 1950 325 Millionen DM erbracht, im zweiten Quartal 293 Millionen DM und im dritten Quartal 262 Millionen DM, die veranlagte Einkommensteuer — nicht die Lohnsteuer — im ersten Quartal 1950 560 Millionen DM, im zweiten Quartal 533 Millionen DM und im dritten Quartal 307 Millionen DM.
    Besonders interessant ist die Entwicklung der Körperschaftsteuer, da dieser Steuertarif durch die kleine Steuerreform ja nicht geändert worden ist. Bei einer Steigerung des Sozialprodukts im lauf enden Jahr und einem dementsprechend gesteigerten Gewinn der körperschaftsteuerpflichtigen Gesellschaften ist trotzdem eine Minderung der Körperschaftsteuerzahlungen von 325 Millionen DM über 293 Millionen DM auf 262 Millionen DM eingetreten, eine völlig unerklärliche Entwicklung. Die Ursache liegt nach Meinung des Finanzministers darin, daß die vierteljährliche Vorauszahlung weggefallen ist und daß die Länder von der Bestimmung der Steuergesetzgebung, die Erhöhung der Vorauszahlungen auf Grund der höheren Umsätze zu verlangen, keinen Gebrauch gemacht haben. Dieser Grund kann von uns nicht anerkannt werden; er ist offensichtlich nicht zutreffend. Die wahren Gründe liegen woanders, sie liegen in ganz überhöhten Abschreibungsmöglichkeiten der körperschaftsteuerpflichtigen Gesellschaften und der veranlagten Einkommensteuerpflichtigen. Die Gründe dafür sind das D-Mark-Bilanzgesetz, das die Bilanzkontinuität unterbrochen und damit den Gesellschaften die Möglichkeit gegeben hat, in wildem Maße abzuschreiben, zweitens die Sonderabschreibungen für Ersatzbeschaffung usw., §§ 7 a ff. des Einkommensteuergesetzes. Diese beiden Vergünstigungen begünstigen die leistungsfähigen und vermögenden Gesellschaften stärker als die anderen, die wenig oder nichts verdienen. Hier liegt keine Progression, sondern eine Degression vor, die im Steuerrecht kein Beispiel hat. Die Steuergesetze machen hier die Reichen noch reicher und verhindern den Aufstieg derjenigen, die kein Kapital hatten und die deshalb von diesen Vergünstigungsvorschriften keinen Gebrauch machen können. Das nennen wir wohlüberlegte Restauration. Ohne Abänderung der Besteuerungsvorschriften für Körperschaften wird sich dieser Zustand nur ganz allmählich ändern.
    Mit Korea hat das Absinken der Steuern wahrlich nicht das geringste zu tun, wie ja die Entwicklung beweist, die bereits im zweiten Quartal eingetreten ist und sich im dritten Quartal nur verstärkt hat. Die übertriebene Selbstfinanzierung bewirkt eine wahnsinnige Erschwerung, Engpässe der Wirtschaft an anderer Stelle über einen funktionierenden Kapitalmarkt zu beseitigen. Diese übertriebene Selbstfinanzierung erweitert diejenigen Teile der Wirtschaft, die es volkswirtschaftlich nicht nötig haben, und macht den Ausbau der Wirtschaft da, wo es volkswirtschaftlich nötig ist, unmöglich.
    Der Tiefstand des Aufkommens an Einkommensteuer und Körperschaftsteuer ist in der deutschen Finanzgeschichte einmalig. Im Jahre 1913 bereits betrug der Anteil der vergleichbaren Steuern am Gesamtsteueraufkommen 34 %. Er lag im Jahre 1949 bei 40 % und ist heute auf 27 % abgesunken. Die Entwicklung der letzten Monate beweist eine Steuerpolitik zu Lasten des Verbrauchers und eine überaus große Schonung der Körperschaften, aber auch der Einkommensbezieher, die zur Einkommensteuer veranlagt werden. Hier liegt die Hauptursache der Schwierigkeit für die Herbeiführung des Haushaltsausgleichs. Wir haben rechtzeitig vor dem Mißbrauch gewarnt und sind vom Finanzminister nicht gehört worden. Die Folgen für das Gewerbesteueraufkommen in den Gemeinden sind gar nicht abzusehen. Zahlreiche Gemeinden stoßen bereits Schreckensrufe aus und melden unerhörte Rückgänge.
    Ein Drittel der gesamten Steuereinnahmen beruht heute auf der Genußmittelbesteuerung. Wir finden das bedenklich, da ein möglichst hoher Genußmittelverbrauch doch nicht im moralischen Sinn eines guten Staates liegen sollte. Heute ist es dagegen so, daß sich der Staat wünschen müßte, daß Genußmittel, vom Schnaps angefangen, in möglichst großem Umfang konsumiert werden.


    (Dr. Bertram)

    Die Notwendigkeit einer Sanierung der Soforthilfe bestimmte das Ausmaß der Tarifsenkung in der kleinen Steuerreform, sagte uns gestern der Herr Bundesfinanzminister. Das kann nicht der Fall sein, denn die nicht ertragreichen Gewerbezweige und der Hausbesitz konnten von dieser Tarifsenkung keinen Gebrauch machen. Landwirtschaft und Hausbesitz zahlen Soforthilfe weitgehend aus der Substanz. Aber bei den Großeinkommen in der gewerblichen Wirtschaft wurde eine Begünstigung herbeigeführt, indem die Soforthilfeschulden dadurch bezahlt werden konnten, daß ,der Staat sie ,durch die Ermäßigung der Einkommensteuertarife in den hohen Klassen auf seine Schultern nahm. Eine solche Politik: Soforthilfezahlungen aus den Kassen .des Staates können wir nicht mitmachen und nicht billigen. Wir müssen die Regierung auffordern, hier umzukehren. Hier stellt sich die Gretchenfrage der gesamten Wirtschafts-, Finanz- und Kreditpolitik. Ich kann nicht mehr auf die kreditpolitischen und wirtschaftspolitischen Dinge eingehen, weil meine Redezeit abgelaufen ist. Aber diese Gretchenfrage muß sich die Regierung jetzt, an der entscheidenden Stelle, nach einem Jahre Amtstätigkeit, vorlegen: Soll es mit der ständigen Belastung der Verbraucher so weitergehen oder soll eine gerechte Steuerbelastung der Körperschaften und der veranlagten Einkommensbezieher eintreten und damit die Erfüllung ,der kommenden großen Ausgaben auf einer Basis der Belastung nach ,der Leistungsfähigkeit möglich gemacht werden? Nur wenn dieser Weg beschritten wird, verdient die Politik der Regierung das Wort „sozial"; andernfalls verdient sie dieses Beiwort nicht.

    (Beifall beim Zentrum und links.)



Rede von Dr. Hermann Schäfer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Krone.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich Krone


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Schoettle — ich sehe ihn leider nicht im Saal — hat sehr kluge und sehr sachliche Ausführungen vorgetragen. Ich glaube, man kann seine Rede ein Musterstück einer Oppositionsrede nennen:

    (Sehr richtig! rechts)

    sehr sachlich, sehr klar, aber auch die Verantwortung der Opposition für die Staatspolitik herausarbeitend. Er hat sich nicht zu Schlagworten verleiten lassen und er hat der Politik der Regierung nicht das Prädikat erteilt, das der letzte Redner der Opposition meinte aussprechen zu müssen, der diese Politik einfach eine schlechthin sozial reaktionäre genannt hat.
    Zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Bausch meinte Herr Schoettle, er sei da anderer Ansicht. Nun, im Grunde hat mein Fraktionskollege doch wohl von der sittlichen Verpflichtung gerade des Politikers gesprochen, und ich bin überzeugt davon, daß auch der Kollege Schoettle in diesem Punkt derselben Ansicht ist; denn gerade für unser staatspolitisches Leben könnte man diese Aufforderung auch an manche derjenigen richten, die als Vertreter des Volkes vor uns stehen.
    Der Grundzug der Oppositionsrede war wohl der, daß diese Regierung mit dem Prädikat des Mangels an Vorschau und Mangels an Planung charakterisiert werden müsse und deshalb auch des Mangels an Erfolgen. Ich glaube nicht, daß man ein solches Prädikat diesem Jahr Regierungspolitik zuerteilen kann. Ich will gar nicht im einzelnen davon sprechen, was geschehen ist; aber einige Punkte, die mir wichtig zu sein scheinen, gerade auch von der sozialen Seite her, seien hier ganz kurz erwähnt. Ist nicht die Zahl der Arbeitslosen gesunken und die Zahl der Beschäftigten gestiegen? Und das nicht auf dem Wege, der inflatorischen Charakter hat! Sind nicht diese Arbeitslosen von einer Wirtschaft aufgesogen worden, die von Monat zu Monat an Produktivität zugenommen hat, so daß also ein echtes, auch vom finanzpolitischen Standpunkt aus vertretbares Verschwinden der Arbeitslosen vorliegt? Ist nicht der Wohnungsbau über das geplante Soll hinaus gefördert worden? Auch wir haben hier unsere Vorschläge zu machen. Uns gefällt nicht, daß man zum Teil Wohnungen gebaut hat, wo schon der zweite Säugling zu viel ist.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Wir möchten gerade für das kommende Jahr die Aufforderung aussprechen, daß die Wohnung wirklich zu einem Heim für die Familie wird,

    (erneute Zustimmung in der Mitte)

    daß die Familie weit enger als bisher, wo es nur geht, mit dem Boden verbunden werden möge.

    (Zuruf in der Mitte: Ausgezeichnet!)

    Wir stellen die Forderung auf, daß trotz der zu erwartenden finanziellen Belastungen der soziale Kurs der Regierungspolitik nie und nimmer verlassen werde

    (Zustimmung in der Mitte)

    und daß die Wohnungsbaupolitik hier mit an erster Stelle zu rangieren hat.
    Ich möchte in diesem Zusammenhang auch von dem sprechen, was dieser Bund und diese Regierung für Berlin getan haben. Ich habe hier vor allen Dingen etwas Grundsätzliches zu erwähnen: die Verabschiedung des Kriegsopfergesetzes, in dem nicht nur die Opfer Berlins miteingeschlossen sind, sondern in dem zum ersten Mal das Wort ausgesprochen worden ist, daß dieses Gesetz — beschlossen hier von diesem Bundestag — auch für Berlin gilt, eine Formulierung, gegen die man sich auch in Regierungskreisen aus juristischen Gründen lange gesträubt hat. Politisch gesehen wird also hier Berlin vom Bunde mit erfaßt.
    Wir haben die Hoffnung und sprechen die Erwartung aus, daß auch die kommenden großen. sozialen Gesetze hier so beschlossen werden, daß sie auch die sozial Schwachen in Berlin mit umfassen. Ich denke hier an das Gesetz zum Art. 131 und daran, daß diese heimatvertriebenen Beamten, an die man hier denkt, auch in Berlin mit erfaßt werden und auch jene, die jetzt flüchtend aus der Ostzone nach Berlin kommen. Man kann sie hier bedenken, und man muß sie hier bedenken. Man darf sie dann aber auch .in Berlin nicht ausschließen.

    (Beifall in der Mitte und bei der SPD.)

    Auch zur Außenpolitik ein Wort. Kann man dieses Jahr deutscher Außenpolitik wirklich als leer an Erfolgen hinstellen? Wir sind nicht der Meinung, daß alles erreicht worden ist, aber auch nicht der Meinung, die Herr Kollege Schoettle aussprach, daß doch vieles davon Fassade sei. Wir haben doch einen weit festeren Boden auch in der Stellung zur Umwelt bekommen, wenn auch dank der Verhältnisse im Osten, aber doch auch durch die Politik dieser Regierung.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Hier ist gemeint worden, daß wir unsere deutsche Position nicht klug genug ausgewertet hätten, — man kann diese Methode des Abwartens und Zuschauens auch überspannen und erreicht dann nicht das, was man erreichen will.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



    (Dr. Krone)

    Hier das Maß der Mitte zu finden, scheint mir das Richtige zu sein.
    Herr Kollege Schoettle sprach einen andern Satz aus, und ich mache ihn mir zu eigen. Er meinte, Regierung und Opposition müßten bereit sein, jederzeit ihre Auffassungen zu korrigieren. Ich unterschreibe diesen Satz und kann mir nicht denken, daß auch nur einer unserer Minister ein Doktrinär wäre,

    (Sehr gut! in der Mitte)

    sondern daß er, wenn sich die Dinge ändern, selbstverständlich den Mut dazu hat, manches von dem zu revidieren, was revidiert werden muß.

    (Abg. Mellies: Das müssen Sie Herrn Erhard sagen!)

    — Ich habe es allgemein gesagt, Herr Kollege Mellies. Ich brauche hier nur an das Einkommensteuergesetz zu erinnern, das nach meiner und unserer Auffassung in seinen Tarifen beibehalten werden soll, in dem aber doch manches geändert werden kann, was zu Anfang dieses Jahres eben der Selbstfinanzierung der Wirtschaft dienen sollte,

    (Abg. Dr. Wuermeling: Sehr richtig!)

    ein Weg, der heute doch in manchen Punkten abgestoppt werden kann.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Ich möchte ein drittes Wort aus der Rede des Herrn Kollegen Schoettle aufgreifen. Er sprach von einer planmäßigen Restauration. Das scheint mir allerdings ein sehr scharfes Wort zu sein. Hier müßte doch für das, was er gesagt hat, noch der Beweis angetreten werden.

    (Zuruf von der SPD: Das ist schnell zu beweisen!)

    Wenn er der Auffassung Ausdruck gab, daß dieser neue Staat nicht von Leuten von vorgestern aufgebaut werden sollte, so können wir ihm in dieser Hinsicht nur zustimmen.

    (Abg. Lücke: Sehr gut!)

    Wir sind der Meinung, daß die Demokratie, dieser neue Staat, nicht von Auch-Demokraten und auch nicht von Jetzt-Wieder-Demokraten aufgebaut werden kann,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    sondern von Männern und Frauen, die wirklich mit ganzem Herzen dieser Regierungsform zugetan sind.

    (Abg. Frau Schroeder [Berlin] : Sehr richtig!)

    Ich glaube, daß diese Regierung, daß insbesondere der Herr Bundeskanzler gerade in den letzten 14 Tagen in einem besonderen Fall dargetan hat, daß er dafür Sorge tragen will, daß die Politik in diesem Staate von der vom Parlament getragenen Regierung gemacht werden müsse und daß kein Berater, wenn er genommen worden ist, das Recht hat, seine beratenden Kompetenzen zu überschreiten.
    Von Interessenten in der Wirtschaft ist gesprochen worden. Auch dazu ein offenes Wort! Meine Damen und Herren, ich bin mir darüber im klaren, daß die Wirtschaft heute eine Chance des Gewinnes hat, daß sie aber auch noch eine andere Chance hat, nämlich die, zu beweisen, daß verantwortliche Unternehmerwirtschaft die beste Wirtschaftsform ist. Wenn sie diese Chance verspielt, dann könnte ihr vielleicht das Grab gegraben sein. Es kommt alles darauf an, daß unsere Wirtschaft diese Chance, die ihr gegeben worden ist, erkennt. Versagt sie hier, würde sie eines guten Tages doch die Konsequenzen daraus ziehen müssen. Gerade auch wir, die wir hinter der Politik der Regierung stehen, weisen auf diese Verantwortung unserer Wirtschaft mit aller Deutlichkeit gerade heute hin. Wir halten daran fest, daß die soziale Politik dieser Regierung fortgeführt werden muß, daß dazu aber eine früchtetragende Wirtschaftspolitik gehört, daß beides zusammengehört und nicht voneinander getrennt werden kann. Zur Wirtschaft gehört aber auch — das wollen meine Freunde hier gewahrt sehen — die Landwirtschaft, unser Bauernstand, mag er Getreide produzieren oder andere Erzeugnisse oder auch hier im Weinbau tätig sein. Auch diesen Stand in unsere Gesamtwirtschaft einzubauen, gerade heute, in einer Zeit, in der die Ernährungsbasis unseres Volkes so beschränkt ist, ist für uns und für meine Freunde eine wichtige Aufgabe konstruktiver deutscher Wirtschaftspolitik. — Ich muß zum Schluß kommen, weil meine Redezeit abgelaufen ist.
    Als vor ein paar Wochen die Zone drüben zur Wahl aufgerufen worden ist — die ja keine Wahl war —, sind die 18 Millionen Menschen drüben — sie konnten nicht anders — schweigend und verbissen in das Wahllokal gegangen und haben dort offen ihren Zettel abgegeben. In denselben Tagen, etwas später, läutete zum ersten Mal die Freiheitsglocke in Berlin, und vor dem Rathaus in Schöneberg waren mehr als 400 000 Menschen versammelt, unter ihnen Tausende und aber Tausende aus der Ostzone. Beim Klang der Glocke haben diese 500 000 Menschen den Hut gezogen, weil das, was diese Glocke ihnen sagen sollte und sagen will, für sie ein großes nationales Anliegen ist, nämlich frei zu sein und als freie Deutsche in Berlin zu leben. Die Haltung dieser Stadt, meine Damen und Herren, ist um so bewundernswerter, als in ihr 300 000 Menschen erwerbslos sind. Ich glaube, diese Haltung sollte Vorbild für die Lösung all der Fragen sein, die wir vom Deutschen Bundestag in diesem Staat zu lösen haben. Wir sollten uns durch keine Schwierigkeit in der Erkenntnis beirren lassen, daß die Einheit und Freiheit unseres Volkes doch das letzte und höchste Ziel ist, dem wir hier und unser Volk drüben zu dienen haben. Ich möchte mit dem Wunsch schließen, daß die gesamte Politik dieser Regierung von diesem gesamtdeutschen Verantwortungsbewußtsein wie bisher getragen sein möge.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)