Rede von
Dr.
Heinrich
Krone
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Schoettle — ich sehe ihn leider nicht im Saal — hat sehr kluge und sehr sachliche Ausführungen vorgetragen. Ich glaube, man kann seine Rede ein Musterstück einer Oppositionsrede nennen:
sehr sachlich, sehr klar, aber auch die Verantwortung der Opposition für die Staatspolitik herausarbeitend. Er hat sich nicht zu Schlagworten verleiten lassen und er hat der Politik der Regierung nicht das Prädikat erteilt, das der letzte Redner der Opposition meinte aussprechen zu müssen, der diese Politik einfach eine schlechthin sozial reaktionäre genannt hat.
Zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Bausch meinte Herr Schoettle, er sei da anderer Ansicht. Nun, im Grunde hat mein Fraktionskollege doch wohl von der sittlichen Verpflichtung gerade des Politikers gesprochen, und ich bin überzeugt davon, daß auch der Kollege Schoettle in diesem Punkt derselben Ansicht ist; denn gerade für unser staatspolitisches Leben könnte man diese Aufforderung auch an manche derjenigen richten, die als Vertreter des Volkes vor uns stehen.
Der Grundzug der Oppositionsrede war wohl der, daß diese Regierung mit dem Prädikat des Mangels an Vorschau und Mangels an Planung charakterisiert werden müsse und deshalb auch des Mangels an Erfolgen. Ich glaube nicht, daß man ein solches Prädikat diesem Jahr Regierungspolitik zuerteilen kann. Ich will gar nicht im einzelnen davon sprechen, was geschehen ist; aber einige Punkte, die mir wichtig zu sein scheinen, gerade auch von der sozialen Seite her, seien hier ganz kurz erwähnt. Ist nicht die Zahl der Arbeitslosen gesunken und die Zahl der Beschäftigten gestiegen? Und das nicht auf dem Wege, der inflatorischen Charakter hat! Sind nicht diese Arbeitslosen von einer Wirtschaft aufgesogen worden, die von Monat zu Monat an Produktivität zugenommen hat, so daß also ein echtes, auch vom finanzpolitischen Standpunkt aus vertretbares Verschwinden der Arbeitslosen vorliegt? Ist nicht der Wohnungsbau über das geplante Soll hinaus gefördert worden? Auch wir haben hier unsere Vorschläge zu machen. Uns gefällt nicht, daß man zum Teil Wohnungen gebaut hat, wo schon der zweite Säugling zu viel ist.
Wir möchten gerade für das kommende Jahr die Aufforderung aussprechen, daß die Wohnung wirklich zu einem Heim für die Familie wird,
daß die Familie weit enger als bisher, wo es nur geht, mit dem Boden verbunden werden möge.
Wir stellen die Forderung auf, daß trotz der zu erwartenden finanziellen Belastungen der soziale Kurs der Regierungspolitik nie und nimmer verlassen werde
und daß die Wohnungsbaupolitik hier mit an erster Stelle zu rangieren hat.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch von dem sprechen, was dieser Bund und diese Regierung für Berlin getan haben. Ich habe hier vor allen Dingen etwas Grundsätzliches zu erwähnen: die Verabschiedung des Kriegsopfergesetzes, in dem nicht nur die Opfer Berlins miteingeschlossen sind, sondern in dem zum ersten Mal das Wort ausgesprochen worden ist, daß dieses Gesetz — beschlossen hier von diesem Bundestag — auch für Berlin gilt, eine Formulierung, gegen die man sich auch in Regierungskreisen aus juristischen Gründen lange gesträubt hat. Politisch gesehen wird also hier Berlin vom Bunde mit erfaßt.
Wir haben die Hoffnung und sprechen die Erwartung aus, daß auch die kommenden großen. sozialen Gesetze hier so beschlossen werden, daß sie auch die sozial Schwachen in Berlin mit umfassen. Ich denke hier an das Gesetz zum Art. 131 und daran, daß diese heimatvertriebenen Beamten, an die man hier denkt, auch in Berlin mit erfaßt werden und auch jene, die jetzt flüchtend aus der Ostzone nach Berlin kommen. Man kann sie hier bedenken, und man muß sie hier bedenken. Man darf sie dann aber auch .in Berlin nicht ausschließen.
Auch zur Außenpolitik ein Wort. Kann man dieses Jahr deutscher Außenpolitik wirklich als leer an Erfolgen hinstellen? Wir sind nicht der Meinung, daß alles erreicht worden ist, aber auch nicht der Meinung, die Herr Kollege Schoettle aussprach, daß doch vieles davon Fassade sei. Wir haben doch einen weit festeren Boden auch in der Stellung zur Umwelt bekommen, wenn auch dank der Verhältnisse im Osten, aber doch auch durch die Politik dieser Regierung.
Hier ist gemeint worden, daß wir unsere deutsche Position nicht klug genug ausgewertet hätten, — man kann diese Methode des Abwartens und Zuschauens auch überspannen und erreicht dann nicht das, was man erreichen will.
Hier das Maß der Mitte zu finden, scheint mir das Richtige zu sein.
Herr Kollege Schoettle sprach einen andern Satz aus, und ich mache ihn mir zu eigen. Er meinte, Regierung und Opposition müßten bereit sein, jederzeit ihre Auffassungen zu korrigieren. Ich unterschreibe diesen Satz und kann mir nicht denken, daß auch nur einer unserer Minister ein Doktrinär wäre,
sondern daß er, wenn sich die Dinge ändern, selbstverständlich den Mut dazu hat, manches von dem zu revidieren, was revidiert werden muß.
— Ich habe es allgemein gesagt, Herr Kollege Mellies. Ich brauche hier nur an das Einkommensteuergesetz zu erinnern, das nach meiner und unserer Auffassung in seinen Tarifen beibehalten werden soll, in dem aber doch manches geändert werden kann, was zu Anfang dieses Jahres eben der Selbstfinanzierung der Wirtschaft dienen sollte,
ein Weg, der heute doch in manchen Punkten abgestoppt werden kann.
Ich möchte ein drittes Wort aus der Rede des Herrn Kollegen Schoettle aufgreifen. Er sprach von einer planmäßigen Restauration. Das scheint mir allerdings ein sehr scharfes Wort zu sein. Hier müßte doch für das, was er gesagt hat, noch der Beweis angetreten werden.
Wenn er der Auffassung Ausdruck gab, daß dieser neue Staat nicht von Leuten von vorgestern aufgebaut werden sollte, so können wir ihm in dieser Hinsicht nur zustimmen.
Wir sind der Meinung, daß die Demokratie, dieser neue Staat, nicht von Auch-Demokraten und auch nicht von Jetzt-Wieder-Demokraten aufgebaut werden kann,
sondern von Männern und Frauen, die wirklich mit ganzem Herzen dieser Regierungsform zugetan sind.
Ich glaube, daß diese Regierung, daß insbesondere der Herr Bundeskanzler gerade in den letzten 14 Tagen in einem besonderen Fall dargetan hat, daß er dafür Sorge tragen will, daß die Politik in diesem Staate von der vom Parlament getragenen Regierung gemacht werden müsse und daß kein Berater, wenn er genommen worden ist, das Recht hat, seine beratenden Kompetenzen zu überschreiten.
Von Interessenten in der Wirtschaft ist gesprochen worden. Auch dazu ein offenes Wort! Meine Damen und Herren, ich bin mir darüber im klaren, daß die Wirtschaft heute eine Chance des Gewinnes hat, daß sie aber auch noch eine andere Chance hat, nämlich die, zu beweisen, daß verantwortliche Unternehmerwirtschaft die beste Wirtschaftsform ist. Wenn sie diese Chance verspielt, dann könnte ihr vielleicht das Grab gegraben sein. Es kommt alles darauf an, daß unsere Wirtschaft diese Chance, die ihr gegeben worden ist, erkennt. Versagt sie hier, würde sie eines guten Tages doch die Konsequenzen daraus ziehen müssen. Gerade auch wir, die wir hinter der Politik der Regierung stehen, weisen auf diese Verantwortung unserer Wirtschaft mit aller Deutlichkeit gerade heute hin. Wir halten daran fest, daß die soziale Politik dieser Regierung fortgeführt werden muß, daß dazu aber eine früchtetragende Wirtschaftspolitik gehört, daß beides zusammengehört und nicht voneinander getrennt werden kann. Zur Wirtschaft gehört aber auch — das wollen meine Freunde hier gewahrt sehen — die Landwirtschaft, unser Bauernstand, mag er Getreide produzieren oder andere Erzeugnisse oder auch hier im Weinbau tätig sein. Auch diesen Stand in unsere Gesamtwirtschaft einzubauen, gerade heute, in einer Zeit, in der die Ernährungsbasis unseres Volkes so beschränkt ist, ist für uns und für meine Freunde eine wichtige Aufgabe konstruktiver deutscher Wirtschaftspolitik. — Ich muß zum Schluß kommen, weil meine Redezeit abgelaufen ist.
Als vor ein paar Wochen die Zone drüben zur Wahl aufgerufen worden ist — die ja keine Wahl war —, sind die 18 Millionen Menschen drüben — sie konnten nicht anders — schweigend und verbissen in das Wahllokal gegangen und haben dort offen ihren Zettel abgegeben. In denselben Tagen, etwas später, läutete zum ersten Mal die Freiheitsglocke in Berlin, und vor dem Rathaus in Schöneberg waren mehr als 400 000 Menschen versammelt, unter ihnen Tausende und aber Tausende aus der Ostzone. Beim Klang der Glocke haben diese 500 000 Menschen den Hut gezogen, weil das, was diese Glocke ihnen sagen sollte und sagen will, für sie ein großes nationales Anliegen ist, nämlich frei zu sein und als freie Deutsche in Berlin zu leben. Die Haltung dieser Stadt, meine Damen und Herren, ist um so bewundernswerter, als in ihr 300 000 Menschen erwerbslos sind. Ich glaube, diese Haltung sollte Vorbild für die Lösung all der Fragen sein, die wir vom Deutschen Bundestag in diesem Staat zu lösen haben. Wir sollten uns durch keine Schwierigkeit in der Erkenntnis beirren lassen, daß die Einheit und Freiheit unseres Volkes doch das letzte und höchste Ziel ist, dem wir hier und unser Volk drüben zu dienen haben. Ich möchte mit dem Wunsch schließen, daß die gesamte Politik dieser Regierung von diesem gesamtdeutschen Verantwortungsbewußtsein wie bisher getragen sein möge.