Rede von
Paul
Bausch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Würde er etwa versuchen, durch gewagte und undurchsichtige Finanztransaktionen Deckung zu schaffen, so könnte im Handumdrehen eine neue Inflation heraufbeschworen werden. Daß ein solcher Vorgang etwas Schlimmes und in unserer Geschichte sozial Gefährliches für ein Volk ist, haben wir zweimal erlebt. Wenn der Bundesfinanzminister unser besonderes Vertrauen genießt, so gerade deshalb, weil wir wissen, daß er sich niemals dazu hergeben wird, eine inflationistische Finanzwirtschaft zu betreiben.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, nur noch auf einige ganz wenige wichtige Tatsachen, die aus dem Haushaltsplan hervorgehen, hinweisen. Wie Sie sicher schon selbst festgestellt haben werden, wird der Hauptposten der Ausgaben, nämlich 40,3 °/o der sämtlichen Ausgaben des Bundes, für Soziallasten in Anspruch genommen. Wenn man bedenkt, daß darin die auf den Besitz zu legenden Abgaben für den kommenden Lastenausgleich — hier unten sitzt der Herr Kollege Kunze, der sich darum insbesondere abgemüht hat — noch nicht inbegriffen sind — und wir wissen, daß diese Abgaben sehr hohe, in die Hunderte von Millionen gehende Summen erfordern werden —, dann kann man sich erst eine Vorstellung davon machen, welch ungeheure Leistungen die Bundesrepublik in der Fürsorge für die Notleidenden aller Art und für solche vollbringt, die auf der Schattenseite des Lebens wohnen. Man sollte angesichts dieser fundamentalen Tatsache, meine ich, endlich einmal damit aufhören, der Bundesregierung den Vorwurf zu machen, sie habe nichts für soziale Zwecke übrig, ein Vorwurf, der ja landauf, landab überall gemacht wird. Ich bin der Auffassung, daß ein solcher Vorwurf an der gegebenen Wirklichkeit völlig vorbeigeht.
Der nach den Sozialausgaben nächstgrößte Posten wird für die Besatzungs- und Besatzungsfolgekosten mit 36 % der Reinausgaben benötigt. Mit diesen beiden Hauptposten ist aber nun bereits über 76,3 % der Gesamteinnahmen des Bundes verfügt. — Der verbleibende Rest wird ebenfalls zum allergrößten Teil durch Ausgaben in Anspruch genommen, die weithin ebenso zwangsläufig und von der Bundesregierung nur in beschränktem Maße beeinflußbar sind. Für Verwaltungskosten verbleiben insgesamt 542,9 Millionen gleich 4,2% der Reinausgaben.
Nun muß ich aber auf eine Tatsache hinweisen, die mir wichtig zu sein scheint. Es muß darauf hingewiesen werden, daß in dieser Summe von 542,9 Millionen für Verwaltungskosten auch folgende Kosten inbegriffen sind: erstens die Verwaltungskostenerstattung an die Länder für die Einziehung der Umsatz- und anderer Steuern mit rund 100 Millionen, zweitens die Kosten für die Binnenwasserstraßen und die Seewasserstraßen mit rund 95 Millionen und drittens die Kosten des gesamten Aufwands für die Steuer- und Zollverwaltung mit rund 200 Millionen.
Zieht man nun diese Kosten, die man ja wohl kaum als Verwaltungskosten im engeren Sinne ansprechen kann, von der Gesamtsumme der Verwaltungskosten ab, so verbleiben an persönlichen und sachlichen Kosten für die sämtlichen Bundesministerien und für die beiden Bundesparlamente, den Bundestag und den Bundesrat, noch alles in allem 143,9 Millionen gleich 1,2 % der Reineinnahmen des Bundes.
Ich glaube nicht, daß es noch ein anderes Land in Europa gibt, dessen Zentralverwaltung verhältnismäßig so billig ist wie diejenige der Bundesrepublik.
Kein ernst zu nehmender Mensch wird angesichts dieser Zahlen behaupten können, daß etwa durch eine Verwaltungsvereinfachung oder Verwaltungsreform noch nennenswerte Erübrigungen für andere Zwecke des Bundes würden gemacht werden können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit möchte ich aber meine vorläufigen Bemerkungen zum Haushaltsplan abschließen. Einem alten, guten Brauch der Parlamente folgend, soll heute eine politische Generalaussprache durchgeführt werden. Einer meiner Freunde wird nachher zu einigen wichtigen politischen Problemen Stellung nehmen. Ich möchte mich heute nur mit einer einzigen Frage beschäftigen, einer Frage, die mir von allen Fragen, die aus Anlaß einer politischen Generalaussprache zu stellen sind, die allerwichtigste und brennendste Frage zu sein scheint.
Meine Damen und Herren! Jeder von Ihnen wird bei der außenpolitischen Aussprache, die am Mittwoch geführt wurde, den Eindruck bekommen haben, daß wir in einer sehr ernsten Zeit leben. Vielleicht — vielleicht!, wer vermag darüber Sicheres zu sagen — leben wir nur in einer Atempause der Weltgeschichte. Das Schiff unserer neugegründeten Bundesrepublik fährt auf hoher See. Diese See ist stürmisch bewegt. Das wird man wohl sagen dürfen. Schiffe, die auf hoher See sind, pflegen von Zeit zu Zeit eine Standortbestimmung vorzunehmen. Es scheint mir also Anlaß gegeben zu sein, zu fragen: Wo stehen wir? Wo stehen wir mit unserer Bundesrepublik? Wo stehen wir mit unserem neugegründeten Staat? Wohin geht die Reise? Sind wir mit unserer Demokratie auf dem rechten Weg?
Meine Damen und Herren! Wir alle sind in diesem Hause sehr beschäftigt. Es wird in diesem Hause viel gearbeitet. Der Außenstehende kann sich wohl kaum ein Bild davon machen, wieviel in diesem Hause gearbeitet wird. Wir leiden alle unter einer Hetze, die oftmals — jedenfalls geht es mir so — kaum zu ertragen ist. Aber gerade deshalb ist die Frage, ob wir mit unserer Demokratie auf dem richtigen Wege sind, ob wir das rechte Leitbild von der Demokratie haben, von größter Wichtigkeit. Sind wir nämlich auf dem falschen Wege, so mögen wir noch so schnell gehen, aber nichts wird uns davor bewahren, eines Tages wieder umkehren zu müssen. Und deshalb mag die Generalaussprache, 'die wir heute führen, Anlaß geben zu einer Stunde der Besinnung, einer ernsten Besinnung über den Standort, den wir innehaben, und den Weg, den wir verfolgen.
Es gibt heute viele Untergangspropheten. Sie machen sich anheischig, den Untergang Europas mit Sicherheit voraussagen zu können. Unzweifelhaft schenken ihnen viele Leute Glauben. Aber offenkundig — offenkundig! — sind diese Propheten dieselben Narren wie diejenigen, die einst den tausendjährigen Bestand des Hitlerreiches vorausgesagt haben.
Es gibt jedoch andere Vorgänge, die zum Nachdenken mahnen. — Sie sind Signale, die nicht überfahren werden dürfen.
Ich denke in diesen Tagen oftmals an die bitteren Zeiten zwischen 1930 und 1933 zurück. Der falsche Prophet stand vor den Toren. Die Willensträger der Weimarer Demokratie aber lagen ebenso im Streit miteinander wie die übrigen Völker Europas unter sich. Der Zwiespalt im nationalen und internationalen Leben war das besondere Merkmal jener verhängnisvollen Zeit. Eine Einigung kam nicht zustande, bis Hitler seine Herrschaft aufrichtete. Haben nicht die Zustände von heute eine geradezu verzweifelte Ähnlichkeit mit denjenigen der damaligen Zeit?
In Stuttgart wurde eine öffentliche Versammlung mit einer Rede des Bundeskanzlers durch Stör- und Sprengtrupps radikalisierter Elemente terrorisiert. Als ich die Nachricht davon las, mußte ich mich fragen: Sind wir nun wirklich wieder so weit, daß so etwas möglich ist?
Die Zahl der Mitglieder der Parteien ist — wir wollen uns das offen eingestehen, und ich glaube, daß man das von allen Parteien sagen kann — im Verhältnis zur Zahl der Wähler doch beschämend gering. Wieviele Leute gibt es denn, die sich für diesen neugegründeten Staat mit wirklicher Hingabe und Opferbereitschaft einsetzen? Wieviele haben wenigstens einen politischen Standort gewählt? Wieviele sind denn dankbar für die Freiheiten, die die Bürger unseres Landes genießen? Ich habe mir erzählen lassen, daß unlängst ein junger Student aus der Ostzone nach Tübingen, an die Universität meines Landes, kam. Die erste Frage, die er an seine Freunde stellte, war die: Haben Sie nicht eine Verfassung der Bundesrepublik? — Und er ließ sich durch nichts davon abhalten, hinzusitzen und sofort die ganze Verfassung durchzustudieren.
Nachdem er das gemacht hatte, rief er aus: Was sind Sie in der Bundesrepublik für glückliche Leute im Gegensatz zu uns, die wir Sklaven und Knechte sind.
Aber ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wieviele Leute bei uns in der Bundesrepublik haben die Verfassung auch nur gelesen?
Wieviele sind denn dankbar für das, was in unserer Verfassung steht?
Steht nicht der große Teil der Jugend abseits vom Staat und beantwortet jede Aufforderung mitzuarbeiten mit dem Rufe: Ohne mich! Das sind ernste Tatsachen, es sind Signale, die nicht überfahren werden dürfen.
Dieser Tage bekam ich einen Zeitungsartikel in die Hand. Er war in einem sehr ernst zu nehmenden Blatte abgedruckt. Ich habe es hier. In dem Blatte wurde etwa folgendes ausgeführt. Ich bitte den Herrn Präsidenten, mir die Erlaubnis zu geben, das hier vortragen zu dürfen. Ich vermute, daß Sie, Herr Präsident, diesen Artikel auch gelesen haben:
Der politische Mechanismus der heutigen Massendemokratie in Westdeutschland besitzt nur funktionale Bedeutung. Seiner vielen Relativa wegen aber fehlt ihm notwendig die lebendige Beteiligung des Volkswillens. Er stellt ein Gebilde der Vernunft dar, und soweit der einzelne Deutsche sich zur politischen Vernunft bekennt, wird er diese politische Ordnung bejahen und sich vernünftig,
— das heißt also: mit dem Kopf —
mit dem Kopf und mit der ratio, an ihr beteiligen. Mehr — —
Das ist in der Tat der Zustand: Freiheit ohne Bindung, Freiheit ohne Verantwortung! Man schimpft auf alles, was passiert. Man kritisiert den Staat in Grund und Boden hinein. Aber man übernimmt nicht eine Spur von Verantwortlichkeit für das Ganze, für den Staat und für die neu zu schaffende Gemeinschaftsordnung.
— Verehrter Herr Kollege, wollen wir uns nicht einmal die Frage vorlegen, ob dies die richtige Haltung ist, wenn wir uns über solche ernste Dinge auseinandersetzen?
„Das sind Ihre Kreise!"? Haben Sie so gesagt? Habe ich Sie richtig verstanden?
Darf ich Sie auf eines hinweisen: Eine solche Haltung ist ein in unserem Volksleben ganz elementarer Vorgang, er kehrt in vielen Auseinandersetzungen wieder, die heute in unserem Volk geführt werden, und ist geradezu typisch für sie: „Du bist schuld!" Immer der andere ist schuld! Nie ist man es selber! Bedenken Sie doch eins!
„Du bist schuld!" Was passiert denn, wenn ich diese Bewegung mache? Sehen Sie her! Wenn ich dort den Finger hinüberstrecke, nämlich auf den anderen, dann vergesse ich zumeist, daß drei Finger meiner Hand auf die eigene Brust gerichtet sind. Das sollten wir nicht übersehen. Nicht immer ist es der andere. Manchmal sind wir es auch selbst!
Die Schicksalsfrage für uns alle ist daher nach meiner Überzeugung diese: Wie können wir eine Demokratie und eine Gesellschaftsordnung schaffen, der die Liebe, die Hingabe und das ganze Herz ihrer Bürger gehört? Wo ist eine geistige Grundlage, eine Ideologie für diese Demokratie, die der Weltlage von 1950 gerecht wird? Oder, um Formulierungen zu gebrauchen, die vielleicht noch verständlicher sind: Wo ist die Kraft, die unseren nationalen Blutkreislauf mit lebendigem Leben erfüllt, die Energie- und Schutzstoffe bildet, die die Giftstoffe der Dekadenz und Entzweiung genau so ausscheidet, wie ein gesunder Körper die Krankheitsstoffe ausscheidet? Welches sind die großen geistigen Kräfte und Ideen, die unserem Volksleben einen inneren Halt geben und die für den Staatsaufbau richtungweisend sind?
Lassen Sie mich mit diesen bedeutsamen Fragen fortfahren: Wie kommen wir zu einer Gemeinschaftsordnung, die eine magnetische Kraft, eine Leuchtkraft ausstrahlt und unseren Brüdern und Schwestern im Osten und in Berlin, die so schwer leiden, eine Hoffnung und eine Ermutigung gibt? Wie kommen wir zu einer neuen Art gemeinschaftlichen Lebens in Stadt und Land, die Zwiespalt in Einheit verwandelt und die auch den kleinsten Mann im Staat — und darauf scheint es mir anzukommen —, die auch den kleinsten und niedrigsten Mann im Staat mit dem Bewußtsein erfüllt, durch eine eigene Leistung und einen eigenen Beitrag den Lauf der Geschichte zu verändern und an der Schaffung einer neuen Welt verantwortlich mittätig zu sein?
Wenn wir nicht unser Ziel so hoch setzen und unser Denken so weit spannen, wird alles, was wir hier in unserer deutschen Bundesrepublik tun und unternehmen, früher oder später zum Scheitern verurteilt sein. Das gleiche gilt, wenn wir dieser Frage einfach ausweichen, wie das der heutige Mensch so gerne tut.
Ich bin mir des großen Wagnisses, das ich eingehe, wenn ich eine Antwort auf diese Schicksalsfrage suche, voll und ganz bewußt. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, meine Damen und Herren, wenn Sie mir auf diesem Wege folgen oder zumindest über meine Gedanken und Vorstellungen ernsthaft nachdenken würden.
Es mag nun zur Förderung unserer weiteren Untersuchungen gut und nützlich sein, einen Rückblick auf die Zeit zu werfen, von der wir herkommen. Ich weiß, meine Damen und Herren, daß die Dinge, die ich jetzt ausspreche, sonst nicht in diesem Hause ausgesprochen zu werden pflegen. Ich glaube aber, daß es von unerhörter Wichtigkeit ist, daß wir uns auch einmal mit solchen Fragen befassen, die sonst nicht Gegenstand unserer Erörterungen sind.
Ich habe von der Notwendigkeit einer Besinnungspause gesprochen. Wir brauchen diese Besinnungspause! Welches war die Triebkraft des jetzt verflossenen Zeitalters? Ein Mann namens Rudolf Binding — vielleicht haben Sie den Namen schon gehört —, ein Dichter, der in der nationalsozialistischen Zeit eine gewisse Rolle spielte, hat dies verführerisch und scheinbar so überzeugend seinerzeit wie folgt formuliert:
Ganz ehrlich und ohne Hintergedanken und völlig aus sich selber heraus, so recht eigentlich ohne Gottes Hilfe Mensch zu sein, das ist das große Wagnis und die eigentliche Sehnsucht unserer Zeit.
Also ohne Gottes Hilfe so ganz aus sich selber heraus Mensch zu sein, das war das große Wagnis und die eigentliche größte Sehnsucht unserer Zeit. Es war das große Unternehmen der menschlichen Autonomie, der menschlichen Selbstherrlichkeit, das hier unternommen wurde.
Und wie grauenhaft hat das, was so enthusiastisch, in so strahlender Hoffnung, im ganzen Schwung der Freiheit, so ohne jede Bezogenheit auf das Ganze des Seins, so ganz ohne Gott begonnen wurde, — wie grauenhaft hat dieses größte Unternehmen der menschlichen Autonomie geendet! Der Mythos des Übermenschen, die ganze Bestialität des Hitlerreiches und der entsetzliche Zusammenbruch haben einen Schlußstrich unter dieses Unternehmen der menschlichen Selbstherrlichkeit gemacht. Diese ganze Entwicklung aber hätte dann für uns alle einen tiefen Sinn, wenn die Verzweiflung über diese Entwicklung nicht in der nihilistischen Leere auslaufen, sondern zu einer wirklichen Verwandlung des Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts führen würde.
Von der menschlichen Autonomie, von der menschlichen Selbstherrlichkeit zur Rückverbundenheit mit dem Schöpfer, das ist nach meiner Überzeugung das große Anliegen unserer Zeit. In der Verzweiflung unserer Untergangssituation liegt die ganz große Hoffnung und die ganz große Chance für die Zukunft.
Meine Damen und Herren! Wenn heute irgendwo bei uns in Deutschland einige hundert führende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens versammelt wären und es würde einer von diesen Männern oder Frauen den Mut finden, zu sagen: „Ge-
stehen wir es uns doch ein, wir sind eigentlich am Ende mit unserer Weisheit! Wir finden den Weg nicht. Wir bedürfen einer übernatürlichen Kraft und einer höheren Weisheit, um den Weg durch die Wirrsale unserer Zeit finden zu können", — glauben Sie, daß er dann sehr viel Widerspruch finden würde? Wir müssen dem Wahn der menschlichen Autonomie absagen und versuchen, unseren ganzen Alltag einer höheren Führung zu unterstellen.
Ein großer Demokrat hat einmal das Wort ausgesprochen — ich weiß, ,daß es mißverständlich ist, aber ich ich will es trotzdem aussprechen —: „Die Menschen müssen sich von Gott regieren lassen, oder sie werden von Tyrannen regiert!"
Es sind ganz einfache, elementare, für jeden verständliche Grundwahrheiten, um die es sich hier handelt. Wir brauchen absolut gültige, sittliche und moralische Maßstäbe, um uns heute in dieser Welt zurechtzufinden.