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    Deutscher Bundestag — 100. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1950 3639 100. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. November 1950. Gedenkworte des Präsidenten aus Anlaß der 100. Sitzung des Deutschen Bundestages 3639B Geschäftliche Mitteilungen . . . . 3639C, 3688D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1950 (Nr. 1500 der Drucksachen) 3639C Bausch (CDU) 3639D Schoettle (SPD) 3646C Dr. Wellhausen (FDP) 3659B Dr. Bertram (Z) 3665B Dr. Krone (CDU) 3669B Dr. Blank (Oberhausen) (FDP) . . 3670D Dr. Seelos (BP) 3672C Dr. Mühlenfeld (DP) 3675A Dr. Leuchtgens (DRP) 3678D Paul (Düsseldorf) (KPD) 3681A Brandt (SPD) 3684B Dr. Richter (Niedersachsen) (parteilos) 3685C Wittmann (WAV) 3687B Nächste Sitzung 3688D Die Sitzung wird um 9 Uhr 1 Minute durch den Präsidenten Dr. Ehlers unter lebhaftem Beifall auf allen Seiten des Hauses eröffnet.
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    Rede von Paul Bausch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    — die Grundsätze seiner Finanzpolitik dargelegt und hat zudem eine Fülle von erläuternden Zahlen und sonstigen Angaben zum Haushaltsplan bekanntgegeben, die in den kommenden Wochen und Monaten wertvolle Anhaltspunkte dafür geben werden, den Haushaltsplan und die Finanzpolitik der Regierung im Haushaltsausschuß sowie in den kommenden Lesungen des Etats hier im Plenum des Bundestags nach jeder Richtung hin zu überprüfen, zu durchleuchten und zu würdigen. Ich möchte mich deshalb jetzt auf nur einige wenige Bemerkungen zum Haushaltsplan beschränken.
    Wir begrüßen es, daß der Herr Bundesfinanzminister sich mit so großer Entschlossenheit für einen klaren und eindeutigen Ausgleich des Hausplans eingesetzt hat. Er hat in diesem Bestreben ben unsere uneingeschränkte Zustimmung. Der Finanzminister hat die Absicht, die durch Beschlüsse des Bundestags entstandenen Mehraufwendungen durch neue Steuern zu decken. Er ist wegen dieser Absicht sehr scharf angegriffen worden. Ich möchte zu den Steuerplänen im einzelnen jetzt nicht Stellung nehmen. Ich lege aber Wert darauf, folgendes festzustellen: Wir können dem Finanzminister keinesfalls einen Vorwurf daraus machen, daß er sich bemüht, für den Ausgleich des Haushalts zu sorgen. Würde er das nicht tun, dann würde er auf unsere Kritik stoßen. Wenn der Bundestag Ausgaben beschließt, bleibt dem Finanzminister nur übrig, sich entweder des Art. 113 des Grundgesetzes zu bedienen oder aber für neue Einnahmen zu sorgen.

    (Unruhe.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, ich bitte, Ihre Aufmerksamkeit für den Redner etwas zu verstärken.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Paul Bausch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Würde er etwa versuchen, durch gewagte und undurchsichtige Finanztransaktionen Deckung zu schaffen, so könnte im Handumdrehen eine neue Inflation heraufbeschworen werden. Daß ein solcher Vorgang etwas Schlimmes und in unserer Geschichte sozial Gefährliches für ein Volk ist, haben wir zweimal erlebt. Wenn der Bundesfinanzminister unser besonderes Vertrauen genießt, so gerade deshalb, weil wir wissen, daß er sich niemals dazu hergeben wird, eine inflationistische Finanzwirtschaft zu betreiben.
    Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, nur noch auf einige ganz wenige wichtige Tatsachen, die aus dem Haushaltsplan hervorgehen, hinweisen. Wie Sie sicher schon selbst festgestellt haben werden, wird der Hauptposten der Ausgaben, nämlich 40,3 °/o der sämtlichen Ausgaben des Bundes, für Soziallasten in Anspruch genommen. Wenn man bedenkt, daß darin die auf den Besitz zu legenden Abgaben für den kommenden Lastenausgleich — hier unten sitzt der Herr Kollege Kunze, der sich darum insbesondere abgemüht hat — noch nicht inbegriffen sind — und wir wissen, daß diese Abgaben sehr hohe, in die Hunderte von Millionen gehende Summen erfordern werden —, dann kann man sich erst eine Vorstellung davon machen, welch ungeheure Leistungen die Bundesrepublik in der Fürsorge für die Notleidenden aller Art und für solche vollbringt, die auf der Schattenseite des Lebens wohnen. Man sollte angesichts dieser fundamentalen Tatsache, meine ich, endlich einmal damit aufhören, der Bundesregierung den Vorwurf zu machen, sie habe nichts für soziale Zwecke übrig, ein Vorwurf, der ja landauf, landab überall gemacht wird. Ich bin der Auffassung, daß ein solcher Vorwurf an der gegebenen Wirklichkeit völlig vorbeigeht.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Der nach den Sozialausgaben nächstgrößte Posten wird für die Besatzungs- und Besatzungsfolgekosten mit 36 % der Reinausgaben benötigt. Mit diesen beiden Hauptposten ist aber nun bereits über 76,3 % der Gesamteinnahmen des Bundes verfügt. — Der verbleibende Rest wird ebenfalls zum allergrößten Teil durch Ausgaben in Anspruch genommen, die weithin ebenso zwangsläufig und von der Bundesregierung nur in beschränktem Maße beeinflußbar sind. Für Verwaltungskosten verbleiben insgesamt 542,9 Millionen gleich 4,2% der Reinausgaben.


    (Bausch)

    Nun muß ich aber auf eine Tatsache hinweisen, die mir wichtig zu sein scheint. Es muß darauf hingewiesen werden, daß in dieser Summe von 542,9 Millionen für Verwaltungskosten auch folgende Kosten inbegriffen sind: erstens die Verwaltungskostenerstattung an die Länder für die Einziehung der Umsatz- und anderer Steuern mit rund 100 Millionen, zweitens die Kosten für die Binnenwasserstraßen und die Seewasserstraßen mit rund 95 Millionen und drittens die Kosten des gesamten Aufwands für die Steuer- und Zollverwaltung mit rund 200 Millionen.
    Zieht man nun diese Kosten, die man ja wohl kaum als Verwaltungskosten im engeren Sinne ansprechen kann, von der Gesamtsumme der Verwaltungskosten ab, so verbleiben an persönlichen und sachlichen Kosten für die sämtlichen Bundesministerien und für die beiden Bundesparlamente, den Bundestag und den Bundesrat, noch alles in allem 143,9 Millionen gleich 1,2 % der Reineinnahmen des Bundes.
    Ich glaube nicht, daß es noch ein anderes Land in Europa gibt, dessen Zentralverwaltung verhältnismäßig so billig ist wie diejenige der Bundesrepublik.

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!)

    Kein ernst zu nehmender Mensch wird angesichts dieser Zahlen behaupten können, daß etwa durch eine Verwaltungsvereinfachung oder Verwaltungsreform noch nennenswerte Erübrigungen für andere Zwecke des Bundes würden gemacht werden können.

    (Abg. Dr. Laforet: Sehr richtig!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit möchte ich aber meine vorläufigen Bemerkungen zum Haushaltsplan abschließen. Einem alten, guten Brauch der Parlamente folgend, soll heute eine politische Generalaussprache durchgeführt werden. Einer meiner Freunde wird nachher zu einigen wichtigen politischen Problemen Stellung nehmen. Ich möchte mich heute nur mit einer einzigen Frage beschäftigen, einer Frage, die mir von allen Fragen, die aus Anlaß einer politischen Generalaussprache zu stellen sind, die allerwichtigste und brennendste Frage zu sein scheint.
    Meine Damen und Herren! Jeder von Ihnen wird bei der außenpolitischen Aussprache, die am Mittwoch geführt wurde, den Eindruck bekommen haben, daß wir in einer sehr ernsten Zeit leben. Vielleicht — vielleicht!, wer vermag darüber Sicheres zu sagen — leben wir nur in einer Atempause der Weltgeschichte. Das Schiff unserer neugegründeten Bundesrepublik fährt auf hoher See. Diese See ist stürmisch bewegt. Das wird man wohl sagen dürfen. Schiffe, die auf hoher See sind, pflegen von Zeit zu Zeit eine Standortbestimmung vorzunehmen. Es scheint mir also Anlaß gegeben zu sein, zu fragen: Wo stehen wir? Wo stehen wir mit unserer Bundesrepublik? Wo stehen wir mit unserem neugegründeten Staat? Wohin geht die Reise? Sind wir mit unserer Demokratie auf dem rechten Weg?
    Meine Damen und Herren! Wir alle sind in diesem Hause sehr beschäftigt. Es wird in diesem Hause viel gearbeitet. Der Außenstehende kann sich wohl kaum ein Bild davon machen, wieviel in diesem Hause gearbeitet wird. Wir leiden alle unter einer Hetze, die oftmals — jedenfalls geht es mir so — kaum zu ertragen ist. Aber gerade deshalb ist die Frage, ob wir mit unserer Demokratie auf dem richtigen Wege sind, ob wir das rechte Leitbild von der Demokratie haben, von größter Wichtigkeit. Sind wir nämlich auf dem falschen Wege, so mögen wir noch so schnell gehen, aber nichts wird uns davor bewahren, eines Tages wieder umkehren zu müssen. Und deshalb mag die Generalaussprache, 'die wir heute führen, Anlaß geben zu einer Stunde der Besinnung, einer ernsten Besinnung über den Standort, den wir innehaben, und den Weg, den wir verfolgen.
    Es gibt heute viele Untergangspropheten. Sie machen sich anheischig, den Untergang Europas mit Sicherheit voraussagen zu können. Unzweifelhaft schenken ihnen viele Leute Glauben. Aber offenkundig — offenkundig! — sind diese Propheten dieselben Narren wie diejenigen, die einst den tausendjährigen Bestand des Hitlerreiches vorausgesagt haben.

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Es gibt jedoch andere Vorgänge, die zum Nachdenken mahnen. — Sie sind Signale, die nicht überfahren werden dürfen.
    Ich denke in diesen Tagen oftmals an die bitteren Zeiten zwischen 1930 und 1933 zurück. Der falsche Prophet stand vor den Toren. Die Willensträger der Weimarer Demokratie aber lagen ebenso im Streit miteinander wie die übrigen Völker Europas unter sich. Der Zwiespalt im nationalen und internationalen Leben war das besondere Merkmal jener verhängnisvollen Zeit. Eine Einigung kam nicht zustande, bis Hitler seine Herrschaft aufrichtete. Haben nicht die Zustände von heute eine geradezu verzweifelte Ähnlichkeit mit denjenigen der damaligen Zeit?
    In Stuttgart wurde eine öffentliche Versammlung mit einer Rede des Bundeskanzlers durch Stör- und Sprengtrupps radikalisierter Elemente terrorisiert. Als ich die Nachricht davon las, mußte ich mich fragen: Sind wir nun wirklich wieder so weit, daß so etwas möglich ist?
    Die Zahl der Mitglieder der Parteien ist — wir wollen uns das offen eingestehen, und ich glaube, daß man das von allen Parteien sagen kann — im Verhältnis zur Zahl der Wähler doch beschämend gering. Wieviele Leute gibt es denn, die sich für diesen neugegründeten Staat mit wirklicher Hingabe und Opferbereitschaft einsetzen? Wieviele haben wenigstens einen politischen Standort gewählt? Wieviele sind denn dankbar für die Freiheiten, die die Bürger unseres Landes genießen? Ich habe mir erzählen lassen, daß unlängst ein junger Student aus der Ostzone nach Tübingen, an die Universität meines Landes, kam. Die erste Frage, die er an seine Freunde stellte, war die: Haben Sie nicht eine Verfassung der Bundesrepublik? — Und er ließ sich durch nichts davon abhalten, hinzusitzen und sofort die ganze Verfassung durchzustudieren.

    (Lachen bei der KPD.)

    Nachdem er das gemacht hatte, rief er aus: Was sind Sie in der Bundesrepublik für glückliche Leute im Gegensatz zu uns, die wir Sklaven und Knechte sind.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU. — Lachen und Zurufe bei der KPD. — Gegenrufe rechts.)

    Aber ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wieviele Leute bei uns in der Bundesrepublik haben die Verfassung auch nur gelesen?

    (Abg. Paul [Düsseldorf]:: Geben Sie ihnen die Protokolle vom Korruptionsausschuß zu lesen!)



    (Bausch)

    Wieviele sind denn dankbar für das, was in unserer Verfassung steht?
    Steht nicht der große Teil der Jugend abseits vom Staat und beantwortet jede Aufforderung mitzuarbeiten mit dem Rufe: Ohne mich! Das sind ernste Tatsachen, es sind Signale, die nicht überfahren werden dürfen.
    Dieser Tage bekam ich einen Zeitungsartikel in die Hand. Er war in einem sehr ernst zu nehmenden Blatte abgedruckt. Ich habe es hier. In dem Blatte wurde etwa folgendes ausgeführt. Ich bitte den Herrn Präsidenten, mir die Erlaubnis zu geben, das hier vortragen zu dürfen. Ich vermute, daß Sie, Herr Präsident, diesen Artikel auch gelesen haben:
    Der politische Mechanismus der heutigen Massendemokratie in Westdeutschland besitzt nur funktionale Bedeutung. Seiner vielen Relativa wegen aber fehlt ihm notwendig die lebendige Beteiligung des Volkswillens. Er stellt ein Gebilde der Vernunft dar, und soweit der einzelne Deutsche sich zur politischen Vernunft bekennt, wird er diese politische Ordnung bejahen und sich vernünftig,
    — das heißt also: mit dem Kopf —
    mit dem Kopf und mit der ratio, an ihr beteiligen. Mehr — —

    (Zuruf von der FDP: Das ist auch besser! Das ist schon etwas, sicher! Aber nun hören Sie bitte: Mehr kann man billigerweise nicht von ihm verlangen. Die Nachteile dieses Funktionalismus müssen in dem Augenblick offenbar werden, wo dieser Apparat nicht mehr an den Kopf und die Vernunft seiner Glieder, sondern an jene tieferen Wesensbereiche des Menschen appelliert, in denen Begriffe wie Einsatz, Opfer, Hingabe, Leidenschaft und Begeisterung eine Rolle spielen. Wo dies geschieht, verkennt dieser Funktionalismus des politischen Apparats seine eigene Position und erhält vom Volk und vom einzelnen jene drastische Antwort: „Ohne mich!" Meine sehr verehrten Damen und und Herren! Jetzt möchte ich eine Frage stellen: Glauben wir tatsächlich, daß die in der Bundesrepublik organisierte Demokratie leben, blühen, gedeihen und sich im Sturm der Zeit behaupten kann, wenn sie nicht mit dem Einsatz, mit der Opferbereitschaft und mit der leidenschaftlichen Hingabe des Volkes rechnen kann? Genügt es, wenn die Anhänger der Demokratie alleräußerstenfalls mit dem Kopfe und mit der ratio, aber nicht mit dem Herzen dabei sind? — Ich sage Ihnen, und dies ist meine tiefste Überzeugung: Eine Demokratie, für die sich nicht breite Schichten des Volkes mit Leidenschaft und Hingabe einsetzen, ist zum Untergang verurteilt. Eine Demokratie ohne Herz ist bereits tot, auch wenn ihr Apparat noch läuft. Es ist die Frage zu stellen, ob wir über den toten Punkt durch sorgfältige Gesetzgebungsarbeit, durch soziale Leistungen und durch den Aufbau einer sauberen Staatsverwaltung hinwegkommen können. Ich habe große Zweifel daran, diese Frage zu bejahen. Ich glaube nicht, daß dies ausreicht. In der Weimarer Republik wurden ohne Zweifel in dieser Hinsicht höchst bedeutsame Leistungen vollzogen. Aber doch hat sie sich nicht behaupten können. Mit Vernunft und ratio allein ist im Zeitalter der Massendemokratie keine Staatsführung möglich. Es ist eine alte Tatsache, daß die Massen des Volkes nicht von vernunftgemäßen und rationalen Erwägungen, sondern in weit höherem Maße von großen Instinkten und Gefühlen bewegt werden. Das ist bei uns in Deutschland nicht anders als anderswo. Und so, wie es anderswo ist, so ist es auch bei uns. Dabei müssen wir bedenken, daß in unserem Volk unerhört viel Bitterkeit steckt. Gibt es eine Kraft, die Haß und Bitterkeit in Hingabe und Opferbereitschaft zu verwandeln vermag? Ein weiteres wesentliches Merkmal für unsere Lage muß klar erkannt werden. Ich will es offen aussprechen, auch auf die Gefahr hin, mißverstanden zu werden. Ich bin der Überzeugung, daß wir in einem ideologischen Zeitalter leben. Der Kampf um die Herrschaft über die Welt wird nach wie vor, ob wir das wahr haben wollen oder nicht, ob es uns sympathisch ist oder nicht, mit Hilfe von bestimmten Ideologien geführt, deren Vorkämpfer an den vordersten und vorgeschobensten Fronten der Völker miteinander im Streit liegen. Ihre Anhänger sind durch eine einheitliche geistige Haltung, gewissermaßen durch eine Philosophie, verbunden. Sie haben ein für sie bestimmendes Leitbild von einer neuen, besseren Welt. Sie versuchen, dieses Leitbild durch einen einheitlichen Plan in die Wirklichkeit des Lebens zu übertragen. Sie widmen sich dieser Aufgabe mit totaler Hingabe des Einzelmenschen, durch leidenschaftlichen Einsatz, durch Übernahme von persönlichem Risiko. Die Ideologie scheint mir also gewissermaßen die Waffenrüstung zu sein, deren sich die Vorkämpfer der verschiedenen Anschauungen bedienen, um in diesem Kampf den Lorbeer des Sieges zu erringen. Es wäre leicht, dies an zahlreichen Beispielen aus Vergangenheit und Gegenwart zu erläutern. Fest steht jedenfalls eins: Wer in diesem ideologischen Kampf ohne eine zeitgemäße geistige Rüstung ist, der hat keinerlei Chance, in diesem Kampf bestehen zu können, sowenig einer im modernen Krieg eine Chance hätte, wenn er mit Pfeil und Bogen gegen moderne Panzerwagen streiten wollte. Auch unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, muß festgestellt werden, daß eine Demokratie, die lediglich einen blutleeren Funktionalismus darstellt, eine Angelegenheit in dieser Welt ist, die keinen Bestand hat. Demokraten, meine Damen und Herren, deren Haupttätigkeit darin besteht, etwas vom Staat zu fordern oder den Staat zu kritisieren, sind nach meiner Überzeugung ebenso vorgestrig wie jene Spießbürger, die nur im engen nationalen Rahmen denken können, ohne eine konkrete Vorstellung von einer besseren Welt zu haben, wie sie sein soll und für deren Herbeiführung sich eine völlige Hingabe lohnt. Es gibt eine Menge von Menschen in Deutschland, die sich unter Demokratie einen Zustand vorstellen, in dem jeder tun und lassen kann, was er will: Man kann im Nichtraucherwagen rauchen, man kann in den Wald gehen und Holz stehlen, man kann sich beim Finanzamt an Steuern vorbeioperieren, — ein Zustand der Freiheit ohne Bindung und Verantwortlichkeit für das Ganze! — Ja, meistens gegen das Finanzamt! Aber Sie werden, verehrter Kollege Schoettle, nicht bestreiten können, daß dem so ist. (Abg. Schoettle: Ich denke gar nicht daran, es zu bestreiten!)


    (Zurufe von der KPD.)


    (Sehr richtig! rechts.)


    (Zuruf des Abg. Schoettle.)


    (Bausch)

    Das ist in der Tat der Zustand: Freiheit ohne Bindung, Freiheit ohne Verantwortung! Man schimpft auf alles, was passiert. Man kritisiert den Staat in Grund und Boden hinein. Aber man übernimmt nicht eine Spur von Verantwortlichkeit für das Ganze, für den Staat und für die neu zu schaffende Gemeinschaftsordnung.

    (Sehr gut! bei der CDU. — Abg. Mellies: Ihre Kreise! — Zuruf aus der Mitte: Er wendet sich an alle!)

    — Verehrter Herr Kollege, wollen wir uns nicht einmal die Frage vorlegen, ob dies die richtige Haltung ist, wenn wir uns über solche ernste Dinge auseinandersetzen?

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Aber bloß auf schwäbisch!)

    „Das sind Ihre Kreise!"? Haben Sie so gesagt? Habe ich Sie richtig verstanden?

    (Abg. Mellies: Ja!)

    Darf ich Sie auf eines hinweisen: Eine solche Haltung ist ein in unserem Volksleben ganz elementarer Vorgang, er kehrt in vielen Auseinandersetzungen wieder, die heute in unserem Volk geführt werden, und ist geradezu typisch für sie: „Du bist schuld!" Immer der andere ist schuld! Nie ist man es selber! Bedenken Sie doch eins!

    (Zuruf von der SPD: Mea culpa!)

    „Du bist schuld!" Was passiert denn, wenn ich diese Bewegung mache? Sehen Sie her! Wenn ich dort den Finger hinüberstrecke, nämlich auf den anderen, dann vergesse ich zumeist, daß drei Finger meiner Hand auf die eigene Brust gerichtet sind. Das sollten wir nicht übersehen. Nicht immer ist es der andere. Manchmal sind wir es auch selbst!
    Die Schicksalsfrage für uns alle ist daher nach meiner Überzeugung diese: Wie können wir eine Demokratie und eine Gesellschaftsordnung schaffen, der die Liebe, die Hingabe und das ganze Herz ihrer Bürger gehört? Wo ist eine geistige Grundlage, eine Ideologie für diese Demokratie, die der Weltlage von 1950 gerecht wird? Oder, um Formulierungen zu gebrauchen, die vielleicht noch verständlicher sind: Wo ist die Kraft, die unseren nationalen Blutkreislauf mit lebendigem Leben erfüllt, die Energie- und Schutzstoffe bildet, die die Giftstoffe der Dekadenz und Entzweiung genau so ausscheidet, wie ein gesunder Körper die Krankheitsstoffe ausscheidet? Welches sind die großen geistigen Kräfte und Ideen, die unserem Volksleben einen inneren Halt geben und die für den Staatsaufbau richtungweisend sind?
    Lassen Sie mich mit diesen bedeutsamen Fragen fortfahren: Wie kommen wir zu einer Gemeinschaftsordnung, die eine magnetische Kraft, eine Leuchtkraft ausstrahlt und unseren Brüdern und Schwestern im Osten und in Berlin, die so schwer leiden, eine Hoffnung und eine Ermutigung gibt? Wie kommen wir zu einer neuen Art gemeinschaftlichen Lebens in Stadt und Land, die Zwiespalt in Einheit verwandelt und die auch den kleinsten Mann im Staat — und darauf scheint es mir anzukommen —, die auch den kleinsten und niedrigsten Mann im Staat mit dem Bewußtsein erfüllt, durch eine eigene Leistung und einen eigenen Beitrag den Lauf der Geschichte zu verändern und an der Schaffung einer neuen Welt verantwortlich mittätig zu sein?
    Wenn wir nicht unser Ziel so hoch setzen und unser Denken so weit spannen, wird alles, was wir hier in unserer deutschen Bundesrepublik tun und unternehmen, früher oder später zum Scheitern verurteilt sein. Das gleiche gilt, wenn wir dieser Frage einfach ausweichen, wie das der heutige Mensch so gerne tut.
    Ich bin mir des großen Wagnisses, das ich eingehe, wenn ich eine Antwort auf diese Schicksalsfrage suche, voll und ganz bewußt. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, meine Damen und Herren, wenn Sie mir auf diesem Wege folgen oder zumindest über meine Gedanken und Vorstellungen ernsthaft nachdenken würden.
    Es mag nun zur Förderung unserer weiteren Untersuchungen gut und nützlich sein, einen Rückblick auf die Zeit zu werfen, von der wir herkommen. Ich weiß, meine Damen und Herren, daß die Dinge, die ich jetzt ausspreche, sonst nicht in diesem Hause ausgesprochen zu werden pflegen. Ich glaube aber, daß es von unerhörter Wichtigkeit ist, daß wir uns auch einmal mit solchen Fragen befassen, die sonst nicht Gegenstand unserer Erörterungen sind.
    Ich habe von der Notwendigkeit einer Besinnungspause gesprochen. Wir brauchen diese Besinnungspause! Welches war die Triebkraft des jetzt verflossenen Zeitalters? Ein Mann namens Rudolf Binding — vielleicht haben Sie den Namen schon gehört —, ein Dichter, der in der nationalsozialistischen Zeit eine gewisse Rolle spielte, hat dies verführerisch und scheinbar so überzeugend seinerzeit wie folgt formuliert:
    Ganz ehrlich und ohne Hintergedanken und völlig aus sich selber heraus, so recht eigentlich ohne Gottes Hilfe Mensch zu sein, das ist das große Wagnis und die eigentliche Sehnsucht unserer Zeit.
    Also ohne Gottes Hilfe so ganz aus sich selber heraus Mensch zu sein, das war das große Wagnis und die eigentliche größte Sehnsucht unserer Zeit. Es war das große Unternehmen der menschlichen Autonomie, der menschlichen Selbstherrlichkeit, das hier unternommen wurde.
    Und wie grauenhaft hat das, was so enthusiastisch, in so strahlender Hoffnung, im ganzen Schwung der Freiheit, so ohne jede Bezogenheit auf das Ganze des Seins, so ganz ohne Gott begonnen wurde, — wie grauenhaft hat dieses größte Unternehmen der menschlichen Autonomie geendet! Der Mythos des Übermenschen, die ganze Bestialität des Hitlerreiches und der entsetzliche Zusammenbruch haben einen Schlußstrich unter dieses Unternehmen der menschlichen Selbstherrlichkeit gemacht. Diese ganze Entwicklung aber hätte dann für uns alle einen tiefen Sinn, wenn die Verzweiflung über diese Entwicklung nicht in der nihilistischen Leere auslaufen, sondern zu einer wirklichen Verwandlung des Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts führen würde.
    Von der menschlichen Autonomie, von der menschlichen Selbstherrlichkeit zur Rückverbundenheit mit dem Schöpfer, das ist nach meiner Überzeugung das große Anliegen unserer Zeit. In der Verzweiflung unserer Untergangssituation liegt die ganz große Hoffnung und die ganz große Chance für die Zukunft.
    Meine Damen und Herren! Wenn heute irgendwo bei uns in Deutschland einige hundert führende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens versammelt wären und es würde einer von diesen Männern oder Frauen den Mut finden, zu sagen: „Ge-


    (Bausch)

    stehen wir es uns doch ein, wir sind eigentlich am Ende mit unserer Weisheit! Wir finden den Weg nicht. Wir bedürfen einer übernatürlichen Kraft und einer höheren Weisheit, um den Weg durch die Wirrsale unserer Zeit finden zu können", — glauben Sie, daß er dann sehr viel Widerspruch finden würde? Wir müssen dem Wahn der menschlichen Autonomie absagen und versuchen, unseren ganzen Alltag einer höheren Führung zu unterstellen.
    Ein großer Demokrat hat einmal das Wort ausgesprochen — ich weiß, ,daß es mißverständlich ist, aber ich ich will es trotzdem aussprechen —: „Die Menschen müssen sich von Gott regieren lassen, oder sie werden von Tyrannen regiert!"

    (Sehr wahr! bei der CDU.)

    Es sind ganz einfache, elementare, für jeden verständliche Grundwahrheiten, um die es sich hier handelt. Wir brauchen absolut gültige, sittliche und moralische Maßstäbe, um uns heute in dieser Welt zurechtzufinden.

    (Glocke des Präsidenten.)