Protokoll:
1017

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 1

  • date_rangeSitzungsnummer: 17

  • date_rangeDatum: 15. November 1949

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 15:06 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:29 Uhr

Gesamtes Protokol
Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101700000
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 17. Sitzung des Deutschen Bundestags.
Die Verschiebung des Beginns der Sitzung von 14 Uhr auf 15 Uhr hängt damit zusammen, daß die Verhandlungen des Herrn Bundeskanzlers mit den Hohen Kommissaren auf dem Petersberg etwas länger gedauert haben.
Ich lasse zunächst die Liste der abwesen d en Mit glieder des Hauses verlesen und erteile dem Schriftführer, Herrn Abgeordneten Karpf, das Wort.

Hugo Karpf (CSU):
Rede ID: ID0101700100
Beurlaubt sind wegen Krankheit die Abgeordneten Jacobs, Dr. Mücke, Richter (Willi), Kuhlemann, Ahrens, Wallner, Wittmann, Gengler; auf Grund von Entschuldigungen die Abgeordneten Dr. Bucerius, Höfler, Naegel, Dr. Serres, Graf von Spreti, Dr. Weber, Brese, Dr. Dresbach, Dr. Holzapfel, Dr. Gülich, Dr. Jaeger, Dr. Solleder, Dr. Horlacher, Dr. Baumgartner, Dr. Etzel, Freitag, Dr. Suhr, Frau Louise Schroeder, Dr. Brill, Altmaier, Ohlig, Dr. Schöne, Meitmann, Mellies, Dr. Veith, Dr. Wenzel, Ritzel, Dr. Schmidt (Martin), Frau Schanzenbach, Hedler, Tobaben, Frau Kalinke, Margulies, Dirscherl, Dr. Dr. HöpkerAschoff, Rademacher, Dr. Pfleiderer, Dr. Blank, Dr. Reif, Stegner, Dr. Hoffmann, Frühwald, Frau Arnold.

Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101700200
Meine Damen und Herren! Ich mache weiter darauf aufmerksam, daß der Beschluß 16/1 dr 16. Sitzung des Bundestags wie üblich zur Einsichtnahme ausliegt.
Ich erteile nunmehr dem Herrn Bundeskanzler das Wort zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung.

Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0101700300
Meine Damen und meine Herren! Ungefähr die erste Auseinandersetzung in diesem Saale war diejenige, ob die Demontagefrage vordringlich vor allen anderen Gegenständen behandelt werden solle. Ich darf Sie weiter daran erinnern, daß die Frage der Demontagen seit der Zeit bei uns immer wieder eine große, ja eine erschütternde Rolle gespielt und daß die Presse immer wieder auf diese Frage hingewiesen hat. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß seitens der Militärgerichte Gerichtsverfahren gegen solche Deutsche stattgefunden haben, die die Demontagearbeit verweigert haben. Endlich füge ich noch hinzu, daß, soviel ich mich erinnere, in jeder Verhandlung, die ich mit den Hohen Kommissaren geführt habe, die Demontagefrage eine Rolle gespielt hat. Die Demontagefrage ist für uns Deutsche eine Frage von größter wirtschaftlicher Bedeutung, aber darüber hinaus auch eine Frage von größter psychologischer Bedeutung, und ich habe mehr als einmal die Befürchtung ausgesprochen, daß später vielleicht einmal das Wort „Demontage" in der innenpolitischen Agitation denselben Platz einnehmen werde, wie ihn das Wort „Versailles" in den 20er Jahren eingenommen hat.
Nun bin ich am letzten Tage des vergangenen Monats von einer sehr maßgebenden ausländischen Stelle darauf hingewiesen worden, daß alle Anträge auf Einstellung der Demontage, die wir von seiten der Bundesregierung immer und immer wieder gestellt haben, auch in Zukunft ohne weiteres abgelehnt werden würden; wir betrachteten die Demontagefrage nicht vom richtigen Gesichtspunkt aus; die Demontagefrage sei für die westlichen Alliierten in erster Linie eine Frage des Sicherheitsbedürfnisses. Auf meine Frage, wie man sich denn auf westalliierter Seite die Lösung des Sicherheitsproblems denke, ist mir von dieser Stelle gesagt worden, daß man vor allem einen wesentlichen Beitrag Deutschlands zur Frage der Sicherheit in der Mitarbeit bei der Sicherheitskommission, in der Anerkennung des Ruhrstatuts und in der Entsendung eines stimmberechtigten Mitglieds an-


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

stelle des bisher entsandten Beobachters in die Ruhrkommission finden würde.
Ich habe daraufhin, da ich keine Zeit hatte, mit
irgendwelchen politischen Persönlichkeiten Fühlung aufzunehmen — es wurde mir von der
gleichen maßgeblichen ausländischen Stelle gesagt,
daß die Frage im Hinblick auf die kommende Pariser Konferenz außerordentlich dränge — am
1. November folgendes Schreiben an den geschäftsführenden Vorsitzenden der Aliierten Hohen Kommission, den Herrn General Robertson, gerichtet:
Bei den Verhandlungen über die Demontagefrage ist betont worden, daß sie zwar auch eine Reparationsfrage, vor allem aber ein Sicherheitsproblem sei. Es ist in diesem Zusammenhang wiederholt die Frage nach dem deutschen Kriegspotential aufgeworfen worden. Die Deutsche Bundesregierung erklärt hiermit, daß sie das Sicherheitsbedürfnis gegenüber der Bundesrepublik Deutschland als eine Realität in Rechnung stellt und ihm, soweit irgend möglich, Rechnung zu tragen gewillt ist. Sie ist daher grundsätzlich zur Mitarbeit in jedem Organ bereit, das dazu dient, das etwaige Kriegspotential Deutschlands zu kontrollieren. Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß in den Kreis der Sicherheitsfrage auch die Stahlproduktionskapazität fällt.
Die Bundesregierung schlägt vor, sofort einen Ausschuß unter Teilnahme deutscher Vertreter zu berufen, der die Sicherheitsfrage und auch die mit ihr zusammenhängenden internationalen wirtschaftlichen Fragen prüft. Sie bittet, die Demontagen bis zum Bericht dieses Ausschusses nicht fortzusetzen, auf alle Fälle sie entsprechend zu verlangsamen. Die Bundesregierung verspricht sich von der Arbeit dieses Ausschusses eine wesentliche Förderung der europäischen Zusammenarbeit.
Nach Abgang dieses Schreibens am 2. November habe ich versucht, die Führer der Fraktionen dieses Hauses von der Absendung dieser Note zu unterrichten. Ich habe das Kabinett bei seinem ersten Zusammentreten davon in Kenntnis gesetzt; die Note hat die einhellige Zustimmung des Kabinetts gefunden. Leider war es nicht möglich, die Führer der sozialdemokratischen Fraktion zu unterrichten, weil weder Herr Dr. Schumacher noch Herr Dr. Schmid noch Herr Ollenhauer erreichbar war; die drei Herren waren sämtlich abgereist.

(Abg. Renner: Die kommunistische Fraktion ist gar nicht erst eingeladen worden!)

Meine Damen und Herren! Ich wurde dann von alliierter Seite am 7. November darauf aufmerksam gemacht, daß die Note, die ich eben verlesen habe, der französischen Regierung in Paris zu unbestimmt erscheine; man wünsche von seiten der französischen Regierung eine Erläuterung. Auch hier wurde gebeten, diese Erläuterung noch am selben Nachmittag zu geben, damit sie sofort nach Paris weitergegeben werden könne.
Ich habe darauf am 7. November dem hiesigen Vertreter des französischen Hohen Kommissars folgende Mitteilung übergeben lassen:
Das deutsch-französische Problem ist in erster Linie ein psychologisches Problem. Von diesem Gedanken war die Bundesregierung getragen, als sie in ihrem an den geschäftsführenden Vorsitzenden der Alliierten Hohen Kommission gerichteten Schreiben vom 1. November 1949 erklärte, daß sie das Sicherheitsbedürfnis gegenüber der Bundesrepublik Deutschland
als eine Realität in Rechnung stellen würde und ihm, soweit irgend möglich, Rechnung zu tragen gewillt sei. Um sowohl im französischen als auch im deutschen Volk die nötigen Voraussetzungen für. eine endgültige und dauernde Bereinigung des deutsch-französischen Problems zu schaffen, besteht auf seiten der Bundesrepublik die Bereitschaft, in dem mit oben angeführtem Schreiben vom 1. November vorgeschlagenen Ausschuß folgende Fragen zu erörtern:
1. Beitritt Deutschlands zum Ruhrstatut;
2. enge Zusammenarbeit mit der bestehenden Sicherheitskommission;
3. Beteiligung ausländischen Kapitals an deutschen Werken;

(Hört! Hört! bei der KPD)

4. möglichst frühzeitige Beteiligung Deutschlands an der engeren wirtschaftlichen Verbindung zwischen Frankreich, Italien und Benelux;
5. Beendigung des Kriegszustandes.
Um auch im deutschen Volke die erforderlichen psychologischen Voraussetzungen zu schaffen, müßte vor Eintritt in diese Erörterungen eine sichtbare Verlangsamung der bereits eingeleiteten Demontagen und ein Verzicht auf den Beginn neuer Demontagen ausgesprochen werden.
Was Ziffer 3, Beteiligung ausländischen Kapitals an deutschen Werken, angeht, so war mir bekannt, daß die Herren Dr. Schumacher, Ollenhauer, Henßler und Professor Baade gelegentlich eines Besuchs bei Mr. McCloy Mitte September bei einer Unterhaltung über die Demontagefrage Herrn McCloy den Vorschlag gemacht haben, die Thyssenhütte dadurch vor der weiteren Demontage zu retten, daß man die ausländischen Reparationsgläubiger an der Hütte beteiligen sollte,

(Hört! Hört! in der Mitte und rechts)

und zwar in der Form, daß die zur Demontage bestimmten Anlagen von ihnen übernommen würden und daß die Hütte unter internationaler Aufsicht und Kontrolle für Rechnung der Reparationsgläubiger arbeiten sollte.
Ich erinnerte mich dessen, und es war mir zufällig auch bekannt geworden — gerade am gleichen Tage —, daß die Vereinigten Stahlwerke, die unbedingt 300 Millionen DM nötig haben, um ihre zerstörten Anlagen wieder produktionsfähig zu machen, nach einem Wege suchten, dieses Kapital vom Ausland her zu erhalten, da sie es vom Inland her nicht bekommen können. Es war mir bekannt, daß sie Überlegungen angestellt hatten, ihr Aktienkapital um 300 Millionen DM auf 800 Millionen DM zu erhöhen, und daß von diesen 300 Millionen DM 225 Millionen von ausländischen Gruppen übernommen werden sollten und der Rest von den Städten, in denen ihre Hauptproduktionsorte liegen, nämlich von Duisburg, Düsseldorf, Essen, Bochum, Dortmund.
Diesen Vorschlag der Vereinigten Stahlwerke habe ich dem Aide-Mémoire, das ich Ihnen eben bis auf den Schlußpassus verlesen habe, beigefügt und zum Schluß gesagt:
Zu Punkt 3
— das ist die Beteiligung ausländischen Kapitals an deutschen Werken —
wird der anliegende von den Vereinigten Stahlwerken ausgearbeitete Entwurf über die Neu-


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

ordnung der Kapitalverhältnisse dieser Industrie unter Heranziehung ausländischen Kapitals beigefügt, der als Grundlage für die Erörterung in dem oben genannten Ausschuß dienen könnte.
Meine Damen und Herren! Ich erkläre Ihnen hiermit gegenüber Pressemeldungen ausdrücklich, daß ich weder direkt noch indirekt irgendeinen anderen Vorschlag an eine ausländische Stelle gemacht habe.
Ich habe am 9. November, also zwei Tage nachdem ich dieses Aide-Mémoire hatte übergeben lassen, die Vorsitzenden aller Fraktionen und Gruppen hier im Hause von der Absendung sowohl der Note vom 1. November wie dieses AideMémoire dadurch unterrichtet, daß ich ihnen beide Schriftstücke vorgelesen habe. Ich stelle gegenüber all den Artikeln, die in einem Teil der deutschen Presse erschienen sind, sei es direkt, sei es in Form von Interviews, ausdrücklich fest, daß meine ganzen Vorschläge die sind, die ich Ihnen eben mitgeteilt habe.
In der Zwischenzeit hat, wie Sie wissen, die Pariser Konferenz stattgefunden, und die drei Hohen Kommissare sind von den drei Außenministern beauftragt worden, mich über den Verlauf der Pariser Konferenz zu unterrichten. Die erste Besprechung mit den Hohen Kommissaren hat heute früh um 9 Uhr 30 begonnen und bis über Mittag gedauert. Dieser ersten Besprechung wird eine Reihe anderer Besprechungen folgen müssen, weil die aufgeworfenen Fragen sich nicht in wenigen Stunden klären lassen. Ich darf Ihnen aus der heutigen Besprechung folgende Angaben machen.
Der Zweck der Beschlüsse der Pariser Konferenz ist — ich wiederhole jetzt den Satz des Schreibens, mit dem seinerzeit die drei Außenminister dem Parlamentarischen Rat das Besatzungsstatut übersandt haben —, „die Republik Deutschland einzufügen in den Kreis der westeuropäischen Mächte". Ich möchte weiter betonen, daß diese Verhandlungen in keiner Weise irgendwie in Form eines Diktats oder in Form einer Pression stattgefunden haben und stattfinden werden. Man hat mir heute mitgeteilt, daß man in einer Reihe von Punkten — die ich Ihnen gleich nennen werde — der Bundesrepublik Deutschland weitere, größere Vollmachten als bisher zu geben gewillt sei. Man hat hinzugefügt, daß man keine Bedingungen stelle, daß aber naturgemäß der Lauf der weiteren Verhandlungen davon abhängig sei, welche Stellung wir gegenüber Wünschen der drei Westalliierten einnähmen. Als solche Wünsche wurden mir bezeichnet: erstens, wie sich die Bundesrepublik Deutschland zu der Sicherheitskommission stelle, zweitens, wie sich. Deutschland zu der Frage des Eintritts in die Ruhrkommission und damit zu dem Ruhrstatut stelle, und drittens, wie sich Deutschland gegenüber der Frage der Dekartellisierung verhalte.
Um bei dem letzten anzufangen: ich habe erklären können, daß ein Gesetzentwurf zur Dekartellisierung bei uns in Vorbereitung sei.
Was das Ruhrstatut angeht, so habe ich darauf hingewiesen, daß bei uns und insbesondere auch bei mir der Artikel 31 des Ruhrstatuts Bedenken errege. Vielen von Ihnen wird der Artikel 31 bekannt sein. Er enthält eine ziemlich verschnörkelte Bestimmung, aus der man, wenn man will, herauslesen kann, daß Deutschland damit einen Blankoscheck ausstelle gegenüber allem, was von den sechs in London versammelt gewesenen Mächten beschlossen wird. Es' ist mir von den drei Hohen Kommissaren sofort erklärt worden, daß sie diese Auslegung des Artikels 31 für unrichtig hielten; kein Mensch denke daran, von Deutschland die Ausstellung eines Blankoschecks zu verlangen oder ihm eine Falle zu stellen. Der Artikel solle nur besagen, daß, wenn die deutsche Bundesregierung in die Ruhrkommission eingetreten sei, sie sich dann auch den Mehrheitsbeschlüssen fügen müsse. Ich habe, da dieses Ruhrstatut nicht nur von den drei Westalliierten, sondern auch von den drei Benelux-Ländern unterzeichnet ist, gebeten, in dieser Frage nähere Feststellungen zu tref fen. Aber, meine Damen und Herren, da gerade bezüglich des Artikels 31 — vielleicht mit Recht — in unserer öffentlichen Meinung Vorstellungen bestanden, die mit ernster Besorgnis erfüllen mußten, liegt mir daran, bei dieser ersten Gelegenheit festzustellen, was die Auffassung der drei Hohen Kommissare über diesen Artikel 31 des Ruhrstatuts ist.
Zu der Frage der Sicherheitskommission habe ich erklärt, daß die Deutsche Bundesregierung bereit sei, der Arbeit der Sicherheitskommission wohlwollend gegenüberzustehen.
Es ist abgesprochen worden, daß noch eine ganze Anzahl von Besprechungen über die verschiedenen Fragen stattfinden soll. Man hat mir gesagt, daß die Pariser Konferenz den Hohen Kommissaren Vollmachten gegeben hätte, über weitere Fragen, die ich in meinem Schreiben nicht angeregt hätte, mit der Bundesregierung zu verhandeln und Vereinbarungen zu treffen. Es handelt sich insbesondere um folgende Fragen.
Erstens: Beteiligung der Bundesrepublik
Deutschland an einer großen Anzahl von internationalen Organisationen. Man wünsche von westalliierter Seite, daß die Bundesrepublik Deutschland möglichst vielen solcher internationalen Organisationen beitrete.
Zweitens: Man überlege — das gleiche tun wir übrigens auch —, wie man den Kriegszustand oder die Schäden und Folgen des Kriegszustandes zwischen den Westalliierten und uns beseitigen könne; eine etwas schwierige juristische und technische Frage.
Drittens: Auf dem Gebiete des Schiffbaus würden wir die Genehmigung zum Bau größerer und schnellerer Hochseeschiffe bekommen.
Viertens: Wir würden das Recht bekommen, konsularische und Handelsvertretungen im Ausland zu errichten.
Fünftens zur Frage der Demontage. Bei der Kategorie I kämen keine Änderungen in Frage. Das ist die Liste derjenigen Werke, die zur Kriegsproduktion bestimmt sind. Bereits getroffene und erledigte, ausgeführte Maßnahmen könnten natürlich nicht rückgängig gemacht werden. Aber auf den. großen Gebieten insbesondere der Stahl- und synthetischen Industrie seien die Hohen Kommissare bereit, mit der Bundesregierung in eine Überprüfung der ganzen Angelegenheit einzutreten. Solange die augenblicklichen Verhandlungen im Gange seien, würde — ich darf den Satz wörtlich zitieren — die Demontage so verlangsamt, daß nichts von Bedeutung geschehe; das heißt: nichts soll


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

geschehen, was das Endergebnis der Verhandlung präjudizieren könne. Ich bin befugt — ich habe mir dazu audrücklich die Befugnis trotz der Vertraulichkeit der Verhandlungen geben lassen —, Ihnen heute mitzuteilen, daß u. a. bei folgenden Werken die Demontage in dieser Weise verlangsamt wird, bis sie, wie wir, glaube ich, mit Recht hoffen dürfen, ganz auf Grund unserer Verhandlungen eingestellt wird: Gelsenberg Benzin, Chemische Werke Hüls, August-Thyssen-Hütte Hamborn, Ruhrstahl Hattingen, Charlottenhütte und Borsig Berlin.
Meine Damen und Herren, ich muß erklären, daß damit die Westalliierten eine gewisse Vorleistung in den Verhandlungen mit uns gemacht haben.
Es sind noch andere Punkte erörtert worden, die günstig für uns sind, die ich aber in diesem Stadium der Verhandlungen Ihnen hier noch nicht wiedergeben kann. Sie können überzeugt davon sein, daß Sie sofort ins Bild gesetzt werden, sowie die Umstände es gestatten. Die Verhandlungen werden nächsten Donnerstag fortgesetzt werden, und sie werden während dieser und während der nächsten Woche stattfinden, so daß wir hoffen dürfen, vielleicht gegen Ende der nächsten Woche in allen diesen Fragen ins reine zu kommen. Wenn das gelingt — und ich zweifle nicht daran, daß ein guter Ausgang der Verhandlungen kommen wird —, dann wird die Bundesrepublik Deutschland einen ganz großen Schritt nach vorwärts getan haben.

(Sehr gut! und Bravo! in der Mitte und rechts.)

Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, nicht durch unangebrachte Kritik diese Verhandlungen zu stören, um nicht im Ausland Befürchtungen für einen neuerwachenden Nationalismus im deutschen Volk hervorzurufen.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Meine Stellung zu diesen Fragen kennen Sie. Ich habe sie in einem Interview, das ich der „Zeit" gegeben habe, niedergelegt, und ich halte diese meine Auffassung nach wie vor für richtig. Ich bin erfreut, daß ich heute in der Lage bin, hier festzustellen, daß der Erfolg dieser Bemühungen eintreten wird und zum Teil schon eingetreten ist.
Ich möchte trotz aller Mißdeutungen, die mir geworden sind, zum Schlusse meiner Ausführungen folgende Worte an die Adresse des französischen Volkes richten. Die Frage Deutschland-Frankreich ist in Wahrheit eine der Angelfragen des europäischen Geschicks.

(Sehr richtig!)

Von vielen Besuchern, die in Frankreich waren, und von vielen ausländischen Journalisten höre ich, daß auch in den weitesten französischen Kreisen der ehrliche Wille besteht, den deutsch-französischen Gegensatz ein für allemal aus der Welt zu schaffen.

(Bravo!)

Ich bitte das französische Volk und die Weltöffentlichkeit, davon überzeugt zu sein, daß bei der ganz überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes der gleiche Wille besteht.

(Anhaltender lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101700400
Meine Damen und Herren! Sie haben die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers gehört.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung.
Ich darf einleitend noch bekanntgeben, daß als Redezeit für die großen Fraktionen eine Stunde und für die kleinen dreiviertel Stunden im Ältestenrat vorgesehen wurden.
Das Wort hat der 'Herr Abgeordnete Dr. Schumacher.

Dr. Kurt Schumacher (SPD):
Rede ID: ID0101700500
Meine Damen und Herren! Bei den Diskussionen in Deutschland hat man sich mit erfreulicher Einmütigkeit zu gewissen Grundsätzen internationaler Politik bekannt. Ein Großteil dieser Grundsätze ist eigentlich von niemand bestritten. Bestritten wird die Selbstverständlichkeit, mit der eine Reihe von Handlungen politischer Natur vorgenommen wird, über die entgegengesetzte Meinungen im deutschen Volk bestehen. Es, gibt kein Monopol, zu wissen, was den deutschen Interessen frommt, es gibt ein solches Monopol auch nicht für eine europäische Konzeption. Darum gibt es ein Monopol dieser Art auch nicht für die Bundesregierung. Wir beklagen, daß bei der außerordentlichen Mitteilsamkeit führender Männer der Bundesregierung über diese Probleme in der deutschen und internationalen Öffentlichkeit man sich gegenüber dem Parlament in eine übermäßige Schweigsamkeit gehüllt hat.

(Sehr gut! links.)

Es gibt keine einheitliche deutsche Meinung über die vom Herrn Bundeskanzler hier vorgetragenen Probleme. Weder gab es eine solche vor Paris, noch gab es sie in Paris, noch gibt es sie jetzt nach Paris. Vielmehr ist heute noch die Weltöffentlichkeit und ein Teil der deutschen Öffentlichkeit darüber im unklaren, was das deutsche Volk mit einem an Einmütigkeit grenzenden Willen haben will und was es als zukunftgefährdend und untragbar in großen Teilen abzulehnen gewillt ist.
Was wir aber heute in erster Linie besprechen müssen, das ist nicht das Verhältnis von Regierung und Opposition in diesen Fragen; in erster Linie ist zu klären das Verhältnis von Regierung und Parlament.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Es hat hier an der allein gestaltenden, verantwortlichen zentralen Stelle des deutschen demokratischen Lebens keine Abwägung der Standpunkte stattgefunden. Wir möchten gegenüber manchen Mißverständnissen und gegenüber einer Kritik, die es sich zu leicht macht, betonen: Wir haben uns nicht gewandt und denken uns nicht zu wenden gegen die politisch-diplomatische Aktion der Regierung. Eine solche Aktion zu unternehmen, ist heute jede Regierung verpflichtet. Das zu bestreiten, würde ja die Beendigung der außenpolitischen Funktionen der Regierung bedeuten.

(Hört! Hört!)

Wir haben uns gegen die politischen Prinzipien
und den materiellen Inhalt der Schritte gewandt.

(Sehr gut! links.)

Meine Damen und Herren! Es ist hier einmal die
Methode festzustellen und abzulehnen, daß ohne
genügende Legitimation, ohne vorhergehende


(Dr. Schumacher)

Klärung im Grundsätzlichen Schritte unternommen werden, die nicht Angelegenheit der Tagespolitik sind, sondern die Lebensfragen des deutschen Volkes und die Grundsätze berühren, nach denen Europa aufgebaut werden soll.

(Sehr richtig! links.)

Das Wesen des Kompromisses liegt nicht in der einseitigen Setzung der Ziele. Ein Kompromiß ist hier zwischen der Regierung und den Parteien nicht versucht worden. Der Herr Bundeskanzler hat den in den entscheidenden Punkten abweichenden Standpunkt der Sozialdemokratie durchaus gekannt. Aber diese Dissonanz in den Auffassungen ist in keiner Periode Gegenstand öffentlicher oder
Örivater Auseinandersetzungen gewesen. Und der ffentlichkeit in Deutschland möchte ich sagen: In einem erklärlichen Eifer, dieser Regierung zu assistieren und Hilfe zu leisten, soll man die ignoranten, ungehörigen Vergleiche mit Thoiry und Locarno lassen. Damals hat es keine noch so kurze Periode gegeben, in der nicht alle Parteien des deutschen Reichstags über die Intentionen und die geplanten Schritte unterrichtet gewesen wären und die Möglichkeit gehabt hätten, ihrerseits darauf einzuwirken. Eindeutig muß festgestellt werden, daß es, unbeschadet des einzunehmenden Standpunktes, Aufgabe des Parlaments ist, die Diskussion hierüber rechtzeitig zu führen. Eine Bundesregierung, die nicht die demokratische Legitimation eines parlamentarisch ausdiskutierten Standpunktes hat, hat gegenüber dem Ausland einen sehr schwachen Stand. Seine Bedeutung hängt dann von dem guten Willen der kommenden oder jetzigen Verhandlungspartner ab. Wir leben, meine Damen und Herren, in der Demokratie nicht in einem Staate der Regierungsparteien.

(Zustimmung bei der SPD.)

Wir leben nicht in einem autoritären Staat; aber die Praxis, mit der jetzt die schwierigsten Fragen der deutschen Politik und der europäischen Zusammenarbeit behandelt worden sind, läßt uns befürchten, daß wir dahin kommen.
Nun ist dem Herrn Bundeskanzler in seiner Darstellung der Schreiben vom 1. 11. und vom 7. 11. insofern ein Irrtum unterlaufen, als er nach seinem ersten Schreiben vom 1. 11. durchaus die Möglichkeit gehabt hätte, mich oder die beiden anderen Herren, die Vorsitzende der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion sind, zu unterrichten. Alle drei waren wir in der Zeit vom 1. bis 5. 11. in Bonn anwesend.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Ich glaube, die vier Tage nach dem Ersten des Monats werden auch einem vielbeschäftigten Regierungschef die Möglichkeit gegeben haben, uns in dieser Richtung zu informieren.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Aber, meine Damen und Herren, das ist ja gar nicht der entscheidende Punkt. Es handelt sich nicht um die persönliche oder meinetwegen auch parteitaktische Ästimierung einzelner Faktoren unserer deutschen Bundespolitik. Es handelt sich darum, daß hier eine Reihe von Problemen aufgeworfen und behandelt worden ist, daß die Lokomotive in eine Fahrtrichtung gesetzt worden ist, von der der Herr Bundeskanzler weiß, daß sie von weiten Teilen des deutschen Volkes nicht als richtig angesehen wird.

(Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

Außerdem ist der Inhalt der beiden Schriftsätze an die Hohen Kommissare nicht der alleinige Bestandteil der Verhandlungen in Paris gewesen. Er ist durch eine Reihe von Äußerungen des Herrn Kanzlers, des Herrn Vizekanzlers, des Herrn Wirtschaftsministers und einiger anderer Persönlichkeiten ergänzt gewesen. Sie alle haben Äußerungen getan, die wesentlicher Bestandteil der Pariser Verhandlungen gewesen sind. Wenn sich der Herr Bundeskanzler sehr dezidiert zu dem Ruhrstatut und der Notwendigkeit des Eintritts Deutschlands in die Ruhrbehörde geäußert hat, wenn er seine Meinung über die gleichzeitige Beteiligung Deutschlands und des Saargebiets im Europarat ausgesprochen hat, dann, meine Damen und Herren, war das alles ein bedeutsamer und die Deutschen weitgehend verpflichtender Bestandteil der Beratungen der alliierten Außenminister in Paris. Tatsächlich haben sie diese Materie ja auch in dem Rahmen der in den beiden Schriftsätzen des Herrn Bundeskanzlers gestellten Themen behandelt.
Der Regierung möchte ich sagen: Man kann nicht an den Burgfriedensgeist appellieren, wenn man selbst dauernd Reden hält, die bestimmte Tendenzen aufweisen, und durch Interviews oder ähnliche Äußerungen die Materie formt und beeinflußt.

(Zustimmung bei der SPD.)

Ich glaube, der englische „Observer" hat die Situation der Bundesregierung deutlich charakterisiert, als er diese Politik der Bundesregierung ein großes politisches Risiko nannte.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Ich glaube, daß das Parlament dieses Risiko hätte ausschalten können und vielleicht auch heute noch in einigem vermindern kann. Das Selbstbewußtsein des Parlaments in einer funktionierenden Demokratie verlangt eine entscheidende Stellungnahme. Es ist sehr interessant, daß in dem vielleicht nicht sehr klaren Kommuniqué der Herren Außenminister von der Notwendigkeit der Demokratie in Deutschland gesprochen wird. Der Zustand, in dem wir diese Probleme jetzt diskutieren, ist kein demokratischer Zustand.

(Beifall bei der SPD.)

Er bedeutet für uns eine beträchtliche Schmälerung des politischen Vertrauenskredits unseres neuen Staatswesens. Ich muß dem Herrn Bundeskanzler für meine Fraktion, aber wahrscheinlich auch für weite Kreise über den Rahmen sozialdemokratischer Wählerschaft hinaus den Vorwurf machen, daß uns diese Methode der Geheimpolitik sachlich nicht vorwärtsgebracht hat, aber formal den verschiedensten Mißdeutungen des Auslandes aussetzt. Ich sagte, meine Damen und Herren: Geheimpolitik. Ich habe nicht gesagt: Kabinettspolitik; denn ich habe den Eindruck, als ob auch sehr viele Mitglieder des Kabinetts in dieser Phase der Dinge noch nicht sehr viel gewußt haben.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Wir Sozialdemokraten haben uns stets eindeutig für den menschlichen und kulturellen Stil des Westens entschieden. Wir haben uns nicht anders entscheiden können, weil diese Entscheidung unserem geistigen Herkommen und unserer Art, zu denken und zu fühlen, angemessen ist. Aber wir haben von weiten Kreisen, die jetzt in dieser Frage die Politik des Herrn Bundeskanzlers stützen möchten, bittere Vorwürfe über die Einseitigkeit, über das zu stark Pro-Westlerische unserer Entscheidung zu hören bekommen. Ich möchte deshalb über den Rahmen des Hauses hinaus folgendes zur Klärung der Situation in Deutschland sagen: Hüten


(Dr. Schumacher)

Sie sich, die Sozialdemokratie nationalistisch zu
sehen, wie das bei einigen Neueuropäern üblich ist;

(Sehr gut! bei der SPD)

Sie verspielen sonst einen großen Trumpf, den das ganze deutsche Volk heute schon braucht und vielleicht in Zukunft noch sehr viel stärker brauchen wird.

(Bravo! und Händeklatschen bei der SPD.)

Es ist nämlich heute - und das ist das Schlimme in der deutschen Öffentlichkeit — eine Reihe von Leuten in der Lage, sich in einem Teil der Presse neueuropäisch zu äußern, die noch vor wenigen Jahren die Sozialdemokraten vaterlandslose Gesellen und Landesverräter genannt haben.

(Zuruf rechts: Olle Kamellen!)

— Ja, aber olle Kamellen, die in der deutschen Geschichte furchtbares Unheil angerichtet haben.

(Erneutes Händeklatschen bei der SPD.)

Wenn Sie aber, verehrter Herr Zwischenrufer, mit der Bemerkung „olle Kamellen" jene von mir gekennzeichnete Argumentation gegen die Sozialdemokratie meinen, so werden Ihnen meine Fraktion und ich von Herzen zustimmen.
Die Neueuropäer sind uns aber ebenso verdächtig wie die Neodemokraten und wie die neuesten Fanatiker der Sozialpolitik, die bisher jede Gelegenheit haben vorübergehen lassen, um sich auch praktisch durch sozialpolitisches Handeln zu betätigen. Meine Damen und Herren, die Kreise, die heute die Träger der neoeuropäischen Agitation sind, sind doch dieselben Kreise, die schön im Kaiserreich und in der Republik Gelegenheit zum Abschluß von großen Wirtschaftsabkommen speziell zwischen den Kräften der Schwerindustrie in den Ländern Frankreichs und Deutschlands gehabt haben.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Diese Wirtschaftsabkommen haben diese Herrschaften noch nie daran gehindert, auch ganz solide und verdienstreiche Kriege gegeneinander zu führen.

(Zuruf rechts,)

Werte Versammlung, es macht auf das deutsche Volk einen peinlichen Eindruck, wenn dieselben Teile der Unternehmerschaft, die auf einmal in Internationalität machen, zur gleichen Zeit gegenüber dem eigenen Volk etwa das Mitbestimmungsrecht der Arbeitenden verweigern.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Bei der Diskussion über das heutige Europa, das praktisch in Frage kommt, muß man teilen. Es handelt sich nicht um das ganze Europa. Die russisch-totalitäre politische Aggression hat Europa gespalten. In diesem gespaltenen Europa haben wir noch die Absentierung der beiden Länder der Pyrenäenhalbinsel und die schmerzliche halbe oder noch weitergehende Fernhaltung Großbritanniens und in gewissem Abstand auch Skandinaviens. Trotzdem erklären wir unseren guten Willen zu den heutigen europäischen Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Frankreich, den Staaten der Benelux-Konvention und Italien. Einfach deswegen, weil wir die Tendenzen unterstützen wollen, die über das Nationalstaatliche und Nationalwirtschaftliche hinausgehen.

(Bravo! und Händeklatschen bei der SPD.)

Die Überspannung der nationalistischen Residuen
in der europäischen Staats- und Wirtschaftspolitik
ist die einzig wirkliche Gefahr, von der aus der gute Wille der amerikanischen Hilfe bedroht werden könnte.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, ich fürchte, daß wir uns bei dieser Aussprache oft derselben Worte bedienen und dabei einen ganz anderen Sinn im Auge haben. Die Idee der Vereinigten Staaten von Europa ist in ihrer inneren Tiefe und äußeren Weite eine Idee von großer Tradition. Aber es ist die Tradition der Freiheit und der Völkerversöhnung und nicht die Tradition der europäischen Schwerindustrie.

(Erneutes Händeklatschen bei der SPD.)

Diese Idee schöpft ihre Lebenskraft aus der Politik der Versöhnung der Völker und des Friedens für die Völker. Sie ist nicht die Idee einer Gruppe, die aus ihr wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen in der Lage ist.
Wenn wir uns in dieser Stunde zur Notwendigkeit des Gefühls der Sicherheit bei allen Völkern Europas bekennen, müssen wir uns bemühen, den Gedanken der Sicherheit auch von seinen macht-und profitpolitischen Schlacken zu reinigen. Mit der großen Notwendigkeit und der moralischen Kraft der Sicherheitsidee wird sehr viel zugedeckt, was gar nichts mit Sicherheit zu tun hat. Wenn wir die Sicherheitsforderungen anderer Länder gegenüber einem neuentstehenden Deutschland betrachten, müssen wir sagen: Diese Sicherheitsforderungen werden am besten durch eine Politik befriedigt, die gewillt ist, im neuen Deutschland nichts zu verbergen.

(Sehr gut! und Händeklatschen bei der SPD.)

Wir haben nichts zu verbergen, und wir wollen nichts verbergen. Wir wollen gegen den nationalistischen Unfug solcher Menschen ankämpfen, die nach dem ersten Weltkrieg jede Durchführung der Sicherheitsmaßnahmen als Landesverrat anzuprangern bereit waren.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, da werden sehr viele Herrschaften, die heute noch gewillt sind, in der Regierungspolitik Adenauers einen neuen Absprung zu sehen, in wenigen Jahren permanent ihr Befähigungsexamen abzulegen haben.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Deswegen erklärt die sozialdemokratische Fraktion: Wir sind nicht nur für die Anerkennung, nicht nur für das bloße Zusammenarbeiten mit der alliierten Sicherheitsbehörde; wir wünschen die Stärkung aller Kontrollmaßnahmen, wir wünschen eine starke Sicherheitsbehörde in Deutschland. Darüber hinaus sagen wir den Völkern Europas: Sicherheit kommt nicht aus der Zerstörung. von Maschinen und nicht aus einer Politik der bloßen Niederhaltung; Sicherheit wird getragen von lebendigen Menschen, von ihrem Friedenswillen und ihrem Vertrauen in die Zukunft.
Der Auswärtige Ausschuß der französischen Nationalversammlung hat vor einiger Zeit beschlossen, die Regierung zu ersuchen, in der deutschen Frage keine Verpflichtungen einzugehen bis zur großen parlamentarischen Debatte über die französische Außenpolitik, die am 22. November beginnt. Gegenüber dieser akzentuiert festen Haltung, glaube ich, ist der Inhalt der Interviews speziell des Herrn Bundeskanzlers nicht das notwendig sichere Fundament, auf dem eine neue deutsche


(Dr. Schumacher)

Außenpolitik sich aufbauen könnte. Sehen Sie bitte, Herr Bundeskanzler, Sie haben in diesem Interview im speziellen bezüglich der Ruhr und der Saar vorbehaltlos alles das in einem Umfang angeboten, was nicht einmal am Ende der Verhandlungen möglich wäre.

(Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Dr. von Brentano: Dann haben Sie das Interview nicht gelesen!)

Das ist ein Mehr gegenüber dem, was Deutschland auch bei Dokumentierung seines guten Willens zuträglich ist. Man spricht mit Recht von der Notwendigkeit der Opfer. Aber wenn wir davon sprechen, dürfen wir nicht übersehen, was tatsächlich schon geopfert worden ist,

(Sehr richtig! bei der SPD)

wenn auch sehr oft in den Formen der bloßen Wegnahme, die uns die Dokumentierung eines guten deutschen Willens gar nicht erlaubt hat. Aber die europäische Idee und das Vertrauen der Völker werden entwertet, wenn Europa zum Vorwand für hegemoniale Macht- und Staatspolitik wird.
Demgegenüber ist festzustellen, daß die Faktoren, die zum Stadium der Einigung und des Vertrauens in Europa kommen sollen, nicht in erster Linie die ökonomischen Machthaber sind. Zur Einigung und zum gegenseitigen Vertrauen kommen sollen die Völker Frankreichs und Deutschlands. Es handelt sich hier um eine Angelegenheit der ganzen Völker und nicht um eine Frankreich-DeutschlandAG.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Darum ist eine bloße Annäherung in dieser ökonomischen Oberschicht keine Verständigung, wie o sie das deutsche Volk will, und erst recht keine Verständigung, wie sie das französische Volk will. Diese Verhältnisse tragen in sich die große Gefahr, daß sie nicht die Überwindung des Nationalismus, sondern die Erweckung eines neuen Nationalismus sind. Betrachten Sie Fragen von dieser Bedeutung, die die Struktur Europas zu ändern in der Lage sind, bitte nicht unter dem Gesichtspunkt der Tagespolitik allein. Was heute verhandelt wird, das ist keine Angelegenheit von heute, das ist eine Angelegenheit von morgen und übermorgen.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Die Totalität der Angebote, wie sie aus dem Geist des „Zeit"-Interviews hervorgeht, bedeutet die Gefahr, daß die Politik, die jetzt etabliert wird, in den Möglichkeiten der Revision behindert wird. Sie bedeutet die Gefahr, daß irreparable Zustände auch auf Gebieten geschaffen werden, auf denen wir sie auf längere Zeit zu tragen nicht in der Lage sind. Man sollte die Diskussion über diese Probleme einbetten in die Aussprache über das französisch-deutsche Verhältnis überhaupt; das erschöpft sich nämlich nicht in den Fragen des Ruhrstatuts und der Saar.
Aber bevor ich einen kurzen Versuch in dieser Richtung mache, lassen Sie mich bitte ein menschliches Wort sagen. Sie wissen, wie sehr das Schicksal der Kriegsgefangenen, die Häufung der Leiden, die diese Menschen aushalten und die ihre Angehörigen in unserem Lande mit tragen, die deutsche Öffentlichkeit und die Menschen in unserem Lande bewegt. Es ist eine große Sache, wenn deutsche Initiative die Rückkehr unserer Kriegsgefangenen aus dem Osten beschleunigt oder ihre Behandlung verbessert. Aber vergessen wir die anderen Kriegsgefangenen nicht. In der Psychose der Vergeltung
nach der Liquidation des Hitler-Krieges sind in Frankreich eine große Anzahl von militärgerichtlichen Urteilen gegen deutsche Kriegsgefangene gefällt worden, die wohl nicht immer den Tatbestand gerecht beurteilt haben, in der großen Überzahl der Fälle aber im Strafmaß, das gleich nach Jahrzehnten bemessen worden ist, über das menschlich Erträgliche hinausgegangen sind. Das war speziell so in den Jahren 1945/46. Betroffen worden sind fast nur die kleinen Leute, die Mannschaften. Es ist unter den Verurteilten, die heute noch sitzen, nur ein einziger Oberst und kein einziger General.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Sie sehen, meine Damen und Herren, die Gewerkschaft der Generale ist die einzige internationale Gewerkschaft, die wirklich funktioniert.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

ich hoffe, das französische Volk und seine Regierung werden für eine deutsche Bitte auf Nachprüfung dieser Urteile Verständnis haben. Ich richte im Namen meiner Fraktion an den Herrn Bundeskanzler den Wunsch, in dieser Hinsicht tätig zu werden.
Bei dieser Auseinandersetzung um das deutschfranzösische Verhältnis haben wir jetzt auch offiziell vom Herrn Bundeskanzler gehört, daß seiner
Note vom 7. November ein Schriftsatz der Verenigten Stahlwerke beigefügt gewesen ist. Ich will
seinen Inhalt nicht wiederholen. Ich halte es nicht für richtig, daß am Beginn der deutschen Außenpolitik eine wirtschaftliche Vereinigung von Unternehmungen in die Rolle eines Teils der Träger der deutschen Außenpolitik kommt.

(Sehr wahr! und Beifall bei der SPD.)

Die Situation wird nicht dadurch verbessert, daß der Schriftsatz mit seinem Begehren ausländischer Kredite in Höhe von 225 Millionen D-Mark von dem Herrn Bundeskanzler gewissermaßen unbesehen und bestimmt ohne Nachprüfung akzeptiert worden ist. Bei einem Schritt von einer solchen Bedeutung haben private Firmen nichts zu tun und auch nicht in die Nähe der Trägerschaft einer politisch-diplomatischen Aktion zu kommen.

(Sehr gut! und Beifall bei der SPD.)

Denn diese Innigkeit diskreditiert die Politik der Bundesregierung nach innen und außen.
Gegenüber großen Teilen der westdeutschen Schwerindustrie ist zu sagen, daß es keinen Teil des deutschen Volkes gibt, dessen Führungsanpruch so wenig begründet ist wie der Anspruch dieser Kreise.

(Zustimmung und Beifall bei der SPD.)

Sie haben ihre Beiträge zu verschiedenen Katastrophen der deutschen und der europäischen Geschichte geleistet, und wir wollen die Ausschaltung dieser politischen Einflüsse.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Um so mehr bedauern wir die Beifügung dieses Begehrens in der Form, daß der Herr Bundeskanzler ihm das Zeugnis gegeben hat, es könnte die Grundlage für Verhandlungen bilden. Nein, meine Damen und Herren! Ich glaube, hier geht es nicht um die Interessen der Verflechtung und der Kooperation der westeuropäischen Montanindustrien. Wir haben gar keine Veranlassung, irgendeinem Teil der schweren Industrien bei seinem Kampf um die Quote zu assistieren. Es ist die Politik, erst einmal „mit dabei zu sein", wie es jetzt die deutschen Stahlindustriellen wollen. Nach den Erfahrungen,


(Dr. Schumacher)

die diese Herren nach dem Ruhrkampf von 1923 haben sammeln müssen, und nach der ablehnenden Haltung wichtiger Teile des deutschen Volkes gegenüber ähnlichen Wünschen auf Aufkündigung der Kooperation mit den Alliierten im Sommer 1948, nach all dem dürfen ihre Wünsche nicht Bestandteil oder nicht einmal Gegenstand bevorzugter Förderung der Politik der deutschen Bundesregierung werden. Wenn die Vereinigten Stahlwerke ihre Sorgen haben, speziell gegenüber Frankreich, so mag ihr Pendant in Frankreich, so mag das Comité des Forges ihr Partner sein. Aber auf deutscher Regierungsseite haben sie weder offiziell noch offiziös noch halboffiziös etwas zu suchen. Ich glaube, daß die Position der schweren Industrien in Frankreich nicht so stark ist, daß man dort geneigt wäre, den Teil des Schrittes des Herrn Bundeskanzlers zu akzeptieren, der von den Gutachten der Vereinigten Stahlwerke getragen wird.

(Abg. Dr. Schröder: Und wie denken Sie über die August-Thyssen-Hütte?)

— Ich komme darauf, wenn es Ihnen möglich ist, zu warten.
Diese Politik kommt in Widerstreit zu den Interessen der Völker. Es geht um den Einbau des deutschen Staatswesens und des deutschen Volkes in Europa und nicht um wirtschaftliche Interessen einzelner schwerer industrieller Gruppen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich eine Frage an den Herrn Bundeskanzler richten: Herr Bundeskanzler, halten Sie es für angemessen, daß beim Empfang des amerikanischen Staatssekretärs des Äußeren ausgerechnet Herr Robert Pferdmenges unter den Anwesenden glänzte?

(Rufe: Aha! und Hört! Hört! links.)

Ich möchte die weitere Frage stellen: War Herr
Pferdmenges auch schon bei den Besprechungen im
Königshof oder bei irgendeiner anderen Gelegenheit anwesend? Denn wir wünschen die deutsche
Bundesregierung durch Mitglieder des Kabinetts
repräsentiert zu sehen, aber nicht durch Bankiers.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Denn, meine Damen und Herren, die Geschichte der Kölner Bankiers hat in der deutschen Politik so einen besonderen Beigeschmack.

(Sehr gut! und Beif all bei der SPD.) Angefangen hat das mit Louis Hagen, fortgesetzt ist das worden mit dem Baron von Schröder. Ausgerechnet Herr Robert Pferdmenges mit seinen Meriten um den Wahlkampf gewisser Regierungsparteien und um das Zustandekommen dieser Regierung scheint uns nicht geeignet zu sein, in dieser Repräsentation gegenüber dem Ausland zu funktionieren.

Nun ist als Gegenleistung für gewisse geplante Konzessionen die Demontage ins Feld geführt worden. Aber konkretisieren wir uns! Der Stop der Demontage der verbotenen Industrien kommt nach den Erklärungen verantwortlicher Staatsmänner des Westens überhaupt nicht in Frage. Es handelt sich hier nur um die Demontage von Industrien, die für Reparationen in Rechnung gestellt waren. Wir möchten dem Herrn Bundeskanzler den Vorschlag machen, bei den Verhandlungen diese Frage auf der Grundlage eines deutschen Vorschlags, einer provisorischen internationalen Sicherstellung unter internationaler Verwaltung aller dieser strittigen Objekte, aufzugreifen. Wir haben also als Gegenleistung nicht einen Demontagestop; wir haben einen Stop für Teile der für die Demontage bestimmten Betriebe. Und auch da wird ja der Gegenwert mit jedem Tage weiter gemindert.
Dem Herrn Bundeskanzler möchte ich sagen, daß seine Informationen über Unterhaltungen sozialdemokratischer Politiker mit Mr. McCloy nicht richtig gewesen sind. Ich bin übrigens erstaunt, daß Unterhandlungen zwischen deutschen Politikern mit auswärtigen Staatsmännern Gegenstand der öffentlichen Besprechung — ich hoffe, daß das keine Gepflogenheit wird — durch Träger anderer politischer Meinung werden.

(Sehr richtig! bei der SPD. — Zuruf: Das gilt auch für Sie!)

— Sagen Sie mir bitte ein Beispiel, wo ich dagegen verstoße.

(Abg. Dr. Wuermeling: Gerade eben!)

— Sie täuschen sich!
Ich möchte dem Herrn Bundeskanzler sagen, daß seine Darstellung in allen Punkten objektiv unrichtig ist. Wir haben bezüglich der AugustThyssen-Hütte mit Mr. McCloy gesprochen; nicht über die August-Thyssen-Hütte im ganzen und etwa ihre Auslieferung an auswärtige Einflüsse, sondern über die Teile, die Anlagen der AugustThyssen-Hütte, die für die Demontage bestimmt waren.

(Zurufe von der Mitte.)

Wir haben uns dabei ausdrücklich auf den Humphrey-Bericht bezogen, die beste internationale Beurteilung der deutschen Demontagesituation, die es überhaupt gibt. Wir haben von der Übergabe dieser Anlageteile an Länder, die Reparationsgläubiger sind, gesprochen. Aber wir haben mit keinem Wort von einem Engagement fremden Kapitals für die August-Thyssen-Hütte oder für irgendein anderes Werk gesprochen.

(Lachen in der Mitte und rechts.)

Das, meine Damen und Herren, wird Ihnen schon einleuchten für den Fall, daß Sie gewillt sind, sich mit der Materie bekanntzumachen.
Bei der Aufzählung des Herrn Bundeskanzlers habe ich — ohne ihm deswegen Vorwürfe machen zu wollen — eine Reihe von Firmen vermißt, bei denen die Demontagen auch verlangsamt werden, nämlich die ganzen Firmen der Fischer-TropschAnlagen, besonders Bergkamen, die ungemein wichtigen Hochfrequenzwerke Tiegel-Stahl Bochum. Ich habe von Hattingen und Watenstedt-Salzgitter nichts gehört.
Meine Damen und Herren! Sie werden mit Recht sagen, man kann nicht alles bekommen. Aber man muß doch die Schrumpfung dieses Äquivalents gerechterweise auch wägen, wenn man so entscheidend wichtige strukturverändernde Faktoren wie die Saar und die Ruhr hier zur Diskussion stellt.
Ich frage die Bundesregierung: Wo zeigt sich bei diesen Verhandlungen die geplante politische Initiative? Was verstehen der Herr Bundeskanzler und sein Vizekanzler unter den Opfern? Was gibt es eventuell an Äußerungen über Bereitschaft, zu opfern, die der Herr Vizekanzler bereits in Paris gemacht haben könnte? In welchem Umfang hat sich der Herr Wirtschaftsminister in seinen Unterhandlungen und Unterhaltungen mit auswärtigen Partnern geäußert?
Meine Damen und Herren! Konzentrieren wir uns einmal auf die Punkte, die das deutsche Volk jetzt entscheidend interessieren, weil sie für die Zukunft und Entwicklung der deutschen Demokratie und des deutschen Soziallebens von ent-


(Dr. Schumacher)

scheidender Bedeutung sind. Ich frage vorweg: Ist der Herr Bundeskanzler bereit, jetzt oder bei den kommenden Verhandlungen einmal den Versuch zu machen, die Politik des Junktim, die Politik der Koppelung und der gegenseitigen Abhängigmachung von ganz verschiedenen Faktoren zu bekämpfen und für ihre Überwindung bei den Alliierten zu wirken? Sie haben eben von der gegenseitigen Abhängigmachung des Eintritts in die Ruhrbehörde und der Demontage gehört. Wir kennen das andere Junktim von der Bindung von Sicherheit und Wirtschaftspotential und das dritte Junktim von Europarat und Saargebiet.
Meine Damen und Herren, wir müssen aus dieser Atmosphäre heraus, und wir müssen den Menschen dieser Welt ganz offen sagen, daß es nichts gibt, was den guten Willen mehr gefährdet und zerstört als die Politik des gleichzeitigen Gebens und Nehmens. Wir kommen in eine Entwicklung, in der das Tempo, sagen wir einmal, von dem Gesetz der Echternacher Springprozession bestimmt werden kann. Das ist keine gute Sache.
Wenn der Herr Bundeskanzler und wenn das deutsche Volk uns fragen, was wir zu den realen Vorschlägen bezüglich der Saar, bezüglich der Ruhr und bezüglich der ausländischen Kapitalbeteiligung in der von dem Herrn Bundeskanzler angeschnittenen Form meinen, so sagen wir: unsere Haltung demgegenüber ist ein klares eindeutiges Nein! Über kurz oder lang wird nach meinem Eindruck die Bundesregierung von den Organisationen der Schaffenden — sie mögen sich sonst politisch gruppieren, wo auch immer sie wollen — folgendes hören: daß eine starke Einflußnahme ausländischen Kapitals gerade auf dem Gebiet der Kohlen., der Kokswirtschaft, der Stahl- und Eisenindustrie die größte Gefährdung ist, die sich die arbeitenden Menschen in Deutschland vorstellen können.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Aber unsere Haltung zu den Vorschlägen des Herrn Bundeskanzlers, auch wenn sie Bestandteile der beiden Interviews sind, erschöpft sich nicht in einem bloßen Nein. Wir sagen bei der Fixierung des deutschen Standpunktes offen unsere Meinung. Wir sind der Ansicht, daß bei diesen Interviews der Herr Bundeskanzler die Stärke der deutschen Position in Europa nicht richtig eingeschätzt hat.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Es gibt in Europa viel mehr guten Willen für das Verstehen gewisser deutscher Standpunkte, als er annimmt. Nicht etwa, weil man gelernt hat, die Deutschen zu lieben. Überall dort hat man Verständnis, wo man sich ein krisenfestes, vom guten Willen der Völker getragenes Europa wünscht.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler mag nur an die Erfahrungen im letzten Frühjahr denken. Auch da haben viele Mitglieder des damaligen Parlamentarischen Rates und viele Vertreter der deutschen politischen Öffentlichkeit gemeint, es sei nichts zu erreichen. Aber es war sehr wohl bei der richtigen Einschätzung der deutschen Situation etwas zu erreichen.
,(Zustimmung bei der SPD.)

Ich glaube, heute sind die Herren der Bundesregierung den Sozialdemokraten in stillen Stunden dankbar. Wenn wir nicht das Minimum an staatspolitischer Potenz in das Grundgesetz hineingedrängt hätten, dann würden die Herren auf der
Regierungsbank nicht so funktionieren können, wie sie bald zu funktionieren hoffen.

(Zustimmung bei der SPD. — Lachen bei der CDU.)

Bezüglich des Ruhrstatuts möchten wir Sozialdemokraten der Bundesregierung und im speziellen dem Herrn Bundeskanzler, der ja die beschränkten auswärtigen Geschäfte unseres Landes wahrnimmt, folgende Vorschläge machen. Der Artikel 2, der so tut, als ob neben den Signatarmächten Deutschland heute bereits Mitglied sei, soll hier nur insoweit knapp untersucht werden, als wir ihn in Verbindung mit Artikel 9 Buchstabe c bringen. Dort wird noch ausdrücklich betont, daß Deutschland die Möglichkeit habe, auf zwei Wegen in die Ruhrbehörde zu kommen, nämlich entweder durch Beitritt oder — wie es dort nicht ohne Geheimnis heißt — „auf andere Weise". Ich frage den Herrn Bundeskanzler, ohne ihm in diesem Punkte a priori eine bestimmte Absicht zu insinuieren: Hat man in Kreisen der Bundesregierung diese Formulierung „auf andere Weise" schon durchdacht? Wie steht man zu ihr? Sieht man in ihr einen möglichen Weg, und ist hier nicht möglicherweise der Grund zu gewissen Geheimniskrämereien zu suchen? Wir würden in dieser Beziehung gern Klarheit haben; denn von der Behandlung des Artikels 9 Buchstabe c hängt sehr viel ab und wird, glaube ich, bald auch sehr viel bezüglich der Möglichkeiten der Herstellung eines zukünftigen Vertrauensverhältnisses zwischen den einzelnen Faktoren in Deutschland abhängen.
Der Artikel 15, der noch über die Generalklausel des Artikels 31 hinaus seine Gefahren hat, ist ein Artikel, bei dem meines Erachtens jede deutsche Regierung den Versuch machen müßte, ihn aus dem Ruhrstatut herauszubringen. Dieser Artikel 15 macht für gewisse Fälle die Ruhrbehörde zu einer auch staatsrechtlich souveränen Instanz, obwohl ihr dieses Prädikat aus dem Charakter einer Wirtschaftsbehörde nicht zukommt. Sie kann für die deutsche Bundesrepublik eine höhere Bedeutung gewinnen, als sie die Bundesregierung zur Zeit hat. Ich glaube, keine deutsche Regierung kann sich mit diesem Artikel 15 abfinden.
Zu Artikel 19 wäre zu untersuchen, was damit gemeint ist, wenn von der Möglichkeit gesprochen wird, daß die Ruhrbehörde einmal Leitung und Verwaltung von Kohle, Koks und Eisen in die Hand bekommen kann. Welche Garantien will sich die Bundesregierung von den Alliierten gegen diese für uns leicht gefährlichen Möglichkeiten auf dem Verhandlungswege erkämpfen?
Meine Damen und Herren, die Diskussion des Ruhrstatuts in Deutschland ist nicht möglich ohne die Klärung gewisser Fragen. Vor allem geht es um eine andere Verteilung zwischen Kontrolle und Verwaltung. Eine fremde Verwaltung in einem überheizten Kessel des Industriegebiets mit fast 6 Millionen Einwohnern fügt zu den sozialen Spannungen noch adäquate nationale Spannungen hinzu und ist darum ein Gefahrenherd. Dieser Frage kann man nicht aus dem Wege gehen; diese Frage muß man gegenüber den westlichen Alliierten mit klarem Ziel anschneiden.
Sehr bitter hat es die arbeitenden Menschen in Deutschland, speziell die Kumpels an der Ruhr berührt, daß über alle Materien im Ruhrstatut Entscheidungen getroffen worden sind, aber von den


(Dr. Schumacher)

Menschen, die diese Werte schaffen, mit keiner Silbe die Rede ist.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Wir Sozialdemokraten fragen die Bundesregierung, ob sie es im Interesse der Lebenshaltung der Massen und der sozialen Befriedung im Ruhrgebiet nicht für richtig halten würde, die Gewerkschaften national und international in die Ruhrbehörde und ihre Leitung einzuschalten.

(Zustimmung bei der SPD.)

Für uns Sozialdemokraten ist noch die Klärung einer weiteren Frage notwendig. Das Ruhrstatut umgeht diese Frage, aber wir greifen sie auf. Wir wünschen die Klärung dieser Frage und damit die Stabilisierung des Rechtes des deutschen Volkes auf Regelung der Eigentumsfrage der Schwerindustrie im Ruhrgebiet.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Wir müssen die Einseitigkeit der Internationalisierung mit allen ihren schlimmen ökonomischen, sozialen und psychologisch-politischen Folgen gleich am ersten Tage zur Diskussion stellen. Wir können diese Fragestellung nicht aufgeben. Wir können von dem Kampf für europäische Internationalisierung der westeuropäischen Schwerindustrie nicht Abstand nehmen. Wenn der Herr Bundeskanzler von seinen Büchsenspannern recht bedient ist und alle Informationen bekommt, die sich von wichtigen Persönlichkeiten und Publikationsorganen des Auslandes herleiten lassen, dann muß er doch zugeben, daß ein Eintreten für die Revision einiger wichtiger Bestimmungen des Ruhrstatuts durchaus nicht ohne Aussicht ist. Wir halten diese bedingungslose Vorwegakzeptierung des Ruhrstatuts in seiner heutigen Gestalt für falsch. Wir warnen, sich hundertprozentig für einen Status zu engagieren, der durch neue Viermächteabkommen jeden Augenblick über den Haufen geworfen werden kann.

(Sehr wahr! bei der SPD. — Zurufe von der KPD.)

— Aber den Kommunisten, die sich da anscheinend rühren wollen,

(Heiterkeit)

möchte ich eins sagen: Meine Herren, Sie sind weder eine deutsche Partei noch eine internationale Partei.

(Zuruf von der KPD: 011e Kamellen!)

— Machen Sie mir keine Zwischenrufe; wenn der Herr Semjonow das erfährt, schmeißt er Sie aus der Partei heraus.

(Heiterkeit.)

Sie kämpfen ja nicht, wie Ihre Agitationsvokabeln lauten, für eine deutsche Ruhr, Sie kämpfen für die russische Kontrolle der Ruhr, und gerade dagegen sind w i r !

(Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

Meine Damen und Herren! Wir müssen zur ausländischen Kreditgewährung und zum Eintritt in die Ruhrbehörde offen eins sagen: Unbestreitbar — und im Auslande viel offener als bei uns diskutiert — sind die verderblichen Gruppeninteressen! Diese Gruppeninteressen sind gewillt, nationale Notwendigkeiten und gesunde Prinzipien der europäischen Zusammenarbeit zu gefährden, um ihre Ziele zu erreichen. Diese Ziele sind die Verhinderung der Sozialisierung

(Sehr richtig! bei der SPD)

und die Abschaffung des Gesetzes Nr. 75.

(Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

Es haben auch schon einige unvorsichtige Herrschaften in Deutschland in Zungen geredet. Wir hoffen, daß die Westmächte klug genug sind, sich nicht so einseitig gegen den Willen und die Interessen der arbeitenden Klasse in Deutschland zu engagieren. Wir sind auch der Meinung, daß die Versuche der deutschen Industriepartei, die in vielen Fraktionen dieses Hauses Einfluß zu nehmen sich bemüht, auf Abschaffung des Gesetzes Nr. 75 an der Einsicht der westlichen Alliierten scheitern werden. Nicht alle Blütenträume des Kapitalismus reifen, auch wenn er sich international gebärdet.
Nun, meine Damen und Herren, haben wir die andere große Frage, die Saarfrage. Über die Saarverfassung und ihr Zustandekommen möchte ich im Interesse der Erleichterung französisch- deutscher Gespräche hier nicht im einzelnen reden. Aber das Volk an der Saar hat bis heute noch nicht die Möglichkeit gehabt, seinen Willen auszudrücken.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Wir müssen, wenn es nicht anders geht, als ultima ratio die alliiert oder international kontrollierte Volksabstimmung des Saarvolkes über seinen politischen Status erreichen.
Es geht hier konkret darum, ob die deutsche Bundesrepublik damit einverstanden sein soll, daß mit ihrer Aufnahme in den Europarat die gleichzeitige Aufnahme des Saargebietes verbunden sein soll. Nun; in der Verfassung der Saar steht ausdrücklich, daß der französische Außenminister die auswärtigen Interessen des Saarlandes vertritt. Wenn aber der französische Außenminister das nicht für opportun hält, nun, meine Damen und Herren, dann ist die Frage, die wir an. den Bundeskanzler richten möchten, die: Ist er bereit, unsern Vorschlag zu akzeptieren, die Vertretung der Saar im Straßburger Europarat innerhalb der deutschen Delegation vornehmen zu lassen?

(Bravorufe und Händeklatschen bei der SPD.)

Diese Vertretung kann ja ruhig von dem Parlament der Saar gewählt sein; sie soll aber Bestandteil der gesamtdeutschen Vertretung sein. Das würde dem tatsächlichen Status entsprechen; denn mit Ernst kann niemand in der Welt bestreiten, daß das Saargebiet politisch heute noch bei Deutschland ist.

(Bravorufen und Händeklatschen bei der SPD.) Im „Figaro" vom 9. 11. 1949 findet sich eine hochinteressante Bemerkung. Er schreibt:

Die These unserer Diplomatie ist juristisch außerordentlich fragwürdig; denn die Saar hat keineswegs den Charakter eines souveränen Staates.
Also gehört sie entweder in die Delegation Frankreichs oder, was wir für richtig halten würden, in die Delegation Deutschlands, aber sie gehört nicht in die Delegation der Saar.
Léon Blum hat die französische Forderung nach gleichzeitigem Eintritt des Saargebiets so charakterisiert: „Diese Forderung war weder angebracht noch berechtigt."
Ich glaube, Herr Bundeskanzler, daß Sie wie in der Ruhrstatutfrage auch in dieser Frage durch


(Dr. Schumacher)

eine etwas zu enthusiastische Politik des ungeprüften, des vollständigen und komplexen Angebotes die deutsche Situation außerordentlich erschwert haben. Dafür ist ein Zeugnis die Ihnen ganz bestimmt wohlgesonnene „Neue Züricher Zeitung" vom 1. 11. 1949, die sich mit der Frage beschäftigt: Warum steht auf einmal Großbritannien, das noch nie etwas Derartiges getan hat, neuerdings in der Behandlung der Saarfrage mindestens bezüglich der Vertretung in der Europadelegation auf der Seite Frankreichs? Und da schreibt die „Neue Züricher Zeitung":
Und da Adenauer sich rückhaltlos für die Teilnahme am Europarat aussprach, ohne seinerseits Bedenken und Einwände vorzubringen,

(Hört! Hört! bei der SPD)

sah Bevin eine günstige Gelegenheit, um sich dem seit einiger Zeit wegen anderer Fragen weidlich verstimmten Partner an der Seine erkenntlich zu zeigen.

(Erneute lebhafte Rufe bei der SPD: Hört! Hört!)

Nun, meine Damen und Herren, schon im Auslande ist man der Meinung, daß Deutschland seinen guten Willen nicht beeinträchtigen würde, wenn es bei gewissen lebenswichtigen Punkten Einwände und Bedenken vorträgt. Uns bleibt unverständlich, warum in der außenpolitischen Konzeption der Regierung Theorie und Praxis einer solchen Politik der notwendigen Einwände und Bedenken keinen Niederschlag finden. Dabei sollten die Herren der Bundesregierung über eins sich im klaren sein: sie laufen Gefahr, durch die Akzeptierung der gleichzeitigen Aufnahme Deutschlands und des Saargebietes in den Europarat nicht nur Westeuropa und die Position der Deutschen Bundesrepublik in Westeuropa zu beeinträchtigen, sondern auch die politisch-moralische Position der Deutschen im Kampf um die Rückgewinnung der Gebiete östlich der Oder und Neiße zu zerstören.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Ich habe in den letzten drei bis vier Monaten leider in einer Anzahl von deutschen Zeitungen bei der Behandlung dieser Frage, ohne Friedenszustand die angeblich vorläufige Loslösung des Saargebietes von Deutschland zu tolerieren, Argumente gehört, wie sie sonst von der SED bei der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Friedenslinie auch gebraucht werden.

(Zuruf rechts: Sie liefern die Argumente!)

Man sollte hier mehr Vorsicht und mehr Distanz halten. Es wäre eine durchaus würdige und auf Frankreich versöhnlich wirkende Haltung, wenn die deutsche Bundesregierung auf diese bedenkenlos einseitige Vorwegnahme von letzten Entscheidungen verzichten würde. Die ganze Politik der Angebote auf der Grundlage der Nichtäußerung von deutschen Wünschen und Notwendigkeiten führt zu einer Schwächung der deutschen Position, ohne die europäische Situation zu verbessern. Das scheint mir das Entscheidende zu sein — und das möchte ich dem Herrn Bundeskanzler, ohne präzeptorial sein zu wollen, doch sagen —: die Tragweite solcher Äußerungen wie im speziellen die Äußerungen in der Hamburger „Zeit" ist, scheint es, doch nicht mit vollendeter Richtigkeit eingeschätzt worden.
Nun, meine Damen und Herren, haben wir Sozialdemokraten auch noch einen dritten Beitrag in der positiven Planung im Verhältnis zu den anderen europäischen Ländern und beim Kampf um die Gewinnung des europäischen Vertrauens und des Vertrauens der Weltdemokratie. Wir meinen, die Bundesregierung sollte sich auf personalpolitischem Gebiet vor gewissen gewagten Experimenten mehr hüten, als sie das in den wenigen Wochen ihres Bestehens getan hat.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Bestimmt ist den maßgebenden Herren der Bundesregierung bekannt, daß einer der fünf Hauptpunkte auf der Pariser Außenministerkonferenz gewesen ist, welche Gefahren aus einer reaktionären Personalpolitik der neuen Bundesrepublik entstehen können.

(Zurufe rechts.)

Der Herr Bundeskanzler wird seine Informationen darüber spätestens heute bekommen haben. Hierbei sollte man nicht versuchen, sich aufs hohe Roß zu setzen. Eine falsche Besetzung eines verantwortlichen Beamtenpostens durch einen Mann, der im Ausland so oder so eine schlechte Nummer hat, richtet mehr Schaden an, als irgendein sachliches Entgegenkommen Vertrauen zu stiften in der Lage ist.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Man sollte sich hüten, durch die Einsetzung gewisser umstrittener Persönlichkeiten' in leitende Beamtenfunktionen die deutsche Autorität und die deutsche Widerstandskraft in einer Weise zu engagieren, wie man sie bei der Verteidigung der Lebensnotwendigkeiten territorialer und wirtschaftlicher Natur bei diesen Auseinandersetzungen bisher leider nicht gezeigt hat.
Dem Herrn Bundeskanzler wird auch bekannt sein, daß bei der notwendigen und von uns begrüßten Erweiterung der Kompetenzen der Bundesregierung diese Erweiterung nicht auf allen Gebieten zu erhoffen ist. Ich möchte den Herrn Bundeskanzler fragen, wie seine Informationen etwa in bezug auf die Wahrnehmung der Rechte alliierter Kommissare in Sachen der Auslandsvertretungen oder der höheren Polizeifunktionäre für die nächste Zukunft lauten. Es ist falsch, unser Volk hier zu engagieren. Richtig ist es, nicht um einzelner umstrittener Persönlichkeiten willen das Vertrauen des Auslandes zum guten demokratischen Willen des deutschen Volkes zu schmälern.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Diese Vorschläge der deutschen Sozialdemokratie sind durchaus realistisch, aber man kann sie nicht mit Passivität durchsetzen. Die Sozialdemokratie sieht in der Wahrung der Interessen der Nation den besten Beitrag und die beste Bezeugung des Respekts vor Interessen anderer Nationen. Die Sozialdemokratie hat vom Tage ihres Wiedererstehens an Deutschland europäisch aufgefaßt. Aber die Sozialdemokratie weiß, daß man jedes Volk zur internationalen Zusammenarbeit nur durch moralische, politische und soziale Selbstbehauptung erziehen kann.
Wir möchten nun der Regierung erklären, daß das, was sie bis jetzt an außenpolitischer Linie gezeigt hat, das schärfste Mißtrauen der Sozialdemokratie hervorgerufen hat.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Diese Politik gibt jetzt zum ersten Mal eine gewisse, wenn auch glücklicherweise noch entfernte Chance der gefährlichsten aller Allianzen in Deutschland: der Allianz von Nationalismus und Kommunismus. Wir müssen sagen, daß die Regierung in jeder Phase ihrer Politik die reale Aus-


(Dr. Schumacher)

nutzung der Möglichkeiten der Schaffung der deutschen Einheit nicht aus dem Auge verlieren darf. Wir erklären der Regierung, daß innen- und außenpolitisch die Frage der Ostzone und die Frage Berlin von entscheidendem Wert sind. Ich meine, wir haben Grund zu der Annahme, daß wir wieder in eine gefährliche Phase des Kampfes um das Berliner Bollwerk europäischer Demokratie kommen werden. Nicht immer sind die brutalen Phasen des Kampfes die gefährlichsten.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Wir haben hier im großen an einer Anzahl von entscheidenden Punkten unseren Plan der Verhandlungsmethode und des materiellen Inhalts der Verhandlungsziele aufgezeigt. Wir fragen die Regierung an Hand dieser konkreten Thesen, wie sie diese sozialdemokratischen Vorschläge konkret und positiv beantworten will. Noch sind gewisse Verhandlungsmöglichkeiten gegenüber dem bisherigen Status zu verbessern. Wenn eine Klärung der außenpolitischen Situation vor 14 Tagen erfolgt wäre, dann wäre der unsichtbare deutsche Partner am Pariser Verhandlungstisch erfolgreicher gewesen. Unsere Vorschläge sind aus der Überzeugung entstanden, daß jede deutsche Regierung, die ihrer nationalen und europäischen Aufgabe gerecht werden will, nach sozialdemokratischer Meinung so handeln müßte.

(Bravorufe und lebhaftes Händeklatschen bei der SPD.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101700600
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0101700700
Meine Damen und Herren! Ich habe von dem Vorschlag gesprochen, den die Herren Schumacher, Ollenhauer, Healer und Professor Baade Mr. McCloy im September die August-Thyssen-Hütte betreffend gemacht haben. Herr Dr. Schumacher hat gefragt, ob das eine Gepflogenheit werden solle, daß von ausländischen Staatsmännern — so sagte er — solche Mitteilungen weitergegeben werden.

(Abg. Dr. Schumacher: Nein, daß Sie sie verwerten!)

— Also, daß ich sie verwerte. Ja, verehrter Herr Kollege Schumacher, suchen Sie denjenigen, der diese Mitteilungen weitergegeben hat, unter den vier deutschen Teilnehmern der Verhandlung!

(Abg. Dr. Schumacher: Dann sind Ihre Vertrauensleute nicht in der Lage gewesen, diese Mitteilung zu verstehen!)

— Von Mr. McCloy weiß ich nichts, aber wenn deutsche Teilnehmer der Verhandlung diese Verhandlung weiter erzählen und es mir mitgeteilt wird, warum soll ich nicht davon Gebrauch machen?

(Abg. Dr. Schumacher: Sie haben eine falsche Form der Mitteilung erhalten!)

Ich habe Herrn Dr. Schumacher begründet, warum ich gerade den Vorschlag der Vereinigten Stahlwerke als Grundlage einer Erörterung weitergegeben habe. Die Stahlproduktionskapazität spielt eine große Rolle bei der Frage des Kriegspotentials. Die Vereinigten Stahlwerke produzieren 40 Prozent des deutschen Stahls, und gerade deswegen habe ich Herrn Kollegen Schumacher gesagt, daß der Gedanke einer Erörterung wert wäre, ob nicht das
ausländische Kapital, das wir zum Wiederaufbau der Industrie brauchen,

(Zuruf links: Das ist allerhand!)

gleichzeitig genützt werden könnte, um den Geldgebern einen Einblick zu geben, was mit dem Stahl geschieht.

(Zuruf links: Sind Sie Bundeskanzler oder Geschäftsminister?)

Meine verehrten Damen und Herren! Sie sind ja in einer besseren Lage als ich! Sie können reden, was Sie wollen, ohne daß Sie deswegen zur Verantwortung gezogen werden.

(Lebhafter Beifall in der Mitte. — Zuruf links: Wer zieht Sie zur Verantwortung? Saarfrage! — Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)

— Ich bin gern bereit, über die Saarfrage in einer der nächsten Sitzungen zu sprechen.
Einige Ausführungen von Herrn Kollegen Dr. Schumacher habe ich trotz allen Nachdenkens nicht verstanden.

(Abg. Dr. Schumacher: Welche?)

Ich habe allerhand geheimnisvolle Andeutungen nicht verstanden, die er gemacht hat. Es ist mir auch nichts davon bekannt, Herr Kollege Schumacher, daß auf der Pariser Konferenz die Personalpolitik der deutschen Regierung behandelt worden wäre.

(Abg. Dr. Schumacher: Einer der fünf Hauptpunkte!)

— Sie sind eben immer besser informiert.

(Abg. Dr. Schumacher: Vielleicht ist es gar nicht so schwer, Herr Bundeskanzler!)

— Es kommt immer darauf an, wie man versucht, die Verbindung mit dem Ausland zu halten!

(Abg. Dr. Schumacher: Das ist sehr fein!)

Meine Damen und Herren! Wenn der Herr Kollege Dr. Schumacher mir gegenüber das, was das Ausland sagt, so nachdrücklich empfiehlt, dann möchte ich den Herrn Kollegen Dr. Schumacher darauf aufmerksam machen, was sein ihm parteipolitisch sehr nahestehender Freund Herr Grumbach sagt und was ihm die Labour Party offiziell geantwortet hat.

(Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts. — Zurufe links: Ist das alles?)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101700800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gerstenmaier.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0101700900
Meine Damen und Herren! Als in den Jahren des Krieges die lange genährte Hoffnung immer geringer wurde, daß wir mit eigener Kraft die Tyrannei zu brechen und die Katastrophe zu verhindern vermöchten, stand hinter uns und hinter unserer tiefen Resignation eine große Furcht und eine noch größere Hoffnung. Die Furcht galt dem Ende; nicht nur und nicht so sehr dem persönlichen als dem physischen Ende unseres Volkes und damit dem geschichtlichen Ende der deutschen Nation. Die Hoffnung aber galt einer Neugestaltung Europas, einer neuen geistigen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Lebensform der Völker, die im Begriffe waren, aneinander zu verbluten. Das Ende kam unerbittlich und diskussionslos, die vagen wie die krampfhaften Illusionen unter sich begrabend. Aber so schrecklich es auch war, so viele Opfer die Waffen, so viele Tote


(Dr. Gerstenmaier)

der Hunger und die Vertreibung darnach noch gefordert haben, so ist es heute doch erlaubt, im großen und ganzen als Bilanzergebnis zu sagen: wir sind noch einmal davongekommen. Wir brauchen hier nicht zu fragen, wie. Die Tatsache, daß wir hier in Bonn und nicht in Berlin sind, die Tatsache, daß mehr als ein Drittel des deutschen Volkes hier nicht vertreten ist, sagt genug. Aber immerhin, trotz großer Verluste: das deutsche Volk ist physisch nicht vernichtet, und schon darum allein ist es auch in Zukunft eine politische Realität eigener Größe.
Wie aber steht es mit jener Hoffnung, die auch in den Schrecken des Untergangs in vielen von uns lebendig war? Wir reden hier nicht von den schillernden Seifenblasen jener, die eigentlich alles nicht so schlimm fanden und bis zum heutigen Tag es nicht so schlimm finden, nicht von jenen, die in den einrückenden amerikanischen Truppen damals bequeme Zigaretten- und Kaffeelieferanten sahen. Wir reden von denen, die im Bewußtsein dessen lebten und kämpften, daß der Zusammenbruch des Reiches, daß der Verlust einer geliebten Heimat und daß das Heer der Toten aus vielen Völkern einen Sinn, einen weltgeschichtlichen Sinn erhalte mit dem endlichen Aufbau einer europäischen Gemeinstaatlichkeit. Wir haben es zuweilen jenseits der deutschen Grenzen in diesen Jahren erlebt, daß man hinter das Apriori dieser Gesinnung bei uns Deutschen laute und leise Zweifel gesetzt hat, daß man unsere europäische Gesinnung in Frage stellte und in unserem Bekenntnis zu einem Vereinigten Europa nichts anderes als die letzte List der Besiegten sah. Dagegen war und ist wenig von unserer Seite zu tun. Wir hielten es darum, so wie die Dinge in den letzten Jahren lagen, für falsch, die anderen zur Gemeinschaft mit uns einzuladen. Nicht nur aus Gründen der Taktik, sondern vor allem aus Gründen des Taktes meinten wir, es den anderen überlassen zu müssen, uns zur Gemeinschaft mit sich einzuladen. Es wäre ungerecht, über den Leiden und Enttäuschungen dieser Jahre zu übersehen, daß solche Bekundungen des Willens zur dauerhaften Zusammenarbeit auch mit uns tatsächlich erfolgt sind. Den Kirchen sind im vorpolitischen Bereich die Gewerkschaften gefolgt, im Politischen waren es die Unionen der christlichen, sozialistischen und liberalen Parteien sowie die Europa-Union und andere.
Weit über seine entscheidende wirtschaftliche Bedeutung hinaus messen wir dem Marshallplan eine hohe politische Bedeutung für die Einbeziehung Deutschlands in die europäische Gemeinstaatlichkeit bei. Wir betrachten den Marshallplan deshalb als wesentliche Hilfe, weil er den Anstoß gab für die Wiederherstellung unserer deutschen Wirtschaft. Wir glauben, daß diese Hilfe der Vereinigten Staaten darüber hinaus aber den Start für die wirtschaftliche Kooperation Europas überhaupt darstellt, und in dieser wirtschaftlichen Zusammenarbeit erblicken wir allerdings die materielle Grundlage einer europäischen Gemeinstaatlichkeit. Wir wissen — und wir haben es ja heute gehört —, welchem Verdacht eine solche Kooperation auch in unserer Mitte ausgesetzt sein kann. Wir halten aber daran fest, weil wir wissen, daß zwar auch andere Elemente spiritueller und rechtlicher Art von hoher Bedeutung für die europäische Gemeinstaatlichkeit sind. Aber aus der unanfechtbaren Erkenntnis, daß der Mensch und mithin auch Europas Völkergemeinschaft nicht vom Brot allein lebt, folgt nicht, daß sie ohne Brot oder ohne genug Brot leben könnten. Das haben wir in der Vergangenheit ja härter denn je erfahren.
Wir sollten von vornherein deshalb die Vereinigten Staaten von Europa nicht ohne ausreichende materielle, das heißt ohne eine gut funktionierende gemeinsame wirtschaftliche Basis anstreben. Mit einem spirituellen Gebilde allein ist auch uns nicht gedient. Aber noch einmal: Sind wir, nach dem, was uns die heutige Regierungserklärung hier zur Kenntnis gebracht hat — so fragen wir .—, berechtigt, diese letzte große Hoffnung aus den Jahren des Krieges und des Untergangs jetzt zu begraben oder ihr Leitbild in resignierter Lethargie zu betrachten — ich glaube, ich könnte auch noch hinzufügen: in zurückhaltender, unkonstruktiver und unentschlossener Reserve?
Gewiß, die Demontagedebatte hat viele in ihrem Glauben an ein neues Europa tief erschüttert. Heute kann man wahrscheinlich den Satz wagen, daß aus der Demontage mehr noch eine Destruktion politischer als materieller Werte geworden ist. Deshalb begrüßen wir die heutige, uns hier bekanntgewordene Erklärung der Hohen Kommissare aufrichtig.
Sowohl bei der Behandlung der Demontagefragen wie des Ruhrstatuts sind die Bundesregierung und der Bundestag vor das Kernproblem der Sicherheit oder, genauer gesagt, vor die Frage eines stabilisier ten Friedens gestellt. Auch wir fragen uns von uns aus und noch gar nicht allein im Blick auf die europäische Ballung des Problems: wie kann der Friede, wie soll der Friede in Europa garantiert werden? Wir haben die Erklärung der Bundesregierung über die Bildung eines Ausschusses zur Prüfung der Sicherheitsfragen mit Zustimmung gehört. Eines aber, glaube ich, können wir, wie auch diese Beratungen des Ausschusses gehen werden, für erwiesen halten, nämlich daß die Sicherungskonstruktionen in den Jahren zwischen dem ersten und zweiten Welt' krieg vollständig zerbrochen sind und keinem, weder dem Gesicherten noch dem, gegen den sie gerichtet waren, zum Segen gereicht haben. Es sollte nicht nur jene Deutschen, die immer noch in den Vorstellungen der vergangenen Jahrzehnte leben, sondern auch führende Persönlichkeiten in anderen Ländern nachdenklich stimmen, daß nicht ein einziges jener Instrumente, die nach dem ersten Weltkrieg zur Sicherung und im Namen der Sicherheit geschaffen worden sind, der geschichtlichen Belastung standgehalten hat. Vom Locarnopakt bis zur Maginotlinie sind sie alle zerbrochen, und es ist ein geringer Trost für diejenigen, die unter der Sturzflut des zweiten Weltkrieges beinahe ertrunken sind, daß jene, die die Dämme gesprengt haben, der Flut selber zum Opfer gefallen sind.
Ist es nicht beunruhigend, fragen wir, daß heute wieder in allen internationalen Diskussionen, die Deutschland berühren, bis jetzt vorwiegend die Stimme vernommen wird, die das Sicherheitsproblem nach den alten, diesmal aber qualitativ und quantitativ forcierten Rezepten besser als zuvor gelöst sehen möchte? Wir beabsichtigen hier niemand anzugreifen; denn wir sind uns dessen bewußt, daß Deutschlands Friedenswille nicht nur eine strenge Selbstbeherrschung, sondern auch einen guten Willen erfordert, der bereit ist, an Vorleistungen als Beweis dieses guten Willens das Menschenmögliche zu erbringen. Es ist aber


(Dr. Gerstenmaier)

eine schlechte Sache, daß auch diejenigen, die mit großer Wachsamkeit und strenger Selbstkritik allen Äußerungen nationalen Ressentiments in unserm Volk entgegentreten, zuweilen das Gefühl beschleichen mußte, daß die Lösung der Sicherheitsfrage nach diesem zweiten Weltkrieg in der Herbeiführung einer permanenten wirtschaftlichen Unselbständigkeit Deutschlands bestehen solle und in einer Abhängigkeit, wie sie der große Franzose Rodin seinerzeit in seinen „Bürgern von Calais" vor uns hingestellt hat. Noch einmal: wir sagen das hier weder anklagend noch schmollend, aber wir stellen damit ein Faktum fest, das zu überwinden unsere gemeinsame Aufgabe ist, das zu überwinden aber darüber hinaus eine Schicksalsfrage der gesamten europäischen Politik ist. Jeden Schritt über dieses Faktum weg halten wir für einen hohen Gewinn Europas.
Mit tiefer Dankbarkeit haben wir Beweise redlichen Willens zur Zusammenarbeit mit Deutschland in diesen Jahren und bis auf diesen Tag auch aus der Mitte der Völker erfahren, bei denen die alten Sicherheitslösungen noch viele Anhänger haben. Aber wir wissen — und wenn uns nicht alles trügt, ist etwas davon in Paris laut geworden daß auch in diesen Völkern starke Kräfte vorhanden und am Werke sind, die in der Erkenntnis leben, daß die bloße Wiederholung alter Sicherungen nicht nur unerhört kostspielig, sondern auf die Dauer auch unnütz ist.

(Sehr richtig! bei der CDU.)

Wir haben Verständnis dafür, daß verantwortliche Regierungen sowohl in ihren Äußerungen wie in ihren Maßnahmen bei der Prüfung der Frage, ob und in welchem Umfange dem durch die Katastrophe gegangenen Deutschland wieder Vertrauen geschenkt werden könne, zurückhaltender und skeptischer sind. Wir erwarten nicht, daß diese Regierungen unseren ernsthaften und redlichen Bemühungen um die Wiedergewinnung von Vertrauen und Achtung alsbald Verständnis entgegenbringen; aber wir hof fen, sie nicht mißverstanden zu haben, daß sie auch uns jenes Lebensrecht zuerkennen, zu dem sie sich in ihren Staatsgrundlagen und öffentlichen Erklärungen über die unveräußerlichen und heiligen Rechte der Menschen selber bekannt haben. Wir hoffen, sage ich, daß wir die großen Mächte darin nicht mißverstanden haben, daß sie ihre Sicherheitsforderungen in einen tragbaren Einklang mit dem Lebensrecht des deutschen Volkes bringen wollen.
In der bloßen Wiederherstellung eines Systems der negativen Sicherungen nämlich vermöchten wir allerdings keine Garantie für eine echte Sicherheit, für einen wirklichen Frieden zu erblicken. Dagegen sehen wir eine konstruktive Lösung auf dem Wege zu einer echten Sicherheit und damit zu einem wahren Frieden in einer wirtschaftlichen und politischen Verflechtung und Zusammenarbeit, die von überflüssigen Schranken ebenso wie von einem überholten nationalwirtschaftlichen Prestigebedürfnis befreit ist.
Den Vereinigten Staaten von Amerika sind wir dankbar dafür, daß sie uns durch .die Idee und durch dia Initialzündung des Marshallplans auf diesen Weg gewiesen, ja geradezu gezwungen haben. Eine solche Lösung, nach dem ersten Weltkrieg angewandt, hätte die Menschheit vor den Greueln der Konzentrationslager wie vor den Schrecken eines zweiten Weltkrieges und vor den Barbareien der Massenvertreibungen bewahrt. Auch das sagen wir nicht in rückschauender Klage oder Anklage, sondern wiederum lediglich zur Klärung des Standortes, an dem wir uns befinden, und zur Fixierung des Zieles, das, wennschon von Deutschland her und von dieser Stelle aus zu den Grundfragen der Außenpolitik geredet werden soll, in unverrückbarer Klarheit feststehen muß. Dieses Ziel heißt: die Vereinigten Staaten von Europa als ein Rahmen, in dem sich die europäischen Völker gemeinsam um ihre wirtschaftlichen und politischen Bedürfnisse bemühen. Dies ist die einzige uns ausreichend erscheinende Lösung der trotz unserer völligen Ungefährlichkeit nach wie vor gestellten Sicherheitsfrage. Sicherheit heißt doch letztlich nichts anderes als eben Stabilisierung des Friedens. So tief wir auch darniederliegen und soviel wir auch gelitten haben, für dieses Ziel sind wir bereit jedes Opfer zu bringen, das Menschen und Völkern unter dem Aspekt von Recht und Freiheit zugemutet werden kann.

(Bravorufe bei der CDU.)

Wir fürchten uns deshalb nicht vor den kleinen oder großen Demagogen, die sich da und dort wieder unter uns erheben, um mit alten, abgestandenen Schlagworten ihr trauriges Handwerk der Verführung zu treiben. Wir werden tun, was zumutbar ist, auch wenn es Opfer, kostet. Wir sind deshalb auch bereit, das Ruhrstatut, das ohne deutsche Mitwirkung entstanden ist, einer sehr ernsthaften Prüfung im Hinblick darauf zu unterziehen, ob es uns eine Kooperation im Rahmen einer europäischen Gesamtstaatlichkeit möglich macht. Ich möchte mir im übrigen die nüchterne Frage erlauben, was eigentlich mit einer etwaigen Ablehnung des Ruhrstatuts zunächst gewonnen sein soll und welche bessere Lösung, die realisierbar und mehr ist als ein stolzer Protest, die Opposition vorzuschlagen hat. Ihre Bemühungen, für den Lebenskampf des deutschen Arbeiters Verständnis bei gleichgesinnten Regierungen und Parteien des Auslandes zu wecken, haben leider nicht gerade ein ermutigendes Ergebnis gehabt.

(Hört! Hört! und Sehr wahr! in der Mitte.)

Ebensowenig ermutigend sind die letzten Verlautbarungen der britischen Labour Party über die Entsendung einer Kommission zum Studium der Demontagefrage.
Weil wir die Kooperation redlich und aus ganzem Herzen wollen, sind wir auch bereit, jedes Statut und jeden politischen und wirtschaftlichen Vertrag unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob sie der europäischen Einigung dienen. Wir sind freilich der Meinung, daß die Fortsetzung der Demontagen dieses Ziel direkt gefährden würde und daß das Ruhrstatut in seiner jetzigen Gestalt nicht als eine Förderung dieses hohen Ziels betrachtet werden kann. Aber weder die Demontagen noch das Ruhrstatut noch das Besatzungsstatut sollen und können uns daran hindern, die europäische Einigung als das bestimmende Motiv unseres Tuns und Lassens im zwischenstaatlichen Bereich anzusehen.
Erlauben Sie mir, von diesen allgemeinen Gesichtspunkten aus etwas zu der Diskussion zu sagen, die sich über einige Schritte des Herrn Bundeskanzlers entwickelt hat und deren Zeugen wir auch hier geworden sind. Man hat dem Herrn Bundeskanzler — zum Teil in Formen, die kein gerecht Denkender billigen kann und die wir nicht nur bedauern, sondern mit Nachdruck zurückweisen müssen — unterstellt, daß er Tendenzen


(Dr. Gerstenmaier)

entwickele, die die Zuständigkeit dieses Hohen Hauses nicht gebührend in Betracht zögen.

(Lachen bei der SPD.)

Ich habe die Ehre, im Namen der CDU/CSU-Fraktion zu erklären, daß es nach unserer Auffassung nicht nur das volle Recht, sondern auch die unabweisbare Pflicht des Bundeskanzlers und der Regierung ist, in Fragen, die schlechterdings von vitaler Bedeutung für Deutschland sind, initiativ zu werden.

(Sehr richtig! und Händeklatschen in der Mitte.)

Wir gedenken, in jedem Fall mit Nachdruck die Rechte und die Bewegungsmöglichkeit zu verteidigen, die das Grundgesetz der Bundesregierung eingeräumt hat. Wir glauben nicht, daß sich damit dieses Hohe Haus irgendeines Rechts begibt oder daß seine Einflußnahme in unzulässiger Weise begrenzt wird.
Zu dem Inhalt der Vorwürfe möchte ich nur zweierlei sagen. Ich möchte erstens die im Zusammenhang mit dem Interview des Herrn Bundeskanzlers entstandene Debatte über die Investierung ausländischer Mittel in der deutschen Schwerindustrie herausheben, die in der Rede meines Herrn Vorredners von der Opposition eine große Rolle gespielt hat. Das zweite betrifft die Stellungnahme des Herrn Bundeskanzlers zum Eintritt der Bundesrepublik in den Europarat.
Zu dem ersten Punkt möchte ich folgendes sagen. Auch die Kritiker ausländischer Kapitalinvestierungen werden nicht darum herumkommen, in den nächsten Jahren Kredite für deutsche Werke zu akzeptieren. Ja, es ist durchaus denkbar, daß sie
eines Tages vor die Notwendigkeit gestellt werden,
solche Kredite zu erbitten; denn das erste Problem — ob sozialisiert oder nicht sozialisiert — heißt heute für uns alle: Wiederaufbau und Modernisierung unserer Werke und Produktionsstätten. So wie die Dinge liegen, werden wir leider auf solche Investitionen nicht verzichten können, wenn wir die Werke konkurrenzfähig machen wollen. Nicht konkurrenzfähige Betriebe werden — ob sozialisiert oder nicht — für uns alle eine Last und für ihre Belegschaft ein Unglück sein. Wir vermögen es deshalb nicht für ein so schreckliches Unglück oder gar für ein Verbrechen zu halten, wenn Vorschläge und Pläne für derartige Investierungen diskutiert werden. Was ist eigentlich mehr geschehen als dies?
Bei dieser Gelegenheit möchte ich sagen, daß wir Wert darauf legen, klar und vernehmlich zum Ausdruck zu bringen, daß wir zwar keinesfalls bereit und willens sind, die Vorstellungen über Sozialisierung oder Verstaatlichung zu übernehmen, wie sie da und dort auch in diesem Hause vertreten werden, daß wir aber zu dem Wort von der Neuordnung der Besitzverhältnisse, das in der Erklärung der Bundesregierung ausgesprochen wurde, zu stehen gedenken, soweit es an uns ist.

(Sehr gut! bei der CDU. — Zuruf links: In welchem Sinne? — Zuruf des Abgeordneten Schoettle.)

übrigen muß bei allen Beteiligten völlige Klarheit darüber bestehen, daß die künftige Sozialgestaltung — ob mit oder ohne ausländische Investitionen — ausschließlich von der Legislative dieses Hauses bestimmt sein wird.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Ich hoffe, daß Sie das ein wenig tröstet, Herr Schoettle.

(Abg. Schoettle: Ich bin gar nicht so niedergebrochen!)

Die Legislative dieses Hauses wird das letzte Wort sprechen. Die Konspiration der internationalen Kapitalisten, von der hier geredet wird, fürchten wir nicht.
Solange jedenfalls die Regierung sich von der Erkenntnis bestimmen läßt, daß der innere und der äußere Frieden in Europa von heute unteilbar sind und daß deshalb auch die Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit von Bedeutung für die Dauerhaftigkeit 'des äußeren Friedens ist, solange sehen wir keinen Anlaß, der Regierung bei ihren Erwägungen und Maßnahmen in den Weg zu treten, sondern werden sie dabei mit allem unterstützen.
Wenn die Bundesregierung die Möglichkeit eines Eintritts in den Europarat prüft, so kann — ich meine es nicht im Speziellen — nur Demagogie unterstell en, daß sic damit dem Kampf um die Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie den Boden entziehe.

(Sehr gut! bei der CDU.)

Niemand wird behaupten, daß Weißrußland oder die Ukraine nicht zu Sowjetrußland gehören, und doch sind sie selbständige Mitglieder mit eigenem Stimmrecht in den Vereinten Nationen. Wir halten es für notwendig, daß die Bundesrepublik die Möglichkeiten wahrnimmt, die ihr im Europarat von Schritt zu Schritt eingeräumt werden. In diesem Sinne vertreten wir die Auffassung, die der Herr Bundeskanzler in einem Interview vor kurzem dargelegt hat. Um alle Mißverständnisse zu beseitigen, zitiere ich wörtlich die Außerung des Bundeskanzlers. Er sagt:
Ich halte es für sehr bedauerlich, daß die Saarfrage überhaupt mit der Europafrage verknüpft worden ist. Das ist nicht von uns aus geschehen. Es erscheint mir wesentlich, daß diese beiden Fragen in Zukunft getrennt gehalten werden. Ich würde es nicht für eine weise Politik halten, wenn Frankreich die Aufnahme Deutschlands in den Europarat von einer gleichzeitigen Aufnahme des Saargebiets abhängig machen sollte. Aber ebensowenig weise wäre es, wenn wir erklärten, daß eine Mitgliedschaft des Saargebietes die deutsche Mitgliedschaft ausschlösse. Man sollte aus diesen Mitgliedschaften kein Handelsgeschäft mit Bedingungen machen. Die Saarfrage kann endgültig erst in einem Friedensvertrag mit Deutschland geklärt werden, und der Europarat ist ohnehin nicht befugt, einer solchen Regelung vorzugreifen. Ich könnte mir sehr viel eher denken, daß eine unmittelbare deutschfranzösische Fühlungnahme das Saarproblem einer Lösung näherbringen könnte.
Soweit der Herr Bundeskanzler! Mir scheint, daß das alles in der Formulierung wie in der Linie nicht so ist, daß es die massiven Angriffe, die wir in den letzten Wochen darüber erleben durften, berechtigen oder begründen könnte.

(Zustimmung bei der CDU.)

Selbstverständlich haben auch wir ein tiefes Empfinden für die Unangemessenheit einer Verkoppelung, wie uns überhaupt manche Dinge nicht weniger schmerzen als Sie, meine Herren, in der Opposition.


(Dr. Gerstenmaier)

Übrigens werden wir Gelegenheit haben, in der nächsten Sitzung des Bundestags zu dem Problem der Kriegsgefangenen und zu den Urteilen in den Kriegsverbrecherprozessen in den ersten Jahren nach dem Kriege etwas ausführlicher Stellung zu nehmen. Wir werden uns dann erlauben, mit Material darauf zurückzukommen.
Aus eigener Einsicht in die internationale Situation folgen wir der Regierung aber auch darin, wie sie das Ziel der europäischen Einigung mit allem Ernst gerade dort angeht, wo der Sicherheitskomplex am schwierigsten und die Hypothek der Geschichte am schwersten ist, und das ist zweifellos das deutsch-französische Verhältnis. Wir wissen, daß hier moralische Imperative oder Sentiments wenig helfen. Hier muß ein mühsamer Weg Schritt für Schritt gegangen werden. Nirgendwo ist das Gestrüpp des Mißtrauens bis jetzt so undurchdringlich wie im deutsch-französischen Verhältnis. Erlauben Sie mir gerade in diesem Zusammenhang das Wort eines Mannes anzuführen, der seine Verse in deutscher Sprache schrieb und sein Lebenswerk in französischer Sprache vollendet hat. Rilke hat einmal davon geredet, daß, wenn etwas schwer sei, es uns ein Grund mehr sein müsse, es zu tun. Es würde mir gefährlich erscheinen, dieses Wort schlechthin aufzunehmen. Hier aber hat es seine Geltung. Wir kritisieren den Kanzler nicht, weil er sich daran gemacht hat, mit Mut und Geduld das Seine zu tun, um einen Weg zus Gemeinsamkeit zu bahnen, sondern wir unterstützen ihn dabei.

(Beifall in der Mitte und rechts.)

In einer ebenso kühlen wie klugen Charakterisierung hat vor kurzem ein prominenter Sprecher der Opposition in diesem Hause Deutschland ein „politisches Agens in potentia" genannt. Wir glauben jedoch, daß diese Tatsache, die unanfechtbar ist, noch kein Grund ist, darauf so etwas wie eine Politik des nationalen Widerstandes zu bauen. Wir wissen, daß die einstweilige Überwindung der schwersten Existenzbedrohung Deutschlands in den letzten Jahren nicht nur der großzügigen Hilfe der Vereinigten Staaten, sondern auch dem Widerstand zuzuschreiben ist, den unzählige deutsche Frauen und Männer dem Hunger, der Verelendung und der Zerstückelung unseres deutschen Vaterlandes entgegengesetzt haben. In keinem anderen Zusammenhang als in diesem scheint uns das Wort vom nationalen Widerstand sinnvoll und erlaubt. Indem wir uns mit der letzten Kraft, die uns geblieben ist, den Dämonien des Chaos entgegengestellt haben, glauben wir auch einen Beitrag für die europäische Gemeinsamkeit geleistet zu haben. Der nationale Widerstand der Deutschen sollte darüber hinaus allmählich all dem gelten, was uns zum geschichtslosen Haufen machen möchte.
Wir nehmen die Besorgnisse der Opposition ernst; aber wir hätten es für sinnvoller gehalten, wenn sie den Widerstand nicht gegen die notwendigen Maßnahmen der Regierung angerufen hätte. Diese Regierung ist im Begriff, eine unter europäischen Gesichtspunkten verantwortete deutsche Politik zu machen. Die Opposition sollte mit Nachdruck gegen jene inferioren Kräfte angehen, die in dieser seltsamen Mischung von Wut und Rührung die Deutschen um die Erkenntnisse ihrer eigenen tief durchlebten und erlittenen Geschichte zu betrügen im Begriff sind.

(Beifall bei der CDU.)

Wer das ist, Herr Schoettle? 'Zwingen Sie mich nicht, die Namen solcher Schmutzfinken in diesem Hause zu nennen.

(Abg. Schoettle: Ich habe kein Wort gesagt!)

— Zwingen Sie mich nicht, die Namen solcher Leute zu nennen, die am besten in diesem Hause nicht genannt werden. Gott sei Dank sind sie hier nicht vertreten.

(Abg. Schoettle: Das ist aber fein!) — Muß ich den Namen Remer nennen?

Auch wenn wir mangels höherer Erleuchtung das hier bestehende System von Regierung und Opposition akzeptieren, so glauben wir doch, daß es nach den Ereignissen der letzten Wochen an der Zeit ist, freimütig auszusprechen, daß uns diese Formen nun wiederum nicht so für die Ewigkeit geschaffen zu sein scheinen, daß alles andere dahinter zurücktreten müßte. Wir haben uns hier nicht nur freiwillig zu den Grundsätzen der Demokratie, sondern auch zu ihrer mühseligen Praxis bekannt, und wir gedenken, dazu auch dann zu stehen, wenn das, was Gott verhüten wolle, mit hohem persönlichem Wagnis verbunden sein sollte. Aber ob es uns nun im einzelnen leicht oder schwer fällt, so sollten wir uns doch dazu bereit finden, den Mechanismus dieser politischen Organisation elastisch und nicht doktrinär, in jedem Falle aber so zu gebrauchen, daß dabei die res publica und ihre notwendige Autorität gestützt und gefördert werden. Es gibt deutsche Länder, in denen die Mehrheitsverhältnisse anders liegen als im Bundesgebiet. Wir sind willens, auch dort diese Grundsätze anzuwenden und in jedem Falle zu respektieren. Aber wir müssen von der Opposition verlangen, daß sie der Entscheidung des deutschen Volkes, soweit sie im deutschen Lebensbereich überhaupt in Freiheit stattgefunden hat, in ihrem Verhalten unter allen Umständen Rechnung trägt. Opposition und Regierung sind in verschiedenen Funktionen, aber jedenfalls in gleicher Intensität und Verantwortung dem Wohl der Nation und nichts anderem verpflichtet. Das gilt in allen Entscheidungen von wesenhafter Bedeutung für das deutsche Volk. Aber das gilt erst recht bei der Aufstellung und Verwirklichung eines neuen Verhältnisses der Deutschen zu ihren Nachbarvölkern und für die Bildung einer Lebensform, die diesen alten Kontinent mit Gottes Hilfe in die nächsten Jahrhunderte tragen soll.
Was sind unter diesen Aspekten parteitaktische Gesichtspunkte? Ist es wirklich so unangemessen, von den Trägern gesamtdeutscher Traditionen so viel Distanz gegenüber ihren eigenen Parteiformationen zu verlangen, daß sie jederzeit willens und in der Lage sind, Entscheidungen, die für Deutschland gefällt und im Blick auf Europa und die Welt vollzogen werden müssen, positiv und konstruktiv mit zu fassen und mit zu tragen? Wir glauben jedenfalls, nicht nur für die Mehrheit des 14. August, sondern für eine noch weit größere Mehrheit im deutschen Volk zu sprechen, wenn wir hier an die Regierung wie an die Opposition appellieren, in Sachen einer künftigen deutschen Außenpolitik so eng und so verständnisvoll wie immer möglich zusammenzustehen und zusammen zu handeln.

(Abg. Schoettle: Das ist ja gerade der Punkt!)

Warum soll etwas, was in den Vereinigten Staaten und in manchem anderen Land sehr wohl mög-


(Dr. Gerstenmaier)

lich war, nicht auch hier möglich sein, hier unter uns, die wir unter schweren Leiden innegeworden sind, daß politische Gemeinschaft auch zwischen denen statthaben kann, die sich in besseren Zeiten nur als Gegner gekannt haben? Oder bedarf es denn immer nur eines Tyrannen und einer Schreckensherrschaft, um Männer wie Goerdeler und Leuschner, Carlo Mierendorff und Helmuth Moltke handelnd und kämpfend zusammenzubringen? Wir wissen, daß auch dann, wenn es uns gegeben wäre, die Verhältnisse im eigenen Haus und die Beziehungen zu unseren nächsten Nachbarn erträglicher und fruchtbarer zu gestalten, dies alles doch ein großer Torso bleibt, solange die großen Mächte des Ostens und des Westens über uns hinweggespannt sind als sich ausschließende Gegensätze. Wir triumphieren nicht über die offen ausgebrochene Zwietracht zwischen den ehemaligen Alliierten. Wir haben allen Anlaß, jenes Statut, das ihre gemeinsame Unterschrift trägt, für eine zweite große europäische Katastrophe zu halten, nachdem die erste kaum zu Ende war. Aber wir verstehen, daß sich die Staatsinhalte des Ostens und des Westens wie Feuer und Wasser vertragen. Und wir bleiben uns bewußt, daß Grundgesetz und Bundesrepublik nur ein Provisorium sind für ein geeintes Deutschland im Rahmen eines geeinten und freien Europas. Aber für ganz und gar nicht provisorisch halten wir die Prinzipien der Freiheit und des Rechts, die in diesem Grundgesetz verankert sind. Wir ersehnen den Tag, an dem die Vertreter der Länder der Ostzone mit Groß-Berlin hier zwischen uns erscheinen und das deutsche Land jenseits der Oder-Neiße-Linie wieder zur Heimstätte derer werden kann, denen es von Gottes und Rechts wegen gehört. Wir erstreben das mit friedlichen Mitteln und im Rahmen einer internationalen Lösung. Die Tatsache, daß dies nach menschlichem Ermessen in weiter Ferne liegt, ist uns kein Grund, in Resignation auf etwas zu verzichten. Das ist weder in unser Recht, noch in unser Belieben gestellt. In diesem Sinne Treuhänder des deutschen Volkes überhaupt zu sein, das ist das nobile officium dieses ganzen Hauses.
Von der Bundesregierung aber erwarten wir, daß sie ihre große Aufgabe mit Geduld und Festigkeit wahrnimmt und daß sie sich des Rechts zur Initiative in jedem Falle voll bedient, des Rechts, das ihr das Grundgesetz zuweist. Möge sie dabei hoffentlich bald von ihren schon jetzt nicht mehr zeitgemäßen Fesseln durch die Einsicht der Hohen Kommissare befreit werden.

(Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0101701000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schröder.

Dr. Gerhard Schröder (CDU):
Rede ID: ID0101701100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In allen demokratisch regierten Ländern der Welt gibt es immer wieder Situationen, in denen die Regierung schweigen möchte und in denen die Opposition das Bedürfnis verspürt, sie zum Reden zu zwingen. Die Regierung schweigt in solchen Situationen, weil sie als der erste Träger politischer Verantwortlichkeit die Verpflichtung hat, schwebende Fragen mit jener Behutsamkeit zu behandeln, die ihnen zukommt. Das ist nicht eine Praxis, die es etwa nur bei uns gegeben hat, sondern ich darf gleichzeitig darauf hinweisen, daß auch der britische Außenminister Bevin erst am 17. November das Wort ergreifen wird, und auch vor der französischen Kammer wird über die Ergebnisse der Pariser Konferenz nicht vor dem 22. dieses Monats diskutiert werden.
Meine Damen und Herren! Ich verstehe, daß die Opposition diese Fragen häufig anders sieht und daß sich diese Frage für sie oft anders stellt. Ich sehe einmal ganz davon ab, näher zu erläutern, daß sich selbstverständlich die Regierung oft genug der Opposition wird bedienen können und bedienen müssen. Denn es ist ja das Charakteristikum der hoch entwickelten Demokratie, daß in den außenpolitischen Auseinandersetzungen Regierung und Opposition sich sehr häufig zwar über gemeinsame Ziele einig sind, daß sie aber diese Ziele mit gut verteilten Rollen erstreben. Meine Damen und Herren, je besser es einem Volke gelungen ist, sich auf einige wenige, dafür aber um so schwerer wiegende essentialia des politischen Wollens zu einigen, desto besser wird das Spiel zwichen Regierung und Opposition, den Gesamtwillen des Volkes eindrucksvoll zu manifestieren und durchzusetzen.
Nun lehrt uns der Augenschein in diesem Hohen Hause leider, daß wir weit davon entfernt sind, uns über Praxis und Ziel der neuen Demokratie zu einigen. Das setzt eine längere Auseinandersetzung als die von ein paar Wochen voraus. Und, um zu diesem Ziel zu kommen, gehört auch ein Vertrauen zwischen Regierung und Opposition. Ich entsinne mich sehr wohl, was einer der hervorragendsten Sprecher der Opposition seinerzeit in der Debatte zur Regierungserklärung über dieses Vertrauensverhältnis gesagt hat. Ich verstehe dieses Vertrauensverhältnis auch nicht im Sinne eines guten Grußfußes. Bei aller Sachlichkeit und Gegensätzlichkeit sehe ich dieses Vertrauensverhältnis zwischen Regierung und Opposition darin, daß es sich mindestens auf die Grundforderungen der demokratischen, nationalen und übernationalen Haltung beziehen muß, da wir durch Schicksal und eigenen Entschluß — und ein solcher Entschluß ist ja schließlich unser gemeinsames Bekenntnis zum Grundgesetz — genötigt sind, eine gemeinsame Auffassung in Grundfragen zu haben, wenn wir überhaupt einen gemeinsamen Staat haben wollen.
Der Herr Kollege Ollenhauer hat seinerzeit für die Opposition erklärt, sie sei bereit, der Regierung die Achtung und den Respekt, die ihr als verfassungsmäßiger Institution zukommen, zuzugestehen. Ich glaube, wir haben heute im Hinblick auf vergangene Tage gesehen, daß wir begründeten Anlaß haben, die Opposition — ich spreche zunächst von der sozialdemokratischen Fraktion als der größten Gruppe der Opposition — daran zu erinnern. Niemand kann und darf der Opposition verwehren, das klar und deutlich zu sagen, was sich aus ihrer Perspektive an Forderungen der Stunde zu der Innen- und Außenpolitik ergibt. Ich glaube, daß es für sie als Opposition selbstverständlich sein sollte oder wenigstens in nächster Zeit selbstverständlich werden sollte, daß sie dabei die Spielregeln einhält, die für uns alle gelten, die wir mit politischer Verantwortung betraut sind.
Ich will nicht, so reizvoll es sein möchte, mit großer Akribie die Äußerungen der wesentlichen Sprecher der Opposition aus den vergangenen Tagen zusammenstellen, kann aber dennoch nicht darauf verzichten, wenigstens auf einige davon einzugehen, um sie als Schulbeispiel, nur als Schulbeispiel für das zu zitieren, was im Verhältnis zwischen Regierung und Opposition sich nicht wiederholen sollte.


(Dr. Schröder)

Herr Dr. Schumacher, der ja heute, wenn man seine vorherigen Äußerungen sorgfältig studiert und analysiert hat, sich in Tonhaltung und Diktion einer außerordentlichen Zurückhaltung befleißigt hat, wird es nicht übelnehmen, wenn ich ihn an etwas erinnere, was er zur Regierungserklärung gesagt hat. Er hat gesagt: Wir können die Regierungserklärung nicht als etwas Isoliertes ansehen, sondern zu ihr gehört auch alles, was im Wahlkampf, bei der Kabinettsbildung usw. vor sich gegangen ist. Und deshalb wird er mir erlauben müssen, auch etwas zu zitieren, was er nicht gerade in diesem Hause gesagt hat. Wenn ich mich aber recht erinnere und wenn ich recht berichtet bin, hat er am vergangenen Sonnabend in Frankfurt die Politik der Regierung als antideutsch, antieuropäisch, abet profranzösisch bezeichnet. Er hat an anderer Stelle der Regierung den Vorwurf gemacht, keine deutsche Politik zu vertreten, sondern mit autoritärem Dünkel zu handeln. Er hat von ihr gesagt, daß sie parteipolitische und privatkapitalistische Manipulationen auf der Ebene der Interessenpolitik kleiner Kreise betreibe. Ich erinnere an das Wort, das Herr Dr. Schumacher seinerzeit gesagt hat, als ihm während seiner Stellungnahme zur Regierungserklärung Zwischenrufe des Hauses entgegengeschleudert wurden. Er hat gesagt, daß zur demokratischen Auseinandersetzung auch Selbstzucht gehöre. Mit aller Zurückhaltung möchte ich dazu sagen, daß ich glaube, die eben zitierten Äußerungen, von denen ich als die schwerwiegendste die Äußerung über das antideutsche Handeln ansehe, beweisen, daß er die Gelegenheit versäumt hat, ein Beispiel für diese von ihm aufgestellte Forderung zu geben.

(Beifall in der Mitte.)

Man könnte aber über solche Äußerungen vielleicht mit einer Handbewegung zur Tagesordnung übergehen, wenn durch sie nicht Erinnerungen heraufbeschworen würden, die den meisten von uns gegenwärtig sind. Die Diffamierung der Motive des politischen Gegners wirkt sich auf keinem Gebiet verhängnisvoller aus als auf dem Gebiet der Außenpolitik. Nun mag es ein geradezu historisches Gesetz sein, daß die Vorwürfe gegenüber dem außenpolitischen Verhalten, die damals der Reichsregierung von rechts gemacht wurden, heute von links gemacht werden müssen. Wir verfügen über eine sehr schöne Gegenüberstellung von Äußerungen, die Führer der Opposition in den letzten Tagen gemacht haben, mit Reden der Herren Reventlow, von Freytagh-Loringhoven, Westarp usw. Diese Sammlung stellen wir jederzeit gerne zur Verfügung. Aber wir sollten doch alle miteinander einmal ernstlich darüber nachdenken, ob diese Dinge dadurch richtiger werden, wenn sie sich — wenn auch zum Teil mit vertauschten Rollen — wiederholen. Ich bin überzeugt, daß weite Kreise unserer Bevölkerung und vor allem die jüngere Generation, die doch auf nichts sehnlicher wartet, als daß ihr eine positive Gestaltung vorgelebt wird, derartige Äußerungen als reine Parteipolitik empfinden werden, das heißt als eine Politik, die nicht den Stempel der übergeordneten Verpflichtung, sondern des begrenzten Gruppeninteresses trägt.
Herr Dr. Schumacher glaubte sagen zu können, daß die Regierung keine deutsche Politik vertreten habe, daß sie nicht die Interessen des deutschen Volkes vertreten habe, sondern daß hinter ihr nur das Kapital, die schwarz-weiß-roten Fahnen, aber nicht das Volk stünde. Meine Damen und Herren! Wenn ich das zitiere, so doch nur, um hier einmal folgendes festzustellen. Es ist einer der gefährlichsten Vorwürfe, den man der eigenen legalen Regierung in einer Zeit so großer außenpoltischer Spannung und Verantwortung machen kann, wenn man ihr die Legitimation bestreitet.

(Lebhafte Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Herr Dr. Schumacher hat das heute auch hier getan. Die Bestreitung der Legitimation ist uns noch allzu gut aus jener Zeit vor 1933 bekannt. Sie pflegte damals mit einem Seitenblick oder gar mit einer Aufforderung an die außerhalb des Hauses stehenden Kräfte der Bevölkerung verbunden zu sein. Ich stelle darum hier mit aller Deutlichkeit und Entschiedenheit fest: der Opposition fehlt jegliches Recht, gegenüber der Regierung diese Sprache zu führen.

(Erneute lebhafte Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Vielleicht darf ich die Opposition noch einmal daran erinnern, daß wir erst vor drei Monaten im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland allgemeine, freie und geheime Wahlen gehabt haben, und das Ergebnis dieser Wahlen, wenn überhaupt die Entscheidung der Mehrheit noch einen Sinn haben soll, ist eine ganz eindeutige Legitimation für diese Regierung gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

— Der 14. August hat einer Mehrheit dieses Hauses das Recht zur Regierung und einer Minderheit dieses Hauses die Pflicht der Opposition auferlegt.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Die Verantwortlichkeit für die Regierungspolitik trägt die Regierung, an ihrer Spitze der Herr Bundeskanzler, der nach unserer Verfassung — das steht nun einmal im Grundgesetz — die Richtlinien der Politik bestimmt.

(Erneute Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Die Opposition hat die Pflicht der Opposition und as Recht der Kritik; aber Rechte und Pflichten der Regierung lauten: führen und Verantwortung tragen. Ich verstehe es nun durchaus, daß es nicht immer leicht sein mag, das Ergebnis einer so heiß umkämpften Entscheidung wie der vom 14. August willig und in einer positiven Einstellung hinzunehmen. Aber wir würden das Regierungsmandat, das wir uns erkämpft haben und das uns anvertraut worden ist, mißbrauchen, wollten wir Ihnen erlauben, bei dieser Gelegenheit das Haus zur Regierungsunfähigkeit und zur Sterilität zu verurteilen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Es wäre falsch, wollten Sie sich darüber täuschen. Wir werden jedenfalls dem Versuch, das deutsche Volk darüber zu täuschen, mit aller Entschlossenheit entgegentreten.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Genau so gut wie wir am 14. August — und zwar jeder einzelne von uns, der direkt gewählt worden ist — auch eine andere Entscheidung als eine demokratische Entscheidung hingenommen hätten, genau so gut verlangen wir von Ihnen, daß Sie das auch Ihrerseits tun. Wir verlangen das nun nicht von Ihnen um eines Partei- oder Gruppeninteresses willen, sondern wir verlangen


(Dr. Schröder)

es im Interesse der Demokratie und unseres gemeinsamen Staates.

(Bravo! bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren! Es schien mir notwendig zu sein, diese Vorbemerkungen zu machen, um einige Dinge wieder in das richtige Gleis zu rücken und hier zunächst einmal die demokratischen Positionen festzulegen, von denen aus gesprochen wird. Nun will ich noch eine grundsätzliche Bemerkung über das Verhältnis von Parlament und Regierung, wie wir es sehen, hinzufügen. Ich sagte bereits, daß die vom Parlament gewählte Bundesregierung — —

(Wiederholte Zurufe von der SPD. — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0101701200
Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, nicht dauernd zu stören. Der Redner kann ja seine Rede sonst nicht verlesen.

(Große Heiterkeit bei der SPD. — Andauernde Unruhe.)

Dr. Schröder (CDU/CSU) Ich sagte bereits, daß die vom Parlament gewählte Bundesregierung Rechte und Pflichten hat.

(Fortgesetze Unruhe.)

— Meine Damen und Herren! Ich habe mir erlaubt, dem Herrn Präsidenten zu versichern, daß es noch ginge. — Also ich sagte bereits, daß der vom Parlament gewählte Bundeskanzler das Recht und die Pflicht hat, die Grundlinien der Politik zu bestimmen. Dabei ist es völlig klar, daß er, wenn er auch nur eine Spur von Sinn für Realismus hat — und Sie werden, glaube ich, dem Bundeskanzler Dr. Adenauer nicht absprechen wollen, daß er Sinn für Realismus hat —, in einem solchen Falle nur einen Regierungskurs verfolgen wird, für den er eine Mehrheit im Parlament hinter sich weiß. Ich habe den Eindruck, daß manche Äußerungen der Opposition der letzten Zeit von der Vorstellung ausgingen, als ob die Regierung sozusagen zu jedem außenpolitischen Schritt von vornherein eine Ermächtigung des Parlaments, vielleicht noch insbesondere der Opposition, einholen müßte, um legitimiert zu sein. Diese Auffassung stimmt mit unserer verfassungsmäßigen Situation nicht überein, und sie erinnert mich wirklich — daher stammt sie ja auch — an die SED-Verfassungen, die eine Gewaltenteilung in unserem Sinne nicht kennen, sondern die Legislative, Exekutive und richterliche Funktion in der Spitze beim Parlament sehen. Es scheint mir nötig zu sein, daß wir einer solchen Auffassung gegenüber einen deutlichen Trennungsstrich ziehen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Es ist hier nun gesagt worden, die Bundesregierung habe Vorleistungen erbracht. Demgegenüber
muß festgestellt werden: es sind überhaupt keine
Vorleistungen erbracht worden. Die Bundesregierung hat nichts weiter getan, als eine Reihe von
Grundsätzen zu entwickeln, und der Bundeskanzler hat Ihnen ja eben seine Note vom 1. November
und sein Aide-Mémoire vom 7. November vorgelesen. Seine Interviews kennen Sie auch. Jedenfalls ist soviel daraus zu entnehmen, daß eine
echte Bindung von der Bundesregierung nicht eingegangen worden ist und im gegenwärtigen Stadium auch überhaupt noch nicht eingegangen werden konnte. In seinem Schreiben an die Hohe
Kommission vom 1. November und in dem AideMémoire ist die Bereitwilligkeit erklärt worden,
dem Sicherheitsbedürfnis gegenüber der Bundesrepublik Deutschland Rechnung zu tragen und in jedem Organ mitzuarbeiten, das das mögliche Kriegspotential Deutschlands zu kontrollieren hat. Die Sicherheitsfrage, die damit zusammenhängt, und die internationalen wirtschaftlichen Fragen sollten in einem Ausschuß unter Teilnahme deutscher Vertreter erörtert werden.
Nun hat darüber hinaus das Aide-Mémoire vom 7. November einige dieser Fragen konkretisiert, und in diesem Zusammenhang ist auch zu dem Fragenkomplex etwaiger ausländischer Beteiligung ein Memorandum der Vereinigten Stahlwerke beigefügt worden, ein Plan, auf den ich gleich noch zu sprechen kommen werde. Man wird schwerlich sagen können, daß hier deutsche Vorleistungen realisiert worden seien, bevor eine konkrete Gegenleistung in Aussicht gestellt oder gewährt worden sei. Die Tatsache, daß der Herr Bundeskanzler erklärt hat, daß er die deutsch-französischen Beziehungen zu einem Angelpunkt seiner Politik zu machen entschlossen ist, hat nach seinem Interview in der „Zeit" vom 3. November innerhalb Deutschlands weithin Zustimmung gefunden. Ich glaube. das Hohe Haus hat auch vorhin mit seiner Zustimmung zu der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers diese Linie noch einmal unterstrichen. Das bedeutet ja doch nichts weiter als den Ausdruck dafür, daß bei uns seit langem das Verständnis gewachsen ist, der Aufbau eines fortschrittlichen Europas sei unmöglich ohne einen positiven Ausgleich mit unserem großen französischen Nachbarvolk. Nach all den Erklärungen, die von Regierungsseite seit dem Tage der Bildung des Kabinetts abgegeben worden sind, sollte eigentlich niemand einen berechtigten Zweifel daran haben können, daß die Betonung des Ausgleichs mit Frankreich allerdings nicht einen Gedächtnisschwund zu Lasten unserer Brüder im Osten bedeutet. Wir können auch zum Beispiel dem Kollegen Schmid darin zustimmen, daß sich unser Europa nicht auf die westliche Welt plus Westdeutschland beschränkt, sondern daß wir genau wie er auch das östliche Europa als dazugehörig betrachten. Das sollte aber so selbstverständlich sein, daß wir es nicht immer zu wiederholen brauchen.
Es ist ja auch nicht so, als ob sich die Opposition grundsätzlich gegen die europäische Konzeption der Bundesregierung wendete, sondern sie befürchtet, wenn ich es richtig verstanden habe, die Anerkennung einer hegemonialen Stellung Frankreichs und sieht diese Gefahr besonders im Hinblick auf das Saargebiet gegeben. Wir halten es mit dem Herrn Bundeskanzler für sehr bedauerlich, daß die Saarfrage überhaupt mit der Europafrage verknüpft worden ist. Die Regelung der Saarfrage soll und muß in ihrer endgültigen Form dem Friedensvertrag vorbehalten bleiben.
Aber, meine , Damen und Herren, wenn es — nicht mit unserem Zutun — doch dazu kommen sollte, daß in absehbarer Zeit Deutschland mit etwa 18 Abgeordneten ebenso wie Großbritannien, Frankreich und Italien in den Europarat einziehen sollte und sich dann zu uns der Vertreter der Saar gesellen würde, dann wollen wir hoffen — und ich sage das hier als geborener Saarbrücker daß wir uns als Freunde und Brüder begrüßen können. Mir scheint, daß dieser Sachverhalt von vornherein so klargestellt werden kann, daß später Mißverständnisse oder Festlegungen unbedingt vermieden werden. Wir sehen hier nur ein Provisorium vorbehaltlich der Lösung im Friedensvertrag, und da brauche ich wohl kaum hinzuzufügen, daß es für uns nicht


(Dr. Schröder)

I die Möglichkeit gibt, irgendwo und irgenwie auf deutsches Land zu verzichten. Das ist für uns schlechthin indiskutabel. Aber darum geht es ja auch gar nicht.
Die gegenwärtigen Verhandlungen leiden nun ohne Zweifel darunter, daß durch die Demontagen ein Druck auf sie ausgeübt wird und daß der Fortgang der Demontagen in den letzten Wochen laufend einen solchen Druck dargestellt hat. Über dieses Problem ist in diesem Hause von Anfang an sehr viel gesagt worden. Mindestens soviel aber hat sich doch in der Zwischenzeit als eine Binsenwahrheit ergeben: daß das Demontageproblem allein schon wegen seiner Langlebigkeit eine schwere psychologische Last geworden ist, und die „Times" zum Beispiel hat erst vor einer Woche zum Ausdruck gebracht, daß die Demontage schon aus dem Grunde gestoppt werden müßte, weil sie ein ernsthaftes Hindernis für die vernünftige Politik einer europäischen Zusammenarbeit sei. Wir freuen uns, aus den Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers über seine Unterhaltung mit der Hohen Kommission entnehmen zu können, daß diese Erkenntnis nunmehr auch in die Praxis, jedenfalls an wesentlichen Stellen umgesetzt werden wird.
Nun ist die Reparationsseite des Demontageproblems in der letzten Zeit mehr und mehr in den Hintergrund getreten, während die Sicherheitsfrage an Gewicht gewonnen hat. Von dieser Seite her läßt sich meines Erachtens auf der Grundlage gerade der neuen und jetzt zu praktizierenden Vorschläge der Bundesregierung an das Problem herankommen. Mir scheint der Gedanke, die dauernde und befriedigende Regelung dieses Sicherheitskomplexes in einem gemischten Ausschuß zu besprechen, durchaus glücklich. Einstweilen fehlt es uns nämlich nicht nur an einem einfachen und klaren System für die Regelung der Sicherheitsfrage, sondern darüber hinaus an einer Abstimmung all dieser Dinge wie Ruhrstatut, Direktive für das Sicherheitsamt für Westdeutschland und Besatzungsinstitut. Es wird die Aufgabe der kommenden Verhandlungen sein, diese Institute in ein möglichst einfaches und klares System zu bringen.
Das Ruhrstatut hat die Eigentümlichkeit, daß an ihm nicht nur die drei Besatzungsmächte, sondern auch die Benelux-Staaten beteiligt sind. Wie Sie wissen, hat sich die Tätigkeit der Ruhrbehörde bisher eigentlich mehr im Rahmen des Protokollarischen bewegt, während sie auf dem Gebiete, für das sie wenigstens zum Teil eine Zuständigkeit hat — die Kohlenkontrolle und die Stahlgruppe, die mit ihr keine unmittelbare Verbindung haben —, wesentlich mehr Aktivität zu entfalten hatte. Der Ausschuß wird also die nicht ganz einfache Aufgabe haben, diese Dreimächteinstitutionen mit der Sechsmächteinstitution — unter Einrechnung Deutschlands sogar Siebenmächteinstitution — in eine klare Abstimmung zu bringen.
In diese Anpassung und Abstimmung müßten aus dem Besatzungsstatut insbesondere auch die Bestimmungen einbezogen werden, die sich auf das von der Ruhrbehörde, dem Sicherheitsamt und der Kohle-, Eisen- und Stahlgruppe behandelte Gebiet beziehen. Der Kompliziertheit dieser Aufgabe sind wir uns voll bewußt. Sie muß aber gerade dann gelöst werden, wenn man die möglichen Reibungsflächen zwischen uns und den alliierten Mächten auf das geringste Maß zu beschränken vorhat.
Meine Damen und Herren! Die Frage des Beitritts zur Ruhrbehörde kann in diesem Stadium der Verhandlungen nach meiner Meinung im einzelnen noch nicht diskutiert werden. Wenn man sie aber behandelt, darf man nicht übersehen, daß das Ruhrstatut in der gegenwärtigen Form zwar eine völkerrechtliche Servitut auf uns legt, aber den Signatarmächten keine ähnliche Beschränkung auferlegt. Die Einseitigkeit der Beschränkungen müßte selbst dann immer wieder zu Schwierigkeiten führen, wenn Deutschland an ihrer Regulierung durch seine Mitarbeit im Rat beteiligt wäre. Von deutscher Seite ist daher gerade wegen dieser Einseitigkeit des Ruhrstatuts immer wieder die Anregung gegeben worden, es nur als eine Vorstufe zu einer wahrhaft europäischen Regelung aufzufassen. Mag der Weg bis dahin auch noch weit sein, so sollte man für die in Aussicht gestellte Mitarbeit dann eine Form finden, die vor allem den Weg für eine künftige Weiterentwicklung offenhält und erleichtert. Dabei sollte der fruchtbare Gedanke erneut aufgegriffen und gründlich untersucht werden, ob nicht die Ausgestaltung des Statuts zu einem Zweckverband möglich ist, in den Deutschland die Ruhr, Frankreich die Erzvorkommen Lothringens, beide zusammen die Saar und schließlich Belgien und Luxemburg ihre Schwerindustrie einbringen würden. Eine wahrhafte Europäisierung der europäischen Grundstoffindustrien ließe sich sicher nicht wirkungsvoller einleiten. Ich darf mich auch hier noch einmal dem anschließen, was der Herr Kollege Schmid ausgeführt hat, der seinerseits den Gedanken einer zollvereinsähnlichen Regelung entwickelt hat, einen Gedanken, der an sich schon wert ist, auch bei den künftigen Besprechungen besonders beachtet zu werden. Obwohl es sich hier grundsätzlich um, eine Materie handelt, bei der die Verhandlungen der Regierung und ihren Beauftragten überlassen bleiben müssen, scheint es mir empfehlenswert, daß auch Sachverständige der Opposition in geeigneter Weise zur Mitarbeit herangezogen werden, um für dieses materiell bedeutsame und formell schwierige Gebiet die besten Köpfe heranzuziehen.
Meine Damen und Herren! Wir kennen also die Konzeption der Regierung. Ich habe nun heute nach der Konzeption der Opposition gesucht und mich gefragt, mit welchen Mitteln, Vorschlägen und Hilfen sie diese ihre Konzeption durchsetzen will. Nun, aus den Ausführungen des Redners der Opposition habe ich auf diese Frage keine befriedigende Antwort gehört. Die Opposition hat das Unglück gehabt, gerade in diesen Tagen aus London ein Telegramm zu bekommen, das im Grunde, meine Damen und Herren, ja nichts anderes enthält als das, was auch in den Sätzen — und nun aus der umgekehrten Perspektive — der Note des Herrn Bundeskanzlers vom 1. November enthalten ist. Sie alle in diesem Hohen Hause wissen es ja, daß auch die Äußerungen der Opposition zu diesem Telegramm der Labour Party doch recht zurückhaltend gewesen sind.
Es ist dann ein schwerwiegender Punkt angeschnitten worden, mit dem ich mich doch noch besonders beschäftigen möchte. Das ist der Plan der Vereinigten Stahlwerke. Ich möchte hier eines ganz klar und deutlich herausstellen: es handelt sich hier nicht um einen Plan der Regierung, sondern es handelt sich um einen Plan der Vereinigten Stahlwerke.

(Zurufe von der SPD.)



(Dr. Schröder)

Als solcher ist er auch von dem Herrn Bundeskanzler bezeichnet und behandelt worden. Meine Damen und Herren, wir werden bei der Diskussion über diese Frage noch sehr viele Pläne auf den Tisch des Hauses bekommen, nicht zuletzt von Ihnen. Dies ist nun einmal der Plan der Vereinigten Stahlwerke, und daß er genau so gut wie auch andere Pläne in diesem Zusammenhang diskutiert werden kann, sollten Sie nicht in Abrede stellen.
Wieweit nun die sachliche und rechtliche Legitimation der Vereinigten Stahlwerke zur Aufstellung eines solchen ,Planes gegeben ist, will ich nicht weiter erörtern. Ich möchte jedoch hervorheben, daß zu seiner Realisierung natürlich manche Voraussetzungen fehlen, nicht zuletzt die des Gesetzes 75 der Militärregierung, das ein Bestandteil unseres Rechts geworden ist. Dieses Gesetz 75 hat diesem Hohen Hause die Aufgabe übertragen, sich mit der Regelung der Eigentumsverhältnisse bei Kohle und Eisen zu beschäftigen. Aber, meine Damen und Herren — und damit sage ich doch auch Ihnen auf der Seite der Opposition schwerlich etwas Neues —, wollen Sie sich noch an die Regierungserklärung erinnern, in der die Frage einer Neuordnung der Eigentumsverhältnisse der Grundindustrien ausdrücklich behandelt wonden ist. Außerdem werden Sie sich vielleicht noch an den Antrag Nr. 109 erinnern, einen Antrag, den die CDU eingebracht hat und der diese Frage, die im Augenblick bereits in den Ausschüssen behandelt wird, von neuem unterstrichen und zur Erörterung gestellt hat. Es wäre also völlig falsch, dem Plan der Vereinigten Stahlwerke in diesem Zusammenhang jene, wie mir scheint, allzu weittragende Bedeutung beizumessen, wie der Sprecher der Opposition das getan hat.
Welches muß denn nun das Ziel unserer Unterhändler bei der Besprechung und Prüfung unserer Probleme im Verhältnis zu .den Alliierten und Europa sein? Dabei ist die wesentliche Ausgangslage die, daß es sich hier um nichts weiter handelt als darum, die Basis dafür zu finden, daß diese 47 Millionen Menschen in den Westzonen und darüber hinaus die Menschen Berlins eine Lebensgrundlage behalten. Sie werden sich erinnern, daß der Herr amerikanische Außenminister gesagt hat: den größten Teil dieser Dinge hat Deutschland zu tun; das, was wir tun können, ist mehr oder weniger eine Sache, die sich am Rande abspielt. Meine Damen und Herren, das ist ein Wort, an das wir uns sozusagen im Zeitablauf besonders werden erinnern müssen als an eine eindringliche Verpflichtung, daß es zunächst einmal an uns ist, die Basis für die Selbsterhaltung dieser rund 50 Millionen Menschen zu finden. Wenn ich zu dieser wirtschaftlichen Situation ein Zitat geben darf, so sei es das von René Lauret, dem Redakteur des „Monde", der geschrieben hat, „daß Deutschland mit seiner Produktion von 1932 oder 1.935 nicht auskommen kann, sondern daß diese Produktion in demselben Verhältnis steigen muß, wie seine Bevölkerungsdichte gestiegen ist. Als die Alliierten das deutsche Gebiet stark beschnitten, haben sie Deutschland automatisch verurteilt, eine größere industrielle Macht zu werden". Ich glaube aber, für die Bundesregierung wird es lediglich eine Selbstverständlichkeit sein, daß auch dieser Gegenstand in den künftigen Verhandlungen eine große Rolle wird spielen müssen.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich schließen, indem ich der Überzeugung Ausdruck
gebe, daß vor allem, die jüngere Generation in Deutschland für eine klare und entschlossene Behandlung der Probleme in Richtung Europas besonderes Verständnis haben wird und daß sie die Regierung danach beurteilen wird, wie fest sie bei der Lösung ihrer Aufgaben sein wird. Deswegen möchte ich dem Herrn Bundeskanzler sagen: Wenn die Regierung den Weg, den sie selbst aufgezeigt hat und den die hinter ihr stehenden Parteien bejahen, klar und entschlossen geht, wenn sie ihn zäh und geduldig verfolgt — ohne alles Pathos und ohne jeden Krampf, aber im Bewußtsein ihrer einmaligen geschichtlichen Verpflichtung —, dann, Herr Bundeskanzler, können wir Ihnen versichern, daß die Mehrheit dieses Hauses sund die Mehrheit aller Deutschen Ihnen dabei die Gefolgschaft nicht versagen wird.

(Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0101701300
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.

August-Martin Euler (DP):
Rede ID: ID0101701400
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist bisher hier wenig davon die Rede gewesen, daß Europa und alle Völker außerhalb des russischen Vorhangs in einer tödlichen Gefahr stehen, in der Gefahr der Vernichtung im wahrsten Sinne des Wortes, und davon muß gesprochen werden. Denn das muß Ausgangspunkt einer wieder anhebenden deutschen Außenpolitik sein. Von Wladiwostok bis Eisenach reicht heute der Block, der unter der Führung des Kreml steht. Die „Tägliche Rundschau" war es erst in diesen Tagen, die entsprechend der allgemeinen Propagandalinie diesen Gedanken der ungeheuren Ausdehnung der Macht des Kreml propagandistisch darzustellen suchte, indem sie an den Rändern entlang die dem russischen Einflußbereich nicht unterfallenden Staaten weiß aussparte, um sie mit der Unterschrift zu versehen: „Es sind nur wenige Völker am Rande des großen eurasischen Kontinents, von Japan über den Indischen Ozean und das Mittelmeer bis hinauf zur Nordsee, die noch auf ihre Befreiung warten."
Die Westalliierten haben sich lange dagegen gesträubt, die wahre Natur des sowjetischen Despotismus zu erkennen und ihm mit einer Schutzpolitik entgegenzutreten, der es darauf ankam, alle Kräfte zu sammeln, um weitere russische Aggressionen und Invasionen zu verhindern. Vorausgegangen war die Vergewaltigung der Balkanländer, der Umsturz in der Tschechoslowakei, der Pressionsversuch gegenüber Finnland, und vor allen Dingen die Blockade Berlins, mitten im Frieden! Diese Blockade war darauf angelegt, die Berliner Bevölkerung durch Aushungerung zur Übergabe zu bringen, durch Herbeiführung äußerster Notzustände die Westmächte zur Übergabe der Stadt zu bewegen. Berlin hat einen heroischen Kampf für Deutschland, für Europa, für die ganze westliche Welt gekämpft und tut es heute noch gegenüber jener Macht, für die der Frieden oder das Schweigen der Waffen nur die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln bedeutet.
In dieser Lage ist es für alle Völker diesseits des eisernen Vorhangs notwendig, das Abendland vor sowjetischen Aggressions- und Invasionsakten zu schützen. Das Mittel zur Erlangung der Sicherheit kann sowohl für die europäischen Völker als auch darüber hinaus für die Völker jenseits des At-


(Euler)

lantik und die Völker in Asien, denen eine frühe Selbständigkeit zuerkannt wurde, nur die Vereinigung sein, die neue Zerwürfnisse ausschließt, die Vereinigung, die Kräfte zusammenfaßt, um einer wahrhaft tödlichen Gefahr entgegenzutreten. Alle Produktivkräfte werden benötigt, um einen Wohlstand zu sichern, der jede Möglichkeit der Verführung durch jene gewitzigten Demagogen ausschließt, die nur auf Angst und darauf spekulieren, daß der in Not Befindliche doch einem verführerischen Wort offensteht, das alles zu versprechen scheint. Sicherheit ist nur durch die freudige Mitwirkung aller Völker möglich, und diese ist nur auf der Grundlage der Gleichberechtigung und Gegenseitigkeit zu gewinnen. Ein gleichmäßiger Verzicht auf Souveränitätsrechte ist das Mittel, das alle europäischen Völker — gerade auch das deutsche Volk, das ja wohl nicht entbehrt werden kann — dazu bringen kann, ihre Kräfte in den Dienst einer Lebensordnung zu stellen, die von einem Ideal beherrscht ist, das das Leben lebenswert macht. Nur über Europa kommen wir heute zur Existenzsicherung unserer Nation, und über Europa nur kommen die anderen Völker, die Franzosen ebenso wie die Italiener, die Holländer und Belgier und letzten Endes auch die Engländer zur Existenzsicherung ihrer Nation. Die Sicherheit für jedes europäische Land diesseits des eisernen Vorhangs wird nur über Europa verwirklicht.
Dieses Europa könnte nicht einmal erstehen, wenn es heute nicht den Schutz der USA. genösse. Es kann sich nur im Schutze der Macht entfalten, die allein von den Machthabern des Kreml als solche respektiert wird und die vorläufig allein in der Lage ist, die weitere Machtentfaltung des o Kreml zu stoppen. Wir hätten gar keine Gelegenheit, uns über Europa und über Verständigung mit den westlichen Alliierten zu unterhalten; wir hätten gar keine Möglichkeit, über die Rechtfertigung von Forderungen, die an uns gestellt werden, oder aber über die Begründetheit von Forderungen, die wir geltend machen, zu diskutieren. Längst wäre die russische Lawine über die westlichen Völker bis zum Ozean hinweggegangen, und wir wären hier ebenso wie heute unsere Brüder und Schwestern im Osten Opfer eines Jochs, von dem keine Befreiung zu erwarten wäre. Dessen müssen wir immer eingedenk sein, daß die USA. heute die Träger der europäischen Einigungsbestrebungen sind, weil nur der von ihnen kommende Schutz und die von ihnen kommende materielle Hilfe in der Lage sind, Europa überhaupt zum Werden kommen zu lassen. Vergessen wir niemals, daß der Atlantikpakt uns aus dem Niemandsland herausnahm, daß das von den westlichen Mächten besetzte Deutschland kraft des Atlantikpaktes ein geschütztes Land ist; und denken wir weiter daran, daß es die Konzeption des Marshallplans war, daß die materielle Hilfe, die über den Marshallplan allen europäischen Völkern und namentlich uns Deutschen zufließt, den ersten Schutz gegen eine Verelendung bot, in der sich heute unsere Brüder und Schwestern in der Ostzone noch mitten drin befinden. Der Marshallplan als wirtschaftliches Mittel der europäischen Vereinigung wird noch weiterhin seine Früchte tragen, wenn er von uns allen eben als ein Mittel aufgefaßt wird, das einzusetzen ist, um bei seinem Ablauf Vorrichtungen aus eigener Hilfe oder fördernde Umstände aus eigener Hilfe den Verelendungsbedingungen entgegensetzen zu können.
Das geschlagene Deutschland zum Mitträger einer neuen europäischen Ordnung zu machen, ist unser deutsches Streben, ein Streben, das aus einem alltäglichen Erlebnis heraus immer neue Nahrung empfängt, aus dem Erlebnis, daß mehr als tausend Menschen täglich aus der Ostzone herüberfluten und immer aufs neue die Nachricht von neuen Mitteln des Despotismus, von neuen Mitteln der Vergewaltigung und Vernichtung von Menschen mit sich bringen.
Eingeordnet in die westliche Welt wollen wir sein, ein zuverlässiger Baustein einer neuen Ordnung, die — so hoffen wir — derart erstarken wird, daß sie im Laufe der Zeit die russische Politik zu einer weisen Selbstbeschränkung führt, zu einer Resignation mit der Folge des Verzichts auf Gebiete, die niemals russisch waren und niemals russisch sein werden, deren Bevölkerung nur darauf wartet, von einem unerträglichen Joch befreit zu werden.

(Abg. Rische: Wieviel Divisionen wollen Sie denn?)

Gegenüber dieser Zielsetzung eines entstehenden Europas besteht nun leider die Gefahr einer zu langsamen Entfaltung, die daher kommt, daß das Mißtrauen zwischen den einzelnen europäischen Völkern einen großen Widerspruch zwischen der Ideologie und der Wirklichkeit der Besatzungspolitik der westlichen Mächte in Deutschland klaffen läßt. Diesen Widerspruch, die Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Verkündung zu überwinden, damit wir ein gleichberechtigtes Glied der europäischen Völkerfamilie werden, ist nur dann möglich, wenn alle Beteiligten bemüht sind, Vertrauen zu erwerben und Vertrauen zu sichern. Es gibt nur ein Gesetz der wiederanhebenden deutschen Außenpolitik: Erwerb und Sicherung von Vertrauen in den Ländern, in denen Recht und Freiheit als wegweisende Ideen einer neuen zwischenstaatlichen Lebensordnung lebendig sind, in denen Recht und Freiheit als Träger einer neuen Ordnung überhaupt vertreten werden dürfen. Eine solche Politik kann nicht als „pro-westlerisch" bezeichnet werden, wie dies Herr Dr. Schumacher tat. Was heißt in der heutigen Situation „pro-westlerisch", da wir überhaupt nur mit dem Westen zusammenarbeiten können, da wir doch überhaupt nur jene Völker und jene Staaten angehen können, um gemeinsam mit ihnen der Überfremdungsgefahr, der Aggressionsgefahr aus dem Osten zu begegnen? Die Politik einer erfolgreichen Befreiung muß eine Politik der gleichberechtigten Einordnung in eine internationale Ordnung sein, wie sie von den Angelsachsen, von den west-, mittel-, süd- und nordeuropäischen Völkern erstrebt wird.

(Abg. Rische: Hitlers „Neuordnung in Europa"!)

Vertrauensstörung erwächst, wenn wir den Anschein erwecken, als könnte irgend etwas geeignet sein, von der entstehenden deutschen Freiheit einen solchen Gebrauch zu machen, daß wir gegebenenfalls für den Osten optieren könnten. Das ist der eigentliche Hintergrund der heutigen Befürchtungen Frankreichs und Englands, daß in dem Maße, wie die deutsche Industrie leistungsfähig wird, wie wir wieder die freie Disposition gewinnen, diese Freiheit vielleicht doch einmal dazu verwandt werden könnte, aus einem beschränkten nationalstaatlichen Denken heraus gegen den Westen eingesetzt zu werden. Deswegen ist es gerade heute in dieser Debatte wichtig, klare Auskunft über unseren geistigen Standort zu


(Euler)

geben. Und zu dieser klaren Auskunft gehört die entschiedene Absage an alle Arten verdächtiger Neutralitätspolitik seltsamer Brückenschläger, die sich an bestimmte historische Situationen der Vergangenheit erinnern und sie durch völlig unbegründete, falsche Analogien auf die heutige Zeit übertragen. Es ist letzten Endes nicht verwunderlich, wenn es Männer wie Nadolny gibt, die nicht mehr in der Lage sind, die ungeheuren Verschiebungen der Machtverhältnisse in der Welt zu realisieren, und deswegen zu falschen Entscheidungen kommen. Weil sie gewisse Reminiszenzen an Bismarcksche Politik haben, gewisse Reminiszenzen an Rapallo, kommen sie zu falschen Schlüssen über das, was heute oder in Zukunft möglich oder auch nur zweckdienlich ist.
Gerade in dem Augenblick, in dem die Initiative der USA zur Beseitigung harter Widersprüche zwischen der Praxis und der Ideologie der westlichen Besatzungsmächte führen soll, ist es wesentlich, daß von dieser Stelle Klarheit über unsern geistigen und politischen Standort geschaffen wird. Es ist eine immerhin recht bedeutungsvolle Stunde der Ausweitung der deutschen Freiheit — die einem neuen Europa zugute kommen soll —, in der wir uns befinden. Wenn irgend etwas begrüßenswert ist, dann ist es die Anregung der Regierung, wesentliche Fragen in einem Ausschuß unter Teilnahme deutscher Vertreter zu erörtern, und wie schon die fünf Punkte, die die Regierung in ihrer Note vom 1. November genannt hat, zeigen, handelt es sich dabei um eine Beratung, die zu einer Erörterung des Gesamtproblems Deutschland mit dem Ziele der offiziellen Beendigung des Kriegszustandes führen soll. Wenn das angestrebt wird, so kann es keinen Zweifel geben, daß viele der Fragen, die bisher nicht erwähnt oder angeschnitten worden sind, in den Kreis der Erörterungen einbezogen werden müssen. Seien wit aber froh, daß diese Erörterungen begonnen haben und daß wesentliche Fragen den Ausgangspunkt zu einer weiteren Erörterung bilden, von der wir glauben, daß sie sich auf alle Lebensgebiete erstrecken und zur Folge haben wird, daß die Beendigung des Kriegszustandes unter Bedingungen ausgesprochen wird, die unserem Volke klar zeigen, welches der Unterschied zwischen östlichen Verheißungen und westlichen Erfüllungen ist. Das ist aber nur durch Stärkung des Vertrauens möglich.
Beweise des ernsten Wunsches — so heißt es in dem Kommuniqué über die Pariser Konferenz — sollten erbracht werden, daß wir das Bedürfnis nach einer Gemeinschaft mit den Nationen haben, die der Sache der Demokratie, der Gerechtigkeit und des Friedens ergeben sind. Solche Beweise sollen nichts anderes sein als Vorleistungen, nicht Beweise des Wortes, sondern der Tat. Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, es kommt ganz wesentlich darauf an, wie der Charakter der Vorleistungen beschaffen ist. Sind diese Vorleistungen derart, daß bei unserer Bevölkerung der Eindruck entsteht, Europa werde vom Westen her mit der Maßgabe bejaht, daß innerhalb Europas Deutschland dauernd eine Nation geminderten Rechtes bleiben solle, daß es außerhalb der Gleichberechtigung mit einer gewissen Distanziertheit neben den Nationen vollen, ungeschmälerten Rechtes stehen solle, dann, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird die politisch-psychologische Reaktion in unserer Bevölkerung außerordentlich bedauerlich sein.
Der Herr Bundeskanzler hat in seinem Interview in der „Zeit" einige Ausführungen gemacht, die meines Erachtens mitten ins Schwarze treffen. Das Maß der gegenseitigen Rücksichtnahme — so sagte er — müsse darauf abgestellt sein, auf beiden Seiten ein Vertrauensverhältnis entstehen zu lassen. Man darf nicht nur auf der einen Seite — das sollten die Westmächte nicht verkennen — die Gefahr der Vertrauensminderung in Frankreich gegenüber Deutschland sehen, sondern die Besatzungsmächte müssen umgekehrt die Gefahr eines entschiedenen Vertrauensverlustes in der deutschen Bevölkerung gegenüber dem Westen erkennen. Nur wenn man diese beiden Seiten sieht, wird man eine Bereitschaft zu Regelungen finden, aus der heraus das hervorgehen wird, was nicht nur unsere Bevölkerung, sondern was ebenso das französische Volk erwartet und was letzten Endes alle Völker Europas erwarten. Die Initiative der Regierung, aus dem Geiste der deutschen und europäischen Verantwortung, der Besonnenheit und des Maßes in Erörterungen einzutreten, die das Problem Deutschland in seiner ganzen Breite aufrollen sollen. ist begrüßenswert und sollte auch von der Opposition anerkannt werden.
Die Problematik einer beginnenden Außenpolitik ohne zureichenden Apparat ist allerdings gleich bei den ersten Erörterungen hervorgetreten, und man sollte sich auf seiten der Alliierten nun wirklich ernstlich fragen, ob es nicht völkerrechtlich in eine Sackgasse führt, wenn man uns ein Außenamt vorenthält, das ja nur die sorgfältige Behandlung all der Fragen zur Aufgabe haben soll, die jetzt in immer größerer Fülle hervortreten und mit äußerster Sorgsamkeit bearbeitet werden müssen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unter a den Punkten, die die Regierung zunächst zu behandeln angeregt hat, ist einer von ganz besonderer Bedeutung, wenn man berücksichtigt, daß ja Verhältnisse geschaffen werden sollen, die der Entwicklung Europas nicht nur in Gedanken, sondern in der Lebenswirklichkeit dienlich sein können, und das ist die Beteiligung ausländischen Kapitals an deutschen Werken. Es war nachgerade zu erwarten, daß die Erörterung auch nur einer solchen Absicht eine Art Wutanfall der sozialistischen Opposition auslösen würde.

(Unruhe links.)

Denn die Äußerungen des Herrn Dr. Schumacher in den letzten Tagen zu diesem Punkt waren von keinerlei Sachlichkeit mehr getragen, sie waren auch nicht von dem Willen beseelt, überhaupt Verständnis zu suchen; sie waren nur von dem Willen getragen, den Vorschlag der Regierung von vornherein auf demagogische Weise zu diskreditieren.

(Beifall rechts.)

Es liegt auf derselben Linie, wenn Herr Dr. Schumacher beispielsweise davon sprach, es handle sich darum, einen alliierten Gendarmen in Deutschland vor den Geldschrank des Großbesitzes zu stellen, oder wenn er heute — nur in der Form abgemildert, aber in der Sache genau dasselbe meinend — von einer Frankreich-Deutschland-AG sprach und sagte, es handle sich lediglich um eine Verbindung der Schwerindustrien. Nun, solche Äußerungen sind im Grunde genommen nicht verwunderlich, denn sie entspringen der Betrachtungsweise des klassenkämpferischen Marxismus.

(Sehr gut! rechts. — Gegenrufe links.)



(Euler)

Wir lassen uns allein von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise leiten, deren Vernunft sehr simpel darzustellen ist.

(Zuruf bei der SPD: Aber sehr simpel!)

Wir leiden unter Kapitalmangel. Das Kapital könnten wir aus eigenen Ersparnissen und aus eigener Arbeit nur nach einer langen Reihe von Jahren in dem erforderlichen Umfang aufbringen, um die dringenden Anliegen der Produktionserneuerung und des Wohnungsbaus gerade im Ruhrgebiet mit der Schnelligkeit zu erfüllen, deren es bedarf, um die Not zu lindern. Wenn Sie, meine Herren von der Linken, dagegen hetzen, daß wir ausländisches Kapital hereinnehmen, verurteilen Sie damit unsere Bevölkerung dazu, daß ihr Wohlstand noch eine sehr lange Zeit außerordentlich gemindert bleibt.

(Bravorufe und Händeklatschen rechts. — Zuruf bei der SPD: Sehr simpel! — Zurufe bei der KPD.)

Durch die Hereinnahme ausländischen Kapitals
werden wir ohne weiteres In die Lage versetzt, den ungeheuren Ersatzbedarf sowie den
großen Bedarf an Erneuerungen, die den technischen Fortschritten Rechnung tragen sollen, in
verhältnismäßig kurzer Zeit zu befriedigen und damit einen entscheidenden Beitrag dazu zu leisten

(Abg. Renner: Zum Ausverkauf!)

— ich komme gleich auf den Zuruf vom Ausverkauf zurück daß eine hinreichende Arbeitsmöglichkeit und Beschäftigung sichergestellt sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der
Ostzone haben sich die Russen alle interessanten
Betriebe als sogenannte Sowjet-AGs genommen.

(Lachen und Zurufe bei der KPD.)

Im Gegensatz dazu handelt es sich im Westen überhaupt nicht um Majoritätsbeteiligungen, sondern lediglich um das Angebot, um die Einladung, Minoritätsbeteiligungen zu geben.
In diesem Zusammenhang möchte ich der Regierung allerdings ein Wort mit auf den Weg geben. Wir sollten die Aufmerksamkeit darauf richten, daß nicht Beteiligungen von einer solchen Höhe gegeben werden, daß im Handumdrehen infolge Zukaufs von Streubesitz usw. aus einer starken Minorität eine schwache Majorität wird.

(Abg. Renner: Aha!)

Wenn derartiges geschehen würde, wäre das politisch nicht weniger verkehrt als wirtschaftlich. Politisch handelt es sich um folgendes. Dem Ausländer soll im Zusammenhang mit der Sicherheitsfrage ein gewisser Einblick und auch ein Interesse an deutschen Werken gegeben werden; der Ausländer soll dadurch mehr aufgeschlossen werden für die wirtschaftlichen und politischen Bedürfnisse Deutschlands; er soll ein besseres Einschätzungs-
und Beurteilungsvermögen über die von allen möglichen Seiten behaupteten Gefahren einer etwaigen deutschen Wiederaufrüstung usw. erlangen.
Das Kontrollrecht, das mit einer Minderheitsbeteiligung verbunden ist, birgt nicht die Gefahr einer Überfremdung in sich, wenn die Angelegenheit von vornherein von allen Beteiligten politisch und wirtschaftlich so besonnen angefaßt wird, wie es die Schwierigkeit dieses Problems erfordert. Man muß die Forderung nach Beschränkung auf Minderheitsbeteiligung deutlich hervorheben. Der Vorschlag der Vereinigten Stahlwerke ging beispielsweise auf Einräumung einer Minderheitsbeteiligung von 28 Prozent. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratie und
der KPD, die Sie j a immer dann gemeinsam kämpfen, wenn es sich um marxistische Grundsätze handelt: wenn man die Beschränkung auf Minderheitsbeteiligungen klar hervorhebt, zerrinnen Ihre nationalen Vorwände.

(Zurufe links.)

Sie suchen ja nur nationale Vorwände, um sozialistische Nöte zu verbergen.

(Zurufe bei der SPD und KPD.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade von diesem Gesichtspunkt der Kapitalbeteiligung her kommt man allerdings zu einer sehr kritischen Einstellung gegenüber dem Ruhrstatut. Es sollte niemals vergessen werden, daß gerade die Kapitalverflechtung, die wir als Mittel einer Liberalisierung des europäischen Handels und der europäischen Industrie für sehr wünschenswert halten, durch nichts stärker verhindert wird als eben gerade durch das Ruhrstatut. Das Ruhrstatut bietet nämlich die Möglichkeit eines ungeheuren Mißbrauchs der Verwaltungsbefugnisse und der Eingriffsrechte aus Konkurrenzgründen. Diese Gelegenheit zum Mißbrauch wird immer Befürchtungen auslösen, wenn es sich darum handelt, Kapital in deutsche Werke an der Ruhr hineinzugeben.
Zum zweiten aber ist es wesentlich, folgendes zu erkennen. Das Ruhrstatut geht weit über die legitimen Kontrollbedürfnisse hinaus. Es geht weit über die Kontrollen hinaus, die aus Sicherheitsgründen erforderlich wären, um den Westalliierten das Vertrauen zu geben, das für sie unerläßliche Grundlage einer Zustimmung zur Politik der gleichberechtigten Einordnung Deutschlands ist. Wir haben auf der einen Seite die Sicherheitskommission, die die spezielle Aufgabe der militärischen Überwachung hat. Wir haben darüber hinaus kraft Besatzungsstatut die allgemeine Wirtschaftskontrolle. Wir haben zum dritten in dem Maße, wie die Kapitalverflechtung anzuheben beginnt, die Kontrolle des Auslandes über die Minderheitsbeteiligungen in den einzelnen Werken. Nun, man muß sagen: das reicht! Nichts kann darüber hinwegtäuschen, daß das Ruhrstatut ein Relikt einer im Grunde genommen bereits überholten Periode der westalliierten Politik in Deutschland ist.

(Sehr richtig! bei der FDP.)

Je früher dieses Ruhrstatut beseitigt oder durch etwas ersetzt wird, was mit dem, was sich heute Ruhrstatut nennt, sehr wenig gemein haben kann, um so besser. Ich glaube, es wäre sehr verdienstlich, wenn die Regierung gerade unter diesen Gesichtspunkten zeigen würde, daß das Ruhrstatut ein erratischer Block ist, der auf dem Wege in eine bessere europäische Zukunft liegt, wenn es nicht auf eine Weise abgewandelt wird, daß das, was dann daraus hervorgeht, sehr wenig mit dem bisherigen Ruhrstatut zu tun hat. Ich erinnere nur an Artikel 16, in dem der entscheidende Gesichtspunkt, der für eine Fortbildung des Ruhrstatuts in Betracht käme, genannt ist: Schutz solcher Unternehmen, in denen ausländische Interessen bestehen, vor der Anwendung diskriminierender Maßnahmen in irgendeinem Bereich ihrer Tätigkeit. Wenn die Ruhrkontrolle auf diesen Zweck beschränkt wird, dann wird sie auch auf andere Länder erweiterungsfähig sein, dann kann sie zu einem Instrument einer europäischen Kontrolle gegenüber den einzelnen Ländern werden mit dem Ziele, nationalistische Äußerungen einer diskriminierenden Wirtschaftspolitik, die das Zusammenwachsen Europas gefährdet, durch Überwachung


(Euler)

und durch Maßnahmen zu verhindern, die auf Grund dieser Überwachung zum Ausschluß der diskriminierenden Methoden getroffen werden. Dieser Umbau sollte von unserer Regierung zur Sprache gebracht werden.
Im übrigen möchten wir bemerken, daß für die Beantwortung der Frage — wenn sie aktuell wird —: soll man dem Ruhrstatut beitreten oder nicht?, außerordentlich viel davon abhängen wird, wie die politische Gesamtlage ist, wie die gesamten Umstände im Augenblick der Beurteilung sind, insbesondere welche Zusicherungen gegeben werden, um eine Veränderung, eine Revision, eine Weiterentwicklung des Ruhrstatuts sicherzustellen. Ich erinnere daran, daß das Besatzungsstatut bindend die Revision spätestens innerhalb von 18 Monaten vorsieht. Eine ähnliche Klausel in das Ruhrstatut aufgenommen, diese Klausel des Besatzungsstatuts auf das Ruhrstatut übertragen, würde schon einen wesentlich anderen Aspekt darstellen, als wenn wir dem Ruhrstatut beitreten, ohne daß irgendwelche sicheren Revisionsmöglichkeiten. Abwandlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten gegeben werden.
Hinsichtlich der Saar, dem anderen großen kritischen Punkt, möchte ich nur eins hervorheben. Wenn die europäische Frage weitere Fortschritte in dem Sinne macht, daß unter dem Druck der Not die europäischen Völker erkennen, wie wichtig die Realisierung ihrer Zusammenarbeit ist, wie wichtig es ist, in Europa unter einen Hut zu kommen, dann wird sich die Saarfrage eines Tages im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich ganz anders darstellen. Vom gegenwärtigen Augenblick her beurteilt, wo nationalistische Ressentiments auf beiden Seiten noch allzu sehr den Blick trüben, müßte man allerdings sagen, daß gerade dieses Problem geeignet wäre, neue große Gefahren in die Welt zu setzen. Hoffen wir, daß der europäische Gedanke stark genug ist. Ich glaube, er wird es sein, weil die aus dem Osten herandrängnede Not einfach seine Verwirklichung erzwingt. Ich glaube, es wird sich eines Tages eine Lösung finden lassen, die dem Umstand gerecht wird, daß das Saargebiet ein von deutschen Menschen bewohntes deutsches Land ist.

(Bravo! bei der FDP.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nichts, was bisher von seiten der Regierung geschehen ist, rechtfertigt eine Kritik, wie sie Herr Dr. Schumacher draußen in der Öffentlichkeit in den letzten Tagen entfaltet hat.

(Abg. Rümmele: Sehr richtig!)

Seine heutigen Ausführungen erwecken demgegenüber den Eindruck, als sei er doch durch Rücksichtnahme genötigt, nicht nur die Form, sondern auch den Inhalt der Vorwürfe wesentlich abzumildern.

(Abg. Dr. Schumacher: Ist in keinem Punkte wahr!)

— Es ist schlecht, Herr Dr. Schumacher, in der Öffentlichkeit zu sagen, eine Regierung, die immerhin von der Mehrheit der Wähler getragen wird, (Abg. Dr. Schumacher: Nein, in dieser Frage nicht!) sei getragen von Klasseninteressen, sie gebe sich einer ungezügelten Verdienerpolitik hin, und darüber hinaus von dem Kanzler zu sagen: Adenauer ist nicht pro-deutsch, sondern pro-französisch,

(Abg. Dr. Schumacher: Seine Politik wirkt sich so aus!)

und weiter zu sagen, Dean Acheson würde in Herrn
Adenauer keinen würdigen Gesprächspartner finden. Herr Dr. Schumacher, solche Mittel der Demagogie

(Bravo! und Händeklatschen rechts. — Abg. Dr. Schumacher: Ist ja alles nicht wahr!)


(Sehr richtig! links)

nun, Herr Dr. Schumacher, so liegt darin eine Verdächtigung, die Sie nicht rechtfertigen können. Was Ihren politischen, marxistischen Anschauungen nicht entspricht, ist nicht Politik des Großgrundbesitzes.

(Zuruf von der SPD.)

Ich glaube, der Ton, den Sie in der Öffentlichkeit angeschlagen haben, hat auch in Ihrer eigenen Partei gründlich mißfallen.

(Zustimmung rechts. — Abg. Dr. Schumacher: Sparen Sie sich solche Belehrungen!)

Denn schließlich ist doch eine erhebliche Kritik darin zu finden, wenn der Senatspräsident Kaisen, der ja Ihrer Partei angehört, auf einer Funktionärversammlung der SPD in Berlin am 13. November 1949 erklärt hat,

(Zuruf von der SPD: Da kann man sagen: „Olle Kamellen"!)

man sollte Adenauer die Chance geben, ernsthaft mit den Franzosen in ein Gespräch zu kommen, anstatt über ihn herzufallen.

(Sehr richtig! rechts. — Zuruf von der SPD.)

— Herr Dr. Schumacher, wir haben das Wahlbündnis mit den Nationaldemokraten geschlossen — und es ist uns gelungen, diesen Effekt zustande zul bringen —, um Wahlmethoden, wie sie in anderen deutschen Ländern üblich waren, nicht zum Erfolg kommen zu lassen.

(Lebhafter Beif all rechts. — Zurufe links.)

Sie übernehmen aber eine Tonart, mit der die Nationaldemokraten in Hessen bisher noch nicht konkurrieren konnten.

(Zuruf von der SPD: So geschrien wie Sie hat er doch nicht! — Abg. Dr. Schumacher: Lesen Sie denn nie die „Kölnische Rundschau"?)

Worum es Ihnen geht, Herr Dr. Schumacher, das ist letzten Endes das folgende. Sie meinen, wenn die Debatte vor 14 Tagen erfolgt wäre, wäre der abwesende deutsche Partner in Paris erfolgreicher gewesen. Sie wollen in der Bevölkerung den Eindruck erwecken, als seien es Ihre starken Worte, die zu einem gesteigerten Erfolg der Politik beigetragen hätten, einem Erfolg, der nicht eingetreten wäre, wenn Sie nicht diese Politik, ich möchte sagen, der verstärkten Nötigung angewendet hätten. Das halte ich nun allerdings für ganz verderblich, daß Sie sich einer Verengung des Gesichtskreises hingeben, die außenpolitische Probleme fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt behandelt, was innenpolitisch daraus für Kapital zu schlagen ist.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0101701500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Merkatz.

Dr. Hans-Joachim von Merkatz (CDU):
Rede ID: ID0101701600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Auseinanderfallen zweier großer Parteien in der außenpolitischen Konzeption


(Dr. von Merkatz)

I grenzt besonders in der Lage, in der sich Deutschland befindet, an eine nationale Katastrophe.

(Sehr gut! rechts.)

Wir müssen uns aber nun mit diesem Tatbestand abfinden.

(Abg. Hilbert: Leider!)

Die Erklärungen des Herrn Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei sind heute bei weitem zurückhaltender ausgefallen, als es seine vorherigen Verlautbarungen in der Presse vermuten ließen. Dennoch müssen diese Verlautbarungen und seine heutige Erklärung hier vor dem Bundestag als eine Einheit betrachtet und gewertet werden. Wenn man die stark polemische Färbung aus den Ausführungen von Herrn Dr. Schumacher streicht, dann bleibt als Gehalt der Ansicht der Opposition übrig, daß sie der Regierung vorwirft, sie habe widerstandslos deutsche Interessen preisgegeben. Weiteres an Substanz kann ich an den Ausführungen — ich habe sie sorgfältig zu studieren versucht — nicht finden. Wenn diese sehr weittragende und schwerwiegende Behauptung, die wenigstens etwas belegt sein müßte, um von der Gegenseite ertragen zu werden, außerdem noch mit dem Ausspruch versehen wird, die Opposition werde niemals dulden, daß der alliierte Gendarm vor dent Geldschrank des Großbesitzes aufgebaut werde, dann gewinnt die Ansicht der Opposition allerdings eine Färbung, die man im Interesse unseres Landes nur bedauern kann.
Von dem Führer der Opposition ist ferner vorgebracht worden, daß die Regierung keine eigentliche außenpolitische Konzeption getätigt habe, daß sie keinen außenpolitischen Plan erkennen lasse. Ich muß — auch nach der Ansicht meiner r Fraktion — aufrichtig gestehen, daß die Behandlung außenpolitischer Probleme nach einem Plan und nach einem Ideengebäude angesichts der Lage, wie wir sie tatsächlich in Deutschland haben, und angesichts dieser unendlichen Schwierigkeiten nicht möglich ist. Man gehe doch einmal durch unsere Städte und zu den Menschen, für die Sie, Herr Dr. Schumacher, so eingetreten sind. Wenn man diese Tatsachen und die Mühe sieht, die notwendig ist, sich langsam wieder zu einer Position emporzuarbeiten, auf Grund deren ganz bescheiden von einer Form von Verhandlungen gesprochen werden kann, und wenn man sich einmal wirklich vergegenwärtigt, was unser deutscher Zusammenbruch denn eigentlich bedeutet, dann wird man, glaube ich, den Versuch, eine Außenpolitik nach irgendwelchen Planungen und Ideen zu führen, als reichlich unbescheiden bezeichnen müssen. Das geht so gar nicht.
Das, was zunächst einmal zu geschehen hat und was geschehen muß und was jede Regierung vollziehen mate, gleichgültig welche, ist die Schaffung der allerbescheidensten Voraussetzungen, auf Grund deren man überhaupt anfangen kann, und zwar ganz klein anfangen kann. Ich möchte damit dem Herrn Bundeskanzler nicht nahetreten, denn es ist an sich schon eine Herkulesarbeit gewesen, was hier geleistet worden ist. Sehr viel mehr ist eigentlich gar nicht vorgegangen. Wenn wir unsere heutige Aufgabe hier im Bundestag richtig betrachten: als die Vertreter dieses Volkes sollen wir dem Ausland ein Bild der Meinung dieses Volkes geben. Vorhin, als ich auf die Worterteilung wartete, hatte ich das wohltuende Gefühl, daß es im Hause ziemlich leer war und beinahe eine Atmosphäre der Langeweile durch diese Halle zog. Ich glaube, es wäre richtiger — ich sage das im
vollen Bewußtsein —, wenn wir etwas mehr mit jener nüchternen Langeweile — oder wie Talleyrand gesagt hat: „Pas trop de zèle!", nur keinen Eifer — unsere außenpolitischen Probleme betrachten würden. Wenn wir solche Bilder wie das von dem Gendarm, der vor dem Geldschrank steht, das vielleicht in ein Bilderbuch hineingehört, wegließen, dann kämen wir vielleicht in die Gemütslage hinein, die bei den Völkern draußen und bei unsern nächsten Nachbarn auch den Eindruck erwecken könnte, daß jenes unberechenbar Irrationale und Emotionale — ich glaube, General de Gaulle hat nach dieser Richtung die beste Charakteristik dieser Auslandsansicht geprägt — im deutschen Volk nicht mehr vorhanden ist. Man kann mit Stetigkeit nun damit rechnen: dies sind die Auffassungen des deutschen Volkes, und mit dieser Konstante müssen wir rechnen; das sind die Anerbieten der deutschen Regierung, sie sind soundso; wir können uns darauf verlassen und können uns auch später darauf verlassen; mit diesen Leuten kann man also verhandeln.
Verzeihen Sie, ich sage damit nicht, daß das ein Preisgeben dessen bedeutet, was man Würde nennen kann. Ich habe das Empfinden und darf das wohl sagen, daß kaum eine größere Gelegenheit für ein Volk gegeben ist, Würde zu beweisen, als in den Stunden seines Zusammenbruchs. Ich will nicht solch große Vokabeln wählen wie „Erniedrigung". Wenn man selber einmal geflohen ist und auf dem Treck gewesen ist, wenn man sich da um seine kleinen Kinder gesorgt hat, wenn man dabei die Ruhr gehabt und wenn man die tiefe Gefährdung der Menschen gesehen hat — es sind ja mehrere in dem Hause, die das erlebt haben —, so hat man das Gefühl für die wahren Realitäten bekommen. Ich glaube, auch sagen zu können, daß jeder einzelne des deutschen Volkes etwas Ähnliches erlebt hat. Denken Sie auch an die vielen Witwen, die mit mehreren Kindern dasitzen und diese Kinder ohne wesentliches Einkommen durchbringen müssen. Dieses Volk hat soviel erlebt, daß alles, was man sich an Vorstellungen von diesem Volke gemacht hat, angesichts dieses Reifeprozesses vollkommen überholt ist.
Es ist ein neuer Faktor „Deutschland" in der Welt, ein Faktor, der das in sich schließt, was man vielleicht früher von uns verlangt hat. Wir sind nun eine reife Nation geworden. Ich glaube, es ist das erstemal überhaupt in unserer Geschichte, und wir werden den Beweis erbringen, daß unser Wort über das, was hier besprochen und von unserer Regierung gesagt wird, ein lauteres, ein sicheres, ein verläßliches Wort sein wird. Um dieser Dinge willen, glaube ich, sollten wir doch den Stil unserer außenpolitischen Auseinandersetzung möglichst nüchtern wählen, möglichst aus diesem polemischen Bereich herausnehmen. Ich habe mir diese Kritik anmaßen müssen, weil schließlich auch einmal unser Standpunkt zum Ausdruck gebracht werden muß. Die Sozialdemokratie hat sich in den Jahren 1945, 1946 und 1947 an Hand ihrer Presse, ihrer Verlautbarungen als die Erzieherin des deutschen Volkes — ich will mich höflich ausdrücken — aufgeführt. Wir haben uns — meine kleine Fraktion — einiges sagen lassen müssen. Wir sind aber nicht mehr gewillt, jetzt, wo aus dieser unserer Fraktion zwei Männer die Verantwortung mitzutragen haben, uns diese Dinge weiter gefallen zu lassen.

(Lachen bei der SPD.)



(Dr. von Merkatz)

Es muß einmal ein anständiger Ton zum Zuge kommen.

(Beifall in der Mitte und rechts.)

- Herr Dr. Schumacher, Sie können sich über den Ton, den ich Ihrer Fraktion gegenüber anschlage, nicht beklagen.

(Abg. Dr. Schumacher: Und die Radaukolonnen und die Schlägerkolonnen!?)

— Herr Dr. Schumacher, bin ich Anführer einer Radaukolonne? Waren meine Worte, die ich eben gesprochen habe, aus dem Gedanken, dem Gefühl des Radaus geboren? — Dann lassen Sie diese Dinge auch hier fort!

(Zuruf von der SPD: Und Hamburg? — Gegenrufe rechts. — Unruhe.)

— Ich glaube, es hat keinen Sinn, so fortzufahren; diese Dinge sind zu ernst, für die Opposition genau so wie für uns, als daß wir uns über diese Frage weiter in dieser Weise auseinandersetzen.

(Zurufe von der SPD)

- Sie haben kritisiert, die Regierung habe keinen Plan, keine Idee, sie weiche zurück, und weiteres mehr.
Wenn ich mir die Dokumente, die veröffentlicht worden sind, genau ansehe, finde ich folgendes: Der Bundeskanzler, mit ihm das Kabinett, hat als Kernfrage des außenpolitischen Problems richtig die Sicherheitsfrage erwähnt. Sehen Sie sich das Kommuniqué an, das die Einzelheiten bringt. Wenn Sie das Kommuniqué über die Pariser Konferenz analysieren, so finden Sie, wie sich das Problem der Sicherheit wie ein roter Faden hindurchzieht. Das ist tatsächlich auch eine Idee; denn im Leben der Staaten und Völker ist das Sicherheitsproblem das entscheidende.
Wenn der Herr Bundeskanzler die Sicherheitsfrage in den Mittelpunkt der ganzen außenpolitischen Konzeption gestellt hat und wenn er
— wir leben ja schließlich in einer Welt der Realitäten — auf Grund des Sicherheitsbedürfnisses unseres Nachbarn die ehrliche und klare Bereitschaft gezeigt hat, etwas zu bieten, dann kann man diesem Verfahren nur durchaus beitreten.

(Sehr richtig! bei der DP.)

Der Gedanke der Sicherheit ist ja eine Notwendigkeit, die nicht nur zugunsten der Franzosen, sondern in sehr großem Maße auch zugunsten unseres Landes gilt. Wie aber wollen wir um Verständigung in Europa und unter den Völkern der Welt um unserer eigenen Sicherheit willen werben, wenn wir nicht zunächst einmal einen ganz klaren, deutlichen und konkreten Beweis dafür geben, daß wir bereit sind, dem Sicherheitsbedürfnis der anderen Rechnung zu tragen?

(Lebhafte Zustimmung bei der DP.)

Wenn man von dieser Idee ausgeht und in ihr den Kernpunkt aller Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers sieht, dann ist wohl damit ein klarer und deutlicher Plan aufgezeigt worden, während ich in den Ausführungen der Opposition nicht zu erkennen vermag, was denn von der Bundesregierung, vom Herrn Bundeskanzler preisgegeben sein soll. Ich vermag darin keinerlei Realität zu sehen, sondern ich kann darin nichts anderes sehen als die Illusion eines Staates und die Illusion irgendwelcher Ansprüche. Diesem Illusionssystem kann ich mich nicht unterwerfen. Gerade das ist ja doch das, was unserem deutschen Volk Würde und Ansehen in der Zukunft zu geben vermag, die Realitäten bescheiden hinzunehmen. Wir müssen sie ja hinnehmen. Wir haben Politik zu machen und nicht Polemik zu treiben. Wir haben auch nicht der Welt irgendein Theater aufzuführen, sondern wir haben den Beweis zu erbringen, daß wir soviel inneres Gewicht haben, um unsere Zukunft aus unserer Situation in der Zusammenarbeit mit den anderen zu gestalten. Ich frage: gibt es denn überhaupt irgendeine reale Möglichkeit angesichts der Spannungen zwischen Ost und West, eine andere reale Wirklichkeit, um auf diesem Kontinent zu überleben, als den Gedanken der Zusammenarbeit der europäischen Völker? Aus diesem Gedanken entfaltet sich das, was wir alle brauchen: der Friede. Ich bin deshalb der Überzeugung, daß der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg Schritt für Schritt, Zentimeter für Zentimeter zum Ziele führt und dieser sozusagen simple Stil des außenpolitischen Verfahrens der einzig mögliche Weg ist, um eben zu dem hohen Ziel des Friedens und damit der Sicherheit zu kommen. Wir Deutschen, dic wir via erfahren haben und die wir in einem Bereich leben, in dem die Sicherheitsfrage bis aufs Herz gestellt ist, sind vielleicht gerade das Volk, das den ersten praktischen Beitrag für den Aufbau eines harmonischen Systems der Sicherheit unter den Völkern zu bieten vermag und damit eine reale Grundlage für den künftigen Frieden.
Wenn der Herr Bundeskanzler hierbei die Verständigung mit Frankreich in den Mittelpunkt seiner Ausführungen — ich erinnere an das Interview der „Zeit" — gestellt hat, dann deckt sich dieser Grundgedanke mit dem alten Streben meiner Fraktion, die bereits in den Jahren 1945/ 1946 im Verfolg älterer Traditionen den Gedanken der Verständigung mit Frankreich in den Mittelpunkt ihrer außenpolitischen Zielsetzung gerückt hat. Ich erinnere an die Reden des jetzigen Bundesministers Hellwege von 1947 und 1948 vor dem Zentralvorstand.

(Lachen bei der SPD.)

— Herr Dr. Schumacher, das mag Ihnen vielleicht lächerlich vorkommen, weil eine kleine Fraktion auch einmal Gedanken hat.

(Dr. Schumacher: Würden Sie vielleicht diese zärtliche Beschäftigung mit mir als einer Führerpersönlichkeit aufgeben!)

Dieser Gedanke der Verständigung mit Frankreich ist nun nicht etwas, was rein intellektuell am grünen Tisch erledigt werden kann. Das Mißtrauen des französischen Volkes gegen das deutsche Volk ist eine psychologische Tatsache, die nun einmal vorhanden ist und gegen die man wirksame, überzeugende Handlungen und Maßnahmen finden muß, um das Mißtrauen zu überwinden.
Der große Versuch in dieser Richtung muß gemacht werden. Es handelt sich um ein wirtschaftliches, ein kulturelles Problem, und dieses Problem ist in einer solchen Form zu fördern, daß dadurch die große Frage der europäischen Zusammenarbeit einmal konkret zur Lösung kommen kann. Wenn ich den Sinn des oppositionellen Vorgehens richtig verstehe, dann glaube ich sagen zu müssen: dahinter steht etwas ganz anderes. Nicht der Vorwurf, der der Bundesregierung gemacht wurde, ist der entscheidende Kern der Ausführungen der Opposition, sondern entscheidend ist wohl die Tatsache, daß die Sozialdemokratie fühlt, bei der Föderierung Europas könnten unter Umständen Entwicklungen eingeleitet wer-


(Dr. von Merkatz)

den, die mit dem Ziel der Sozialisierung, im Widerspruch stehen. Allein um diese parteipolitische Kernfrage wird — das ist meine Überzeugung — von der Sozialdemokratie ein Kampf geführt um eine andere außenpolitische Konzeption.

(Abg. Dr. Schmid: Wie wäre es, wenn man Ihnen entgegenhielte, daß es sich um eine Heilige Allianz in Europa handelt?)

— Herr Professor, ich glaube, darüber werden wir uns im außenpolitischen Ausschuß einmal gründlich unterhalten müssen. Wir suchen nicht Allianzen, sondern wir suchen ein System der europäischen Zusammenarbeit, weil wir glauben, daß es die einzige Möglichkeit ist, um von Deutschland, von Europa und damit auch von der Welt größtes Unheil fernzuhalten, weil wir glauben, daß das der Weg zum Ausgleich zwischen Ost und West ist, zu einem echten Frieden, zu einer echten Sicherheit, Sicherheit der Staaten wie aber auch Sicherheit der Völker und des einzelnen.

(Bravorufe und Händeklatschen rechts.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101701700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Seelos.

Dr. Gebhard Seelos (BP):
Rede ID: ID0101701800
Meine Damen und Herren! Nach den verschiedenen giftigen Reden, die wir seit Donnerstag gehört haben, nach den Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers und nach den Äußerungen in der in- und ausländischen Presse sind wir uns heute .wenigstens über eines klar: es war geradezu ein Glück, daß sich diese giftigen Reden nicht bereits in der Debatte am Donnerstag um 6 Uhr über uns ergossen haben,

(Händeklatschen in der Mitte und rechts)

und zwar zu einer Stunde, als das französische Kabinett über Schicksalsfragen des deutschen Volkes entschieden hat in einer Vorentscheidung für die letzten Beschlüsse -der drei Außenminister, die bis nach Mitternacht tagten. Aber auch der heutige Termin scheint mir noch nicht sehr günstig gewählt zu sein, um den Bundeskanzler zu zwingen, hier Erklärungen abzugeben, nach stundenlangen wichtigsten Beratungen und noch bevor die Verhandlungen zum Abschluß gebracht sind.

(Bravorufe und Händeklatschen rechts.)

Es ist ganz klar, daß hier schon längst eine außenpolitische Debatte fällig gewesen wäre.

(Zurufe bei der SPD: Na also!)

Die Regierung ist bereits zwei Monate im Amt, und wir hätten es auch begrüßt, wenn diese außenpolitische Debatte vielleicht acht Tage früher stattgefunden hätte, damit der Regierung die Gedanken des Parlaments übermittelt werden konnten.

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig! Das haben wir gewollt!)

- Das ist ein großer Irrtum, wie ich Ihnen eben erklärt habe!

(Zuruf von der SPD: Das war doch beabsichtigt!)

Heute geht die Debatte nun besonders um die Schritte, die Bundeskanzler Adenauer unternommen hat, um zu einer Auflockerung der seit einigen Monaten stagnierenden Beziehungen Deutschlands zu den Alliierten zu kommen. In einem Punkte geben wir der Kritik an der Bundesregierung recht. Auch wir vermissen verschiedene Klärungen, die notwendig sind, um aus dem Zwielicht herauszukommen, in dem die Pilgerfahrten
des Herrn Bundeskanzlers zum Petersberg stattfinden.

(Hört! Hört! bei der SPD.) Rembrandtsches Halbdunkel lieben wir nur im Museum.


(Abg. Dr. Schumacher: Vielleicht ist's eins?!)

Am Anfang einer zielbewußten deutschen Außenpolitik wollen wir möglichst Klarheit und Offenheit wenigstens gegenüber der Volksvertretung. Es geht nicht an, daß die Bundesregierung entscheidende Schritte in der Außenpolitik unternimmt, ohne vorher den Bundestag oder jedenfalls den außenpolitischen Ausschuß zu unterrichten.

(Lebhafte Zurufe von der SPD: Na also!)

- Das ist etwas ganz anderes! - Damit er solche Mitteilungen entgegennehmen kann, ist der außenpolitische Ausschuß mit einem besonders hohen Grad von Vertraulichkeit ausgestattet worden, der so weit geht, daß seine Mitglieder nicht einmal ihren Fraktionen über Einzelheiten berichten können.

(Abg. Hilbert: Aber die Presse weiß es!)

Es wäre in Amerika, in England, in Frankreich, in all den Ländern der klassischen Demokratie undenkbar, daß das Parlament in dieser Weise von der Regierung beiseite geschoben würde oder daß es sich selbst so beiseite schieben ließe.

(Ironische Bravorufe und Händeklatschen bei der SPD und bei der WAV.)

— Jetzt können Sie noch klatschen!

(Heiterkeit und Zurufe rechts.)

Es ist ganz klar, daß das Parlament oder der Auswärtige Ausschuß der Bundesregierung nicht die Führung der Bundespolitik abnehmen kann; denn das ist es, wohin das Verlangen der SPD ungefähr steuern würde.

(Abg. Dr. Schmid: Ach nein!)

Eine demokratisch gewählte Regierung vertritt
das Volk in der Außenpolitik, und die Volksvertretung kann nicht mit Einzelvorschriften in die
Exekutive eingreifen; sonst wäre die Führung
einer Außenpolitik überhaupt nicht mehr möglich.

(Sehr richtig! rechts.)

Schließlich soll man bei diesen ganzen Diskussionen auch die Bedeutung der Pariser Konferenz nicht übertreiben. Sie ist einer der 50 oder mehr Meilensteine, die zu passieren notwendig ist, um die Hitlerkatastrophe zu entwirren und die verworrene Weltsituation wieder zu normalisieren.
Wenn wir die Schritte von Bundeskanzler Adenauer in diesem Lichte betrachten, erscheint uns die scharfe und fast hysterische Kritik der SPD

(Lachen bei der SPD)

und besonders ihres Kommuniqués vom letzten Freitag einfach unverständlich und maßlos.

(Bravo! rechts.)

Gerade weil wir keine Regierungspartei sind,

(Zuruf von der SPD: „Leider"!)

betonen wir: es ist unverzeihlich, einer deutschen Regierung, gleichgültig welcher politischen Richtung, während Verhandlungen in dieser Weise in den Rücken zu fallen,

(Bravorufe und Händeklatschen in der Mitte und rechts)

ihr jeden guten Willen abzusprechen, sie, wie hier betont worden ist, der Scharlatanerie zu bezichtigen und sie als antideutsch zu bezeichnen.

(Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts.)



(Dr. Seelos)

Das klingt an an die nationalistischen Fanfaren des Herrn Hugenberg seligen Angedenkens.

(Sehr richtig! rechts. — Lachen links.)

Es ist nicht zum erstenmal, daß wir aus dem Munde von Herrn Schumacher solche nationalistischen Töne hören. Sie klingen aber merkwürdig ähnlich einer nationalbolschewistischen Propaganda, wenn er Herrn Adenauer als Schrittmacher des internationalen Kapitals darzustellen sucht.

(Lachen und Zurufe bei der SPD.)

Herr Schumacher, in welche Gesellschaft haben Sie sich da begeben!

(Heiterkeit und Zurufe.)

Warum richten Sie denn Ihre Angriffe nicht gegen die Labour Party?

(Abg. Dr. Schumacher: Wieso?)

Es ist hier schon mehrfach von diesem Antworttelegramm auf Ihr Ersuchen vom August gesprochen worden. Ich will es einmal vorlesen, weil es mir von so großer Bedeutung erscheint, daß man es auch hier noch einmal wiederholen sollte.

(Zuruf rechts: Sehr schön!)

Dieses Antworttelegramm lautet:
Der Vorstand stimmte überein, daß er das Ende der Demontage in Deutschland begrüßen würde, sobald sich die alliierten Regierungen mit den Maßnahmen zufriedengeben würden, die vorgenommen werden müssen, um ihre Sicherheit zu garantieren, einschließlich der Anerkennung der Sicherheits- und Ruhrbehörde durch die deutsche Regierung.

(Hört! Hört! in der Mitte und rechts. - Zurufe: Aha! — Abg. Dr. Schumacher: Aber dann kam der Brief, und darin steht etwas anderes!) Ihre Haltung, Herr Schumacher, ist wohl auch

mehr aus innerpolitischen Gründen zu erklären.

(Abg. Dr. Schumacher: O nein!)

Es ist die immer noch nicht überwundene Verärgerung, daß Sie nicht an der Bundesregierung beteiligt sind.

(Lachen und Zurufe bei der SPD. — Händeklatschen rechts.)

Säße Herr Schumacher auf der Regierungsbank und nicht in der Opposition, wäre der Vorschlag seiner Labour-Freunde wohl der Weisheit letzter Schluß gewesen.

(Sehr richtig! und Heiterkeit rechts.)

Konstruktive Opposition zeigt sich vor allem in außenpolitischen Dingen. Wenn in Notzeiten die Parlamente anderer Länder einig sind, sollte auch die deutsche SPD mehr Fairneß zeigen.

(Bravo! rechts.)

Aber es ist hier schon betont worden: die SPD ist sich ja gar nicht einig! Gewichtige Vertreter sind auch der Auffassung, man solle einer demokratisch gewählten Regierung eine Chance geben.

(Abg. Dr. Schumacher: Welche gewichtigen Vertreter?)

Wir spüren doch alle, wie uns die große Welle der allgemeinen Sehnsucht nach Frieden und Normalisierung trägt, und wir sollten Deutschland und seine Regierung nicht mit unnötigen Gewichten belasten, die ihre Manövrierfähigkeit erschweren. Man braucht Deutschland in Europa und in der Welt. Niemals haben sich die Situationen und Entscheidungen in der Weltgeschichte rascher abgelöst als in den letzten Jahrzehnten. Was ist aus
Potsdam geworden? Was ist aus der Hungersnot geworden, die noch vor zwei, ja eineinhalb Jahren bei uns bestand? Panta rhei ! Alles ist im Fluß! Aber gerade weil wir das natürliche Gewicht und die natürliche Bedeutung Deutschlands in der Völkergemeinschaft so hoch werten, halten wir es für falsch, nationalistische Töne anzuschlagen und unsererseits übertriebene Forderungen aufzustellen, wobei man nicht übersehen sollte, dieses „panta rhei" in außenpolitischen Verträgen festzulegen und festzuhalten.

(Abg. Dr. Schmid: Aha!)

Ich meine damit nicht bloß die Artikel 15 und 31 des Ruhrstatuts, sondern zum Beispiel auch den Artikel 14. Aber lesen kann ja auch die deutsche Bundesregierung solche Dinge, und wir müssen doch überzeugt sein, daß sie das Bestmögliche aus diesen Verträgen herausholt und solche Änderungen und Vorbehalte macht, daß diese Verträge für uns tragbar sind, insbesondere wenn man beim Ruhrstatut eine Revision vorsieht. Gerade wenn wir in einer europäischen Gemeinschaft am schnellsten und am leichtesten zu einer völligen Gleichberechtigung kommen wollen und wenn wir die Notwendigkeit eines europäischen Zusammenschlusses angesichts der sowjetischen Gefahr sehen, sollten deutsche außenpolitische Angebote, die in diese Richtung gehen, nicht auf solch erbitterten Widerstand bei der SPD stoßen, die doch seit dem Manifest von 1848 auf internationaler Basis aufbaut.
Die weitaus überwiegende Mehrheit dieses Hauses hat wohl kaum einen Zweifel darüber, daß die Voraussetzung einer europäischen Gemeinschaft die Beseitigung des deutsch-französischen Gegensatzes ist; das ist durch fast alle Reden des heutigen Tages durchgeklungen. Dieses Zusammengehen kann nicht bloß politisch sein; es muß vor allem aus der Wirtschaft kommen durch Beseitigung der Zollmauern und eine möglichst weitgehende Verzahnung der Wirtschaft. Wir müssen bereit sein, für eine Verständigung mit Frankreich vielleicht höhere Opfer zu bringen, als es noch vor zwanzig und dreißig Jahren nötig gewesen wäre.

(Abg. Rische: Donauföderation!)

Mit reinen Protesten und mit Aushandeln und Streitereien über Kleinigkeiten können wir die historische Kluft zwischen Frankreich und Deutschland nicht überbrücken. Dazu bedarf es auch einmal eines Risikos zum Guten, zumal Frankreich nach dem letzten Hitler-Überfall eine Rechnung zu präsentieren hat. Die SPD soll nicht mit nationalistischen Wortdrohungen einen Vorhang vor die einzige tatsächliche Bedrohung aus dem Osten ziehen und damit das außenpolitische Blickfeld Frankreichs trüben. Schließlich: ist es denn eine Schande, wenn sich jenseits und diesseits des Rheins unter dem Eindruck der furchtbaren Katastrophe ,die Völker und die Einzelmenschen zu einem neuen Europäertum bekennen, Neo-Europäer werden, genau so wie es umgekehrt eine Schande ist, wenn man heutzutage auf einmal zum Neo-Nationalisten wird?

(Bravo! rechts. — Zuruf von der KPD.)

Frankreich sollte aber sein berechtigtes Sicherheitsverlangen nicht zu einer dauernden Niederhaltung Deutschlands übersteigern. Wenn wir die Demontage von einzelnen Werken dadurch vermeiden können, daß man zu ihrer Erhaltung auswärtigen Mächten eventuell eine kapitalmäßige Beteiligung zugesteht, kann man das nicht als Ver-


(Dr. Seelos)

rat deutscher Interessen bezeichnen, besonders wenn es eine Vorleistung auf eine Internationalisierung der westeuropäischen Industrie einleitet.
Ich möchte nicht noch einmal auf die Saarfrage eingehen, aber ich habe mich von Herzen gefreut, daß hierin wenigstens Herr Schumacher zum Föderalisten geworden ist und den Saarländern eine besondere Beteiligung an der deutschen Delegation zugesteht.
Wir haben aus dem Munde des amerikanischen Außenministers und aus den Darlegungen des Herrn Bundeskanzlers gehört, daß wir berechtigt sind, einen Silberstreifen am außenpolitischen Horizont zu sehen. Schon einmal hat uns der Besuch eines amerikanischen Außenministers Hoffnung gegeben, nämlich der Besuch von Byrnes im September 1946. Seine damalige Stuttgarter Rede war der Bruch mit der Morgenthaupolitik und war der Beginn einer konstruktiven Nachkriegspolitik. Wir müssen allerdings sagen, daß es lange, unerträglich lange gedauert hat, bis die Ankündigungen der Byrnes-Rede in die Praxis umgesetzt worden sind. Wir haben die harten Besatzungsvorschriften für die US-Truppen noch bis zum Mai 1947 gehabt. Das Flüchtlingselend nahm 1946 und das ganze Jahr 1947 erst so recht zu, und die wirtschaftlichen Verhältnisse haben sich erst mit der so sehr ersehnten Währungsreform im Sommer 1948 geändert. Wir hoffen, daß die jetzigen Zusagen, die hinsichtlich einer gleichberechtigten Einordnung Deutschlands in Europa und in der Welt gemacht worden sind, sich in einem Zeitmaß vollziehen, das der psychologischen Lage Deutschlands und nicht nur den retardierenden Einflüssen aus den Lagern der Siegermächte Rechnung trägt. Das deutsche Volk ist 41/2 Jahre nach Beendigung des Krieges noch immer wie in einem Internierungslager von der Welt abgeschlossen, ohne eigene Außenvertretungen und daher ohne die Möglichkeit, sich über die Verhältnisse in der Welt durch eigene Organe — und nur denen glaubt ja immer das Volk — zu überzeugen, und ohne die Möglichkeit, dadurch seine Haltung bestimmen zu lassen und zur Beseitigung von vielen Irritierungen und Mißverständnissen zwischen Deutschland und anderen Völkern beizutragen.
Das deutsche Volk hat trotz der furchtbaren Schicksalsschläge der vergangenen Jahre einen unbändigen Aufbauwillen. Die harten Jahre haben es gelehrt, zu improvisieren und sich schnell einer gegebenen Situation anzupassen. Wir sind in unserem zerstörten Land und mit den Millionen von Flüchtlingen wieder Pioniere in Deutschland geworden, die Neuland erschließen und aufbauen. Gerade die Amerikaner, deren Pionierleistungen in ihrem Kontinent zu einem unerhörten Aufschwung geführt haben, sollten unsere Situation verstehen und uns die Möglichkeit in Europa und in der Welt geben, um diesen Aufbauwillen zum Wohle aller Völker durch friedliche Leistungen in der Wirtschaft betätigen zu können. Unsere Nöte sind in Kürze folgende.
Erstens: Wir brauchen unbedingt eine internationale Hilfe für unsere Flüchtlinge, weil wir mit diesem Problem von zusätzlich 8 Millionen Menschen allein in Westdeutschland nicht fertigwerden können.
Zweitens: Wir brauchen mehr Wohnraum, um die in Baracken wohnenden Leute rasch in Wohnungen zu bringen und um endlich die Familien zusammenzuführen, um damit die staatliche Urzelle, die Familie, wieder gesunden zu lassen. Die
Besatzungsmächte können hier einen sozialen Beitrag von entscheidender Bedeutung leisten, wenn sie von den etwa 500 000 Privatwohnräumen, die sie in Westdeutschland beschlagnahmt haben, 100- bis 200 000 Wohnräume räumen,

(Abg. Renner: Wäre es nicht besser, sie gingen ganz?)

was durchaus möglich und genau so wichtig ist wie die Marshallplanrate eines ganzen Jahres.
Drittens: Nachdem der Aufbau der von den Hitlerarmeen überzogenen und geschädigten anderen Staaten im wesentlichen vollzogen ist und sie alle eine größere Produktion als vor dem Kriege haben, sollten sich die Leistungen des Marshall-planes und die Hergabe von Krediten stärker auf das zerstörte Westdeutschland richten und die Ungleichheit in etwa beseitigen, wonach auf den Kopf der deutschen Bevölkerung nur etwa in Drittel gegenüber den Leistungen an andere Staaten tritt.
Viertens: Ferner sollten die drückenden Besatzungskosten von über 5 Milliarden Mark baldmöglichst herabgesetzt werden, um die sozialen Leistungen an einen Großteil unserer Bevölkerung, der in furchtbarer Armut lebt, zu. ermöglichen. Man stelle sich doch vor: diese Summe bedeutet das Zweieinhalbfache der Reparationen einschließlich der Besatzungskosten, die wir jährlich nach dem ersten Weltkrieg leisten mußten.
Fünftens: Ferner sollte das Besatzungsstatut gewisse Verbesserungen erhalten und von den untergeordneten Stellen der Besatzungsverwaltung beachtet werden, und ihre Eingriffe in das Rechts- und Wirtschaftsleben der Länder sollten ein Ende nehmen.
Das Tempo, in dem sich die Normalisierung und Gleichberechtigung Deutschlands vollziehen, wird nicht zuletzt von uns abhängen. Durch eine so destruktive Opposition, wie sie ,die SPD seit kurzem einzunehmen für richtig hält, wird es zweifellos erschwert und gehemmt. Sie kann nicht dazu beitragen, das notwendige Vertrauen des Auslandes zu Schritten der Bundesregierung zu erhöhen. Wir sehen jedenfalls die Lage nach den Erklärungen Achesons und des Herrn Bundeskanzlers mit einem gewissen Optimismus an. Deutschland ist wieder Verhandlungspartner in außenpolitischen Dingen geworden.
Was kann nun Deutschland tun, um das erwachende Vertrauen des Auslandes nicht zu verscherzen? Wenn in Frankreich ein Gefühl der Sicherheit entstehen soll, dann muß dies durch eine wahrhaft föderalistische Gestaltung Deutschlands geschehen.

(Sehr richtig!)

Es ist nun einmal eine Tatsache, daß sich Frankreich durch einen zentralistisch geführten Einheitsstaat, der immer eine gewisse Machtzusammenballung in sich schließt, gefährdet fühlt. Man sollte die gleichberechtigte Einordnung Deutschlands in Europa nicht dadurch aufhalten, daß man den föderalistischen Aufbau Deutschlands in einer Weise zu verhindern sucht, wie wir es in den ersten Wochen der Amtszeit der Bundesregierung und des Bundestags gesehen haben, die zu einer eindeutig zentralistischen Ausnutzung der Verfassung geführt hat. Solche Entwicklungen sind gefährlich. Nie ist die Zeit zu einer dauernden Versöhnung mit Frankreich so günstig gewesen wie unter dem Druck der latenten russischen Gefahr. Und wenn sogar de Gaulle und Bidault diese Ent-


(Dr. Seelos)

wicklung einsehen und unter gewissen Voraussetzungen begrüßen, so sollten wir über diese Entwicklung glücklich sein. Erst dann, wenn man in Frankreich Deutschland als den Garanten der französischen Sicherheit empfindet und nicht als seinen Bedroher, ist die deutsch-französische Freundschaft endgültig etabliert und der Friede in Europa gesichert.

(Beifall rechts.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101701900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reimann.

Max Reimann (KPD):
Rede ID: ID0101702000
Meine Damen und Herren! Nichts hat deutlicher das Fehlen jeglicher Souveränität und Handlungsfreiheit der Regierung Adenauer demonstriert als die Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers zu der Rede des Herrn Abgeordneten Schumacher, als er sagte: Sie haben gut reden; ich aber muß mich verantworten.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Daraus läßt sich auch das Verhalten des Herrn Bundeskanzlers in den Tagen des Zusammentritts der Pariser Außenministerkonferenz der drei Westmächte den Abgeordneten des Bundestags gegenüber erklären. Unter Mißachtung einer selbstverständlichen parlamentarischen Pflicht hat sich der Herr Bundeskanzler in den letzten Wochen geweigert, dem Parlament Rede und Antwort zu stehen. Es hat somit den Anschein, als ob der Herr Bundeskanzler Ausländern gegenüber eher eine Auskunftspflicht anerkenne als gegenüber dem Parlament, dem er doch verantwortlich ist.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Durch dieses Vorgehen hat der Herr Bundeskanzler es verhindert, daß sich ein deutscher Standpunkt zu den entscheidenden Pariser Konferenzverhandlungen der Westmächte bildete. Ich werfe die Frage auf: in wessen Interesse liegt eine solche Methode der geheimen Kabinettspolitik? Doch sicher nicht im deutschen Interesse! Sie fördert nicht die demokratische Umgestaltung unseres Volkes.
Was ist nun eigentlich die außenpolitische Konzeption des Herrn Bundeskanzlers, und von wem wird diese Konzeption des Herrn Bundeskanzlers bestimmt? Wenn ich mir die Vorschläge des Herrn Bundeskanzlers ansehe, in denen er 40 Prozent des Kapitalwerts der deutschen Industrie französischen Industriellen anbietet, die ihrerseits wiederum — —

(Abg. Dr. Oellers: Lügen Sie doch nicht!)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101702100
Ich muß diesen Vorwurf zurückweisen.

Max Reimann (KPD):
Rede ID: ID0101702200
— die ihrerseits wiederum dieses Geld von den amerikanischen Bankiers erhalten, so denke ich dabei sofort an den Vorschlag des Herrn Dr. Pferdmenges vom Jahre 1947, der mit dem französischen Konzern de Wendel und dem Comité des Forges Verhandlungen pflegte und ihnen sogar 50 Prozent anbot. Diese meine Feststellung wird durch einen Sonderbericht der mitteleuropäischen Abteilung des Staatsdepartements vom 14. Januar 1948 bestätigt. Herr Dr. Pferdmenges hat bereits im November 1947 die Hälfte aller Aktien der Eisen- und Stahlindustrie einem Bevollmächtigten des Konzerns de Wendel angeboten. In derselben Angelegenheit unternahm Herr Dr. Pferdmenges am 23. 12. 1947 nach demselben Bericht eine Intervention bei amerikanischen Behörden und hatte darüber eine Unterredung mit dem Çeneralkonsul der USA in Bremen. Diese Tatsachen, Herr Bundeskanzler, zeigen, wer Ihre Politik bestimmt.
Das zweite Verhandlungsobjekt, das der Herr Bundeskanzler angeboten hat, ist das Saargebiet. Eben weil hier die Interessen der französischen Schwerindustrie mit den Interessen des Schwerindustriellen-Flügels der CDU zusammenfallen, deshalb die Politik des Herrn Bundeskanzlers in der Frage des Saargebiets. Schließlich handelt es sich um die Anerkennung des Ruhrstatuts.
Wenn man die Politik des Herrn Dr. Adenauer mit der des Jahres 1918 vergleicht, so kann man sagen: es ist die gleiche Linie. Der Herr Bundeskanzler aber ist wendig genug, sich der Tatsache anzupassen, daß sich die Lage des internationalen Monopolkapitals nach dem zweiten Weltkriege zu dessen Ungunsten geändert hat. Als nach 1918 unter dem Massendruck der Arbeiter für die damaligen deutschen Kriegsverbrecher, die deutschen Monopolkapitalisten, die Gefahr ihrer Entmachtung durch die Sozialisierung bestand, kam der Separatismus auf der Grundlage von Verbindungen zwischen dem deutschen und ausländischen Monopolkapital. In diesem für das deutsche Volk so verhängnisvollen Spiel nach dem Jahre 1918 war Dr. Adenauer eine führende Persönlichkeit, und man kann heute feststellen, daß dieselben Schwerindustriellenkreise nach dem zweiten Weltkriege mit Dr. Adenauer den Versuch unternehmen, ihre Entmachtung zu verhindern, wobei sie vom amerikanischen Imperialismus gestützt und gefördert werden.

(Zustimmung bei der KPD.)

Dieselbe Politik, aber unter Berücksichtigung der neuen Situation! Der Herr Bundeskanzler verbindet sich mit seinem Angebot heute mit den 200 reichsten Familien Frankreichs,

(Sehr gut! bei der KPD)

und dies unter Anleitung des amerikanischen Imperialismus. Man nennt das: dem Sicherheitsanspruch des französischen Volkes Rechnung tragen. Das französische Volk hat mit dieser Sicherung nichts, aber auch gar nichts zu tun. Diese Politik liegt weder im Interesse des deutschen noch des französischen Volkes. Die Sicherung des Friedens und des Aufbaus einer Friedensindustrie ist nur möglich, wenn die deutschen Monopolherren an Rhein und Ruhr in einer einheitlichen deutschen demokratischen Republik entmachtet sind.

(Zustimmung bei der KPD.)

Die Sicherung des Friedens in Europa ist die Frage des Kampfes des deutschen und französischen Volkes gegen den amerikanischen Imperialismus,

(erneute Zustimmung bei der KPD)

und ich wende mich von dieser Stelle aus an das friedliebende französische Volk, die deutschen demokratischen Kräfte in ihrem Kampf um diese einheitliche deutsche demokratische Republik zu unterstützen, in der die deutschen Kriegsverbrecher entmachtet sind.

(Sehr wahr! bei der KPD.)

Die Sicherheit also liegt nicht in der Verbindung zwischen dem deutschen und französischen Monopolkapital, geführt durch den amerikanischen Imperialismus, sondern in der Entmachtung desselben.


(Reimann)

Es ist eine Tatsache, daß der amerikanische Imperialismus einen neuen Krieg vorbereitet, um das internationale Monopolkapital vor seiner Entmachtung durch die Völker zu schützen. Dieser westdeutsche Staat mit seiner Industrie und seinem Volk soll hierzu eingesetzt werden. Im britischen Oberhaus sprach nach einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" Lord Hall den Satz aus, daß ein oder zwei Dutzend schneller Divisionen für Deutschland, ohne Luftwaffe, selbstverständlich ohne V-Geschosse und Atombomben, aber auf der Erde für „hinhaltenden Widerstand" ganz gut zu gebrauchen seien.

(Hört! Hört! bei der KPD.)

Es heißt dann weiter, hinter diesem Plan stehe bereits der täglich wachsende und entschlossene Wille zahlreicher kühl rechnender Generäle und Politiker, das alte „Bollwerk gegen den Osten" wieder aufzubauen. Und im amerikanischen Repräsentantenhaus sagte ein Abgeordneter, er denke nicht an Einberufung junger Amerikaner, die dann nach Deutschland geschickt werden sollten; sein Vorschlag ginge dahin, einen Teil der Rüstungskosten an den Punkten zu investieren, wo sie am nutzbringendsten verwandt werden könnten. Auch empfehle er, einen Teil der heute zur Hebung der Kaufkraft nach Deutschland fließenden Dollars zur Besoldung von etwa 25 Divisionen deutscher Soldaten zu verwenden; die Führung einer solchen deutschen Truppe sollte in den Händen verdienter amerikanischer Offiziere liegen.

(Hört! Hört! bei der KPD. — Zuruf rechts: So ähnlich wie in Polen ? !)

Der Sinn dieser Außenministerkonferenz war also nicht, wie der Herr Bundeskanzler sagte, der Regierung mehr Rechte einzuräumen; vielmehr wurden die Punkte herausgearbeitet, mittels deren dieser westdeutsche Staat in diesen kriegsvorbereitenden Block einzubeziehen ist. Das Ruhrstatut und die Sicherheitsbehörde sollen mit deutscher Hilfe wirksam werden. Die Pariser Außenministerkonferenz der drei Westmächte kam zustande, nachdem die Regierung der Sowjetunion nach der Bildung der Deutschen Demokratischen Republik ihrer Regierung die volle Souveränität zurückgegeben hat.
Wenn wir nun untersuchen, was auf Grund dieser für das deutsche Volk so bedeutungsvollen Wendung die Pariser Außenministerkonferenz der separaten westdeutschen Regierung für Rechte eingeräumt hat, so müssen wir sagen: keine; denn dieser westdeutsche Staat wird mittels des Besatzungsstatuts und des Ruhrstatuts durch die Hohen Kommissare geleitet, und der Herr Bundeskanzler hat ja selbst gesagt, daß er zur Verantwortung gezogen wird. Die Verhandlungsobjekte sind von dem Herrn Bundeskanzler genannt. Die Konsequenz ist die vollkommene Unterwerfung unter das Besatzungs- und Ruhrstatut.
Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, daß er den Artikel 31 des Ruhrstatuts bei den Hohen Kommissaren beanstandet hat. Nach seinen eigenen Ausführungen hat er keinen sonstigen Artikel beanstandet. Wir alle kennen dieses Ruhrstatut. Gestatten Sie mir, daß ich trotzdem einige Bestimmungen anderer Artikel zitiere, mit denen der Herr Bundeskanzler einverstanden ist, da er sie ja nicht erwähnt hat. Ich nehme zunächst Artikel 14, worin es heißt:
Die Behörde nimmt eine Aufteilung der Kohle,
des Kokses und des Stahls der Ruhr zwischen

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0101702300
Wo haben Sie auf der Pariser Außenministerkonferenz Rechte erhalten?
Ich nehme Artikel 28 des Ruhrstatuts vor; darin heißt es:
Die Behörde und ihr Vermögen, ihre Einkünfte und ihr sonstiges Eigentum genießen in Deutschland die gleichen Vorrechte, Sonderrechte und Erleichterungen, wie sie das allgemeine Abkommen über Vorrechte und Sonderrechte der Vereinigten Nationen für die Vereinigten Nationen vorsieht.
Eine solche Situation kannten wir in China in Shanghai. Das chinesische Volk hat aber jetzt endgültig damit aufgeräumt.

(Abg. Renner: Bravo!)

Im Herzen Europas wird nach dieser Richtung hin im Ruhrgebiet ebenfalls eine neue Situation geschaffen.
Unter c) des Artikels 28 des Ruhrstatuts heißt es weiter:
Dem Personal der Behörde angehörende deutsche Staatsangehörige sind geschützt gegen gerichtliche Verfahren wegen in dienstlicher Eigenschaft getaner mündlicher oder schriftlicher Äußerungen oder aller in dienstlicher Eigenschaft vorgenommener Handlungen.
Herr Bundeskanzler, ich frage Sie nun noch einmal: Wo sind die Rechte, die Sie erhalten haben, wie Sie es den Abgeordneten in Ihrer Regierungserklärung gesagt haben?
Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß die werktätige Bevölkerung im Westen Deutschlands durch dieses Ruhrstatut einer doppelten Ausbeutung unterworfen wird. Die deutsche Fertigwarenindustrie wird gedrosselt, und aus Konkurrenzgründen werden die Demontagen weiter durchgeführt. Der Herr Bundeskanzler hat zwar den Versuch unternommen, uns verständlich zu machen, daß mit dem Angebot einer vierzigprozentigen Kapitalinvestierung die Demontagen abgestoppt würden. Wenn ich recht unterrichtet bin, werden die Demontagen auf Anweisung der britischen Regierung weiter durchgeführt. Mitte des nächsten Monats sollen die Betriebe demontiert sein.
Das Ruhrstatut bedeutet aber auch den Ausverkauf der deutschen Wirtschaft und das Hereinströmen von amerikanischen Waren. Das muß Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, verschärfte Not unter der deutschen Bevölkerung zur Folge haben.

(Sehr richtig! bei der KPD.)

Als das Wichtigste ist dabei aber hervorzuheben, daß das deutsche Volk in diese Pläne der Kriegsvorbereitungen zur Rettung des internationalen Finanzkapitals einbezogen werden soll; und diesen Krieg will man gegen die UdSSR, gegen die Volksdemokratien und gegen die jetzt gebildete Deutsche Demokratische Republik führen.
Wenn der Herr Bundeskanzler seine Politik fortsetzt, stellt er sich damit schützend vor die deutschen Schwerindustriellen, die zwei Weltkriege heraufbeschworen haben und bereit sind, die deutsche Nation erneut zu verraten und dem amerikanischen Imperialismus in der Vorbereitung eines neuen Krieges Hilfestellung zu leisten.

(Sehr gut! bei der KPD.)



(Reimann)

Wenn der Herr Bundeskanzler seine Politik fortsetzt, macht er sich — ob er das will oder nicht — mitverantwortlich für die Vorbereitung eines neuen Krieges, den die amerikanischen Imperialisten führen wollen.

(Zuruf rechts: Die russischen Imperialisten!)

Herr Bundeskanzler! Es hat den Anschein, als ob Ihre Vorschläge mit den ausländischen Finanzherren abgesprochen wären.

(Unerhört! in der Mitte.)

Ihre Vorschläge decken sich nämlich mit den Forderungen des internationalen Finanzkapitals. Eine solche Politik wird das Rüstungspotential in Deutschland und in Frankreich erhöhen.

(Sehr wahr! bei der KPD.)

Mit dieser Politik und mit diesen Vorschlägen verlassen Sie auch die Forderungen des Katholikentags von Bochum auf das Mitbestimmungsrecht.

(Sehr gut! bei der KPD. — Lachen in der Mitte.)

Ebenso verlassen Sie das Ahlener Programm der CDU.

(Sehr richtig! bei der KPD. Zurufe in der Mitte.)

Es muß abgelehnt werden, das Ruhrstatut und das Besatzungsstatut zu reformieren, wie es Herr Dr. Schumacher zu tun beabsichtigt. Gewerkschaftler dürfen in diesen Behörden nicht mitarbeiten; denn die Gewerkschaften sind nicht dazu da, um sich mit deutschen und ausländischen Monopolherren an einen Tisch zu setzen. Der Wille der Gewerkschaftler geht dahin, daß die Sozialisierung der Grundstoffindustrien durchgeführt wird. Der Wille der Gewerkschaftsmitglieder ist es, das Mitbestimmungsrecht in den Betrieben und allen deutschen Wirtschaftsorganen durchzuführen.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Die Gewerkschaften werden es ablehnen, das Ruhrstatut in diesem westdeutschen Staat wirksam werden zu lassen. Daher soll dem Willen der Gewerkschaften Rechnung getragen werden, den sie in einer Reihe von Forderungen auf ihrem letzten Münchner Gewerkschaftskongreß festgelegt haben: vor allen Dingen das Mitbestimmungsrecht, die Reform der Sozialversicherung und die Erhöhung der Löhne und Gehälter.
Gegen diesen geplanten reaktionären Angriff, gegen diese kriegsvorbereitende Politik im Westen Deutschlands wird sich das Volk zur Wehr setzen müssen und in diesem gemeinsamen Kampf die Feststellung immer wiederholen, daß sich im Westen Deutschlands die deutsche Reaktion gefestigt hat, daß sie in alle Verwaltungsorgane ihre Vertreter entsendet, daß die alte Diplomatie, die für das Unglück im deutschen Volk die Verantwortung trägt, heute wiederum im Ausland herumreist. Nur diese Feststellungen zu treffen, genügt nicht, sondern man muß den Mut aufbringen, von diesen Feststellungen zu Taten überzugehen.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Keiner soll sich einbilden, daß diese Elemente mit einem Stimmzettel überwunden werden,

(Sehr wahr! bei der KPD)

sondern dazu ist der Kampf des Volkes notwendig.

(Abg. Dr. Besold : Der russische Torpedo!)

Die Gefahr, in der sich das deutsche Volk, insbesondere aber die deutsche Arbeiterschaft befindet, ist riesengroß. Wenn die Reaktion heute der Versuch unternimmt, gegen die Kommunisten Maßnahmen einzuleiten, so wird es morgen auch gegen die sozialdemokratischen Funktionäre gehen.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Daher ist gemeinsames Handeln in den Gewerkschaften und überall notwendig; denn die deutsche und internationale Reaktion sieht nicht nur in der Kommunistischen Partei eine Gefahr, sondern in jedem, der fortschrittliche demokratische Ziele verfolgt, die unvereinbar sind mit den Interessen des internationalen Finanzkapitals.

(Sehr wahr! bei der KPD.)

Herr Bundeskanzler, Sie sind nach Ihren Vorschlägen bereit, die Interessen der deutschen Nation den Interessen des amerikanischen Imperialismus unterzuordnen. Ihre Politik ist die Aufrechterhaltung der Spaltung Deutschlands im Interesse des amerikanischen Imperialismus.

(Abg. Dr. Besold: Jetzt hört's aber auf! — Abg. Hilbert: Unerhört!)

Jedoch wird der Erfolg der Deutschen Demokratischen Republik auch der Bevölkerung im Westen Deutschlands eine große Anziehungskraft wirksam werden lassen.

(Zuruf: Das stimmt nicht! — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101702400
Herr Abgeordneter, darf ich Sie bitten, sich etwas zu mäßigen.

(Abg. Dr. Besold: Sehr richtig! — Zurufe von der KPD.)


Max Reimann (KPD):
Rede ID: ID0101702500
Für das deutsche Volk steht heute die Frage: keine Beteiligung an dieser Europa-Union, an diesem Atlantikpaktsystem, keine einseitige Orientierung! Das deutsche Volk in einer einheitlichen demokratischen Republik wünscht sich mit allen Völkern auszusöhnen, damit Frieden und Wohlstand unter den Völkern herrschen.

(Zurufe rechts.)

Wir werden uns über diese Fragen, meine Herren der Rechten, noch so manches mal auseinandersetzen, so lange, bis Ihre Politik im Westen Deutschlands durch den Willen des Volkes zerbrochen wird.

(Beifall bei der KPD. — Zurufe rechts.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101702600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Loritz.

Alfred Loritz (WAV):
Rede ID: ID0101702700
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte heute zu vorgerückter Stunde Ihnen nicht etwa auch noch eine Rede vom Blatt ablesen, wie das einige meiner Vorredner getan haben.

(Zuruf rechts: Sehr richtig!)

Ich möchte Ihnen nur in wenigen Sätzen den Standpunkt der WAV zu diesen so enorm wichtigen Dingen wie Ruhrstatut, Saarlandfrage usw. darlegen.
Wenn ein Charakteristikum der Diplomatie, wie Talleyrand gesagt hat, die subtilité ist, das feine Fingerspitzengefühl, dann muß man allerdings sagen, daß sich die deutsche Diplomatie noch sehr in den Anfängen befindet. Was in den letzten 8 bis 14 Tagen auf außenpolitischem Gebiet an Porzellan zerschlagen worden ist, das ist schon


(Loritz)

ein großer Haufen voll Trümmer. Die Folgen davon wird unser armes Volk zu tragen haben. Da können wir nun leider die Regierung Adenauer nicht von aller Schuld daran freisprechen, daß soviel Porzellan zerhauen worden ist. Denn - darüber gibt es gar keinen Zweifel — entweder wir haben eine Demokratie; dann muß die Willensbildung vom Volk und vom Parlament ausgehen. Oder wir haben k eine Demokratie, sondern ein System, das wir schon aus der Vergangenheit kennen; dann tut eben ein Mann oder ein kleiner Kreis von Männern das, was ihnen beliebt, ohne vorher das Volk oder seine Vertretung zu fragen. Ich glaube, es geht bei der ganzen Sache um eine Grundsatzfrage, nämlich: Soll das Parlament und sollen die Abgeordneten nichts anderes sein als eine Informationsstelle, die die Informationen, die sie nachträglich von der Regierung über die Handlungen erhalten haben, die die Regierung schon vorgenommen hat, an ihre Wähler weiterzugeben hat, oder soll das Parlament mehr sein: soll das Parlament Gestalterin des politischen Willens im Lande sein?
Da müssen wir folgendes sagen: Mag es manchem hart klingen — aber man hätte es anders handhaben können. Schon lange, mindestens in den letztvergangenen Wochen hätte in diesem Hause eine große außenpolitische Debatte stattfinden müssen, in der die Regierung von allen Seiten her Fingerzeige bekommen hätte, wie das Parlament in seiner Mehrheit denkt. Das ist leider nicht geschehen. Man kann vielleicht sagen, der Kreis hier sei zu groß. Wir bezweifeln das. Wir glauben, daß der Kreis des Parlaments klein genug ist, und glauben, daß man nicht immer auf noch weiter verkleinerte Kreise zurückgreifen muß, mögen sie außenpolitisch r Ausschuß, Ältestenrat oder sonstwie heißen. Wenn die Regierung wirklich Angst gehabt hätte, daß vielleicht ein bißchen zuviel über dies und jenes im Parlament geredet worden wäre, dann hätte sie immerhin den außenpolitischen Ausschuß einschalten müssen, um sich dort die Grundlage für die von ihr einzuschlagende Politik zu holen. Das hat sie nicht getan. Damit hat sich die Regierung leider ihre Initiative selbst entwertet. Denn darüber sind wir uns doch klar: Jeglicher außenpolitische Schritt Deutschlands, sei es im Verhältnis zu Frankreich, sei es im Verhältnis zu anderen Staaten, hat nur dann einen Sinn und Zweck, wenn er nicht bloß von der kargen Regierungsmehrheit, die heute existiert, von ein paar Stimmen mehr im Parlament getragen wird, sondern von der weitaus überwiegenden Masse des deutschen Volkes. Da ist das Grundübel an der heutigen Situation zu suchen!
Die Außenpolitik der Regierung muß mehr sein als die Innenpolitik. Mag die Regierung versuchen, auf dem Gebiet der Innenpolitik jeweils mit einer ganz knappen Mehrheit durch die Katarakte der Abstimmungen' im Parlament durchzukommen; bezüglich der Außenpolitik müssen wir dafür sorgen, daß 80 Prozent, ja 90 Prozent der Bevölkerung hinter den Akten der Regierung stehen. Da verlangen wir von der WAV: Unser Volk muß eingeschaltet werden, unser Volk bzw. die gewählten Volksvertreter müssen rechtzeitig informiert werden, was die Regierung dem Ausland gegenüber für Angebote macht, weil nur dann die Angebote der Regierung wirklich einen Sinn und einen Zweck haben. Meine Damen und Herren, diesen Grundsatz bitte ich die Regierung doch endlich einmal beherzigen zu wollen. Sie soll zuerst aus dem Volk heraus Richtlinien und Grundlagen für ihre Politik gewinnen. Schauen Sie hinüber nach den Vereinigten Staaten von Amerika! Wie ist es dort, wie war es unter Präsident Roosevelt, wie ist es heute? Zuerst wird sondiert, wie das Volk denkt. Erst dann kann es eine Regierung überhaupt wagen und riskieren, dort, wo wirklich entscheidende Lebensinteressen der Nation in Frage stehen, außenpolitisch irgendwie hervorzutreten.
Meine Damen und Herren, die Regierung hat leider schon einen unglücklichen Start auf dem Gebiet der Geldabwertung gehabt, wo wir Abgeordneten durch Journalisten informiert worden sind, was von seiten der Regierung geschehen war. Ich finde, auch auf dem Gebiet der Außenpolitik, wo sie jetzt die ersten zaghaften Schritte zu tun hatte, hat sie einen ebenso unglücklichen Start gehabt. Wir beschwören die Regierung, sie möchte bei den kommenden so wichtigen Dingen nicht ebenso verfahren, wie sie es bisher getan hat. Wir fordern die Regierung auf, endlich einmal die Bevölkerung und das gewählte Parlament einzuschalten. Sonst haben wir nämlich keine Demokratie, sonst haben wir die Herrschaft einer kleinen Clique.
Wir haben leider auf einige Fragen, die heute aus der Mitte des Hauses an die Regierung gerichtet worden sind, noch keine Antwort bekommen. Wir haben zum Beispiel keine Antwort darauf bekommen, ob es in unserem Volke zweierlei Leute gibt, nämlich die einen, die entgegenzunehmen haben. was die Regierung beschlossen hat, und die anderen, die vielleicht durch ihren besonders großen Geldbeutel — siehe Herrn Pferdmenges — in die Lage versetzt werden, direkte Außenpolitik zusammen mit der Regierung zu treiben.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Ich weiß, wie gesagt, nicht, wie es mit diesen Gerüchten um Herrn Pferdmenges steht. Ich glaube aber, der Mann war nicht legitimiert, wenn er wirklich zu diesen so wichtigen Besprechungen eingeladen worden sein sollte, als ein Volksvertreter aufzutreten. Wenn er das gewollt hätte, hätte er sich ja zur Wahl stellen können. Er hätte auf dem Weg, wie wir es alle haben tun müssen, versuchen können, hier als legitimierter Volksvertreter aufzutreten. Wenn er das aber nicht getan hat, möge er bitte aus so diffizilen Verhandlungen draußen bleiben. Wir fordern dann mit mindestens demselben Recht, daß der brave Bergarbeiter aus dem Ruhrgebiet und der brave Mittelständler aus der Stadt Köln ebenso zu diesen Besprechungen hinzugezogen wird. Uns scheint entscheidend zu sein, daß die Regierung daran denkt, was in der Verfassung so schön niedergelegt ist, daß die Staatsgewalt vom Volke ausgeht und sonst von gar niemand anderem. Wir verlangen, daß diese wichtigsten Fragenkomplexe, sei es Ruhrstatut, sei es Saarlandfrage, dem Volk vorgelegt werden, bevor die Regierung hier entscheidende Schritte tut. Schauen wir nur das französische Parlament an, wie hier dem Parlament die Entscheidungen vorbehalten sind. Ich gehe sogar noch weiter, ich gehe so weit, zu verlangen, daß nicht bloß die Abgeordneten, sondern unsere Bevölkerung direkt gefragt wird. Denn der Zustand muß überwunden werden, daß die Bevölkerung auf dem außenpolitischen Schachbrett hin- und hergeschoben wird, als sei sie eine Ware. Wir erkennen nichts anderes an als das, was von unserem Volk beschlossen wird.


(Loritz)

Ich glaube, wir haben unser Volk und seine Stimme nicht zu fürchten.
Meine sehr verehr ten Damen und Herren von der Rechten, unser Volk will zum weitaus größten Teil ein enges Übereinkommen mit den Weststaaten, um endlich einmal eine Freundschaft mit den Nationen zu haben, mit denen wir auf Gedeih und Verderb zusammenstehen müssen, wenn wir die größten Gefahren für die Kultur des Abendlandes, die seit der Perserzeit eingetreten sind, bannen wollen. Wir haben unser Volk nicht zu fürchten, und wir fürchten unser Volk nicht. Gerade deshalb fordern wir: schaltet unser Volk ein! Wenn ihr Demokraten sein wollt, dann denkt daran daß Demokratie Volksherrschaft heißt. Dann wird es solche Mißgriffe und solche Entgleisungen nicht mehr geben. Dann wird sich zeigen, daß der Weg über die Befragung des Volkes nicht etwa ein kostspieliger Umweg ist, sondern daß es gerade auf diesem Wege vermieden wird, daß Scherbenhaufen in der Außenpolitik entstehen, wie wir es jetzt beobachten müssen. Es ist tief bedauerlich, wenn man feststellen muß, daß hier die Annäherung an Frankreich durch all die Dinge, die in den letzten Wochen passiert sind, nicht gefördert, sondern zum Teil sabotiert wurde. Um so mehr rechtfertigt sich der Ruf, den wir heute an die Bundesregierung richten wollen, sie möge einmal mit Regierungsmethoden brechen, die der Vergangenheit anzugehören haben und nicht wiederholt werden dürfen; sie möge endlich einmal eine möglichst breite Basis für ihre Politik und ihre Vorschläge schaffen. Dann erst wird sie in der Lage sein, außenpolitisch als eine quantité respectable betrachtet zu werden, als eine Größe, die man ernst nimmt, aber nicht als Leute, die zwar schöne Redensarten und Angebote I machen, hinter denen aber nicht das Volk steht.
Das ist die Meinung der kleinen Gruppe, die die WAV heute darstellt. Aber ich glaube, ich spreche auch im Namen vieler Mitbürger, die parteipolitisch nicht gebunden sind, aber mit Angst und Sorge die Entwicklung der letzten Wochen verfolgt haben, die eine Freundschaft wollen gerade mit den Besatzungmächten, die aber eines nicht wollen: eine Regierung, die über die Köpfe des Volkes hinweg Maßnahmen, noch dazu falsche, trifft.

(Beifall bei der WAV und einem Teil der SPD.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101702800
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wessel.

Helene Wessel (SPD):
Rede ID: ID0101702900
Meine Herren und Damen.! Die Zentrumsfraktion hat sich in der vergangenen Woche damit einverstanden erklärt, daß die außenpolitische Aussprache vor diesem Hohen Hause erst durchgeführt werde, wenn die Beendigung der Pariser Konferenz den Herrn Bundeskanzler in die Lage versetzen würde, über diese Außenministerkonferenz entsprechend zu berichten. Meine politischen Freunde waren bestrebt, der Bundesregierung auf außenpolitischem Gebiet die Bewegungsfreiheit zu gewähren, die eine Regierung für sich in Anspruch nehmen muß, wenn sie außenpolitische Erfolge haben soll. Wir sind an der von dem Herrn Bundeskanzler ergriffenen außenpolitischen Initiative in keiner Weise beteiligt gewesen, und es bleibt wohl die Frage offen, die auch von meinem Vorredner angeschnitten worden ist, ob es in Zukunft nicht doch möglich sein sollte, auf außenpolitischem Gebiet eine möglichst einheitliche Auffassung des Parlaments herbeizuführen, bevor die
entscheidenden Schritte getan werden. Denn es geht hier nicht um das Schicksal der Regierung oder um einen Triumph der Opposition, sondern es geht einzig und allein um das uns allen gemeinsame deutsche Schicksal. Wenn die Regierung außenpolitische Niederlagen erlebt, dann trifft dies nicht nur die Regierung, sondern dann ist davon das ganze deutsche Volk betroffen. Ich leugne damit nicht, daß auch auf außenpolitischem Gebiet das Zusammenwirken von Regierung und Opposition zu einem beträchtlichen Erfolg führen kann; nur muß vorausgesetzt werden, daß beide Teile einander eine ehrliche Wahrnehmung der nationalen deutschen Belange zutrauen.
Meine politischen Freunde und ich können uns des Eindrucks nicht erwehren — und dieser Eindruck ist durch die heutigen Reden noch verstärkt worden —, daß Ereignisse eingetreten sind, die gerade in Fragen der Außenpolitik eine Front des Mißtrauens zwichen Regierung und Oppositionsparteien aufgerichtet haben. Es scheint mir aber notwendig zu sein, daß wir, die wir nicht in der Regierung steh en, sondern zur Opposition gehören, doch die außenpolitischen Notwendigkeiten erkennen und würdigen, die eine Regierung zum Handeln zwingen können, und ich glaube, wir müssen das Beste dafür einsetzen, damit die deutsche Situation nicht durch derartige Spannungen überflüssigerweise noch weiter verschärft wird. Der Verlauf der heutigen Debatte sollte der Bundesregierung auch Anlaß sein, in ihren Überlegungen die Argumente nicht außer acht zu lassen, die gegenüber ihrer außenpolitischen Konzeption von der größten Oppositionspartei ausgesprochen worden sind.
Keinesfalls darf es aber so sein, daß Meinungsverschiedenheiten dazu benutzt werden, entweder als national verantwortungsbewußter oder weniger verantwortungsbewußt zu gelten. Gerade weil wir noch in den Anfängen unseres parlamentarischen und außenpolitischen Lebens stehen, sollten wir uns davor hüten, bei solchen Aussprachen in die Drucksphäre des Naziregimes zu verfallen. Denn gleichgültig, ob die Auffassung der Sozialdemokratie richtig oder anfechtbar in manchem sein kann, muß doch gesagt werden, daß sie damit nicht nur die Stimmungen und Auffassungen des Arbeiterstandes, sondern darüber hinaus auch anderer Kreise des Volkes ausdrückt.
Meine Damen und Herren! Die Auffassung, von der sich die Zentrums-Fraktion in der Außenpolitik leiten läßt, ist die der kühlen Erwägung und weniger die des Gefühls. Denn wir dürfen uns nicht der Utopie hingeben, daß die uns umgebende Welt den Hitlerkrieg und seine Auswirkungen schon überwunden hätte. Wir hören Stimmen der Vernunft, derjenigen, die darnach streben, das Vergangene allmählich in Vergessenheit geraten zu lassen. Man ahnt auch, welche Gefahr es bedeuten würde, wenn das deutsche Volk, in dieser Situation allein gelassen, in eine Stimmung der Verzweiflung hineingetrieben würde. Aber wir sind noch weit davon entfernt, überall als gleichberechtigte Partner anerkannt zu werden, und wir können uns nicht einbilden, daß die Dinge sich von heute auf morgen ändern.
Ich skizziere unsere Situation nur deswegen, weil sie uns in eindringlicher Weise vor Augen stellt, daß die Zukunft Deutschlands nicht davon abhängt, wie sich in diesem Hohen Hause Regierung und Opposition auseinandersetzen, sondern daß es unser aller gemeinsames Anliegen ist, die Chancen zu


(Frau Wessel)

suchen, die nicht nur etwa in irgendeiner Clique oder in irgendeinem Konglomerat bestimmter wirtschaftlicher Interessen, sondern in seiner Gesamtheit dem deutschen Volke heute in der Welt geboten sind und nutzbar gemacht werden müssen.
In allen Fragen der Innenpolitik, der wirtschaftlichen und sozialen Neuordnung ist ein echtes Sichauseinandersetzen notwendig. Hier muß auch der Kampf bis zu klaren Entscheidungen geführt werden. Auf dem Gebiete der Außenpolitik gibt es aber nur das gemeinsame Schicksal, die ehrliche, offene Aussprache und die Bereitschaft zu einem gemeinsamen Handeln. Nichts kann die uns umgebende Welt so stark beeindrucken und nichts die Lebenskraft und den Lebenswillen des deutschen Volkes besser dokumentieren, als wenn dieses Hohe Haus in außenpolitischen Fragen eine Einheit darstellt, die über alle parteipolitischen Schranken hinweggeht. Wir müssen doch versuchen, die richtige Stellung in der Außenpolitik zu beziehen. Es würde eine furchtbare Tragik darin liegen, wenn wir gerade in der Außenpolitik falsch handelten; denn die Außenpolitik ist heute Deutschlands Schicksal.
Und noch auf ein weiteres möchte ich hinweisen. Es ist verhältnismäßig leicht gesagt, die Regierung trage die Verantwortung allein und dementsprechend habe nur sie die außenpolitische Initiative. Ich habe schon einmal in diesem Hohen Hause zum Ausdruck gebracht: die Stellung einer Regierung zeigt sich nicht darin, daß sie mit einer knappen Mehrheit gewählt worden ist und man nun glaubt, der Opposition solche Gegenargumente entgegenhalten zu sollen, wie es heute geschehen ist, um damit seine Stärke zu beweisen. Im heutigen Deutschland geht es ja nicht nur um das Ansehen 3)der Regierung, sondern — vergessen wir das doch nicht in allen unseren Überlegungen! — es geht letzten Endes um das Ansehen der Demokratie, das auf dem Spiele stehen kann. Jeder außenpolitische Fehlschlag der Regierung, jede außenpolitische Verpflichtung, die sie ohne hinreichende Sicherung der deutschen Lebensinteressen gezwungenermaßen eingehen würde, wäre nicht etwa nur für die Regierung selbst, sondern für unser ganzes demokratisches System verhängnisvoll. Die deutsche Demokratie darf nicht noch einmal die moralischen Belastungen scheinbar freiwillig auf sich nehmen, mit denen sie nach 1918 aufgebaut wurde. Wo die Grenze des Tragbaren erreicht ist, da muß deutscherseits ein endgültiges Nein gesprochen werden können, aber nicht etwa nur das leicht verdächtige Nein einer Opposition, sondern auch das ehrliche und verantwortungsbewußte Nein des gesamten deutschen Volkes. Ich glaube, daß niemand auf die Dauer in der Welt Vertrauen finden wird, der Verpflichtungen eingeht, von denen er im voraus überzeugt ist, daß er sie nicht erfüllen kann und wird. Und so wird es für die künftige Position der Bundesregierung von ausschlaggebender Bedeutung sein, wenn man von ihrem Ja gleich viel zu halten hat wie von ihrem Nein und hinter dem Ja wie hinter dem Nein die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes steht.
Meine Herren und Damen! Der Herr Bundeskanzler hat sich in den letzten Wochen bemüht, Deutschland aus dem Stadium einseitig bestimmter Abmachungen herauszuführen, und es besteht bei meinen politischen Freunden der Eindruck, daß die Zeit für die vom Herrn Bundeskanzler ergriffene Initiative reif ist. Wenn die uns umgebende Welt ehrlich den Frieden will, dann muß sie das deutsche
Volk aus seiner Deklassiertheit herausheben. Wenn es auch den Anschein hat, als wäre das deutsche Volk von sich aus gegen den Umsturz gefeit, so darf man doch nicht übersehen, daß ihm, falls ihm die äußere Freiheit ständig vorenthalten wird, schließlich Zweifel an dem von ihm verteidigten Ideal der Freiheit kommen müssen. Meine politischen Freunde und ich erachten es deshalb als unsere Pflicht, den Herrn Bundeskanzler in diesem Bestreben nach erhöhter deutscher Handlungsfreiheit zu unterstützen und als das Ziel der deutschen Politik die volle Wiederherstellung der deutschen Souveränität und Gleichberechtigung nachdrücklichst zu betonen.

(Bravo! beim Zentrum.)

Wir haben den Eindruck, daß man sich in diesem Hohen Hause nicht über die Zielsetzung, sondern mehr über die Methodik der deutschen Außenpolitik streitet und daß dieser Streit von einem Mißtrauen begleitet ist, dem wir auf den Grund gehen sollten, um es zu überwinden. Ich bin mir völlig darüber im klaren, daß gewisse tiefgehende Gegensätze, die die verschiedenen Parteien voneinander unterscheiden, irgendwie auch auf dem außenpolitischen Gebiete zum Tragen kommen. So verwundert es mich nicht, wenn das von dem Herrn Bundeskanzler gezeigte Streben nach einer deutschfranzösischen Verständigung sich in den Augen des Herrn Abgeordneten Dr. Schumacher als das Streben nach einer Verständigung zwischen dem Comité des Forges und den Vereinigten Stahlwerken darstellt. Auch meine Parteifreunde fassen eine deutsch-französische Verständigung wahrscheinlich etwas anders auf, als sie von den Vertretern finanziell-kapitalistischer Interessen aufgefaßt wird, und wir haben wahrscheinlich auch eine andere Konzeption von diesen Aufgaben, als sie Herr Pferdmenges hat. Wir haben sie besonders deswegen, weil wir glauben, daß nicht noch einmal wie in der Weimarer Zeit der Aufbau der deutschen Großindustrie sich auf Kosten der mittleren und kleineren Industrie vollziehen soll.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Ich bin trotzdem nicht der Meinung, daß die eine Art von Verständigung die andere Art ausschließt. Mir scheint es im Gegenteil zwangsläufig, daß, wenn bestimmte Kreise eine ihnen gemäße Verständigung betreiben, diejenigen Schichten der Bevölkerung beider Länder, die sich von einer derartigen Verständigungspolitik bedroht fühlen, nunmehr ihrerseits eine Annäherung betreiben, um sich gemeinsam der sie bedrohenden Zusammenballung von Wirtschaftsmacht zu erwehren. Die internationale Arbeiterbewegung hat von jeher auf diesem Gefühl der Solidarität der Schwächeren beruht, die durch Vereinigung stark geworden sind. Und je mehr Bündnisse sich über die Grenzen entwickeln, um so enger wird der Kontakt beider Nationen werden, von deren endlichem Sichfinden zweifellos das Schicksal Europas, ja vielleicht der Friede der Welt abhängt. Ich kann mir keine bessere Methode als diese zum Abbau der europäischen Nationalstaaten vorstellen, und ich bin der Meinung, daß es unsere besondere deutsche Aufgabe ist, so allseitig wie möglich, jeder nach seiner Art und nach den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, die Grenzen der europäischen Nationalstaaten zu überwinden.
Die notwendige Voraussetzung jeder guten Außenpolitik ist die Erkenntnis der gemeinsamen Interessen. Nur eine wirkliche Interessengemein-


(Frau Wessel)

schaft ist die Basis einer guten Außenpolitik. Wir verstehen das Bestreben Frankreichs nach Sicherheit, und wir müssen auch willens sein, das Unrecht gutzumachen, das durch unser Verschulden durch das Naziregime angerichtet worden ist. Wir kämpfen für die europäische Einheit, wenn wir erklären, daß unser Wille dazu ehrlich ist. Deshalb darf aber Deutschland nicht zerrissen und zerklüftet werden, weil dadurch den nationalistischen Strömungen Vorschub geleistet würde, die wir nie wieder bei uns dulden dürfen. Es muß eben Wege der friedlichen Verständigung der Völker untereinander geben, und nur an diese Wege dürfen wir denken und müssen ständig den Willen bekunden, uns zu verständigen. Wir wissen doch alle, daß jeder neue Krieg das Ende der Zivilisation bedeuten würde, daß auch die letzten geistigen Werte der abendländischen Welt damit vernichtet würden.
Darum müssen wir mit allen Völkern und allen Ländern, mit denen uns eine echte Interessengemeinschaft verbindet, ins Gespräch kommen. Wir müssen diesen Weg finden, wenn es auch nicht von heute auf morgen geht. Wir Deutschen können uns dabei leider des Gefühls nicht erwehren, daß das europäische Gemeinschaftsbewußtsein und wirklich echtes europäisches Denken bei weitem noch nicht den Boden gewonnen haben, den sie benötigen, um unser aller Zukunft in Europa zu sichern.
Wir begrüßen es sehr, daß die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika den für Europa lebensnotwendigen Marshallplan benutzt, um die westeuropäischen Nationen, die leider vorerst noch an der Stelle von ganz Europa die abendländische Überlieferung zu tragen haben, stärker aneinander annähert und sie dabei zu einem gemeinsamen Schicksalsbewußtsein zwingt. Die kulturellen 'Beziehungen zwischen den verschiedenen europäischen Nationen haben einer europäischen Föderation schon längst den Weg bereitet. Die wirtschaftlichen Interessen zwingen dazu, ihm zu folgen. Wir wollen, daß endlich einmal angefangen wird, auch in Europa wirtschaftliche Einheiten zu schaffen. Darum begrüßen wir jedes Beginnen, das uns hier vorwärts führt. Wir wissen nämlich, daß alsdann die Hoffnung berechtigt ist, daß aus der wirtschaftlichen Einheit Europas auch die politische Einheit erwächst und damit die Rettung Europas vielleicht noch einmal möglich wird.
Manches, meine Damen und Herren, was wir im Augenblick schweren Herzens in Kauf nehmen müssen, weil es uns durch die unselige Vergangenheit noch verwehrt ist, schon heute führend an der Gestaltung eines vereinten Europas mitzuarbeiten, wird sich in absehbarer Zeit von selbst erledigen, oder es würde kein Europa mehr geben, und das wäre gleichbedeutend mit dem Untergang des Abendlandes, von dem so viel gesprochen und geschrieben worden ist und an den wir Deutschen trotzdem nicht zu glauben vermögen, weil gerade unser Volk nach dieser beispiellosen Katastrophe seiner Gesichichte eine unbestreitbare Lebensfähigkeit beweist. Ich glaube daher, daß wir mit den im eigenen Lande gewonnenen Erfahrungen, ermutigt durch alles, was wir in unserer eigenen Nation erkannt haben, die Arbeit an der europäischen Verständigung tatkräftig fortsetzen müssen, ohne vor den Schwierigkeiten zu resignieren, die uns jetzt noch im Wege stehen.
Auch diese Einstellung scheint mir unabhängig von parteipolitischen Schranken, es sei denn, daß jemand den Versuch machen würde, trotz allem Elend, das darauf gefolgt ist, erneut einen preußisch-deutschen Nationalismus zu aktivieren. Ich leugne nicht, daß wir mit dieser Gefahr noch zu rechnen haben. Aber ich weiß trotz mancher Gegensätze, die meine Parteifreunde von dem Regierungskurs distanzieren, daß jedenfalls der Herr Bundeskanzler zu den letzten gehören würde, die hierzu Neigung verspüren, und ich möchte das im Hinblick auf die Ausführungen aussprechen, die von Herrn Dr. Schumacher gemacht worden sind und die vielleicht für die Regierung selbst — ich kann das nicht überprüfen — feststellbar sein können. Aber ich glaube, es muß demgegenüber auch ausgesprochen werden, daß der Herr Bundeskanzler in dieser Weise nationalistischer Strömungen nicht verdächtig erscheint. Ich möchte dabei auch betonen, daß in der Abwehr aller Bestrebungen, einem falschen Nationalismus in Deutschland wieder Vorschub zu leisten, meine politischen Freunde den Herrn Bundeskanzler jederzeit unterstützen werden.
Die Unverdächtigkeit des Herrn Bundeskanzlers in bezug auf nationalistische Neigung gewinnt aber für unser deutsches Volk erst dann an richtigem Wert, wenn der Herr Bundeskanzler bei seinen außenpolitischen Schritten klar die Grenzen der deutschen Leistungsfähigkeit aufzeigt. Das wird vor allem bei den heute begonnenen Verhandlungen mit den Hohen Kommissaren notwendig sein. Vielleicht wird sich im Laufe dieser Verhandlungen herausstellen, daß der Herr Bundeskanzler Beauftragte heranziehen muß, die ihn bei diesen Verhandlungen entlasten. Namens meiner politischen Freunde möchte ich den Herrn Bundeskanzler bitten, sich dann solcher Beauftragten zu bedienen, die aus demselben Grunde wie er das nationale Interesse unseres Volkes in unverdächtiger Weise wahrnehmen können. Zumindest dürften es nicht Vertreter der Kategorie sein, die Herr Dr. Schumacher hier charakterisiert hat. Ich kann mir nämlich vorstellen, daß eine Reihe von Revisionsansprüchen angemeldet werden müssen, und wir wünschen nicht, daß derartige Stellungnahmen deutscher Vertreter zu irgendwelchen nationalistischen Mißdeutungen Anlaß geben könnten.
Ich darf weiterhin, wie es auch meine Vorredner getan haben, der Erwartung Ausdruck geben, daß der Herr Bundeskanzler in den zuständigen Ausschüssen dieses Hohen Hauses oder sonstwie die Gelegenheit schaffen wird, eine einheitliche deutsche Auffassung zu den einzelnen Gegenständen der mit der Alliierten Hohen Kommission zu führenden Verhandlungen zu erzielen, um auf diese Weise dem deutschen Standpunkt den notwendigen Nachdruck zu verleihen.
Wenn ich von der rechtzeitigen Anmeldung von Revisionsansprüchen gesprochen habe, so habe ich dabei in erster Linie an das Ruhrstatut gedacht; denn ich würde es für ein unehrliches Spiel halten, wenn Deutschland der internationalen Ruhrbehörde beiträte, ohne dabei zum Ausdruck zu bringen, daß das Ruhrstatut der Revision bedarf. Schon in meinen Ausführungen zum Ruhrstatut in der Hauptausschußsitzung des Parlamentarischen Rats am 7. Januar 1949 habe ich darauf hingewiesen, daß das Ruhrstatut nicht so hingenommen werden könne, wie es ist, wenn ich andererseits auch betonte — und ich glaube, damals als


(Frau Wessel)

einzige Sprecherin im Gegensatz zu dem, was ich heute von Koalitionsrednern gehört habe —, es habe keinen Sinn, das Ruhrstatut nur zu kritisieren, ohne die Möglichkeit zu ergreifen, die uns Deutschen damit zu einer konstruktiven Mitarbeit immerhin gebotenen Gelegenheiten auszunutzen. Ich habe weiterhin darauf hingewiesen, daß es uns Deutschen, besonders uns, die wir an der Ruhr wohnen, schwerfällt, die Ruhr nicht mehr als eine deutsche, sondern als eine internationale Angelegenheit zu sehen, und erklärt, wir könnten dies nur tun in dem Gedanken an die europäische Föderation. Vor allem habe ich aber schon damals betont, es dürfe sich nicht um die Ausnutzung der Ruhrindustrie für kapitalistische Zwecke handeln; in diesem Falle könne das Ruhrstatut von den Deutschen nicht mit innerer Überzeugung bejaht werden. Und wie damals möchte ich auch heute an die Erklärungen von General Robertson über das Ruhrstatut erinnern, in denen er ausführte, das Jahr 1949 werde uns Deutschen nach Bildung der deutschen Regierung die Möglichkeit geben, entscheidender als bisher an den Angelegenheiten unseres Landes teilzunehmen; wir könnten — um es genau mit den Worten von General Robertson zu sagen — „eine Partnerschaft mit den demokratischen Ländern Europas eingehen, die eines Tages zur gleichberechtigten Teilnehmerschaft an einem gemeinsamen Unternehmen entwickelt wird". Nur in diesem Sinne und von einem solchen europäischen Geiste geprägt wird es möglich sein, das Ruhrstatut als einen Fortschritt in den Beziehungen der Völker anzusehen.
Meine Damen und Herren! Wir haben wohl alle mit großem Interesse die Reden gehört, die in den letzten Monaten und zuletzt auf der Pariser Konferenz gehalten worden sind. Wir verstehen, daß angesichts der allgemeinen politischen Lage nach einem Westdeutschland und nach einem Westeuropa gerufen wird, und doch muß die politische Konzeption Deutschlands darin liegen, Europa schlechthin zu verlangen. Denn die Völker haben alle eine Substanz, die in der Geschichte entstanden ist und in der Geschichte sich auch auswirkt. Wir leben alle nur in einem kleinen und begrenzten Zeitabschnitt. Und wem es um das Erbe des Christentums, der Humanitas, der wirklich echten abendländischen Kulturwerte zu tun ist, der muß alles daran setzen, daß diese kleine Halbinsel Europa, die 2000 Jahre sich emporgearbeitet und der Welt das Gesicht geprägt hat, nicht eines Tages von Asien verschlungen wird.
Die Menschheit hat nach Jahrhunderten und Jahrtausenden zu zählen und zu rechnen. Auch Europa, wie wir es heute vor uns haben, ist nicht von heute auf morgen entstanden. Es befindet sich in ständiger Entwicklung, und wenn der Sinn der Menschheitsgeschichte Entwicklung und Fortschritt bedeutet, dann dürfen wir die Hoffnung haben, daß Europas Rolle trotz aller Schicksalsschläge, die uns getroffen haben, nicht ausgespielt ist.
Von dieser Betrachtungsweise aus sehen meine politischen Freunde und ich auch die Aufgaben des Europarats. Dabei kommt es im Augenblick nicht so entscheidend darauf an, welche Funktionen der Europarat einmal erfüllen wird. Aber etwas ist doch wesentlich: Dieses Gremium ist ein internationales Gremium, und die Staaten des Westens gehören ihm mit Ausnahme derjenigen Staaten an,
die wie Spanien dem Faschismus untertan sind. Die Einbeziehung Deutschlands in dieses System bedeutet immerhin eine internationale Anerkennung, die um so schwerer wiegt, als ein Friedensvertrag noch nicht besteht.
So müssen wir die gegenwärtige Situation hinsichtlich der Möglichkeiten eines Friedensvertrages sehen, wie sie ist. Dabei wünschen wir, daß wenigstens die Beendigung des Kriegszustandes erklärt würde. Wir wissen, daß wir heute nicht in der Lage sind, schon einen Friedensvertrag zu unterzeichnen. Wir können es nicht, denn wir wollen das einige Deutschland. Wir wollen, daß der Friede zustande kommt, daß er nicht diktiert, sondern aus dem gemeinsamen Willen der Völker geboren wird, die nun endlich Ruhe, Frieden und Wohlfahrt haben wollen. Das ist die Voraussetzung für alles, daß wir aus dem Objekt zum Subjekt der Politik werden. Wir wollen endlich das letzte Blatt des düsteren Kapitels unserer Geschichte umschlagen und das neue Kapitel des Wiederaufbaus und des Neuaufbaus beginnen.
Wenn wir heute wieder in die Lage versetzt sind, mit dem Ausland Gespräche zu führen und darüber nachzudenken, welche Stellung wir dabei einnehmen wollen, so gibt es meiner Überzeugung nach nur eine Formulierung, die wir aus unserer tragischen Geschichte lernen müssen. Hüten wir uns, als Partei nur eine bestimmte Karte ziehen zu wollen, sei es die französische, sei es die englische, sei es die amerikanische oder die russische. Meine Herren, davon verstehen Sie ja mehr als ich. Es ist wie beim Skatspielen: der Grand mit Vieren ist immer noch der beste und der teuerste!

(Heiterkeit.)

Und lassen Sie mich auch das sagen: die innere Widerstandskraft gegen den Kommunismus wird nicht in einer hermetischen Abschließung von Rußland, sondern in der Verwirklichung einer echten, das Volk begeisternden Demokratie erreicht; und dieses wird der einzige Weg sein, der das ganze Volk zusammenführen kann.
So glaube ich — um damit zu schließen -, daß
alle Parteien in diesem Hohen Hause den Wunsch haben, in gemeinsamer Arbeit die unter den gegenwärtigen Verhältnissen bestehenden außenpolitischen Chancen zu finden und auszunutzen. Dabei wäre es verhängnisvoll, wenn die verschiedenartige parteipolitische Orientierung dazu führen würde, daß irgendeine der für uns bestehenden Möglichkeiten ausgelassen würde, weil derjenige, der sie erkennen würde und deshalb wahrnehmen müßte, aus parteitaktischen Überlegungen vor ihr zurückzuschrecken hätte. Erst wenn diese Gefahr beseitigt ist, wird sich die deutsche Außenpolitik so vielseitig und so reich an Chancen entfalten, wie es dem Lebensbedürfnis unseres deutschen Volkes entspricht.

(Lebhafter Beifall beim Zentrum, bei der SPD und in der Mitte.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101703000
Das Wort hat der Abgeordnete von Thadden.

Adolf von Thadden (DRP):
Rede ID: ID0101703100
Meine Damen und Herren! In allen Parlamenten besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen einer außenpolitischen Debatte und den sonstigen, sehr oft nur parteipolitischen Streitigkeiten, wie sie im Parlament stattfinden. Wir haben heute leider nicht Gelegenheit gehabt, das zu sehen, was an sich notwendig gewesen wäre


(von Thadden)

und was sowohl für das Ausland als auch für das Inland zu wissen wichtig gewesen wäre: daß es in diesen Fragen der Außenpolitik, die unsere Nation in ihrer Gesamtheit angehen, grundsätzlich nur einen einzigen Willen zu geben hat und daß alle Vertreter des Volkes grundsätzlich in der Wahrung ihrer Rechte, der Rechte des Volkes, einer Meinung sein sollten. Die Frage, die überhaupt nur diskutiert werden kann, ist die: Wie helfen wir unserem Volk aus dem derzeitigen Dilemma heraus, und wie erreichen wir es, einen neuen Zusammenschluß mit den anderen Völkern zustande zu bekommen? Ich glaube, daß die Herren oder vielmehr der Herr, der heute hier so laut in das Horn der Opposition geblasen hat, am allerwenigsten legitimiert war, dies vor allem im Hinblick auf die Dinge zu tun, die er so besonders stark angegriffen hat. Wenn ich mich recht erinnere, war es doch der zweite Vorsitzende der SPD, Herr Ollenhauer, der im Frühjahr auf dem Sozialistenkongreß in Wien die Londoner Empfehlungen, die ihm damals von den sozialistischen Freunden aus England vorgelegt wurden, akzeptierte und damit im vornherein alle die Dinge anerkannte, gegen die man heute hier so energisch zu Felde gezogen ist.

(Zurufe von der SPD. — Abg. Di. Schmid: „Du ahnungsloser Engel, Du!")

Wenn hier dagegen einige Leute polemisierten, daß der Versuch unternommen worden ist, mit einer Beteiligung ausländischen Kapitals zur Demontage vorgesehene Werke zu retten, so würde ich den Herren, die dagegen zu Felde zogen, doch einmal den Vorschlag machen, sich mit den Arbeitern zu unterhalten, ob sie lieber in einem Werk, das mit ausländischer Beteiligung steht, arbeiten oder in einem leeren, demontierten Werk ohne ausländische Beteiligung arbeitslos sind.

(Zuruf links: Das nennt sich Nationale Rechte!) Ich glaube, wenn diese Rede, so wie sie heute hier gehalten wurde, vor der Wahl gehalten worden wäre, wäre die sozialdemokratische Fraktion vielleicht nicht ganz so groß, wie sie heute noch ist.

Wenn Herr Dr. Schumacher dem Bundeskanzler vorwirft, es sei eine grobe Versäumnis, in der vorigen Woche die außenpolitische Debatte nicht durchgeführt zu haben, so können wir hiermit nicht übereinstimmen. Die heutige Lage ist unseres Erachtens so schwierig, daß es im höchsten Grade falsch wäre, wenn sie vorher zerredet würde. Und sie wäre zerredet worden, wenn diese Debatte in der vorigen Woche stattgefunden hätte.

(Zuruf.)

Um so klarer und aufrichtiger sollte die nachträgliche Aussprache sein. Ob es aber hier nun zu einer allgemeinen Klarheit gekommen ist, wage ich doch anzuzweifeln.
Es gibt wohl keinen unter uns, der nicht mit dem Bundeskanzler der Meinung wäre, daß die deutschfranzösische Verständigung das Kernproblem Europas überhaupt ist und daß nur mit einer deutschfranzösischen Verständigung die Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben der Völker geschaffen werden können.

(Zuruf links: Schade, daß die preußischen Junker das nicht früher gewußt haben!)


(Zuruf: Antikominternpakt!)

denn bisher ist es immer noch so gewesen, daß, wenn eine Entscheidung bevorstand, es Frankreich war, das sehr oft zum Leidwesen der Amerikaner Knüppel dazwischengeworfen hat. Die ständigen Liebesbeteuerungen, wie sie von hier gemacht werden
— und das stimmt uns bedenklich —, werden in Frankreich langsam nicht mehr geglaubt.

(Zuruf links: Daran seid ihr schuld!)

— Daran sind wir nicht schuld; das werde ich Ihnen gleich entwickeln. Wir können uns dem Eindruck nicht entziehen, daß von interessierter Stelle, die diese deutsch-französische Verständigung nicht will, planmäßig Propaganda getrieben wird, die deutschen ehrlich gemeinten Versuche, zu einer Übereinstimmung zu kommen, nicht wahrheitsgemäß zu nehmen. Eine deutsch-französische Verständigung setzt unseres Erachtens eine Revision der Geschichtsauffassung auf beiden Seiten voraus. Beide Teile müssen nach der Wahrheit suchen.; und das ist heute oftmals nicht der Fall. Und wenn der Herr Bundeskanzler meinte — ich glaube, er war es —, daß die deutsch-französische Frage eine Angelfrage sei, so glaube ich: sie ist die einzige Angelfrage.
Es gibt nun aber bei dem ganz klaren Willen zu einer Verständigung mit Frankreich zu kommen, Punkte, über die man einfach nicht verhandeln kann. Dazu gehört, daß wir Verluste von deutschen Gebietsteilen widerspruchslos hinnehmen sollen. Wir können die Regierung nur davor warnen, völkerrechtswidrige Dekrete als Voraussetzung und Grundlage ihrer Außenpolitik zu nehmen. Es wurde heute hier soviel vom Sicherheitsbedürfnis geredet. Wir können nur bedauern, daß die Franzosen diesen Sicherheitskomplex angesichts der allgemeinen Gefahr, die ganz Europa, nicht nur uns, vom Osten her bedroht, noch derartig herausstreichen.
Was das Saargebiet anlangt, so müssen wir in der letzten Zeit in der ausländischen Presse, zum Beispiel in der New-York-Times, sehen, daß man dort Dinge als Gegebenheiten annimmt, gegen die wir auf das schärfste protestieren müssen. Es ist unmöglich, daß ausländische Zeitungen anfangen, den Begriff des „Sarrois" zu gebrauchen, und damit den Eindruck erwecken, es gäbe eine saarländische Nation. Eine solche gibt es nicht und soll es — und das soll die Linie der Regierungspolitik sein — auch in aller Zukunft niemals geben. Im Saargebiet gab es einmal eine eindeutige Volksabstimmung unter alliierter Aufsicht. Sie können wir auch heute noch, im Jahre 1949, respektieren und daraus unsere berechtigten Ansprüche herleiten. Das Wesentlichste aber ist, daß, wenn wir das Saargebiet staatsrechtlich abtreten, wir uns damit der Legitimation begeben, jemals gegen die Oder-Neiße-Linie Sturm zu laufen; und das müssen wir alle tun.

(Sehr richtig!)

Wie die wirtschaftliche Ausbeutung dieser ganzen Bodenschätze usw. in Zukunft sein soll, das ist eine Frage, über die wir, wie ich glaube, in fünf Jahren zu völlig anderen Auffassungen kommen, als sie heute noch als feststehend vertreten werden.
Wenn eine europäische Einigung durchgeführt werden soll, so sind wir sehr im Gegensatz zur Sozialdemokratie der Ansicht, daß diese gerade zuerst von der wirtschaftlichen Seite her kommen muß; denn da liegt der Hund begraben.

(Heiterkeit.)

Meine Herren von der Linken, nicht umsonst ärgert
sich der Herr Hoffman in Paris darüber, daß diese


(von Thadden)

Europäer immer noch in einem vorsintflutlichen Wirtschaftsnationalismus verharren; und diesen haben Sie hier durch die Ablehnung dieser Vorschläge nur noch deutlicher unterstrichen.

(Zuruf links: Was haben pie eigentlich für eine nationale Konzeption?)

— Die werden Sie gleich hören, warten Sie nur ab! — Wir können immer nur das eine tun: daß wir die Westmächte darauf hinweisen, daß sie Europa, von dem sie alle reden, nicht bauen werden ohne Mitteleuropa; und das sin d wir. Was die Englander anlangt, so können wir sie in unserem Willen, Europa mit Frankreich neu zu ordnen, draußen lassen. Die Zeiten des balance of power, wo man einmal Frankreich gegen Deutschland und einmal Deutschland gegen Frankreich ausspielen konnte, sind ein für allemal vorbei, und wenn die Herren sich jetzt auf ihr Commonwealth zurückziehen, — nun gut, dann sollen sie es tun. Wir wollen uns davon nicht beeindrucken lassen. Und wenn hier jetzt mit ihrer Unterstützung Rückzugsgefechte geführt werden, so wissen wir, was wir davon zu halten haben.
Das Gerede vom deutschen Nationalismus im Sinne des Chauvinismus, der nebenbei eine französische Erfindung ist, ist nichts anderes als ein Verlegenheitsausdruck gegenüber einer Situation, in die man ohne eine Konzeption hineingeschlittert ist und in der man nicht weiß, wie man daraus herauskommen soll. Die deutschen Sünden sind in aller Munde; die Sünden der anderen aber, wie sie sich seit 1945 einigermaßen zahlreich abgespielt haben, schweigt man geflissentlich tot.

(Zuruf rechts: Sehr bezeichnend!)

Voraussetzung einer jeden Politik und insbesondere einer europäischen Politik sollte aber eine Wahrhaftigkeit sein, und wir bedauern aufs höchste, daß wir diese Wahrhaftigkeit nur zu oft vermissen müssen. Die Abtrennung des Saargebietes — man ist auf französischer Seite dabei, sie durchzuführen —, die sogenannten Grenzberichtigungen, von denen die Bundesregierung notfalls durch die Presse erfährt, und die Demontage aus Konkurrenzgründen, — diese Dinge sind unseres Erachtens nicht geeignet, eine europäische Völkerfamilie aufzubauen. Wenn man jetzt die deutsche Mitarbeit will, so tut man es — und diese Erkenntnis sollte uns stark .machen — nicht aus Nächstenliebe, sondern weil man uns eben braucht! Wir wissen, daß man uns braucht, und wir wollen auch ganz offen und ehrlich mitarbeiten.

(Abg. Renner: Marschieren wollen Sie!)

— Die Zeiten des Marschierens gegen westeuropäische Staaten sind ein für allemal vorbei.

(Abg. Renner: Sie marschieren wieder gegen die Russen!)

— Wenn Sie von Marschieren reden, so möchte ich Ihnen nur sagen, daß jeder, der im Frankreichfeldzug gewesen ist, mir wahrscheinlich bestätigen wird, daß von irgendeinem großartigen Gefühl, gegen Frankreich marschieren zu dürfen, 1940 wohl kaum geredet werden kann; vielmehr hat sich jeder einzelne damals höchstens als ein kleines Rädchen in einem technisch riesenhaft überlegenen Apparat gefühlt. Von irgendwelchen Haßgefühlen gegenüber den Franzosen habe ich bei deutschen Soldaten niemals etwas feststellen können.

(Erneute Zurufe: — Abg. Dr. Schumacher: Was soll denn das Geplaudere? — Glocke des Präsidenten.)

— Das ist kein Geplaudere, sondern das sind meines Erachtens höchst wichtige Angelegenheiten.
Wir wollen — das kann ich nur noch einmal unterstreichen — mitarbeiten, aber nicht als von Paris kommandierter Hilfsdienst, sondern als ein gleichberechtigtes deutsches Volk. Wir werden aber unseres Erachtens diese Gleichberechtigung nicht schnell bekommen, wenn wir hier ein höchst bedauernswertes Schauspiel nationaler Zerrissenheit liefern. Wenn jetzt auf beiden Seiten, sowohl hier wie auch in Frankreich, die Männer zahlreicher werden, die einen ehrlichen Ausgleich suchen, so wollen wir dem Außenminister Schuman für den von ihm beschrittenen Weg nur alles Gute wünschen, und wir wollen hoffen, daß, Herr Schuman, wenn er in Kürze seiner Nationalversammlung gegenübertritt, dort — und das wollen wir in unserm deutschen Interesse hoffen — keinen Schumacher findet.

(Sehr richtig! rechts. — Lachen und Zurufe bei der SPD.)

Der „Corriere della Sera" schrieb am 10. Oktober: Die Schaffung des ostdeutschen Staates zwingt die amerikanische Diplomatie, sich zu. entscheiden, ob sie die Politik der Halbheiten der letzten Monate fortsetzen oder offen für die Einfügung des Bonner Deutschlands in den Westkomplex wirken will.
Vergessen wir eins nicht: seit 1945 ist mit einer klaren politischen Auffassung nur eine Macht in Aktion, nämlich Moskau. Moskau war immer im Vormarsch begriffen, und der Westen läuft bei einer Fortsetzung seiner bisherigen Linie Gefahr, völlig in die Defensive gedrängt zu werden und den kalten Krieg zu verlieren, ohne daß der Kreml irgendwelche Anstrengungen größerer Art zu unternehmen brauchte. China ist weg. Die Chance des Berliner Erfolges hat man mutwillig verspielt, da es keine Möglichkeit gab, die drei Meinungen zu einer zusammenzufassen. Die Marshallplangelder wurden sinnlos vergeudet, wie die Pfundabwertung als Resultat der Labour-Pleite einigermaßen deutlich bewies.

(Gelächter bei der SPD.)

Westeuropa scheint außerstande, aus seinem Wirtschaftsnationalismus herauszukommen, und die Politik des kleinen Mannes geht dahin, die großzügigen Marshall-Milliarden als Defizitausgleich europäischer Unfähigkeit zu verwenden.

(Widerspruch bei der SPD.)

Gegenüber dieser Senilität, wie sie hier im Westen noch ihr Unwesen treibt, im Vormarsch zu bleiben, ist dem Kreml nicht schwer. Unsere Auffassung hinsichtlich einer nationalen deutschen Politik kann nur die sein, daß wir als die vom Osten am meisten bedrohte Stelle alles tun, unsern Volkskörper innerlich zu stärken und dabei ehrlich und offen zu versuchen, Anschluß an die anderen Völker des westeuropäischen Raumes zu finden. In Moskau haben wir einen einzigen Willen, und alles dient dort nur dem Ziel, wie man möglichst schnell die Weltherrschaft erringen kann. Rückschläge, Kompromisse und Rückzüge spielen dort überhaupt keine Rolle.
Es geht nun darum — so betrachten wir die jetzige Auseinandersetzung mit Frankreich gegen den dortigen einheitlichen Willen einen genau so einheitlichen westeuropäischen Willen zu bilden, wobei jeder Partner, also sowohl Deutschland wie auch Frankreich, etwas zurückstecken sollte. Ressentiments sollten endlich vergessen sein; sie sind


(von Thadden)

durch die Entwicklung der letzten vier Jahre überholt. Man sollte versuchen, gemeinsam eine neue Ordnung aufzurichten. Ich kann in diesem Zusammenhang nur noch einmal betonen: wenn wir vom Wirtschaftlichen her diese neue Ordnung aufbauen, wird ihre Haltbarkeit wesentlich größer sein, als wenn wir sie auf irgendwelche ideologischen Dinge aufbauen wollten.

(Zuruf links: Besser als mit Bajonetten!)

Zu den Verhandlungen, die die Bundesregierung mit dem Westen geführt hat, können wir nur sagen, daß wir, was den materiellen Inhalt anlangt, in vieler Beziehung nicht mit der Bundesregierung konform gehen; aber das eine wollen wir ihr versichern: der Wunsch, zu einem Ausgleich Deutschland-Frankreich zu kommen, wozu beide Teile beitragen müssen — der Anfang unserer heutigen Debatte hat allerdings keinen Beitrag geleistet —, entspricht dem Willen der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes. Die Bundesregierung sollte diesen Willen des Volkes, zu einem solchen Ausgleich und darüber hinaus zu einer neuen Ordnung zu gelangen, als einen ganz massiven Faktor in ihre Rechnung einbauen und damit gegenüber dem Ausland eine Haltung einnehmen, wie sie uns als einem Volk von 40 Millionen zukommt, dessen physische sowie geistige Kraft durchaus noch vorhanden ist.

(Zuruf von der KPD: Sagen Sie doch 60 Millionen!)

— Im Westen haben wir leider nur 40 Millionen.

(Zuruf in der Mitte: 47 Millionen! — Abg. Dr. Schmid: Das deutsche Volk hat 65 Millionen!)

Wir können vom Westen her die restlichen Deutschen, die unter dem östlichen Terror schmachten, nur mit den anderen Völkern Westeuropas, aber niemals allein wieder zu uns holen. Das ist der wesentlichste Punkt. Die Stärkung Westeuropas, um die westeuropäische Grenze wieder dahin zu legen, wohin sie gehört,

(Abg. Renner: Und im Osten bis zum Ural!)

sollte das Hauptziel unserer deutschen Politik und damit auch das Ziel der Politik der Bonner Regierung, sein.

(Beifall bei der NR.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0101703200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ott.

(Zuruf von der KPD: Vom Stabe Rosenbergs! — Abg. Renner: Heil Hitler!)


Dr. Franz Ott (Plos):
Rede ID: ID0101703300
Meine Damen und Herren! Nicht nur eine überwiegende Mehrheit, sondern das gesamte deutsche Volk wünscht und begrüßt eine Verständigung mit Frankreich, allerdings unter der Voraussetzung, daß unter die Vergangenheit endlich einmal ein ganz dicker Strich gemacht wird.
Mich hat nur ein Wort bewogen, noch einige Sätze in der heutigen Debatte zu sagen, nachdem schon so viel zu der Regierungserklärung ausgeführt worden ist; ich meine das, Wort „Nationalismus". Ich stelle ein für allemal fest, daß es im deutschen Volk keinen Nationalismus mehr gibt, sondern nur ein eisenhartes Ringen um die nackte Lebensexistenz.

(Lachen bei der SPD und KPD. — Zuruf in der Mitte: Dafür sind Sie ein Beweis!)

Wenn ein Volk Nationalismus abstreichen muß, dann ist und bleibt es das französische Volk.
Zum Saarproblem möchte ich gegenüber den Ausführungen des Herrn Euler folgendes sagen. Die Aufgabe der Saar wäre nicht ein Schritt zum Frieden, sondern ein Eilschritt zur Verhinderung eines geeinten Europas. Es ist heute gesagt worden, das Saarland sei mit Weißrußland zu vergleichen. Dem muß ich entgegentreten. Nach meiner Auffassung gehört das Saarland so zur Bundesrepublik Deutschland, wie zum Beispiel Bayern zur Bundesrepublik Deutschland gehört.

(Abg. Dr. Schumacher: Ist das wahr?)

— Herr Euler hat es vor kurzer Zeit hier erklärt.
Zum Ruhrstatut möchte ich nur eines sagen. Das Ruhrstatut ist für unser Volk nur dann tragbar, wenn sich alle Völker Europas dazu bereit erklären, wirtschaftswichtige Gebiete, an denen alle Völker Interesse haben, ebenfalls zu internationalisieren. Solange dies die anderen Völker nicht tun, müssen auch wir vom deutschen Standpunkt aus eine Internationalisierung des für das deutsche Volk so wichtigen Ruhrgebiets ebenfalls ablehnen.

(Richtig! rechts.)

Ich bekenne mich zu einem: Noch ist nichts aufgegeben von dem, was der Herr Bundeskanzler erklärt hat, und noch ist nichts gewonnen. Ich wünsche dem Herrn Bundeskanzler Glück, daß alles gewonnen wird, was zur Erhaltung unseres deutschen Volkes notwendig ist.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0101703400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Becker. Ich bemerke, daß ihm noch 20 Minuten Redezeit zur Verfügung stehen.

Dr. Max Becker (FDP):
Rede ID: ID0101703500
Meine Damen und Herren! Wenn man die jetzt sechs Stunden dauernde Debatte noch einmal in Gedanken an sich vorüberziehen läßt, kommt man zu der Überzeugung: eigentlich sollte es eine außenpolitische Debatte sein; aber es ist ungeheuer viel von Innenpolitik die Rede gewesen. Wenn wir uns vorstellen, daß es die erste außenpolitische Debatte war, die dieses Haus geführt hat und auf die nicht nur das Inland, sondern wahrscheinlich auch das Ausland hingesehen hat, dann werden wir uns sagen müssen: ob wir uns das Zeugnis ausstellen können, gut verfahren zu haben, steht doch sehr dahin. Wenn wir uns weiter die Frage vorlegen, ob wir in dem Führer der Opposition und im künftigen Chef einer etwaigen späteren Regierung einen Staatsmann haben erblicken können, dann stellen wir enttäuscht fest: es war nur ein Parteipolitiker. Wenn wir weiter geglaubt haben, daß gegenüber der Konzeption einer Außenpolitik der Regierung nun die Opposition ihrerseits eine festgeschliffene, in sich einheitliche Konzeption darlegen würde, dann müssen wir jetzt sagen: wir haben keine Konzeption einer solchen Politik gehört, sondern nur Polemik.

(Zuruf von der SPD: Das müssen Sie Herrn Dr. Adenauer sagen!)

Meine Damen und Herren! Wir haben am Schluß einer solchen Debatte meiner Ansicht nach die Aufgabe, den Inhalt zu analysieren und einmal festzustellen: worüber ist dieses Haus und in welchem Umfang ist es sich einig und worin nicht? Ich glaube, wir sind uns in allen Teilen darin einig, daß wir mit Dank anerkennen, daß Auslands-


(Dr. Becker)

vertretungen uns zugebilligt werden sollen und daß demgemäß daraus der Schluß zu ziehen ist, daß als die Krönung unserer Auslandsvertretungen ein einheitliches Außenministerium zu bilden wäre, damit die Kompetenzen geklärt sind. Wir sind weiter der Auffassung, daß, wenn außenpolitische Verträge im Rahmen der heute besprochenen Politik abzuschließen sind, diese nach Artikel 59 des Grundgesetzes der Zustimmung der Parlamente bedürfen.
Was den Inhalt der Außenpolitik betrifft, so glaube ich sagen zu können, daß weit über den Rahmen der Koalitionsparteien hinaus, rechts und links, ich glaube, weit über den Rahmen auch der SPD hinaus wir uns über folgendes einig sein dürfen, und es ist wohl richtig, das einmal von Deutschland aus zu betonen. Wir sind uns einig in dem Gedanken, daß unser deutsches Volk in seiner überwiegenden Mehrzahl den Frieden ernstlich und redlich will. Dieses deutsche Volk, das hindurchgegangen ist durch Jahre der Unterdrückung, hindurchgeschritten ist durch Meere von Tränen und Blut und das in Bombennächten in den Luftschutzkellern angstdurchschauert dagesessen hat, weiß, was der Krieg bedeutet, und es will ernstlich den Frieden.
Wir wollen noch mehr. Wir wünschen nicht — ich glaube, darin stimmen wir alle überein daß dieses Land, wenn es auch nach seiner Kultur und Tradition zu den Westmächten tendiert, aber nun machtpolitisch zwischen die beiden großen Machtkreise eingebettet ist, zum Kriegsgebiet wird. Im Gegenteil, wir haben den Wunsch, daß alle die, die unsere Unterwerfung angenommen haben, sich nach der Logik der Tatsachen verpflichtet fühlen, uns im Bedarfsfall zu schützen.
Zum zweiten wollen wir aus der Vergangenheit gelernt haben. Ich glaube, darin sind wir alle einig, daß es mit dem Grundsatz „Macht geht vor Recht" zu Ende ist und daß Recht vor Macht gehen soll und daß dieses Recht die Grundlage ist, auf der wir unsere künftige Außenpolitik aufzubauen haben. Unter diesem Recht verstehen wir nicht die Allmacht des Staates schlechthin, sondern die Allmacht des Staates begrenzt durch das, was im Rahmen des moralischen Dürfens liegt und des Gestattetseins auf der Grundlage des Sittengesetzes. Das muß auch in außenpolitischer Beziehung hinüber und herüber von einem Staat zum andern gelten. Das ist die Grundlage, von der aus unter anderem auch die Frage unserer Heimatvertriebenen endgültig einmal zu betrachten sein wird.
Schließlich: wir wollen Schluß machen mit einer Politik der Romantik, mit einer Politik, die glaubt, daß wir der Nabel der Welt seien und alles sich um uns drehen müßte. Auf den Boden der Realität wollen wir treten. Ich glaube, die Politik, die jetzt von der Regierung inauguriert ist, ist die Politik, die realpolitisch konzipiert ist, und deshalb werden wir sie billigen. Wir sind der Auffassung, daß, wenn in diesem Lande, das mitten in Europa in einem machtpolitischen Vakuum liegt, Politik gemacht werden muß, wir unter allen Umständen nit unsern Nachbarn in Frieden leben, daß wir unsern Staat mit den Staaten Europas in eine große Gesamtheit hineinführen müssen. Wir unterliegen alle dem Marshallplan. Der Marshallplan hatte den Sinn, die europäischen Staaten zusammenzuführen. Bis jetzt hat er nur zu autarkistischen Bestrebungen geführt.

(Zuruf von der KPD: Und zu Arbeitslosigkeit!)

Der Grundgedanke muß sein, daß aus diesem Plan eine Gemeinsamkeit des wirtschaftlichen Geschehens und des wirtschaftlichen Gedankens in Europa erwächst. Diese Gemeinsamkeit zu bilden, ist unsere Aufgabe. Diese Gemeinsamkeit muß sich in unserer Politik nicht nur in wirtschaftlicher Beziehung, sondern auch in politischer Beziehung gegenüber den Staaten dieses Europa zeigen. Dann stimmen wir ebenfalls der Regierung zu, daß eine Grundlage auf breitester Basis gefunden werden soll und muß, von der aus diese Verständigungspolitik geführt wird. Es genügt nicht, daß ein Punkt nach dem andern traktiert, ein Punkt vom andern losgelöst wird. Es muß eine große Gesamtkonzeption stattfinden. Wir hoffen, daß in diesem Zusammenfassen aller Punkte die Lösung liegt, die uns zu einem ersprießlichen Ziel führen wird. Wir wollen deshalb nicht über Ruhrstatut im einzelnen, über Demontage im einzelnen reden. Alle diese Punkte, so reformbedürftig gerade die letztgenannten Fragen an sich sind, müssen im Rahmen einer Gesamtpolitik zusammen gesehen werden.
Die Sorgen um Europa, die uns bedrücken, können, wenn wir nicht zu einer Einigung in Europa kommen, uns zu dem Ergebnis führen, daß wir im Zeitpunkt des Ablaufs des Marshallplans wieder dahin zurückfallen, woher wir gekommen sind, nämlich in eine Zeit, in der die Rechnung nach Kalorien das Interessanteste am Tage war. Diese Sorge der Zukunft wollen wir vermeiden. Wir wollen uns deshalb auf der Grundlage der Konzeption, die die Regierung uns vorgelegt hat, zu einer gemeinsamen Arbeit im Rahmen eines vereinigten Europa zusammenfinden. Auch da teilen wir die Auffassung, daß die Liberalisierung des Handels, die die Grundlage für die richtige Durchführung des Marshallplans sein soll, als solche nur dann durchgeführt werden kann, wenn gleichzeitig die illiberalen Bestimmungen, die sich im Ruhrstatut und anderwärts befinden, beseitigt werden und das eine dem anderen wirklich angepaßt wird.
Die Kernfrage ist endlich von unserer Auffassung aus die Aussöhnung von Deutschland und Frankreich. Wir hoffen, daß die Schritte, die die Regierung unternommen hat und die wir billigen — gemeinschaftliche wirtschaftliche Beteiligung hinüber und herüber —, zu einem Ergebnis führen werden. Wir hoffen, daß dann die ,Jugend Deutschlands, die Jugend Frankreichs und die Jugend Europas, die heute nach diesem Kriege einer ungewissen Zukunft gegenübergestellt ist, von der sie nicht weiß, wie sie sich für sie entwickeln soll, auf Grund einer derartigen Zusammenarbeit wenigstens einen Hoffnungsstrahl sieht, der in das Dunkel ihrer Tage leuchtet und der ihr das Wort zum Bewußtsein führen kann: „Wir heißen euch hoffen!"

(Bravorufe bei der FDP.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0101703600
Das Wort hat der Herr Bundesminister Storch.

Anton Storch (CDU):
Rede ID: ID0101703700
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Aussprache hat mir eigentlich eine gewisse innere Beklemmung gebracht. Wenn wir das, was uns der Bundeskanzler heute vorgetragen hat, einmal im Zusammenhang mit dem Kernproblem des deutschen Volkes betrachten, nämlich mit der Arbeitslosigkeit, dann hätten seine Ausführungen meines Erachtens doch einen etwas an deren Widerhall finden müssen.

(Sehr richtig! in der Mitte.)



(Bundesminister Dr. Storch)

1 Er hat uns gesagt, daß es uns bei den Verhandlungen in Paris möglich war, die ersten Voraussetzungen dafür zu erhalten, daß im wesentlichen ein Demontagestop durchgeführt wird. Wenn ich in den letzten Wochen durch das Industriegebiet gefahren bin und mir die in der Demontage stehenden Betriebe angesehen habe, wenn ich in der 11. Sitzung dieses Hauses die Aussprache über die Demontage gehört habe, wenn ich mir auf dem Gewerkschaftskongreß in München den Notschrei der Menschen angehört habe und wenn ich mir ganz zum Schluß noch die Entschließung ansehe, die unser Bergarbeiterverband an die Öffentlichkeit gegeben hat, dann habe ich immer und immer wieder das eine Wort gehört: Nun hört endlich mit der Demontage auf! Wenn in der vergangenen Woche der Betriebsrat von Gelsenberg bei mir war und fragte: Haben wir denn noch irgendeine Hoffnung, daß wir jetzt, da man an das Herzstück unseres Werkes gehen will, das Werk erhalten können?, wenn ich dann den Leuten sagte: Glaubt mir doch, unsere Regierung stellt momentan alle ihre Arbeit darauf ein, daß die Demontage abgestoppt und dann endgültig beseitigt wird, dann ging ein gewisses Aufleuchten über die Gesichter dieser Menschen, weil sie ja letzten Endes um das Wesentlichste, um ihren Arbeitsplatz kämpfen.
Ist denn in Wirklichkeit das, was Ihnen der Kanzler auf diesem Gebiet gesagt hat, gar nichts wert? War die außenpolitische Arbeit der Regierung so ganz nutzlos, und hat denn die Regierung dabei irgend etwas für das deutsche Volk vergeben? Nein! Das ist in Wirklichkeit nicht der Fall. Wir habén anerkannt, daß andere Sicherungsansprüche haben. Das ist das einzige, was von uns gegeben worden ist. Auf der anderen Seite können wir doch morgen den Leuten in Gelsenberg sagen: ihr 3000 behaltet erst mal euren Arbeitsplatz!

(Beifall in der Mitte und rechts. Abg. Paul: Die Garantie haben sie noch nicht! — Zuruf von der SPD: Und die 20 000 in Watenstedt?)

— Ja, ich war auch in Watenstedt und kenne die Verhältnisse sehr gut. Auch dort hat mir der Betriebsrat noch vor drei Wochen mit auf den Weg gegeben: Kämpft darum, daß wir unseren Arbeitsplatz behalten! Ich glaube, wir erhalten den Arbeitsplatz für die dortigen Leute und werden wahrscheinlich in der Lage sein, die dortige Beschäftigungszahl dann auf 7000 zu erhöhen. Dann wird ein Aufleben durch die Leute in dieser Stadt gehen, wo heute 120 000 Menschen ohne jede Lebensgrundlage dastehen.
Nein, man sollte sich auch in diesem Parlament darüber klar sein, daß wir, wenn wir jetzt in unserer Eigenstaatlichkeit die ersten Schritte gehen, sie vor allen Dingen dahin lenken müssen, unseren arbeitenden Menschen Hoffnung zu geben. Einundeinviertel Millionen Menschen stehen bei uns in Westdeutschland auf der Straße und warten auf Arbeitsplätze. Wie können sie denn geschaffen werden? Doch nur dadurch, daß wir an erster Stelle jeden noch vorhandenen Arbeitsplatz erhalten. Wenn wir nach Schleswig-Holstein gehen - dort sitzen doch Ihre politischen Freunde (zu den Sozialdemokraten) in der Regierung —, so sagt man mir immer wieder: 300 000 Arbeitsplätze brauchen wir hier, und jeder Arbeitsplatz kostet in der Herstellung 3000 D D. Wenn Ihnen der Bundeskanzler gesagt hat, daß ns neben dem Demontagestop jetzt letzten Endes auch die Möglichkeit gegeben wird, wieder im Schiffsbau tätig
zu werden, so ist das Arbeit für die dortigen Menschen.

(Beifall in der Mitte und rechts.)

Sehen Sie, so sollten wir die Dinge einmal sehen, und dann muß man doch letzten Endes dem, was die Regierung in den letzten Wochen getan hat, eine etwas bessere Anerkennung geben, als es durch die heutige Aussprache geschehen ist.

(Beifall in der Mitte und rechts.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0101703800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmid.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0101703900
Meine Damen und Herren! Deutsche Außenpolitik machen heißt heute, eine Außenpolitik machen, die auf Europa hinführt. Ich habe mich gefreut, daß die überwältigende Mehrheit des Hohen Hauses dieser Meinung zu sein scheint und, ich glaube sagen zu können, dieser Meinung ist. Aber, meine Damen und Herren, Europa zu bauen ist ein schweres Geschäft. Herr Kollege Gerstenmaier, Ihr Rilke-Zitat in Ehren! Sicher, gerade wenn etwas schwer ist, muß man sich daranmachen; aber im Bewußtsein des Schwerseins dieses Schweren und nicht, indem Mall es verniedlicht.
Auf dem Wege nach Europa liegen eine Menge heißer Eisen, die wir werden anfassen müssen, im Bewußtsein dessen, wie heiß sie sind. Auf dem Weg nach Europa liegen noch Engpässe, in denen sich die Dinge stoßen und durch die wir werden hindurchgehen müssen, in Bitternis. Denn wir werden uns jeweils entscheiden müssen zwischen Scylla und Charybdis. Es ist bitter, sich für das eine oder das andere von beiden entscheiden zu müssen, sich entscheiden zu müssen für eine Senkung der Zahl der Arbeitslosen gegen die Möglichkeit der Bundesregierung, souverän über das Ruhrgebiet verfügen zu können oder umgekehrt für die Erlangung dieser Möglichkeit, für eine gewisse Zeit unter Umständen noch eine Steigerung der Arbeitslosigkeit in Kauf nehmen zu müssen.

(Abg. Dr. Seelos: Das ist sehr interessant!)

Das ist sehr interessant, sagen Sie. Mich wundert Ihr Zwischenruf. Sie sollten uns wirklich schon zutrauen, daß wir auch an solche Dinge denken, wenn wir einen Standpunkt beziehen, Herr Kollege Seelos.
Es ist richtig, wenn die Bundesregierung auf diesem Wege nach Europa die Regelung des deutsch-französischen Verhältnisses als die primäre Aufgabe ansieht. Aber unsere Kritik will sagen, daß wir der Meinung sind, daß der Kompaß, nach dem der Herr Bundeskanzler diesen richtigen Kurs steuert, defekt ist.

(Zustimmung bei der SPD.)

Man hat uns gefragt: Was werft ihr denn der Bundesregierung vor? Was ist denn bisher geschehen? Doch noch nichts anderes, als daß man die Möglichkeit zu Verhandlungen zu eröffnen gesucht hat, und zwar mit Erfolg zu eröffnen gesucht hat. Nun, meine Damen und Herren, es ist mehr geschehen als das. Denn die beiden offiziellen Angebote nach Paris werden doch auf ihren materiellen Gehalt hin interpretiert. Und sie werden natürlich nach dem Interview interpretiert, das der Herr Bundeskanzler unmittelbar vor Absendung dieser Angebote gegeben hat. Und darin sind Angebote gemacht worden, materiell bestimmte Angebote; Angebote, die sich mit dem Maximum der Forderung des maximal Fordernden decken.


(Dr. Schmid)

Das sollten wir nicht übersehen. Das Entsetzliche ist, daß man von solchen Angeboten nicht mehr herunterkommt. Das Schlimme ist, daß dadurch einiges an den Ausgangsbasen deutscher Außenpolitik zertrümmert worden ist. Von einer Basis aus, die zertrümmert worden ist, kann man aber nicht mehr operieren.
Ich weiß, daß manche — auch in diesem Hause — denken: Nun gut, das alles wird nicht so schlimm; man kann und muß unterschreiben, und dann wird man schon sehen. „Pants rhei" hat Herr Kollege Seelos gesagt. Auf diesem Gebiet halte ich es lieber mit Parmenides, dem Eleaten, Herr Kollege Seelos. Das Schlimmste, was wir tun könnten, wäre, wenn wir in dieser Phase der Geschichte die Kardinalfehler der Weimarer Republik wiederholten, nämlich mit einem dolus eventualis unterzeichneten, also mit dem Hintergedanken: Wir unterschreiben, und nachher wird man sehen. Das hat die ganzen Jahrzehnte zwischen den beiden Weltkriegen vergiftet und hat letzten Endes mit das meiste zur Katastrophe beigetragen.
Wir müssen unsere deutsche Außenpolitik auf den absoluten Verzicht auf jeden Revisionismus unterschriebenen Verträgen gegenüber aufbauen. Deswegen dürfen wir Bedingungen, die wir nicht halten können, nicht unterschreiben. Revisionismus gegen einseitige Akte, ja! Das bedingt aber, daß etwas, von dem man weiß, daß wir es nicht voll bejahen können, als einseitiger Akt belassen werden muß, bis es unserer Politik gelungen ist, eine neue Situation zu schaffen. Das ist schwer und kostet oft Zeit und Geduld. Aber, meine Damen und Herren, das wird uns nicht erspart. Denn das Leben, in das wir geworfen worden sind, ist voll harter Erprobungen!
Man hat geglaubt, wir meinten, die Außenpolitik dürfe nicht von der Regierung gemacht werden, sondern sei vom Parlament zu machen. Halten Sie uns bitte doch nicht für so primitiv! Selbstverständlich hat die Regierung die Außenpolitik zu führen, selbstverständlich hat sie Initiativen zu ergreifen. Aber ist es denn nicht besser für die Regierung, wenn sie sich bei so wichtigen Entscheidungen vorher versichert, was die Mehrheit dieses Parlaments zu ihren Initiativen zu sagen hat und was sie von ihnen hält? Wird so nicht viel solider gebaut werden können als sonst? Das ist es, was wir meinten, als wir sagten, die Regierung hätte besser getan, im Parlament eine Auseinandersetzung zuzulassen, von der wir sogar meinten, die Regierung hätte sie wünschen müssen. Wenn man bei der Mehrheit der Auffassung ist, das alles sei überflüssig, nun, so beruht das entweder auf einer seltsamen Selbsteinschätzung der Mehrheit dieses Parlaments

(Sehr richtig! bei der SPD)

oder darauf, daß man glaubt, als Mehrheit die Inkarnation der Vernunft zu sein. Vielleicht erklärt sich daraus das Lehrhafte in einigen Reden der heutigen Diskussion.

(Zustimmung bei der SPD. — Zurufe rechts.)

Meine Damen und Herren! Wir werden noch oft davon sprechen müssen, wie sich das Verhältnis dieses Hauses zu sich selbst gestalten wird. Wir werden wählen müssen, ob wir dieses Haus als eine Art von Parlament im Stile der konstitutionellen Monarchien betrachten oder als ein Parlament im Stil einer parlamentarischen Demokratie.

(Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

Die Opposition ist des öfteren beschworen worden,
in sich zu gehen, man hat ihr vorgeworfen, daß sie
unverantwortliche Kritik geübt habe. Es ist aber schließlich die Pflicht der Opposition, Kritik zu üben, wo die Mehrheit eine vorherige Einigung auf eine gemeinsame Formel nicht gesucht hat.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Man sollte dabei nicht so empfindlich sein. Im politischen Bereich wird ja schließlich gekämpft, und wenn Sie die Schuld ganz auf uns häufen wollen, — nun, auch von Ihnen sitzen manche im Glashause!

(Heiterkeit und Zurufe.)

Ich will hier nicht an dies und jenes erinnern. Wir sind allesamt Sünder, Herr Kunze!

(Erneute Zurufe.)

Aber die kleine Anspielung des Herrn Bundeskanzlers auf eine Feststellung meines Freundes Schumacher über dessen „gute Verbindungen zu ausländischen Regierungen" hat mich a u ch an den Wahlkampf erinnert.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Daß ausgerechnet uns Hugenbergerei von ehemaligen Mitgliedern der Harzburger Front vorgeworfen wird,

(Heiterkeit bei der SPD)

das ist zuviel des Scherzens.

(Zurufe.)

— Herr Kollege Schäfer, machen Sie bitte keine Zwischenrufe! Sonst antworte ich Ihnen.

(Große Heiterkeit.)

Herr Bundeskanzler, die Verteidigung durch Herrn von Thadden haben Sie nicht verdient.

(Sehr gut! und Heiterkeit bei der SPD.)

Ich glaube übrigens, daß der Herr Bundeskanzler nicht so empfindlich ist, wie manche seiner getreuen Paladine es heute waren.

(Sehr gut! bei der SPD.) -

Er weiß meines Erachtens recht wohl, daß wir ihn mit unserer Kritik vielleicht besser unterstützen als manche, die glauben, das richtige sei, in stummer Adoration vor der Weisheit der Regierung zu liegen.

(Zustimmung bei der SPD.)

Meine Damen und Herren! Man kann sich über die verschiedenen Ziele der Außenpolitik weidlich streiten. Man kann auch der Meinung sein, dieses Ziel habe vor jenem den Vorrang. Aber über eines sollten wir einmütig sein, nämlich über die Notwendigkeit einer Methode in der Außenpolitik. Ich glaube, daß eine ausgiebige Diskussion darüber vielleicht der Regierung hätte helfen können. Zur Methode gehört, daß man sich über die Rangordnung der politischen Probleme und der politischen Aufgaben klar ist. Solange man das nicht ist, läuft man Gefahr, herumzutasten und die spezifischen Gewichte der einzelnen Probleme nicht richtig zu erfassen. Das Problem Nr. 1 ist, zu verhindern, daß Deutschland russisch wird,

(Sehr richtig! bei der SPD und in der Mitte) und das Problem Nr. 2 ist die Förderung der Bildung der Vereinigten Staaten von Europa.


(Erneute lebhafte Zustimmung bei der SPD und in der Mitte.)

Alle anderen Dinge stehen letzten Endes im Verhältnis von Funktionen zu diesen wesentlichen Grundzielen unserer Außenpolitik. Darnach ist zu beurteilen, was im Einzelfall zu tun und zu lassen ist.
Lassen Sie mich noch etwas sagen zu der Methode, die von der Seite unserer Gesprächspartner


(Dr. Schmid)

beliebt wird. Das ist die Methode des Junktim, indem man zum Beispiel den Stop der Demontagen vom Beitritt Deutschlands zum Ruhrstatut abhängig macht. Ich will mich zum Materiellen hier nicht äußern. Ich meine aber: die Regierung sollte es sich angelegen sein lassen, sich nicht auf diesen Weg treiben zu lassen. Denn wenn wir uns darauf einlassen, werden wir niemals eine selbständige Politik in Deutschland machen können — denn wir werden dann immer wieder ein Junktim vorgesetzt bekommen! Bei dieser Methode ist es aber ausgeschlossen, saubere Lösungen für die echten Probleme zu finden. Darum meinen wir, daß gelegentlich gerade aus Gründen konstruktiven Wollens ein Nein notwendig sein könnte.
Wenn Sie es sich angelegen sein lassen wollen, uns an das Telegramm der Labour Party zu ererinnern, meine Damen und Herren, so tun sie das nach Herzenslust! Wir haben hier weder britische Politik zu machen,

(Sehr richtig! bei der SPD)

noch die politischen Auffassungen der Labour Party in Deutschland durchzusetzen. Die Auffassungen der englischen Sozialisten entheben uns nicht der Verpflichtung, eine Politik deutscher und europäischer Verantwortung zu machen.

(Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

Wenn der Herr Bundeskanzler sagte, wir hätten es gut, wir könnten reden, was wir wollten, ohne daß wir zur Verantwortung gezogen werden könnten — meine Damen und Herren: Wir alle, die wir hier sitzen, werden eines Tages geradestehen müssen für das, was wir hier tun und lassen,

(Händeklatschen bei der SPD) geradestehen müssen vor der Zukunft- unseres Volkes, und wir, möchten dann bestehen können. Wenn einmal wieder so etwas wie ein Jahr 1930/31 über unser Volk kommen sollte, dann möchten wir, daß sich die zuverlässigen Demokraten, die hier in diesem Hause auf verschiedenen Seiten sitzen, so benommen haben, daß ihnen das deutsche Volk angesichts der nationalistischen Versucher, die vor ihm aufstehen werden, glauben kann, daß für sie Demokratie nicht ein Gleichwort für Schwäche gewesen ist.


(Sehr gut! bei der SPD.)

Freundschaft mit Frankreich, ja! Wir haben schon bei der großen Debatte zur Regierungserklärung darüber gesprochen. Aber, meine Damen und Herren, diese Freundschaft wird nur dann etwas sein, was nicht nur in der Sentimentalität wurzelt, wenn diese Freundschaft auf die Wahrheit gebaut wird. Wir sollten das Wort Iphigenies über die Grenzen rufen: Zwischen uns sei Wahrheit!

(Händeklatschen bei der SPD.)

Wir gründen aber diese Freundschaft nicht auf die Wahrheit, wenn wir zugeben, daß man von uns verlangt, anzuerkennen, daß die einseitige Bildung des Saarprotektorats ein Akt des Rechtes sei, und wir gründen diese Freundschaft nicht auf die Wahrheit, wenn wir durch unseren Beitritt zu diesem Ruhrstatut anerkennen sollen, daß wir dieses Instrument einseitiger Interessenpolitik für einen rechten Weg nach Europa halten.
Natürlich, gibt es Probleme an der Saar und an der Ruhr! Und wir müssen an die Lösung dieser Probleme gehen, zusammen, und das heißt: im Wege der Verhandlung. Aber, meine Damen und Herren, was werden Sie jetzt tun, wenn die andere Seite bei diesen Verhandlungen starr bei ihren
Ausgangspositionen bleibt, vor allem, nachdem Sie erklärt haben — nicht so wörtlich, aber doch verständlich daß Sie letzten Endes unter allen Umständen unterschreiben werden?
Sie haben gefragt, was wir denn vorzuschlagen hätten. Was wir vorgeschlagen haben, ist: angesichts dieser politischen Situation sich politisch zu verhalten. Politisches Verhalten gebietet, Dinge, die keiner von uns bejahen kann und keiner von uns bejahen will, nicht aus einseitigen Akten, gegen deren Fortbestand wir kämpfen können, zum Inhalt zweiseitiger Verpflichtungen und damit zu dauernden Einrichtungen zu machen. Denn was wir in Zukunft unterschreiben werden, meine Damen und Herren, das müssen wir halten wollen.
Sie haben gesagt, wir hätten im einzelnen nichts vorzuschlagen gehabt. Haben Sie denn nicht gehört, was von Dr. Schumacher vorgeschlagen worden ist zum Gegenstand von Verhandlungen zum Saarproblem, zum Ruhrproblem zu machen? Niemand hat darauf in der Debatte geantwortet!

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Man hat sich damit begnügt, von Nationalismus und Hysterie zu sprechen. Nun, wir hoffen, daß der Herr Bundeskanzler im Auswärtigen Ausschuß demnächst auf die Vorschläge, die von unserer Seite gemacht worden sind, eingehen wird; es wird seine Sache sein, ob er sie für gut befindet oder nicht, aber er wird sich, glaube ich, dazu äußern müssen, und ich nehme an, er wird sich äußern wollen.
Meine Damen und Herren, was wir heute außenpolitisch zu tun haben, wird nur sehr schwer zu leisten sein. Wir werden Geduld haben müssen, Geduld nicht als Verzicht auf Aktion, sondern aise die geballteste Form einer Kraft, die sich ihrer sicher weiß. Ich wiederhole: wir werden diese Kraft gebrauchen müssen mit viel Mut, diese heißen Eisen anzufassen und die Engpässe zu bewältigen, durch die wir werden hindurchgehen müssen. Wir Sozialdemokraten wollen dabei helfen; wir wollen auch einer Regierung helfen, zu der wir in Opposition stehen, denn wir sind deutsche Patrioten und internationale Sozialisten.

(Sehr gut! bei der SPD. — Zurufe rechts.)

Aber wir können helfen nur nach dem, was wir als die Wahrheit sehen. Sehen wir sie anders als die Mehrheit dieses Hauses, nun, dann müssen wir uns auseinandersetzen und sehen, ob wir eine gemeinsame Wahrheit finden können. Auch das wird nicht leicht sein, auch da werden wir zu merken bekommen, wie tief unten die Erde liegt, auf der wir roden und pflügen müssen. Sehen wir diese Aufgabe so schwer, wie sie ist, und sprechen Sie, meine Damen und Herren, doch nicht mehr von Hysterie und Schikane und gar von parteipolitischen Mätzchen, wo uns die Sorge um Deutschland und Europa umtreibt! Wenn wir deshalb Außenpolitik zu zweit machen sollen, - nun, so gehen wir zusammen ins Geschirr, aber bestimmen wir dann auch zusammen den Ansatz, das Ziel und die Methoden dieser Politik und verlangen Sie nicht schlicht von uns, Ihnen einfach zu folgen, wenn Sie glauben, das Rechte gefunden zu haben. Nur wenn wir so verfahren, werden wir es schaffen: dieses freie Deutschland im freien Europa!

(Bravorufe und Händeklatschen bei der SPD.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101704000
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.


Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0101704100
Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Schmid hat gesagt, ich hätte es nicht verdient, daß Herr von Thadden für die Regierung gesprochen habe. Ich gebe zwar ohne weiteres zu, daß Herr von Thadden nicht die dichterische Veranlagung hat wie der Herr Kollege Schmid,

(Heiterkeit und Beifall in der Mitte und rechts) daß er in keiner Weise über diesen Reichtum an Bildern und unter Umständen auch Phrasen verfügt,


(Sehr richtig! in der Mitte und rechts; Zurufe und Unruhe bei der SPD)

daß er auch nicht diesen Reichtum an Phantasie hat, daß er schließlich selbst glaubt, was er sagt,

(Heiterkeit und Beifall rechts; erregte Zurufe und Unruhe bei der SPD)

— aber, meine Damen und Herren, ich fand, daß Herr von Thadden doch ganz vernünftig und ruhig gesprochen hat.

(Lebhafte Zustimmung rechts und in der Mitte. — Unruhe und Klappen mit den Pultdeckeln bei der SPD. — Zurufe von der SPD: Unerhört! Das ist doch allerhand! Das ist direkt ein Skandal! — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101704200
Meine Damen und Herren, ich bitte, Ruhe zu bewahren! Der Herr Bundeskanzler hat das Wort.

(Zurufe von der SPD: Aber nicht in dieser Weise! Das ist beleidigend!)


Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0101704300
Meine Damen und Herren! Ich freue mich immer darüber, wenn jemand empfindlich ist. Ich muß dann allerdings in Anspruch nehmen, daß man auch anderen gegenüber dieselbe Rücksicht wahrt.

(Sehr gut! in der Mitte 'und rechts.)

Wer aber wie ich in der sozialdemokratischen Presse und in den Interviews des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei der Scharlatanerie bezichtigt wird, — —

(Abg. Dr. Schumacher: Denken Sie doch an Ihre Zeitungen! Der Demokratische Unionsdienst, das sind doch Sie! „Kölnische Rundschau"!)

Am kommenden Dienstag wird der Herr
Bundeskanzler vor das Plenum des Bundestags
treten, armselig und mit leeren Händen,

(Abg. Dr. Schumacher: Sehr richtig!)

nicht als Vertreter der Interessen des Volkes und vieler seiner eigenen Wähler, sondern als Anwalt seiner kapitalistischen Freunde in der CDU, FDP und DP.

(Pfuirufe in der Mitte und rechts. — Händeklatschen und Zurufe links.)

Er hat keine deutsche Politik vertreten,

(Sehr richtig! bei der KPD)

er hat keine europäische Politik getrieben.. (Abg. Rische: Sehr richtig! Amerikanische!)

Er hat lediglich den unzulänglichen ersten Gehversuch einer unmöglichen Art von Außenpolitik gemacht.

(Zuruf rechts: Schamlos!)

Meine Damen und Herren, ich muß gestehen: daß der Vorsitzende einer so großen Partei, wie es die Sozialdemokratische Partei ist, dem Bundeskanzler, während er in den schwersten Verhandlungen mit den Westalliierten steht, in dieser Weise in den
Rücken fällt, würde in keinem andern Lande der Welt möglich sein.

(Anhaltender lebhafter Beifall in der Mitte und rechts. — Zurufe links.)

Aber, meine Damen und Herren, diese Ausführungen sind genau dieselben, wie sie Graf zu Reventlow gemacht hat, wie sie Herr Strasser gemacht
hat und wie sie all diese Leute damals in den 20er
Jahren gemacht haben; fast wortwörtlich dasselbe!

(Hört! Hört! in der Mitte und rechts.)

Herr Dr. Schumacher hat am 9. November erklärt, das Angebot der Bundesregierung sei ein schwächliches Zugeständnis an die Hegemoniebestrebungen Frankreichs.

(Abg. Dr. Schumacher: Sehr richtig!)

Herr von Freytagh-Loringhoven hat am 29. November 1929 erklärt:
Locarno und Genf haben uns die politische Eingliederung in das Versailler Machtsystem und die Unterwerfung unter die französische Hegemonie gebracht.

(Hört! Hört! in der Mitte und rechts.) Genau dieselben Worte! Er hat weiter folgendes gesagt: — —


(Abg. Dr. Schumacher: Das ist ein Niveau!)

— Ja, das ist allerdings ein Niveau!

(Zuruf von der SPD: Das ist das Niveau der „Kölnischen Rundschau"! — Gegenruf rechts: Dieser angebliche deutsche Nationalismus muß einmal beantwortet werden! — Unruhe.)

— Meine Damen und Herren! Die Zitate gehen manchmal durcheinander; man weiß nicht recht, wer es gesagt hat.

(Heiterkeit und Zurufe.)

Aber ich will Ihnen vorlesen, was Herr Dr. Schumacher geschrieben hat:

(Abg. Dr. Schumacher: Um Gottes willen!)

Angebote des Bundeskanzlers Adenauer, deutsche Interessen an der Saar und an der Ruhr zu opfern und ausländisches Kapital zu einem Machtfaktor der deutschen Schwerindustrie zu machen, um sie schließlich vor der Änderung der Besitzverhältnisse und vor der Sozialisierung zu schützen.
Bitte, hören Sie dazu Herrn Strasser, und zwar zum Reichskanzler Müller damals:
Sie haben gesprochen für die internationalen Weltbankiers, die allein an dieser letzten Versklavung des deutschen Volkes ein Interesse haben.
Und hören Sie weiter Herrn Strasser, der gesagt hat:
Wenn dann von den antikapitalistischen Parteien die deutsche Industrie, die deutsche Volkswirtschaft den Händen des internationalen Finanzkapitals ausgeliefert wird — und das geschieht durch Locarno, wie keiner von Ihnen bestreiten wird —, so ist das das Ende jeder Möglichkeit der sozialen Befriedung des deutschen Volkes, das Grab jeder Sehnsucht und Hoffnung der deutschen Arbeitnehmerschaft.
Das hat damals Strasser gesagt.

(Zuruf von der SPD: Wie lange wollen Sie das noch fortsetzen?)

— Ich könnte es noch lange fortsetzen!

(Abg. Dr. Schumacher: Wir bringen Ihnen sogar Adenauer-Zitate, nationalistische Adenauer-Zitate!)



(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

Nun meine Damen und Herren, wenn ich die
Herren Dr. Schumacher und Dr. Schmid höre, dann
frage ich mich manchmal: Wer hat eigentlich den Krieg verloren, wir oder die anderen? Mir ist es nicht ganz klar. Es wird verboten, ein Junktim zu machen.

(Zuruf von der SPD: Was heißt „verboten"?) Ja, meine Damen und Herren, dann hören die anderen eben zu verhandeln auf! Das ist doch eine ganz einfache Sache! Und, meine Damen und Herren, wenn von der anderen Seite gesagt wird: wir wollen euch in den und den und den und den Punkten dann entgegenkommen, wenn ihr uns davon überzeugt, daß ihr unserm Sicherheitsverlangen — es mag begründet sein oder nicht — nachkommt, ja, meine Damen und Herren, wer würde anstelle der anderen nicht genau so sprechen? Soll ich denn in dem Augenblick sagen: Liber Sicherheitsbedürfnis wird nicht gesprochen! Ihr habt die Demontagen aufzuheben! Ihr habt uns zu gestatten, Seeschiffe zu bauen! Ihr habt uns zu gestatten, Konsuln zu ernennen, und über das andere sprechen wir später einmal! — Wie stellen Sie sich solche Verhandlungen vor? Sehen Sie, meine Damen und Herren, das hat ja — das muß ich anerkennen — Herr Dr. Schmid meisterhaft verstanden, den sehr schwächlichen Eindruck der Ausführungen des Herrn Dr. Schumacher wieder wettzumachen.


(Lebhafter Beifall bei der CDU. — Zuruf links: Das ist wohl eine humoristische Einlage da vorn?) Meine Damen und Herren, wie hat er das gemacht? Nachdem Herr Storch darauf hingewiesen hatte, dadurch, daß die Demontage gestoppt werde, würden diese Werke gerettet — ich erinnere namentlich Herrn Henßler daran, wie er zu dem Thema im September gesprochen hat —, erklärte er folgendes: „Wenn ich die Wahl habe, gegen die Möglichkeit, souverän über das Ruhrgebiet verfügen zu können, das Aufhören der Demontagen einzutauschen!" Ja, meine Damen und Herren, stehen denn diese Tauschobjekte einander gegenüber?


(Abg. Dr. Schumacher: Das Junktim!)

Das Ruhrstatut ist doch in der Welt, und keine Macht in der Welt - wenigstens wir nicht — kann das Ruhrstatut aus der Welt schaffen. Wir können das Ruhrstatut, gegen das ich meine schwersten Bedenken habe, nur dadurch aus der Welt schaffen, daß wir uns mit den Alliierten zusammensetzen und versuchen, sie durch unsere Zusammenarbeit davon zu überzeugen, daß an dem Ruhrstatut Änderungen vorgenommen werden müssen.

(Lebhafter Beifall in der Mitte.)

Das ist doch die einzige Möglichkeit, Politik zu machen! Aber, meine Damen und Herren, das möchte ich noch einmal feststellen: die Alternative, die der Herr Professor Schmid hier vorgemalt hat, war die zwischen der Souveränität über das Ruhrgebiet und dem Aufhören der Demontagen. Das ist ja ganz falsch! Wir haben keine Souveränität über das Ruhrgebiet.

(Abg. Dr. Schmid: Das habe ich nicht gesagt!) — Das haben Sie wörtlich gesagt, Herr Schmid; das Stenogramm wird es beweisen.


(Zurufe von der SPD.)

Das Stenogramm wird beweisen, daß er in außerordentlich geschickter Weise diese beiden Dinge einander gegenübergestellt hat: Souveränität über das Ruhrgebiet oder Aufhören der Demontagen.
Er hat weiter gesagt, ich hätte diese Interviews unmittelbar vor Abgang der Noten abgeschickt und darin Angebote gemacht. Das ist ein Irrtum, Herr Kollege Schmid! Das Interview in der „Zeit" habe ich in einem Augenblick gegeben, als von der Pariser Konferenz überhaupt nichts bekannt war,

(Abg. Dr. Schumacher: Na und?)

als noch nicht bekannt war, daß sie überhaupt abgehalten werden sollte.

(Abg. Dr. Schumacher: Das ist doch dasselbe!) Er hat weiter ausgeführt — und das ist der schwere Vorwurf, den der Herr Kollege Schmid gegen mich erhoben hat —, in diesem Interview hätte ich Angebote gemacht, die die Anfangsbasis für Deutschland zerbrochen hätten.


(Sehr richtig! bei der SPD.)

Bitte, lesen Sie meine Interviews durch! Sie sind zum Teil hier vorgelesen worden. Was in dem Interview der „Zeit" steht, bin ich jederzeit zu wiederholen bereit, auch ohne die Pariser Konferenz. Es entspricht meiner ehrlichen Überzeugung, und in der ganzen deutschen Presse hat sich gegen dieses Interview kein Widerspruch erhoben. Jetzt nachträglich wird das Interview herausgeholt und werden mir diese Vorwürfe gemacht. Auch die sozialdemokratische Presse hat nichts gegen das Interview eingewendet. Warum hat man das nicht sofort, als das Interview erschienen ist, gesagt? Auch Sie, Herr Kollege Schumacher, haben mir doch selbst gesagt, Sie sehen daraus die Unzulänglichkeit Ihrer Presse!

(Abg. Dr. Schumacher: Ich werde Ihnen antworten! Vorläufig handelt es sich um die Unzulänglichkeit der Bundesregierung!)

— Na, meine Damen und Herren, den Vorwurf kann ich tragen.
Aber dann hat der Herr Kollege Schmid wieder etwas gesagt, was mich bis ins Innerste geradezu empört hat, und ich verstehe den Herrn Kollegen Schmid nicht, den ich doch seit Jahr und Tag kenne, daß er so etwas sagt. Ich kann nur annehmen, daß er sich das nicht so überlegt hat, wie gerade er sich das hätte überlegen müssen. Er hat vom dolus eventualis gesprochen, und damit hat er den Kreisen in Frankreich, die keine Aussöhnung mit Deutschland wollen, das Stichwort gegeben,

(Sehr wahr! in der Mitte)

und ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: das darf kein national empfindender Mann, auch wenn er nicht mit dem einverstanden ist, was die Bundesregierung tut. Er darf hier nicht supponieren, daß wir einen dolus eventualis bei der Unterzeichnung hätten; das heißt, daß wir insgeheim die Absicht hätten, nicht zu halten, was wir unterschreiben. Das darf man nicht tun. Ich weise mit Empörung etwas Derartiges zurück.

(Abg. Dr. Schmid: Herr Bundeskanzler, ich habe nicht gesagt, daß Sie mit dolus eventualis unterschreiben. Ich habe gesagt: „Es gibt Leute, —!" — Gegenrufe rechts. — Große Unruhe.)

— Sie haben nicht gesagt, daß ich den dolus eventualis hätte — das ist wahr —, aber Sie haben gesagt, daß es in der Weimarer Republik alles ruiniert hätte, weil man damals den dolus eventualis gehabt hätte. Warum hat der Herr Professor Schmid das heute abend angeführt? Meine Damen und Herren, was geht uns an, was die Weimarer Republik und das Zentrum, dem ich früher an-


(Bundeskanzler Dr. Adenauer)

gehört habe, gedacht haben? Ich weiß nicht, ob seine sozialdemokratischen Freunde damals einen dolus eventualis gehabt haben. Ich weiß es nicht! Aber eines in aller Welt frage ich Sie: Gehört das zum Thema des heutigen Abends?

(Sehr wahr! in der Mitte.)

Ich wiederhole nochmals und sage das gegenüber der Weltöffentlichkeit: Ich habe keinen dolus eventualis, und was ich unterschreibe und was ich zusage, das meine ich so und das halte ich.

(Lang anhaltender lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)

Sehen Sie, meine Damen und Herren, kann man nach solchen Ausführungen, wie sie Herr Dr. Schumacher in der Presse und in Interviews gemacht hat, indem er mich in der gröblichsten Weise heruntergesetzt hat und indem er von vornherein alles, was ich tue, als Blödsinn und Scharlatanerie erklärt hat — Scharlatanerie, meine Damen und Herren, das bedeutet Spiegelfechterei, auch gegenüber dem Ausland —, und nachdem Herr Kollege Schmid heute den dolus eventualis der Weimarer Zeit zitiert hat, kann man da glauben, daß man bereit ist, mit uns zusammen ernstlich und ehrlich Politik zu machen? Ich habe nach den heutigen Vorgängen diese Überzeugung nicht! Ich hatte heute abend nicht mehr sprechen wollen. Ihre Ausführungen, Herr Kollege Schmid, haben mich gezwungen, jetzt das Wort zu ergreifen.
Nun ein Wort zu Ihrem Auswärtigen Ausschuß.

(Zuruf von der SPD: „Ihrem"?)

— Ja, er ist Vorsitzender; unter seinem Vorsitz etabliert sich der Auswärtige Ausschuß als ein Auswärtiges Amt, und da macht die Bundesregierung nicht mit.

(Beifall bei der CDU.)

Sie haben als parlamentarischer Ausschuß die Aufträge, die Ihnen das Parlament gibt, zu erledigen und weiter nichts.

(Sehr richtig!)

Noch ein weiteres. Mir ist von sehr zuverlässiger Seite mitgeteilt worden, daß nach der letzten Sitzung dieses Auswärtigen Ausschusses, in der ich vertrauliche Erklärungen abgegeben habe, drei Mitglieder des Ausschusses sofort den Journalisten den Inhalt mitgeteilt haben.

(Hört! Hört!)

Ich verlange eine Untersuchung darüber. Ich habe Ihnen das gesagt, Herr Kollege Schmid. Sie haben mir brieflich erklärt, es seien Vorkehrungen getroffen. Ich verlange eine Untersuchung, wer es gewesen ist. Ich weiß nicht, welcher Partei er angehört. Das ist mir auch völlig gleichgültig. Ein Abgeordneter im Auswärtigen Ausschuß, der auf die Vertraulichkeit hingewiesen ist und, nachdem der Regierungschef gesprochen hat, zu Journalisten geht, um ihnen Mitteilungen zu machen, der muß aus dem Ausschuß heraus! Solange die Angelegenheit nicht geklärt ist, werde ich und werden auch die Minister im Auswärtigen Ausschuß nicht erscheinen und keine Erklärungen abgeben.

(Zustimmung rechts und in der Mitte. — Zuruf von der KPD: Schulmeister! — Abg. Strauss: Ihr Feldwebel! — Glocke des Präsidenten.)

— Schulmeister ist keine Beleidigung. Ich wollte nur sagen: wenn ich Schulmeister wäre und Sie wären Schuljungen, dann säßen wir anders!

(Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts und große Heiterkeit.)

Meine Damen und Herren! Ich muß Ihnen aufrichtig und ehrlich sagen, daß ich über den Verlauf der Debatte erschüttert bin.

(Zurufe in der Mitte: Wir auch! — Abg. Dr. Schumacher: Wir sind nicht erschüttert!)

Meine Damen und Herren, seien Sie sich darüber klar, daß tatsächlich mit dem Ergebnis der Pariser Konferenz, wie es mir mitgeteilt ist — einen Teil der Mitteilung habe ich Ihnen schon wiedergeben können —, in Wahrheit eine neue Etappe in der Behandlung der Bundesrepublik Deutschland begonnen hat.

(Sehr richtig!)

Sie haben alle davon gesprochen, mit Ausnahme der Kommunisten, glaube ich, daß die Bereinigung des Verhältnisses zwischen Frankreich und Deutschland für die Schaffung des neuen Europa entscheidend sei. Lesen Sie, bitte, das Stenogramm dieses Tages hier und lesen Sie das Echo in den Zeitungen, auch des Auslandes, und dann, bitte ich Sie, fragen Sie sich, ob Sie mit diesen Ausführungen der Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland genützt haben oder nicht! Ich bedaure den Verlauf der heutigen Debatte tief. Er ist ein schlechtes Vorzeichen für den Verlauf der Debatte am 22. November in Paris. Wir alle hätten daran denken müssen, daß am 17. November das englische Unterhaus zur Deutschlandfrage Stellung nimmt und am 22. November die französische Kammer. Deswegen hätte jedes Wort von jedem von uns unter dem Gesichtspunkt genau überlegt werden müssen: Was kann ich tun, um die europäische Verständigung zu fördern und ihr nicht zu schaden?

(Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101704400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fisch.

Walter Fisch (KPD):
Rede ID: ID0101704500
Meine Damen und Herren! Nach alledem, was ,heute hier zur Sprache gekommen ist, muß das Auftreten des Herrn Bundeskanzlers mehr als eigenartig wirken, sein Auftreten, mit mit dem er die Debatte abzuschließen gedenkt. Der Herr Bundeskanzler glaubt, er könne vor das Haus als Ankläger gegen einige Leute treten, die heute die Dinge so ausgesprochen haben, wie sie sind. Es ist, glaube ich, auch kein Zufall, daß diese empfindsame, aufgeregte Antwort des Herrn Bundeskanzlers nach einer Rede des, Herrn Abgeordneten Schmid erfolgt ist, die sich in einigen Punkten wesentlich von den Ausführungen des Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei unterschieden hat. Ich bin nicht davon überzeugt, daß die ganze sozialdemokratische Fraktion und insbesondere die sozialdemokratischen Wähler und Parteimitglieder mit allem einverstanden sind, was Herr Carlo Schmid heute zum Abschluß sagen zu müssen glaubte.
Wenn man die außenpolitischen Schritte der Bundesregierung und des Herrn Bundeskanzlers von einer solch grundsätzlichen Seite aus kritisiert, wie das heute seitens der sozialdemokratischen Fraktion geschehen ist, dann verträgt es sich sehr schlecht damit, daß ein prominenter Sprecher der gleichen Fraktion sich zur Zusammenarbeit mit dem Bundeskanzler anbietet, mit dem gleichen Bundeskanzler, dessen Geheimdiplomatie heute eine so schwere Verurteilung erfahren hat. Meine Damen und Herren! Ich bin sehr überrascht, daß der Herr Bundeskanzler darüber so erregt ist, daß einige Wahrheiten ausgesprochen worden sind.


(Fisch)

Der Herr Bundeskanzler hat sich erlaubt, in der vergangenen Woche das Parlament in einer Art und Weise zu brüskieren, daß noch viel härtere Worte angebracht wären als die, die heute hier gefallen sind.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Nachdem der Herr Bundeskanzler in einer obskuren Art und Weise — —

(Lebhafte Zurufe: Unerhört! — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101704600
Herr Abgeordneter Fisch, darf ich Sie unterbrechen! Der Ausdruck „obskur" ist unparlamentarisch.

Walter Fisch (KPD):
Rede ID: ID0101704700
Ich stelle materiell dazu fest, daß es sich um Interviews gehandelt hat, die wesentliche Fragen unseres Volkes betreffen, zu denen der Herr Bundeskanzler über eine Woche nicht Stellung genommen hat und zu denen er dann nach einer Woche seinen Pressechef einige nichtssagende Erläuterungen hat abgeben lassen, die den Sachverhalt in keiner Weise wiedergeben.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Meine Damen und Herren! Wer in dieser Weise das Parlament brüskiert, wer in dieser Weise glaubt, wesentliche außenpolitische Schritte vor dem Parlament und vor dem ganzen Volke verheimlichen zu können, der darf sich nicht darüber beschweren, daß hier in diesem Hause harte Worte fallen.
Es geht nicht nur um die Methode; es geht auch um den Inhalt. Der Sprecher und Verteidiger der Regierungsaußenpolitik, Herr Bundesminister Storch, glaubte mit dem Hinweis darauf Eindruck erwecken zu können, daß die Regierung in der Frage der Demontage wesentliche Erfolge errungen habe. Nun, meine Damen und Herren, es wird sich bald herausstellen, wie geringfügig die sogenannten Verbesserungen sind, die man dort eingehandelt hat. Noch haben wir keinerlei Garantie dafür, daß mit der Konkurrenzdemontage wirklich Schluß gemacht wird. Noch haben wir keine Garantie dafür, daß den Zehntausenden von Arbeitern in Leverkusen, in Watenstedt, in Castrop-Rauxel und sonstwo der Arbeitsplatz erhalten wird, und es besteht gar keine Veranlassung, mit einer schönfärberischen Darstellung vor das Volk zu treten und zu glauben, mit diesen nichtssagenden Ankündigungen der Hohen Kommissare Politik machen zu können. Und wenn schon der eine oder andere Betrieb jetzt etwas langsamer demontiert würde, als ursprünglich vorgesehen war, so frage ich die Regierung: um welchen Preis ist ein solcher Scheinerfolg erkauft worden?

(Sehr gut! bei der KPD.)


Anton Storch (CDU):
Rede ID: ID0101704800
und wie steht es mit den Arbeitsplätzen von Hunderttausenden deutscher Menschen, die jetzt durch die Eingliederung Westdeutschlands in die Marshallplanpolitik, in die Politik des Atlantikpakts, unter das Diktat der amerikanischen Millionäre, in Frage gestellt werden? Wieviel weitere Arbeitsplätze werden für den deutschen Arbeiter verlorengehen, weil sich die Bundesregierung mit der Einordnung in ein System einverstanden erklärt, das
unter der Anführung amerikanischer Imperialisten Europa zu einem organisierten Absatzmarkt überschüssiger amerikanischer Waren zu machen gedenkt? Es gibt eine ganze Reihe anderer wertvoller Preise, die die Regierung freiwillig angeboten hat. Wofür? Nicht dafür, um geringfügige Scheinerfolge in der Demontagefrage zu erzielen, sondern um der westdeutschen Bundesrepublik den Schein der Gleichberechtigung im Westpakt, im Atlantikpakt, im Kriegspakt des westlichen Imperialismus zu verschaffen. Es handelt sich darum, daß man in jener provozierenden Kriegsfront einen Platz an der Sonne einnehmen möchte. Es handelt sich darum, daß man die Wünsche 'nach Gestellung deutscher Fußvolkdivisionen schneller erfüllen möchte, als es von gewissen amerikanischen Abgeordneten und Generälen gefordert wird. Es handelt sich darum, daß man das deutsche Industriepotential, die deutsche Schwerindustrie, das deutsche Verkehrssystem und die deutschen Menchen jener verhängnisvollen Politik zur Verfügung stellen möchte, die Europa und die Welt erneut in das fürchterliche Elend eines Krieges hineinzustürzen gedenkt.
Hier sind heute Leute aufgetreten, die glaubten, vor einem Hauptfeind Nr. 1 warnen zu müssen, und es ist kein Verdienst des Sprechers der sozialdemokratischen Fraktion, wenn er meinte, er müßte in der Auseinandersetzung mit der Bundesregierung über ihre volksfeindliche Geheimdiplomatie ausgerechnet darauf hinweisen, daß Deutschland vor der russischen Gefahr als vor der Hauptgefahr stehe.

(Abg. Dr. Schmid: Doch, das ist ein Verdienst!)

— Herr Kollege Schmid, wir werden uns in einigen Jahren wiedersprechen, und dann wird die Bilanz von selbst erweisen, von welcher Seite der deutschen Arbeiterklasse und dem deutschen Volke die wirkliche große Gefahr droht.

(Beifall bei der KPD.)

Dann, Herr Kollege Schmid, werden Sie wieder einmal bekennen müssen, daß Sie wie schon so oft in Ihrem Leben vor dem späten Eintritt in die Sozialdemokratische Partei auf der falschen Seite gestanden haben.

(Sehr gut! bei der KPD.)

Meine Damen und Herren! Wir wenden uns nicht nur gegen die Methoden der Geheimdiplomatie und der Doppelzüngigkeit, sondern auch dagegen, daß wertvollste Teile des deutschen Volksvermögens zum Ausverkauf angeboten worden sind. Wir wenden uns dagegen, daß das deutsche Volk zum Objekt geheimer internationaler Verhandlungen gemacht wird. Wir wenden uns dagegen, daß das deutsche Volk eine Schachfigur auf dem Brett moderner Kriegstreiber ist.
Darum ist es nicht bloß erforderlich, heute aus Anlaß der Regierungserklärung den Herrn Adenauer zu kritisieren, sondern es ist nötig, allen denjenigen draußen im Lande, die die Freiheit und den Frieden lieben, die sich dem Doppeljoch internationaler Ausbeutung und der Ausbeutung durch den deutschen Monopolkapitalismus entziehen wollen, zuzurufen: es ist Zeit zum gemeinsamen Handeln! Denn die kühlen Rechner jenseits des Ozeans werden vor nichts anderem Respekt haben als vor der sich schließenden großen demokratischen Front der deutschen Nation. Das allein fürchten sie. Wenn im Verlaufe der letzten Woche einige geringfügige


(Fisch)

Anfänge gemacht worden sind, um dem deutschen Volk in Westdeutschland das einheitliche Handeln zu erleichtern, wenn es gewisse Gespräche über Parteigrenzen hinüber gegeben hat, die den Deutschen in den Betrieben, den Arbeitslosen und den Flüchtlingen die große Gefahr des Heute leichter darstellen können, um sie zum Handeln zu bringen, dann können diese Vorgänge um die Pariser Außenministerkonferenz zu einem Start, zu einer wirklichen Mobilisierung aller guten und aller patriotischen Kräfte des deutschen Volkes werden.

(Lebhafter Beifall bei der KPD.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101704900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schumacher.

Dr. Kurt Schumacher (SPD):
Rede ID: ID0101705000
Meine Damen und Herren! Die Aufgabe des heutigen Tages war eine politische Auseinandersetzung; aber diese Aufgabe ist als solche nicht von allen Rednern gewollt, mindestens von einer Anzahl nicht bewältigt worden.

(Abg. Dr. Strauss: Da meint er sich selber!)

Es hat sich nicht darum gehandelt, eine plötzliche Vorliebe für gute Sitten zu entdecken und hier im Stile eines mittelalterlichen Minnesängers über den Verfall der höfischen Sitten zu jammern.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Wir hätten in unseren Kreisen außerordentlich viel
Gelegenheit gehabt, solche Klagen, zu erheben;
aber wir haben im Hinblick auf die Persönlichkeiten, die sich gewisser Methoden und Invektiven
bedient haben, gar nicht daran gedacht, auf dieser
Ebene einen politischen Kampf austragen zu wollen

(Zurufe in der Mitte)

oder ihn von solchen Erwägungen auch nur beeinflussen zu lassen.
Es hat mich überrascht, daß den Herrn Bundeskanzler zum Schluß doch noch in diesem erschrekkenden Maß die Nerven verlassen haben.

(Sehr richtig! bei der SPD. — Zurufe in der Mitte und rechts. — Abg. Strauss: Und euch hat der Heilige Geist verlassen!)

Auch ich hätte Veranlassung gehabt, mit Zeitungszitaten, wie sie der Herr Bundeskanzler gebraucht hat, die mir gewisse Formulierungen in den Mund legten, vor das Hohe Haus zu treten. Ich möchte aber zur Sache folgendes bemerken. Was die politische Quintessenz dieser beanstandeten Formulierungen betrifft, so ist sie für einen Sozialdemokraten eine Selbstverständlichkeit.

(Abg. Strauss: Danke schön!)

Was aber gewisse Formulierungen betrifft, so hat natürlich die journalistische Phantasie auch Entwicklungsmöglichkeiten. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, daß vor nicht allzu langer Zeit der Herr Bundeskanzler an meinem breiten Männerbusen über die unrichtige Berichterstattung des großen Teils des deutschen Journalismus heftig geweint hat.

(Lachen in der Mitte.)

Wir wollen keine Ablenkung auf diese Ebene zulassen, wenn es um die hauptsächlichen politischen Dinge geht. Ich verzichte sogar in diesem Zusammenhang darauf, auf ungeheuerlichste Invektiven des offiziösen Presseorgans der ChristlichDemokratischen Union, ides „Demokratischen Uniondienstes" oder des Leibblattes des Herrn Bundeskanzlers einzugehen. Nur soviel möchte ich dazu sagen. Die politische Philosophie der Partei, auf die sich der Herr Bundeskanzler stützt, erschöpft sich darin, daß ihr Zentralorgan konstatiert hat: Der Schumacher will diese Politik der Sozialdemokratie deswegen aufzwingen und steht darum in Opposition zur Bundesregierung, weil er es nicht verwinden kann, nicht Bundeskanzler geworden zu sein.

(Lachen bei der SPD.)

Muten Sie mir zu, mich auf dieser Ebene mit Ihnen auseinanderzusetzen, und muten Sie es der Sozialdemokratischen Partei zu?

(Zurufe in der Mitte.)

Warum hat sich denn der Herr Bundeskanzler
— das möchte ich bei der schärfsten politischen Gegnerschaft doch fragen — auf dieses Niveau herab bemüht?

(Abg. Strauss: Auf Ihre Ebene!)

— Na, hören Sie einmal: jeder versteht es so gut, wie er kann; und Ihr Zwischenruf veranlaßt mich zu einem Goethe-Zitat — Sie werden lachen —: „Du gleichst dem Geist, den Du begreifst, nicht mir!"

(Bravorufe und Händeklatschen bei der SPD. — Abg. Strauss: Einbildung kann wohl nicht schaden! — Weitere Zurufe.)

— Großer Gott, jetzt haben Sie auch noch die Volksversammlung im Hause. —
Der Herr Bundeskanzler hat sich sehr zitatenfreudig auf den Gebieten des Freiherrn von Freytagh-Loringhoven und des Herrn Strasser gezeigt. Er hat mit dieser Zitierkunst etwas getan, was man bei einer ernsthaften politischen Auseinandersetzung nicht tun sollte. Er hat nämlich die Politik des Vergleichs der unvergleichbaren Größen angewandt.

(Zurufe in der Mitte.)

Ich zitiere nur einen, nämlich den Herrn Bundeskanzler Adenauer. Er hat zum Beispiel 1946 erklärt, die Sozialdemokraten seien in Gefahr, vom deutschen Volk als die Lakaien Seiner Majestät des Königs von Großbritannien betrachtet zu werden.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Das ist Nationalismus. Der Herr Bundeskanzler hat im Juni 1948 erklärt und in der „Welt" geschrieben: Angesichts der Ereignisse der Londoner Konferenz gebiete es die deutsche Ehre, die Kooperation mit den Alliierten zu verweigern.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Das ist Nationalismus. Und jetzt noch, in diesen letzten Wochen, hat der Hinweis auf den besatzungsfreien Rayon in dieser Stadt Bonn nach der Meinung des Herrn Bundeskanzlers auch etwas mit nationaler Ehre zu tun gehabt.

(Beifall bei der SPD.)

Als der Herr Bundeskanzler nach meiner Rede unter völligem Verzicht auf eine sachliche Antwort gewisse Methoden suchte, um den sozialdemokratischen Standpunkt zu entkräften, zu degradieren, da hat er wieder so auf Verbindungen mit fremden Regierungen angespielt. Ich darf den Herrn Bundeskanzler fragen: Welche Regierung meinen Sie, Herr Bundeskanzler?

(Abg. Strauss: Wissen Sie das nicht selber?)

— Hören Sie einmal, wir wollen doch nicht den Grad der Unsauberkeit, die sich in dieser Berner-kung ausdrückt, als gemeinsame Formel deutscher Parlamentspolitik annehmen!

(Sehr gut! und Händeklatschen bei der SPD. — Abg. Strauss: Haben Sie eine bessere Erfahrung?)



(Dr. Schumacher)

Der Herr Bundeskanzler hat sich dabei auch nicht recht überlegt, daß man zu gleicher Zeit, in der man Europa und die internationale Verständigung proklamiert, nicht mit den Mitteln eines nationalistischen Agitators argumentieren darf.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Das hatte er sich offenbar nicht überlegt.
Wenn es ein schlechtes Vorzeichen für die Londoner und Pariser Debatte gibt, dann ist es der Verzicht beim größten Teil der Herren Redner des heutigen Nachmittags und vor allem in eklatanter Weise beim Herrn Bundeskanzler selbst, auf politische Argumente politisch zu antworten.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Wir haben ja nicht nur eine Linie unseres Wollens dargelegt. Wir haben eine ganze Reihe konkreter Vorschläge über materielle Zielsetzungen bei Verhandlungen und über die Methode der Verhandlungen gehabt.

(Zustimmung bei der SPD.)

Auf diese erste Rede des heutigen Nachmittags hat keiner der Vertreter der Regierungsparteien und hat vor allem der Herr Bundeskanzler nicht geantwortet.

(Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

Die Standpunkte, wie sie die Bundesregierung speziell in den Fragen der ausländischen Finanzierung deutscher schwerer Industrie, des Saargebietes, des Ruhrstatuts und der Ruhrbehörde hat, sind den sozialdemokratischen Ansichten diametral entgegengesetzt. Ein Versuch, sie auf eine annähernde Gemeinsamkeitsformel zu bringen, hat wenig Aussicht gehabt. Aber man kann, wenn man diesen Versuch von seiten des Herrn Bundeskanzlers und seiner Gefolgschaftsleute überhaupt nicht gemacht hat, sich dann hier nicht hinstellen und das Monopol der Erkenntnis von gut und böse, von wahr und richtig proklamieren.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Ich meine, daß dieser Kampf bei allem Wunsch, in der Außenpolitik möglichste Annäherung zu erreichen, zwischen uns, Herr Bundeskanzler, unvermeidbar ist; denn es ist der Kampf zwischen zwei Welten, einer versunkenen Welt, als deren Sprecher Sie heute gelten dürfen

(Heiterkeit und Rufe rechts: Aha! — Beifall bei der SPD)

und mit deren Argumenten Sie heute operieren. Jedenfalls ist es insofern eine versunkene Welt, als hier der Versuch gemacht worden ist, autoritär alles niederzublitzen, was nicht an die Gottähnlichkeit des Herrn Bundeskanzlers glaubt.

(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Unruhe in der Mitte.)

Sie werden mir verzeihen, Herr Bundeskanzler, ich kann nur sehr schwache Ähnlichkeiten zwischen Gottvater und Ihnen finden.

(Lachen und Zuruf rechts: Wie schwach!)

Ich kann weiter sagen, daß wir auch nicht an die politische Berufung der Kreise glauben, deren Repräsentant der Bundeskanzler bei Verwertung des Standpunktes der Vereinigten Stahlwerke gewesen ist.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Wir halten diese Kreise für schädlich, und der Herr Bundeskanzler hätte wohl gut daran getan, wenn er sich nicht, sehr gekränkt und rein persönlich und gar nicht politisch die Dinge betrachtend, zu der Drohung hätte hinreißen lassen, was er mit dem
bösen Auswärtigen Ausschuß machen will. Der Auswärtige Ausschuß ist nicht das Instrument meines Freundes Carlo Schmid; der Auswärtige Ausschuß ist eine Instanz des Parlaments!

(Zustimmung bei der SPD.)

Da wollen wir einmal sehen, wie Sie in der Lage sein werden, diese Auseinandersetzung zu führen. Ich sage Ihnen das offen: dann werden alle Teile noch Gelegenheit haben, so leichtfertige Kriegserklärungen gegebenenfalls einer kritischen Revision zu unterziehen.
Wir haben gesehen, daß es der Mangel einer politischen Planung ist, der den Bundeskanzler und seine Regierung in diese Position der Verärgerung und der persönlichen Polemik geführt hat. Wir wünschen, diese Polemik nicht persönlich zu führen. Wir wünschen die große politische Auseinandersetzung, und bei dieser ist der deutschen Sozialdemokratie nicht bange; denn sie vertritt die Notwendigkeiten des deutschen Volkes, die in diesem Fall konform sind mit den Notwendigkeiten der Neuorganisation Europas.

(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe rechts.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101705100
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. Konrad Adenauer (CDU):
Rede ID: ID0101705200
Meine Damen und Herren! Ich will nur zwei Sätze sagen. Der zweite ist für mich der wichtigste; den ersten möchte ich aber nicht unterdrücken. Ich weiß jetzt wirklich nicht mehr, woran ich bin!

(Zurufe von der SPD.)

- Lassen Sie mich doch einmal aussprechen! Einmal erklärt Herr Dr. Schumacher, ich hätte einen völligen Mangel an Planung, und dann erklärt er, ich hätte eine kapitalistische Planung. Was habe ich denn nun eigentlich?

(Heiterkeit. — Abg. Dr. Schumacher: Beides in sich verbunden!)

-- Also doch eine Planung!

(Abg. Dr. Schumacher: Sehr schwach! Eine Instinktplanung!)

Meine Damen und Herren! Ich habe mich aus einem anderen Grunde zum Wort gemeldet. Ich habe soeben übersehen, folgendes zu sagen: Herr Kollege Schmid hat gesagt, es könne keine Freundschaft in Wahrheit geben, wenn man verlange, anzuerkennen, daß die einseitige Verhängung des Protektorats über das Saargebiet eine Rechtshandlung sei,

(Abg. Dr. Schmid: Rechtens sei!)

— Rechtens sei. Ich erkläre hiermit ausdrücklich, daß niemand auch nur im entferntesten eine derartige Anerkennung von mir verlangt hat.

Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101705300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.

Dr. Heinrich von Brentano (CDU):
Rede ID: ID0101705400
Meine Damen und Herren! Der Herr Kanzler hat schon zum Ausdruck gebracht, daß er den Verlauf dieser außenpolitischen Debatte aufs tiefste bedaure. Ich kann nur für mich und meine Freunde erklären, daß ich dieser .Feststellung des Kanzlers wenig hinzuzufügen habe.
Herr Dr. Schumacher, Sie haben soeben noch einmal zu den letzten Ausführungen des Kanzlers Stellung genommen und haben ironisch festge-


(Dr. von Brentano)

stellt, Sie hätten kein rechtes Verständnis dafür, daß den Herrn Bundeskanzler die Nerven verlassen hätten. Meine Damen und Herren, haben Sie kein Verständnis dafür, daß der Herr Bundeskanzler auch einmal entschlossen ist, sich gegen derartige infame Unterstellungen zu wehren, deren Gegenstand er seit 14 Tagen war?

(Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts. — Zurufe links. — Unruhe.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101705500
Herr Abgeordneter Dr. von Brentano, einen Moment bitte! Der Ausdruck „infam" ist unparlamentarisch; ich muß ihn zurückweisen.

(Abg. Strauss: Was ist denn ,,unsauber"? So gehen die Dinge nicht, Herr Präsident!)


Dr. Heinrich von Brentano (CDU):
Rede ID: ID0101705600
Herr Dr. Schumacher, Sie haben selber von der mangelnden Disziplin der Presse gesprochen. Ich kann Ihnen den Vorwurf nicht ersparen, daß Sie zu dieser mangelnden Disziplin beigetragen haben. Und wenn Sie hier in der Rede eines meiner Freunde die plötzliche Liebe für die Wiederherstellung guter Sitten festgestellt haben, dann muß ich Ihnen sagen: auch ich habe nach den Erfahrungen der letzten Wochen diese Liebe für die Wiederherstellung guter Sitten gewonnen.

(Abg. Dr. Schumacher: Was haben Sie denn vorher gemacht?)

Herr Dr. Schumacher, Sie haben weiter dem Herrn Bundeskanzler erklärt: was er hier mache, sei ja gleichgültig, er repräsentiere ja eine „versunkene Welt". Herr Dr. Schumacher, ist das Ihre Auffassung von Demokratie?

(Abg. Dr. Schumacher: Ja!)

Wissen Sie, daß dieser versunkenen Welt am 14.
August mehr Stimmen des deutschen Volkes gegeben wurden als Ihrer „aufsteigenden" Welt?

(Beifall in der Mitte und rechts.)

Es ist bedauerlich, daß wir diese Dinge in dieser Form aussprechen müssen.
Ich wiederhole eines. Vorhin hat der Herr Kollege Schmid gesagt, die Mehrheit sei nicht die Inkarnation der Vernunft. Glauben Sie nicht, daß die Minderheit immer die Inkarnation der Vernunft sein muß, und glauben Sie nicht, daß wir Ihnen auf diesem Wege folgen werden!
Zum Schluß möchte ich noch folgendes sagen. Herr Kollege Schmid, Sie haben festgestellt, der Herr Bundeskanzler habe anscheinend einen defekten Kompaß. Sie haben dann erklärt, er habe die bittere Aufgabe — und wir alle —, zwischen Scylla und Charybdis zu wählen. Herr Kollege Schmid, Sie haben die Manen des Heraklit und des Parmenides zitiert. Ich darf Sie daran erinnern, daß es nicht die Aufgabe Odysseus' war, zwischen Scylla und Charybdis zu wählen, sondern den Versuch zu unternehmen, zwischendurchzufahren.

(Sehr gut! und Heiterkeit.)

Ich hoffe, daß der Kompaß des Bundeskanzlers ihm diese Navigation gestattet.

(Lebhafter Beifall und Heiterkeit in der Mitte und rechts.)


Dr. Erich Köhler (CDU):
Rede ID: ID0101705700
Ich stelle fest, daß weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, und erkläre die Aussprache für geschlossen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestags, wie im Ältestenrat beschlossen, auf Donnerstag, den 24. November 1949, vormittags 10 Uhr, ein und erkläre die 17. Sitzung des Deutschen Bundestags für geschlossen.