Meine Damen und Herren! Wenn man die jetzt sechs Stunden dauernde Debatte noch einmal in Gedanken an sich vorüberziehen läßt, kommt man zu der Überzeugung: eigentlich sollte es eine außenpolitische Debatte sein; aber es ist ungeheuer viel von Innenpolitik die Rede gewesen. Wenn wir uns vorstellen, daß es die erste außenpolitische Debatte war, die dieses Haus geführt hat und auf die nicht nur das Inland, sondern wahrscheinlich auch das Ausland hingesehen hat, dann werden wir uns sagen müssen: ob wir uns das Zeugnis ausstellen können, gut verfahren zu haben, steht doch sehr dahin. Wenn wir uns weiter die Frage vorlegen, ob wir in dem Führer der Opposition und im künftigen Chef einer etwaigen späteren Regierung einen Staatsmann haben erblicken können, dann stellen wir enttäuscht fest: es war nur ein Parteipolitiker. Wenn wir weiter geglaubt haben, daß gegenüber der Konzeption einer Außenpolitik der Regierung nun die Opposition ihrerseits eine festgeschliffene, in sich einheitliche Konzeption darlegen würde, dann müssen wir jetzt sagen: wir haben keine Konzeption einer solchen Politik gehört, sondern nur Polemik.
Meine Damen und Herren! Wir haben am Schluß einer solchen Debatte meiner Ansicht nach die Aufgabe, den Inhalt zu analysieren und einmal festzustellen: worüber ist dieses Haus und in welchem Umfang ist es sich einig und worin nicht? Ich glaube, wir sind uns in allen Teilen darin einig, daß wir mit Dank anerkennen, daß Auslands-
vertretungen uns zugebilligt werden sollen und daß demgemäß daraus der Schluß zu ziehen ist, daß als die Krönung unserer Auslandsvertretungen ein einheitliches Außenministerium zu bilden wäre, damit die Kompetenzen geklärt sind. Wir sind weiter der Auffassung, daß, wenn außenpolitische Verträge im Rahmen der heute besprochenen Politik abzuschließen sind, diese nach Artikel 59 des Grundgesetzes der Zustimmung der Parlamente bedürfen.
Was den Inhalt der Außenpolitik betrifft, so glaube ich sagen zu können, daß weit über den Rahmen der Koalitionsparteien hinaus, rechts und links, ich glaube, weit über den Rahmen auch der SPD hinaus wir uns über folgendes einig sein dürfen, und es ist wohl richtig, das einmal von Deutschland aus zu betonen. Wir sind uns einig in dem Gedanken, daß unser deutsches Volk in seiner überwiegenden Mehrzahl den Frieden ernstlich und redlich will. Dieses deutsche Volk, das hindurchgegangen ist durch Jahre der Unterdrückung, hindurchgeschritten ist durch Meere von Tränen und Blut und das in Bombennächten in den Luftschutzkellern angstdurchschauert dagesessen hat, weiß, was der Krieg bedeutet, und es will ernstlich den Frieden.
Wir wollen noch mehr. Wir wünschen nicht — ich glaube, darin stimmen wir alle überein daß dieses Land, wenn es auch nach seiner Kultur und Tradition zu den Westmächten tendiert, aber nun machtpolitisch zwischen die beiden großen Machtkreise eingebettet ist, zum Kriegsgebiet wird. Im Gegenteil, wir haben den Wunsch, daß alle die, die unsere Unterwerfung angenommen haben, sich nach der Logik der Tatsachen verpflichtet fühlen, uns im Bedarfsfall zu schützen.
Zum zweiten wollen wir aus der Vergangenheit gelernt haben. Ich glaube, darin sind wir alle einig, daß es mit dem Grundsatz „Macht geht vor Recht" zu Ende ist und daß Recht vor Macht gehen soll und daß dieses Recht die Grundlage ist, auf der wir unsere künftige Außenpolitik aufzubauen haben. Unter diesem Recht verstehen wir nicht die Allmacht des Staates schlechthin, sondern die Allmacht des Staates begrenzt durch das, was im Rahmen des moralischen Dürfens liegt und des Gestattetseins auf der Grundlage des Sittengesetzes. Das muß auch in außenpolitischer Beziehung hinüber und herüber von einem Staat zum andern gelten. Das ist die Grundlage, von der aus unter anderem auch die Frage unserer Heimatvertriebenen endgültig einmal zu betrachten sein wird.
Schließlich: wir wollen Schluß machen mit einer Politik der Romantik, mit einer Politik, die glaubt, daß wir der Nabel der Welt seien und alles sich um uns drehen müßte. Auf den Boden der Realität wollen wir treten. Ich glaube, die Politik, die jetzt von der Regierung inauguriert ist, ist die Politik, die realpolitisch konzipiert ist, und deshalb werden wir sie billigen. Wir sind der Auffassung, daß, wenn in diesem Lande, das mitten in Europa in einem machtpolitischen Vakuum liegt, Politik gemacht werden muß, wir unter allen Umständen nit unsern Nachbarn in Frieden leben, daß wir unsern Staat mit den Staaten Europas in eine große Gesamtheit hineinführen müssen. Wir unterliegen alle dem Marshallplan. Der Marshallplan hatte den Sinn, die europäischen Staaten zusammenzuführen. Bis jetzt hat er nur zu autarkistischen Bestrebungen geführt.
Der Grundgedanke muß sein, daß aus diesem Plan eine Gemeinsamkeit des wirtschaftlichen Geschehens und des wirtschaftlichen Gedankens in Europa erwächst. Diese Gemeinsamkeit zu bilden, ist unsere Aufgabe. Diese Gemeinsamkeit muß sich in unserer Politik nicht nur in wirtschaftlicher Beziehung, sondern auch in politischer Beziehung gegenüber den Staaten dieses Europa zeigen. Dann stimmen wir ebenfalls der Regierung zu, daß eine Grundlage auf breitester Basis gefunden werden soll und muß, von der aus diese Verständigungspolitik geführt wird. Es genügt nicht, daß ein Punkt nach dem andern traktiert, ein Punkt vom andern losgelöst wird. Es muß eine große Gesamtkonzeption stattfinden. Wir hoffen, daß in diesem Zusammenfassen aller Punkte die Lösung liegt, die uns zu einem ersprießlichen Ziel führen wird. Wir wollen deshalb nicht über Ruhrstatut im einzelnen, über Demontage im einzelnen reden. Alle diese Punkte, so reformbedürftig gerade die letztgenannten Fragen an sich sind, müssen im Rahmen einer Gesamtpolitik zusammen gesehen werden.
Die Sorgen um Europa, die uns bedrücken, können, wenn wir nicht zu einer Einigung in Europa kommen, uns zu dem Ergebnis führen, daß wir im Zeitpunkt des Ablaufs des Marshallplans wieder dahin zurückfallen, woher wir gekommen sind, nämlich in eine Zeit, in der die Rechnung nach Kalorien das Interessanteste am Tage war. Diese Sorge der Zukunft wollen wir vermeiden. Wir wollen uns deshalb auf der Grundlage der Konzeption, die die Regierung uns vorgelegt hat, zu einer gemeinsamen Arbeit im Rahmen eines vereinigten Europa zusammenfinden. Auch da teilen wir die Auffassung, daß die Liberalisierung des Handels, die die Grundlage für die richtige Durchführung des Marshallplans sein soll, als solche nur dann durchgeführt werden kann, wenn gleichzeitig die illiberalen Bestimmungen, die sich im Ruhrstatut und anderwärts befinden, beseitigt werden und das eine dem anderen wirklich angepaßt wird.
Die Kernfrage ist endlich von unserer Auffassung aus die Aussöhnung von Deutschland und Frankreich. Wir hoffen, daß die Schritte, die die Regierung unternommen hat und die wir billigen — gemeinschaftliche wirtschaftliche Beteiligung hinüber und herüber —, zu einem Ergebnis führen werden. Wir hoffen, daß dann die ,Jugend Deutschlands, die Jugend Frankreichs und die Jugend Europas, die heute nach diesem Kriege einer ungewissen Zukunft gegenübergestellt ist, von der sie nicht weiß, wie sie sich für sie entwickeln soll, auf Grund einer derartigen Zusammenarbeit wenigstens einen Hoffnungsstrahl sieht, der in das Dunkel ihrer Tage leuchtet und der ihr das Wort zum Bewußtsein führen kann: „Wir heißen euch hoffen!"