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    Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 15. November 1949 397 17. Sitzung Bonn, Dienstag, den 15. November 1949. Geschäftliche Mitteilungen 397B Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung 397C Dr. Adenauer, Bundeskanzler 397C, 408B, 442A, 447C Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 400C Dr. Schumacher (SPD) . . . 400C, 446A Dr. Gerstenmaier (CDU) 408D Dr. Schröder (CDU) . . . . . . 413B Euler (FDP) ....... . 417C Dr. von Merkatz (DP) . . . . . 421D Dr. Seelos (BP) 424A Reimann (KPD) . . , . . . . 427A Loritz (WAV) 429D Frau Wessel (Z) ...... . 431B von Thadden (NR) . . 434D Dr. Ott (Parteilos) ..... . 437B Dr. Becker (FDP) 437D Storch, Bundesminister für Arbeit 438D Dr. Schmid (SPD) . . . . . 439C Fisch (KPD) 444D Dr. von Brentano (CDU) . . . 447D Nächste Sitzung 448D Die Sitzung wird um 15 Uhr 6 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren! Als in den Jahren des Krieges die lange genährte Hoffnung immer geringer wurde, daß wir mit eigener Kraft die Tyrannei zu brechen und die Katastrophe zu verhindern vermöchten, stand hinter uns und hinter unserer tiefen Resignation eine große Furcht und eine noch größere Hoffnung. Die Furcht galt dem Ende; nicht nur und nicht so sehr dem persönlichen als dem physischen Ende unseres Volkes und damit dem geschichtlichen Ende der deutschen Nation. Die Hoffnung aber galt einer Neugestaltung Europas, einer neuen geistigen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Lebensform der Völker, die im Begriffe waren, aneinander zu verbluten. Das Ende kam unerbittlich und diskussionslos, die vagen wie die krampfhaften Illusionen unter sich begrabend. Aber so schrecklich es auch war, so viele Opfer die Waffen, so viele Tote


    (Dr. Gerstenmaier)

    der Hunger und die Vertreibung darnach noch gefordert haben, so ist es heute doch erlaubt, im großen und ganzen als Bilanzergebnis zu sagen: wir sind noch einmal davongekommen. Wir brauchen hier nicht zu fragen, wie. Die Tatsache, daß wir hier in Bonn und nicht in Berlin sind, die Tatsache, daß mehr als ein Drittel des deutschen Volkes hier nicht vertreten ist, sagt genug. Aber immerhin, trotz großer Verluste: das deutsche Volk ist physisch nicht vernichtet, und schon darum allein ist es auch in Zukunft eine politische Realität eigener Größe.
    Wie aber steht es mit jener Hoffnung, die auch in den Schrecken des Untergangs in vielen von uns lebendig war? Wir reden hier nicht von den schillernden Seifenblasen jener, die eigentlich alles nicht so schlimm fanden und bis zum heutigen Tag es nicht so schlimm finden, nicht von jenen, die in den einrückenden amerikanischen Truppen damals bequeme Zigaretten- und Kaffeelieferanten sahen. Wir reden von denen, die im Bewußtsein dessen lebten und kämpften, daß der Zusammenbruch des Reiches, daß der Verlust einer geliebten Heimat und daß das Heer der Toten aus vielen Völkern einen Sinn, einen weltgeschichtlichen Sinn erhalte mit dem endlichen Aufbau einer europäischen Gemeinstaatlichkeit. Wir haben es zuweilen jenseits der deutschen Grenzen in diesen Jahren erlebt, daß man hinter das Apriori dieser Gesinnung bei uns Deutschen laute und leise Zweifel gesetzt hat, daß man unsere europäische Gesinnung in Frage stellte und in unserem Bekenntnis zu einem Vereinigten Europa nichts anderes als die letzte List der Besiegten sah. Dagegen war und ist wenig von unserer Seite zu tun. Wir hielten es darum, so wie die Dinge in den letzten Jahren lagen, für falsch, die anderen zur Gemeinschaft mit uns einzuladen. Nicht nur aus Gründen der Taktik, sondern vor allem aus Gründen des Taktes meinten wir, es den anderen überlassen zu müssen, uns zur Gemeinschaft mit sich einzuladen. Es wäre ungerecht, über den Leiden und Enttäuschungen dieser Jahre zu übersehen, daß solche Bekundungen des Willens zur dauerhaften Zusammenarbeit auch mit uns tatsächlich erfolgt sind. Den Kirchen sind im vorpolitischen Bereich die Gewerkschaften gefolgt, im Politischen waren es die Unionen der christlichen, sozialistischen und liberalen Parteien sowie die Europa-Union und andere.
    Weit über seine entscheidende wirtschaftliche Bedeutung hinaus messen wir dem Marshallplan eine hohe politische Bedeutung für die Einbeziehung Deutschlands in die europäische Gemeinstaatlichkeit bei. Wir betrachten den Marshallplan deshalb als wesentliche Hilfe, weil er den Anstoß gab für die Wiederherstellung unserer deutschen Wirtschaft. Wir glauben, daß diese Hilfe der Vereinigten Staaten darüber hinaus aber den Start für die wirtschaftliche Kooperation Europas überhaupt darstellt, und in dieser wirtschaftlichen Zusammenarbeit erblicken wir allerdings die materielle Grundlage einer europäischen Gemeinstaatlichkeit. Wir wissen — und wir haben es ja heute gehört —, welchem Verdacht eine solche Kooperation auch in unserer Mitte ausgesetzt sein kann. Wir halten aber daran fest, weil wir wissen, daß zwar auch andere Elemente spiritueller und rechtlicher Art von hoher Bedeutung für die europäische Gemeinstaatlichkeit sind. Aber aus der unanfechtbaren Erkenntnis, daß der Mensch und mithin auch Europas Völkergemeinschaft nicht vom Brot allein lebt, folgt nicht, daß sie ohne Brot oder ohne genug Brot leben könnten. Das haben wir in der Vergangenheit ja härter denn je erfahren.
    Wir sollten von vornherein deshalb die Vereinigten Staaten von Europa nicht ohne ausreichende materielle, das heißt ohne eine gut funktionierende gemeinsame wirtschaftliche Basis anstreben. Mit einem spirituellen Gebilde allein ist auch uns nicht gedient. Aber noch einmal: Sind wir, nach dem, was uns die heutige Regierungserklärung hier zur Kenntnis gebracht hat — so fragen wir .—, berechtigt, diese letzte große Hoffnung aus den Jahren des Krieges und des Untergangs jetzt zu begraben oder ihr Leitbild in resignierter Lethargie zu betrachten — ich glaube, ich könnte auch noch hinzufügen: in zurückhaltender, unkonstruktiver und unentschlossener Reserve?
    Gewiß, die Demontagedebatte hat viele in ihrem Glauben an ein neues Europa tief erschüttert. Heute kann man wahrscheinlich den Satz wagen, daß aus der Demontage mehr noch eine Destruktion politischer als materieller Werte geworden ist. Deshalb begrüßen wir die heutige, uns hier bekanntgewordene Erklärung der Hohen Kommissare aufrichtig.
    Sowohl bei der Behandlung der Demontagefragen wie des Ruhrstatuts sind die Bundesregierung und der Bundestag vor das Kernproblem der Sicherheit oder, genauer gesagt, vor die Frage eines stabilisier ten Friedens gestellt. Auch wir fragen uns von uns aus und noch gar nicht allein im Blick auf die europäische Ballung des Problems: wie kann der Friede, wie soll der Friede in Europa garantiert werden? Wir haben die Erklärung der Bundesregierung über die Bildung eines Ausschusses zur Prüfung der Sicherheitsfragen mit Zustimmung gehört. Eines aber, glaube ich, können wir, wie auch diese Beratungen des Ausschusses gehen werden, für erwiesen halten, nämlich daß die Sicherungskonstruktionen in den Jahren zwischen dem ersten und zweiten Welt' krieg vollständig zerbrochen sind und keinem, weder dem Gesicherten noch dem, gegen den sie gerichtet waren, zum Segen gereicht haben. Es sollte nicht nur jene Deutschen, die immer noch in den Vorstellungen der vergangenen Jahrzehnte leben, sondern auch führende Persönlichkeiten in anderen Ländern nachdenklich stimmen, daß nicht ein einziges jener Instrumente, die nach dem ersten Weltkrieg zur Sicherung und im Namen der Sicherheit geschaffen worden sind, der geschichtlichen Belastung standgehalten hat. Vom Locarnopakt bis zur Maginotlinie sind sie alle zerbrochen, und es ist ein geringer Trost für diejenigen, die unter der Sturzflut des zweiten Weltkrieges beinahe ertrunken sind, daß jene, die die Dämme gesprengt haben, der Flut selber zum Opfer gefallen sind.
    Ist es nicht beunruhigend, fragen wir, daß heute wieder in allen internationalen Diskussionen, die Deutschland berühren, bis jetzt vorwiegend die Stimme vernommen wird, die das Sicherheitsproblem nach den alten, diesmal aber qualitativ und quantitativ forcierten Rezepten besser als zuvor gelöst sehen möchte? Wir beabsichtigen hier niemand anzugreifen; denn wir sind uns dessen bewußt, daß Deutschlands Friedenswille nicht nur eine strenge Selbstbeherrschung, sondern auch einen guten Willen erfordert, der bereit ist, an Vorleistungen als Beweis dieses guten Willens das Menschenmögliche zu erbringen. Es ist aber


    (Dr. Gerstenmaier)

    eine schlechte Sache, daß auch diejenigen, die mit großer Wachsamkeit und strenger Selbstkritik allen Äußerungen nationalen Ressentiments in unserm Volk entgegentreten, zuweilen das Gefühl beschleichen mußte, daß die Lösung der Sicherheitsfrage nach diesem zweiten Weltkrieg in der Herbeiführung einer permanenten wirtschaftlichen Unselbständigkeit Deutschlands bestehen solle und in einer Abhängigkeit, wie sie der große Franzose Rodin seinerzeit in seinen „Bürgern von Calais" vor uns hingestellt hat. Noch einmal: wir sagen das hier weder anklagend noch schmollend, aber wir stellen damit ein Faktum fest, das zu überwinden unsere gemeinsame Aufgabe ist, das zu überwinden aber darüber hinaus eine Schicksalsfrage der gesamten europäischen Politik ist. Jeden Schritt über dieses Faktum weg halten wir für einen hohen Gewinn Europas.
    Mit tiefer Dankbarkeit haben wir Beweise redlichen Willens zur Zusammenarbeit mit Deutschland in diesen Jahren und bis auf diesen Tag auch aus der Mitte der Völker erfahren, bei denen die alten Sicherheitslösungen noch viele Anhänger haben. Aber wir wissen — und wenn uns nicht alles trügt, ist etwas davon in Paris laut geworden daß auch in diesen Völkern starke Kräfte vorhanden und am Werke sind, die in der Erkenntnis leben, daß die bloße Wiederholung alter Sicherungen nicht nur unerhört kostspielig, sondern auf die Dauer auch unnütz ist.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Wir haben Verständnis dafür, daß verantwortliche Regierungen sowohl in ihren Äußerungen wie in ihren Maßnahmen bei der Prüfung der Frage, ob und in welchem Umfange dem durch die Katastrophe gegangenen Deutschland wieder Vertrauen geschenkt werden könne, zurückhaltender und skeptischer sind. Wir erwarten nicht, daß diese Regierungen unseren ernsthaften und redlichen Bemühungen um die Wiedergewinnung von Vertrauen und Achtung alsbald Verständnis entgegenbringen; aber wir hof fen, sie nicht mißverstanden zu haben, daß sie auch uns jenes Lebensrecht zuerkennen, zu dem sie sich in ihren Staatsgrundlagen und öffentlichen Erklärungen über die unveräußerlichen und heiligen Rechte der Menschen selber bekannt haben. Wir hoffen, sage ich, daß wir die großen Mächte darin nicht mißverstanden haben, daß sie ihre Sicherheitsforderungen in einen tragbaren Einklang mit dem Lebensrecht des deutschen Volkes bringen wollen.
    In der bloßen Wiederherstellung eines Systems der negativen Sicherungen nämlich vermöchten wir allerdings keine Garantie für eine echte Sicherheit, für einen wirklichen Frieden zu erblicken. Dagegen sehen wir eine konstruktive Lösung auf dem Wege zu einer echten Sicherheit und damit zu einem wahren Frieden in einer wirtschaftlichen und politischen Verflechtung und Zusammenarbeit, die von überflüssigen Schranken ebenso wie von einem überholten nationalwirtschaftlichen Prestigebedürfnis befreit ist.
    Den Vereinigten Staaten von Amerika sind wir dankbar dafür, daß sie uns durch .die Idee und durch dia Initialzündung des Marshallplans auf diesen Weg gewiesen, ja geradezu gezwungen haben. Eine solche Lösung, nach dem ersten Weltkrieg angewandt, hätte die Menschheit vor den Greueln der Konzentrationslager wie vor den Schrecken eines zweiten Weltkrieges und vor den Barbareien der Massenvertreibungen bewahrt. Auch das sagen wir nicht in rückschauender Klage oder Anklage, sondern wiederum lediglich zur Klärung des Standortes, an dem wir uns befinden, und zur Fixierung des Zieles, das, wennschon von Deutschland her und von dieser Stelle aus zu den Grundfragen der Außenpolitik geredet werden soll, in unverrückbarer Klarheit feststehen muß. Dieses Ziel heißt: die Vereinigten Staaten von Europa als ein Rahmen, in dem sich die europäischen Völker gemeinsam um ihre wirtschaftlichen und politischen Bedürfnisse bemühen. Dies ist die einzige uns ausreichend erscheinende Lösung der trotz unserer völligen Ungefährlichkeit nach wie vor gestellten Sicherheitsfrage. Sicherheit heißt doch letztlich nichts anderes als eben Stabilisierung des Friedens. So tief wir auch darniederliegen und soviel wir auch gelitten haben, für dieses Ziel sind wir bereit jedes Opfer zu bringen, das Menschen und Völkern unter dem Aspekt von Recht und Freiheit zugemutet werden kann.

    (Bravorufe bei der CDU.)

    Wir fürchten uns deshalb nicht vor den kleinen oder großen Demagogen, die sich da und dort wieder unter uns erheben, um mit alten, abgestandenen Schlagworten ihr trauriges Handwerk der Verführung zu treiben. Wir werden tun, was zumutbar ist, auch wenn es Opfer, kostet. Wir sind deshalb auch bereit, das Ruhrstatut, das ohne deutsche Mitwirkung entstanden ist, einer sehr ernsthaften Prüfung im Hinblick darauf zu unterziehen, ob es uns eine Kooperation im Rahmen einer europäischen Gesamtstaatlichkeit möglich macht. Ich möchte mir im übrigen die nüchterne Frage erlauben, was eigentlich mit einer etwaigen Ablehnung des Ruhrstatuts zunächst gewonnen sein soll und welche bessere Lösung, die realisierbar und mehr ist als ein stolzer Protest, die Opposition vorzuschlagen hat. Ihre Bemühungen, für den Lebenskampf des deutschen Arbeiters Verständnis bei gleichgesinnten Regierungen und Parteien des Auslandes zu wecken, haben leider nicht gerade ein ermutigendes Ergebnis gehabt.

    (Hört! Hört! und Sehr wahr! in der Mitte.)

    Ebensowenig ermutigend sind die letzten Verlautbarungen der britischen Labour Party über die Entsendung einer Kommission zum Studium der Demontagefrage.
    Weil wir die Kooperation redlich und aus ganzem Herzen wollen, sind wir auch bereit, jedes Statut und jeden politischen und wirtschaftlichen Vertrag unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob sie der europäischen Einigung dienen. Wir sind freilich der Meinung, daß die Fortsetzung der Demontagen dieses Ziel direkt gefährden würde und daß das Ruhrstatut in seiner jetzigen Gestalt nicht als eine Förderung dieses hohen Ziels betrachtet werden kann. Aber weder die Demontagen noch das Ruhrstatut noch das Besatzungsstatut sollen und können uns daran hindern, die europäische Einigung als das bestimmende Motiv unseres Tuns und Lassens im zwischenstaatlichen Bereich anzusehen.
    Erlauben Sie mir, von diesen allgemeinen Gesichtspunkten aus etwas zu der Diskussion zu sagen, die sich über einige Schritte des Herrn Bundeskanzlers entwickelt hat und deren Zeugen wir auch hier geworden sind. Man hat dem Herrn Bundeskanzler — zum Teil in Formen, die kein gerecht Denkender billigen kann und die wir nicht nur bedauern, sondern mit Nachdruck zurückweisen müssen — unterstellt, daß er Tendenzen


    (Dr. Gerstenmaier)

    entwickele, die die Zuständigkeit dieses Hohen Hauses nicht gebührend in Betracht zögen.

    (Lachen bei der SPD.)

    Ich habe die Ehre, im Namen der CDU/CSU-Fraktion zu erklären, daß es nach unserer Auffassung nicht nur das volle Recht, sondern auch die unabweisbare Pflicht des Bundeskanzlers und der Regierung ist, in Fragen, die schlechterdings von vitaler Bedeutung für Deutschland sind, initiativ zu werden.

    (Sehr richtig! und Händeklatschen in der Mitte.)

    Wir gedenken, in jedem Fall mit Nachdruck die Rechte und die Bewegungsmöglichkeit zu verteidigen, die das Grundgesetz der Bundesregierung eingeräumt hat. Wir glauben nicht, daß sich damit dieses Hohe Haus irgendeines Rechts begibt oder daß seine Einflußnahme in unzulässiger Weise begrenzt wird.
    Zu dem Inhalt der Vorwürfe möchte ich nur zweierlei sagen. Ich möchte erstens die im Zusammenhang mit dem Interview des Herrn Bundeskanzlers entstandene Debatte über die Investierung ausländischer Mittel in der deutschen Schwerindustrie herausheben, die in der Rede meines Herrn Vorredners von der Opposition eine große Rolle gespielt hat. Das zweite betrifft die Stellungnahme des Herrn Bundeskanzlers zum Eintritt der Bundesrepublik in den Europarat.
    Zu dem ersten Punkt möchte ich folgendes sagen. Auch die Kritiker ausländischer Kapitalinvestierungen werden nicht darum herumkommen, in den nächsten Jahren Kredite für deutsche Werke zu akzeptieren. Ja, es ist durchaus denkbar, daß sie
    eines Tages vor die Notwendigkeit gestellt werden,
    solche Kredite zu erbitten; denn das erste Problem — ob sozialisiert oder nicht sozialisiert — heißt heute für uns alle: Wiederaufbau und Modernisierung unserer Werke und Produktionsstätten. So wie die Dinge liegen, werden wir leider auf solche Investitionen nicht verzichten können, wenn wir die Werke konkurrenzfähig machen wollen. Nicht konkurrenzfähige Betriebe werden — ob sozialisiert oder nicht — für uns alle eine Last und für ihre Belegschaft ein Unglück sein. Wir vermögen es deshalb nicht für ein so schreckliches Unglück oder gar für ein Verbrechen zu halten, wenn Vorschläge und Pläne für derartige Investierungen diskutiert werden. Was ist eigentlich mehr geschehen als dies?
    Bei dieser Gelegenheit möchte ich sagen, daß wir Wert darauf legen, klar und vernehmlich zum Ausdruck zu bringen, daß wir zwar keinesfalls bereit und willens sind, die Vorstellungen über Sozialisierung oder Verstaatlichung zu übernehmen, wie sie da und dort auch in diesem Hause vertreten werden, daß wir aber zu dem Wort von der Neuordnung der Besitzverhältnisse, das in der Erklärung der Bundesregierung ausgesprochen wurde, zu stehen gedenken, soweit es an uns ist.

    (Sehr gut! bei der CDU. — Zuruf links: In welchem Sinne? — Zuruf des Abgeordneten Schoettle.)

    übrigen muß bei allen Beteiligten völlige Klarheit darüber bestehen, daß die künftige Sozialgestaltung — ob mit oder ohne ausländische Investitionen — ausschließlich von der Legislative dieses Hauses bestimmt sein wird.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Ich hoffe, daß Sie das ein wenig tröstet, Herr Schoettle.

    (Abg. Schoettle: Ich bin gar nicht so niedergebrochen!)

    Die Legislative dieses Hauses wird das letzte Wort sprechen. Die Konspiration der internationalen Kapitalisten, von der hier geredet wird, fürchten wir nicht.
    Solange jedenfalls die Regierung sich von der Erkenntnis bestimmen läßt, daß der innere und der äußere Frieden in Europa von heute unteilbar sind und daß deshalb auch die Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit von Bedeutung für die Dauerhaftigkeit 'des äußeren Friedens ist, solange sehen wir keinen Anlaß, der Regierung bei ihren Erwägungen und Maßnahmen in den Weg zu treten, sondern werden sie dabei mit allem unterstützen.
    Wenn die Bundesregierung die Möglichkeit eines Eintritts in den Europarat prüft, so kann — ich meine es nicht im Speziellen — nur Demagogie unterstell en, daß sic damit dem Kampf um die Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie den Boden entziehe.

    (Sehr gut! bei der CDU.)

    Niemand wird behaupten, daß Weißrußland oder die Ukraine nicht zu Sowjetrußland gehören, und doch sind sie selbständige Mitglieder mit eigenem Stimmrecht in den Vereinten Nationen. Wir halten es für notwendig, daß die Bundesrepublik die Möglichkeiten wahrnimmt, die ihr im Europarat von Schritt zu Schritt eingeräumt werden. In diesem Sinne vertreten wir die Auffassung, die der Herr Bundeskanzler in einem Interview vor kurzem dargelegt hat. Um alle Mißverständnisse zu beseitigen, zitiere ich wörtlich die Außerung des Bundeskanzlers. Er sagt:
    Ich halte es für sehr bedauerlich, daß die Saarfrage überhaupt mit der Europafrage verknüpft worden ist. Das ist nicht von uns aus geschehen. Es erscheint mir wesentlich, daß diese beiden Fragen in Zukunft getrennt gehalten werden. Ich würde es nicht für eine weise Politik halten, wenn Frankreich die Aufnahme Deutschlands in den Europarat von einer gleichzeitigen Aufnahme des Saargebiets abhängig machen sollte. Aber ebensowenig weise wäre es, wenn wir erklärten, daß eine Mitgliedschaft des Saargebietes die deutsche Mitgliedschaft ausschlösse. Man sollte aus diesen Mitgliedschaften kein Handelsgeschäft mit Bedingungen machen. Die Saarfrage kann endgültig erst in einem Friedensvertrag mit Deutschland geklärt werden, und der Europarat ist ohnehin nicht befugt, einer solchen Regelung vorzugreifen. Ich könnte mir sehr viel eher denken, daß eine unmittelbare deutschfranzösische Fühlungnahme das Saarproblem einer Lösung näherbringen könnte.
    Soweit der Herr Bundeskanzler! Mir scheint, daß das alles in der Formulierung wie in der Linie nicht so ist, daß es die massiven Angriffe, die wir in den letzten Wochen darüber erleben durften, berechtigen oder begründen könnte.

    (Zustimmung bei der CDU.)

    Selbstverständlich haben auch wir ein tiefes Empfinden für die Unangemessenheit einer Verkoppelung, wie uns überhaupt manche Dinge nicht weniger schmerzen als Sie, meine Herren, in der Opposition.


    (Dr. Gerstenmaier)

    Übrigens werden wir Gelegenheit haben, in der nächsten Sitzung des Bundestags zu dem Problem der Kriegsgefangenen und zu den Urteilen in den Kriegsverbrecherprozessen in den ersten Jahren nach dem Kriege etwas ausführlicher Stellung zu nehmen. Wir werden uns dann erlauben, mit Material darauf zurückzukommen.
    Aus eigener Einsicht in die internationale Situation folgen wir der Regierung aber auch darin, wie sie das Ziel der europäischen Einigung mit allem Ernst gerade dort angeht, wo der Sicherheitskomplex am schwierigsten und die Hypothek der Geschichte am schwersten ist, und das ist zweifellos das deutsch-französische Verhältnis. Wir wissen, daß hier moralische Imperative oder Sentiments wenig helfen. Hier muß ein mühsamer Weg Schritt für Schritt gegangen werden. Nirgendwo ist das Gestrüpp des Mißtrauens bis jetzt so undurchdringlich wie im deutsch-französischen Verhältnis. Erlauben Sie mir gerade in diesem Zusammenhang das Wort eines Mannes anzuführen, der seine Verse in deutscher Sprache schrieb und sein Lebenswerk in französischer Sprache vollendet hat. Rilke hat einmal davon geredet, daß, wenn etwas schwer sei, es uns ein Grund mehr sein müsse, es zu tun. Es würde mir gefährlich erscheinen, dieses Wort schlechthin aufzunehmen. Hier aber hat es seine Geltung. Wir kritisieren den Kanzler nicht, weil er sich daran gemacht hat, mit Mut und Geduld das Seine zu tun, um einen Weg zus Gemeinsamkeit zu bahnen, sondern wir unterstützen ihn dabei.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    In einer ebenso kühlen wie klugen Charakterisierung hat vor kurzem ein prominenter Sprecher der Opposition in diesem Hause Deutschland ein „politisches Agens in potentia" genannt. Wir glauben jedoch, daß diese Tatsache, die unanfechtbar ist, noch kein Grund ist, darauf so etwas wie eine Politik des nationalen Widerstandes zu bauen. Wir wissen, daß die einstweilige Überwindung der schwersten Existenzbedrohung Deutschlands in den letzten Jahren nicht nur der großzügigen Hilfe der Vereinigten Staaten, sondern auch dem Widerstand zuzuschreiben ist, den unzählige deutsche Frauen und Männer dem Hunger, der Verelendung und der Zerstückelung unseres deutschen Vaterlandes entgegengesetzt haben. In keinem anderen Zusammenhang als in diesem scheint uns das Wort vom nationalen Widerstand sinnvoll und erlaubt. Indem wir uns mit der letzten Kraft, die uns geblieben ist, den Dämonien des Chaos entgegengestellt haben, glauben wir auch einen Beitrag für die europäische Gemeinsamkeit geleistet zu haben. Der nationale Widerstand der Deutschen sollte darüber hinaus allmählich all dem gelten, was uns zum geschichtslosen Haufen machen möchte.
    Wir nehmen die Besorgnisse der Opposition ernst; aber wir hätten es für sinnvoller gehalten, wenn sie den Widerstand nicht gegen die notwendigen Maßnahmen der Regierung angerufen hätte. Diese Regierung ist im Begriff, eine unter europäischen Gesichtspunkten verantwortete deutsche Politik zu machen. Die Opposition sollte mit Nachdruck gegen jene inferioren Kräfte angehen, die in dieser seltsamen Mischung von Wut und Rührung die Deutschen um die Erkenntnisse ihrer eigenen tief durchlebten und erlittenen Geschichte zu betrügen im Begriff sind.

    (Beifall bei der CDU.)

    Wer das ist, Herr Schoettle? 'Zwingen Sie mich nicht, die Namen solcher Schmutzfinken in diesem Hause zu nennen.

    (Abg. Schoettle: Ich habe kein Wort gesagt!)

    — Zwingen Sie mich nicht, die Namen solcher Leute zu nennen, die am besten in diesem Hause nicht genannt werden. Gott sei Dank sind sie hier nicht vertreten.

    (Abg. Schoettle: Das ist aber fein!) — Muß ich den Namen Remer nennen?

    Auch wenn wir mangels höherer Erleuchtung das hier bestehende System von Regierung und Opposition akzeptieren, so glauben wir doch, daß es nach den Ereignissen der letzten Wochen an der Zeit ist, freimütig auszusprechen, daß uns diese Formen nun wiederum nicht so für die Ewigkeit geschaffen zu sein scheinen, daß alles andere dahinter zurücktreten müßte. Wir haben uns hier nicht nur freiwillig zu den Grundsätzen der Demokratie, sondern auch zu ihrer mühseligen Praxis bekannt, und wir gedenken, dazu auch dann zu stehen, wenn das, was Gott verhüten wolle, mit hohem persönlichem Wagnis verbunden sein sollte. Aber ob es uns nun im einzelnen leicht oder schwer fällt, so sollten wir uns doch dazu bereit finden, den Mechanismus dieser politischen Organisation elastisch und nicht doktrinär, in jedem Falle aber so zu gebrauchen, daß dabei die res publica und ihre notwendige Autorität gestützt und gefördert werden. Es gibt deutsche Länder, in denen die Mehrheitsverhältnisse anders liegen als im Bundesgebiet. Wir sind willens, auch dort diese Grundsätze anzuwenden und in jedem Falle zu respektieren. Aber wir müssen von der Opposition verlangen, daß sie der Entscheidung des deutschen Volkes, soweit sie im deutschen Lebensbereich überhaupt in Freiheit stattgefunden hat, in ihrem Verhalten unter allen Umständen Rechnung trägt. Opposition und Regierung sind in verschiedenen Funktionen, aber jedenfalls in gleicher Intensität und Verantwortung dem Wohl der Nation und nichts anderem verpflichtet. Das gilt in allen Entscheidungen von wesenhafter Bedeutung für das deutsche Volk. Aber das gilt erst recht bei der Aufstellung und Verwirklichung eines neuen Verhältnisses der Deutschen zu ihren Nachbarvölkern und für die Bildung einer Lebensform, die diesen alten Kontinent mit Gottes Hilfe in die nächsten Jahrhunderte tragen soll.
    Was sind unter diesen Aspekten parteitaktische Gesichtspunkte? Ist es wirklich so unangemessen, von den Trägern gesamtdeutscher Traditionen so viel Distanz gegenüber ihren eigenen Parteiformationen zu verlangen, daß sie jederzeit willens und in der Lage sind, Entscheidungen, die für Deutschland gefällt und im Blick auf Europa und die Welt vollzogen werden müssen, positiv und konstruktiv mit zu fassen und mit zu tragen? Wir glauben jedenfalls, nicht nur für die Mehrheit des 14. August, sondern für eine noch weit größere Mehrheit im deutschen Volk zu sprechen, wenn wir hier an die Regierung wie an die Opposition appellieren, in Sachen einer künftigen deutschen Außenpolitik so eng und so verständnisvoll wie immer möglich zusammenzustehen und zusammen zu handeln.

    (Abg. Schoettle: Das ist ja gerade der Punkt!)

    Warum soll etwas, was in den Vereinigten Staaten und in manchem anderen Land sehr wohl mög-


    (Dr. Gerstenmaier)

    lich war, nicht auch hier möglich sein, hier unter uns, die wir unter schweren Leiden innegeworden sind, daß politische Gemeinschaft auch zwischen denen statthaben kann, die sich in besseren Zeiten nur als Gegner gekannt haben? Oder bedarf es denn immer nur eines Tyrannen und einer Schreckensherrschaft, um Männer wie Goerdeler und Leuschner, Carlo Mierendorff und Helmuth Moltke handelnd und kämpfend zusammenzubringen? Wir wissen, daß auch dann, wenn es uns gegeben wäre, die Verhältnisse im eigenen Haus und die Beziehungen zu unseren nächsten Nachbarn erträglicher und fruchtbarer zu gestalten, dies alles doch ein großer Torso bleibt, solange die großen Mächte des Ostens und des Westens über uns hinweggespannt sind als sich ausschließende Gegensätze. Wir triumphieren nicht über die offen ausgebrochene Zwietracht zwischen den ehemaligen Alliierten. Wir haben allen Anlaß, jenes Statut, das ihre gemeinsame Unterschrift trägt, für eine zweite große europäische Katastrophe zu halten, nachdem die erste kaum zu Ende war. Aber wir verstehen, daß sich die Staatsinhalte des Ostens und des Westens wie Feuer und Wasser vertragen. Und wir bleiben uns bewußt, daß Grundgesetz und Bundesrepublik nur ein Provisorium sind für ein geeintes Deutschland im Rahmen eines geeinten und freien Europas. Aber für ganz und gar nicht provisorisch halten wir die Prinzipien der Freiheit und des Rechts, die in diesem Grundgesetz verankert sind. Wir ersehnen den Tag, an dem die Vertreter der Länder der Ostzone mit Groß-Berlin hier zwischen uns erscheinen und das deutsche Land jenseits der Oder-Neiße-Linie wieder zur Heimstätte derer werden kann, denen es von Gottes und Rechts wegen gehört. Wir erstreben das mit friedlichen Mitteln und im Rahmen einer internationalen Lösung. Die Tatsache, daß dies nach menschlichem Ermessen in weiter Ferne liegt, ist uns kein Grund, in Resignation auf etwas zu verzichten. Das ist weder in unser Recht, noch in unser Belieben gestellt. In diesem Sinne Treuhänder des deutschen Volkes überhaupt zu sein, das ist das nobile officium dieses ganzen Hauses.
    Von der Bundesregierung aber erwarten wir, daß sie ihre große Aufgabe mit Geduld und Festigkeit wahrnimmt und daß sie sich des Rechts zur Initiative in jedem Falle voll bedient, des Rechts, das ihr das Grundgesetz zuweist. Möge sie dabei hoffentlich bald von ihren schon jetzt nicht mehr zeitgemäßen Fesseln durch die Einsicht der Hohen Kommissare befreit werden.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schröder.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gerhard Schröder


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In allen demokratisch regierten Ländern der Welt gibt es immer wieder Situationen, in denen die Regierung schweigen möchte und in denen die Opposition das Bedürfnis verspürt, sie zum Reden zu zwingen. Die Regierung schweigt in solchen Situationen, weil sie als der erste Träger politischer Verantwortlichkeit die Verpflichtung hat, schwebende Fragen mit jener Behutsamkeit zu behandeln, die ihnen zukommt. Das ist nicht eine Praxis, die es etwa nur bei uns gegeben hat, sondern ich darf gleichzeitig darauf hinweisen, daß auch der britische Außenminister Bevin erst am 17. November das Wort ergreifen wird, und auch vor der französischen Kammer wird über die Ergebnisse der Pariser Konferenz nicht vor dem 22. dieses Monats diskutiert werden.
    Meine Damen und Herren! Ich verstehe, daß die Opposition diese Fragen häufig anders sieht und daß sich diese Frage für sie oft anders stellt. Ich sehe einmal ganz davon ab, näher zu erläutern, daß sich selbstverständlich die Regierung oft genug der Opposition wird bedienen können und bedienen müssen. Denn es ist ja das Charakteristikum der hoch entwickelten Demokratie, daß in den außenpolitischen Auseinandersetzungen Regierung und Opposition sich sehr häufig zwar über gemeinsame Ziele einig sind, daß sie aber diese Ziele mit gut verteilten Rollen erstreben. Meine Damen und Herren, je besser es einem Volke gelungen ist, sich auf einige wenige, dafür aber um so schwerer wiegende essentialia des politischen Wollens zu einigen, desto besser wird das Spiel zwichen Regierung und Opposition, den Gesamtwillen des Volkes eindrucksvoll zu manifestieren und durchzusetzen.
    Nun lehrt uns der Augenschein in diesem Hohen Hause leider, daß wir weit davon entfernt sind, uns über Praxis und Ziel der neuen Demokratie zu einigen. Das setzt eine längere Auseinandersetzung als die von ein paar Wochen voraus. Und, um zu diesem Ziel zu kommen, gehört auch ein Vertrauen zwischen Regierung und Opposition. Ich entsinne mich sehr wohl, was einer der hervorragendsten Sprecher der Opposition seinerzeit in der Debatte zur Regierungserklärung über dieses Vertrauensverhältnis gesagt hat. Ich verstehe dieses Vertrauensverhältnis auch nicht im Sinne eines guten Grußfußes. Bei aller Sachlichkeit und Gegensätzlichkeit sehe ich dieses Vertrauensverhältnis zwischen Regierung und Opposition darin, daß es sich mindestens auf die Grundforderungen der demokratischen, nationalen und übernationalen Haltung beziehen muß, da wir durch Schicksal und eigenen Entschluß — und ein solcher Entschluß ist ja schließlich unser gemeinsames Bekenntnis zum Grundgesetz — genötigt sind, eine gemeinsame Auffassung in Grundfragen zu haben, wenn wir überhaupt einen gemeinsamen Staat haben wollen.
    Der Herr Kollege Ollenhauer hat seinerzeit für die Opposition erklärt, sie sei bereit, der Regierung die Achtung und den Respekt, die ihr als verfassungsmäßiger Institution zukommen, zuzugestehen. Ich glaube, wir haben heute im Hinblick auf vergangene Tage gesehen, daß wir begründeten Anlaß haben, die Opposition — ich spreche zunächst von der sozialdemokratischen Fraktion als der größten Gruppe der Opposition — daran zu erinnern. Niemand kann und darf der Opposition verwehren, das klar und deutlich zu sagen, was sich aus ihrer Perspektive an Forderungen der Stunde zu der Innen- und Außenpolitik ergibt. Ich glaube, daß es für sie als Opposition selbstverständlich sein sollte oder wenigstens in nächster Zeit selbstverständlich werden sollte, daß sie dabei die Spielregeln einhält, die für uns alle gelten, die wir mit politischer Verantwortung betraut sind.
    Ich will nicht, so reizvoll es sein möchte, mit großer Akribie die Äußerungen der wesentlichen Sprecher der Opposition aus den vergangenen Tagen zusammenstellen, kann aber dennoch nicht darauf verzichten, wenigstens auf einige davon einzugehen, um sie als Schulbeispiel, nur als Schulbeispiel für das zu zitieren, was im Verhältnis zwischen Regierung und Opposition sich nicht wiederholen sollte.


    (Dr. Schröder)

    Herr Dr. Schumacher, der ja heute, wenn man seine vorherigen Äußerungen sorgfältig studiert und analysiert hat, sich in Tonhaltung und Diktion einer außerordentlichen Zurückhaltung befleißigt hat, wird es nicht übelnehmen, wenn ich ihn an etwas erinnere, was er zur Regierungserklärung gesagt hat. Er hat gesagt: Wir können die Regierungserklärung nicht als etwas Isoliertes ansehen, sondern zu ihr gehört auch alles, was im Wahlkampf, bei der Kabinettsbildung usw. vor sich gegangen ist. Und deshalb wird er mir erlauben müssen, auch etwas zu zitieren, was er nicht gerade in diesem Hause gesagt hat. Wenn ich mich aber recht erinnere und wenn ich recht berichtet bin, hat er am vergangenen Sonnabend in Frankfurt die Politik der Regierung als antideutsch, antieuropäisch, abet profranzösisch bezeichnet. Er hat an anderer Stelle der Regierung den Vorwurf gemacht, keine deutsche Politik zu vertreten, sondern mit autoritärem Dünkel zu handeln. Er hat von ihr gesagt, daß sie parteipolitische und privatkapitalistische Manipulationen auf der Ebene der Interessenpolitik kleiner Kreise betreibe. Ich erinnere an das Wort, das Herr Dr. Schumacher seinerzeit gesagt hat, als ihm während seiner Stellungnahme zur Regierungserklärung Zwischenrufe des Hauses entgegengeschleudert wurden. Er hat gesagt, daß zur demokratischen Auseinandersetzung auch Selbstzucht gehöre. Mit aller Zurückhaltung möchte ich dazu sagen, daß ich glaube, die eben zitierten Äußerungen, von denen ich als die schwerwiegendste die Äußerung über das antideutsche Handeln ansehe, beweisen, daß er die Gelegenheit versäumt hat, ein Beispiel für diese von ihm aufgestellte Forderung zu geben.

    (Beifall in der Mitte.)

    Man könnte aber über solche Äußerungen vielleicht mit einer Handbewegung zur Tagesordnung übergehen, wenn durch sie nicht Erinnerungen heraufbeschworen würden, die den meisten von uns gegenwärtig sind. Die Diffamierung der Motive des politischen Gegners wirkt sich auf keinem Gebiet verhängnisvoller aus als auf dem Gebiet der Außenpolitik. Nun mag es ein geradezu historisches Gesetz sein, daß die Vorwürfe gegenüber dem außenpolitischen Verhalten, die damals der Reichsregierung von rechts gemacht wurden, heute von links gemacht werden müssen. Wir verfügen über eine sehr schöne Gegenüberstellung von Äußerungen, die Führer der Opposition in den letzten Tagen gemacht haben, mit Reden der Herren Reventlow, von Freytagh-Loringhoven, Westarp usw. Diese Sammlung stellen wir jederzeit gerne zur Verfügung. Aber wir sollten doch alle miteinander einmal ernstlich darüber nachdenken, ob diese Dinge dadurch richtiger werden, wenn sie sich — wenn auch zum Teil mit vertauschten Rollen — wiederholen. Ich bin überzeugt, daß weite Kreise unserer Bevölkerung und vor allem die jüngere Generation, die doch auf nichts sehnlicher wartet, als daß ihr eine positive Gestaltung vorgelebt wird, derartige Äußerungen als reine Parteipolitik empfinden werden, das heißt als eine Politik, die nicht den Stempel der übergeordneten Verpflichtung, sondern des begrenzten Gruppeninteresses trägt.
    Herr Dr. Schumacher glaubte sagen zu können, daß die Regierung keine deutsche Politik vertreten habe, daß sie nicht die Interessen des deutschen Volkes vertreten habe, sondern daß hinter ihr nur das Kapital, die schwarz-weiß-roten Fahnen, aber nicht das Volk stünde. Meine Damen und Herren! Wenn ich das zitiere, so doch nur, um hier einmal folgendes festzustellen. Es ist einer der gefährlichsten Vorwürfe, den man der eigenen legalen Regierung in einer Zeit so großer außenpoltischer Spannung und Verantwortung machen kann, wenn man ihr die Legitimation bestreitet.

    (Lebhafte Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Herr Dr. Schumacher hat das heute auch hier getan. Die Bestreitung der Legitimation ist uns noch allzu gut aus jener Zeit vor 1933 bekannt. Sie pflegte damals mit einem Seitenblick oder gar mit einer Aufforderung an die außerhalb des Hauses stehenden Kräfte der Bevölkerung verbunden zu sein. Ich stelle darum hier mit aller Deutlichkeit und Entschiedenheit fest: der Opposition fehlt jegliches Recht, gegenüber der Regierung diese Sprache zu führen.

    (Erneute lebhafte Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Vielleicht darf ich die Opposition noch einmal daran erinnern, daß wir erst vor drei Monaten im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland allgemeine, freie und geheime Wahlen gehabt haben, und das Ergebnis dieser Wahlen, wenn überhaupt die Entscheidung der Mehrheit noch einen Sinn haben soll, ist eine ganz eindeutige Legitimation für diese Regierung gewesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    — Der 14. August hat einer Mehrheit dieses Hauses das Recht zur Regierung und einer Minderheit dieses Hauses die Pflicht der Opposition auferlegt.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Die Verantwortlichkeit für die Regierungspolitik trägt die Regierung, an ihrer Spitze der Herr Bundeskanzler, der nach unserer Verfassung — das steht nun einmal im Grundgesetz — die Richtlinien der Politik bestimmt.

    (Erneute Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Die Opposition hat die Pflicht der Opposition und as Recht der Kritik; aber Rechte und Pflichten der Regierung lauten: führen und Verantwortung tragen. Ich verstehe es nun durchaus, daß es nicht immer leicht sein mag, das Ergebnis einer so heiß umkämpften Entscheidung wie der vom 14. August willig und in einer positiven Einstellung hinzunehmen. Aber wir würden das Regierungsmandat, das wir uns erkämpft haben und das uns anvertraut worden ist, mißbrauchen, wollten wir Ihnen erlauben, bei dieser Gelegenheit das Haus zur Regierungsunfähigkeit und zur Sterilität zu verurteilen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Es wäre falsch, wollten Sie sich darüber täuschen. Wir werden jedenfalls dem Versuch, das deutsche Volk darüber zu täuschen, mit aller Entschlossenheit entgegentreten.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Genau so gut wie wir am 14. August — und zwar jeder einzelne von uns, der direkt gewählt worden ist — auch eine andere Entscheidung als eine demokratische Entscheidung hingenommen hätten, genau so gut verlangen wir von Ihnen, daß Sie das auch Ihrerseits tun. Wir verlangen das nun nicht von Ihnen um eines Partei- oder Gruppeninteresses willen, sondern wir verlangen


    (Dr. Schröder)

    es im Interesse der Demokratie und unseres gemeinsamen Staates.

    (Bravo! bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren! Es schien mir notwendig zu sein, diese Vorbemerkungen zu machen, um einige Dinge wieder in das richtige Gleis zu rücken und hier zunächst einmal die demokratischen Positionen festzulegen, von denen aus gesprochen wird. Nun will ich noch eine grundsätzliche Bemerkung über das Verhältnis von Parlament und Regierung, wie wir es sehen, hinzufügen. Ich sagte bereits, daß die vom Parlament gewählte Bundesregierung — —

    (Wiederholte Zurufe von der SPD. — Glocke des Präsidenten.)