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ID0101701300

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    Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 15. November 1949 397 17. Sitzung Bonn, Dienstag, den 15. November 1949. Geschäftliche Mitteilungen 397B Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung 397C Dr. Adenauer, Bundeskanzler 397C, 408B, 442A, 447C Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 400C Dr. Schumacher (SPD) . . . 400C, 446A Dr. Gerstenmaier (CDU) 408D Dr. Schröder (CDU) . . . . . . 413B Euler (FDP) ....... . 417C Dr. von Merkatz (DP) . . . . . 421D Dr. Seelos (BP) 424A Reimann (KPD) . . , . . . . 427A Loritz (WAV) 429D Frau Wessel (Z) ...... . 431B von Thadden (NR) . . 434D Dr. Ott (Parteilos) ..... . 437B Dr. Becker (FDP) 437D Storch, Bundesminister für Arbeit 438D Dr. Schmid (SPD) . . . . . 439C Fisch (KPD) 444D Dr. von Brentano (CDU) . . . 447D Nächste Sitzung 448D Die Sitzung wird um 15 Uhr 6 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Carlo Schmid


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, nicht dauernd zu stören. Der Redner kann ja seine Rede sonst nicht verlesen.

    (Große Heiterkeit bei der SPD. — Andauernde Unruhe.)

    Dr. Schröder (CDU/CSU) Ich sagte bereits, daß die vom Parlament gewählte Bundesregierung Rechte und Pflichten hat.

    (Fortgesetze Unruhe.)

    — Meine Damen und Herren! Ich habe mir erlaubt, dem Herrn Präsidenten zu versichern, daß es noch ginge. — Also ich sagte bereits, daß der vom Parlament gewählte Bundeskanzler das Recht und die Pflicht hat, die Grundlinien der Politik zu bestimmen. Dabei ist es völlig klar, daß er, wenn er auch nur eine Spur von Sinn für Realismus hat — und Sie werden, glaube ich, dem Bundeskanzler Dr. Adenauer nicht absprechen wollen, daß er Sinn für Realismus hat —, in einem solchen Falle nur einen Regierungskurs verfolgen wird, für den er eine Mehrheit im Parlament hinter sich weiß. Ich habe den Eindruck, daß manche Äußerungen der Opposition der letzten Zeit von der Vorstellung ausgingen, als ob die Regierung sozusagen zu jedem außenpolitischen Schritt von vornherein eine Ermächtigung des Parlaments, vielleicht noch insbesondere der Opposition, einholen müßte, um legitimiert zu sein. Diese Auffassung stimmt mit unserer verfassungsmäßigen Situation nicht überein, und sie erinnert mich wirklich — daher stammt sie ja auch — an die SED-Verfassungen, die eine Gewaltenteilung in unserem Sinne nicht kennen, sondern die Legislative, Exekutive und richterliche Funktion in der Spitze beim Parlament sehen. Es scheint mir nötig zu sein, daß wir einer solchen Auffassung gegenüber einen deutlichen Trennungsstrich ziehen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Es ist hier nun gesagt worden, die Bundesregierung habe Vorleistungen erbracht. Demgegenüber
    muß festgestellt werden: es sind überhaupt keine
    Vorleistungen erbracht worden. Die Bundesregierung hat nichts weiter getan, als eine Reihe von
    Grundsätzen zu entwickeln, und der Bundeskanzler hat Ihnen ja eben seine Note vom 1. November
    und sein Aide-Mémoire vom 7. November vorgelesen. Seine Interviews kennen Sie auch. Jedenfalls ist soviel daraus zu entnehmen, daß eine
    echte Bindung von der Bundesregierung nicht eingegangen worden ist und im gegenwärtigen Stadium auch überhaupt noch nicht eingegangen werden konnte. In seinem Schreiben an die Hohe
    Kommission vom 1. November und in dem AideMémoire ist die Bereitwilligkeit erklärt worden,
    dem Sicherheitsbedürfnis gegenüber der Bundesrepublik Deutschland Rechnung zu tragen und in jedem Organ mitzuarbeiten, das das mögliche Kriegspotential Deutschlands zu kontrollieren hat. Die Sicherheitsfrage, die damit zusammenhängt, und die internationalen wirtschaftlichen Fragen sollten in einem Ausschuß unter Teilnahme deutscher Vertreter erörtert werden.
    Nun hat darüber hinaus das Aide-Mémoire vom 7. November einige dieser Fragen konkretisiert, und in diesem Zusammenhang ist auch zu dem Fragenkomplex etwaiger ausländischer Beteiligung ein Memorandum der Vereinigten Stahlwerke beigefügt worden, ein Plan, auf den ich gleich noch zu sprechen kommen werde. Man wird schwerlich sagen können, daß hier deutsche Vorleistungen realisiert worden seien, bevor eine konkrete Gegenleistung in Aussicht gestellt oder gewährt worden sei. Die Tatsache, daß der Herr Bundeskanzler erklärt hat, daß er die deutsch-französischen Beziehungen zu einem Angelpunkt seiner Politik zu machen entschlossen ist, hat nach seinem Interview in der „Zeit" vom 3. November innerhalb Deutschlands weithin Zustimmung gefunden. Ich glaube. das Hohe Haus hat auch vorhin mit seiner Zustimmung zu der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers diese Linie noch einmal unterstrichen. Das bedeutet ja doch nichts weiter als den Ausdruck dafür, daß bei uns seit langem das Verständnis gewachsen ist, der Aufbau eines fortschrittlichen Europas sei unmöglich ohne einen positiven Ausgleich mit unserem großen französischen Nachbarvolk. Nach all den Erklärungen, die von Regierungsseite seit dem Tage der Bildung des Kabinetts abgegeben worden sind, sollte eigentlich niemand einen berechtigten Zweifel daran haben können, daß die Betonung des Ausgleichs mit Frankreich allerdings nicht einen Gedächtnisschwund zu Lasten unserer Brüder im Osten bedeutet. Wir können auch zum Beispiel dem Kollegen Schmid darin zustimmen, daß sich unser Europa nicht auf die westliche Welt plus Westdeutschland beschränkt, sondern daß wir genau wie er auch das östliche Europa als dazugehörig betrachten. Das sollte aber so selbstverständlich sein, daß wir es nicht immer zu wiederholen brauchen.
    Es ist ja auch nicht so, als ob sich die Opposition grundsätzlich gegen die europäische Konzeption der Bundesregierung wendete, sondern sie befürchtet, wenn ich es richtig verstanden habe, die Anerkennung einer hegemonialen Stellung Frankreichs und sieht diese Gefahr besonders im Hinblick auf das Saargebiet gegeben. Wir halten es mit dem Herrn Bundeskanzler für sehr bedauerlich, daß die Saarfrage überhaupt mit der Europafrage verknüpft worden ist. Die Regelung der Saarfrage soll und muß in ihrer endgültigen Form dem Friedensvertrag vorbehalten bleiben.
    Aber, meine , Damen und Herren, wenn es — nicht mit unserem Zutun — doch dazu kommen sollte, daß in absehbarer Zeit Deutschland mit etwa 18 Abgeordneten ebenso wie Großbritannien, Frankreich und Italien in den Europarat einziehen sollte und sich dann zu uns der Vertreter der Saar gesellen würde, dann wollen wir hoffen — und ich sage das hier als geborener Saarbrücker daß wir uns als Freunde und Brüder begrüßen können. Mir scheint, daß dieser Sachverhalt von vornherein so klargestellt werden kann, daß später Mißverständnisse oder Festlegungen unbedingt vermieden werden. Wir sehen hier nur ein Provisorium vorbehaltlich der Lösung im Friedensvertrag, und da brauche ich wohl kaum hinzuzufügen, daß es für uns nicht


    (Dr. Schröder)

    I die Möglichkeit gibt, irgendwo und irgenwie auf deutsches Land zu verzichten. Das ist für uns schlechthin indiskutabel. Aber darum geht es ja auch gar nicht.
    Die gegenwärtigen Verhandlungen leiden nun ohne Zweifel darunter, daß durch die Demontagen ein Druck auf sie ausgeübt wird und daß der Fortgang der Demontagen in den letzten Wochen laufend einen solchen Druck dargestellt hat. Über dieses Problem ist in diesem Hause von Anfang an sehr viel gesagt worden. Mindestens soviel aber hat sich doch in der Zwischenzeit als eine Binsenwahrheit ergeben: daß das Demontageproblem allein schon wegen seiner Langlebigkeit eine schwere psychologische Last geworden ist, und die „Times" zum Beispiel hat erst vor einer Woche zum Ausdruck gebracht, daß die Demontage schon aus dem Grunde gestoppt werden müßte, weil sie ein ernsthaftes Hindernis für die vernünftige Politik einer europäischen Zusammenarbeit sei. Wir freuen uns, aus den Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers über seine Unterhaltung mit der Hohen Kommission entnehmen zu können, daß diese Erkenntnis nunmehr auch in die Praxis, jedenfalls an wesentlichen Stellen umgesetzt werden wird.
    Nun ist die Reparationsseite des Demontageproblems in der letzten Zeit mehr und mehr in den Hintergrund getreten, während die Sicherheitsfrage an Gewicht gewonnen hat. Von dieser Seite her läßt sich meines Erachtens auf der Grundlage gerade der neuen und jetzt zu praktizierenden Vorschläge der Bundesregierung an das Problem herankommen. Mir scheint der Gedanke, die dauernde und befriedigende Regelung dieses Sicherheitskomplexes in einem gemischten Ausschuß zu besprechen, durchaus glücklich. Einstweilen fehlt es uns nämlich nicht nur an einem einfachen und klaren System für die Regelung der Sicherheitsfrage, sondern darüber hinaus an einer Abstimmung all dieser Dinge wie Ruhrstatut, Direktive für das Sicherheitsamt für Westdeutschland und Besatzungsinstitut. Es wird die Aufgabe der kommenden Verhandlungen sein, diese Institute in ein möglichst einfaches und klares System zu bringen.
    Das Ruhrstatut hat die Eigentümlichkeit, daß an ihm nicht nur die drei Besatzungsmächte, sondern auch die Benelux-Staaten beteiligt sind. Wie Sie wissen, hat sich die Tätigkeit der Ruhrbehörde bisher eigentlich mehr im Rahmen des Protokollarischen bewegt, während sie auf dem Gebiete, für das sie wenigstens zum Teil eine Zuständigkeit hat — die Kohlenkontrolle und die Stahlgruppe, die mit ihr keine unmittelbare Verbindung haben —, wesentlich mehr Aktivität zu entfalten hatte. Der Ausschuß wird also die nicht ganz einfache Aufgabe haben, diese Dreimächteinstitutionen mit der Sechsmächteinstitution — unter Einrechnung Deutschlands sogar Siebenmächteinstitution — in eine klare Abstimmung zu bringen.
    In diese Anpassung und Abstimmung müßten aus dem Besatzungsstatut insbesondere auch die Bestimmungen einbezogen werden, die sich auf das von der Ruhrbehörde, dem Sicherheitsamt und der Kohle-, Eisen- und Stahlgruppe behandelte Gebiet beziehen. Der Kompliziertheit dieser Aufgabe sind wir uns voll bewußt. Sie muß aber gerade dann gelöst werden, wenn man die möglichen Reibungsflächen zwischen uns und den alliierten Mächten auf das geringste Maß zu beschränken vorhat.
    Meine Damen und Herren! Die Frage des Beitritts zur Ruhrbehörde kann in diesem Stadium der Verhandlungen nach meiner Meinung im einzelnen noch nicht diskutiert werden. Wenn man sie aber behandelt, darf man nicht übersehen, daß das Ruhrstatut in der gegenwärtigen Form zwar eine völkerrechtliche Servitut auf uns legt, aber den Signatarmächten keine ähnliche Beschränkung auferlegt. Die Einseitigkeit der Beschränkungen müßte selbst dann immer wieder zu Schwierigkeiten führen, wenn Deutschland an ihrer Regulierung durch seine Mitarbeit im Rat beteiligt wäre. Von deutscher Seite ist daher gerade wegen dieser Einseitigkeit des Ruhrstatuts immer wieder die Anregung gegeben worden, es nur als eine Vorstufe zu einer wahrhaft europäischen Regelung aufzufassen. Mag der Weg bis dahin auch noch weit sein, so sollte man für die in Aussicht gestellte Mitarbeit dann eine Form finden, die vor allem den Weg für eine künftige Weiterentwicklung offenhält und erleichtert. Dabei sollte der fruchtbare Gedanke erneut aufgegriffen und gründlich untersucht werden, ob nicht die Ausgestaltung des Statuts zu einem Zweckverband möglich ist, in den Deutschland die Ruhr, Frankreich die Erzvorkommen Lothringens, beide zusammen die Saar und schließlich Belgien und Luxemburg ihre Schwerindustrie einbringen würden. Eine wahrhafte Europäisierung der europäischen Grundstoffindustrien ließe sich sicher nicht wirkungsvoller einleiten. Ich darf mich auch hier noch einmal dem anschließen, was der Herr Kollege Schmid ausgeführt hat, der seinerseits den Gedanken einer zollvereinsähnlichen Regelung entwickelt hat, einen Gedanken, der an sich schon wert ist, auch bei den künftigen Besprechungen besonders beachtet zu werden. Obwohl es sich hier grundsätzlich um, eine Materie handelt, bei der die Verhandlungen der Regierung und ihren Beauftragten überlassen bleiben müssen, scheint es mir empfehlenswert, daß auch Sachverständige der Opposition in geeigneter Weise zur Mitarbeit herangezogen werden, um für dieses materiell bedeutsame und formell schwierige Gebiet die besten Köpfe heranzuziehen.
    Meine Damen und Herren! Wir kennen also die Konzeption der Regierung. Ich habe nun heute nach der Konzeption der Opposition gesucht und mich gefragt, mit welchen Mitteln, Vorschlägen und Hilfen sie diese ihre Konzeption durchsetzen will. Nun, aus den Ausführungen des Redners der Opposition habe ich auf diese Frage keine befriedigende Antwort gehört. Die Opposition hat das Unglück gehabt, gerade in diesen Tagen aus London ein Telegramm zu bekommen, das im Grunde, meine Damen und Herren, ja nichts anderes enthält als das, was auch in den Sätzen — und nun aus der umgekehrten Perspektive — der Note des Herrn Bundeskanzlers vom 1. November enthalten ist. Sie alle in diesem Hohen Hause wissen es ja, daß auch die Äußerungen der Opposition zu diesem Telegramm der Labour Party doch recht zurückhaltend gewesen sind.
    Es ist dann ein schwerwiegender Punkt angeschnitten worden, mit dem ich mich doch noch besonders beschäftigen möchte. Das ist der Plan der Vereinigten Stahlwerke. Ich möchte hier eines ganz klar und deutlich herausstellen: es handelt sich hier nicht um einen Plan der Regierung, sondern es handelt sich um einen Plan der Vereinigten Stahlwerke.

    (Zurufe von der SPD.)



    (Dr. Schröder)

    Als solcher ist er auch von dem Herrn Bundeskanzler bezeichnet und behandelt worden. Meine Damen und Herren, wir werden bei der Diskussion über diese Frage noch sehr viele Pläne auf den Tisch des Hauses bekommen, nicht zuletzt von Ihnen. Dies ist nun einmal der Plan der Vereinigten Stahlwerke, und daß er genau so gut wie auch andere Pläne in diesem Zusammenhang diskutiert werden kann, sollten Sie nicht in Abrede stellen.
    Wieweit nun die sachliche und rechtliche Legitimation der Vereinigten Stahlwerke zur Aufstellung eines solchen ,Planes gegeben ist, will ich nicht weiter erörtern. Ich möchte jedoch hervorheben, daß zu seiner Realisierung natürlich manche Voraussetzungen fehlen, nicht zuletzt die des Gesetzes 75 der Militärregierung, das ein Bestandteil unseres Rechts geworden ist. Dieses Gesetz 75 hat diesem Hohen Hause die Aufgabe übertragen, sich mit der Regelung der Eigentumsverhältnisse bei Kohle und Eisen zu beschäftigen. Aber, meine Damen und Herren — und damit sage ich doch auch Ihnen auf der Seite der Opposition schwerlich etwas Neues —, wollen Sie sich noch an die Regierungserklärung erinnern, in der die Frage einer Neuordnung der Eigentumsverhältnisse der Grundindustrien ausdrücklich behandelt wonden ist. Außerdem werden Sie sich vielleicht noch an den Antrag Nr. 109 erinnern, einen Antrag, den die CDU eingebracht hat und der diese Frage, die im Augenblick bereits in den Ausschüssen behandelt wird, von neuem unterstrichen und zur Erörterung gestellt hat. Es wäre also völlig falsch, dem Plan der Vereinigten Stahlwerke in diesem Zusammenhang jene, wie mir scheint, allzu weittragende Bedeutung beizumessen, wie der Sprecher der Opposition das getan hat.
    Welches muß denn nun das Ziel unserer Unterhändler bei der Besprechung und Prüfung unserer Probleme im Verhältnis zu .den Alliierten und Europa sein? Dabei ist die wesentliche Ausgangslage die, daß es sich hier um nichts weiter handelt als darum, die Basis dafür zu finden, daß diese 47 Millionen Menschen in den Westzonen und darüber hinaus die Menschen Berlins eine Lebensgrundlage behalten. Sie werden sich erinnern, daß der Herr amerikanische Außenminister gesagt hat: den größten Teil dieser Dinge hat Deutschland zu tun; das, was wir tun können, ist mehr oder weniger eine Sache, die sich am Rande abspielt. Meine Damen und Herren, das ist ein Wort, an das wir uns sozusagen im Zeitablauf besonders werden erinnern müssen als an eine eindringliche Verpflichtung, daß es zunächst einmal an uns ist, die Basis für die Selbsterhaltung dieser rund 50 Millionen Menschen zu finden. Wenn ich zu dieser wirtschaftlichen Situation ein Zitat geben darf, so sei es das von René Lauret, dem Redakteur des „Monde", der geschrieben hat, „daß Deutschland mit seiner Produktion von 1932 oder 1.935 nicht auskommen kann, sondern daß diese Produktion in demselben Verhältnis steigen muß, wie seine Bevölkerungsdichte gestiegen ist. Als die Alliierten das deutsche Gebiet stark beschnitten, haben sie Deutschland automatisch verurteilt, eine größere industrielle Macht zu werden". Ich glaube aber, für die Bundesregierung wird es lediglich eine Selbstverständlichkeit sein, daß auch dieser Gegenstand in den künftigen Verhandlungen eine große Rolle wird spielen müssen.
    Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich schließen, indem ich der Überzeugung Ausdruck
    gebe, daß vor allem, die jüngere Generation in Deutschland für eine klare und entschlossene Behandlung der Probleme in Richtung Europas besonderes Verständnis haben wird und daß sie die Regierung danach beurteilen wird, wie fest sie bei der Lösung ihrer Aufgaben sein wird. Deswegen möchte ich dem Herrn Bundeskanzler sagen: Wenn die Regierung den Weg, den sie selbst aufgezeigt hat und den die hinter ihr stehenden Parteien bejahen, klar und entschlossen geht, wenn sie ihn zäh und geduldig verfolgt — ohne alles Pathos und ohne jeden Krampf, aber im Bewußtsein ihrer einmaligen geschichtlichen Verpflichtung —, dann, Herr Bundeskanzler, können wir Ihnen versichern, daß die Mehrheit dieses Hauses sund die Mehrheit aller Deutschen Ihnen dabei die Gefolgschaft nicht versagen wird.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von August-Martin Euler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist bisher hier wenig davon die Rede gewesen, daß Europa und alle Völker außerhalb des russischen Vorhangs in einer tödlichen Gefahr stehen, in der Gefahr der Vernichtung im wahrsten Sinne des Wortes, und davon muß gesprochen werden. Denn das muß Ausgangspunkt einer wieder anhebenden deutschen Außenpolitik sein. Von Wladiwostok bis Eisenach reicht heute der Block, der unter der Führung des Kreml steht. Die „Tägliche Rundschau" war es erst in diesen Tagen, die entsprechend der allgemeinen Propagandalinie diesen Gedanken der ungeheuren Ausdehnung der Macht des Kreml propagandistisch darzustellen suchte, indem sie an den Rändern entlang die dem russischen Einflußbereich nicht unterfallenden Staaten weiß aussparte, um sie mit der Unterschrift zu versehen: „Es sind nur wenige Völker am Rande des großen eurasischen Kontinents, von Japan über den Indischen Ozean und das Mittelmeer bis hinauf zur Nordsee, die noch auf ihre Befreiung warten."
    Die Westalliierten haben sich lange dagegen gesträubt, die wahre Natur des sowjetischen Despotismus zu erkennen und ihm mit einer Schutzpolitik entgegenzutreten, der es darauf ankam, alle Kräfte zu sammeln, um weitere russische Aggressionen und Invasionen zu verhindern. Vorausgegangen war die Vergewaltigung der Balkanländer, der Umsturz in der Tschechoslowakei, der Pressionsversuch gegenüber Finnland, und vor allen Dingen die Blockade Berlins, mitten im Frieden! Diese Blockade war darauf angelegt, die Berliner Bevölkerung durch Aushungerung zur Übergabe zu bringen, durch Herbeiführung äußerster Notzustände die Westmächte zur Übergabe der Stadt zu bewegen. Berlin hat einen heroischen Kampf für Deutschland, für Europa, für die ganze westliche Welt gekämpft und tut es heute noch gegenüber jener Macht, für die der Frieden oder das Schweigen der Waffen nur die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln bedeutet.
    In dieser Lage ist es für alle Völker diesseits des eisernen Vorhangs notwendig, das Abendland vor sowjetischen Aggressions- und Invasionsakten zu schützen. Das Mittel zur Erlangung der Sicherheit kann sowohl für die europäischen Völker als auch darüber hinaus für die Völker jenseits des At-


    (Euler)

    lantik und die Völker in Asien, denen eine frühe Selbständigkeit zuerkannt wurde, nur die Vereinigung sein, die neue Zerwürfnisse ausschließt, die Vereinigung, die Kräfte zusammenfaßt, um einer wahrhaft tödlichen Gefahr entgegenzutreten. Alle Produktivkräfte werden benötigt, um einen Wohlstand zu sichern, der jede Möglichkeit der Verführung durch jene gewitzigten Demagogen ausschließt, die nur auf Angst und darauf spekulieren, daß der in Not Befindliche doch einem verführerischen Wort offensteht, das alles zu versprechen scheint. Sicherheit ist nur durch die freudige Mitwirkung aller Völker möglich, und diese ist nur auf der Grundlage der Gleichberechtigung und Gegenseitigkeit zu gewinnen. Ein gleichmäßiger Verzicht auf Souveränitätsrechte ist das Mittel, das alle europäischen Völker — gerade auch das deutsche Volk, das ja wohl nicht entbehrt werden kann — dazu bringen kann, ihre Kräfte in den Dienst einer Lebensordnung zu stellen, die von einem Ideal beherrscht ist, das das Leben lebenswert macht. Nur über Europa kommen wir heute zur Existenzsicherung unserer Nation, und über Europa nur kommen die anderen Völker, die Franzosen ebenso wie die Italiener, die Holländer und Belgier und letzten Endes auch die Engländer zur Existenzsicherung ihrer Nation. Die Sicherheit für jedes europäische Land diesseits des eisernen Vorhangs wird nur über Europa verwirklicht.
    Dieses Europa könnte nicht einmal erstehen, wenn es heute nicht den Schutz der USA. genösse. Es kann sich nur im Schutze der Macht entfalten, die allein von den Machthabern des Kreml als solche respektiert wird und die vorläufig allein in der Lage ist, die weitere Machtentfaltung des o Kreml zu stoppen. Wir hätten gar keine Gelegenheit, uns über Europa und über Verständigung mit den westlichen Alliierten zu unterhalten; wir hätten gar keine Möglichkeit, über die Rechtfertigung von Forderungen, die an uns gestellt werden, oder aber über die Begründetheit von Forderungen, die wir geltend machen, zu diskutieren. Längst wäre die russische Lawine über die westlichen Völker bis zum Ozean hinweggegangen, und wir wären hier ebenso wie heute unsere Brüder und Schwestern im Osten Opfer eines Jochs, von dem keine Befreiung zu erwarten wäre. Dessen müssen wir immer eingedenk sein, daß die USA. heute die Träger der europäischen Einigungsbestrebungen sind, weil nur der von ihnen kommende Schutz und die von ihnen kommende materielle Hilfe in der Lage sind, Europa überhaupt zum Werden kommen zu lassen. Vergessen wir niemals, daß der Atlantikpakt uns aus dem Niemandsland herausnahm, daß das von den westlichen Mächten besetzte Deutschland kraft des Atlantikpaktes ein geschütztes Land ist; und denken wir weiter daran, daß es die Konzeption des Marshallplans war, daß die materielle Hilfe, die über den Marshallplan allen europäischen Völkern und namentlich uns Deutschen zufließt, den ersten Schutz gegen eine Verelendung bot, in der sich heute unsere Brüder und Schwestern in der Ostzone noch mitten drin befinden. Der Marshallplan als wirtschaftliches Mittel der europäischen Vereinigung wird noch weiterhin seine Früchte tragen, wenn er von uns allen eben als ein Mittel aufgefaßt wird, das einzusetzen ist, um bei seinem Ablauf Vorrichtungen aus eigener Hilfe oder fördernde Umstände aus eigener Hilfe den Verelendungsbedingungen entgegensetzen zu können.
    Das geschlagene Deutschland zum Mitträger einer neuen europäischen Ordnung zu machen, ist unser deutsches Streben, ein Streben, das aus einem alltäglichen Erlebnis heraus immer neue Nahrung empfängt, aus dem Erlebnis, daß mehr als tausend Menschen täglich aus der Ostzone herüberfluten und immer aufs neue die Nachricht von neuen Mitteln des Despotismus, von neuen Mitteln der Vergewaltigung und Vernichtung von Menschen mit sich bringen.
    Eingeordnet in die westliche Welt wollen wir sein, ein zuverlässiger Baustein einer neuen Ordnung, die — so hoffen wir — derart erstarken wird, daß sie im Laufe der Zeit die russische Politik zu einer weisen Selbstbeschränkung führt, zu einer Resignation mit der Folge des Verzichts auf Gebiete, die niemals russisch waren und niemals russisch sein werden, deren Bevölkerung nur darauf wartet, von einem unerträglichen Joch befreit zu werden.

    (Abg. Rische: Wieviel Divisionen wollen Sie denn?)

    Gegenüber dieser Zielsetzung eines entstehenden Europas besteht nun leider die Gefahr einer zu langsamen Entfaltung, die daher kommt, daß das Mißtrauen zwischen den einzelnen europäischen Völkern einen großen Widerspruch zwischen der Ideologie und der Wirklichkeit der Besatzungspolitik der westlichen Mächte in Deutschland klaffen läßt. Diesen Widerspruch, die Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Verkündung zu überwinden, damit wir ein gleichberechtigtes Glied der europäischen Völkerfamilie werden, ist nur dann möglich, wenn alle Beteiligten bemüht sind, Vertrauen zu erwerben und Vertrauen zu sichern. Es gibt nur ein Gesetz der wiederanhebenden deutschen Außenpolitik: Erwerb und Sicherung von Vertrauen in den Ländern, in denen Recht und Freiheit als wegweisende Ideen einer neuen zwischenstaatlichen Lebensordnung lebendig sind, in denen Recht und Freiheit als Träger einer neuen Ordnung überhaupt vertreten werden dürfen. Eine solche Politik kann nicht als „pro-westlerisch" bezeichnet werden, wie dies Herr Dr. Schumacher tat. Was heißt in der heutigen Situation „pro-westlerisch", da wir überhaupt nur mit dem Westen zusammenarbeiten können, da wir doch überhaupt nur jene Völker und jene Staaten angehen können, um gemeinsam mit ihnen der Überfremdungsgefahr, der Aggressionsgefahr aus dem Osten zu begegnen? Die Politik einer erfolgreichen Befreiung muß eine Politik der gleichberechtigten Einordnung in eine internationale Ordnung sein, wie sie von den Angelsachsen, von den west-, mittel-, süd- und nordeuropäischen Völkern erstrebt wird.

    (Abg. Rische: Hitlers „Neuordnung in Europa"!)

    Vertrauensstörung erwächst, wenn wir den Anschein erwecken, als könnte irgend etwas geeignet sein, von der entstehenden deutschen Freiheit einen solchen Gebrauch zu machen, daß wir gegebenenfalls für den Osten optieren könnten. Das ist der eigentliche Hintergrund der heutigen Befürchtungen Frankreichs und Englands, daß in dem Maße, wie die deutsche Industrie leistungsfähig wird, wie wir wieder die freie Disposition gewinnen, diese Freiheit vielleicht doch einmal dazu verwandt werden könnte, aus einem beschränkten nationalstaatlichen Denken heraus gegen den Westen eingesetzt zu werden. Deswegen ist es gerade heute in dieser Debatte wichtig, klare Auskunft über unseren geistigen Standort zu


    (Euler)

    geben. Und zu dieser klaren Auskunft gehört die entschiedene Absage an alle Arten verdächtiger Neutralitätspolitik seltsamer Brückenschläger, die sich an bestimmte historische Situationen der Vergangenheit erinnern und sie durch völlig unbegründete, falsche Analogien auf die heutige Zeit übertragen. Es ist letzten Endes nicht verwunderlich, wenn es Männer wie Nadolny gibt, die nicht mehr in der Lage sind, die ungeheuren Verschiebungen der Machtverhältnisse in der Welt zu realisieren, und deswegen zu falschen Entscheidungen kommen. Weil sie gewisse Reminiszenzen an Bismarcksche Politik haben, gewisse Reminiszenzen an Rapallo, kommen sie zu falschen Schlüssen über das, was heute oder in Zukunft möglich oder auch nur zweckdienlich ist.
    Gerade in dem Augenblick, in dem die Initiative der USA zur Beseitigung harter Widersprüche zwischen der Praxis und der Ideologie der westlichen Besatzungsmächte führen soll, ist es wesentlich, daß von dieser Stelle Klarheit über unsern geistigen und politischen Standort geschaffen wird. Es ist eine immerhin recht bedeutungsvolle Stunde der Ausweitung der deutschen Freiheit — die einem neuen Europa zugute kommen soll —, in der wir uns befinden. Wenn irgend etwas begrüßenswert ist, dann ist es die Anregung der Regierung, wesentliche Fragen in einem Ausschuß unter Teilnahme deutscher Vertreter zu erörtern, und wie schon die fünf Punkte, die die Regierung in ihrer Note vom 1. November genannt hat, zeigen, handelt es sich dabei um eine Beratung, die zu einer Erörterung des Gesamtproblems Deutschland mit dem Ziele der offiziellen Beendigung des Kriegszustandes führen soll. Wenn das angestrebt wird, so kann es keinen Zweifel geben, daß viele der Fragen, die bisher nicht erwähnt oder angeschnitten worden sind, in den Kreis der Erörterungen einbezogen werden müssen. Seien wit aber froh, daß diese Erörterungen begonnen haben und daß wesentliche Fragen den Ausgangspunkt zu einer weiteren Erörterung bilden, von der wir glauben, daß sie sich auf alle Lebensgebiete erstrecken und zur Folge haben wird, daß die Beendigung des Kriegszustandes unter Bedingungen ausgesprochen wird, die unserem Volke klar zeigen, welches der Unterschied zwischen östlichen Verheißungen und westlichen Erfüllungen ist. Das ist aber nur durch Stärkung des Vertrauens möglich.
    Beweise des ernsten Wunsches — so heißt es in dem Kommuniqué über die Pariser Konferenz — sollten erbracht werden, daß wir das Bedürfnis nach einer Gemeinschaft mit den Nationen haben, die der Sache der Demokratie, der Gerechtigkeit und des Friedens ergeben sind. Solche Beweise sollen nichts anderes sein als Vorleistungen, nicht Beweise des Wortes, sondern der Tat. Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, es kommt ganz wesentlich darauf an, wie der Charakter der Vorleistungen beschaffen ist. Sind diese Vorleistungen derart, daß bei unserer Bevölkerung der Eindruck entsteht, Europa werde vom Westen her mit der Maßgabe bejaht, daß innerhalb Europas Deutschland dauernd eine Nation geminderten Rechtes bleiben solle, daß es außerhalb der Gleichberechtigung mit einer gewissen Distanziertheit neben den Nationen vollen, ungeschmälerten Rechtes stehen solle, dann, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird die politisch-psychologische Reaktion in unserer Bevölkerung außerordentlich bedauerlich sein.
    Der Herr Bundeskanzler hat in seinem Interview in der „Zeit" einige Ausführungen gemacht, die meines Erachtens mitten ins Schwarze treffen. Das Maß der gegenseitigen Rücksichtnahme — so sagte er — müsse darauf abgestellt sein, auf beiden Seiten ein Vertrauensverhältnis entstehen zu lassen. Man darf nicht nur auf der einen Seite — das sollten die Westmächte nicht verkennen — die Gefahr der Vertrauensminderung in Frankreich gegenüber Deutschland sehen, sondern die Besatzungsmächte müssen umgekehrt die Gefahr eines entschiedenen Vertrauensverlustes in der deutschen Bevölkerung gegenüber dem Westen erkennen. Nur wenn man diese beiden Seiten sieht, wird man eine Bereitschaft zu Regelungen finden, aus der heraus das hervorgehen wird, was nicht nur unsere Bevölkerung, sondern was ebenso das französische Volk erwartet und was letzten Endes alle Völker Europas erwarten. Die Initiative der Regierung, aus dem Geiste der deutschen und europäischen Verantwortung, der Besonnenheit und des Maßes in Erörterungen einzutreten, die das Problem Deutschland in seiner ganzen Breite aufrollen sollen. ist begrüßenswert und sollte auch von der Opposition anerkannt werden.
    Die Problematik einer beginnenden Außenpolitik ohne zureichenden Apparat ist allerdings gleich bei den ersten Erörterungen hervorgetreten, und man sollte sich auf seiten der Alliierten nun wirklich ernstlich fragen, ob es nicht völkerrechtlich in eine Sackgasse führt, wenn man uns ein Außenamt vorenthält, das ja nur die sorgfältige Behandlung all der Fragen zur Aufgabe haben soll, die jetzt in immer größerer Fülle hervortreten und mit äußerster Sorgsamkeit bearbeitet werden müssen.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unter a den Punkten, die die Regierung zunächst zu behandeln angeregt hat, ist einer von ganz besonderer Bedeutung, wenn man berücksichtigt, daß ja Verhältnisse geschaffen werden sollen, die der Entwicklung Europas nicht nur in Gedanken, sondern in der Lebenswirklichkeit dienlich sein können, und das ist die Beteiligung ausländischen Kapitals an deutschen Werken. Es war nachgerade zu erwarten, daß die Erörterung auch nur einer solchen Absicht eine Art Wutanfall der sozialistischen Opposition auslösen würde.

    (Unruhe links.)

    Denn die Äußerungen des Herrn Dr. Schumacher in den letzten Tagen zu diesem Punkt waren von keinerlei Sachlichkeit mehr getragen, sie waren auch nicht von dem Willen beseelt, überhaupt Verständnis zu suchen; sie waren nur von dem Willen getragen, den Vorschlag der Regierung von vornherein auf demagogische Weise zu diskreditieren.

    (Beifall rechts.)

    Es liegt auf derselben Linie, wenn Herr Dr. Schumacher beispielsweise davon sprach, es handle sich darum, einen alliierten Gendarmen in Deutschland vor den Geldschrank des Großbesitzes zu stellen, oder wenn er heute — nur in der Form abgemildert, aber in der Sache genau dasselbe meinend — von einer Frankreich-Deutschland-AG sprach und sagte, es handle sich lediglich um eine Verbindung der Schwerindustrien. Nun, solche Äußerungen sind im Grunde genommen nicht verwunderlich, denn sie entspringen der Betrachtungsweise des klassenkämpferischen Marxismus.

    (Sehr gut! rechts. — Gegenrufe links.)



    (Euler)

    Wir lassen uns allein von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise leiten, deren Vernunft sehr simpel darzustellen ist.

    (Zuruf bei der SPD: Aber sehr simpel!)

    Wir leiden unter Kapitalmangel. Das Kapital könnten wir aus eigenen Ersparnissen und aus eigener Arbeit nur nach einer langen Reihe von Jahren in dem erforderlichen Umfang aufbringen, um die dringenden Anliegen der Produktionserneuerung und des Wohnungsbaus gerade im Ruhrgebiet mit der Schnelligkeit zu erfüllen, deren es bedarf, um die Not zu lindern. Wenn Sie, meine Herren von der Linken, dagegen hetzen, daß wir ausländisches Kapital hereinnehmen, verurteilen Sie damit unsere Bevölkerung dazu, daß ihr Wohlstand noch eine sehr lange Zeit außerordentlich gemindert bleibt.

    (Bravorufe und Händeklatschen rechts. — Zuruf bei der SPD: Sehr simpel! — Zurufe bei der KPD.)

    Durch die Hereinnahme ausländischen Kapitals
    werden wir ohne weiteres In die Lage versetzt, den ungeheuren Ersatzbedarf sowie den
    großen Bedarf an Erneuerungen, die den technischen Fortschritten Rechnung tragen sollen, in
    verhältnismäßig kurzer Zeit zu befriedigen und damit einen entscheidenden Beitrag dazu zu leisten

    (Abg. Renner: Zum Ausverkauf!)

    — ich komme gleich auf den Zuruf vom Ausverkauf zurück daß eine hinreichende Arbeitsmöglichkeit und Beschäftigung sichergestellt sind.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der
    Ostzone haben sich die Russen alle interessanten
    Betriebe als sogenannte Sowjet-AGs genommen.

    (Lachen und Zurufe bei der KPD.)

    Im Gegensatz dazu handelt es sich im Westen überhaupt nicht um Majoritätsbeteiligungen, sondern lediglich um das Angebot, um die Einladung, Minoritätsbeteiligungen zu geben.
    In diesem Zusammenhang möchte ich der Regierung allerdings ein Wort mit auf den Weg geben. Wir sollten die Aufmerksamkeit darauf richten, daß nicht Beteiligungen von einer solchen Höhe gegeben werden, daß im Handumdrehen infolge Zukaufs von Streubesitz usw. aus einer starken Minorität eine schwache Majorität wird.

    (Abg. Renner: Aha!)

    Wenn derartiges geschehen würde, wäre das politisch nicht weniger verkehrt als wirtschaftlich. Politisch handelt es sich um folgendes. Dem Ausländer soll im Zusammenhang mit der Sicherheitsfrage ein gewisser Einblick und auch ein Interesse an deutschen Werken gegeben werden; der Ausländer soll dadurch mehr aufgeschlossen werden für die wirtschaftlichen und politischen Bedürfnisse Deutschlands; er soll ein besseres Einschätzungs-
    und Beurteilungsvermögen über die von allen möglichen Seiten behaupteten Gefahren einer etwaigen deutschen Wiederaufrüstung usw. erlangen.
    Das Kontrollrecht, das mit einer Minderheitsbeteiligung verbunden ist, birgt nicht die Gefahr einer Überfremdung in sich, wenn die Angelegenheit von vornherein von allen Beteiligten politisch und wirtschaftlich so besonnen angefaßt wird, wie es die Schwierigkeit dieses Problems erfordert. Man muß die Forderung nach Beschränkung auf Minderheitsbeteiligung deutlich hervorheben. Der Vorschlag der Vereinigten Stahlwerke ging beispielsweise auf Einräumung einer Minderheitsbeteiligung von 28 Prozent. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratie und
    der KPD, die Sie j a immer dann gemeinsam kämpfen, wenn es sich um marxistische Grundsätze handelt: wenn man die Beschränkung auf Minderheitsbeteiligungen klar hervorhebt, zerrinnen Ihre nationalen Vorwände.

    (Zurufe links.)

    Sie suchen ja nur nationale Vorwände, um sozialistische Nöte zu verbergen.

    (Zurufe bei der SPD und KPD.)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade von diesem Gesichtspunkt der Kapitalbeteiligung her kommt man allerdings zu einer sehr kritischen Einstellung gegenüber dem Ruhrstatut. Es sollte niemals vergessen werden, daß gerade die Kapitalverflechtung, die wir als Mittel einer Liberalisierung des europäischen Handels und der europäischen Industrie für sehr wünschenswert halten, durch nichts stärker verhindert wird als eben gerade durch das Ruhrstatut. Das Ruhrstatut bietet nämlich die Möglichkeit eines ungeheuren Mißbrauchs der Verwaltungsbefugnisse und der Eingriffsrechte aus Konkurrenzgründen. Diese Gelegenheit zum Mißbrauch wird immer Befürchtungen auslösen, wenn es sich darum handelt, Kapital in deutsche Werke an der Ruhr hineinzugeben.
    Zum zweiten aber ist es wesentlich, folgendes zu erkennen. Das Ruhrstatut geht weit über die legitimen Kontrollbedürfnisse hinaus. Es geht weit über die Kontrollen hinaus, die aus Sicherheitsgründen erforderlich wären, um den Westalliierten das Vertrauen zu geben, das für sie unerläßliche Grundlage einer Zustimmung zur Politik der gleichberechtigten Einordnung Deutschlands ist. Wir haben auf der einen Seite die Sicherheitskommission, die die spezielle Aufgabe der militärischen Überwachung hat. Wir haben darüber hinaus kraft Besatzungsstatut die allgemeine Wirtschaftskontrolle. Wir haben zum dritten in dem Maße, wie die Kapitalverflechtung anzuheben beginnt, die Kontrolle des Auslandes über die Minderheitsbeteiligungen in den einzelnen Werken. Nun, man muß sagen: das reicht! Nichts kann darüber hinwegtäuschen, daß das Ruhrstatut ein Relikt einer im Grunde genommen bereits überholten Periode der westalliierten Politik in Deutschland ist.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Je früher dieses Ruhrstatut beseitigt oder durch etwas ersetzt wird, was mit dem, was sich heute Ruhrstatut nennt, sehr wenig gemein haben kann, um so besser. Ich glaube, es wäre sehr verdienstlich, wenn die Regierung gerade unter diesen Gesichtspunkten zeigen würde, daß das Ruhrstatut ein erratischer Block ist, der auf dem Wege in eine bessere europäische Zukunft liegt, wenn es nicht auf eine Weise abgewandelt wird, daß das, was dann daraus hervorgeht, sehr wenig mit dem bisherigen Ruhrstatut zu tun hat. Ich erinnere nur an Artikel 16, in dem der entscheidende Gesichtspunkt, der für eine Fortbildung des Ruhrstatuts in Betracht käme, genannt ist: Schutz solcher Unternehmen, in denen ausländische Interessen bestehen, vor der Anwendung diskriminierender Maßnahmen in irgendeinem Bereich ihrer Tätigkeit. Wenn die Ruhrkontrolle auf diesen Zweck beschränkt wird, dann wird sie auch auf andere Länder erweiterungsfähig sein, dann kann sie zu einem Instrument einer europäischen Kontrolle gegenüber den einzelnen Ländern werden mit dem Ziele, nationalistische Äußerungen einer diskriminierenden Wirtschaftspolitik, die das Zusammenwachsen Europas gefährdet, durch Überwachung


    (Euler)

    und durch Maßnahmen zu verhindern, die auf Grund dieser Überwachung zum Ausschluß der diskriminierenden Methoden getroffen werden. Dieser Umbau sollte von unserer Regierung zur Sprache gebracht werden.
    Im übrigen möchten wir bemerken, daß für die Beantwortung der Frage — wenn sie aktuell wird —: soll man dem Ruhrstatut beitreten oder nicht?, außerordentlich viel davon abhängen wird, wie die politische Gesamtlage ist, wie die gesamten Umstände im Augenblick der Beurteilung sind, insbesondere welche Zusicherungen gegeben werden, um eine Veränderung, eine Revision, eine Weiterentwicklung des Ruhrstatuts sicherzustellen. Ich erinnere daran, daß das Besatzungsstatut bindend die Revision spätestens innerhalb von 18 Monaten vorsieht. Eine ähnliche Klausel in das Ruhrstatut aufgenommen, diese Klausel des Besatzungsstatuts auf das Ruhrstatut übertragen, würde schon einen wesentlich anderen Aspekt darstellen, als wenn wir dem Ruhrstatut beitreten, ohne daß irgendwelche sicheren Revisionsmöglichkeiten. Abwandlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten gegeben werden.
    Hinsichtlich der Saar, dem anderen großen kritischen Punkt, möchte ich nur eins hervorheben. Wenn die europäische Frage weitere Fortschritte in dem Sinne macht, daß unter dem Druck der Not die europäischen Völker erkennen, wie wichtig die Realisierung ihrer Zusammenarbeit ist, wie wichtig es ist, in Europa unter einen Hut zu kommen, dann wird sich die Saarfrage eines Tages im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich ganz anders darstellen. Vom gegenwärtigen Augenblick her beurteilt, wo nationalistische Ressentiments auf beiden Seiten noch allzu sehr den Blick trüben, müßte man allerdings sagen, daß gerade dieses Problem geeignet wäre, neue große Gefahren in die Welt zu setzen. Hoffen wir, daß der europäische Gedanke stark genug ist. Ich glaube, er wird es sein, weil die aus dem Osten herandrängnede Not einfach seine Verwirklichung erzwingt. Ich glaube, es wird sich eines Tages eine Lösung finden lassen, die dem Umstand gerecht wird, daß das Saargebiet ein von deutschen Menschen bewohntes deutsches Land ist.

    (Bravo! bei der FDP.)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nichts, was bisher von seiten der Regierung geschehen ist, rechtfertigt eine Kritik, wie sie Herr Dr. Schumacher draußen in der Öffentlichkeit in den letzten Tagen entfaltet hat.

    (Abg. Rümmele: Sehr richtig!)

    Seine heutigen Ausführungen erwecken demgegenüber den Eindruck, als sei er doch durch Rücksichtnahme genötigt, nicht nur die Form, sondern auch den Inhalt der Vorwürfe wesentlich abzumildern.

    (Abg. Dr. Schumacher: Ist in keinem Punkte wahr!)

    — Es ist schlecht, Herr Dr. Schumacher, in der Öffentlichkeit zu sagen, eine Regierung, die immerhin von der Mehrheit der Wähler getragen wird, (Abg. Dr. Schumacher: Nein, in dieser Frage nicht!) sei getragen von Klasseninteressen, sie gebe sich einer ungezügelten Verdienerpolitik hin, und darüber hinaus von dem Kanzler zu sagen: Adenauer ist nicht pro-deutsch, sondern pro-französisch,

    (Abg. Dr. Schumacher: Seine Politik wirkt sich so aus!)

    und weiter zu sagen, Dean Acheson würde in Herrn
    Adenauer keinen würdigen Gesprächspartner finden. Herr Dr. Schumacher, solche Mittel der Demagogie

    (Bravo! und Händeklatschen rechts. — Abg. Dr. Schumacher: Ist ja alles nicht wahr!)


    (Sehr richtig! links)

    nun, Herr Dr. Schumacher, so liegt darin eine Verdächtigung, die Sie nicht rechtfertigen können. Was Ihren politischen, marxistischen Anschauungen nicht entspricht, ist nicht Politik des Großgrundbesitzes.

    (Zuruf von der SPD.)

    Ich glaube, der Ton, den Sie in der Öffentlichkeit angeschlagen haben, hat auch in Ihrer eigenen Partei gründlich mißfallen.

    (Zustimmung rechts. — Abg. Dr. Schumacher: Sparen Sie sich solche Belehrungen!)

    Denn schließlich ist doch eine erhebliche Kritik darin zu finden, wenn der Senatspräsident Kaisen, der ja Ihrer Partei angehört, auf einer Funktionärversammlung der SPD in Berlin am 13. November 1949 erklärt hat,

    (Zuruf von der SPD: Da kann man sagen: „Olle Kamellen"!)

    man sollte Adenauer die Chance geben, ernsthaft mit den Franzosen in ein Gespräch zu kommen, anstatt über ihn herzufallen.

    (Sehr richtig! rechts. — Zuruf von der SPD.)

    — Herr Dr. Schumacher, wir haben das Wahlbündnis mit den Nationaldemokraten geschlossen — und es ist uns gelungen, diesen Effekt zustande zul bringen —, um Wahlmethoden, wie sie in anderen deutschen Ländern üblich waren, nicht zum Erfolg kommen zu lassen.

    (Lebhafter Beif all rechts. — Zurufe links.)

    Sie übernehmen aber eine Tonart, mit der die Nationaldemokraten in Hessen bisher noch nicht konkurrieren konnten.

    (Zuruf von der SPD: So geschrien wie Sie hat er doch nicht! — Abg. Dr. Schumacher: Lesen Sie denn nie die „Kölnische Rundschau"?)

    Worum es Ihnen geht, Herr Dr. Schumacher, das ist letzten Endes das folgende. Sie meinen, wenn die Debatte vor 14 Tagen erfolgt wäre, wäre der abwesende deutsche Partner in Paris erfolgreicher gewesen. Sie wollen in der Bevölkerung den Eindruck erwecken, als seien es Ihre starken Worte, die zu einem gesteigerten Erfolg der Politik beigetragen hätten, einem Erfolg, der nicht eingetreten wäre, wenn Sie nicht diese Politik, ich möchte sagen, der verstärkten Nötigung angewendet hätten. Das halte ich nun allerdings für ganz verderblich, daß Sie sich einer Verengung des Gesichtskreises hingeben, die außenpolitische Probleme fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt behandelt, was innenpolitisch daraus für Kapital zu schlagen ist.

    (Beifall bei der FDP.)