Meine Damen und Herren! Nach den verschiedenen giftigen Reden, die wir seit Donnerstag gehört haben, nach den Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers und nach den Äußerungen in der in- und ausländischen Presse sind wir uns heute .wenigstens über eines klar: es war geradezu ein Glück, daß sich diese giftigen Reden nicht bereits in der Debatte am Donnerstag um 6 Uhr über uns ergossen haben,
und zwar zu einer Stunde, als das französische Kabinett über Schicksalsfragen des deutschen Volkes entschieden hat in einer Vorentscheidung für die letzten Beschlüsse -der drei Außenminister, die bis nach Mitternacht tagten. Aber auch der heutige Termin scheint mir noch nicht sehr günstig gewählt zu sein, um den Bundeskanzler zu zwingen, hier Erklärungen abzugeben, nach stundenlangen wichtigsten Beratungen und noch bevor die Verhandlungen zum Abschluß gebracht sind.
Es ist ganz klar, daß hier schon längst eine außenpolitische Debatte fällig gewesen wäre.
Die Regierung ist bereits zwei Monate im Amt, und wir hätten es auch begrüßt, wenn diese außenpolitische Debatte vielleicht acht Tage früher stattgefunden hätte, damit der Regierung die Gedanken des Parlaments übermittelt werden konnten.
- Das ist ein großer Irrtum, wie ich Ihnen eben erklärt habe!
Heute geht die Debatte nun besonders um die Schritte, die Bundeskanzler Adenauer unternommen hat, um zu einer Auflockerung der seit einigen Monaten stagnierenden Beziehungen Deutschlands zu den Alliierten zu kommen. In einem Punkte geben wir der Kritik an der Bundesregierung recht. Auch wir vermissen verschiedene Klärungen, die notwendig sind, um aus dem Zwielicht herauszukommen, in dem die Pilgerfahrten
des Herrn Bundeskanzlers zum Petersberg stattfinden.
Rembrandtsches Halbdunkel lieben wir nur im Museum.
Am Anfang einer zielbewußten deutschen Außenpolitik wollen wir möglichst Klarheit und Offenheit wenigstens gegenüber der Volksvertretung. Es geht nicht an, daß die Bundesregierung entscheidende Schritte in der Außenpolitik unternimmt, ohne vorher den Bundestag oder jedenfalls den außenpolitischen Ausschuß zu unterrichten.
- Das ist etwas ganz anderes! - Damit er solche Mitteilungen entgegennehmen kann, ist der außenpolitische Ausschuß mit einem besonders hohen Grad von Vertraulichkeit ausgestattet worden, der so weit geht, daß seine Mitglieder nicht einmal ihren Fraktionen über Einzelheiten berichten können.
Es wäre in Amerika, in England, in Frankreich, in all den Ländern der klassischen Demokratie undenkbar, daß das Parlament in dieser Weise von der Regierung beiseite geschoben würde oder daß es sich selbst so beiseite schieben ließe.
— Jetzt können Sie noch klatschen!
Es ist ganz klar, daß das Parlament oder der Auswärtige Ausschuß der Bundesregierung nicht die Führung der Bundespolitik abnehmen kann; denn das ist es, wohin das Verlangen der SPD ungefähr steuern würde.
Eine demokratisch gewählte Regierung vertritt
das Volk in der Außenpolitik, und die Volksvertretung kann nicht mit Einzelvorschriften in die
Exekutive eingreifen; sonst wäre die Führung
einer Außenpolitik überhaupt nicht mehr möglich.
Schließlich soll man bei diesen ganzen Diskussionen auch die Bedeutung der Pariser Konferenz nicht übertreiben. Sie ist einer der 50 oder mehr Meilensteine, die zu passieren notwendig ist, um die Hitlerkatastrophe zu entwirren und die verworrene Weltsituation wieder zu normalisieren.
Wenn wir die Schritte von Bundeskanzler Adenauer in diesem Lichte betrachten, erscheint uns die scharfe und fast hysterische Kritik der SPD
und besonders ihres Kommuniqués vom letzten Freitag einfach unverständlich und maßlos.
Gerade weil wir keine Regierungspartei sind,
betonen wir: es ist unverzeihlich, einer deutschen Regierung, gleichgültig welcher politischen Richtung, während Verhandlungen in dieser Weise in den Rücken zu fallen,
ihr jeden guten Willen abzusprechen, sie, wie hier betont worden ist, der Scharlatanerie zu bezichtigen und sie als antideutsch zu bezeichnen.
Das klingt an an die nationalistischen Fanfaren des Herrn Hugenberg seligen Angedenkens.
Es ist nicht zum erstenmal, daß wir aus dem Munde von Herrn Schumacher solche nationalistischen Töne hören. Sie klingen aber merkwürdig ähnlich einer nationalbolschewistischen Propaganda, wenn er Herrn Adenauer als Schrittmacher des internationalen Kapitals darzustellen sucht.
Herr Schumacher, in welche Gesellschaft haben Sie sich da begeben!
Warum richten Sie denn Ihre Angriffe nicht gegen die Labour Party?
Es ist hier schon mehrfach von diesem Antworttelegramm auf Ihr Ersuchen vom August gesprochen worden. Ich will es einmal vorlesen, weil es mir von so großer Bedeutung erscheint, daß man es auch hier noch einmal wiederholen sollte.
Dieses Antworttelegramm lautet:
Der Vorstand stimmte überein, daß er das Ende der Demontage in Deutschland begrüßen würde, sobald sich die alliierten Regierungen mit den Maßnahmen zufriedengeben würden, die vorgenommen werden müssen, um ihre Sicherheit zu garantieren, einschließlich der Anerkennung der Sicherheits- und Ruhrbehörde durch die deutsche Regierung.
Ihre Haltung, Herr Schumacher, ist wohl auch
mehr aus innerpolitischen Gründen zu erklären.
Es ist die immer noch nicht überwundene Verärgerung, daß Sie nicht an der Bundesregierung beteiligt sind.
Säße Herr Schumacher auf der Regierungsbank und nicht in der Opposition, wäre der Vorschlag seiner Labour-Freunde wohl der Weisheit letzter Schluß gewesen.
Konstruktive Opposition zeigt sich vor allem in außenpolitischen Dingen. Wenn in Notzeiten die Parlamente anderer Länder einig sind, sollte auch die deutsche SPD mehr Fairneß zeigen.
Aber es ist hier schon betont worden: die SPD ist sich ja gar nicht einig! Gewichtige Vertreter sind auch der Auffassung, man solle einer demokratisch gewählten Regierung eine Chance geben.
Wir spüren doch alle, wie uns die große Welle der allgemeinen Sehnsucht nach Frieden und Normalisierung trägt, und wir sollten Deutschland und seine Regierung nicht mit unnötigen Gewichten belasten, die ihre Manövrierfähigkeit erschweren. Man braucht Deutschland in Europa und in der Welt. Niemals haben sich die Situationen und Entscheidungen in der Weltgeschichte rascher abgelöst als in den letzten Jahrzehnten. Was ist aus
Potsdam geworden? Was ist aus der Hungersnot geworden, die noch vor zwei, ja eineinhalb Jahren bei uns bestand? Panta rhei ! Alles ist im Fluß! Aber gerade weil wir das natürliche Gewicht und die natürliche Bedeutung Deutschlands in der Völkergemeinschaft so hoch werten, halten wir es für falsch, nationalistische Töne anzuschlagen und unsererseits übertriebene Forderungen aufzustellen, wobei man nicht übersehen sollte, dieses „panta rhei" in außenpolitischen Verträgen festzulegen und festzuhalten.
Ich meine damit nicht bloß die Artikel 15 und 31 des Ruhrstatuts, sondern zum Beispiel auch den Artikel 14. Aber lesen kann ja auch die deutsche Bundesregierung solche Dinge, und wir müssen doch überzeugt sein, daß sie das Bestmögliche aus diesen Verträgen herausholt und solche Änderungen und Vorbehalte macht, daß diese Verträge für uns tragbar sind, insbesondere wenn man beim Ruhrstatut eine Revision vorsieht. Gerade wenn wir in einer europäischen Gemeinschaft am schnellsten und am leichtesten zu einer völligen Gleichberechtigung kommen wollen und wenn wir die Notwendigkeit eines europäischen Zusammenschlusses angesichts der sowjetischen Gefahr sehen, sollten deutsche außenpolitische Angebote, die in diese Richtung gehen, nicht auf solch erbitterten Widerstand bei der SPD stoßen, die doch seit dem Manifest von 1848 auf internationaler Basis aufbaut.
Die weitaus überwiegende Mehrheit dieses Hauses hat wohl kaum einen Zweifel darüber, daß die Voraussetzung einer europäischen Gemeinschaft die Beseitigung des deutsch-französischen Gegensatzes ist; das ist durch fast alle Reden des heutigen Tages durchgeklungen. Dieses Zusammengehen kann nicht bloß politisch sein; es muß vor allem aus der Wirtschaft kommen durch Beseitigung der Zollmauern und eine möglichst weitgehende Verzahnung der Wirtschaft. Wir müssen bereit sein, für eine Verständigung mit Frankreich vielleicht höhere Opfer zu bringen, als es noch vor zwanzig und dreißig Jahren nötig gewesen wäre.
Mit reinen Protesten und mit Aushandeln und Streitereien über Kleinigkeiten können wir die historische Kluft zwischen Frankreich und Deutschland nicht überbrücken. Dazu bedarf es auch einmal eines Risikos zum Guten, zumal Frankreich nach dem letzten Hitler-Überfall eine Rechnung zu präsentieren hat. Die SPD soll nicht mit nationalistischen Wortdrohungen einen Vorhang vor die einzige tatsächliche Bedrohung aus dem Osten ziehen und damit das außenpolitische Blickfeld Frankreichs trüben. Schließlich: ist es denn eine Schande, wenn sich jenseits und diesseits des Rheins unter dem Eindruck der furchtbaren Katastrophe ,die Völker und die Einzelmenschen zu einem neuen Europäertum bekennen, Neo-Europäer werden, genau so wie es umgekehrt eine Schande ist, wenn man heutzutage auf einmal zum Neo-Nationalisten wird?
Frankreich sollte aber sein berechtigtes Sicherheitsverlangen nicht zu einer dauernden Niederhaltung Deutschlands übersteigern. Wenn wir die Demontage von einzelnen Werken dadurch vermeiden können, daß man zu ihrer Erhaltung auswärtigen Mächten eventuell eine kapitalmäßige Beteiligung zugesteht, kann man das nicht als Ver-
rat deutscher Interessen bezeichnen, besonders wenn es eine Vorleistung auf eine Internationalisierung der westeuropäischen Industrie einleitet.
Ich möchte nicht noch einmal auf die Saarfrage eingehen, aber ich habe mich von Herzen gefreut, daß hierin wenigstens Herr Schumacher zum Föderalisten geworden ist und den Saarländern eine besondere Beteiligung an der deutschen Delegation zugesteht.
Wir haben aus dem Munde des amerikanischen Außenministers und aus den Darlegungen des Herrn Bundeskanzlers gehört, daß wir berechtigt sind, einen Silberstreifen am außenpolitischen Horizont zu sehen. Schon einmal hat uns der Besuch eines amerikanischen Außenministers Hoffnung gegeben, nämlich der Besuch von Byrnes im September 1946. Seine damalige Stuttgarter Rede war der Bruch mit der Morgenthaupolitik und war der Beginn einer konstruktiven Nachkriegspolitik. Wir müssen allerdings sagen, daß es lange, unerträglich lange gedauert hat, bis die Ankündigungen der Byrnes-Rede in die Praxis umgesetzt worden sind. Wir haben die harten Besatzungsvorschriften für die US-Truppen noch bis zum Mai 1947 gehabt. Das Flüchtlingselend nahm 1946 und das ganze Jahr 1947 erst so recht zu, und die wirtschaftlichen Verhältnisse haben sich erst mit der so sehr ersehnten Währungsreform im Sommer 1948 geändert. Wir hoffen, daß die jetzigen Zusagen, die hinsichtlich einer gleichberechtigten Einordnung Deutschlands in Europa und in der Welt gemacht worden sind, sich in einem Zeitmaß vollziehen, das der psychologischen Lage Deutschlands und nicht nur den retardierenden Einflüssen aus den Lagern der Siegermächte Rechnung trägt. Das deutsche Volk ist 41/2 Jahre nach Beendigung des Krieges noch immer wie in einem Internierungslager von der Welt abgeschlossen, ohne eigene Außenvertretungen und daher ohne die Möglichkeit, sich über die Verhältnisse in der Welt durch eigene Organe — und nur denen glaubt ja immer das Volk — zu überzeugen, und ohne die Möglichkeit, dadurch seine Haltung bestimmen zu lassen und zur Beseitigung von vielen Irritierungen und Mißverständnissen zwischen Deutschland und anderen Völkern beizutragen.
Das deutsche Volk hat trotz der furchtbaren Schicksalsschläge der vergangenen Jahre einen unbändigen Aufbauwillen. Die harten Jahre haben es gelehrt, zu improvisieren und sich schnell einer gegebenen Situation anzupassen. Wir sind in unserem zerstörten Land und mit den Millionen von Flüchtlingen wieder Pioniere in Deutschland geworden, die Neuland erschließen und aufbauen. Gerade die Amerikaner, deren Pionierleistungen in ihrem Kontinent zu einem unerhörten Aufschwung geführt haben, sollten unsere Situation verstehen und uns die Möglichkeit in Europa und in der Welt geben, um diesen Aufbauwillen zum Wohle aller Völker durch friedliche Leistungen in der Wirtschaft betätigen zu können. Unsere Nöte sind in Kürze folgende.
Erstens: Wir brauchen unbedingt eine internationale Hilfe für unsere Flüchtlinge, weil wir mit diesem Problem von zusätzlich 8 Millionen Menschen allein in Westdeutschland nicht fertigwerden können.
Zweitens: Wir brauchen mehr Wohnraum, um die in Baracken wohnenden Leute rasch in Wohnungen zu bringen und um endlich die Familien zusammenzuführen, um damit die staatliche Urzelle, die Familie, wieder gesunden zu lassen. Die
Besatzungsmächte können hier einen sozialen Beitrag von entscheidender Bedeutung leisten, wenn sie von den etwa 500 000 Privatwohnräumen, die sie in Westdeutschland beschlagnahmt haben, 100- bis 200 000 Wohnräume räumen,
was durchaus möglich und genau so wichtig ist wie die Marshallplanrate eines ganzen Jahres.
Drittens: Nachdem der Aufbau der von den Hitlerarmeen überzogenen und geschädigten anderen Staaten im wesentlichen vollzogen ist und sie alle eine größere Produktion als vor dem Kriege haben, sollten sich die Leistungen des Marshall-planes und die Hergabe von Krediten stärker auf das zerstörte Westdeutschland richten und die Ungleichheit in etwa beseitigen, wonach auf den Kopf der deutschen Bevölkerung nur etwa in Drittel gegenüber den Leistungen an andere Staaten tritt.
Viertens: Ferner sollten die drückenden Besatzungskosten von über 5 Milliarden Mark baldmöglichst herabgesetzt werden, um die sozialen Leistungen an einen Großteil unserer Bevölkerung, der in furchtbarer Armut lebt, zu. ermöglichen. Man stelle sich doch vor: diese Summe bedeutet das Zweieinhalbfache der Reparationen einschließlich der Besatzungskosten, die wir jährlich nach dem ersten Weltkrieg leisten mußten.
Fünftens: Ferner sollte das Besatzungsstatut gewisse Verbesserungen erhalten und von den untergeordneten Stellen der Besatzungsverwaltung beachtet werden, und ihre Eingriffe in das Rechts- und Wirtschaftsleben der Länder sollten ein Ende nehmen.
Das Tempo, in dem sich die Normalisierung und Gleichberechtigung Deutschlands vollziehen, wird nicht zuletzt von uns abhängen. Durch eine so destruktive Opposition, wie sie ,die SPD seit kurzem einzunehmen für richtig hält, wird es zweifellos erschwert und gehemmt. Sie kann nicht dazu beitragen, das notwendige Vertrauen des Auslandes zu Schritten der Bundesregierung zu erhöhen. Wir sehen jedenfalls die Lage nach den Erklärungen Achesons und des Herrn Bundeskanzlers mit einem gewissen Optimismus an. Deutschland ist wieder Verhandlungspartner in außenpolitischen Dingen geworden.
Was kann nun Deutschland tun, um das erwachende Vertrauen des Auslandes nicht zu verscherzen? Wenn in Frankreich ein Gefühl der Sicherheit entstehen soll, dann muß dies durch eine wahrhaft föderalistische Gestaltung Deutschlands geschehen.
Es ist nun einmal eine Tatsache, daß sich Frankreich durch einen zentralistisch geführten Einheitsstaat, der immer eine gewisse Machtzusammenballung in sich schließt, gefährdet fühlt. Man sollte die gleichberechtigte Einordnung Deutschlands in Europa nicht dadurch aufhalten, daß man den föderalistischen Aufbau Deutschlands in einer Weise zu verhindern sucht, wie wir es in den ersten Wochen der Amtszeit der Bundesregierung und des Bundestags gesehen haben, die zu einer eindeutig zentralistischen Ausnutzung der Verfassung geführt hat. Solche Entwicklungen sind gefährlich. Nie ist die Zeit zu einer dauernden Versöhnung mit Frankreich so günstig gewesen wie unter dem Druck der latenten russischen Gefahr. Und wenn sogar de Gaulle und Bidault diese Ent-
wicklung einsehen und unter gewissen Voraussetzungen begrüßen, so sollten wir über diese Entwicklung glücklich sein. Erst dann, wenn man in Frankreich Deutschland als den Garanten der französischen Sicherheit empfindet und nicht als seinen Bedroher, ist die deutsch-französische Freundschaft endgültig etabliert und der Friede in Europa gesichert.