Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Deutsche Außenpolitik machen heißt heute, eine Außenpolitik machen, die auf Europa hinführt. Ich habe mich gefreut, daß die überwältigende Mehrheit des Hohen Hauses dieser Meinung zu sein scheint und, ich glaube sagen zu können, dieser Meinung ist. Aber, meine Damen und Herren, Europa zu bauen ist ein schweres Geschäft. Herr Kollege Gerstenmaier, Ihr Rilke-Zitat in Ehren! Sicher, gerade wenn etwas schwer ist, muß man sich daranmachen; aber im Bewußtsein des Schwerseins dieses Schweren und nicht, indem Mall es verniedlicht.
Auf dem Wege nach Europa liegen eine Menge heißer Eisen, die wir werden anfassen müssen, im Bewußtsein dessen, wie heiß sie sind. Auf dem Weg nach Europa liegen noch Engpässe, in denen sich die Dinge stoßen und durch die wir werden hindurchgehen müssen, in Bitternis. Denn wir werden uns jeweils entscheiden müssen zwischen Scylla und Charybdis. Es ist bitter, sich für das eine oder das andere von beiden entscheiden zu müssen, sich entscheiden zu müssen für eine Senkung der Zahl der Arbeitslosen gegen die Möglichkeit der Bundesregierung, souverän über das Ruhrgebiet verfügen zu können oder umgekehrt für die Erlangung dieser Möglichkeit, für eine gewisse Zeit unter Umständen noch eine Steigerung der Arbeitslosigkeit in Kauf nehmen zu müssen.
Das ist sehr interessant, sagen Sie. Mich wundert Ihr Zwischenruf. Sie sollten uns wirklich schon zutrauen, daß wir auch an solche Dinge denken, wenn wir einen Standpunkt beziehen, Herr Kollege Seelos.
Es ist richtig, wenn die Bundesregierung auf diesem Wege nach Europa die Regelung des deutsch-französischen Verhältnisses als die primäre Aufgabe ansieht. Aber unsere Kritik will sagen, daß wir der Meinung sind, daß der Kompaß, nach dem der Herr Bundeskanzler diesen richtigen Kurs steuert, defekt ist.
Man hat uns gefragt: Was werft ihr denn der Bundesregierung vor? Was ist denn bisher geschehen? Doch noch nichts anderes, als daß man die Möglichkeit zu Verhandlungen zu eröffnen gesucht hat, und zwar mit Erfolg zu eröffnen gesucht hat. Nun, meine Damen und Herren, es ist mehr geschehen als das. Denn die beiden offiziellen Angebote nach Paris werden doch auf ihren materiellen Gehalt hin interpretiert. Und sie werden natürlich nach dem Interview interpretiert, das der Herr Bundeskanzler unmittelbar vor Absendung dieser Angebote gegeben hat. Und darin sind Angebote gemacht worden, materiell bestimmte Angebote; Angebote, die sich mit dem Maximum der Forderung des maximal Fordernden decken.
Das sollten wir nicht übersehen. Das Entsetzliche ist, daß man von solchen Angeboten nicht mehr herunterkommt. Das Schlimme ist, daß dadurch einiges an den Ausgangsbasen deutscher Außenpolitik zertrümmert worden ist. Von einer Basis aus, die zertrümmert worden ist, kann man aber nicht mehr operieren.
Ich weiß, daß manche — auch in diesem Hause — denken: Nun gut, das alles wird nicht so schlimm; man kann und muß unterschreiben, und dann wird man schon sehen. „Pants rhei" hat Herr Kollege Seelos gesagt. Auf diesem Gebiet halte ich es lieber mit Parmenides, dem Eleaten, Herr Kollege Seelos. Das Schlimmste, was wir tun könnten, wäre, wenn wir in dieser Phase der Geschichte die Kardinalfehler der Weimarer Republik wiederholten, nämlich mit einem dolus eventualis unterzeichneten, also mit dem Hintergedanken: Wir unterschreiben, und nachher wird man sehen. Das hat die ganzen Jahrzehnte zwischen den beiden Weltkriegen vergiftet und hat letzten Endes mit das meiste zur Katastrophe beigetragen.
Wir müssen unsere deutsche Außenpolitik auf den absoluten Verzicht auf jeden Revisionismus unterschriebenen Verträgen gegenüber aufbauen. Deswegen dürfen wir Bedingungen, die wir nicht halten können, nicht unterschreiben. Revisionismus gegen einseitige Akte, ja! Das bedingt aber, daß etwas, von dem man weiß, daß wir es nicht voll bejahen können, als einseitiger Akt belassen werden muß, bis es unserer Politik gelungen ist, eine neue Situation zu schaffen. Das ist schwer und kostet oft Zeit und Geduld. Aber, meine Damen und Herren, das wird uns nicht erspart. Denn das Leben, in das wir geworfen worden sind, ist voll harter Erprobungen!
Man hat geglaubt, wir meinten, die Außenpolitik dürfe nicht von der Regierung gemacht werden, sondern sei vom Parlament zu machen. Halten Sie uns bitte doch nicht für so primitiv! Selbstverständlich hat die Regierung die Außenpolitik zu führen, selbstverständlich hat sie Initiativen zu ergreifen. Aber ist es denn nicht besser für die Regierung, wenn sie sich bei so wichtigen Entscheidungen vorher versichert, was die Mehrheit dieses Parlaments zu ihren Initiativen zu sagen hat und was sie von ihnen hält? Wird so nicht viel solider gebaut werden können als sonst? Das ist es, was wir meinten, als wir sagten, die Regierung hätte besser getan, im Parlament eine Auseinandersetzung zuzulassen, von der wir sogar meinten, die Regierung hätte sie wünschen müssen. Wenn man bei der Mehrheit der Auffassung ist, das alles sei überflüssig, nun, so beruht das entweder auf einer seltsamen Selbsteinschätzung der Mehrheit dieses Parlaments
oder darauf, daß man glaubt, als Mehrheit die Inkarnation der Vernunft zu sein. Vielleicht erklärt sich daraus das Lehrhafte in einigen Reden der heutigen Diskussion.
Meine Damen und Herren! Wir werden noch oft davon sprechen müssen, wie sich das Verhältnis dieses Hauses zu sich selbst gestalten wird. Wir werden wählen müssen, ob wir dieses Haus als eine Art von Parlament im Stile der konstitutionellen Monarchien betrachten oder als ein Parlament im Stil einer parlamentarischen Demokratie.
Die Opposition ist des öfteren beschworen worden,
in sich zu gehen, man hat ihr vorgeworfen, daß sie
unverantwortliche Kritik geübt habe. Es ist aber schließlich die Pflicht der Opposition, Kritik zu üben, wo die Mehrheit eine vorherige Einigung auf eine gemeinsame Formel nicht gesucht hat.
Man sollte dabei nicht so empfindlich sein. Im politischen Bereich wird ja schließlich gekämpft, und wenn Sie die Schuld ganz auf uns häufen wollen, — nun, auch von Ihnen sitzen manche im Glashause!
Ich will hier nicht an dies und jenes erinnern. Wir sind allesamt Sünder, Herr Kunze!
Aber die kleine Anspielung des Herrn Bundeskanzlers auf eine Feststellung meines Freundes Schumacher über dessen „gute Verbindungen zu ausländischen Regierungen" hat mich a u ch an den Wahlkampf erinnert.
Daß ausgerechnet uns Hugenbergerei von ehemaligen Mitgliedern der Harzburger Front vorgeworfen wird,
das ist zuviel des Scherzens.
— Herr Kollege Schäfer, machen Sie bitte keine Zwischenrufe! Sonst antworte ich Ihnen.
Herr Bundeskanzler, die Verteidigung durch Herrn von Thadden haben Sie nicht verdient.
Ich glaube übrigens, daß der Herr Bundeskanzler nicht so empfindlich ist, wie manche seiner getreuen Paladine es heute waren.
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Er weiß meines Erachtens recht wohl, daß wir ihn mit unserer Kritik vielleicht besser unterstützen als manche, die glauben, das richtige sei, in stummer Adoration vor der Weisheit der Regierung zu liegen.
Meine Damen und Herren! Man kann sich über die verschiedenen Ziele der Außenpolitik weidlich streiten. Man kann auch der Meinung sein, dieses Ziel habe vor jenem den Vorrang. Aber über eines sollten wir einmütig sein, nämlich über die Notwendigkeit einer Methode in der Außenpolitik. Ich glaube, daß eine ausgiebige Diskussion darüber vielleicht der Regierung hätte helfen können. Zur Methode gehört, daß man sich über die Rangordnung der politischen Probleme und der politischen Aufgaben klar ist. Solange man das nicht ist, läuft man Gefahr, herumzutasten und die spezifischen Gewichte der einzelnen Probleme nicht richtig zu erfassen. Das Problem Nr. 1 ist, zu verhindern, daß Deutschland russisch wird,
und das Problem Nr. 2 ist die Förderung der Bildung der Vereinigten Staaten von Europa.
Alle anderen Dinge stehen letzten Endes im Verhältnis von Funktionen zu diesen wesentlichen Grundzielen unserer Außenpolitik. Darnach ist zu beurteilen, was im Einzelfall zu tun und zu lassen ist.
Lassen Sie mich noch etwas sagen zu der Methode, die von der Seite unserer Gesprächspartner
beliebt wird. Das ist die Methode des Junktim, indem man zum Beispiel den Stop der Demontagen vom Beitritt Deutschlands zum Ruhrstatut abhängig macht. Ich will mich zum Materiellen hier nicht äußern. Ich meine aber: die Regierung sollte es sich angelegen sein lassen, sich nicht auf diesen Weg treiben zu lassen. Denn wenn wir uns darauf einlassen, werden wir niemals eine selbständige Politik in Deutschland machen können — denn wir werden dann immer wieder ein Junktim vorgesetzt bekommen! Bei dieser Methode ist es aber ausgeschlossen, saubere Lösungen für die echten Probleme zu finden. Darum meinen wir, daß gelegentlich gerade aus Gründen konstruktiven Wollens ein Nein notwendig sein könnte.
Wenn Sie es sich angelegen sein lassen wollen, uns an das Telegramm der Labour Party zu ererinnern, meine Damen und Herren, so tun sie das nach Herzenslust! Wir haben hier weder britische Politik zu machen,
noch die politischen Auffassungen der Labour Party in Deutschland durchzusetzen. Die Auffassungen der englischen Sozialisten entheben uns nicht der Verpflichtung, eine Politik deutscher und europäischer Verantwortung zu machen.
Wenn der Herr Bundeskanzler sagte, wir hätten es gut, wir könnten reden, was wir wollten, ohne daß wir zur Verantwortung gezogen werden könnten — meine Damen und Herren: Wir alle, die wir hier sitzen, werden eines Tages geradestehen müssen für das, was wir hier tun und lassen,
geradestehen müssen vor der Zukunft- unseres Volkes, und wir, möchten dann bestehen können. Wenn einmal wieder so etwas wie ein Jahr 1930/31 über unser Volk kommen sollte, dann möchten wir, daß sich die zuverlässigen Demokraten, die hier in diesem Hause auf verschiedenen Seiten sitzen, so benommen haben, daß ihnen das deutsche Volk angesichts der nationalistischen Versucher, die vor ihm aufstehen werden, glauben kann, daß für sie Demokratie nicht ein Gleichwort für Schwäche gewesen ist.
Freundschaft mit Frankreich, ja! Wir haben schon bei der großen Debatte zur Regierungserklärung darüber gesprochen. Aber, meine Damen und Herren, diese Freundschaft wird nur dann etwas sein, was nicht nur in der Sentimentalität wurzelt, wenn diese Freundschaft auf die Wahrheit gebaut wird. Wir sollten das Wort Iphigenies über die Grenzen rufen: Zwischen uns sei Wahrheit!
Wir gründen aber diese Freundschaft nicht auf die Wahrheit, wenn wir zugeben, daß man von uns verlangt, anzuerkennen, daß die einseitige Bildung des Saarprotektorats ein Akt des Rechtes sei, und wir gründen diese Freundschaft nicht auf die Wahrheit, wenn wir durch unseren Beitritt zu diesem Ruhrstatut anerkennen sollen, daß wir dieses Instrument einseitiger Interessenpolitik für einen rechten Weg nach Europa halten.
Natürlich, gibt es Probleme an der Saar und an der Ruhr! Und wir müssen an die Lösung dieser Probleme gehen, zusammen, und das heißt: im Wege der Verhandlung. Aber, meine Damen und Herren, was werden Sie jetzt tun, wenn die andere Seite bei diesen Verhandlungen starr bei ihren
Ausgangspositionen bleibt, vor allem, nachdem Sie erklärt haben — nicht so wörtlich, aber doch verständlich daß Sie letzten Endes unter allen Umständen unterschreiben werden?
Sie haben gefragt, was wir denn vorzuschlagen hätten. Was wir vorgeschlagen haben, ist: angesichts dieser politischen Situation sich politisch zu verhalten. Politisches Verhalten gebietet, Dinge, die keiner von uns bejahen kann und keiner von uns bejahen will, nicht aus einseitigen Akten, gegen deren Fortbestand wir kämpfen können, zum Inhalt zweiseitiger Verpflichtungen und damit zu dauernden Einrichtungen zu machen. Denn was wir in Zukunft unterschreiben werden, meine Damen und Herren, das müssen wir halten wollen.
Sie haben gesagt, wir hätten im einzelnen nichts vorzuschlagen gehabt. Haben Sie denn nicht gehört, was von Dr. Schumacher vorgeschlagen worden ist zum Gegenstand von Verhandlungen zum Saarproblem, zum Ruhrproblem zu machen? Niemand hat darauf in der Debatte geantwortet!
Man hat sich damit begnügt, von Nationalismus und Hysterie zu sprechen. Nun, wir hoffen, daß der Herr Bundeskanzler im Auswärtigen Ausschuß demnächst auf die Vorschläge, die von unserer Seite gemacht worden sind, eingehen wird; es wird seine Sache sein, ob er sie für gut befindet oder nicht, aber er wird sich, glaube ich, dazu äußern müssen, und ich nehme an, er wird sich äußern wollen.
Meine Damen und Herren, was wir heute außenpolitisch zu tun haben, wird nur sehr schwer zu leisten sein. Wir werden Geduld haben müssen, Geduld nicht als Verzicht auf Aktion, sondern aise die geballteste Form einer Kraft, die sich ihrer sicher weiß. Ich wiederhole: wir werden diese Kraft gebrauchen müssen mit viel Mut, diese heißen Eisen anzufassen und die Engpässe zu bewältigen, durch die wir werden hindurchgehen müssen. Wir Sozialdemokraten wollen dabei helfen; wir wollen auch einer Regierung helfen, zu der wir in Opposition stehen, denn wir sind deutsche Patrioten und internationale Sozialisten.
Aber wir können helfen nur nach dem, was wir als die Wahrheit sehen. Sehen wir sie anders als die Mehrheit dieses Hauses, nun, dann müssen wir uns auseinandersetzen und sehen, ob wir eine gemeinsame Wahrheit finden können. Auch das wird nicht leicht sein, auch da werden wir zu merken bekommen, wie tief unten die Erde liegt, auf der wir roden und pflügen müssen. Sehen wir diese Aufgabe so schwer, wie sie ist, und sprechen Sie, meine Damen und Herren, doch nicht mehr von Hysterie und Schikane und gar von parteipolitischen Mätzchen, wo uns die Sorge um Deutschland und Europa umtreibt! Wenn wir deshalb Außenpolitik zu zweit machen sollen, - nun, so gehen wir zusammen ins Geschirr, aber bestimmen wir dann auch zusammen den Ansatz, das Ziel und die Methoden dieser Politik und verlangen Sie nicht schlicht von uns, Ihnen einfach zu folgen, wenn Sie glauben, das Rechte gefunden zu haben. Nur wenn wir so verfahren, werden wir es schaffen: dieses freie Deutschland im freien Europa!