Rede von
August-Martin
Euler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist bisher hier wenig davon die Rede gewesen, daß Europa und alle Völker außerhalb des russischen Vorhangs in einer tödlichen Gefahr stehen, in der Gefahr der Vernichtung im wahrsten Sinne des Wortes, und davon muß gesprochen werden. Denn das muß Ausgangspunkt einer wieder anhebenden deutschen Außenpolitik sein. Von Wladiwostok bis Eisenach reicht heute der Block, der unter der Führung des Kreml steht. Die „Tägliche Rundschau" war es erst in diesen Tagen, die entsprechend der allgemeinen Propagandalinie diesen Gedanken der ungeheuren Ausdehnung der Macht des Kreml propagandistisch darzustellen suchte, indem sie an den Rändern entlang die dem russischen Einflußbereich nicht unterfallenden Staaten weiß aussparte, um sie mit der Unterschrift zu versehen: „Es sind nur wenige Völker am Rande des großen eurasischen Kontinents, von Japan über den Indischen Ozean und das Mittelmeer bis hinauf zur Nordsee, die noch auf ihre Befreiung warten."
Die Westalliierten haben sich lange dagegen gesträubt, die wahre Natur des sowjetischen Despotismus zu erkennen und ihm mit einer Schutzpolitik entgegenzutreten, der es darauf ankam, alle Kräfte zu sammeln, um weitere russische Aggressionen und Invasionen zu verhindern. Vorausgegangen war die Vergewaltigung der Balkanländer, der Umsturz in der Tschechoslowakei, der Pressionsversuch gegenüber Finnland, und vor allen Dingen die Blockade Berlins, mitten im Frieden! Diese Blockade war darauf angelegt, die Berliner Bevölkerung durch Aushungerung zur Übergabe zu bringen, durch Herbeiführung äußerster Notzustände die Westmächte zur Übergabe der Stadt zu bewegen. Berlin hat einen heroischen Kampf für Deutschland, für Europa, für die ganze westliche Welt gekämpft und tut es heute noch gegenüber jener Macht, für die der Frieden oder das Schweigen der Waffen nur die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln bedeutet.
In dieser Lage ist es für alle Völker diesseits des eisernen Vorhangs notwendig, das Abendland vor sowjetischen Aggressions- und Invasionsakten zu schützen. Das Mittel zur Erlangung der Sicherheit kann sowohl für die europäischen Völker als auch darüber hinaus für die Völker jenseits des At-
lantik und die Völker in Asien, denen eine frühe Selbständigkeit zuerkannt wurde, nur die Vereinigung sein, die neue Zerwürfnisse ausschließt, die Vereinigung, die Kräfte zusammenfaßt, um einer wahrhaft tödlichen Gefahr entgegenzutreten. Alle Produktivkräfte werden benötigt, um einen Wohlstand zu sichern, der jede Möglichkeit der Verführung durch jene gewitzigten Demagogen ausschließt, die nur auf Angst und darauf spekulieren, daß der in Not Befindliche doch einem verführerischen Wort offensteht, das alles zu versprechen scheint. Sicherheit ist nur durch die freudige Mitwirkung aller Völker möglich, und diese ist nur auf der Grundlage der Gleichberechtigung und Gegenseitigkeit zu gewinnen. Ein gleichmäßiger Verzicht auf Souveränitätsrechte ist das Mittel, das alle europäischen Völker — gerade auch das deutsche Volk, das ja wohl nicht entbehrt werden kann — dazu bringen kann, ihre Kräfte in den Dienst einer Lebensordnung zu stellen, die von einem Ideal beherrscht ist, das das Leben lebenswert macht. Nur über Europa kommen wir heute zur Existenzsicherung unserer Nation, und über Europa nur kommen die anderen Völker, die Franzosen ebenso wie die Italiener, die Holländer und Belgier und letzten Endes auch die Engländer zur Existenzsicherung ihrer Nation. Die Sicherheit für jedes europäische Land diesseits des eisernen Vorhangs wird nur über Europa verwirklicht.
Dieses Europa könnte nicht einmal erstehen, wenn es heute nicht den Schutz der USA. genösse. Es kann sich nur im Schutze der Macht entfalten, die allein von den Machthabern des Kreml als solche respektiert wird und die vorläufig allein in der Lage ist, die weitere Machtentfaltung des o Kreml zu stoppen. Wir hätten gar keine Gelegenheit, uns über Europa und über Verständigung mit den westlichen Alliierten zu unterhalten; wir hätten gar keine Möglichkeit, über die Rechtfertigung von Forderungen, die an uns gestellt werden, oder aber über die Begründetheit von Forderungen, die wir geltend machen, zu diskutieren. Längst wäre die russische Lawine über die westlichen Völker bis zum Ozean hinweggegangen, und wir wären hier ebenso wie heute unsere Brüder und Schwestern im Osten Opfer eines Jochs, von dem keine Befreiung zu erwarten wäre. Dessen müssen wir immer eingedenk sein, daß die USA. heute die Träger der europäischen Einigungsbestrebungen sind, weil nur der von ihnen kommende Schutz und die von ihnen kommende materielle Hilfe in der Lage sind, Europa überhaupt zum Werden kommen zu lassen. Vergessen wir niemals, daß der Atlantikpakt uns aus dem Niemandsland herausnahm, daß das von den westlichen Mächten besetzte Deutschland kraft des Atlantikpaktes ein geschütztes Land ist; und denken wir weiter daran, daß es die Konzeption des Marshallplans war, daß die materielle Hilfe, die über den Marshallplan allen europäischen Völkern und namentlich uns Deutschen zufließt, den ersten Schutz gegen eine Verelendung bot, in der sich heute unsere Brüder und Schwestern in der Ostzone noch mitten drin befinden. Der Marshallplan als wirtschaftliches Mittel der europäischen Vereinigung wird noch weiterhin seine Früchte tragen, wenn er von uns allen eben als ein Mittel aufgefaßt wird, das einzusetzen ist, um bei seinem Ablauf Vorrichtungen aus eigener Hilfe oder fördernde Umstände aus eigener Hilfe den Verelendungsbedingungen entgegensetzen zu können.
Das geschlagene Deutschland zum Mitträger einer neuen europäischen Ordnung zu machen, ist unser deutsches Streben, ein Streben, das aus einem alltäglichen Erlebnis heraus immer neue Nahrung empfängt, aus dem Erlebnis, daß mehr als tausend Menschen täglich aus der Ostzone herüberfluten und immer aufs neue die Nachricht von neuen Mitteln des Despotismus, von neuen Mitteln der Vergewaltigung und Vernichtung von Menschen mit sich bringen.
Eingeordnet in die westliche Welt wollen wir sein, ein zuverlässiger Baustein einer neuen Ordnung, die — so hoffen wir — derart erstarken wird, daß sie im Laufe der Zeit die russische Politik zu einer weisen Selbstbeschränkung führt, zu einer Resignation mit der Folge des Verzichts auf Gebiete, die niemals russisch waren und niemals russisch sein werden, deren Bevölkerung nur darauf wartet, von einem unerträglichen Joch befreit zu werden.
Gegenüber dieser Zielsetzung eines entstehenden Europas besteht nun leider die Gefahr einer zu langsamen Entfaltung, die daher kommt, daß das Mißtrauen zwischen den einzelnen europäischen Völkern einen großen Widerspruch zwischen der Ideologie und der Wirklichkeit der Besatzungspolitik der westlichen Mächte in Deutschland klaffen läßt. Diesen Widerspruch, die Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Verkündung zu überwinden, damit wir ein gleichberechtigtes Glied der europäischen Völkerfamilie werden, ist nur dann möglich, wenn alle Beteiligten bemüht sind, Vertrauen zu erwerben und Vertrauen zu sichern. Es gibt nur ein Gesetz der wiederanhebenden deutschen Außenpolitik: Erwerb und Sicherung von Vertrauen in den Ländern, in denen Recht und Freiheit als wegweisende Ideen einer neuen zwischenstaatlichen Lebensordnung lebendig sind, in denen Recht und Freiheit als Träger einer neuen Ordnung überhaupt vertreten werden dürfen. Eine solche Politik kann nicht als „pro-westlerisch" bezeichnet werden, wie dies Herr Dr. Schumacher tat. Was heißt in der heutigen Situation „pro-westlerisch", da wir überhaupt nur mit dem Westen zusammenarbeiten können, da wir doch überhaupt nur jene Völker und jene Staaten angehen können, um gemeinsam mit ihnen der Überfremdungsgefahr, der Aggressionsgefahr aus dem Osten zu begegnen? Die Politik einer erfolgreichen Befreiung muß eine Politik der gleichberechtigten Einordnung in eine internationale Ordnung sein, wie sie von den Angelsachsen, von den west-, mittel-, süd- und nordeuropäischen Völkern erstrebt wird.
Vertrauensstörung erwächst, wenn wir den Anschein erwecken, als könnte irgend etwas geeignet sein, von der entstehenden deutschen Freiheit einen solchen Gebrauch zu machen, daß wir gegebenenfalls für den Osten optieren könnten. Das ist der eigentliche Hintergrund der heutigen Befürchtungen Frankreichs und Englands, daß in dem Maße, wie die deutsche Industrie leistungsfähig wird, wie wir wieder die freie Disposition gewinnen, diese Freiheit vielleicht doch einmal dazu verwandt werden könnte, aus einem beschränkten nationalstaatlichen Denken heraus gegen den Westen eingesetzt zu werden. Deswegen ist es gerade heute in dieser Debatte wichtig, klare Auskunft über unseren geistigen Standort zu
geben. Und zu dieser klaren Auskunft gehört die entschiedene Absage an alle Arten verdächtiger Neutralitätspolitik seltsamer Brückenschläger, die sich an bestimmte historische Situationen der Vergangenheit erinnern und sie durch völlig unbegründete, falsche Analogien auf die heutige Zeit übertragen. Es ist letzten Endes nicht verwunderlich, wenn es Männer wie Nadolny gibt, die nicht mehr in der Lage sind, die ungeheuren Verschiebungen der Machtverhältnisse in der Welt zu realisieren, und deswegen zu falschen Entscheidungen kommen. Weil sie gewisse Reminiszenzen an Bismarcksche Politik haben, gewisse Reminiszenzen an Rapallo, kommen sie zu falschen Schlüssen über das, was heute oder in Zukunft möglich oder auch nur zweckdienlich ist.
Gerade in dem Augenblick, in dem die Initiative der USA zur Beseitigung harter Widersprüche zwischen der Praxis und der Ideologie der westlichen Besatzungsmächte führen soll, ist es wesentlich, daß von dieser Stelle Klarheit über unsern geistigen und politischen Standort geschaffen wird. Es ist eine immerhin recht bedeutungsvolle Stunde der Ausweitung der deutschen Freiheit — die einem neuen Europa zugute kommen soll —, in der wir uns befinden. Wenn irgend etwas begrüßenswert ist, dann ist es die Anregung der Regierung, wesentliche Fragen in einem Ausschuß unter Teilnahme deutscher Vertreter zu erörtern, und wie schon die fünf Punkte, die die Regierung in ihrer Note vom 1. November genannt hat, zeigen, handelt es sich dabei um eine Beratung, die zu einer Erörterung des Gesamtproblems Deutschland mit dem Ziele der offiziellen Beendigung des Kriegszustandes führen soll. Wenn das angestrebt wird, so kann es keinen Zweifel geben, daß viele der Fragen, die bisher nicht erwähnt oder angeschnitten worden sind, in den Kreis der Erörterungen einbezogen werden müssen. Seien wit aber froh, daß diese Erörterungen begonnen haben und daß wesentliche Fragen den Ausgangspunkt zu einer weiteren Erörterung bilden, von der wir glauben, daß sie sich auf alle Lebensgebiete erstrecken und zur Folge haben wird, daß die Beendigung des Kriegszustandes unter Bedingungen ausgesprochen wird, die unserem Volke klar zeigen, welches der Unterschied zwischen östlichen Verheißungen und westlichen Erfüllungen ist. Das ist aber nur durch Stärkung des Vertrauens möglich.
Beweise des ernsten Wunsches — so heißt es in dem Kommuniqué über die Pariser Konferenz — sollten erbracht werden, daß wir das Bedürfnis nach einer Gemeinschaft mit den Nationen haben, die der Sache der Demokratie, der Gerechtigkeit und des Friedens ergeben sind. Solche Beweise sollen nichts anderes sein als Vorleistungen, nicht Beweise des Wortes, sondern der Tat. Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, es kommt ganz wesentlich darauf an, wie der Charakter der Vorleistungen beschaffen ist. Sind diese Vorleistungen derart, daß bei unserer Bevölkerung der Eindruck entsteht, Europa werde vom Westen her mit der Maßgabe bejaht, daß innerhalb Europas Deutschland dauernd eine Nation geminderten Rechtes bleiben solle, daß es außerhalb der Gleichberechtigung mit einer gewissen Distanziertheit neben den Nationen vollen, ungeschmälerten Rechtes stehen solle, dann, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird die politisch-psychologische Reaktion in unserer Bevölkerung außerordentlich bedauerlich sein.
Der Herr Bundeskanzler hat in seinem Interview in der „Zeit" einige Ausführungen gemacht, die meines Erachtens mitten ins Schwarze treffen. Das Maß der gegenseitigen Rücksichtnahme — so sagte er — müsse darauf abgestellt sein, auf beiden Seiten ein Vertrauensverhältnis entstehen zu lassen. Man darf nicht nur auf der einen Seite — das sollten die Westmächte nicht verkennen — die Gefahr der Vertrauensminderung in Frankreich gegenüber Deutschland sehen, sondern die Besatzungsmächte müssen umgekehrt die Gefahr eines entschiedenen Vertrauensverlustes in der deutschen Bevölkerung gegenüber dem Westen erkennen. Nur wenn man diese beiden Seiten sieht, wird man eine Bereitschaft zu Regelungen finden, aus der heraus das hervorgehen wird, was nicht nur unsere Bevölkerung, sondern was ebenso das französische Volk erwartet und was letzten Endes alle Völker Europas erwarten. Die Initiative der Regierung, aus dem Geiste der deutschen und europäischen Verantwortung, der Besonnenheit und des Maßes in Erörterungen einzutreten, die das Problem Deutschland in seiner ganzen Breite aufrollen sollen. ist begrüßenswert und sollte auch von der Opposition anerkannt werden.
Die Problematik einer beginnenden Außenpolitik ohne zureichenden Apparat ist allerdings gleich bei den ersten Erörterungen hervorgetreten, und man sollte sich auf seiten der Alliierten nun wirklich ernstlich fragen, ob es nicht völkerrechtlich in eine Sackgasse führt, wenn man uns ein Außenamt vorenthält, das ja nur die sorgfältige Behandlung all der Fragen zur Aufgabe haben soll, die jetzt in immer größerer Fülle hervortreten und mit äußerster Sorgsamkeit bearbeitet werden müssen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unter a den Punkten, die die Regierung zunächst zu behandeln angeregt hat, ist einer von ganz besonderer Bedeutung, wenn man berücksichtigt, daß ja Verhältnisse geschaffen werden sollen, die der Entwicklung Europas nicht nur in Gedanken, sondern in der Lebenswirklichkeit dienlich sein können, und das ist die Beteiligung ausländischen Kapitals an deutschen Werken. Es war nachgerade zu erwarten, daß die Erörterung auch nur einer solchen Absicht eine Art Wutanfall der sozialistischen Opposition auslösen würde.
Denn die Äußerungen des Herrn Dr. Schumacher in den letzten Tagen zu diesem Punkt waren von keinerlei Sachlichkeit mehr getragen, sie waren auch nicht von dem Willen beseelt, überhaupt Verständnis zu suchen; sie waren nur von dem Willen getragen, den Vorschlag der Regierung von vornherein auf demagogische Weise zu diskreditieren.
Es liegt auf derselben Linie, wenn Herr Dr. Schumacher beispielsweise davon sprach, es handle sich darum, einen alliierten Gendarmen in Deutschland vor den Geldschrank des Großbesitzes zu stellen, oder wenn er heute — nur in der Form abgemildert, aber in der Sache genau dasselbe meinend — von einer Frankreich-Deutschland-AG sprach und sagte, es handle sich lediglich um eine Verbindung der Schwerindustrien. Nun, solche Äußerungen sind im Grunde genommen nicht verwunderlich, denn sie entspringen der Betrachtungsweise des klassenkämpferischen Marxismus.
Wir lassen uns allein von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise leiten, deren Vernunft sehr simpel darzustellen ist.
Wir leiden unter Kapitalmangel. Das Kapital könnten wir aus eigenen Ersparnissen und aus eigener Arbeit nur nach einer langen Reihe von Jahren in dem erforderlichen Umfang aufbringen, um die dringenden Anliegen der Produktionserneuerung und des Wohnungsbaus gerade im Ruhrgebiet mit der Schnelligkeit zu erfüllen, deren es bedarf, um die Not zu lindern. Wenn Sie, meine Herren von der Linken, dagegen hetzen, daß wir ausländisches Kapital hereinnehmen, verurteilen Sie damit unsere Bevölkerung dazu, daß ihr Wohlstand noch eine sehr lange Zeit außerordentlich gemindert bleibt.
Durch die Hereinnahme ausländischen Kapitals
werden wir ohne weiteres In die Lage versetzt, den ungeheuren Ersatzbedarf sowie den
großen Bedarf an Erneuerungen, die den technischen Fortschritten Rechnung tragen sollen, in
verhältnismäßig kurzer Zeit zu befriedigen und damit einen entscheidenden Beitrag dazu zu leisten
— ich komme gleich auf den Zuruf vom Ausverkauf zurück daß eine hinreichende Arbeitsmöglichkeit und Beschäftigung sichergestellt sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der
Ostzone haben sich die Russen alle interessanten
Betriebe als sogenannte Sowjet-AGs genommen.
Im Gegensatz dazu handelt es sich im Westen überhaupt nicht um Majoritätsbeteiligungen, sondern lediglich um das Angebot, um die Einladung, Minoritätsbeteiligungen zu geben.
In diesem Zusammenhang möchte ich der Regierung allerdings ein Wort mit auf den Weg geben. Wir sollten die Aufmerksamkeit darauf richten, daß nicht Beteiligungen von einer solchen Höhe gegeben werden, daß im Handumdrehen infolge Zukaufs von Streubesitz usw. aus einer starken Minorität eine schwache Majorität wird.
Wenn derartiges geschehen würde, wäre das politisch nicht weniger verkehrt als wirtschaftlich. Politisch handelt es sich um folgendes. Dem Ausländer soll im Zusammenhang mit der Sicherheitsfrage ein gewisser Einblick und auch ein Interesse an deutschen Werken gegeben werden; der Ausländer soll dadurch mehr aufgeschlossen werden für die wirtschaftlichen und politischen Bedürfnisse Deutschlands; er soll ein besseres Einschätzungs-
und Beurteilungsvermögen über die von allen möglichen Seiten behaupteten Gefahren einer etwaigen deutschen Wiederaufrüstung usw. erlangen.
Das Kontrollrecht, das mit einer Minderheitsbeteiligung verbunden ist, birgt nicht die Gefahr einer Überfremdung in sich, wenn die Angelegenheit von vornherein von allen Beteiligten politisch und wirtschaftlich so besonnen angefaßt wird, wie es die Schwierigkeit dieses Problems erfordert. Man muß die Forderung nach Beschränkung auf Minderheitsbeteiligung deutlich hervorheben. Der Vorschlag der Vereinigten Stahlwerke ging beispielsweise auf Einräumung einer Minderheitsbeteiligung von 28 Prozent. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratie und
der KPD, die Sie j a immer dann gemeinsam kämpfen, wenn es sich um marxistische Grundsätze handelt: wenn man die Beschränkung auf Minderheitsbeteiligungen klar hervorhebt, zerrinnen Ihre nationalen Vorwände.
Sie suchen ja nur nationale Vorwände, um sozialistische Nöte zu verbergen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade von diesem Gesichtspunkt der Kapitalbeteiligung her kommt man allerdings zu einer sehr kritischen Einstellung gegenüber dem Ruhrstatut. Es sollte niemals vergessen werden, daß gerade die Kapitalverflechtung, die wir als Mittel einer Liberalisierung des europäischen Handels und der europäischen Industrie für sehr wünschenswert halten, durch nichts stärker verhindert wird als eben gerade durch das Ruhrstatut. Das Ruhrstatut bietet nämlich die Möglichkeit eines ungeheuren Mißbrauchs der Verwaltungsbefugnisse und der Eingriffsrechte aus Konkurrenzgründen. Diese Gelegenheit zum Mißbrauch wird immer Befürchtungen auslösen, wenn es sich darum handelt, Kapital in deutsche Werke an der Ruhr hineinzugeben.
Zum zweiten aber ist es wesentlich, folgendes zu erkennen. Das Ruhrstatut geht weit über die legitimen Kontrollbedürfnisse hinaus. Es geht weit über die Kontrollen hinaus, die aus Sicherheitsgründen erforderlich wären, um den Westalliierten das Vertrauen zu geben, das für sie unerläßliche Grundlage einer Zustimmung zur Politik der gleichberechtigten Einordnung Deutschlands ist. Wir haben auf der einen Seite die Sicherheitskommission, die die spezielle Aufgabe der militärischen Überwachung hat. Wir haben darüber hinaus kraft Besatzungsstatut die allgemeine Wirtschaftskontrolle. Wir haben zum dritten in dem Maße, wie die Kapitalverflechtung anzuheben beginnt, die Kontrolle des Auslandes über die Minderheitsbeteiligungen in den einzelnen Werken. Nun, man muß sagen: das reicht! Nichts kann darüber hinwegtäuschen, daß das Ruhrstatut ein Relikt einer im Grunde genommen bereits überholten Periode der westalliierten Politik in Deutschland ist.
Je früher dieses Ruhrstatut beseitigt oder durch etwas ersetzt wird, was mit dem, was sich heute Ruhrstatut nennt, sehr wenig gemein haben kann, um so besser. Ich glaube, es wäre sehr verdienstlich, wenn die Regierung gerade unter diesen Gesichtspunkten zeigen würde, daß das Ruhrstatut ein erratischer Block ist, der auf dem Wege in eine bessere europäische Zukunft liegt, wenn es nicht auf eine Weise abgewandelt wird, daß das, was dann daraus hervorgeht, sehr wenig mit dem bisherigen Ruhrstatut zu tun hat. Ich erinnere nur an Artikel 16, in dem der entscheidende Gesichtspunkt, der für eine Fortbildung des Ruhrstatuts in Betracht käme, genannt ist: Schutz solcher Unternehmen, in denen ausländische Interessen bestehen, vor der Anwendung diskriminierender Maßnahmen in irgendeinem Bereich ihrer Tätigkeit. Wenn die Ruhrkontrolle auf diesen Zweck beschränkt wird, dann wird sie auch auf andere Länder erweiterungsfähig sein, dann kann sie zu einem Instrument einer europäischen Kontrolle gegenüber den einzelnen Ländern werden mit dem Ziele, nationalistische Äußerungen einer diskriminierenden Wirtschaftspolitik, die das Zusammenwachsen Europas gefährdet, durch Überwachung
und durch Maßnahmen zu verhindern, die auf Grund dieser Überwachung zum Ausschluß der diskriminierenden Methoden getroffen werden. Dieser Umbau sollte von unserer Regierung zur Sprache gebracht werden.
Im übrigen möchten wir bemerken, daß für die Beantwortung der Frage — wenn sie aktuell wird —: soll man dem Ruhrstatut beitreten oder nicht?, außerordentlich viel davon abhängen wird, wie die politische Gesamtlage ist, wie die gesamten Umstände im Augenblick der Beurteilung sind, insbesondere welche Zusicherungen gegeben werden, um eine Veränderung, eine Revision, eine Weiterentwicklung des Ruhrstatuts sicherzustellen. Ich erinnere daran, daß das Besatzungsstatut bindend die Revision spätestens innerhalb von 18 Monaten vorsieht. Eine ähnliche Klausel in das Ruhrstatut aufgenommen, diese Klausel des Besatzungsstatuts auf das Ruhrstatut übertragen, würde schon einen wesentlich anderen Aspekt darstellen, als wenn wir dem Ruhrstatut beitreten, ohne daß irgendwelche sicheren Revisionsmöglichkeiten. Abwandlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten gegeben werden.
Hinsichtlich der Saar, dem anderen großen kritischen Punkt, möchte ich nur eins hervorheben. Wenn die europäische Frage weitere Fortschritte in dem Sinne macht, daß unter dem Druck der Not die europäischen Völker erkennen, wie wichtig die Realisierung ihrer Zusammenarbeit ist, wie wichtig es ist, in Europa unter einen Hut zu kommen, dann wird sich die Saarfrage eines Tages im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich ganz anders darstellen. Vom gegenwärtigen Augenblick her beurteilt, wo nationalistische Ressentiments auf beiden Seiten noch allzu sehr den Blick trüben, müßte man allerdings sagen, daß gerade dieses Problem geeignet wäre, neue große Gefahren in die Welt zu setzen. Hoffen wir, daß der europäische Gedanke stark genug ist. Ich glaube, er wird es sein, weil die aus dem Osten herandrängnede Not einfach seine Verwirklichung erzwingt. Ich glaube, es wird sich eines Tages eine Lösung finden lassen, die dem Umstand gerecht wird, daß das Saargebiet ein von deutschen Menschen bewohntes deutsches Land ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nichts, was bisher von seiten der Regierung geschehen ist, rechtfertigt eine Kritik, wie sie Herr Dr. Schumacher draußen in der Öffentlichkeit in den letzten Tagen entfaltet hat.
Seine heutigen Ausführungen erwecken demgegenüber den Eindruck, als sei er doch durch Rücksichtnahme genötigt, nicht nur die Form, sondern auch den Inhalt der Vorwürfe wesentlich abzumildern.
— Es ist schlecht, Herr Dr. Schumacher, in der Öffentlichkeit zu sagen, eine Regierung, die immerhin von der Mehrheit der Wähler getragen wird, sei getragen von Klasseninteressen, sie gebe sich einer ungezügelten Verdienerpolitik hin, und darüber hinaus von dem Kanzler zu sagen: Adenauer ist nicht pro-deutsch, sondern pro-französisch,
und weiter zu sagen, Dean Acheson würde in Herrn
Adenauer keinen würdigen Gesprächspartner finden. Herr Dr. Schumacher, solche Mittel der Demagogie
nun, Herr Dr. Schumacher, so liegt darin eine Verdächtigung, die Sie nicht rechtfertigen können. Was Ihren politischen, marxistischen Anschauungen nicht entspricht, ist nicht Politik des Großgrundbesitzes.
Ich glaube, der Ton, den Sie in der Öffentlichkeit angeschlagen haben, hat auch in Ihrer eigenen Partei gründlich mißfallen.
Denn schließlich ist doch eine erhebliche Kritik darin zu finden, wenn der Senatspräsident Kaisen, der ja Ihrer Partei angehört, auf einer Funktionärversammlung der SPD in Berlin am 13. November 1949 erklärt hat,
man sollte Adenauer die Chance geben, ernsthaft mit den Franzosen in ein Gespräch zu kommen, anstatt über ihn herzufallen.
— Herr Dr. Schumacher, wir haben das Wahlbündnis mit den Nationaldemokraten geschlossen — und es ist uns gelungen, diesen Effekt zustande zul bringen —, um Wahlmethoden, wie sie in anderen deutschen Ländern üblich waren, nicht zum Erfolg kommen zu lassen.
Sie übernehmen aber eine Tonart, mit der die Nationaldemokraten in Hessen bisher noch nicht konkurrieren konnten.
Worum es Ihnen geht, Herr Dr. Schumacher, das ist letzten Endes das folgende. Sie meinen, wenn die Debatte vor 14 Tagen erfolgt wäre, wäre der abwesende deutsche Partner in Paris erfolgreicher gewesen. Sie wollen in der Bevölkerung den Eindruck erwecken, als seien es Ihre starken Worte, die zu einem gesteigerten Erfolg der Politik beigetragen hätten, einem Erfolg, der nicht eingetreten wäre, wenn Sie nicht diese Politik, ich möchte sagen, der verstärkten Nötigung angewendet hätten. Das halte ich nun allerdings für ganz verderblich, daß Sie sich einer Verengung des Gesichtskreises hingeben, die außenpolitische Probleme fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt behandelt, was innenpolitisch daraus für Kapital zu schlagen ist.