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    Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 15. November 1949 397 17. Sitzung Bonn, Dienstag, den 15. November 1949. Geschäftliche Mitteilungen 397B Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung 397C Dr. Adenauer, Bundeskanzler 397C, 408B, 442A, 447C Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 400C Dr. Schumacher (SPD) . . . 400C, 446A Dr. Gerstenmaier (CDU) 408D Dr. Schröder (CDU) . . . . . . 413B Euler (FDP) ....... . 417C Dr. von Merkatz (DP) . . . . . 421D Dr. Seelos (BP) 424A Reimann (KPD) . . , . . . . 427A Loritz (WAV) 429D Frau Wessel (Z) ...... . 431B von Thadden (NR) . . 434D Dr. Ott (Parteilos) ..... . 437B Dr. Becker (FDP) 437D Storch, Bundesminister für Arbeit 438D Dr. Schmid (SPD) . . . . . 439C Fisch (KPD) 444D Dr. von Brentano (CDU) . . . 447D Nächste Sitzung 448D Die Sitzung wird um 15 Uhr 6 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Helene Wessel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Herren und Damen.! Die Zentrumsfraktion hat sich in der vergangenen Woche damit einverstanden erklärt, daß die außenpolitische Aussprache vor diesem Hohen Hause erst durchgeführt werde, wenn die Beendigung der Pariser Konferenz den Herrn Bundeskanzler in die Lage versetzen würde, über diese Außenministerkonferenz entsprechend zu berichten. Meine politischen Freunde waren bestrebt, der Bundesregierung auf außenpolitischem Gebiet die Bewegungsfreiheit zu gewähren, die eine Regierung für sich in Anspruch nehmen muß, wenn sie außenpolitische Erfolge haben soll. Wir sind an der von dem Herrn Bundeskanzler ergriffenen außenpolitischen Initiative in keiner Weise beteiligt gewesen, und es bleibt wohl die Frage offen, die auch von meinem Vorredner angeschnitten worden ist, ob es in Zukunft nicht doch möglich sein sollte, auf außenpolitischem Gebiet eine möglichst einheitliche Auffassung des Parlaments herbeizuführen, bevor die
    entscheidenden Schritte getan werden. Denn es geht hier nicht um das Schicksal der Regierung oder um einen Triumph der Opposition, sondern es geht einzig und allein um das uns allen gemeinsame deutsche Schicksal. Wenn die Regierung außenpolitische Niederlagen erlebt, dann trifft dies nicht nur die Regierung, sondern dann ist davon das ganze deutsche Volk betroffen. Ich leugne damit nicht, daß auch auf außenpolitischem Gebiet das Zusammenwirken von Regierung und Opposition zu einem beträchtlichen Erfolg führen kann; nur muß vorausgesetzt werden, daß beide Teile einander eine ehrliche Wahrnehmung der nationalen deutschen Belange zutrauen.
    Meine politischen Freunde und ich können uns des Eindrucks nicht erwehren — und dieser Eindruck ist durch die heutigen Reden noch verstärkt worden —, daß Ereignisse eingetreten sind, die gerade in Fragen der Außenpolitik eine Front des Mißtrauens zwichen Regierung und Oppositionsparteien aufgerichtet haben. Es scheint mir aber notwendig zu sein, daß wir, die wir nicht in der Regierung steh en, sondern zur Opposition gehören, doch die außenpolitischen Notwendigkeiten erkennen und würdigen, die eine Regierung zum Handeln zwingen können, und ich glaube, wir müssen das Beste dafür einsetzen, damit die deutsche Situation nicht durch derartige Spannungen überflüssigerweise noch weiter verschärft wird. Der Verlauf der heutigen Debatte sollte der Bundesregierung auch Anlaß sein, in ihren Überlegungen die Argumente nicht außer acht zu lassen, die gegenüber ihrer außenpolitischen Konzeption von der größten Oppositionspartei ausgesprochen worden sind.
    Keinesfalls darf es aber so sein, daß Meinungsverschiedenheiten dazu benutzt werden, entweder als national verantwortungsbewußter oder weniger verantwortungsbewußt zu gelten. Gerade weil wir noch in den Anfängen unseres parlamentarischen und außenpolitischen Lebens stehen, sollten wir uns davor hüten, bei solchen Aussprachen in die Drucksphäre des Naziregimes zu verfallen. Denn gleichgültig, ob die Auffassung der Sozialdemokratie richtig oder anfechtbar in manchem sein kann, muß doch gesagt werden, daß sie damit nicht nur die Stimmungen und Auffassungen des Arbeiterstandes, sondern darüber hinaus auch anderer Kreise des Volkes ausdrückt.
    Meine Damen und Herren! Die Auffassung, von der sich die Zentrums-Fraktion in der Außenpolitik leiten läßt, ist die der kühlen Erwägung und weniger die des Gefühls. Denn wir dürfen uns nicht der Utopie hingeben, daß die uns umgebende Welt den Hitlerkrieg und seine Auswirkungen schon überwunden hätte. Wir hören Stimmen der Vernunft, derjenigen, die darnach streben, das Vergangene allmählich in Vergessenheit geraten zu lassen. Man ahnt auch, welche Gefahr es bedeuten würde, wenn das deutsche Volk, in dieser Situation allein gelassen, in eine Stimmung der Verzweiflung hineingetrieben würde. Aber wir sind noch weit davon entfernt, überall als gleichberechtigte Partner anerkannt zu werden, und wir können uns nicht einbilden, daß die Dinge sich von heute auf morgen ändern.
    Ich skizziere unsere Situation nur deswegen, weil sie uns in eindringlicher Weise vor Augen stellt, daß die Zukunft Deutschlands nicht davon abhängt, wie sich in diesem Hohen Hause Regierung und Opposition auseinandersetzen, sondern daß es unser aller gemeinsames Anliegen ist, die Chancen zu


    (Frau Wessel)

    suchen, die nicht nur etwa in irgendeiner Clique oder in irgendeinem Konglomerat bestimmter wirtschaftlicher Interessen, sondern in seiner Gesamtheit dem deutschen Volke heute in der Welt geboten sind und nutzbar gemacht werden müssen.
    In allen Fragen der Innenpolitik, der wirtschaftlichen und sozialen Neuordnung ist ein echtes Sichauseinandersetzen notwendig. Hier muß auch der Kampf bis zu klaren Entscheidungen geführt werden. Auf dem Gebiete der Außenpolitik gibt es aber nur das gemeinsame Schicksal, die ehrliche, offene Aussprache und die Bereitschaft zu einem gemeinsamen Handeln. Nichts kann die uns umgebende Welt so stark beeindrucken und nichts die Lebenskraft und den Lebenswillen des deutschen Volkes besser dokumentieren, als wenn dieses Hohe Haus in außenpolitischen Fragen eine Einheit darstellt, die über alle parteipolitischen Schranken hinweggeht. Wir müssen doch versuchen, die richtige Stellung in der Außenpolitik zu beziehen. Es würde eine furchtbare Tragik darin liegen, wenn wir gerade in der Außenpolitik falsch handelten; denn die Außenpolitik ist heute Deutschlands Schicksal.
    Und noch auf ein weiteres möchte ich hinweisen. Es ist verhältnismäßig leicht gesagt, die Regierung trage die Verantwortung allein und dementsprechend habe nur sie die außenpolitische Initiative. Ich habe schon einmal in diesem Hohen Hause zum Ausdruck gebracht: die Stellung einer Regierung zeigt sich nicht darin, daß sie mit einer knappen Mehrheit gewählt worden ist und man nun glaubt, der Opposition solche Gegenargumente entgegenhalten zu sollen, wie es heute geschehen ist, um damit seine Stärke zu beweisen. Im heutigen Deutschland geht es ja nicht nur um das Ansehen 3)der Regierung, sondern — vergessen wir das doch nicht in allen unseren Überlegungen! — es geht letzten Endes um das Ansehen der Demokratie, das auf dem Spiele stehen kann. Jeder außenpolitische Fehlschlag der Regierung, jede außenpolitische Verpflichtung, die sie ohne hinreichende Sicherung der deutschen Lebensinteressen gezwungenermaßen eingehen würde, wäre nicht etwa nur für die Regierung selbst, sondern für unser ganzes demokratisches System verhängnisvoll. Die deutsche Demokratie darf nicht noch einmal die moralischen Belastungen scheinbar freiwillig auf sich nehmen, mit denen sie nach 1918 aufgebaut wurde. Wo die Grenze des Tragbaren erreicht ist, da muß deutscherseits ein endgültiges Nein gesprochen werden können, aber nicht etwa nur das leicht verdächtige Nein einer Opposition, sondern auch das ehrliche und verantwortungsbewußte Nein des gesamten deutschen Volkes. Ich glaube, daß niemand auf die Dauer in der Welt Vertrauen finden wird, der Verpflichtungen eingeht, von denen er im voraus überzeugt ist, daß er sie nicht erfüllen kann und wird. Und so wird es für die künftige Position der Bundesregierung von ausschlaggebender Bedeutung sein, wenn man von ihrem Ja gleich viel zu halten hat wie von ihrem Nein und hinter dem Ja wie hinter dem Nein die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes steht.
    Meine Herren und Damen! Der Herr Bundeskanzler hat sich in den letzten Wochen bemüht, Deutschland aus dem Stadium einseitig bestimmter Abmachungen herauszuführen, und es besteht bei meinen politischen Freunden der Eindruck, daß die Zeit für die vom Herrn Bundeskanzler ergriffene Initiative reif ist. Wenn die uns umgebende Welt ehrlich den Frieden will, dann muß sie das deutsche
    Volk aus seiner Deklassiertheit herausheben. Wenn es auch den Anschein hat, als wäre das deutsche Volk von sich aus gegen den Umsturz gefeit, so darf man doch nicht übersehen, daß ihm, falls ihm die äußere Freiheit ständig vorenthalten wird, schließlich Zweifel an dem von ihm verteidigten Ideal der Freiheit kommen müssen. Meine politischen Freunde und ich erachten es deshalb als unsere Pflicht, den Herrn Bundeskanzler in diesem Bestreben nach erhöhter deutscher Handlungsfreiheit zu unterstützen und als das Ziel der deutschen Politik die volle Wiederherstellung der deutschen Souveränität und Gleichberechtigung nachdrücklichst zu betonen.

    (Bravo! beim Zentrum.)

    Wir haben den Eindruck, daß man sich in diesem Hohen Hause nicht über die Zielsetzung, sondern mehr über die Methodik der deutschen Außenpolitik streitet und daß dieser Streit von einem Mißtrauen begleitet ist, dem wir auf den Grund gehen sollten, um es zu überwinden. Ich bin mir völlig darüber im klaren, daß gewisse tiefgehende Gegensätze, die die verschiedenen Parteien voneinander unterscheiden, irgendwie auch auf dem außenpolitischen Gebiete zum Tragen kommen. So verwundert es mich nicht, wenn das von dem Herrn Bundeskanzler gezeigte Streben nach einer deutschfranzösischen Verständigung sich in den Augen des Herrn Abgeordneten Dr. Schumacher als das Streben nach einer Verständigung zwischen dem Comité des Forges und den Vereinigten Stahlwerken darstellt. Auch meine Parteifreunde fassen eine deutsch-französische Verständigung wahrscheinlich etwas anders auf, als sie von den Vertretern finanziell-kapitalistischer Interessen aufgefaßt wird, und wir haben wahrscheinlich auch eine andere Konzeption von diesen Aufgaben, als sie Herr Pferdmenges hat. Wir haben sie besonders deswegen, weil wir glauben, daß nicht noch einmal wie in der Weimarer Zeit der Aufbau der deutschen Großindustrie sich auf Kosten der mittleren und kleineren Industrie vollziehen soll.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich bin trotzdem nicht der Meinung, daß die eine Art von Verständigung die andere Art ausschließt. Mir scheint es im Gegenteil zwangsläufig, daß, wenn bestimmte Kreise eine ihnen gemäße Verständigung betreiben, diejenigen Schichten der Bevölkerung beider Länder, die sich von einer derartigen Verständigungspolitik bedroht fühlen, nunmehr ihrerseits eine Annäherung betreiben, um sich gemeinsam der sie bedrohenden Zusammenballung von Wirtschaftsmacht zu erwehren. Die internationale Arbeiterbewegung hat von jeher auf diesem Gefühl der Solidarität der Schwächeren beruht, die durch Vereinigung stark geworden sind. Und je mehr Bündnisse sich über die Grenzen entwickeln, um so enger wird der Kontakt beider Nationen werden, von deren endlichem Sichfinden zweifellos das Schicksal Europas, ja vielleicht der Friede der Welt abhängt. Ich kann mir keine bessere Methode als diese zum Abbau der europäischen Nationalstaaten vorstellen, und ich bin der Meinung, daß es unsere besondere deutsche Aufgabe ist, so allseitig wie möglich, jeder nach seiner Art und nach den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, die Grenzen der europäischen Nationalstaaten zu überwinden.
    Die notwendige Voraussetzung jeder guten Außenpolitik ist die Erkenntnis der gemeinsamen Interessen. Nur eine wirkliche Interessengemein-


    (Frau Wessel)

    schaft ist die Basis einer guten Außenpolitik. Wir verstehen das Bestreben Frankreichs nach Sicherheit, und wir müssen auch willens sein, das Unrecht gutzumachen, das durch unser Verschulden durch das Naziregime angerichtet worden ist. Wir kämpfen für die europäische Einheit, wenn wir erklären, daß unser Wille dazu ehrlich ist. Deshalb darf aber Deutschland nicht zerrissen und zerklüftet werden, weil dadurch den nationalistischen Strömungen Vorschub geleistet würde, die wir nie wieder bei uns dulden dürfen. Es muß eben Wege der friedlichen Verständigung der Völker untereinander geben, und nur an diese Wege dürfen wir denken und müssen ständig den Willen bekunden, uns zu verständigen. Wir wissen doch alle, daß jeder neue Krieg das Ende der Zivilisation bedeuten würde, daß auch die letzten geistigen Werte der abendländischen Welt damit vernichtet würden.
    Darum müssen wir mit allen Völkern und allen Ländern, mit denen uns eine echte Interessengemeinschaft verbindet, ins Gespräch kommen. Wir müssen diesen Weg finden, wenn es auch nicht von heute auf morgen geht. Wir Deutschen können uns dabei leider des Gefühls nicht erwehren, daß das europäische Gemeinschaftsbewußtsein und wirklich echtes europäisches Denken bei weitem noch nicht den Boden gewonnen haben, den sie benötigen, um unser aller Zukunft in Europa zu sichern.
    Wir begrüßen es sehr, daß die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika den für Europa lebensnotwendigen Marshallplan benutzt, um die westeuropäischen Nationen, die leider vorerst noch an der Stelle von ganz Europa die abendländische Überlieferung zu tragen haben, stärker aneinander annähert und sie dabei zu einem gemeinsamen Schicksalsbewußtsein zwingt. Die kulturellen 'Beziehungen zwischen den verschiedenen europäischen Nationen haben einer europäischen Föderation schon längst den Weg bereitet. Die wirtschaftlichen Interessen zwingen dazu, ihm zu folgen. Wir wollen, daß endlich einmal angefangen wird, auch in Europa wirtschaftliche Einheiten zu schaffen. Darum begrüßen wir jedes Beginnen, das uns hier vorwärts führt. Wir wissen nämlich, daß alsdann die Hoffnung berechtigt ist, daß aus der wirtschaftlichen Einheit Europas auch die politische Einheit erwächst und damit die Rettung Europas vielleicht noch einmal möglich wird.
    Manches, meine Damen und Herren, was wir im Augenblick schweren Herzens in Kauf nehmen müssen, weil es uns durch die unselige Vergangenheit noch verwehrt ist, schon heute führend an der Gestaltung eines vereinten Europas mitzuarbeiten, wird sich in absehbarer Zeit von selbst erledigen, oder es würde kein Europa mehr geben, und das wäre gleichbedeutend mit dem Untergang des Abendlandes, von dem so viel gesprochen und geschrieben worden ist und an den wir Deutschen trotzdem nicht zu glauben vermögen, weil gerade unser Volk nach dieser beispiellosen Katastrophe seiner Gesichichte eine unbestreitbare Lebensfähigkeit beweist. Ich glaube daher, daß wir mit den im eigenen Lande gewonnenen Erfahrungen, ermutigt durch alles, was wir in unserer eigenen Nation erkannt haben, die Arbeit an der europäischen Verständigung tatkräftig fortsetzen müssen, ohne vor den Schwierigkeiten zu resignieren, die uns jetzt noch im Wege stehen.
    Auch diese Einstellung scheint mir unabhängig von parteipolitischen Schranken, es sei denn, daß jemand den Versuch machen würde, trotz allem Elend, das darauf gefolgt ist, erneut einen preußisch-deutschen Nationalismus zu aktivieren. Ich leugne nicht, daß wir mit dieser Gefahr noch zu rechnen haben. Aber ich weiß trotz mancher Gegensätze, die meine Parteifreunde von dem Regierungskurs distanzieren, daß jedenfalls der Herr Bundeskanzler zu den letzten gehören würde, die hierzu Neigung verspüren, und ich möchte das im Hinblick auf die Ausführungen aussprechen, die von Herrn Dr. Schumacher gemacht worden sind und die vielleicht für die Regierung selbst — ich kann das nicht überprüfen — feststellbar sein können. Aber ich glaube, es muß demgegenüber auch ausgesprochen werden, daß der Herr Bundeskanzler in dieser Weise nationalistischer Strömungen nicht verdächtig erscheint. Ich möchte dabei auch betonen, daß in der Abwehr aller Bestrebungen, einem falschen Nationalismus in Deutschland wieder Vorschub zu leisten, meine politischen Freunde den Herrn Bundeskanzler jederzeit unterstützen werden.
    Die Unverdächtigkeit des Herrn Bundeskanzlers in bezug auf nationalistische Neigung gewinnt aber für unser deutsches Volk erst dann an richtigem Wert, wenn der Herr Bundeskanzler bei seinen außenpolitischen Schritten klar die Grenzen der deutschen Leistungsfähigkeit aufzeigt. Das wird vor allem bei den heute begonnenen Verhandlungen mit den Hohen Kommissaren notwendig sein. Vielleicht wird sich im Laufe dieser Verhandlungen herausstellen, daß der Herr Bundeskanzler Beauftragte heranziehen muß, die ihn bei diesen Verhandlungen entlasten. Namens meiner politischen Freunde möchte ich den Herrn Bundeskanzler bitten, sich dann solcher Beauftragten zu bedienen, die aus demselben Grunde wie er das nationale Interesse unseres Volkes in unverdächtiger Weise wahrnehmen können. Zumindest dürften es nicht Vertreter der Kategorie sein, die Herr Dr. Schumacher hier charakterisiert hat. Ich kann mir nämlich vorstellen, daß eine Reihe von Revisionsansprüchen angemeldet werden müssen, und wir wünschen nicht, daß derartige Stellungnahmen deutscher Vertreter zu irgendwelchen nationalistischen Mißdeutungen Anlaß geben könnten.
    Ich darf weiterhin, wie es auch meine Vorredner getan haben, der Erwartung Ausdruck geben, daß der Herr Bundeskanzler in den zuständigen Ausschüssen dieses Hohen Hauses oder sonstwie die Gelegenheit schaffen wird, eine einheitliche deutsche Auffassung zu den einzelnen Gegenständen der mit der Alliierten Hohen Kommission zu führenden Verhandlungen zu erzielen, um auf diese Weise dem deutschen Standpunkt den notwendigen Nachdruck zu verleihen.
    Wenn ich von der rechtzeitigen Anmeldung von Revisionsansprüchen gesprochen habe, so habe ich dabei in erster Linie an das Ruhrstatut gedacht; denn ich würde es für ein unehrliches Spiel halten, wenn Deutschland der internationalen Ruhrbehörde beiträte, ohne dabei zum Ausdruck zu bringen, daß das Ruhrstatut der Revision bedarf. Schon in meinen Ausführungen zum Ruhrstatut in der Hauptausschußsitzung des Parlamentarischen Rats am 7. Januar 1949 habe ich darauf hingewiesen, daß das Ruhrstatut nicht so hingenommen werden könne, wie es ist, wenn ich andererseits auch betonte — und ich glaube, damals als


    (Frau Wessel)

    einzige Sprecherin im Gegensatz zu dem, was ich heute von Koalitionsrednern gehört habe —, es habe keinen Sinn, das Ruhrstatut nur zu kritisieren, ohne die Möglichkeit zu ergreifen, die uns Deutschen damit zu einer konstruktiven Mitarbeit immerhin gebotenen Gelegenheiten auszunutzen. Ich habe weiterhin darauf hingewiesen, daß es uns Deutschen, besonders uns, die wir an der Ruhr wohnen, schwerfällt, die Ruhr nicht mehr als eine deutsche, sondern als eine internationale Angelegenheit zu sehen, und erklärt, wir könnten dies nur tun in dem Gedanken an die europäische Föderation. Vor allem habe ich aber schon damals betont, es dürfe sich nicht um die Ausnutzung der Ruhrindustrie für kapitalistische Zwecke handeln; in diesem Falle könne das Ruhrstatut von den Deutschen nicht mit innerer Überzeugung bejaht werden. Und wie damals möchte ich auch heute an die Erklärungen von General Robertson über das Ruhrstatut erinnern, in denen er ausführte, das Jahr 1949 werde uns Deutschen nach Bildung der deutschen Regierung die Möglichkeit geben, entscheidender als bisher an den Angelegenheiten unseres Landes teilzunehmen; wir könnten — um es genau mit den Worten von General Robertson zu sagen — „eine Partnerschaft mit den demokratischen Ländern Europas eingehen, die eines Tages zur gleichberechtigten Teilnehmerschaft an einem gemeinsamen Unternehmen entwickelt wird". Nur in diesem Sinne und von einem solchen europäischen Geiste geprägt wird es möglich sein, das Ruhrstatut als einen Fortschritt in den Beziehungen der Völker anzusehen.
    Meine Damen und Herren! Wir haben wohl alle mit großem Interesse die Reden gehört, die in den letzten Monaten und zuletzt auf der Pariser Konferenz gehalten worden sind. Wir verstehen, daß angesichts der allgemeinen politischen Lage nach einem Westdeutschland und nach einem Westeuropa gerufen wird, und doch muß die politische Konzeption Deutschlands darin liegen, Europa schlechthin zu verlangen. Denn die Völker haben alle eine Substanz, die in der Geschichte entstanden ist und in der Geschichte sich auch auswirkt. Wir leben alle nur in einem kleinen und begrenzten Zeitabschnitt. Und wem es um das Erbe des Christentums, der Humanitas, der wirklich echten abendländischen Kulturwerte zu tun ist, der muß alles daran setzen, daß diese kleine Halbinsel Europa, die 2000 Jahre sich emporgearbeitet und der Welt das Gesicht geprägt hat, nicht eines Tages von Asien verschlungen wird.
    Die Menschheit hat nach Jahrhunderten und Jahrtausenden zu zählen und zu rechnen. Auch Europa, wie wir es heute vor uns haben, ist nicht von heute auf morgen entstanden. Es befindet sich in ständiger Entwicklung, und wenn der Sinn der Menschheitsgeschichte Entwicklung und Fortschritt bedeutet, dann dürfen wir die Hoffnung haben, daß Europas Rolle trotz aller Schicksalsschläge, die uns getroffen haben, nicht ausgespielt ist.
    Von dieser Betrachtungsweise aus sehen meine politischen Freunde und ich auch die Aufgaben des Europarats. Dabei kommt es im Augenblick nicht so entscheidend darauf an, welche Funktionen der Europarat einmal erfüllen wird. Aber etwas ist doch wesentlich: Dieses Gremium ist ein internationales Gremium, und die Staaten des Westens gehören ihm mit Ausnahme derjenigen Staaten an,
    die wie Spanien dem Faschismus untertan sind. Die Einbeziehung Deutschlands in dieses System bedeutet immerhin eine internationale Anerkennung, die um so schwerer wiegt, als ein Friedensvertrag noch nicht besteht.
    So müssen wir die gegenwärtige Situation hinsichtlich der Möglichkeiten eines Friedensvertrages sehen, wie sie ist. Dabei wünschen wir, daß wenigstens die Beendigung des Kriegszustandes erklärt würde. Wir wissen, daß wir heute nicht in der Lage sind, schon einen Friedensvertrag zu unterzeichnen. Wir können es nicht, denn wir wollen das einige Deutschland. Wir wollen, daß der Friede zustande kommt, daß er nicht diktiert, sondern aus dem gemeinsamen Willen der Völker geboren wird, die nun endlich Ruhe, Frieden und Wohlfahrt haben wollen. Das ist die Voraussetzung für alles, daß wir aus dem Objekt zum Subjekt der Politik werden. Wir wollen endlich das letzte Blatt des düsteren Kapitels unserer Geschichte umschlagen und das neue Kapitel des Wiederaufbaus und des Neuaufbaus beginnen.
    Wenn wir heute wieder in die Lage versetzt sind, mit dem Ausland Gespräche zu führen und darüber nachzudenken, welche Stellung wir dabei einnehmen wollen, so gibt es meiner Überzeugung nach nur eine Formulierung, die wir aus unserer tragischen Geschichte lernen müssen. Hüten wir uns, als Partei nur eine bestimmte Karte ziehen zu wollen, sei es die französische, sei es die englische, sei es die amerikanische oder die russische. Meine Herren, davon verstehen Sie ja mehr als ich. Es ist wie beim Skatspielen: der Grand mit Vieren ist immer noch der beste und der teuerste!

    (Heiterkeit.)

    Und lassen Sie mich auch das sagen: die innere Widerstandskraft gegen den Kommunismus wird nicht in einer hermetischen Abschließung von Rußland, sondern in der Verwirklichung einer echten, das Volk begeisternden Demokratie erreicht; und dieses wird der einzige Weg sein, der das ganze Volk zusammenführen kann.
    So glaube ich — um damit zu schließen -, daß
    alle Parteien in diesem Hohen Hause den Wunsch haben, in gemeinsamer Arbeit die unter den gegenwärtigen Verhältnissen bestehenden außenpolitischen Chancen zu finden und auszunutzen. Dabei wäre es verhängnisvoll, wenn die verschiedenartige parteipolitische Orientierung dazu führen würde, daß irgendeine der für uns bestehenden Möglichkeiten ausgelassen würde, weil derjenige, der sie erkennen würde und deshalb wahrnehmen müßte, aus parteitaktischen Überlegungen vor ihr zurückzuschrecken hätte. Erst wenn diese Gefahr beseitigt ist, wird sich die deutsche Außenpolitik so vielseitig und so reich an Chancen entfalten, wie es dem Lebensbedürfnis unseres deutschen Volkes entspricht.

    (Lebhafter Beifall beim Zentrum, bei der SPD und in der Mitte.)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete von Thadden.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Adolf von Thadden


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DRP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DRP)

    Meine Damen und Herren! In allen Parlamenten besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen einer außenpolitischen Debatte und den sonstigen, sehr oft nur parteipolitischen Streitigkeiten, wie sie im Parlament stattfinden. Wir haben heute leider nicht Gelegenheit gehabt, das zu sehen, was an sich notwendig gewesen wäre


    (von Thadden)

    und was sowohl für das Ausland als auch für das Inland zu wissen wichtig gewesen wäre: daß es in diesen Fragen der Außenpolitik, die unsere Nation in ihrer Gesamtheit angehen, grundsätzlich nur einen einzigen Willen zu geben hat und daß alle Vertreter des Volkes grundsätzlich in der Wahrung ihrer Rechte, der Rechte des Volkes, einer Meinung sein sollten. Die Frage, die überhaupt nur diskutiert werden kann, ist die: Wie helfen wir unserem Volk aus dem derzeitigen Dilemma heraus, und wie erreichen wir es, einen neuen Zusammenschluß mit den anderen Völkern zustande zu bekommen? Ich glaube, daß die Herren oder vielmehr der Herr, der heute hier so laut in das Horn der Opposition geblasen hat, am allerwenigsten legitimiert war, dies vor allem im Hinblick auf die Dinge zu tun, die er so besonders stark angegriffen hat. Wenn ich mich recht erinnere, war es doch der zweite Vorsitzende der SPD, Herr Ollenhauer, der im Frühjahr auf dem Sozialistenkongreß in Wien die Londoner Empfehlungen, die ihm damals von den sozialistischen Freunden aus England vorgelegt wurden, akzeptierte und damit im vornherein alle die Dinge anerkannte, gegen die man heute hier so energisch zu Felde gezogen ist.

    (Zurufe von der SPD. — Abg. Di. Schmid: „Du ahnungsloser Engel, Du!")

    Wenn hier dagegen einige Leute polemisierten, daß der Versuch unternommen worden ist, mit einer Beteiligung ausländischen Kapitals zur Demontage vorgesehene Werke zu retten, so würde ich den Herren, die dagegen zu Felde zogen, doch einmal den Vorschlag machen, sich mit den Arbeitern zu unterhalten, ob sie lieber in einem Werk, das mit ausländischer Beteiligung steht, arbeiten oder in einem leeren, demontierten Werk ohne ausländische Beteiligung arbeitslos sind.

    (Zuruf links: Das nennt sich Nationale Rechte!) Ich glaube, wenn diese Rede, so wie sie heute hier gehalten wurde, vor der Wahl gehalten worden wäre, wäre die sozialdemokratische Fraktion vielleicht nicht ganz so groß, wie sie heute noch ist.

    Wenn Herr Dr. Schumacher dem Bundeskanzler vorwirft, es sei eine grobe Versäumnis, in der vorigen Woche die außenpolitische Debatte nicht durchgeführt zu haben, so können wir hiermit nicht übereinstimmen. Die heutige Lage ist unseres Erachtens so schwierig, daß es im höchsten Grade falsch wäre, wenn sie vorher zerredet würde. Und sie wäre zerredet worden, wenn diese Debatte in der vorigen Woche stattgefunden hätte.

    (Zuruf.)

    Um so klarer und aufrichtiger sollte die nachträgliche Aussprache sein. Ob es aber hier nun zu einer allgemeinen Klarheit gekommen ist, wage ich doch anzuzweifeln.
    Es gibt wohl keinen unter uns, der nicht mit dem Bundeskanzler der Meinung wäre, daß die deutschfranzösische Verständigung das Kernproblem Europas überhaupt ist und daß nur mit einer deutschfranzösischen Verständigung die Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben der Völker geschaffen werden können.

    (Zuruf links: Schade, daß die preußischen Junker das nicht früher gewußt haben!)


    (Zuruf: Antikominternpakt!)

    denn bisher ist es immer noch so gewesen, daß, wenn eine Entscheidung bevorstand, es Frankreich war, das sehr oft zum Leidwesen der Amerikaner Knüppel dazwischengeworfen hat. Die ständigen Liebesbeteuerungen, wie sie von hier gemacht werden
    — und das stimmt uns bedenklich —, werden in Frankreich langsam nicht mehr geglaubt.

    (Zuruf links: Daran seid ihr schuld!)

    — Daran sind wir nicht schuld; das werde ich Ihnen gleich entwickeln. Wir können uns dem Eindruck nicht entziehen, daß von interessierter Stelle, die diese deutsch-französische Verständigung nicht will, planmäßig Propaganda getrieben wird, die deutschen ehrlich gemeinten Versuche, zu einer Übereinstimmung zu kommen, nicht wahrheitsgemäß zu nehmen. Eine deutsch-französische Verständigung setzt unseres Erachtens eine Revision der Geschichtsauffassung auf beiden Seiten voraus. Beide Teile müssen nach der Wahrheit suchen.; und das ist heute oftmals nicht der Fall. Und wenn der Herr Bundeskanzler meinte — ich glaube, er war es —, daß die deutsch-französische Frage eine Angelfrage sei, so glaube ich: sie ist die einzige Angelfrage.
    Es gibt nun aber bei dem ganz klaren Willen zu einer Verständigung mit Frankreich zu kommen, Punkte, über die man einfach nicht verhandeln kann. Dazu gehört, daß wir Verluste von deutschen Gebietsteilen widerspruchslos hinnehmen sollen. Wir können die Regierung nur davor warnen, völkerrechtswidrige Dekrete als Voraussetzung und Grundlage ihrer Außenpolitik zu nehmen. Es wurde heute hier soviel vom Sicherheitsbedürfnis geredet. Wir können nur bedauern, daß die Franzosen diesen Sicherheitskomplex angesichts der allgemeinen Gefahr, die ganz Europa, nicht nur uns, vom Osten her bedroht, noch derartig herausstreichen.
    Was das Saargebiet anlangt, so müssen wir in der letzten Zeit in der ausländischen Presse, zum Beispiel in der New-York-Times, sehen, daß man dort Dinge als Gegebenheiten annimmt, gegen die wir auf das schärfste protestieren müssen. Es ist unmöglich, daß ausländische Zeitungen anfangen, den Begriff des „Sarrois" zu gebrauchen, und damit den Eindruck erwecken, es gäbe eine saarländische Nation. Eine solche gibt es nicht und soll es — und das soll die Linie der Regierungspolitik sein — auch in aller Zukunft niemals geben. Im Saargebiet gab es einmal eine eindeutige Volksabstimmung unter alliierter Aufsicht. Sie können wir auch heute noch, im Jahre 1949, respektieren und daraus unsere berechtigten Ansprüche herleiten. Das Wesentlichste aber ist, daß, wenn wir das Saargebiet staatsrechtlich abtreten, wir uns damit der Legitimation begeben, jemals gegen die Oder-Neiße-Linie Sturm zu laufen; und das müssen wir alle tun.

    (Sehr richtig!)

    Wie die wirtschaftliche Ausbeutung dieser ganzen Bodenschätze usw. in Zukunft sein soll, das ist eine Frage, über die wir, wie ich glaube, in fünf Jahren zu völlig anderen Auffassungen kommen, als sie heute noch als feststehend vertreten werden.
    Wenn eine europäische Einigung durchgeführt werden soll, so sind wir sehr im Gegensatz zur Sozialdemokratie der Ansicht, daß diese gerade zuerst von der wirtschaftlichen Seite her kommen muß; denn da liegt der Hund begraben.

    (Heiterkeit.)

    Meine Herren von der Linken, nicht umsonst ärgert
    sich der Herr Hoffman in Paris darüber, daß diese


    (von Thadden)

    Europäer immer noch in einem vorsintflutlichen Wirtschaftsnationalismus verharren; und diesen haben Sie hier durch die Ablehnung dieser Vorschläge nur noch deutlicher unterstrichen.

    (Zuruf links: Was haben pie eigentlich für eine nationale Konzeption?)

    — Die werden Sie gleich hören, warten Sie nur ab! — Wir können immer nur das eine tun: daß wir die Westmächte darauf hinweisen, daß sie Europa, von dem sie alle reden, nicht bauen werden ohne Mitteleuropa; und das sin d wir. Was die Englander anlangt, so können wir sie in unserem Willen, Europa mit Frankreich neu zu ordnen, draußen lassen. Die Zeiten des balance of power, wo man einmal Frankreich gegen Deutschland und einmal Deutschland gegen Frankreich ausspielen konnte, sind ein für allemal vorbei, und wenn die Herren sich jetzt auf ihr Commonwealth zurückziehen, — nun gut, dann sollen sie es tun. Wir wollen uns davon nicht beeindrucken lassen. Und wenn hier jetzt mit ihrer Unterstützung Rückzugsgefechte geführt werden, so wissen wir, was wir davon zu halten haben.
    Das Gerede vom deutschen Nationalismus im Sinne des Chauvinismus, der nebenbei eine französische Erfindung ist, ist nichts anderes als ein Verlegenheitsausdruck gegenüber einer Situation, in die man ohne eine Konzeption hineingeschlittert ist und in der man nicht weiß, wie man daraus herauskommen soll. Die deutschen Sünden sind in aller Munde; die Sünden der anderen aber, wie sie sich seit 1945 einigermaßen zahlreich abgespielt haben, schweigt man geflissentlich tot.

    (Zuruf rechts: Sehr bezeichnend!)

    Voraussetzung einer jeden Politik und insbesondere einer europäischen Politik sollte aber eine Wahrhaftigkeit sein, und wir bedauern aufs höchste, daß wir diese Wahrhaftigkeit nur zu oft vermissen müssen. Die Abtrennung des Saargebietes — man ist auf französischer Seite dabei, sie durchzuführen —, die sogenannten Grenzberichtigungen, von denen die Bundesregierung notfalls durch die Presse erfährt, und die Demontage aus Konkurrenzgründen, — diese Dinge sind unseres Erachtens nicht geeignet, eine europäische Völkerfamilie aufzubauen. Wenn man jetzt die deutsche Mitarbeit will, so tut man es — und diese Erkenntnis sollte uns stark .machen — nicht aus Nächstenliebe, sondern weil man uns eben braucht! Wir wissen, daß man uns braucht, und wir wollen auch ganz offen und ehrlich mitarbeiten.

    (Abg. Renner: Marschieren wollen Sie!)

    — Die Zeiten des Marschierens gegen westeuropäische Staaten sind ein für allemal vorbei.

    (Abg. Renner: Sie marschieren wieder gegen die Russen!)

    — Wenn Sie von Marschieren reden, so möchte ich Ihnen nur sagen, daß jeder, der im Frankreichfeldzug gewesen ist, mir wahrscheinlich bestätigen wird, daß von irgendeinem großartigen Gefühl, gegen Frankreich marschieren zu dürfen, 1940 wohl kaum geredet werden kann; vielmehr hat sich jeder einzelne damals höchstens als ein kleines Rädchen in einem technisch riesenhaft überlegenen Apparat gefühlt. Von irgendwelchen Haßgefühlen gegenüber den Franzosen habe ich bei deutschen Soldaten niemals etwas feststellen können.

    (Erneute Zurufe: — Abg. Dr. Schumacher: Was soll denn das Geplaudere? — Glocke des Präsidenten.)

    — Das ist kein Geplaudere, sondern das sind meines Erachtens höchst wichtige Angelegenheiten.
    Wir wollen — das kann ich nur noch einmal unterstreichen — mitarbeiten, aber nicht als von Paris kommandierter Hilfsdienst, sondern als ein gleichberechtigtes deutsches Volk. Wir werden aber unseres Erachtens diese Gleichberechtigung nicht schnell bekommen, wenn wir hier ein höchst bedauernswertes Schauspiel nationaler Zerrissenheit liefern. Wenn jetzt auf beiden Seiten, sowohl hier wie auch in Frankreich, die Männer zahlreicher werden, die einen ehrlichen Ausgleich suchen, so wollen wir dem Außenminister Schuman für den von ihm beschrittenen Weg nur alles Gute wünschen, und wir wollen hoffen, daß, Herr Schuman, wenn er in Kürze seiner Nationalversammlung gegenübertritt, dort — und das wollen wir in unserm deutschen Interesse hoffen — keinen Schumacher findet.

    (Sehr richtig! rechts. — Lachen und Zurufe bei der SPD.)

    Der „Corriere della Sera" schrieb am 10. Oktober: Die Schaffung des ostdeutschen Staates zwingt die amerikanische Diplomatie, sich zu. entscheiden, ob sie die Politik der Halbheiten der letzten Monate fortsetzen oder offen für die Einfügung des Bonner Deutschlands in den Westkomplex wirken will.
    Vergessen wir eins nicht: seit 1945 ist mit einer klaren politischen Auffassung nur eine Macht in Aktion, nämlich Moskau. Moskau war immer im Vormarsch begriffen, und der Westen läuft bei einer Fortsetzung seiner bisherigen Linie Gefahr, völlig in die Defensive gedrängt zu werden und den kalten Krieg zu verlieren, ohne daß der Kreml irgendwelche Anstrengungen größerer Art zu unternehmen brauchte. China ist weg. Die Chance des Berliner Erfolges hat man mutwillig verspielt, da es keine Möglichkeit gab, die drei Meinungen zu einer zusammenzufassen. Die Marshallplangelder wurden sinnlos vergeudet, wie die Pfundabwertung als Resultat der Labour-Pleite einigermaßen deutlich bewies.

    (Gelächter bei der SPD.)

    Westeuropa scheint außerstande, aus seinem Wirtschaftsnationalismus herauszukommen, und die Politik des kleinen Mannes geht dahin, die großzügigen Marshall-Milliarden als Defizitausgleich europäischer Unfähigkeit zu verwenden.

    (Widerspruch bei der SPD.)

    Gegenüber dieser Senilität, wie sie hier im Westen noch ihr Unwesen treibt, im Vormarsch zu bleiben, ist dem Kreml nicht schwer. Unsere Auffassung hinsichtlich einer nationalen deutschen Politik kann nur die sein, daß wir als die vom Osten am meisten bedrohte Stelle alles tun, unsern Volkskörper innerlich zu stärken und dabei ehrlich und offen zu versuchen, Anschluß an die anderen Völker des westeuropäischen Raumes zu finden. In Moskau haben wir einen einzigen Willen, und alles dient dort nur dem Ziel, wie man möglichst schnell die Weltherrschaft erringen kann. Rückschläge, Kompromisse und Rückzüge spielen dort überhaupt keine Rolle.
    Es geht nun darum — so betrachten wir die jetzige Auseinandersetzung mit Frankreich gegen den dortigen einheitlichen Willen einen genau so einheitlichen westeuropäischen Willen zu bilden, wobei jeder Partner, also sowohl Deutschland wie auch Frankreich, etwas zurückstecken sollte. Ressentiments sollten endlich vergessen sein; sie sind


    (von Thadden)

    durch die Entwicklung der letzten vier Jahre überholt. Man sollte versuchen, gemeinsam eine neue Ordnung aufzurichten. Ich kann in diesem Zusammenhang nur noch einmal betonen: wenn wir vom Wirtschaftlichen her diese neue Ordnung aufbauen, wird ihre Haltbarkeit wesentlich größer sein, als wenn wir sie auf irgendwelche ideologischen Dinge aufbauen wollten.

    (Zuruf links: Besser als mit Bajonetten!)

    Zu den Verhandlungen, die die Bundesregierung mit dem Westen geführt hat, können wir nur sagen, daß wir, was den materiellen Inhalt anlangt, in vieler Beziehung nicht mit der Bundesregierung konform gehen; aber das eine wollen wir ihr versichern: der Wunsch, zu einem Ausgleich Deutschland-Frankreich zu kommen, wozu beide Teile beitragen müssen — der Anfang unserer heutigen Debatte hat allerdings keinen Beitrag geleistet —, entspricht dem Willen der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes. Die Bundesregierung sollte diesen Willen des Volkes, zu einem solchen Ausgleich und darüber hinaus zu einer neuen Ordnung zu gelangen, als einen ganz massiven Faktor in ihre Rechnung einbauen und damit gegenüber dem Ausland eine Haltung einnehmen, wie sie uns als einem Volk von 40 Millionen zukommt, dessen physische sowie geistige Kraft durchaus noch vorhanden ist.

    (Zuruf von der KPD: Sagen Sie doch 60 Millionen!)

    — Im Westen haben wir leider nur 40 Millionen.

    (Zuruf in der Mitte: 47 Millionen! — Abg. Dr. Schmid: Das deutsche Volk hat 65 Millionen!)

    Wir können vom Westen her die restlichen Deutschen, die unter dem östlichen Terror schmachten, nur mit den anderen Völkern Westeuropas, aber niemals allein wieder zu uns holen. Das ist der wesentlichste Punkt. Die Stärkung Westeuropas, um die westeuropäische Grenze wieder dahin zu legen, wohin sie gehört,

    (Abg. Renner: Und im Osten bis zum Ural!)

    sollte das Hauptziel unserer deutschen Politik und damit auch das Ziel der Politik der Bonner Regierung, sein.

    (Beifall bei der NR.)