Rede von
Dr.
Kurt
Schumacher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Bei den Diskussionen in Deutschland hat man sich mit erfreulicher Einmütigkeit zu gewissen Grundsätzen internationaler Politik bekannt. Ein Großteil dieser Grundsätze ist eigentlich von niemand bestritten. Bestritten wird die Selbstverständlichkeit, mit der eine Reihe von Handlungen politischer Natur vorgenommen wird, über die entgegengesetzte Meinungen im deutschen Volk bestehen. Es, gibt kein Monopol, zu wissen, was den deutschen Interessen frommt, es gibt ein solches Monopol auch nicht für eine europäische Konzeption. Darum gibt es ein Monopol dieser Art auch nicht für die Bundesregierung. Wir beklagen, daß bei der außerordentlichen Mitteilsamkeit führender Männer der Bundesregierung über diese Probleme in der deutschen und internationalen Öffentlichkeit man sich gegenüber dem Parlament in eine übermäßige Schweigsamkeit gehüllt hat.
Es gibt keine einheitliche deutsche Meinung über die vom Herrn Bundeskanzler hier vorgetragenen Probleme. Weder gab es eine solche vor Paris, noch gab es sie in Paris, noch gibt es sie jetzt nach Paris. Vielmehr ist heute noch die Weltöffentlichkeit und ein Teil der deutschen Öffentlichkeit darüber im unklaren, was das deutsche Volk mit einem an Einmütigkeit grenzenden Willen haben will und was es als zukunftgefährdend und untragbar in großen Teilen abzulehnen gewillt ist.
Was wir aber heute in erster Linie besprechen müssen, das ist nicht das Verhältnis von Regierung und Opposition in diesen Fragen; in erster Linie ist zu klären das Verhältnis von Regierung und Parlament.
Es hat hier an der allein gestaltenden, verantwortlichen zentralen Stelle des deutschen demokratischen Lebens keine Abwägung der Standpunkte stattgefunden. Wir möchten gegenüber manchen Mißverständnissen und gegenüber einer Kritik, die es sich zu leicht macht, betonen: Wir haben uns nicht gewandt und denken uns nicht zu wenden gegen die politisch-diplomatische Aktion der Regierung. Eine solche Aktion zu unternehmen, ist heute jede Regierung verpflichtet. Das zu bestreiten, würde ja die Beendigung der außenpolitischen Funktionen der Regierung bedeuten.
Wir haben uns gegen die politischen Prinzipien
und den materiellen Inhalt der Schritte gewandt.
Meine Damen und Herren! Es ist hier einmal die
Methode festzustellen und abzulehnen, daß ohne
genügende Legitimation, ohne vorhergehende
Klärung im Grundsätzlichen Schritte unternommen werden, die nicht Angelegenheit der Tagespolitik sind, sondern die Lebensfragen des deutschen Volkes und die Grundsätze berühren, nach denen Europa aufgebaut werden soll.
Das Wesen des Kompromisses liegt nicht in der einseitigen Setzung der Ziele. Ein Kompromiß ist hier zwischen der Regierung und den Parteien nicht versucht worden. Der Herr Bundeskanzler hat den in den entscheidenden Punkten abweichenden Standpunkt der Sozialdemokratie durchaus gekannt. Aber diese Dissonanz in den Auffassungen ist in keiner Periode Gegenstand öffentlicher oder
Örivater Auseinandersetzungen gewesen. Und der ffentlichkeit in Deutschland möchte ich sagen: In einem erklärlichen Eifer, dieser Regierung zu assistieren und Hilfe zu leisten, soll man die ignoranten, ungehörigen Vergleiche mit Thoiry und Locarno lassen. Damals hat es keine noch so kurze Periode gegeben, in der nicht alle Parteien des deutschen Reichstags über die Intentionen und die geplanten Schritte unterrichtet gewesen wären und die Möglichkeit gehabt hätten, ihrerseits darauf einzuwirken. Eindeutig muß festgestellt werden, daß es, unbeschadet des einzunehmenden Standpunktes, Aufgabe des Parlaments ist, die Diskussion hierüber rechtzeitig zu führen. Eine Bundesregierung, die nicht die demokratische Legitimation eines parlamentarisch ausdiskutierten Standpunktes hat, hat gegenüber dem Ausland einen sehr schwachen Stand. Seine Bedeutung hängt dann von dem guten Willen der kommenden oder jetzigen Verhandlungspartner ab. Wir leben, meine Damen und Herren, in der Demokratie nicht in einem Staate der Regierungsparteien.
Wir leben nicht in einem autoritären Staat; aber die Praxis, mit der jetzt die schwierigsten Fragen der deutschen Politik und der europäischen Zusammenarbeit behandelt worden sind, läßt uns befürchten, daß wir dahin kommen.
Nun ist dem Herrn Bundeskanzler in seiner Darstellung der Schreiben vom 1. 11. und vom 7. 11. insofern ein Irrtum unterlaufen, als er nach seinem ersten Schreiben vom 1. 11. durchaus die Möglichkeit gehabt hätte, mich oder die beiden anderen Herren, die Vorsitzende der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion sind, zu unterrichten. Alle drei waren wir in der Zeit vom 1. bis 5. 11. in Bonn anwesend.
Ich glaube, die vier Tage nach dem Ersten des Monats werden auch einem vielbeschäftigten Regierungschef die Möglichkeit gegeben haben, uns in dieser Richtung zu informieren.
Aber, meine Damen und Herren, das ist ja gar nicht der entscheidende Punkt. Es handelt sich nicht um die persönliche oder meinetwegen auch parteitaktische Ästimierung einzelner Faktoren unserer deutschen Bundespolitik. Es handelt sich darum, daß hier eine Reihe von Problemen aufgeworfen und behandelt worden ist, daß die Lokomotive in eine Fahrtrichtung gesetzt worden ist, von der der Herr Bundeskanzler weiß, daß sie von weiten Teilen des deutschen Volkes nicht als richtig angesehen wird.
Außerdem ist der Inhalt der beiden Schriftsätze an die Hohen Kommissare nicht der alleinige Bestandteil der Verhandlungen in Paris gewesen. Er ist durch eine Reihe von Äußerungen des Herrn Kanzlers, des Herrn Vizekanzlers, des Herrn Wirtschaftsministers und einiger anderer Persönlichkeiten ergänzt gewesen. Sie alle haben Äußerungen getan, die wesentlicher Bestandteil der Pariser Verhandlungen gewesen sind. Wenn sich der Herr Bundeskanzler sehr dezidiert zu dem Ruhrstatut und der Notwendigkeit des Eintritts Deutschlands in die Ruhrbehörde geäußert hat, wenn er seine Meinung über die gleichzeitige Beteiligung Deutschlands und des Saargebiets im Europarat ausgesprochen hat, dann, meine Damen und Herren, war das alles ein bedeutsamer und die Deutschen weitgehend verpflichtender Bestandteil der Beratungen der alliierten Außenminister in Paris. Tatsächlich haben sie diese Materie ja auch in dem Rahmen der in den beiden Schriftsätzen des Herrn Bundeskanzlers gestellten Themen behandelt.
Der Regierung möchte ich sagen: Man kann nicht an den Burgfriedensgeist appellieren, wenn man selbst dauernd Reden hält, die bestimmte Tendenzen aufweisen, und durch Interviews oder ähnliche Äußerungen die Materie formt und beeinflußt.
Ich glaube, der englische „Observer" hat die Situation der Bundesregierung deutlich charakterisiert, als er diese Politik der Bundesregierung ein großes politisches Risiko nannte.
Ich glaube, daß das Parlament dieses Risiko hätte ausschalten können und vielleicht auch heute noch in einigem vermindern kann. Das Selbstbewußtsein des Parlaments in einer funktionierenden Demokratie verlangt eine entscheidende Stellungnahme. Es ist sehr interessant, daß in dem vielleicht nicht sehr klaren Kommuniqué der Herren Außenminister von der Notwendigkeit der Demokratie in Deutschland gesprochen wird. Der Zustand, in dem wir diese Probleme jetzt diskutieren, ist kein demokratischer Zustand.
Er bedeutet für uns eine beträchtliche Schmälerung des politischen Vertrauenskredits unseres neuen Staatswesens. Ich muß dem Herrn Bundeskanzler für meine Fraktion, aber wahrscheinlich auch für weite Kreise über den Rahmen sozialdemokratischer Wählerschaft hinaus den Vorwurf machen, daß uns diese Methode der Geheimpolitik sachlich nicht vorwärtsgebracht hat, aber formal den verschiedensten Mißdeutungen des Auslandes aussetzt. Ich sagte, meine Damen und Herren: Geheimpolitik. Ich habe nicht gesagt: Kabinettspolitik; denn ich habe den Eindruck, als ob auch sehr viele Mitglieder des Kabinetts in dieser Phase der Dinge noch nicht sehr viel gewußt haben.
Wir Sozialdemokraten haben uns stets eindeutig für den menschlichen und kulturellen Stil des Westens entschieden. Wir haben uns nicht anders entscheiden können, weil diese Entscheidung unserem geistigen Herkommen und unserer Art, zu denken und zu fühlen, angemessen ist. Aber wir haben von weiten Kreisen, die jetzt in dieser Frage die Politik des Herrn Bundeskanzlers stützen möchten, bittere Vorwürfe über die Einseitigkeit, über das zu stark Pro-Westlerische unserer Entscheidung zu hören bekommen. Ich möchte deshalb über den Rahmen des Hauses hinaus folgendes zur Klärung der Situation in Deutschland sagen: Hüten
Sie sich, die Sozialdemokratie nationalistisch zu
sehen, wie das bei einigen Neueuropäern üblich ist;
Sie verspielen sonst einen großen Trumpf, den das ganze deutsche Volk heute schon braucht und vielleicht in Zukunft noch sehr viel stärker brauchen wird.
Es ist nämlich heute - und das ist das Schlimme in der deutschen Öffentlichkeit — eine Reihe von Leuten in der Lage, sich in einem Teil der Presse neueuropäisch zu äußern, die noch vor wenigen Jahren die Sozialdemokraten vaterlandslose Gesellen und Landesverräter genannt haben.
— Ja, aber olle Kamellen, die in der deutschen Geschichte furchtbares Unheil angerichtet haben.
Wenn Sie aber, verehrter Herr Zwischenrufer, mit der Bemerkung „olle Kamellen" jene von mir gekennzeichnete Argumentation gegen die Sozialdemokratie meinen, so werden Ihnen meine Fraktion und ich von Herzen zustimmen.
Die Neueuropäer sind uns aber ebenso verdächtig wie die Neodemokraten und wie die neuesten Fanatiker der Sozialpolitik, die bisher jede Gelegenheit haben vorübergehen lassen, um sich auch praktisch durch sozialpolitisches Handeln zu betätigen. Meine Damen und Herren, die Kreise, die heute die Träger der neoeuropäischen Agitation sind, sind doch dieselben Kreise, die schön im Kaiserreich und in der Republik Gelegenheit zum Abschluß von großen Wirtschaftsabkommen speziell zwischen den Kräften der Schwerindustrie in den Ländern Frankreichs und Deutschlands gehabt haben.
Diese Wirtschaftsabkommen haben diese Herrschaften noch nie daran gehindert, auch ganz solide und verdienstreiche Kriege gegeneinander zu führen.
Werte Versammlung, es macht auf das deutsche Volk einen peinlichen Eindruck, wenn dieselben Teile der Unternehmerschaft, die auf einmal in Internationalität machen, zur gleichen Zeit gegenüber dem eigenen Volk etwa das Mitbestimmungsrecht der Arbeitenden verweigern.
Bei der Diskussion über das heutige Europa, das praktisch in Frage kommt, muß man teilen. Es handelt sich nicht um das ganze Europa. Die russisch-totalitäre politische Aggression hat Europa gespalten. In diesem gespaltenen Europa haben wir noch die Absentierung der beiden Länder der Pyrenäenhalbinsel und die schmerzliche halbe oder noch weitergehende Fernhaltung Großbritanniens und in gewissem Abstand auch Skandinaviens. Trotzdem erklären wir unseren guten Willen zu den heutigen europäischen Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Frankreich, den Staaten der Benelux-Konvention und Italien. Einfach deswegen, weil wir die Tendenzen unterstützen wollen, die über das Nationalstaatliche und Nationalwirtschaftliche hinausgehen.
Die Überspannung der nationalistischen Residuen
in der europäischen Staats- und Wirtschaftspolitik
ist die einzig wirkliche Gefahr, von der aus der gute Wille der amerikanischen Hilfe bedroht werden könnte.
Meine Damen und Herren, ich fürchte, daß wir uns bei dieser Aussprache oft derselben Worte bedienen und dabei einen ganz anderen Sinn im Auge haben. Die Idee der Vereinigten Staaten von Europa ist in ihrer inneren Tiefe und äußeren Weite eine Idee von großer Tradition. Aber es ist die Tradition der Freiheit und der Völkerversöhnung und nicht die Tradition der europäischen Schwerindustrie.
Diese Idee schöpft ihre Lebenskraft aus der Politik der Versöhnung der Völker und des Friedens für die Völker. Sie ist nicht die Idee einer Gruppe, die aus ihr wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen in der Lage ist.
Wenn wir uns in dieser Stunde zur Notwendigkeit des Gefühls der Sicherheit bei allen Völkern Europas bekennen, müssen wir uns bemühen, den Gedanken der Sicherheit auch von seinen macht-und profitpolitischen Schlacken zu reinigen. Mit der großen Notwendigkeit und der moralischen Kraft der Sicherheitsidee wird sehr viel zugedeckt, was gar nichts mit Sicherheit zu tun hat. Wenn wir die Sicherheitsforderungen anderer Länder gegenüber einem neuentstehenden Deutschland betrachten, müssen wir sagen: Diese Sicherheitsforderungen werden am besten durch eine Politik befriedigt, die gewillt ist, im neuen Deutschland nichts zu verbergen.
Wir haben nichts zu verbergen, und wir wollen nichts verbergen. Wir wollen gegen den nationalistischen Unfug solcher Menschen ankämpfen, die nach dem ersten Weltkrieg jede Durchführung der Sicherheitsmaßnahmen als Landesverrat anzuprangern bereit waren.
Meine Damen und Herren, da werden sehr viele Herrschaften, die heute noch gewillt sind, in der Regierungspolitik Adenauers einen neuen Absprung zu sehen, in wenigen Jahren permanent ihr Befähigungsexamen abzulegen haben.
Deswegen erklärt die sozialdemokratische Fraktion: Wir sind nicht nur für die Anerkennung, nicht nur für das bloße Zusammenarbeiten mit der alliierten Sicherheitsbehörde; wir wünschen die Stärkung aller Kontrollmaßnahmen, wir wünschen eine starke Sicherheitsbehörde in Deutschland. Darüber hinaus sagen wir den Völkern Europas: Sicherheit kommt nicht aus der Zerstörung. von Maschinen und nicht aus einer Politik der bloßen Niederhaltung; Sicherheit wird getragen von lebendigen Menschen, von ihrem Friedenswillen und ihrem Vertrauen in die Zukunft.
Der Auswärtige Ausschuß der französischen Nationalversammlung hat vor einiger Zeit beschlossen, die Regierung zu ersuchen, in der deutschen Frage keine Verpflichtungen einzugehen bis zur großen parlamentarischen Debatte über die französische Außenpolitik, die am 22. November beginnt. Gegenüber dieser akzentuiert festen Haltung, glaube ich, ist der Inhalt der Interviews speziell des Herrn Bundeskanzlers nicht das notwendig sichere Fundament, auf dem eine neue deutsche
Außenpolitik sich aufbauen könnte. Sehen Sie bitte, Herr Bundeskanzler, Sie haben in diesem Interview im speziellen bezüglich der Ruhr und der Saar vorbehaltlos alles das in einem Umfang angeboten, was nicht einmal am Ende der Verhandlungen möglich wäre.
Das ist ein Mehr gegenüber dem, was Deutschland auch bei Dokumentierung seines guten Willens zuträglich ist. Man spricht mit Recht von der Notwendigkeit der Opfer. Aber wenn wir davon sprechen, dürfen wir nicht übersehen, was tatsächlich schon geopfert worden ist,
wenn auch sehr oft in den Formen der bloßen Wegnahme, die uns die Dokumentierung eines guten deutschen Willens gar nicht erlaubt hat. Aber die europäische Idee und das Vertrauen der Völker werden entwertet, wenn Europa zum Vorwand für hegemoniale Macht- und Staatspolitik wird.
Demgegenüber ist festzustellen, daß die Faktoren, die zum Stadium der Einigung und des Vertrauens in Europa kommen sollen, nicht in erster Linie die ökonomischen Machthaber sind. Zur Einigung und zum gegenseitigen Vertrauen kommen sollen die Völker Frankreichs und Deutschlands. Es handelt sich hier um eine Angelegenheit der ganzen Völker und nicht um eine Frankreich-DeutschlandAG.
Darum ist eine bloße Annäherung in dieser ökonomischen Oberschicht keine Verständigung, wie o sie das deutsche Volk will, und erst recht keine Verständigung, wie sie das französische Volk will. Diese Verhältnisse tragen in sich die große Gefahr, daß sie nicht die Überwindung des Nationalismus, sondern die Erweckung eines neuen Nationalismus sind. Betrachten Sie Fragen von dieser Bedeutung, die die Struktur Europas zu ändern in der Lage sind, bitte nicht unter dem Gesichtspunkt der Tagespolitik allein. Was heute verhandelt wird, das ist keine Angelegenheit von heute, das ist eine Angelegenheit von morgen und übermorgen.
Die Totalität der Angebote, wie sie aus dem Geist des „Zeit"-Interviews hervorgeht, bedeutet die Gefahr, daß die Politik, die jetzt etabliert wird, in den Möglichkeiten der Revision behindert wird. Sie bedeutet die Gefahr, daß irreparable Zustände auch auf Gebieten geschaffen werden, auf denen wir sie auf längere Zeit zu tragen nicht in der Lage sind. Man sollte die Diskussion über diese Probleme einbetten in die Aussprache über das französisch-deutsche Verhältnis überhaupt; das erschöpft sich nämlich nicht in den Fragen des Ruhrstatuts und der Saar.
Aber bevor ich einen kurzen Versuch in dieser Richtung mache, lassen Sie mich bitte ein menschliches Wort sagen. Sie wissen, wie sehr das Schicksal der Kriegsgefangenen, die Häufung der Leiden, die diese Menschen aushalten und die ihre Angehörigen in unserem Lande mit tragen, die deutsche Öffentlichkeit und die Menschen in unserem Lande bewegt. Es ist eine große Sache, wenn deutsche Initiative die Rückkehr unserer Kriegsgefangenen aus dem Osten beschleunigt oder ihre Behandlung verbessert. Aber vergessen wir die anderen Kriegsgefangenen nicht. In der Psychose der Vergeltung
nach der Liquidation des Hitler-Krieges sind in Frankreich eine große Anzahl von militärgerichtlichen Urteilen gegen deutsche Kriegsgefangene gefällt worden, die wohl nicht immer den Tatbestand gerecht beurteilt haben, in der großen Überzahl der Fälle aber im Strafmaß, das gleich nach Jahrzehnten bemessen worden ist, über das menschlich Erträgliche hinausgegangen sind. Das war speziell so in den Jahren 1945/46. Betroffen worden sind fast nur die kleinen Leute, die Mannschaften. Es ist unter den Verurteilten, die heute noch sitzen, nur ein einziger Oberst und kein einziger General.
Sie sehen, meine Damen und Herren, die Gewerkschaft der Generale ist die einzige internationale Gewerkschaft, die wirklich funktioniert.
ich hoffe, das französische Volk und seine Regierung werden für eine deutsche Bitte auf Nachprüfung dieser Urteile Verständnis haben. Ich richte im Namen meiner Fraktion an den Herrn Bundeskanzler den Wunsch, in dieser Hinsicht tätig zu werden.
Bei dieser Auseinandersetzung um das deutschfranzösische Verhältnis haben wir jetzt auch offiziell vom Herrn Bundeskanzler gehört, daß seiner
Note vom 7. November ein Schriftsatz der Verenigten Stahlwerke beigefügt gewesen ist. Ich will
seinen Inhalt nicht wiederholen. Ich halte es nicht für richtig, daß am Beginn der deutschen Außenpolitik eine wirtschaftliche Vereinigung von Unternehmungen in die Rolle eines Teils der Träger der deutschen Außenpolitik kommt.
Die Situation wird nicht dadurch verbessert, daß der Schriftsatz mit seinem Begehren ausländischer Kredite in Höhe von 225 Millionen D-Mark von dem Herrn Bundeskanzler gewissermaßen unbesehen und bestimmt ohne Nachprüfung akzeptiert worden ist. Bei einem Schritt von einer solchen Bedeutung haben private Firmen nichts zu tun und auch nicht in die Nähe der Trägerschaft einer politisch-diplomatischen Aktion zu kommen.
Denn diese Innigkeit diskreditiert die Politik der Bundesregierung nach innen und außen.
Gegenüber großen Teilen der westdeutschen Schwerindustrie ist zu sagen, daß es keinen Teil des deutschen Volkes gibt, dessen Führungsanpruch so wenig begründet ist wie der Anspruch dieser Kreise.
Sie haben ihre Beiträge zu verschiedenen Katastrophen der deutschen und der europäischen Geschichte geleistet, und wir wollen die Ausschaltung dieser politischen Einflüsse.
Um so mehr bedauern wir die Beifügung dieses Begehrens in der Form, daß der Herr Bundeskanzler ihm das Zeugnis gegeben hat, es könnte die Grundlage für Verhandlungen bilden. Nein, meine Damen und Herren! Ich glaube, hier geht es nicht um die Interessen der Verflechtung und der Kooperation der westeuropäischen Montanindustrien. Wir haben gar keine Veranlassung, irgendeinem Teil der schweren Industrien bei seinem Kampf um die Quote zu assistieren. Es ist die Politik, erst einmal „mit dabei zu sein", wie es jetzt die deutschen Stahlindustriellen wollen. Nach den Erfahrungen,
die diese Herren nach dem Ruhrkampf von 1923 haben sammeln müssen, und nach der ablehnenden Haltung wichtiger Teile des deutschen Volkes gegenüber ähnlichen Wünschen auf Aufkündigung der Kooperation mit den Alliierten im Sommer 1948, nach all dem dürfen ihre Wünsche nicht Bestandteil oder nicht einmal Gegenstand bevorzugter Förderung der Politik der deutschen Bundesregierung werden. Wenn die Vereinigten Stahlwerke ihre Sorgen haben, speziell gegenüber Frankreich, so mag ihr Pendant in Frankreich, so mag das Comité des Forges ihr Partner sein. Aber auf deutscher Regierungsseite haben sie weder offiziell noch offiziös noch halboffiziös etwas zu suchen. Ich glaube, daß die Position der schweren Industrien in Frankreich nicht so stark ist, daß man dort geneigt wäre, den Teil des Schrittes des Herrn Bundeskanzlers zu akzeptieren, der von den Gutachten der Vereinigten Stahlwerke getragen wird.
— Ich komme darauf, wenn es Ihnen möglich ist, zu warten.
Diese Politik kommt in Widerstreit zu den Interessen der Völker. Es geht um den Einbau des deutschen Staatswesens und des deutschen Volkes in Europa und nicht um wirtschaftliche Interessen einzelner schwerer industrieller Gruppen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich eine Frage an den Herrn Bundeskanzler richten: Herr Bundeskanzler, halten Sie es für angemessen, daß beim Empfang des amerikanischen Staatssekretärs des Äußeren ausgerechnet Herr Robert Pferdmenges unter den Anwesenden glänzte?
Ich möchte die weitere Frage stellen: War Herr
Pferdmenges auch schon bei den Besprechungen im
Königshof oder bei irgendeiner anderen Gelegenheit anwesend? Denn wir wünschen die deutsche
Bundesregierung durch Mitglieder des Kabinetts
repräsentiert zu sehen, aber nicht durch Bankiers.
Denn, meine Damen und Herren, die Geschichte der Kölner Bankiers hat in der deutschen Politik so einen besonderen Beigeschmack.
Angefangen hat das mit Louis Hagen, fortgesetzt ist das worden mit dem Baron von Schröder. Ausgerechnet Herr Robert Pferdmenges mit seinen Meriten um den Wahlkampf gewisser Regierungsparteien und um das Zustandekommen dieser Regierung scheint uns nicht geeignet zu sein, in dieser Repräsentation gegenüber dem Ausland zu funktionieren.
Nun ist als Gegenleistung für gewisse geplante Konzessionen die Demontage ins Feld geführt worden. Aber konkretisieren wir uns! Der Stop der Demontage der verbotenen Industrien kommt nach den Erklärungen verantwortlicher Staatsmänner des Westens überhaupt nicht in Frage. Es handelt sich hier nur um die Demontage von Industrien, die für Reparationen in Rechnung gestellt waren. Wir möchten dem Herrn Bundeskanzler den Vorschlag machen, bei den Verhandlungen diese Frage auf der Grundlage eines deutschen Vorschlags, einer provisorischen internationalen Sicherstellung unter internationaler Verwaltung aller dieser strittigen Objekte, aufzugreifen. Wir haben also als Gegenleistung nicht einen Demontagestop; wir haben einen Stop für Teile der für die Demontage bestimmten Betriebe. Und auch da wird ja der Gegenwert mit jedem Tage weiter gemindert.
Dem Herrn Bundeskanzler möchte ich sagen, daß seine Informationen über Unterhaltungen sozialdemokratischer Politiker mit Mr. McCloy nicht richtig gewesen sind. Ich bin übrigens erstaunt, daß Unterhandlungen zwischen deutschen Politikern mit auswärtigen Staatsmännern Gegenstand der öffentlichen Besprechung — ich hoffe, daß das keine Gepflogenheit wird — durch Träger anderer politischer Meinung werden.
— Sagen Sie mir bitte ein Beispiel, wo ich dagegen verstoße.
— Sie täuschen sich!
Ich möchte dem Herrn Bundeskanzler sagen, daß seine Darstellung in allen Punkten objektiv unrichtig ist. Wir haben bezüglich der AugustThyssen-Hütte mit Mr. McCloy gesprochen; nicht über die August-Thyssen-Hütte im ganzen und etwa ihre Auslieferung an auswärtige Einflüsse, sondern über die Teile, die Anlagen der AugustThyssen-Hütte, die für die Demontage bestimmt waren.
Wir haben uns dabei ausdrücklich auf den Humphrey-Bericht bezogen, die beste internationale Beurteilung der deutschen Demontagesituation, die es überhaupt gibt. Wir haben von der Übergabe dieser Anlageteile an Länder, die Reparationsgläubiger sind, gesprochen. Aber wir haben mit keinem Wort von einem Engagement fremden Kapitals für die August-Thyssen-Hütte oder für irgendein anderes Werk gesprochen.
Das, meine Damen und Herren, wird Ihnen schon einleuchten für den Fall, daß Sie gewillt sind, sich mit der Materie bekanntzumachen.
Bei der Aufzählung des Herrn Bundeskanzlers habe ich — ohne ihm deswegen Vorwürfe machen zu wollen — eine Reihe von Firmen vermißt, bei denen die Demontagen auch verlangsamt werden, nämlich die ganzen Firmen der Fischer-TropschAnlagen, besonders Bergkamen, die ungemein wichtigen Hochfrequenzwerke Tiegel-Stahl Bochum. Ich habe von Hattingen und Watenstedt-Salzgitter nichts gehört.
Meine Damen und Herren! Sie werden mit Recht sagen, man kann nicht alles bekommen. Aber man muß doch die Schrumpfung dieses Äquivalents gerechterweise auch wägen, wenn man so entscheidend wichtige strukturverändernde Faktoren wie die Saar und die Ruhr hier zur Diskussion stellt.
Ich frage die Bundesregierung: Wo zeigt sich bei diesen Verhandlungen die geplante politische Initiative? Was verstehen der Herr Bundeskanzler und sein Vizekanzler unter den Opfern? Was gibt es eventuell an Äußerungen über Bereitschaft, zu opfern, die der Herr Vizekanzler bereits in Paris gemacht haben könnte? In welchem Umfang hat sich der Herr Wirtschaftsminister in seinen Unterhandlungen und Unterhaltungen mit auswärtigen Partnern geäußert?
Meine Damen und Herren! Konzentrieren wir uns einmal auf die Punkte, die das deutsche Volk jetzt entscheidend interessieren, weil sie für die Zukunft und Entwicklung der deutschen Demokratie und des deutschen Soziallebens von ent-
scheidender Bedeutung sind. Ich frage vorweg: Ist der Herr Bundeskanzler bereit, jetzt oder bei den kommenden Verhandlungen einmal den Versuch zu machen, die Politik des Junktim, die Politik der Koppelung und der gegenseitigen Abhängigmachung von ganz verschiedenen Faktoren zu bekämpfen und für ihre Überwindung bei den Alliierten zu wirken? Sie haben eben von der gegenseitigen Abhängigmachung des Eintritts in die Ruhrbehörde und der Demontage gehört. Wir kennen das andere Junktim von der Bindung von Sicherheit und Wirtschaftspotential und das dritte Junktim von Europarat und Saargebiet.
Meine Damen und Herren, wir müssen aus dieser Atmosphäre heraus, und wir müssen den Menschen dieser Welt ganz offen sagen, daß es nichts gibt, was den guten Willen mehr gefährdet und zerstört als die Politik des gleichzeitigen Gebens und Nehmens. Wir kommen in eine Entwicklung, in der das Tempo, sagen wir einmal, von dem Gesetz der Echternacher Springprozession bestimmt werden kann. Das ist keine gute Sache.
Wenn der Herr Bundeskanzler und wenn das deutsche Volk uns fragen, was wir zu den realen Vorschlägen bezüglich der Saar, bezüglich der Ruhr und bezüglich der ausländischen Kapitalbeteiligung in der von dem Herrn Bundeskanzler angeschnittenen Form meinen, so sagen wir: unsere Haltung demgegenüber ist ein klares eindeutiges Nein! Über kurz oder lang wird nach meinem Eindruck die Bundesregierung von den Organisationen der Schaffenden — sie mögen sich sonst politisch gruppieren, wo auch immer sie wollen — folgendes hören: daß eine starke Einflußnahme ausländischen Kapitals gerade auf dem Gebiet der Kohlen., der Kokswirtschaft, der Stahl- und Eisenindustrie die größte Gefährdung ist, die sich die arbeitenden Menschen in Deutschland vorstellen können.
Aber unsere Haltung zu den Vorschlägen des Herrn Bundeskanzlers, auch wenn sie Bestandteile der beiden Interviews sind, erschöpft sich nicht in einem bloßen Nein. Wir sagen bei der Fixierung des deutschen Standpunktes offen unsere Meinung. Wir sind der Ansicht, daß bei diesen Interviews der Herr Bundeskanzler die Stärke der deutschen Position in Europa nicht richtig eingeschätzt hat.
Es gibt in Europa viel mehr guten Willen für das Verstehen gewisser deutscher Standpunkte, als er annimmt. Nicht etwa, weil man gelernt hat, die Deutschen zu lieben. Überall dort hat man Verständnis, wo man sich ein krisenfestes, vom guten Willen der Völker getragenes Europa wünscht.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler mag nur an die Erfahrungen im letzten Frühjahr denken. Auch da haben viele Mitglieder des damaligen Parlamentarischen Rates und viele Vertreter der deutschen politischen Öffentlichkeit gemeint, es sei nichts zu erreichen. Aber es war sehr wohl bei der richtigen Einschätzung der deutschen Situation etwas zu erreichen.
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Ich glaube, heute sind die Herren der Bundesregierung den Sozialdemokraten in stillen Stunden dankbar. Wenn wir nicht das Minimum an staatspolitischer Potenz in das Grundgesetz hineingedrängt hätten, dann würden die Herren auf der
Regierungsbank nicht so funktionieren können, wie sie bald zu funktionieren hoffen.
Bezüglich des Ruhrstatuts möchten wir Sozialdemokraten der Bundesregierung und im speziellen dem Herrn Bundeskanzler, der ja die beschränkten auswärtigen Geschäfte unseres Landes wahrnimmt, folgende Vorschläge machen. Der Artikel 2, der so tut, als ob neben den Signatarmächten Deutschland heute bereits Mitglied sei, soll hier nur insoweit knapp untersucht werden, als wir ihn in Verbindung mit Artikel 9 Buchstabe c bringen. Dort wird noch ausdrücklich betont, daß Deutschland die Möglichkeit habe, auf zwei Wegen in die Ruhrbehörde zu kommen, nämlich entweder durch Beitritt oder — wie es dort nicht ohne Geheimnis heißt — „auf andere Weise". Ich frage den Herrn Bundeskanzler, ohne ihm in diesem Punkte a priori eine bestimmte Absicht zu insinuieren: Hat man in Kreisen der Bundesregierung diese Formulierung „auf andere Weise" schon durchdacht? Wie steht man zu ihr? Sieht man in ihr einen möglichen Weg, und ist hier nicht möglicherweise der Grund zu gewissen Geheimniskrämereien zu suchen? Wir würden in dieser Beziehung gern Klarheit haben; denn von der Behandlung des Artikels 9 Buchstabe c hängt sehr viel ab und wird, glaube ich, bald auch sehr viel bezüglich der Möglichkeiten der Herstellung eines zukünftigen Vertrauensverhältnisses zwischen den einzelnen Faktoren in Deutschland abhängen.
Der Artikel 15, der noch über die Generalklausel des Artikels 31 hinaus seine Gefahren hat, ist ein Artikel, bei dem meines Erachtens jede deutsche Regierung den Versuch machen müßte, ihn aus dem Ruhrstatut herauszubringen. Dieser Artikel 15 macht für gewisse Fälle die Ruhrbehörde zu einer auch staatsrechtlich souveränen Instanz, obwohl ihr dieses Prädikat aus dem Charakter einer Wirtschaftsbehörde nicht zukommt. Sie kann für die deutsche Bundesrepublik eine höhere Bedeutung gewinnen, als sie die Bundesregierung zur Zeit hat. Ich glaube, keine deutsche Regierung kann sich mit diesem Artikel 15 abfinden.
Zu Artikel 19 wäre zu untersuchen, was damit gemeint ist, wenn von der Möglichkeit gesprochen wird, daß die Ruhrbehörde einmal Leitung und Verwaltung von Kohle, Koks und Eisen in die Hand bekommen kann. Welche Garantien will sich die Bundesregierung von den Alliierten gegen diese für uns leicht gefährlichen Möglichkeiten auf dem Verhandlungswege erkämpfen?
Meine Damen und Herren, die Diskussion des Ruhrstatuts in Deutschland ist nicht möglich ohne die Klärung gewisser Fragen. Vor allem geht es um eine andere Verteilung zwischen Kontrolle und Verwaltung. Eine fremde Verwaltung in einem überheizten Kessel des Industriegebiets mit fast 6 Millionen Einwohnern fügt zu den sozialen Spannungen noch adäquate nationale Spannungen hinzu und ist darum ein Gefahrenherd. Dieser Frage kann man nicht aus dem Wege gehen; diese Frage muß man gegenüber den westlichen Alliierten mit klarem Ziel anschneiden.
Sehr bitter hat es die arbeitenden Menschen in Deutschland, speziell die Kumpels an der Ruhr berührt, daß über alle Materien im Ruhrstatut Entscheidungen getroffen worden sind, aber von den
Menschen, die diese Werte schaffen, mit keiner Silbe die Rede ist.
Wir Sozialdemokraten fragen die Bundesregierung, ob sie es im Interesse der Lebenshaltung der Massen und der sozialen Befriedung im Ruhrgebiet nicht für richtig halten würde, die Gewerkschaften national und international in die Ruhrbehörde und ihre Leitung einzuschalten.
Für uns Sozialdemokraten ist noch die Klärung einer weiteren Frage notwendig. Das Ruhrstatut umgeht diese Frage, aber wir greifen sie auf. Wir wünschen die Klärung dieser Frage und damit die Stabilisierung des Rechtes des deutschen Volkes auf Regelung der Eigentumsfrage der Schwerindustrie im Ruhrgebiet.
Wir müssen die Einseitigkeit der Internationalisierung mit allen ihren schlimmen ökonomischen, sozialen und psychologisch-politischen Folgen gleich am ersten Tage zur Diskussion stellen. Wir können diese Fragestellung nicht aufgeben. Wir können von dem Kampf für europäische Internationalisierung der westeuropäischen Schwerindustrie nicht Abstand nehmen. Wenn der Herr Bundeskanzler von seinen Büchsenspannern recht bedient ist und alle Informationen bekommt, die sich von wichtigen Persönlichkeiten und Publikationsorganen des Auslandes herleiten lassen, dann muß er doch zugeben, daß ein Eintreten für die Revision einiger wichtiger Bestimmungen des Ruhrstatuts durchaus nicht ohne Aussicht ist. Wir halten diese bedingungslose Vorwegakzeptierung des Ruhrstatuts in seiner heutigen Gestalt für falsch. Wir warnen, sich hundertprozentig für einen Status zu engagieren, der durch neue Viermächteabkommen jeden Augenblick über den Haufen geworfen werden kann.
— Aber den Kommunisten, die sich da anscheinend rühren wollen,
möchte ich eins sagen: Meine Herren, Sie sind weder eine deutsche Partei noch eine internationale Partei.
— Machen Sie mir keine Zwischenrufe; wenn der Herr Semjonow das erfährt, schmeißt er Sie aus der Partei heraus.
Sie kämpfen ja nicht, wie Ihre Agitationsvokabeln lauten, für eine deutsche Ruhr, Sie kämpfen für die russische Kontrolle der Ruhr, und gerade dagegen sind w i r !
Meine Damen und Herren! Wir müssen zur ausländischen Kreditgewährung und zum Eintritt in die Ruhrbehörde offen eins sagen: Unbestreitbar — und im Auslande viel offener als bei uns diskutiert — sind die verderblichen Gruppeninteressen! Diese Gruppeninteressen sind gewillt, nationale Notwendigkeiten und gesunde Prinzipien der europäischen Zusammenarbeit zu gefährden, um ihre Ziele zu erreichen. Diese Ziele sind die Verhinderung der Sozialisierung
und die Abschaffung des Gesetzes Nr. 75.
Es haben auch schon einige unvorsichtige Herrschaften in Deutschland in Zungen geredet. Wir hoffen, daß die Westmächte klug genug sind, sich nicht so einseitig gegen den Willen und die Interessen der arbeitenden Klasse in Deutschland zu engagieren. Wir sind auch der Meinung, daß die Versuche der deutschen Industriepartei, die in vielen Fraktionen dieses Hauses Einfluß zu nehmen sich bemüht, auf Abschaffung des Gesetzes Nr. 75 an der Einsicht der westlichen Alliierten scheitern werden. Nicht alle Blütenträume des Kapitalismus reifen, auch wenn er sich international gebärdet.
Nun, meine Damen und Herren, haben wir die andere große Frage, die Saarfrage. Über die Saarverfassung und ihr Zustandekommen möchte ich im Interesse der Erleichterung französisch- deutscher Gespräche hier nicht im einzelnen reden. Aber das Volk an der Saar hat bis heute noch nicht die Möglichkeit gehabt, seinen Willen auszudrücken.
Wir müssen, wenn es nicht anders geht, als ultima ratio die alliiert oder international kontrollierte Volksabstimmung des Saarvolkes über seinen politischen Status erreichen.
Es geht hier konkret darum, ob die deutsche Bundesrepublik damit einverstanden sein soll, daß mit ihrer Aufnahme in den Europarat die gleichzeitige Aufnahme des Saargebietes verbunden sein soll. Nun; in der Verfassung der Saar steht ausdrücklich, daß der französische Außenminister die auswärtigen Interessen des Saarlandes vertritt. Wenn aber der französische Außenminister das nicht für opportun hält, nun, meine Damen und Herren, dann ist die Frage, die wir an. den Bundeskanzler richten möchten, die: Ist er bereit, unsern Vorschlag zu akzeptieren, die Vertretung der Saar im Straßburger Europarat innerhalb der deutschen Delegation vornehmen zu lassen?
Diese Vertretung kann ja ruhig von dem Parlament der Saar gewählt sein; sie soll aber Bestandteil der gesamtdeutschen Vertretung sein. Das würde dem tatsächlichen Status entsprechen; denn mit Ernst kann niemand in der Welt bestreiten, daß das Saargebiet politisch heute noch bei Deutschland ist.
Im „Figaro" vom 9. 11. 1949 findet sich eine hochinteressante Bemerkung. Er schreibt:
Die These unserer Diplomatie ist juristisch außerordentlich fragwürdig; denn die Saar hat keineswegs den Charakter eines souveränen Staates.
Also gehört sie entweder in die Delegation Frankreichs oder, was wir für richtig halten würden, in die Delegation Deutschlands, aber sie gehört nicht in die Delegation der Saar.
Léon Blum hat die französische Forderung nach gleichzeitigem Eintritt des Saargebiets so charakterisiert: „Diese Forderung war weder angebracht noch berechtigt."
Ich glaube, Herr Bundeskanzler, daß Sie wie in der Ruhrstatutfrage auch in dieser Frage durch
eine etwas zu enthusiastische Politik des ungeprüften, des vollständigen und komplexen Angebotes die deutsche Situation außerordentlich erschwert haben. Dafür ist ein Zeugnis die Ihnen ganz bestimmt wohlgesonnene „Neue Züricher Zeitung" vom 1. 11. 1949, die sich mit der Frage beschäftigt: Warum steht auf einmal Großbritannien, das noch nie etwas Derartiges getan hat, neuerdings in der Behandlung der Saarfrage mindestens bezüglich der Vertretung in der Europadelegation auf der Seite Frankreichs? Und da schreibt die „Neue Züricher Zeitung":
Und da Adenauer sich rückhaltlos für die Teilnahme am Europarat aussprach, ohne seinerseits Bedenken und Einwände vorzubringen,
sah Bevin eine günstige Gelegenheit, um sich dem seit einiger Zeit wegen anderer Fragen weidlich verstimmten Partner an der Seine erkenntlich zu zeigen.
Nun, meine Damen und Herren, schon im Auslande ist man der Meinung, daß Deutschland seinen guten Willen nicht beeinträchtigen würde, wenn es bei gewissen lebenswichtigen Punkten Einwände und Bedenken vorträgt. Uns bleibt unverständlich, warum in der außenpolitischen Konzeption der Regierung Theorie und Praxis einer solchen Politik der notwendigen Einwände und Bedenken keinen Niederschlag finden. Dabei sollten die Herren der Bundesregierung über eins sich im klaren sein: sie laufen Gefahr, durch die Akzeptierung der gleichzeitigen Aufnahme Deutschlands und des Saargebietes in den Europarat nicht nur Westeuropa und die Position der Deutschen Bundesrepublik in Westeuropa zu beeinträchtigen, sondern auch die politisch-moralische Position der Deutschen im Kampf um die Rückgewinnung der Gebiete östlich der Oder und Neiße zu zerstören.
Ich habe in den letzten drei bis vier Monaten leider in einer Anzahl von deutschen Zeitungen bei der Behandlung dieser Frage, ohne Friedenszustand die angeblich vorläufige Loslösung des Saargebietes von Deutschland zu tolerieren, Argumente gehört, wie sie sonst von der SED bei der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Friedenslinie auch gebraucht werden.
Man sollte hier mehr Vorsicht und mehr Distanz halten. Es wäre eine durchaus würdige und auf Frankreich versöhnlich wirkende Haltung, wenn die deutsche Bundesregierung auf diese bedenkenlos einseitige Vorwegnahme von letzten Entscheidungen verzichten würde. Die ganze Politik der Angebote auf der Grundlage der Nichtäußerung von deutschen Wünschen und Notwendigkeiten führt zu einer Schwächung der deutschen Position, ohne die europäische Situation zu verbessern. Das scheint mir das Entscheidende zu sein — und das möchte ich dem Herrn Bundeskanzler, ohne präzeptorial sein zu wollen, doch sagen —: die Tragweite solcher Äußerungen wie im speziellen die Äußerungen in der Hamburger „Zeit" ist, scheint es, doch nicht mit vollendeter Richtigkeit eingeschätzt worden.
Nun, meine Damen und Herren, haben wir Sozialdemokraten auch noch einen dritten Beitrag in der positiven Planung im Verhältnis zu den anderen europäischen Ländern und beim Kampf um die Gewinnung des europäischen Vertrauens und des Vertrauens der Weltdemokratie. Wir meinen, die Bundesregierung sollte sich auf personalpolitischem Gebiet vor gewissen gewagten Experimenten mehr hüten, als sie das in den wenigen Wochen ihres Bestehens getan hat.
Bestimmt ist den maßgebenden Herren der Bundesregierung bekannt, daß einer der fünf Hauptpunkte auf der Pariser Außenministerkonferenz gewesen ist, welche Gefahren aus einer reaktionären Personalpolitik der neuen Bundesrepublik entstehen können.
Der Herr Bundeskanzler wird seine Informationen darüber spätestens heute bekommen haben. Hierbei sollte man nicht versuchen, sich aufs hohe Roß zu setzen. Eine falsche Besetzung eines verantwortlichen Beamtenpostens durch einen Mann, der im Ausland so oder so eine schlechte Nummer hat, richtet mehr Schaden an, als irgendein sachliches Entgegenkommen Vertrauen zu stiften in der Lage ist.
Man sollte sich hüten, durch die Einsetzung gewisser umstrittener Persönlichkeiten' in leitende Beamtenfunktionen die deutsche Autorität und die deutsche Widerstandskraft in einer Weise zu engagieren, wie man sie bei der Verteidigung der Lebensnotwendigkeiten territorialer und wirtschaftlicher Natur bei diesen Auseinandersetzungen bisher leider nicht gezeigt hat.
Dem Herrn Bundeskanzler wird auch bekannt sein, daß bei der notwendigen und von uns begrüßten Erweiterung der Kompetenzen der Bundesregierung diese Erweiterung nicht auf allen Gebieten zu erhoffen ist. Ich möchte den Herrn Bundeskanzler fragen, wie seine Informationen etwa in bezug auf die Wahrnehmung der Rechte alliierter Kommissare in Sachen der Auslandsvertretungen oder der höheren Polizeifunktionäre für die nächste Zukunft lauten. Es ist falsch, unser Volk hier zu engagieren. Richtig ist es, nicht um einzelner umstrittener Persönlichkeiten willen das Vertrauen des Auslandes zum guten demokratischen Willen des deutschen Volkes zu schmälern.
Diese Vorschläge der deutschen Sozialdemokratie sind durchaus realistisch, aber man kann sie nicht mit Passivität durchsetzen. Die Sozialdemokratie sieht in der Wahrung der Interessen der Nation den besten Beitrag und die beste Bezeugung des Respekts vor Interessen anderer Nationen. Die Sozialdemokratie hat vom Tage ihres Wiedererstehens an Deutschland europäisch aufgefaßt. Aber die Sozialdemokratie weiß, daß man jedes Volk zur internationalen Zusammenarbeit nur durch moralische, politische und soziale Selbstbehauptung erziehen kann.
Wir möchten nun der Regierung erklären, daß das, was sie bis jetzt an außenpolitischer Linie gezeigt hat, das schärfste Mißtrauen der Sozialdemokratie hervorgerufen hat.
Diese Politik gibt jetzt zum ersten Mal eine gewisse, wenn auch glücklicherweise noch entfernte Chance der gefährlichsten aller Allianzen in Deutschland: der Allianz von Nationalismus und Kommunismus. Wir müssen sagen, daß die Regierung in jeder Phase ihrer Politik die reale Aus-
nutzung der Möglichkeiten der Schaffung der deutschen Einheit nicht aus dem Auge verlieren darf. Wir erklären der Regierung, daß innen- und außenpolitisch die Frage der Ostzone und die Frage Berlin von entscheidendem Wert sind. Ich meine, wir haben Grund zu der Annahme, daß wir wieder in eine gefährliche Phase des Kampfes um das Berliner Bollwerk europäischer Demokratie kommen werden. Nicht immer sind die brutalen Phasen des Kampfes die gefährlichsten.
Wir haben hier im großen an einer Anzahl von entscheidenden Punkten unseren Plan der Verhandlungsmethode und des materiellen Inhalts der Verhandlungsziele aufgezeigt. Wir fragen die Regierung an Hand dieser konkreten Thesen, wie sie diese sozialdemokratischen Vorschläge konkret und positiv beantworten will. Noch sind gewisse Verhandlungsmöglichkeiten gegenüber dem bisherigen Status zu verbessern. Wenn eine Klärung der außenpolitischen Situation vor 14 Tagen erfolgt wäre, dann wäre der unsichtbare deutsche Partner am Pariser Verhandlungstisch erfolgreicher gewesen. Unsere Vorschläge sind aus der Überzeugung entstanden, daß jede deutsche Regierung, die ihrer nationalen und europäischen Aufgabe gerecht werden will, nach sozialdemokratischer Meinung so handeln müßte.