Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, nicht dauernd zu stören. Der Redner kann ja seine Rede sonst nicht verlesen.
Dr. Schröder Ich sagte bereits, daß die vom Parlament gewählte Bundesregierung Rechte und Pflichten hat.
— Meine Damen und Herren! Ich habe mir erlaubt, dem Herrn Präsidenten zu versichern, daß es noch ginge. — Also ich sagte bereits, daß der vom Parlament gewählte Bundeskanzler das Recht und die Pflicht hat, die Grundlinien der Politik zu bestimmen. Dabei ist es völlig klar, daß er, wenn er auch nur eine Spur von Sinn für Realismus hat — und Sie werden, glaube ich, dem Bundeskanzler Dr. Adenauer nicht absprechen wollen, daß er Sinn für Realismus hat —, in einem solchen Falle nur einen Regierungskurs verfolgen wird, für den er eine Mehrheit im Parlament hinter sich weiß. Ich habe den Eindruck, daß manche Äußerungen der Opposition der letzten Zeit von der Vorstellung ausgingen, als ob die Regierung sozusagen zu jedem außenpolitischen Schritt von vornherein eine Ermächtigung des Parlaments, vielleicht noch insbesondere der Opposition, einholen müßte, um legitimiert zu sein. Diese Auffassung stimmt mit unserer verfassungsmäßigen Situation nicht überein, und sie erinnert mich wirklich — daher stammt sie ja auch — an die SED-Verfassungen, die eine Gewaltenteilung in unserem Sinne nicht kennen, sondern die Legislative, Exekutive und richterliche Funktion in der Spitze beim Parlament sehen. Es scheint mir nötig zu sein, daß wir einer solchen Auffassung gegenüber einen deutlichen Trennungsstrich ziehen.
Es ist hier nun gesagt worden, die Bundesregierung habe Vorleistungen erbracht. Demgegenüber
muß festgestellt werden: es sind überhaupt keine
Vorleistungen erbracht worden. Die Bundesregierung hat nichts weiter getan, als eine Reihe von
Grundsätzen zu entwickeln, und der Bundeskanzler hat Ihnen ja eben seine Note vom 1. November
und sein Aide-Mémoire vom 7. November vorgelesen. Seine Interviews kennen Sie auch. Jedenfalls ist soviel daraus zu entnehmen, daß eine
echte Bindung von der Bundesregierung nicht eingegangen worden ist und im gegenwärtigen Stadium auch überhaupt noch nicht eingegangen werden konnte. In seinem Schreiben an die Hohe
Kommission vom 1. November und in dem AideMémoire ist die Bereitwilligkeit erklärt worden,
dem Sicherheitsbedürfnis gegenüber der Bundesrepublik Deutschland Rechnung zu tragen und in jedem Organ mitzuarbeiten, das das mögliche Kriegspotential Deutschlands zu kontrollieren hat. Die Sicherheitsfrage, die damit zusammenhängt, und die internationalen wirtschaftlichen Fragen sollten in einem Ausschuß unter Teilnahme deutscher Vertreter erörtert werden.
Nun hat darüber hinaus das Aide-Mémoire vom 7. November einige dieser Fragen konkretisiert, und in diesem Zusammenhang ist auch zu dem Fragenkomplex etwaiger ausländischer Beteiligung ein Memorandum der Vereinigten Stahlwerke beigefügt worden, ein Plan, auf den ich gleich noch zu sprechen kommen werde. Man wird schwerlich sagen können, daß hier deutsche Vorleistungen realisiert worden seien, bevor eine konkrete Gegenleistung in Aussicht gestellt oder gewährt worden sei. Die Tatsache, daß der Herr Bundeskanzler erklärt hat, daß er die deutsch-französischen Beziehungen zu einem Angelpunkt seiner Politik zu machen entschlossen ist, hat nach seinem Interview in der „Zeit" vom 3. November innerhalb Deutschlands weithin Zustimmung gefunden. Ich glaube. das Hohe Haus hat auch vorhin mit seiner Zustimmung zu der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers diese Linie noch einmal unterstrichen. Das bedeutet ja doch nichts weiter als den Ausdruck dafür, daß bei uns seit langem das Verständnis gewachsen ist, der Aufbau eines fortschrittlichen Europas sei unmöglich ohne einen positiven Ausgleich mit unserem großen französischen Nachbarvolk. Nach all den Erklärungen, die von Regierungsseite seit dem Tage der Bildung des Kabinetts abgegeben worden sind, sollte eigentlich niemand einen berechtigten Zweifel daran haben können, daß die Betonung des Ausgleichs mit Frankreich allerdings nicht einen Gedächtnisschwund zu Lasten unserer Brüder im Osten bedeutet. Wir können auch zum Beispiel dem Kollegen Schmid darin zustimmen, daß sich unser Europa nicht auf die westliche Welt plus Westdeutschland beschränkt, sondern daß wir genau wie er auch das östliche Europa als dazugehörig betrachten. Das sollte aber so selbstverständlich sein, daß wir es nicht immer zu wiederholen brauchen.
Es ist ja auch nicht so, als ob sich die Opposition grundsätzlich gegen die europäische Konzeption der Bundesregierung wendete, sondern sie befürchtet, wenn ich es richtig verstanden habe, die Anerkennung einer hegemonialen Stellung Frankreichs und sieht diese Gefahr besonders im Hinblick auf das Saargebiet gegeben. Wir halten es mit dem Herrn Bundeskanzler für sehr bedauerlich, daß die Saarfrage überhaupt mit der Europafrage verknüpft worden ist. Die Regelung der Saarfrage soll und muß in ihrer endgültigen Form dem Friedensvertrag vorbehalten bleiben.
Aber, meine , Damen und Herren, wenn es — nicht mit unserem Zutun — doch dazu kommen sollte, daß in absehbarer Zeit Deutschland mit etwa 18 Abgeordneten ebenso wie Großbritannien, Frankreich und Italien in den Europarat einziehen sollte und sich dann zu uns der Vertreter der Saar gesellen würde, dann wollen wir hoffen — und ich sage das hier als geborener Saarbrücker daß wir uns als Freunde und Brüder begrüßen können. Mir scheint, daß dieser Sachverhalt von vornherein so klargestellt werden kann, daß später Mißverständnisse oder Festlegungen unbedingt vermieden werden. Wir sehen hier nur ein Provisorium vorbehaltlich der Lösung im Friedensvertrag, und da brauche ich wohl kaum hinzuzufügen, daß es für uns nicht
I die Möglichkeit gibt, irgendwo und irgenwie auf deutsches Land zu verzichten. Das ist für uns schlechthin indiskutabel. Aber darum geht es ja auch gar nicht.
Die gegenwärtigen Verhandlungen leiden nun ohne Zweifel darunter, daß durch die Demontagen ein Druck auf sie ausgeübt wird und daß der Fortgang der Demontagen in den letzten Wochen laufend einen solchen Druck dargestellt hat. Über dieses Problem ist in diesem Hause von Anfang an sehr viel gesagt worden. Mindestens soviel aber hat sich doch in der Zwischenzeit als eine Binsenwahrheit ergeben: daß das Demontageproblem allein schon wegen seiner Langlebigkeit eine schwere psychologische Last geworden ist, und die „Times" zum Beispiel hat erst vor einer Woche zum Ausdruck gebracht, daß die Demontage schon aus dem Grunde gestoppt werden müßte, weil sie ein ernsthaftes Hindernis für die vernünftige Politik einer europäischen Zusammenarbeit sei. Wir freuen uns, aus den Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers über seine Unterhaltung mit der Hohen Kommission entnehmen zu können, daß diese Erkenntnis nunmehr auch in die Praxis, jedenfalls an wesentlichen Stellen umgesetzt werden wird.
Nun ist die Reparationsseite des Demontageproblems in der letzten Zeit mehr und mehr in den Hintergrund getreten, während die Sicherheitsfrage an Gewicht gewonnen hat. Von dieser Seite her läßt sich meines Erachtens auf der Grundlage gerade der neuen und jetzt zu praktizierenden Vorschläge der Bundesregierung an das Problem herankommen. Mir scheint der Gedanke, die dauernde und befriedigende Regelung dieses Sicherheitskomplexes in einem gemischten Ausschuß zu besprechen, durchaus glücklich. Einstweilen fehlt es uns nämlich nicht nur an einem einfachen und klaren System für die Regelung der Sicherheitsfrage, sondern darüber hinaus an einer Abstimmung all dieser Dinge wie Ruhrstatut, Direktive für das Sicherheitsamt für Westdeutschland und Besatzungsinstitut. Es wird die Aufgabe der kommenden Verhandlungen sein, diese Institute in ein möglichst einfaches und klares System zu bringen.
Das Ruhrstatut hat die Eigentümlichkeit, daß an ihm nicht nur die drei Besatzungsmächte, sondern auch die Benelux-Staaten beteiligt sind. Wie Sie wissen, hat sich die Tätigkeit der Ruhrbehörde bisher eigentlich mehr im Rahmen des Protokollarischen bewegt, während sie auf dem Gebiete, für das sie wenigstens zum Teil eine Zuständigkeit hat — die Kohlenkontrolle und die Stahlgruppe, die mit ihr keine unmittelbare Verbindung haben —, wesentlich mehr Aktivität zu entfalten hatte. Der Ausschuß wird also die nicht ganz einfache Aufgabe haben, diese Dreimächteinstitutionen mit der Sechsmächteinstitution — unter Einrechnung Deutschlands sogar Siebenmächteinstitution — in eine klare Abstimmung zu bringen.
In diese Anpassung und Abstimmung müßten aus dem Besatzungsstatut insbesondere auch die Bestimmungen einbezogen werden, die sich auf das von der Ruhrbehörde, dem Sicherheitsamt und der Kohle-, Eisen- und Stahlgruppe behandelte Gebiet beziehen. Der Kompliziertheit dieser Aufgabe sind wir uns voll bewußt. Sie muß aber gerade dann gelöst werden, wenn man die möglichen Reibungsflächen zwischen uns und den alliierten Mächten auf das geringste Maß zu beschränken vorhat.
Meine Damen und Herren! Die Frage des Beitritts zur Ruhrbehörde kann in diesem Stadium der Verhandlungen nach meiner Meinung im einzelnen noch nicht diskutiert werden. Wenn man sie aber behandelt, darf man nicht übersehen, daß das Ruhrstatut in der gegenwärtigen Form zwar eine völkerrechtliche Servitut auf uns legt, aber den Signatarmächten keine ähnliche Beschränkung auferlegt. Die Einseitigkeit der Beschränkungen müßte selbst dann immer wieder zu Schwierigkeiten führen, wenn Deutschland an ihrer Regulierung durch seine Mitarbeit im Rat beteiligt wäre. Von deutscher Seite ist daher gerade wegen dieser Einseitigkeit des Ruhrstatuts immer wieder die Anregung gegeben worden, es nur als eine Vorstufe zu einer wahrhaft europäischen Regelung aufzufassen. Mag der Weg bis dahin auch noch weit sein, so sollte man für die in Aussicht gestellte Mitarbeit dann eine Form finden, die vor allem den Weg für eine künftige Weiterentwicklung offenhält und erleichtert. Dabei sollte der fruchtbare Gedanke erneut aufgegriffen und gründlich untersucht werden, ob nicht die Ausgestaltung des Statuts zu einem Zweckverband möglich ist, in den Deutschland die Ruhr, Frankreich die Erzvorkommen Lothringens, beide zusammen die Saar und schließlich Belgien und Luxemburg ihre Schwerindustrie einbringen würden. Eine wahrhafte Europäisierung der europäischen Grundstoffindustrien ließe sich sicher nicht wirkungsvoller einleiten. Ich darf mich auch hier noch einmal dem anschließen, was der Herr Kollege Schmid ausgeführt hat, der seinerseits den Gedanken einer zollvereinsähnlichen Regelung entwickelt hat, einen Gedanken, der an sich schon wert ist, auch bei den künftigen Besprechungen besonders beachtet zu werden. Obwohl es sich hier grundsätzlich um, eine Materie handelt, bei der die Verhandlungen der Regierung und ihren Beauftragten überlassen bleiben müssen, scheint es mir empfehlenswert, daß auch Sachverständige der Opposition in geeigneter Weise zur Mitarbeit herangezogen werden, um für dieses materiell bedeutsame und formell schwierige Gebiet die besten Köpfe heranzuziehen.
Meine Damen und Herren! Wir kennen also die Konzeption der Regierung. Ich habe nun heute nach der Konzeption der Opposition gesucht und mich gefragt, mit welchen Mitteln, Vorschlägen und Hilfen sie diese ihre Konzeption durchsetzen will. Nun, aus den Ausführungen des Redners der Opposition habe ich auf diese Frage keine befriedigende Antwort gehört. Die Opposition hat das Unglück gehabt, gerade in diesen Tagen aus London ein Telegramm zu bekommen, das im Grunde, meine Damen und Herren, ja nichts anderes enthält als das, was auch in den Sätzen — und nun aus der umgekehrten Perspektive — der Note des Herrn Bundeskanzlers vom 1. November enthalten ist. Sie alle in diesem Hohen Hause wissen es ja, daß auch die Äußerungen der Opposition zu diesem Telegramm der Labour Party doch recht zurückhaltend gewesen sind.
Es ist dann ein schwerwiegender Punkt angeschnitten worden, mit dem ich mich doch noch besonders beschäftigen möchte. Das ist der Plan der Vereinigten Stahlwerke. Ich möchte hier eines ganz klar und deutlich herausstellen: es handelt sich hier nicht um einen Plan der Regierung, sondern es handelt sich um einen Plan der Vereinigten Stahlwerke.
Als solcher ist er auch von dem Herrn Bundeskanzler bezeichnet und behandelt worden. Meine Damen und Herren, wir werden bei der Diskussion über diese Frage noch sehr viele Pläne auf den Tisch des Hauses bekommen, nicht zuletzt von Ihnen. Dies ist nun einmal der Plan der Vereinigten Stahlwerke, und daß er genau so gut wie auch andere Pläne in diesem Zusammenhang diskutiert werden kann, sollten Sie nicht in Abrede stellen.
Wieweit nun die sachliche und rechtliche Legitimation der Vereinigten Stahlwerke zur Aufstellung eines solchen ,Planes gegeben ist, will ich nicht weiter erörtern. Ich möchte jedoch hervorheben, daß zu seiner Realisierung natürlich manche Voraussetzungen fehlen, nicht zuletzt die des Gesetzes 75 der Militärregierung, das ein Bestandteil unseres Rechts geworden ist. Dieses Gesetz 75 hat diesem Hohen Hause die Aufgabe übertragen, sich mit der Regelung der Eigentumsverhältnisse bei Kohle und Eisen zu beschäftigen. Aber, meine Damen und Herren — und damit sage ich doch auch Ihnen auf der Seite der Opposition schwerlich etwas Neues —, wollen Sie sich noch an die Regierungserklärung erinnern, in der die Frage einer Neuordnung der Eigentumsverhältnisse der Grundindustrien ausdrücklich behandelt wonden ist. Außerdem werden Sie sich vielleicht noch an den Antrag Nr. 109 erinnern, einen Antrag, den die CDU eingebracht hat und der diese Frage, die im Augenblick bereits in den Ausschüssen behandelt wird, von neuem unterstrichen und zur Erörterung gestellt hat. Es wäre also völlig falsch, dem Plan der Vereinigten Stahlwerke in diesem Zusammenhang jene, wie mir scheint, allzu weittragende Bedeutung beizumessen, wie der Sprecher der Opposition das getan hat.
Welches muß denn nun das Ziel unserer Unterhändler bei der Besprechung und Prüfung unserer Probleme im Verhältnis zu .den Alliierten und Europa sein? Dabei ist die wesentliche Ausgangslage die, daß es sich hier um nichts weiter handelt als darum, die Basis dafür zu finden, daß diese 47 Millionen Menschen in den Westzonen und darüber hinaus die Menschen Berlins eine Lebensgrundlage behalten. Sie werden sich erinnern, daß der Herr amerikanische Außenminister gesagt hat: den größten Teil dieser Dinge hat Deutschland zu tun; das, was wir tun können, ist mehr oder weniger eine Sache, die sich am Rande abspielt. Meine Damen und Herren, das ist ein Wort, an das wir uns sozusagen im Zeitablauf besonders werden erinnern müssen als an eine eindringliche Verpflichtung, daß es zunächst einmal an uns ist, die Basis für die Selbsterhaltung dieser rund 50 Millionen Menschen zu finden. Wenn ich zu dieser wirtschaftlichen Situation ein Zitat geben darf, so sei es das von René Lauret, dem Redakteur des „Monde", der geschrieben hat, „daß Deutschland mit seiner Produktion von 1932 oder 1.935 nicht auskommen kann, sondern daß diese Produktion in demselben Verhältnis steigen muß, wie seine Bevölkerungsdichte gestiegen ist. Als die Alliierten das deutsche Gebiet stark beschnitten, haben sie Deutschland automatisch verurteilt, eine größere industrielle Macht zu werden". Ich glaube aber, für die Bundesregierung wird es lediglich eine Selbstverständlichkeit sein, daß auch dieser Gegenstand in den künftigen Verhandlungen eine große Rolle wird spielen müssen.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich schließen, indem ich der Überzeugung Ausdruck
gebe, daß vor allem, die jüngere Generation in Deutschland für eine klare und entschlossene Behandlung der Probleme in Richtung Europas besonderes Verständnis haben wird und daß sie die Regierung danach beurteilen wird, wie fest sie bei der Lösung ihrer Aufgaben sein wird. Deswegen möchte ich dem Herrn Bundeskanzler sagen: Wenn die Regierung den Weg, den sie selbst aufgezeigt hat und den die hinter ihr stehenden Parteien bejahen, klar und entschlossen geht, wenn sie ihn zäh und geduldig verfolgt — ohne alles Pathos und ohne jeden Krampf, aber im Bewußtsein ihrer einmaligen geschichtlichen Verpflichtung —, dann, Herr Bundeskanzler, können wir Ihnen versichern, daß die Mehrheit dieses Hauses sund die Mehrheit aller Deutschen Ihnen dabei die Gefolgschaft nicht versagen wird.