Rede von
Dr.
Kurt
Schumacher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Die Aufgabe des heutigen Tages war eine politische Auseinandersetzung; aber diese Aufgabe ist als solche nicht von allen Rednern gewollt, mindestens von einer Anzahl nicht bewältigt worden.
Es hat sich nicht darum gehandelt, eine plötzliche Vorliebe für gute Sitten zu entdecken und hier im Stile eines mittelalterlichen Minnesängers über den Verfall der höfischen Sitten zu jammern.
Wir hätten in unseren Kreisen außerordentlich viel
Gelegenheit gehabt, solche Klagen, zu erheben;
aber wir haben im Hinblick auf die Persönlichkeiten, die sich gewisser Methoden und Invektiven
bedient haben, gar nicht daran gedacht, auf dieser
Ebene einen politischen Kampf austragen zu wollen
oder ihn von solchen Erwägungen auch nur beeinflussen zu lassen.
Es hat mich überrascht, daß den Herrn Bundeskanzler zum Schluß doch noch in diesem erschrekkenden Maß die Nerven verlassen haben.
Auch ich hätte Veranlassung gehabt, mit Zeitungszitaten, wie sie der Herr Bundeskanzler gebraucht hat, die mir gewisse Formulierungen in den Mund legten, vor das Hohe Haus zu treten. Ich möchte aber zur Sache folgendes bemerken. Was die politische Quintessenz dieser beanstandeten Formulierungen betrifft, so ist sie für einen Sozialdemokraten eine Selbstverständlichkeit.
Was aber gewisse Formulierungen betrifft, so hat natürlich die journalistische Phantasie auch Entwicklungsmöglichkeiten. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, daß vor nicht allzu langer Zeit der Herr Bundeskanzler an meinem breiten Männerbusen über die unrichtige Berichterstattung des großen Teils des deutschen Journalismus heftig geweint hat.
Wir wollen keine Ablenkung auf diese Ebene zulassen, wenn es um die hauptsächlichen politischen Dinge geht. Ich verzichte sogar in diesem Zusammenhang darauf, auf ungeheuerlichste Invektiven des offiziösen Presseorgans der ChristlichDemokratischen Union, ides „Demokratischen Uniondienstes" oder des Leibblattes des Herrn Bundeskanzlers einzugehen. Nur soviel möchte ich dazu sagen. Die politische Philosophie der Partei, auf die sich der Herr Bundeskanzler stützt, erschöpft sich darin, daß ihr Zentralorgan konstatiert hat: Der Schumacher will diese Politik der Sozialdemokratie deswegen aufzwingen und steht darum in Opposition zur Bundesregierung, weil er es nicht verwinden kann, nicht Bundeskanzler geworden zu sein.
Muten Sie mir zu, mich auf dieser Ebene mit Ihnen auseinanderzusetzen, und muten Sie es der Sozialdemokratischen Partei zu?
Warum hat sich denn der Herr Bundeskanzler
— das möchte ich bei der schärfsten politischen Gegnerschaft doch fragen — auf dieses Niveau herab bemüht?
— Na, hören Sie einmal: jeder versteht es so gut, wie er kann; und Ihr Zwischenruf veranlaßt mich zu einem Goethe-Zitat — Sie werden lachen —: „Du gleichst dem Geist, den Du begreifst, nicht mir!"
— Großer Gott, jetzt haben Sie auch noch die Volksversammlung im Hause. —
Der Herr Bundeskanzler hat sich sehr zitatenfreudig auf den Gebieten des Freiherrn von Freytagh-Loringhoven und des Herrn Strasser gezeigt. Er hat mit dieser Zitierkunst etwas getan, was man bei einer ernsthaften politischen Auseinandersetzung nicht tun sollte. Er hat nämlich die Politik des Vergleichs der unvergleichbaren Größen angewandt.
Ich zitiere nur einen, nämlich den Herrn Bundeskanzler Adenauer. Er hat zum Beispiel 1946 erklärt, die Sozialdemokraten seien in Gefahr, vom deutschen Volk als die Lakaien Seiner Majestät des Königs von Großbritannien betrachtet zu werden.
Das ist Nationalismus. Der Herr Bundeskanzler hat im Juni 1948 erklärt und in der „Welt" geschrieben: Angesichts der Ereignisse der Londoner Konferenz gebiete es die deutsche Ehre, die Kooperation mit den Alliierten zu verweigern.
Das ist Nationalismus. Und jetzt noch, in diesen letzten Wochen, hat der Hinweis auf den besatzungsfreien Rayon in dieser Stadt Bonn nach der Meinung des Herrn Bundeskanzlers auch etwas mit nationaler Ehre zu tun gehabt.
Als der Herr Bundeskanzler nach meiner Rede unter völligem Verzicht auf eine sachliche Antwort gewisse Methoden suchte, um den sozialdemokratischen Standpunkt zu entkräften, zu degradieren, da hat er wieder so auf Verbindungen mit fremden Regierungen angespielt. Ich darf den Herrn Bundeskanzler fragen: Welche Regierung meinen Sie, Herr Bundeskanzler?
— Hören Sie einmal, wir wollen doch nicht den Grad der Unsauberkeit, die sich in dieser Berner-kung ausdrückt, als gemeinsame Formel deutscher Parlamentspolitik annehmen!
Der Herr Bundeskanzler hat sich dabei auch nicht recht überlegt, daß man zu gleicher Zeit, in der man Europa und die internationale Verständigung proklamiert, nicht mit den Mitteln eines nationalistischen Agitators argumentieren darf.
Das hatte er sich offenbar nicht überlegt.
Wenn es ein schlechtes Vorzeichen für die Londoner und Pariser Debatte gibt, dann ist es der Verzicht beim größten Teil der Herren Redner des heutigen Nachmittags und vor allem in eklatanter Weise beim Herrn Bundeskanzler selbst, auf politische Argumente politisch zu antworten.
Wir haben ja nicht nur eine Linie unseres Wollens dargelegt. Wir haben eine ganze Reihe konkreter Vorschläge über materielle Zielsetzungen bei Verhandlungen und über die Methode der Verhandlungen gehabt.
Auf diese erste Rede des heutigen Nachmittags hat keiner der Vertreter der Regierungsparteien und hat vor allem der Herr Bundeskanzler nicht geantwortet.
Die Standpunkte, wie sie die Bundesregierung speziell in den Fragen der ausländischen Finanzierung deutscher schwerer Industrie, des Saargebietes, des Ruhrstatuts und der Ruhrbehörde hat, sind den sozialdemokratischen Ansichten diametral entgegengesetzt. Ein Versuch, sie auf eine annähernde Gemeinsamkeitsformel zu bringen, hat wenig Aussicht gehabt. Aber man kann, wenn man diesen Versuch von seiten des Herrn Bundeskanzlers und seiner Gefolgschaftsleute überhaupt nicht gemacht hat, sich dann hier nicht hinstellen und das Monopol der Erkenntnis von gut und böse, von wahr und richtig proklamieren.
Ich meine, daß dieser Kampf bei allem Wunsch, in der Außenpolitik möglichste Annäherung zu erreichen, zwischen uns, Herr Bundeskanzler, unvermeidbar ist; denn es ist der Kampf zwischen zwei Welten, einer versunkenen Welt, als deren Sprecher Sie heute gelten dürfen
und mit deren Argumenten Sie heute operieren. Jedenfalls ist es insofern eine versunkene Welt, als hier der Versuch gemacht worden ist, autoritär alles niederzublitzen, was nicht an die Gottähnlichkeit des Herrn Bundeskanzlers glaubt.
Sie werden mir verzeihen, Herr Bundeskanzler, ich kann nur sehr schwache Ähnlichkeiten zwischen Gottvater und Ihnen finden.
Ich kann weiter sagen, daß wir auch nicht an die politische Berufung der Kreise glauben, deren Repräsentant der Bundeskanzler bei Verwertung des Standpunktes der Vereinigten Stahlwerke gewesen ist.
Wir halten diese Kreise für schädlich, und der Herr Bundeskanzler hätte wohl gut daran getan, wenn er sich nicht, sehr gekränkt und rein persönlich und gar nicht politisch die Dinge betrachtend, zu der Drohung hätte hinreißen lassen, was er mit dem
bösen Auswärtigen Ausschuß machen will. Der Auswärtige Ausschuß ist nicht das Instrument meines Freundes Carlo Schmid; der Auswärtige Ausschuß ist eine Instanz des Parlaments!
Da wollen wir einmal sehen, wie Sie in der Lage sein werden, diese Auseinandersetzung zu führen. Ich sage Ihnen das offen: dann werden alle Teile noch Gelegenheit haben, so leichtfertige Kriegserklärungen gegebenenfalls einer kritischen Revision zu unterziehen.
Wir haben gesehen, daß es der Mangel einer politischen Planung ist, der den Bundeskanzler und seine Regierung in diese Position der Verärgerung und der persönlichen Polemik geführt hat. Wir wünschen, diese Polemik nicht persönlich zu führen. Wir wünschen die große politische Auseinandersetzung, und bei dieser ist der deutschen Sozialdemokratie nicht bange; denn sie vertritt die Notwendigkeiten des deutschen Volkes, die in diesem Fall konform sind mit den Notwendigkeiten der Neuorganisation Europas.