Rede von
Adolf
von
Thadden
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DRP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DRP)
Meine Damen und Herren! In allen Parlamenten besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen einer außenpolitischen Debatte und den sonstigen, sehr oft nur parteipolitischen Streitigkeiten, wie sie im Parlament stattfinden. Wir haben heute leider nicht Gelegenheit gehabt, das zu sehen, was an sich notwendig gewesen wäre
und was sowohl für das Ausland als auch für das Inland zu wissen wichtig gewesen wäre: daß es in diesen Fragen der Außenpolitik, die unsere Nation in ihrer Gesamtheit angehen, grundsätzlich nur einen einzigen Willen zu geben hat und daß alle Vertreter des Volkes grundsätzlich in der Wahrung ihrer Rechte, der Rechte des Volkes, einer Meinung sein sollten. Die Frage, die überhaupt nur diskutiert werden kann, ist die: Wie helfen wir unserem Volk aus dem derzeitigen Dilemma heraus, und wie erreichen wir es, einen neuen Zusammenschluß mit den anderen Völkern zustande zu bekommen? Ich glaube, daß die Herren oder vielmehr der Herr, der heute hier so laut in das Horn der Opposition geblasen hat, am allerwenigsten legitimiert war, dies vor allem im Hinblick auf die Dinge zu tun, die er so besonders stark angegriffen hat. Wenn ich mich recht erinnere, war es doch der zweite Vorsitzende der SPD, Herr Ollenhauer, der im Frühjahr auf dem Sozialistenkongreß in Wien die Londoner Empfehlungen, die ihm damals von den sozialistischen Freunden aus England vorgelegt wurden, akzeptierte und damit im vornherein alle die Dinge anerkannte, gegen die man heute hier so energisch zu Felde gezogen ist.
Wenn hier dagegen einige Leute polemisierten, daß der Versuch unternommen worden ist, mit einer Beteiligung ausländischen Kapitals zur Demontage vorgesehene Werke zu retten, so würde ich den Herren, die dagegen zu Felde zogen, doch einmal den Vorschlag machen, sich mit den Arbeitern zu unterhalten, ob sie lieber in einem Werk, das mit ausländischer Beteiligung steht, arbeiten oder in einem leeren, demontierten Werk ohne ausländische Beteiligung arbeitslos sind.
Ich glaube, wenn diese Rede, so wie sie heute hier gehalten wurde, vor der Wahl gehalten worden wäre, wäre die sozialdemokratische Fraktion vielleicht nicht ganz so groß, wie sie heute noch ist.
Wenn Herr Dr. Schumacher dem Bundeskanzler vorwirft, es sei eine grobe Versäumnis, in der vorigen Woche die außenpolitische Debatte nicht durchgeführt zu haben, so können wir hiermit nicht übereinstimmen. Die heutige Lage ist unseres Erachtens so schwierig, daß es im höchsten Grade falsch wäre, wenn sie vorher zerredet würde. Und sie wäre zerredet worden, wenn diese Debatte in der vorigen Woche stattgefunden hätte.
Um so klarer und aufrichtiger sollte die nachträgliche Aussprache sein. Ob es aber hier nun zu einer allgemeinen Klarheit gekommen ist, wage ich doch anzuzweifeln.
Es gibt wohl keinen unter uns, der nicht mit dem Bundeskanzler der Meinung wäre, daß die deutschfranzösische Verständigung das Kernproblem Europas überhaupt ist und daß nur mit einer deutschfranzösischen Verständigung die Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben der Völker geschaffen werden können.
denn bisher ist es immer noch so gewesen, daß, wenn eine Entscheidung bevorstand, es Frankreich war, das sehr oft zum Leidwesen der Amerikaner Knüppel dazwischengeworfen hat. Die ständigen Liebesbeteuerungen, wie sie von hier gemacht werden
— und das stimmt uns bedenklich —, werden in Frankreich langsam nicht mehr geglaubt.
— Daran sind wir nicht schuld; das werde ich Ihnen gleich entwickeln. Wir können uns dem Eindruck nicht entziehen, daß von interessierter Stelle, die diese deutsch-französische Verständigung nicht will, planmäßig Propaganda getrieben wird, die deutschen ehrlich gemeinten Versuche, zu einer Übereinstimmung zu kommen, nicht wahrheitsgemäß zu nehmen. Eine deutsch-französische Verständigung setzt unseres Erachtens eine Revision der Geschichtsauffassung auf beiden Seiten voraus. Beide Teile müssen nach der Wahrheit suchen.; und das ist heute oftmals nicht der Fall. Und wenn der Herr Bundeskanzler meinte — ich glaube, er war es —, daß die deutsch-französische Frage eine Angelfrage sei, so glaube ich: sie ist die einzige Angelfrage.
Es gibt nun aber bei dem ganz klaren Willen zu einer Verständigung mit Frankreich zu kommen, Punkte, über die man einfach nicht verhandeln kann. Dazu gehört, daß wir Verluste von deutschen Gebietsteilen widerspruchslos hinnehmen sollen. Wir können die Regierung nur davor warnen, völkerrechtswidrige Dekrete als Voraussetzung und Grundlage ihrer Außenpolitik zu nehmen. Es wurde heute hier soviel vom Sicherheitsbedürfnis geredet. Wir können nur bedauern, daß die Franzosen diesen Sicherheitskomplex angesichts der allgemeinen Gefahr, die ganz Europa, nicht nur uns, vom Osten her bedroht, noch derartig herausstreichen.
Was das Saargebiet anlangt, so müssen wir in der letzten Zeit in der ausländischen Presse, zum Beispiel in der New-York-Times, sehen, daß man dort Dinge als Gegebenheiten annimmt, gegen die wir auf das schärfste protestieren müssen. Es ist unmöglich, daß ausländische Zeitungen anfangen, den Begriff des „Sarrois" zu gebrauchen, und damit den Eindruck erwecken, es gäbe eine saarländische Nation. Eine solche gibt es nicht und soll es — und das soll die Linie der Regierungspolitik sein — auch in aller Zukunft niemals geben. Im Saargebiet gab es einmal eine eindeutige Volksabstimmung unter alliierter Aufsicht. Sie können wir auch heute noch, im Jahre 1949, respektieren und daraus unsere berechtigten Ansprüche herleiten. Das Wesentlichste aber ist, daß, wenn wir das Saargebiet staatsrechtlich abtreten, wir uns damit der Legitimation begeben, jemals gegen die Oder-Neiße-Linie Sturm zu laufen; und das müssen wir alle tun.
Wie die wirtschaftliche Ausbeutung dieser ganzen Bodenschätze usw. in Zukunft sein soll, das ist eine Frage, über die wir, wie ich glaube, in fünf Jahren zu völlig anderen Auffassungen kommen, als sie heute noch als feststehend vertreten werden.
Wenn eine europäische Einigung durchgeführt werden soll, so sind wir sehr im Gegensatz zur Sozialdemokratie der Ansicht, daß diese gerade zuerst von der wirtschaftlichen Seite her kommen muß; denn da liegt der Hund begraben.
Meine Herren von der Linken, nicht umsonst ärgert
sich der Herr Hoffman in Paris darüber, daß diese
Europäer immer noch in einem vorsintflutlichen Wirtschaftsnationalismus verharren; und diesen haben Sie hier durch die Ablehnung dieser Vorschläge nur noch deutlicher unterstrichen.
— Die werden Sie gleich hören, warten Sie nur ab! — Wir können immer nur das eine tun: daß wir die Westmächte darauf hinweisen, daß sie Europa, von dem sie alle reden, nicht bauen werden ohne Mitteleuropa; und das sin d wir. Was die Englander anlangt, so können wir sie in unserem Willen, Europa mit Frankreich neu zu ordnen, draußen lassen. Die Zeiten des balance of power, wo man einmal Frankreich gegen Deutschland und einmal Deutschland gegen Frankreich ausspielen konnte, sind ein für allemal vorbei, und wenn die Herren sich jetzt auf ihr Commonwealth zurückziehen, — nun gut, dann sollen sie es tun. Wir wollen uns davon nicht beeindrucken lassen. Und wenn hier jetzt mit ihrer Unterstützung Rückzugsgefechte geführt werden, so wissen wir, was wir davon zu halten haben.
Das Gerede vom deutschen Nationalismus im Sinne des Chauvinismus, der nebenbei eine französische Erfindung ist, ist nichts anderes als ein Verlegenheitsausdruck gegenüber einer Situation, in die man ohne eine Konzeption hineingeschlittert ist und in der man nicht weiß, wie man daraus herauskommen soll. Die deutschen Sünden sind in aller Munde; die Sünden der anderen aber, wie sie sich seit 1945 einigermaßen zahlreich abgespielt haben, schweigt man geflissentlich tot.
Voraussetzung einer jeden Politik und insbesondere einer europäischen Politik sollte aber eine Wahrhaftigkeit sein, und wir bedauern aufs höchste, daß wir diese Wahrhaftigkeit nur zu oft vermissen müssen. Die Abtrennung des Saargebietes — man ist auf französischer Seite dabei, sie durchzuführen —, die sogenannten Grenzberichtigungen, von denen die Bundesregierung notfalls durch die Presse erfährt, und die Demontage aus Konkurrenzgründen, — diese Dinge sind unseres Erachtens nicht geeignet, eine europäische Völkerfamilie aufzubauen. Wenn man jetzt die deutsche Mitarbeit will, so tut man es — und diese Erkenntnis sollte uns stark .machen — nicht aus Nächstenliebe, sondern weil man uns eben braucht! Wir wissen, daß man uns braucht, und wir wollen auch ganz offen und ehrlich mitarbeiten.
— Die Zeiten des Marschierens gegen westeuropäische Staaten sind ein für allemal vorbei.
— Wenn Sie von Marschieren reden, so möchte ich Ihnen nur sagen, daß jeder, der im Frankreichfeldzug gewesen ist, mir wahrscheinlich bestätigen wird, daß von irgendeinem großartigen Gefühl, gegen Frankreich marschieren zu dürfen, 1940 wohl kaum geredet werden kann; vielmehr hat sich jeder einzelne damals höchstens als ein kleines Rädchen in einem technisch riesenhaft überlegenen Apparat gefühlt. Von irgendwelchen Haßgefühlen gegenüber den Franzosen habe ich bei deutschen Soldaten niemals etwas feststellen können.
— Das ist kein Geplaudere, sondern das sind meines Erachtens höchst wichtige Angelegenheiten.
Wir wollen — das kann ich nur noch einmal unterstreichen — mitarbeiten, aber nicht als von Paris kommandierter Hilfsdienst, sondern als ein gleichberechtigtes deutsches Volk. Wir werden aber unseres Erachtens diese Gleichberechtigung nicht schnell bekommen, wenn wir hier ein höchst bedauernswertes Schauspiel nationaler Zerrissenheit liefern. Wenn jetzt auf beiden Seiten, sowohl hier wie auch in Frankreich, die Männer zahlreicher werden, die einen ehrlichen Ausgleich suchen, so wollen wir dem Außenminister Schuman für den von ihm beschrittenen Weg nur alles Gute wünschen, und wir wollen hoffen, daß, Herr Schuman, wenn er in Kürze seiner Nationalversammlung gegenübertritt, dort — und das wollen wir in unserm deutschen Interesse hoffen — keinen Schumacher findet.
Der „Corriere della Sera" schrieb am 10. Oktober: Die Schaffung des ostdeutschen Staates zwingt die amerikanische Diplomatie, sich zu. entscheiden, ob sie die Politik der Halbheiten der letzten Monate fortsetzen oder offen für die Einfügung des Bonner Deutschlands in den Westkomplex wirken will.
Vergessen wir eins nicht: seit 1945 ist mit einer klaren politischen Auffassung nur eine Macht in Aktion, nämlich Moskau. Moskau war immer im Vormarsch begriffen, und der Westen läuft bei einer Fortsetzung seiner bisherigen Linie Gefahr, völlig in die Defensive gedrängt zu werden und den kalten Krieg zu verlieren, ohne daß der Kreml irgendwelche Anstrengungen größerer Art zu unternehmen brauchte. China ist weg. Die Chance des Berliner Erfolges hat man mutwillig verspielt, da es keine Möglichkeit gab, die drei Meinungen zu einer zusammenzufassen. Die Marshallplangelder wurden sinnlos vergeudet, wie die Pfundabwertung als Resultat der Labour-Pleite einigermaßen deutlich bewies.
Westeuropa scheint außerstande, aus seinem Wirtschaftsnationalismus herauszukommen, und die Politik des kleinen Mannes geht dahin, die großzügigen Marshall-Milliarden als Defizitausgleich europäischer Unfähigkeit zu verwenden.
Gegenüber dieser Senilität, wie sie hier im Westen noch ihr Unwesen treibt, im Vormarsch zu bleiben, ist dem Kreml nicht schwer. Unsere Auffassung hinsichtlich einer nationalen deutschen Politik kann nur die sein, daß wir als die vom Osten am meisten bedrohte Stelle alles tun, unsern Volkskörper innerlich zu stärken und dabei ehrlich und offen zu versuchen, Anschluß an die anderen Völker des westeuropäischen Raumes zu finden. In Moskau haben wir einen einzigen Willen, und alles dient dort nur dem Ziel, wie man möglichst schnell die Weltherrschaft erringen kann. Rückschläge, Kompromisse und Rückzüge spielen dort überhaupt keine Rolle.
Es geht nun darum — so betrachten wir die jetzige Auseinandersetzung mit Frankreich gegen den dortigen einheitlichen Willen einen genau so einheitlichen westeuropäischen Willen zu bilden, wobei jeder Partner, also sowohl Deutschland wie auch Frankreich, etwas zurückstecken sollte. Ressentiments sollten endlich vergessen sein; sie sind
durch die Entwicklung der letzten vier Jahre überholt. Man sollte versuchen, gemeinsam eine neue Ordnung aufzurichten. Ich kann in diesem Zusammenhang nur noch einmal betonen: wenn wir vom Wirtschaftlichen her diese neue Ordnung aufbauen, wird ihre Haltbarkeit wesentlich größer sein, als wenn wir sie auf irgendwelche ideologischen Dinge aufbauen wollten.
Zu den Verhandlungen, die die Bundesregierung mit dem Westen geführt hat, können wir nur sagen, daß wir, was den materiellen Inhalt anlangt, in vieler Beziehung nicht mit der Bundesregierung konform gehen; aber das eine wollen wir ihr versichern: der Wunsch, zu einem Ausgleich Deutschland-Frankreich zu kommen, wozu beide Teile beitragen müssen — der Anfang unserer heutigen Debatte hat allerdings keinen Beitrag geleistet —, entspricht dem Willen der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes. Die Bundesregierung sollte diesen Willen des Volkes, zu einem solchen Ausgleich und darüber hinaus zu einer neuen Ordnung zu gelangen, als einen ganz massiven Faktor in ihre Rechnung einbauen und damit gegenüber dem Ausland eine Haltung einnehmen, wie sie uns als einem Volk von 40 Millionen zukommt, dessen physische sowie geistige Kraft durchaus noch vorhanden ist.
— Im Westen haben wir leider nur 40 Millionen.
Wir können vom Westen her die restlichen Deutschen, die unter dem östlichen Terror schmachten, nur mit den anderen Völkern Westeuropas, aber niemals allein wieder zu uns holen. Das ist der wesentlichste Punkt. Die Stärkung Westeuropas, um die westeuropäische Grenze wieder dahin zu legen, wohin sie gehört,
sollte das Hauptziel unserer deutschen Politik und damit auch das Ziel der Politik der Bonner Regierung, sein.