Rede von
Alfred
Loritz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(WAV)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (WAV)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte heute zu vorgerückter Stunde Ihnen nicht etwa auch noch eine Rede vom Blatt ablesen, wie das einige meiner Vorredner getan haben.
Ich möchte Ihnen nur in wenigen Sätzen den Standpunkt der WAV zu diesen so enorm wichtigen Dingen wie Ruhrstatut, Saarlandfrage usw. darlegen.
Wenn ein Charakteristikum der Diplomatie, wie Talleyrand gesagt hat, die subtilité ist, das feine Fingerspitzengefühl, dann muß man allerdings sagen, daß sich die deutsche Diplomatie noch sehr in den Anfängen befindet. Was in den letzten 8 bis 14 Tagen auf außenpolitischem Gebiet an Porzellan zerschlagen worden ist, das ist schon
ein großer Haufen voll Trümmer. Die Folgen davon wird unser armes Volk zu tragen haben. Da können wir nun leider die Regierung Adenauer nicht von aller Schuld daran freisprechen, daß soviel Porzellan zerhauen worden ist. Denn - darüber gibt es gar keinen Zweifel — entweder wir haben eine Demokratie; dann muß die Willensbildung vom Volk und vom Parlament ausgehen. Oder wir haben k eine Demokratie, sondern ein System, das wir schon aus der Vergangenheit kennen; dann tut eben ein Mann oder ein kleiner Kreis von Männern das, was ihnen beliebt, ohne vorher das Volk oder seine Vertretung zu fragen. Ich glaube, es geht bei der ganzen Sache um eine Grundsatzfrage, nämlich: Soll das Parlament und sollen die Abgeordneten nichts anderes sein als eine Informationsstelle, die die Informationen, die sie nachträglich von der Regierung über die Handlungen erhalten haben, die die Regierung schon vorgenommen hat, an ihre Wähler weiterzugeben hat, oder soll das Parlament mehr sein: soll das Parlament Gestalterin des politischen Willens im Lande sein?
Da müssen wir folgendes sagen: Mag es manchem hart klingen — aber man hätte es anders handhaben können. Schon lange, mindestens in den letztvergangenen Wochen hätte in diesem Hause eine große außenpolitische Debatte stattfinden müssen, in der die Regierung von allen Seiten her Fingerzeige bekommen hätte, wie das Parlament in seiner Mehrheit denkt. Das ist leider nicht geschehen. Man kann vielleicht sagen, der Kreis hier sei zu groß. Wir bezweifeln das. Wir glauben, daß der Kreis des Parlaments klein genug ist, und glauben, daß man nicht immer auf noch weiter verkleinerte Kreise zurückgreifen muß, mögen sie außenpolitisch r Ausschuß, Ältestenrat oder sonstwie heißen. Wenn die Regierung wirklich Angst gehabt hätte, daß vielleicht ein bißchen zuviel über dies und jenes im Parlament geredet worden wäre, dann hätte sie immerhin den außenpolitischen Ausschuß einschalten müssen, um sich dort die Grundlage für die von ihr einzuschlagende Politik zu holen. Das hat sie nicht getan. Damit hat sich die Regierung leider ihre Initiative selbst entwertet. Denn darüber sind wir uns doch klar: Jeglicher außenpolitische Schritt Deutschlands, sei es im Verhältnis zu Frankreich, sei es im Verhältnis zu anderen Staaten, hat nur dann einen Sinn und Zweck, wenn er nicht bloß von der kargen Regierungsmehrheit, die heute existiert, von ein paar Stimmen mehr im Parlament getragen wird, sondern von der weitaus überwiegenden Masse des deutschen Volkes. Da ist das Grundübel an der heutigen Situation zu suchen!
Die Außenpolitik der Regierung muß mehr sein als die Innenpolitik. Mag die Regierung versuchen, auf dem Gebiet der Innenpolitik jeweils mit einer ganz knappen Mehrheit durch die Katarakte der Abstimmungen' im Parlament durchzukommen; bezüglich der Außenpolitik müssen wir dafür sorgen, daß 80 Prozent, ja 90 Prozent der Bevölkerung hinter den Akten der Regierung stehen. Da verlangen wir von der WAV: Unser Volk muß eingeschaltet werden, unser Volk bzw. die gewählten Volksvertreter müssen rechtzeitig informiert werden, was die Regierung dem Ausland gegenüber für Angebote macht, weil nur dann die Angebote der Regierung wirklich einen Sinn und einen Zweck haben. Meine Damen und Herren, diesen Grundsatz bitte ich die Regierung doch endlich einmal beherzigen zu wollen. Sie soll zuerst aus dem Volk heraus Richtlinien und Grundlagen für ihre Politik gewinnen. Schauen Sie hinüber nach den Vereinigten Staaten von Amerika! Wie ist es dort, wie war es unter Präsident Roosevelt, wie ist es heute? Zuerst wird sondiert, wie das Volk denkt. Erst dann kann es eine Regierung überhaupt wagen und riskieren, dort, wo wirklich entscheidende Lebensinteressen der Nation in Frage stehen, außenpolitisch irgendwie hervorzutreten.
Meine Damen und Herren, die Regierung hat leider schon einen unglücklichen Start auf dem Gebiet der Geldabwertung gehabt, wo wir Abgeordneten durch Journalisten informiert worden sind, was von seiten der Regierung geschehen war. Ich finde, auch auf dem Gebiet der Außenpolitik, wo sie jetzt die ersten zaghaften Schritte zu tun hatte, hat sie einen ebenso unglücklichen Start gehabt. Wir beschwören die Regierung, sie möchte bei den kommenden so wichtigen Dingen nicht ebenso verfahren, wie sie es bisher getan hat. Wir fordern die Regierung auf, endlich einmal die Bevölkerung und das gewählte Parlament einzuschalten. Sonst haben wir nämlich keine Demokratie, sonst haben wir die Herrschaft einer kleinen Clique.
Wir haben leider auf einige Fragen, die heute aus der Mitte des Hauses an die Regierung gerichtet worden sind, noch keine Antwort bekommen. Wir haben zum Beispiel keine Antwort darauf bekommen, ob es in unserem Volke zweierlei Leute gibt, nämlich die einen, die entgegenzunehmen haben. was die Regierung beschlossen hat, und die anderen, die vielleicht durch ihren besonders großen Geldbeutel — siehe Herrn Pferdmenges — in die Lage versetzt werden, direkte Außenpolitik zusammen mit der Regierung zu treiben.
Ich weiß, wie gesagt, nicht, wie es mit diesen Gerüchten um Herrn Pferdmenges steht. Ich glaube aber, der Mann war nicht legitimiert, wenn er wirklich zu diesen so wichtigen Besprechungen eingeladen worden sein sollte, als ein Volksvertreter aufzutreten. Wenn er das gewollt hätte, hätte er sich ja zur Wahl stellen können. Er hätte auf dem Weg, wie wir es alle haben tun müssen, versuchen können, hier als legitimierter Volksvertreter aufzutreten. Wenn er das aber nicht getan hat, möge er bitte aus so diffizilen Verhandlungen draußen bleiben. Wir fordern dann mit mindestens demselben Recht, daß der brave Bergarbeiter aus dem Ruhrgebiet und der brave Mittelständler aus der Stadt Köln ebenso zu diesen Besprechungen hinzugezogen wird. Uns scheint entscheidend zu sein, daß die Regierung daran denkt, was in der Verfassung so schön niedergelegt ist, daß die Staatsgewalt vom Volke ausgeht und sonst von gar niemand anderem. Wir verlangen, daß diese wichtigsten Fragenkomplexe, sei es Ruhrstatut, sei es Saarlandfrage, dem Volk vorgelegt werden, bevor die Regierung hier entscheidende Schritte tut. Schauen wir nur das französische Parlament an, wie hier dem Parlament die Entscheidungen vorbehalten sind. Ich gehe sogar noch weiter, ich gehe so weit, zu verlangen, daß nicht bloß die Abgeordneten, sondern unsere Bevölkerung direkt gefragt wird. Denn der Zustand muß überwunden werden, daß die Bevölkerung auf dem außenpolitischen Schachbrett hin- und hergeschoben wird, als sei sie eine Ware. Wir erkennen nichts anderes an als das, was von unserem Volk beschlossen wird.
Ich glaube, wir haben unser Volk und seine Stimme nicht zu fürchten.
Meine sehr verehr ten Damen und Herren von der Rechten, unser Volk will zum weitaus größten Teil ein enges Übereinkommen mit den Weststaaten, um endlich einmal eine Freundschaft mit den Nationen zu haben, mit denen wir auf Gedeih und Verderb zusammenstehen müssen, wenn wir die größten Gefahren für die Kultur des Abendlandes, die seit der Perserzeit eingetreten sind, bannen wollen. Wir haben unser Volk nicht zu fürchten, und wir fürchten unser Volk nicht. Gerade deshalb fordern wir: schaltet unser Volk ein! Wenn ihr Demokraten sein wollt, dann denkt daran daß Demokratie Volksherrschaft heißt. Dann wird es solche Mißgriffe und solche Entgleisungen nicht mehr geben. Dann wird sich zeigen, daß der Weg über die Befragung des Volkes nicht etwa ein kostspieliger Umweg ist, sondern daß es gerade auf diesem Wege vermieden wird, daß Scherbenhaufen in der Außenpolitik entstehen, wie wir es jetzt beobachten müssen. Es ist tief bedauerlich, wenn man feststellen muß, daß hier die Annäherung an Frankreich durch all die Dinge, die in den letzten Wochen passiert sind, nicht gefördert, sondern zum Teil sabotiert wurde. Um so mehr rechtfertigt sich der Ruf, den wir heute an die Bundesregierung richten wollen, sie möge einmal mit Regierungsmethoden brechen, die der Vergangenheit anzugehören haben und nicht wiederholt werden dürfen; sie möge endlich einmal eine möglichst breite Basis für ihre Politik und ihre Vorschläge schaffen. Dann erst wird sie in der Lage sein, außenpolitisch als eine quantité respectable betrachtet zu werden, als eine Größe, die man ernst nimmt, aber nicht als Leute, die zwar schöne Redensarten und Angebote I machen, hinter denen aber nicht das Volk steht.
Das ist die Meinung der kleinen Gruppe, die die WAV heute darstellt. Aber ich glaube, ich spreche auch im Namen vieler Mitbürger, die parteipolitisch nicht gebunden sind, aber mit Angst und Sorge die Entwicklung der letzten Wochen verfolgt haben, die eine Freundschaft wollen gerade mit den Besatzungmächten, die aber eines nicht wollen: eine Regierung, die über die Köpfe des Volkes hinweg Maßnahmen, noch dazu falsche, trifft.