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ID0101701500

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    Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 15. November 1949 397 17. Sitzung Bonn, Dienstag, den 15. November 1949. Geschäftliche Mitteilungen 397B Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung 397C Dr. Adenauer, Bundeskanzler 397C, 408B, 442A, 447C Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 400C Dr. Schumacher (SPD) . . . 400C, 446A Dr. Gerstenmaier (CDU) 408D Dr. Schröder (CDU) . . . . . . 413B Euler (FDP) ....... . 417C Dr. von Merkatz (DP) . . . . . 421D Dr. Seelos (BP) 424A Reimann (KPD) . . , . . . . 427A Loritz (WAV) 429D Frau Wessel (Z) ...... . 431B von Thadden (NR) . . 434D Dr. Ott (Parteilos) ..... . 437B Dr. Becker (FDP) 437D Storch, Bundesminister für Arbeit 438D Dr. Schmid (SPD) . . . . . 439C Fisch (KPD) 444D Dr. von Brentano (CDU) . . . 447D Nächste Sitzung 448D Die Sitzung wird um 15 Uhr 6 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von August-Martin Euler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist bisher hier wenig davon die Rede gewesen, daß Europa und alle Völker außerhalb des russischen Vorhangs in einer tödlichen Gefahr stehen, in der Gefahr der Vernichtung im wahrsten Sinne des Wortes, und davon muß gesprochen werden. Denn das muß Ausgangspunkt einer wieder anhebenden deutschen Außenpolitik sein. Von Wladiwostok bis Eisenach reicht heute der Block, der unter der Führung des Kreml steht. Die „Tägliche Rundschau" war es erst in diesen Tagen, die entsprechend der allgemeinen Propagandalinie diesen Gedanken der ungeheuren Ausdehnung der Macht des Kreml propagandistisch darzustellen suchte, indem sie an den Rändern entlang die dem russischen Einflußbereich nicht unterfallenden Staaten weiß aussparte, um sie mit der Unterschrift zu versehen: „Es sind nur wenige Völker am Rande des großen eurasischen Kontinents, von Japan über den Indischen Ozean und das Mittelmeer bis hinauf zur Nordsee, die noch auf ihre Befreiung warten."
    Die Westalliierten haben sich lange dagegen gesträubt, die wahre Natur des sowjetischen Despotismus zu erkennen und ihm mit einer Schutzpolitik entgegenzutreten, der es darauf ankam, alle Kräfte zu sammeln, um weitere russische Aggressionen und Invasionen zu verhindern. Vorausgegangen war die Vergewaltigung der Balkanländer, der Umsturz in der Tschechoslowakei, der Pressionsversuch gegenüber Finnland, und vor allen Dingen die Blockade Berlins, mitten im Frieden! Diese Blockade war darauf angelegt, die Berliner Bevölkerung durch Aushungerung zur Übergabe zu bringen, durch Herbeiführung äußerster Notzustände die Westmächte zur Übergabe der Stadt zu bewegen. Berlin hat einen heroischen Kampf für Deutschland, für Europa, für die ganze westliche Welt gekämpft und tut es heute noch gegenüber jener Macht, für die der Frieden oder das Schweigen der Waffen nur die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln bedeutet.
    In dieser Lage ist es für alle Völker diesseits des eisernen Vorhangs notwendig, das Abendland vor sowjetischen Aggressions- und Invasionsakten zu schützen. Das Mittel zur Erlangung der Sicherheit kann sowohl für die europäischen Völker als auch darüber hinaus für die Völker jenseits des At-


    (Euler)

    lantik und die Völker in Asien, denen eine frühe Selbständigkeit zuerkannt wurde, nur die Vereinigung sein, die neue Zerwürfnisse ausschließt, die Vereinigung, die Kräfte zusammenfaßt, um einer wahrhaft tödlichen Gefahr entgegenzutreten. Alle Produktivkräfte werden benötigt, um einen Wohlstand zu sichern, der jede Möglichkeit der Verführung durch jene gewitzigten Demagogen ausschließt, die nur auf Angst und darauf spekulieren, daß der in Not Befindliche doch einem verführerischen Wort offensteht, das alles zu versprechen scheint. Sicherheit ist nur durch die freudige Mitwirkung aller Völker möglich, und diese ist nur auf der Grundlage der Gleichberechtigung und Gegenseitigkeit zu gewinnen. Ein gleichmäßiger Verzicht auf Souveränitätsrechte ist das Mittel, das alle europäischen Völker — gerade auch das deutsche Volk, das ja wohl nicht entbehrt werden kann — dazu bringen kann, ihre Kräfte in den Dienst einer Lebensordnung zu stellen, die von einem Ideal beherrscht ist, das das Leben lebenswert macht. Nur über Europa kommen wir heute zur Existenzsicherung unserer Nation, und über Europa nur kommen die anderen Völker, die Franzosen ebenso wie die Italiener, die Holländer und Belgier und letzten Endes auch die Engländer zur Existenzsicherung ihrer Nation. Die Sicherheit für jedes europäische Land diesseits des eisernen Vorhangs wird nur über Europa verwirklicht.
    Dieses Europa könnte nicht einmal erstehen, wenn es heute nicht den Schutz der USA. genösse. Es kann sich nur im Schutze der Macht entfalten, die allein von den Machthabern des Kreml als solche respektiert wird und die vorläufig allein in der Lage ist, die weitere Machtentfaltung des o Kreml zu stoppen. Wir hätten gar keine Gelegenheit, uns über Europa und über Verständigung mit den westlichen Alliierten zu unterhalten; wir hätten gar keine Möglichkeit, über die Rechtfertigung von Forderungen, die an uns gestellt werden, oder aber über die Begründetheit von Forderungen, die wir geltend machen, zu diskutieren. Längst wäre die russische Lawine über die westlichen Völker bis zum Ozean hinweggegangen, und wir wären hier ebenso wie heute unsere Brüder und Schwestern im Osten Opfer eines Jochs, von dem keine Befreiung zu erwarten wäre. Dessen müssen wir immer eingedenk sein, daß die USA. heute die Träger der europäischen Einigungsbestrebungen sind, weil nur der von ihnen kommende Schutz und die von ihnen kommende materielle Hilfe in der Lage sind, Europa überhaupt zum Werden kommen zu lassen. Vergessen wir niemals, daß der Atlantikpakt uns aus dem Niemandsland herausnahm, daß das von den westlichen Mächten besetzte Deutschland kraft des Atlantikpaktes ein geschütztes Land ist; und denken wir weiter daran, daß es die Konzeption des Marshallplans war, daß die materielle Hilfe, die über den Marshallplan allen europäischen Völkern und namentlich uns Deutschen zufließt, den ersten Schutz gegen eine Verelendung bot, in der sich heute unsere Brüder und Schwestern in der Ostzone noch mitten drin befinden. Der Marshallplan als wirtschaftliches Mittel der europäischen Vereinigung wird noch weiterhin seine Früchte tragen, wenn er von uns allen eben als ein Mittel aufgefaßt wird, das einzusetzen ist, um bei seinem Ablauf Vorrichtungen aus eigener Hilfe oder fördernde Umstände aus eigener Hilfe den Verelendungsbedingungen entgegensetzen zu können.
    Das geschlagene Deutschland zum Mitträger einer neuen europäischen Ordnung zu machen, ist unser deutsches Streben, ein Streben, das aus einem alltäglichen Erlebnis heraus immer neue Nahrung empfängt, aus dem Erlebnis, daß mehr als tausend Menschen täglich aus der Ostzone herüberfluten und immer aufs neue die Nachricht von neuen Mitteln des Despotismus, von neuen Mitteln der Vergewaltigung und Vernichtung von Menschen mit sich bringen.
    Eingeordnet in die westliche Welt wollen wir sein, ein zuverlässiger Baustein einer neuen Ordnung, die — so hoffen wir — derart erstarken wird, daß sie im Laufe der Zeit die russische Politik zu einer weisen Selbstbeschränkung führt, zu einer Resignation mit der Folge des Verzichts auf Gebiete, die niemals russisch waren und niemals russisch sein werden, deren Bevölkerung nur darauf wartet, von einem unerträglichen Joch befreit zu werden.

    (Abg. Rische: Wieviel Divisionen wollen Sie denn?)

    Gegenüber dieser Zielsetzung eines entstehenden Europas besteht nun leider die Gefahr einer zu langsamen Entfaltung, die daher kommt, daß das Mißtrauen zwischen den einzelnen europäischen Völkern einen großen Widerspruch zwischen der Ideologie und der Wirklichkeit der Besatzungspolitik der westlichen Mächte in Deutschland klaffen läßt. Diesen Widerspruch, die Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Verkündung zu überwinden, damit wir ein gleichberechtigtes Glied der europäischen Völkerfamilie werden, ist nur dann möglich, wenn alle Beteiligten bemüht sind, Vertrauen zu erwerben und Vertrauen zu sichern. Es gibt nur ein Gesetz der wiederanhebenden deutschen Außenpolitik: Erwerb und Sicherung von Vertrauen in den Ländern, in denen Recht und Freiheit als wegweisende Ideen einer neuen zwischenstaatlichen Lebensordnung lebendig sind, in denen Recht und Freiheit als Träger einer neuen Ordnung überhaupt vertreten werden dürfen. Eine solche Politik kann nicht als „pro-westlerisch" bezeichnet werden, wie dies Herr Dr. Schumacher tat. Was heißt in der heutigen Situation „pro-westlerisch", da wir überhaupt nur mit dem Westen zusammenarbeiten können, da wir doch überhaupt nur jene Völker und jene Staaten angehen können, um gemeinsam mit ihnen der Überfremdungsgefahr, der Aggressionsgefahr aus dem Osten zu begegnen? Die Politik einer erfolgreichen Befreiung muß eine Politik der gleichberechtigten Einordnung in eine internationale Ordnung sein, wie sie von den Angelsachsen, von den west-, mittel-, süd- und nordeuropäischen Völkern erstrebt wird.

    (Abg. Rische: Hitlers „Neuordnung in Europa"!)

    Vertrauensstörung erwächst, wenn wir den Anschein erwecken, als könnte irgend etwas geeignet sein, von der entstehenden deutschen Freiheit einen solchen Gebrauch zu machen, daß wir gegebenenfalls für den Osten optieren könnten. Das ist der eigentliche Hintergrund der heutigen Befürchtungen Frankreichs und Englands, daß in dem Maße, wie die deutsche Industrie leistungsfähig wird, wie wir wieder die freie Disposition gewinnen, diese Freiheit vielleicht doch einmal dazu verwandt werden könnte, aus einem beschränkten nationalstaatlichen Denken heraus gegen den Westen eingesetzt zu werden. Deswegen ist es gerade heute in dieser Debatte wichtig, klare Auskunft über unseren geistigen Standort zu


    (Euler)

    geben. Und zu dieser klaren Auskunft gehört die entschiedene Absage an alle Arten verdächtiger Neutralitätspolitik seltsamer Brückenschläger, die sich an bestimmte historische Situationen der Vergangenheit erinnern und sie durch völlig unbegründete, falsche Analogien auf die heutige Zeit übertragen. Es ist letzten Endes nicht verwunderlich, wenn es Männer wie Nadolny gibt, die nicht mehr in der Lage sind, die ungeheuren Verschiebungen der Machtverhältnisse in der Welt zu realisieren, und deswegen zu falschen Entscheidungen kommen. Weil sie gewisse Reminiszenzen an Bismarcksche Politik haben, gewisse Reminiszenzen an Rapallo, kommen sie zu falschen Schlüssen über das, was heute oder in Zukunft möglich oder auch nur zweckdienlich ist.
    Gerade in dem Augenblick, in dem die Initiative der USA zur Beseitigung harter Widersprüche zwischen der Praxis und der Ideologie der westlichen Besatzungsmächte führen soll, ist es wesentlich, daß von dieser Stelle Klarheit über unsern geistigen und politischen Standort geschaffen wird. Es ist eine immerhin recht bedeutungsvolle Stunde der Ausweitung der deutschen Freiheit — die einem neuen Europa zugute kommen soll —, in der wir uns befinden. Wenn irgend etwas begrüßenswert ist, dann ist es die Anregung der Regierung, wesentliche Fragen in einem Ausschuß unter Teilnahme deutscher Vertreter zu erörtern, und wie schon die fünf Punkte, die die Regierung in ihrer Note vom 1. November genannt hat, zeigen, handelt es sich dabei um eine Beratung, die zu einer Erörterung des Gesamtproblems Deutschland mit dem Ziele der offiziellen Beendigung des Kriegszustandes führen soll. Wenn das angestrebt wird, so kann es keinen Zweifel geben, daß viele der Fragen, die bisher nicht erwähnt oder angeschnitten worden sind, in den Kreis der Erörterungen einbezogen werden müssen. Seien wit aber froh, daß diese Erörterungen begonnen haben und daß wesentliche Fragen den Ausgangspunkt zu einer weiteren Erörterung bilden, von der wir glauben, daß sie sich auf alle Lebensgebiete erstrecken und zur Folge haben wird, daß die Beendigung des Kriegszustandes unter Bedingungen ausgesprochen wird, die unserem Volke klar zeigen, welches der Unterschied zwischen östlichen Verheißungen und westlichen Erfüllungen ist. Das ist aber nur durch Stärkung des Vertrauens möglich.
    Beweise des ernsten Wunsches — so heißt es in dem Kommuniqué über die Pariser Konferenz — sollten erbracht werden, daß wir das Bedürfnis nach einer Gemeinschaft mit den Nationen haben, die der Sache der Demokratie, der Gerechtigkeit und des Friedens ergeben sind. Solche Beweise sollen nichts anderes sein als Vorleistungen, nicht Beweise des Wortes, sondern der Tat. Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, es kommt ganz wesentlich darauf an, wie der Charakter der Vorleistungen beschaffen ist. Sind diese Vorleistungen derart, daß bei unserer Bevölkerung der Eindruck entsteht, Europa werde vom Westen her mit der Maßgabe bejaht, daß innerhalb Europas Deutschland dauernd eine Nation geminderten Rechtes bleiben solle, daß es außerhalb der Gleichberechtigung mit einer gewissen Distanziertheit neben den Nationen vollen, ungeschmälerten Rechtes stehen solle, dann, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird die politisch-psychologische Reaktion in unserer Bevölkerung außerordentlich bedauerlich sein.
    Der Herr Bundeskanzler hat in seinem Interview in der „Zeit" einige Ausführungen gemacht, die meines Erachtens mitten ins Schwarze treffen. Das Maß der gegenseitigen Rücksichtnahme — so sagte er — müsse darauf abgestellt sein, auf beiden Seiten ein Vertrauensverhältnis entstehen zu lassen. Man darf nicht nur auf der einen Seite — das sollten die Westmächte nicht verkennen — die Gefahr der Vertrauensminderung in Frankreich gegenüber Deutschland sehen, sondern die Besatzungsmächte müssen umgekehrt die Gefahr eines entschiedenen Vertrauensverlustes in der deutschen Bevölkerung gegenüber dem Westen erkennen. Nur wenn man diese beiden Seiten sieht, wird man eine Bereitschaft zu Regelungen finden, aus der heraus das hervorgehen wird, was nicht nur unsere Bevölkerung, sondern was ebenso das französische Volk erwartet und was letzten Endes alle Völker Europas erwarten. Die Initiative der Regierung, aus dem Geiste der deutschen und europäischen Verantwortung, der Besonnenheit und des Maßes in Erörterungen einzutreten, die das Problem Deutschland in seiner ganzen Breite aufrollen sollen. ist begrüßenswert und sollte auch von der Opposition anerkannt werden.
    Die Problematik einer beginnenden Außenpolitik ohne zureichenden Apparat ist allerdings gleich bei den ersten Erörterungen hervorgetreten, und man sollte sich auf seiten der Alliierten nun wirklich ernstlich fragen, ob es nicht völkerrechtlich in eine Sackgasse führt, wenn man uns ein Außenamt vorenthält, das ja nur die sorgfältige Behandlung all der Fragen zur Aufgabe haben soll, die jetzt in immer größerer Fülle hervortreten und mit äußerster Sorgsamkeit bearbeitet werden müssen.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unter a den Punkten, die die Regierung zunächst zu behandeln angeregt hat, ist einer von ganz besonderer Bedeutung, wenn man berücksichtigt, daß ja Verhältnisse geschaffen werden sollen, die der Entwicklung Europas nicht nur in Gedanken, sondern in der Lebenswirklichkeit dienlich sein können, und das ist die Beteiligung ausländischen Kapitals an deutschen Werken. Es war nachgerade zu erwarten, daß die Erörterung auch nur einer solchen Absicht eine Art Wutanfall der sozialistischen Opposition auslösen würde.

    (Unruhe links.)

    Denn die Äußerungen des Herrn Dr. Schumacher in den letzten Tagen zu diesem Punkt waren von keinerlei Sachlichkeit mehr getragen, sie waren auch nicht von dem Willen beseelt, überhaupt Verständnis zu suchen; sie waren nur von dem Willen getragen, den Vorschlag der Regierung von vornherein auf demagogische Weise zu diskreditieren.

    (Beifall rechts.)

    Es liegt auf derselben Linie, wenn Herr Dr. Schumacher beispielsweise davon sprach, es handle sich darum, einen alliierten Gendarmen in Deutschland vor den Geldschrank des Großbesitzes zu stellen, oder wenn er heute — nur in der Form abgemildert, aber in der Sache genau dasselbe meinend — von einer Frankreich-Deutschland-AG sprach und sagte, es handle sich lediglich um eine Verbindung der Schwerindustrien. Nun, solche Äußerungen sind im Grunde genommen nicht verwunderlich, denn sie entspringen der Betrachtungsweise des klassenkämpferischen Marxismus.

    (Sehr gut! rechts. — Gegenrufe links.)



    (Euler)

    Wir lassen uns allein von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise leiten, deren Vernunft sehr simpel darzustellen ist.

    (Zuruf bei der SPD: Aber sehr simpel!)

    Wir leiden unter Kapitalmangel. Das Kapital könnten wir aus eigenen Ersparnissen und aus eigener Arbeit nur nach einer langen Reihe von Jahren in dem erforderlichen Umfang aufbringen, um die dringenden Anliegen der Produktionserneuerung und des Wohnungsbaus gerade im Ruhrgebiet mit der Schnelligkeit zu erfüllen, deren es bedarf, um die Not zu lindern. Wenn Sie, meine Herren von der Linken, dagegen hetzen, daß wir ausländisches Kapital hereinnehmen, verurteilen Sie damit unsere Bevölkerung dazu, daß ihr Wohlstand noch eine sehr lange Zeit außerordentlich gemindert bleibt.

    (Bravorufe und Händeklatschen rechts. — Zuruf bei der SPD: Sehr simpel! — Zurufe bei der KPD.)

    Durch die Hereinnahme ausländischen Kapitals
    werden wir ohne weiteres In die Lage versetzt, den ungeheuren Ersatzbedarf sowie den
    großen Bedarf an Erneuerungen, die den technischen Fortschritten Rechnung tragen sollen, in
    verhältnismäßig kurzer Zeit zu befriedigen und damit einen entscheidenden Beitrag dazu zu leisten

    (Abg. Renner: Zum Ausverkauf!)

    — ich komme gleich auf den Zuruf vom Ausverkauf zurück daß eine hinreichende Arbeitsmöglichkeit und Beschäftigung sichergestellt sind.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der
    Ostzone haben sich die Russen alle interessanten
    Betriebe als sogenannte Sowjet-AGs genommen.

    (Lachen und Zurufe bei der KPD.)

    Im Gegensatz dazu handelt es sich im Westen überhaupt nicht um Majoritätsbeteiligungen, sondern lediglich um das Angebot, um die Einladung, Minoritätsbeteiligungen zu geben.
    In diesem Zusammenhang möchte ich der Regierung allerdings ein Wort mit auf den Weg geben. Wir sollten die Aufmerksamkeit darauf richten, daß nicht Beteiligungen von einer solchen Höhe gegeben werden, daß im Handumdrehen infolge Zukaufs von Streubesitz usw. aus einer starken Minorität eine schwache Majorität wird.

    (Abg. Renner: Aha!)

    Wenn derartiges geschehen würde, wäre das politisch nicht weniger verkehrt als wirtschaftlich. Politisch handelt es sich um folgendes. Dem Ausländer soll im Zusammenhang mit der Sicherheitsfrage ein gewisser Einblick und auch ein Interesse an deutschen Werken gegeben werden; der Ausländer soll dadurch mehr aufgeschlossen werden für die wirtschaftlichen und politischen Bedürfnisse Deutschlands; er soll ein besseres Einschätzungs-
    und Beurteilungsvermögen über die von allen möglichen Seiten behaupteten Gefahren einer etwaigen deutschen Wiederaufrüstung usw. erlangen.
    Das Kontrollrecht, das mit einer Minderheitsbeteiligung verbunden ist, birgt nicht die Gefahr einer Überfremdung in sich, wenn die Angelegenheit von vornherein von allen Beteiligten politisch und wirtschaftlich so besonnen angefaßt wird, wie es die Schwierigkeit dieses Problems erfordert. Man muß die Forderung nach Beschränkung auf Minderheitsbeteiligung deutlich hervorheben. Der Vorschlag der Vereinigten Stahlwerke ging beispielsweise auf Einräumung einer Minderheitsbeteiligung von 28 Prozent. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratie und
    der KPD, die Sie j a immer dann gemeinsam kämpfen, wenn es sich um marxistische Grundsätze handelt: wenn man die Beschränkung auf Minderheitsbeteiligungen klar hervorhebt, zerrinnen Ihre nationalen Vorwände.

    (Zurufe links.)

    Sie suchen ja nur nationale Vorwände, um sozialistische Nöte zu verbergen.

    (Zurufe bei der SPD und KPD.)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade von diesem Gesichtspunkt der Kapitalbeteiligung her kommt man allerdings zu einer sehr kritischen Einstellung gegenüber dem Ruhrstatut. Es sollte niemals vergessen werden, daß gerade die Kapitalverflechtung, die wir als Mittel einer Liberalisierung des europäischen Handels und der europäischen Industrie für sehr wünschenswert halten, durch nichts stärker verhindert wird als eben gerade durch das Ruhrstatut. Das Ruhrstatut bietet nämlich die Möglichkeit eines ungeheuren Mißbrauchs der Verwaltungsbefugnisse und der Eingriffsrechte aus Konkurrenzgründen. Diese Gelegenheit zum Mißbrauch wird immer Befürchtungen auslösen, wenn es sich darum handelt, Kapital in deutsche Werke an der Ruhr hineinzugeben.
    Zum zweiten aber ist es wesentlich, folgendes zu erkennen. Das Ruhrstatut geht weit über die legitimen Kontrollbedürfnisse hinaus. Es geht weit über die Kontrollen hinaus, die aus Sicherheitsgründen erforderlich wären, um den Westalliierten das Vertrauen zu geben, das für sie unerläßliche Grundlage einer Zustimmung zur Politik der gleichberechtigten Einordnung Deutschlands ist. Wir haben auf der einen Seite die Sicherheitskommission, die die spezielle Aufgabe der militärischen Überwachung hat. Wir haben darüber hinaus kraft Besatzungsstatut die allgemeine Wirtschaftskontrolle. Wir haben zum dritten in dem Maße, wie die Kapitalverflechtung anzuheben beginnt, die Kontrolle des Auslandes über die Minderheitsbeteiligungen in den einzelnen Werken. Nun, man muß sagen: das reicht! Nichts kann darüber hinwegtäuschen, daß das Ruhrstatut ein Relikt einer im Grunde genommen bereits überholten Periode der westalliierten Politik in Deutschland ist.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Je früher dieses Ruhrstatut beseitigt oder durch etwas ersetzt wird, was mit dem, was sich heute Ruhrstatut nennt, sehr wenig gemein haben kann, um so besser. Ich glaube, es wäre sehr verdienstlich, wenn die Regierung gerade unter diesen Gesichtspunkten zeigen würde, daß das Ruhrstatut ein erratischer Block ist, der auf dem Wege in eine bessere europäische Zukunft liegt, wenn es nicht auf eine Weise abgewandelt wird, daß das, was dann daraus hervorgeht, sehr wenig mit dem bisherigen Ruhrstatut zu tun hat. Ich erinnere nur an Artikel 16, in dem der entscheidende Gesichtspunkt, der für eine Fortbildung des Ruhrstatuts in Betracht käme, genannt ist: Schutz solcher Unternehmen, in denen ausländische Interessen bestehen, vor der Anwendung diskriminierender Maßnahmen in irgendeinem Bereich ihrer Tätigkeit. Wenn die Ruhrkontrolle auf diesen Zweck beschränkt wird, dann wird sie auch auf andere Länder erweiterungsfähig sein, dann kann sie zu einem Instrument einer europäischen Kontrolle gegenüber den einzelnen Ländern werden mit dem Ziele, nationalistische Äußerungen einer diskriminierenden Wirtschaftspolitik, die das Zusammenwachsen Europas gefährdet, durch Überwachung


    (Euler)

    und durch Maßnahmen zu verhindern, die auf Grund dieser Überwachung zum Ausschluß der diskriminierenden Methoden getroffen werden. Dieser Umbau sollte von unserer Regierung zur Sprache gebracht werden.
    Im übrigen möchten wir bemerken, daß für die Beantwortung der Frage — wenn sie aktuell wird —: soll man dem Ruhrstatut beitreten oder nicht?, außerordentlich viel davon abhängen wird, wie die politische Gesamtlage ist, wie die gesamten Umstände im Augenblick der Beurteilung sind, insbesondere welche Zusicherungen gegeben werden, um eine Veränderung, eine Revision, eine Weiterentwicklung des Ruhrstatuts sicherzustellen. Ich erinnere daran, daß das Besatzungsstatut bindend die Revision spätestens innerhalb von 18 Monaten vorsieht. Eine ähnliche Klausel in das Ruhrstatut aufgenommen, diese Klausel des Besatzungsstatuts auf das Ruhrstatut übertragen, würde schon einen wesentlich anderen Aspekt darstellen, als wenn wir dem Ruhrstatut beitreten, ohne daß irgendwelche sicheren Revisionsmöglichkeiten. Abwandlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten gegeben werden.
    Hinsichtlich der Saar, dem anderen großen kritischen Punkt, möchte ich nur eins hervorheben. Wenn die europäische Frage weitere Fortschritte in dem Sinne macht, daß unter dem Druck der Not die europäischen Völker erkennen, wie wichtig die Realisierung ihrer Zusammenarbeit ist, wie wichtig es ist, in Europa unter einen Hut zu kommen, dann wird sich die Saarfrage eines Tages im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich ganz anders darstellen. Vom gegenwärtigen Augenblick her beurteilt, wo nationalistische Ressentiments auf beiden Seiten noch allzu sehr den Blick trüben, müßte man allerdings sagen, daß gerade dieses Problem geeignet wäre, neue große Gefahren in die Welt zu setzen. Hoffen wir, daß der europäische Gedanke stark genug ist. Ich glaube, er wird es sein, weil die aus dem Osten herandrängnede Not einfach seine Verwirklichung erzwingt. Ich glaube, es wird sich eines Tages eine Lösung finden lassen, die dem Umstand gerecht wird, daß das Saargebiet ein von deutschen Menschen bewohntes deutsches Land ist.

    (Bravo! bei der FDP.)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nichts, was bisher von seiten der Regierung geschehen ist, rechtfertigt eine Kritik, wie sie Herr Dr. Schumacher draußen in der Öffentlichkeit in den letzten Tagen entfaltet hat.

    (Abg. Rümmele: Sehr richtig!)

    Seine heutigen Ausführungen erwecken demgegenüber den Eindruck, als sei er doch durch Rücksichtnahme genötigt, nicht nur die Form, sondern auch den Inhalt der Vorwürfe wesentlich abzumildern.

    (Abg. Dr. Schumacher: Ist in keinem Punkte wahr!)

    — Es ist schlecht, Herr Dr. Schumacher, in der Öffentlichkeit zu sagen, eine Regierung, die immerhin von der Mehrheit der Wähler getragen wird, (Abg. Dr. Schumacher: Nein, in dieser Frage nicht!) sei getragen von Klasseninteressen, sie gebe sich einer ungezügelten Verdienerpolitik hin, und darüber hinaus von dem Kanzler zu sagen: Adenauer ist nicht pro-deutsch, sondern pro-französisch,

    (Abg. Dr. Schumacher: Seine Politik wirkt sich so aus!)

    und weiter zu sagen, Dean Acheson würde in Herrn
    Adenauer keinen würdigen Gesprächspartner finden. Herr Dr. Schumacher, solche Mittel der Demagogie

    (Bravo! und Händeklatschen rechts. — Abg. Dr. Schumacher: Ist ja alles nicht wahr!)


    (Sehr richtig! links)

    nun, Herr Dr. Schumacher, so liegt darin eine Verdächtigung, die Sie nicht rechtfertigen können. Was Ihren politischen, marxistischen Anschauungen nicht entspricht, ist nicht Politik des Großgrundbesitzes.

    (Zuruf von der SPD.)

    Ich glaube, der Ton, den Sie in der Öffentlichkeit angeschlagen haben, hat auch in Ihrer eigenen Partei gründlich mißfallen.

    (Zustimmung rechts. — Abg. Dr. Schumacher: Sparen Sie sich solche Belehrungen!)

    Denn schließlich ist doch eine erhebliche Kritik darin zu finden, wenn der Senatspräsident Kaisen, der ja Ihrer Partei angehört, auf einer Funktionärversammlung der SPD in Berlin am 13. November 1949 erklärt hat,

    (Zuruf von der SPD: Da kann man sagen: „Olle Kamellen"!)

    man sollte Adenauer die Chance geben, ernsthaft mit den Franzosen in ein Gespräch zu kommen, anstatt über ihn herzufallen.

    (Sehr richtig! rechts. — Zuruf von der SPD.)

    — Herr Dr. Schumacher, wir haben das Wahlbündnis mit den Nationaldemokraten geschlossen — und es ist uns gelungen, diesen Effekt zustande zul bringen —, um Wahlmethoden, wie sie in anderen deutschen Ländern üblich waren, nicht zum Erfolg kommen zu lassen.

    (Lebhafter Beif all rechts. — Zurufe links.)

    Sie übernehmen aber eine Tonart, mit der die Nationaldemokraten in Hessen bisher noch nicht konkurrieren konnten.

    (Zuruf von der SPD: So geschrien wie Sie hat er doch nicht! — Abg. Dr. Schumacher: Lesen Sie denn nie die „Kölnische Rundschau"?)

    Worum es Ihnen geht, Herr Dr. Schumacher, das ist letzten Endes das folgende. Sie meinen, wenn die Debatte vor 14 Tagen erfolgt wäre, wäre der abwesende deutsche Partner in Paris erfolgreicher gewesen. Sie wollen in der Bevölkerung den Eindruck erwecken, als seien es Ihre starken Worte, die zu einem gesteigerten Erfolg der Politik beigetragen hätten, einem Erfolg, der nicht eingetreten wäre, wenn Sie nicht diese Politik, ich möchte sagen, der verstärkten Nötigung angewendet hätten. Das halte ich nun allerdings für ganz verderblich, daß Sie sich einer Verengung des Gesichtskreises hingeben, die außenpolitische Probleme fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt behandelt, was innenpolitisch daraus für Kapital zu schlagen ist.

    (Beifall bei der FDP.)



Rede von Dr. Hermann Schäfer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Merkatz.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans-Joachim von Merkatz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Auseinanderfallen zweier großer Parteien in der außenpolitischen Konzeption


    (Dr. von Merkatz)

    I grenzt besonders in der Lage, in der sich Deutschland befindet, an eine nationale Katastrophe.

    (Sehr gut! rechts.)

    Wir müssen uns aber nun mit diesem Tatbestand abfinden.

    (Abg. Hilbert: Leider!)

    Die Erklärungen des Herrn Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei sind heute bei weitem zurückhaltender ausgefallen, als es seine vorherigen Verlautbarungen in der Presse vermuten ließen. Dennoch müssen diese Verlautbarungen und seine heutige Erklärung hier vor dem Bundestag als eine Einheit betrachtet und gewertet werden. Wenn man die stark polemische Färbung aus den Ausführungen von Herrn Dr. Schumacher streicht, dann bleibt als Gehalt der Ansicht der Opposition übrig, daß sie der Regierung vorwirft, sie habe widerstandslos deutsche Interessen preisgegeben. Weiteres an Substanz kann ich an den Ausführungen — ich habe sie sorgfältig zu studieren versucht — nicht finden. Wenn diese sehr weittragende und schwerwiegende Behauptung, die wenigstens etwas belegt sein müßte, um von der Gegenseite ertragen zu werden, außerdem noch mit dem Ausspruch versehen wird, die Opposition werde niemals dulden, daß der alliierte Gendarm vor dent Geldschrank des Großbesitzes aufgebaut werde, dann gewinnt die Ansicht der Opposition allerdings eine Färbung, die man im Interesse unseres Landes nur bedauern kann.
    Von dem Führer der Opposition ist ferner vorgebracht worden, daß die Regierung keine eigentliche außenpolitische Konzeption getätigt habe, daß sie keinen außenpolitischen Plan erkennen lasse. Ich muß — auch nach der Ansicht meiner r Fraktion — aufrichtig gestehen, daß die Behandlung außenpolitischer Probleme nach einem Plan und nach einem Ideengebäude angesichts der Lage, wie wir sie tatsächlich in Deutschland haben, und angesichts dieser unendlichen Schwierigkeiten nicht möglich ist. Man gehe doch einmal durch unsere Städte und zu den Menschen, für die Sie, Herr Dr. Schumacher, so eingetreten sind. Wenn man diese Tatsachen und die Mühe sieht, die notwendig ist, sich langsam wieder zu einer Position emporzuarbeiten, auf Grund deren ganz bescheiden von einer Form von Verhandlungen gesprochen werden kann, und wenn man sich einmal wirklich vergegenwärtigt, was unser deutscher Zusammenbruch denn eigentlich bedeutet, dann wird man, glaube ich, den Versuch, eine Außenpolitik nach irgendwelchen Planungen und Ideen zu führen, als reichlich unbescheiden bezeichnen müssen. Das geht so gar nicht.
    Das, was zunächst einmal zu geschehen hat und was geschehen muß und was jede Regierung vollziehen mate, gleichgültig welche, ist die Schaffung der allerbescheidensten Voraussetzungen, auf Grund deren man überhaupt anfangen kann, und zwar ganz klein anfangen kann. Ich möchte damit dem Herrn Bundeskanzler nicht nahetreten, denn es ist an sich schon eine Herkulesarbeit gewesen, was hier geleistet worden ist. Sehr viel mehr ist eigentlich gar nicht vorgegangen. Wenn wir unsere heutige Aufgabe hier im Bundestag richtig betrachten: als die Vertreter dieses Volkes sollen wir dem Ausland ein Bild der Meinung dieses Volkes geben. Vorhin, als ich auf die Worterteilung wartete, hatte ich das wohltuende Gefühl, daß es im Hause ziemlich leer war und beinahe eine Atmosphäre der Langeweile durch diese Halle zog. Ich glaube, es wäre richtiger — ich sage das im
    vollen Bewußtsein —, wenn wir etwas mehr mit jener nüchternen Langeweile — oder wie Talleyrand gesagt hat: „Pas trop de zèle!", nur keinen Eifer — unsere außenpolitischen Probleme betrachten würden. Wenn wir solche Bilder wie das von dem Gendarm, der vor dem Geldschrank steht, das vielleicht in ein Bilderbuch hineingehört, wegließen, dann kämen wir vielleicht in die Gemütslage hinein, die bei den Völkern draußen und bei unsern nächsten Nachbarn auch den Eindruck erwecken könnte, daß jenes unberechenbar Irrationale und Emotionale — ich glaube, General de Gaulle hat nach dieser Richtung die beste Charakteristik dieser Auslandsansicht geprägt — im deutschen Volk nicht mehr vorhanden ist. Man kann mit Stetigkeit nun damit rechnen: dies sind die Auffassungen des deutschen Volkes, und mit dieser Konstante müssen wir rechnen; das sind die Anerbieten der deutschen Regierung, sie sind soundso; wir können uns darauf verlassen und können uns auch später darauf verlassen; mit diesen Leuten kann man also verhandeln.
    Verzeihen Sie, ich sage damit nicht, daß das ein Preisgeben dessen bedeutet, was man Würde nennen kann. Ich habe das Empfinden und darf das wohl sagen, daß kaum eine größere Gelegenheit für ein Volk gegeben ist, Würde zu beweisen, als in den Stunden seines Zusammenbruchs. Ich will nicht solch große Vokabeln wählen wie „Erniedrigung". Wenn man selber einmal geflohen ist und auf dem Treck gewesen ist, wenn man sich da um seine kleinen Kinder gesorgt hat, wenn man dabei die Ruhr gehabt und wenn man die tiefe Gefährdung der Menschen gesehen hat — es sind ja mehrere in dem Hause, die das erlebt haben —, so hat man das Gefühl für die wahren Realitäten bekommen. Ich glaube, auch sagen zu können, daß jeder einzelne des deutschen Volkes etwas Ähnliches erlebt hat. Denken Sie auch an die vielen Witwen, die mit mehreren Kindern dasitzen und diese Kinder ohne wesentliches Einkommen durchbringen müssen. Dieses Volk hat soviel erlebt, daß alles, was man sich an Vorstellungen von diesem Volke gemacht hat, angesichts dieses Reifeprozesses vollkommen überholt ist.
    Es ist ein neuer Faktor „Deutschland" in der Welt, ein Faktor, der das in sich schließt, was man vielleicht früher von uns verlangt hat. Wir sind nun eine reife Nation geworden. Ich glaube, es ist das erstemal überhaupt in unserer Geschichte, und wir werden den Beweis erbringen, daß unser Wort über das, was hier besprochen und von unserer Regierung gesagt wird, ein lauteres, ein sicheres, ein verläßliches Wort sein wird. Um dieser Dinge willen, glaube ich, sollten wir doch den Stil unserer außenpolitischen Auseinandersetzung möglichst nüchtern wählen, möglichst aus diesem polemischen Bereich herausnehmen. Ich habe mir diese Kritik anmaßen müssen, weil schließlich auch einmal unser Standpunkt zum Ausdruck gebracht werden muß. Die Sozialdemokratie hat sich in den Jahren 1945, 1946 und 1947 an Hand ihrer Presse, ihrer Verlautbarungen als die Erzieherin des deutschen Volkes — ich will mich höflich ausdrücken — aufgeführt. Wir haben uns — meine kleine Fraktion — einiges sagen lassen müssen. Wir sind aber nicht mehr gewillt, jetzt, wo aus dieser unserer Fraktion zwei Männer die Verantwortung mitzutragen haben, uns diese Dinge weiter gefallen zu lassen.

    (Lachen bei der SPD.)



    (Dr. von Merkatz)

    Es muß einmal ein anständiger Ton zum Zuge kommen.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    - Herr Dr. Schumacher, Sie können sich über den Ton, den ich Ihrer Fraktion gegenüber anschlage, nicht beklagen.

    (Abg. Dr. Schumacher: Und die Radaukolonnen und die Schlägerkolonnen!?)

    — Herr Dr. Schumacher, bin ich Anführer einer Radaukolonne? Waren meine Worte, die ich eben gesprochen habe, aus dem Gedanken, dem Gefühl des Radaus geboren? — Dann lassen Sie diese Dinge auch hier fort!

    (Zuruf von der SPD: Und Hamburg? — Gegenrufe rechts. — Unruhe.)

    — Ich glaube, es hat keinen Sinn, so fortzufahren; diese Dinge sind zu ernst, für die Opposition genau so wie für uns, als daß wir uns über diese Frage weiter in dieser Weise auseinandersetzen.

    (Zurufe von der SPD)

    - Sie haben kritisiert, die Regierung habe keinen Plan, keine Idee, sie weiche zurück, und weiteres mehr.
    Wenn ich mir die Dokumente, die veröffentlicht worden sind, genau ansehe, finde ich folgendes: Der Bundeskanzler, mit ihm das Kabinett, hat als Kernfrage des außenpolitischen Problems richtig die Sicherheitsfrage erwähnt. Sehen Sie sich das Kommuniqué an, das die Einzelheiten bringt. Wenn Sie das Kommuniqué über die Pariser Konferenz analysieren, so finden Sie, wie sich das Problem der Sicherheit wie ein roter Faden hindurchzieht. Das ist tatsächlich auch eine Idee; denn im Leben der Staaten und Völker ist das Sicherheitsproblem das entscheidende.
    Wenn der Herr Bundeskanzler die Sicherheitsfrage in den Mittelpunkt der ganzen außenpolitischen Konzeption gestellt hat und wenn er
    — wir leben ja schließlich in einer Welt der Realitäten — auf Grund des Sicherheitsbedürfnisses unseres Nachbarn die ehrliche und klare Bereitschaft gezeigt hat, etwas zu bieten, dann kann man diesem Verfahren nur durchaus beitreten.

    (Sehr richtig! bei der DP.)

    Der Gedanke der Sicherheit ist ja eine Notwendigkeit, die nicht nur zugunsten der Franzosen, sondern in sehr großem Maße auch zugunsten unseres Landes gilt. Wie aber wollen wir um Verständigung in Europa und unter den Völkern der Welt um unserer eigenen Sicherheit willen werben, wenn wir nicht zunächst einmal einen ganz klaren, deutlichen und konkreten Beweis dafür geben, daß wir bereit sind, dem Sicherheitsbedürfnis der anderen Rechnung zu tragen?

    (Lebhafte Zustimmung bei der DP.)

    Wenn man von dieser Idee ausgeht und in ihr den Kernpunkt aller Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers sieht, dann ist wohl damit ein klarer und deutlicher Plan aufgezeigt worden, während ich in den Ausführungen der Opposition nicht zu erkennen vermag, was denn von der Bundesregierung, vom Herrn Bundeskanzler preisgegeben sein soll. Ich vermag darin keinerlei Realität zu sehen, sondern ich kann darin nichts anderes sehen als die Illusion eines Staates und die Illusion irgendwelcher Ansprüche. Diesem Illusionssystem kann ich mich nicht unterwerfen. Gerade das ist ja doch das, was unserem deutschen Volk Würde und Ansehen in der Zukunft zu geben vermag, die Realitäten bescheiden hinzunehmen. Wir müssen sie ja hinnehmen. Wir haben Politik zu machen und nicht Polemik zu treiben. Wir haben auch nicht der Welt irgendein Theater aufzuführen, sondern wir haben den Beweis zu erbringen, daß wir soviel inneres Gewicht haben, um unsere Zukunft aus unserer Situation in der Zusammenarbeit mit den anderen zu gestalten. Ich frage: gibt es denn überhaupt irgendeine reale Möglichkeit angesichts der Spannungen zwischen Ost und West, eine andere reale Wirklichkeit, um auf diesem Kontinent zu überleben, als den Gedanken der Zusammenarbeit der europäischen Völker? Aus diesem Gedanken entfaltet sich das, was wir alle brauchen: der Friede. Ich bin deshalb der Überzeugung, daß der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg Schritt für Schritt, Zentimeter für Zentimeter zum Ziele führt und dieser sozusagen simple Stil des außenpolitischen Verfahrens der einzig mögliche Weg ist, um eben zu dem hohen Ziel des Friedens und damit der Sicherheit zu kommen. Wir Deutschen, dic wir via erfahren haben und die wir in einem Bereich leben, in dem die Sicherheitsfrage bis aufs Herz gestellt ist, sind vielleicht gerade das Volk, das den ersten praktischen Beitrag für den Aufbau eines harmonischen Systems der Sicherheit unter den Völkern zu bieten vermag und damit eine reale Grundlage für den künftigen Frieden.
    Wenn der Herr Bundeskanzler hierbei die Verständigung mit Frankreich in den Mittelpunkt seiner Ausführungen — ich erinnere an das Interview der „Zeit" — gestellt hat, dann deckt sich dieser Grundgedanke mit dem alten Streben meiner Fraktion, die bereits in den Jahren 1945/ 1946 im Verfolg älterer Traditionen den Gedanken der Verständigung mit Frankreich in den Mittelpunkt ihrer außenpolitischen Zielsetzung gerückt hat. Ich erinnere an die Reden des jetzigen Bundesministers Hellwege von 1947 und 1948 vor dem Zentralvorstand.

    (Lachen bei der SPD.)

    — Herr Dr. Schumacher, das mag Ihnen vielleicht lächerlich vorkommen, weil eine kleine Fraktion auch einmal Gedanken hat.

    (Dr. Schumacher: Würden Sie vielleicht diese zärtliche Beschäftigung mit mir als einer Führerpersönlichkeit aufgeben!)

    Dieser Gedanke der Verständigung mit Frankreich ist nun nicht etwas, was rein intellektuell am grünen Tisch erledigt werden kann. Das Mißtrauen des französischen Volkes gegen das deutsche Volk ist eine psychologische Tatsache, die nun einmal vorhanden ist und gegen die man wirksame, überzeugende Handlungen und Maßnahmen finden muß, um das Mißtrauen zu überwinden.
    Der große Versuch in dieser Richtung muß gemacht werden. Es handelt sich um ein wirtschaftliches, ein kulturelles Problem, und dieses Problem ist in einer solchen Form zu fördern, daß dadurch die große Frage der europäischen Zusammenarbeit einmal konkret zur Lösung kommen kann. Wenn ich den Sinn des oppositionellen Vorgehens richtig verstehe, dann glaube ich sagen zu müssen: dahinter steht etwas ganz anderes. Nicht der Vorwurf, der der Bundesregierung gemacht wurde, ist der entscheidende Kern der Ausführungen der Opposition, sondern entscheidend ist wohl die Tatsache, daß die Sozialdemokratie fühlt, bei der Föderierung Europas könnten unter Umständen Entwicklungen eingeleitet wer-


    (Dr. von Merkatz)

    den, die mit dem Ziel der Sozialisierung, im Widerspruch stehen. Allein um diese parteipolitische Kernfrage wird — das ist meine Überzeugung — von der Sozialdemokratie ein Kampf geführt um eine andere außenpolitische Konzeption.

    (Abg. Dr. Schmid: Wie wäre es, wenn man Ihnen entgegenhielte, daß es sich um eine Heilige Allianz in Europa handelt?)

    — Herr Professor, ich glaube, darüber werden wir uns im außenpolitischen Ausschuß einmal gründlich unterhalten müssen. Wir suchen nicht Allianzen, sondern wir suchen ein System der europäischen Zusammenarbeit, weil wir glauben, daß es die einzige Möglichkeit ist, um von Deutschland, von Europa und damit auch von der Welt größtes Unheil fernzuhalten, weil wir glauben, daß das der Weg zum Ausgleich zwischen Ost und West ist, zu einem echten Frieden, zu einer echten Sicherheit, Sicherheit der Staaten wie aber auch Sicherheit der Völker und des einzelnen.

    (Bravorufe und Händeklatschen rechts.)