Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.Auf der Diplomatentribüne haben der Präsident des Malaysischen Unterhauses und die Mitglieder seiner Delegation Platz genommen. Es ist das erste Mal, daß eine Delegation des Malaysischen Unterhauses der Bundesrepublik Deutschland einen offiziellen Besuch abstattet. Daher ist es mir eine besondere Ehre und Freude, Sie, meine Herren, in unserem Lande und im Deutschen Bundestag herzlich willkommen zu heißen.
Ehe wir die Aussprache zu Punkt 1 der Tagesordnung fortsetzen, muß ich eine Reihe die heutige Tagesordnung betreffende Mitteilungen machen. Zu Punkt 2 der Tagesordnung — Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerentlastung und Investitionsförderung — liegen nunmehr fünf Vorlagen vor, und zwar vier Beschlußempfehlungen und ein igemeinsamer Bericht. Diese Vorlagen erfordern eine Änderung des Punktes 2 der Tagesordnung. Die neue Fassung dieses Punktes, wie sie interfraktionell vereinbart worden ist, liegt Ihnen in einer Liste vor, die die Überschrift „Neufassung des Punktes 2 der Tagesordnung sowie Zusatzpunkte der 47. Sitzung des Deutschen Bundestages" trägt. Danach soll der Punkt 2 wie folgt lauten:2. a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSUAnwendung des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft— Drucksachen 8/876, 8/983, 8/992 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Diederich
Abgeordneter Dr. Langnerdazu: Bericht des Haushaltsausschusses ge-mäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/987 —Berichterstatter: Abgeordneter Löfflerb) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurSteuerentlastung und Investitionsförderung— Drucksachen 8/900, 8/905 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/988 —Berichterstatter:Abgeordneter Carstens
Abgeordneter Löfflerbb) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksachen 8/984, 8/992 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Diederich Abgeordneter Dr. Langner
c) Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zum Abbau der Uberbesteuerung der Arbeitnehmer und Betriebe sowie zur Erhöhung des Kindergeldes für Kinderreiche
— Drucksache 8/592 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/988 —Berichterstatter:Abgeordneter Carstens
Abgeordneter Löfflerbb) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksachen 8/985, 8/992 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Diederich
Abgeordneter Dr. Langner
d) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerentlastung und Investitionsförderung— Drucksache 8/974 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/988 —Berichterstatter:Abgeordneter Carstens Abgeordneter Löfflerbb) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksachen 8/986, 8/992 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Diederich Abgeordneter Dr. Langner
Die Tagesordnung soll außerdem ergänzt werden um die Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Sechsten Gesetz über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern (Sechstes Bundesbesoldungserhöhungsgesetz) (Drucksache 8/998) sowie um die erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhöhung des Weihnachts-Freibetrages und Verbesserung der Abschreibungsbedingungen (Drucksache 8/990).
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3556 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Präsident CarstensIst das Haus mit dieser Ergänzung bzw. Änderung der Tagesordnung einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Fortsetzung der Aussprache über den Entwurf des Haushaltsgesetzes 1978 verbunden werden mit der Aussprache über Punkt 2 der Tagesordnung in der soeben beschlossenen Neufassung. Ist das Haus auch damit einverstanden? — Das ist ebenfalls der Fall.Ich rufe daher nunmehr die Punkte 1 und 2 der Tagesordnung auf:1. a) Fortsetzung der Aussprache über den von• der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1978
— Drucksache 8/950 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschußb) Fortsetzung der Beratung des Finanzplans des Bundes 1977 bis 1981— Drucksache 8/951 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß2. a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSUAnwendung des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft— Drucksachen 8/876, 8/983, 8/992 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Diederich Abgeordneter Dr. Langnerdazu: Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/987 —Berichterstatter: Abgeordneter Löfflerb) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerentlastung und Investitionsförderung— Drucksachen 8/900, 8/905 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/988 —Berichterstatter:Abgeordneter Carstens Abgeordneter Löfflerbb) Beschlußempfehlung und Bericht desFinanzausschusses
— Drucksachen 8/984, 8/992 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Diederich
Abgeordneter Dr. Langner
c) Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zum Abbau der Überbesteuerung der Arbeitnehmer und Betriebe sowie zur Erhöhung des Kindergeldes für Kinderreiche
— Drucksache 8/592 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/988 —Berichterstatter:Abgeordneter Carstens Abgeordneter Löfflerbb) Beschlußempfehlung und Bericht desFinanzausschusses
— Drucksachen 8/985, 8/992 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Diederich
Abgeordneter Dr. Langner
d) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerentlastung und Investitionsförderung— Drucksache 8/974 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/988 — Berichterstatter:Abgeordneter Carstens Abgeordneter Löfflerbb) Beschlußempfehlung und Bericht desFinanzausschusses
— Drucksachen 8/986, 8/992 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Diederich
Abgeordneter Dr. Langner
Das Wort hat nunmehr der Herr Abgeordnete Dr. Langner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor noch nicht ganz vier Monaten, am 16. Juni 1977, haben hier meine Kollegen Schäuble und Kühbacher die Ausscnußberichte zum Steueränderungsgesetz 1977 vorgetragen. Dieses Gesetz ist noch keine drei Monate alt. Wenn wir diesen Rhythmus der Steuergesetzgebung beibehalten, dann treffen wir uns vor Weihnachten das nächste Mal zur Beratung hier wieder. Wenn ich etwas
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3557
Dr. Langneraußerhalb der Tagesordnung bemerken darf: vielleicht beschließen wir dann einen Osterfreibetrag.Ich habe zu Beginn meines Berichts zunächst dem Ausschußsekretariat für die Arbeit zu danken, die in dieser etwas hektischen Beratungsphase hinter uns liegt. Wir nahmen nach Beendigung der Sommerpause unsere Ausschußarbeit auf dem Hintergrund einer sommerlichen steuerpolitischen Diskussion auf, die natürlich auch auf unsere Beratungen ausstrahlte.Zwei Hauptursachen hatte diese Diskussion: zum einen die steigende Steuerlast der Bürger, zum anderen das verlangsamte Wirtschaftswachstum. Ob verlangsamtes Wirtschaftswachstum nicht auch durch die steigende Steuerlast hervorgerufen ist, ist eine der Streitfragen in dieser Diskussion. Schon bei der Beratung des Steueränderungsgesetzes 1977 hatten die Steuermehreinnahmen — Sie erinnern sich: nach der Mai-Schätzung im Vergleich zu der Schätzung vom Dezember ein Mehr von 4,4 Milliarden DM — zu erheblichen Änderungen am Gesetzentwurf geführt. Ich verweise auch hier auf die Ausführungen meiner Kollegen Schäuble und Kühbacher in der Drucksache 8/555. Dieses Gesetz regelte allerdings nur eine Umschichtung nach Steuerarten, sah aber keinen Abbau der Überbesteuerung insgesamt vor. So mußte das Thema der Steuersenkung zwangsläufig auf der Tagesordnung bleiben.Als im Laufe des Sommers dann das verlangsamte Wirtschaftswachstum immer offenkundiger wurde, verband sich das Steuerthema mit der konjunkturpolitischen Diskussion. Diese Diskussion ist im Ausschuß anhand des Antrages der Unionsfraktion zur Anwendung des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums in der Wirtschaft sowie eines Gesetzentwurfs der Fraktionen der SPD und der FDP zur Steuerentlastung und Investitionsförderung geführt worden.Aus dem im Juni eingebrachten Unionsgesetzentwurf zum Abbau der Überbesteuerung der Arbeitnehmer und Betriebe — einem ersten Entwurf — blieb nach ansonsten erledigten Punkten neben einer Vorschrift, die sich mit den Wasserkraftwerken befaßte, der Weihnachtsfreibetrag auf der Tagesordnung. Die Ausschußminderheit wies darauf hin, daß sie damit frühzeitig, nämlich schon im Juni, die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages vorgeschlagen hatte.Noch nicht abschließend beraten wurden die Anträge der CDU/CSU-Fraktion zum Ausgleich von Steuerausfällen bei den Gemeinden und zur Beteiligung der Gemeinden an der Einkommensteuer.Ebenfalls kein Beschluß wurde zur weiteren Behandlung des Tarifberichts nach § 56 des Einkommensteuergesetzes gefaßt. Allerdings hat die Neugestaltung des Tarifs in unseren Beratungen eine zentrale Rolle gespielt, und zwar nicht nur in den Ausschußberatungen, vor allen Dingen auch in den am 28. September dieses Jahres veranstalteten Hearings. Über die Notwendigkeit der Tarifänderung, insbesondere über die Notwendigkeit der Glättung der Sprünge bei Eintritt in die Proportionalzone und vor allen Dingen beim Eintritt in die Progressionszone bestand zwischen Ausschußmehrheit, -minderheit und allen im Hearing gehörten Vertretern volle Übereinstimmung.Über den Zeitpunkt der Einführung gingen die Meinungen allerdings auseinander. Einige Mitglieder des Ausschusses, vor allen Dingen aber auch Verbandsvertreter, hielten es für technisch durchaus möglich, zum 1. Januar 1978 den Tarif zu ändern, und sie wiesen darauf hin, daß es auch in wenigen Wochen möglich war, neue Tabellen, wie sie eine Erhöhung des Grundfreibetrags erforderlich macht, vorzulegen und uns ausgedruckt zu überreichen.Trotz dieser Meinungsunterschiede im einzelnen ist das Jahr 1980 als der steuersystematisch richtige Zeitpunkt der Einführung des Tarifs im Hearing von keinem Verbandsvertreter genannt worden. Die Ausschußminderheit hatte bereits mit ihrem Antrag auf Drucksache 8/876 die Forderung nach Tarifreform im Anschluß an den Konjunkturabschlag erhoben und dem Ausschuß breit erläutert.Aus der Vielzahl der diskutierten möglichen Entlastungsmaßnahmen bildeten bei unseren Beratungen Grundfreibetrag einerseits und Konjunkturabschlag andererseits quasi die beiden Endpunkte des Spektrums. An ihnen entzündete sich Kontroverse, Alternative wurde deutlich.Die Ausschußmehrheit, die den Grundfreibetrag befürwortete, wies auf seine gleichmäßige Entlastungswirkung hin. Sie äußerte die Hoffnung, daß die Entlastung in diesem Bereich zur Konsumanregung führe, da die von dieser Maßnahme Begünstigten noch einen besonderen Konsumbedarf hätten. Im übrigen werde auch ein neuer Tarif nicht verbaut; es sei eine notwendige Komplementärmaßnahme hierzu. Diese Meinung wurde im Hearing vom Vertreter des DGB unterstützt.Die überwiegende Mehrheit der Verbandsvertreter lehnte jedoch die Erhöhung des Grundfreibetrages strikt ab. Die zuvor schon von der Ausschußminderheit vorgetragenen Argumente wurden unterstrichen. Durch Erhöhung des Grundfreibetrags werde keine Entlastung im Progressionsbereich, dem eigentlich drückenden Bereich, in dem die Masse der Bezieher mittlerer Einkommen angesiedelt ist, erreicht.
Außerdem werde eine Finanzmasse verbraucht, die dann zu einer nachhaltigen Tarifkorrektur fehle.
Spiegelbildlich zu ihrer Befürwortung der Erhöhung des Grundfreibetrags wandte die Ausschußmehrheit gegen Iden Konjunkturabschlag ein, es handele sich um eine verteilungspolitisch ungeeignete Maßnahme; sie bezweifelte auch den konjunkturellen Effekt. Der Zwischenschritt, daß die höhere Entlastung höherer Einkommen eine Folge höherer Steuerzahlungen sei, wurde meist nicht gebracht, wenn es um das Argument ging, daß Bezieher höherer Einkommen höher entlastet würden. Es wurde auf die höhere Sparquote dieser Schichten hingewiesen. _Die Kosten eines zehnprozentigen Abschlages
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3558 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Dr. Langnerseien zu hoch. Statt dessen wurde eine Haushaltsausweitung mit einer zweistelligen Steigerungsrate empfohlen; damit könne man besser auf die gegenwärtigen Schwächen der Konjunktur reagieren. Vom Vertreter des DGB ist dieses Argument im Hearing mit dem Hinweis auf strukturelle Gründe der Arbeitslosigkeit gestützt worden.Die Ausschußminderheit hielt dem entgegen, daß in den letzten Jahren öffentliche Konjunkturprogramme mit einem Gesamtvolumen von über 30 Milliarden DM ohne nachhaltige konjunkturelle Belebungswirkung geblieben seien und daß eine erneute Politik der Ausweitung staatlicher Tätigkeit durch zweistellige Steigerungsraten im Bundeshaushalt, verbunden mit dem gleichzeitigen Appell an Länder und Gemeinden, ein Gleiches zu tun, in den nächsten Jahren erhebliche Probleme bei den Zins- und Tilgungslasten bringen würde. Auch bei den Verbandsvertretern, die sich natürlich aus ihrer Interessensicht an den von Haushaltsausweitungen ausgehenden Nachfrageimpulsen durchaus interessiert zeigten, klang im Ausschuß die Sorge an: Was wird in den künftigen Jahren mit der Zins- und Tilgungslast?Die Ausschußminderheit wollte die Kosten einer solchen Haushaltsausweitung statt dessen, die Einnahmeseite vermindernd, zu einer spürbaren Steuersenkung durch Konjunkturabschlag aufwenden. Sie hob die psychologische Signalwirkung einer solchen Maßnahme bei Konsumenten und Investoren hervor, zumal der von ihr jetzt geforderte Konjunkturabschlag in eine Tarifgestaltung einmünden sollte und damit eine langfristige Perspektive steuerlicher Erleichterung eröffnete. Die Union argumentierte hierzu, diese Wende in der Finanzpolitik, die Abkehr von einer ständig steigenden Abgaben- und Steuerlast der Bürger, dieses Weniger an Staat und Mehr an eigener Verfügungsgewalt und eigenem Initiativspielraum seien eine Grundvoraussetzung, damit Vertrauen in der Wirtschaft, bei Verbrauchern und Produzenten, vor allem aber bei Investoren wieder entstehen könne. Dabei verstand sich der Hinweis, daß ein neuer Tarif keine lineare zehnprozentige Entlastung bringen würde, von selbst.Auch im Hearing wurde diese psychologische Komponente betont. Der Vertreter der Deutschen Steuergewerkschaft beispielsweise formulierte — ich darf mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, zitieren —:Eine psychologische Wirkung bei steuerlichen Maßnahmen ist nicht zu leugnen. Deshalb sind in bestimmten Konjunkturzeiten steuerliche Maßnahmen durchaus sinnvoll, wenn sie durch Sachgerechtigkeit zeitlich richtig in eine konzeptionelle Steuerpolitik eingebettet sind.Und er fuhr fort:Die gesetzliche Ermächtigung zum Konjunkturabschlag ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Verpflichtung der Bundesregierung, zeitgerecht zu handeln.
Dem Vorwurf, der Konjunkturabschlag sei nicht verteilungsgerecht, begegnete die Ausschußminderheit mit dem Argument, nach allgemeiner Ansicht sei der Anlaß der jetzigen Steuerveränderungen konjunktureller Natur; vor allem treffe die prozentuale Steuerentlastung mit der Masse dessen, was wir dafür an Kosten aufzuwenden haben, gerade die richtigen Gruppen der Steuerbürger, nämlich die breite Schicht der Bezieher mittlerer Einkommen, die durch die kombinierte Wirkung von Inflation und Progression zu den eigentlichen Opfern der heimlichen Steuererhöhungen der letzten Jahre geworden sind. Wenn daneben mit einem wesentlichen geringeren Anteil an der Entlastungsmasse auch Bezieher hoher Einkommen entlastet würden, sei dies zur Investitionsanregung gerade erwünscht, meinte die Ausschußminderheit. Selbst wenn ein Teil der steuerlichen Entlastungen gespart würde, sei der Einsatz des Rests durch Private effektiver als jedes staatliche Konjunkturprogramm. Die Möglichkeit des Sparens ergebe sich im übrigen bei jedweder Entlastungsmaßnahme. So wurde auch der Hinweis des Vertreters der Hauptgemeinschaft Einzelhandel im Hearing auf die höchste Sparquote im Monat Dezember von keinem Mitglied des Ausschusses zum Anlaß genommen, etwa die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrags zu problematisieren.Der Vertreter des Beamtenbunds wies im Hearing dann noch darauf hin, daß die prozentuale Steuersenkung gerade auch dazu geeignet sei, jenen Einkommensbeziehern, die bei den staatlichen Transferleistungen wegen der Einkommensgrenzen überall herausfielen, eine gerechte Entlastung zu gewähren.Meine Damen und Herren, der Ausschuß hat in kürzester Zeit, auch in Sitzungen bis in die späten Abendstunden, einen umfänglichen Gesetzesstoff und eine Fülle weiterer Anträge und Anregungen beraten. Ihm stand eine kürzere Beratungszeit zur Verfügung als den Entwurfherstellern. Man kann abschließend feststellen, daß der Finanzausschuß der konjunkturellen Eilbedürftigkeit der Vorlagen durch die Art und Schnelligkeit seiner Beratungen durchaus gerecht geworden ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat nunmehr der Herr Abgeordnete Dr. Diederich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich die Ausführungen meines Mitberichterstatters in einigen Punkten ergänze, wie wir uns das abgesprochen hatten.Ich möchte zunächst, wie er, mich der angenehmen Pflicht entledigen, den unermüdlichen Mitarbeitern des Ausschußsekretariats, aber auch den Mitarbeitern des Finanzministeriums zu danken, die wie immer durch ihre Formulierungshilfen und ihre Berechnungen daran mitgeholfen haben, daß diese Gesetzesarbeit in wenigen Wochen nicht nur politisch entschieden werden kann, sondern auch den
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Dr. Diederich
I entsprechenden gesetzestechnischen Ausdruck findet.Der Finanzausschuß war sich einig, daß neue steuerpolitische Maßnahmen notwendig sind, nachdem das wirtschaftliche Wachstum im zweiten Quartal dieses Jahres hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückgeblieben ist. Es geht also darum, schnell konjunkturwirksame Maßnahmen zu ergreifen, wobei auch die verteilungspolitischen Gesichtspunkte beachtet werden müssen.Der Ausschuß war sich auch darin einig, daß eine Reform des Einkommensteuertarifs, insbesondere des Tarifsprungs, zur Entlastung unterer und mittlerer Einkommen alsbald erfolgen soll. Allerdings überwog hier die Meinung, daß diese Tarifkorrektur eine zeitraubende Kleinarbeit erfordert. Insbesondere erschien es wünschenswert, die Feststellungen der Transfer-Enquetekommission abzuwarten
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte Sie, Platz zu nehmen und dem Redner Ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Insoweit bestand die überwiegende Auffassung, daß die Tarifreform unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten derzeit kein geeigneter Ansatz gewesen wäre.Bei den Beratungen war darauf zu achten, daß die zu ergreifenden konjunkturpolitisch bedingten Steuermaßnahmen, die Ihnen jetzt hier vorliegen, eine störungsfreie Überleitung zur Tarifreform offenlassen. Die Mehrheit des Ausschusses sah in der Koalitionsvorlage Drucksache 8/900 und der textgleichen Vorlage der Bundesregierung die geeignete Grundlage für eine steuerpolitische Ergänzung zu dem bereits vor der Sommerpause beschlossenen Steueränderungsgesetz 1977 sowie dem Haushaltsplanentwurf, den wir jetzt diskutieren. Die Kombination der Steigerung staatlicher Ausgaben mit der Senkung von Steuern soll eine konjunkturelle Belebung durch Steigerung der staatlichen und der privaten Inlandsnachfrage und vermehrte Investitionen bewirken. Die Kombination der verschiedenen Maßnahmen soll dafür Sorge tragen, daß es nicht zu einer Obersteuerung kommt.Die Lösung des Problems wird in folgenden Maßnahmen gesehen: Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages für Arbeitnehmer von 100 auf 400 DM bereits in diesem Jahre, Erhöhung des tariflichen Grundfreibetrages ab 1978 um 510 DM für Ledige bzw. 1 020 DM für Verheiratete, rückwirkende Verbesserung der degressiven Abschreibung — genannt AfA — für bewegliche und unbewegliche Wirtschaftsgüter, rückwirkende Wiedereinführung der degressiven Gebäude-AfA für alle Bauherren, Einführung eines Ausbildungsplatzabzugsbetrages. Insbesondere in der Kombination von degressiver AfA, Weihnachtsfreibetrag und Grundfreibetrag sah die Mehrheit einen Beweis sowohl für die konjunkturpolitische Wirksamkeit als auch, gesehen im Zusammenhang mit dem Steueränderungsgesetz 1977, für die soziale Ausgewogenheit der Gesetzesvorlage.Die Minderheit hat demgegenüber die Anwendung des Stabilitäts- und Wachstums-Gesetzes gefordert. Sie argumentiert, daß die Forderung der Mehrheit vor allem nach dem erhöhten Grundfreibetrag einer Nivellierung Vorschub leiste, den Leistungswillen blockiere und eine künftige Tarifreform präjudiziere.Die Mehrheit wendete gegen die Vorschläge der Minderheit ein, daß die Anwendung des Stabilitätsund Wachstums-Gesetzes ein schlechter Einstieg in die von allen befürwortete Tarifreform sei; denn die Korrektur solle doch nach allgemeinem Einverständnis im unteren und mittleren Bereich erfolgen. Durch den proportionalen Konjunkturabschlag würden aber bei Beziehern höherer Einkommen Hoffnungen erweckt, die am Ende nur der erfüllen könne, der bereit sei, durch drastische Beschneidung der Steuereinnahmen die Handlungsfähigkeit des Staates nachhaltig einzuschränken. Hingegen könne die von der Ausschußmehrheit befürwortete Anhebung des Grundfreibetrages problemlos in die künftige Tarifreform übernommen werden.Die Mehrheit sah überhaupt in der Belebung der Nachfrage den wesentlichen Eckpunkt zur Stabilisierung unserer Wirtschaft. Unternehmungen werden nicht durch Erwartungen auf Steuererleichterungen, sondern ausschließlich durch realistische Erwartungen im Bereich der Absatzchancen zu langfristigen Investitionen motiviert. Zudem — so die Meinung der Ausschußmehrheit — werde die Belebung der Nachfrage durch die von allen befürwortete degressive AfA sinnvoll ergänzt, da sie die Investitionsbereitschaft stärke. Diese Maßnahme rundet damit die bereits im Steueränderungsgesetz vorgesehenen steuerlichen Erleichterungen für die Wirtschaft ab.Die Opposition stellte dem gegenüber, daß eine alleinige Stärkung der Nachfrage nicht das Ziel sein könne, vielmehr müsse die Angebotsseite dadurch vergrößert werden, daß die Unternehmen zu weiteren Investitionen angereizt würden. Dies sei durch den Konjunkturabschlag eher zu erreichen.Die Mehrheit hingegen meinte, daß eine Mäßigung von Gewerkschaften und Arbeitnehmern in der nächsten Lohnrunde nicht erwartet werden könne, wenn Arbeitgeber und Gutverdienende ein Vielfaches an Steuernachlaß erhielten.Die Mehrheit meinte auch, in der gefundenen Mischung aus erhöhtem Weihnachtsfreibetrag und Grundfreibetrag die gesuchte Belebung der Nachfrage nach Verbrauchsgütern zu finden; denn sowohl beim Weihnachtsfreibetrag als auch beim Grundfreibetrag sei die Erwartung gerechtfertigt, daß das ersparte Geld kurzfristig nachfragewirksam ausgegeben wird und dadurch den Güterkreislauf belebt. Da bekanntlich die Sparquote mit dem Einkommen wachse, führe die Begünstigung höherer Einkommen zu einem im Gesamtvolumen relativ geringeren Nachfrageschub. Das Geld wird im Bereich der höheren Einkommen eher dem Geldkreislauf zugeführt, also gespart, und tritt damit auf dem Gütermarkt nicht als belebender Faktor, nicht als Nachfrage in Erscheinung. Der Einnahmeverzicht des Staates müßte
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3560 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Dr. Diederich
also zur Erzielung des gleichen Effektes ganz erheblich höher sein.Meine Damen und Herren, der Ausschuß hat sich mit den Kostengesichtspunkten befaßt. Nach Auffassung der Mehrheit ist dieses Paket auch deshalb ausgewogen, weil, während sich die geschätzten Kosten für den Koalitionsvorschlag auf 10,8 Milliarden DM belaufen, der von der Ausschußminderheit angezielte zehnprozentige Konjunkturabschlag allein mehr als 14 Milliarden DM Ausfall bedeuten würde. Die von der Minderheit ebenfalls befürwortete Anhebung des Weihnachsfreibetrages und der degressiven AfA würde zusammen noch einmal 3,6 Milliarden DM beanspruchen, so daß sich die Gesamtkosten des von der Minderheit angestrebten Pakets auf über 17,5 Milliarden DM steigern müßten. Dies wäre nur unter gleichzeitiger drastischer Beschränkung der für 1978 ins Auge gefaßten Haushaltserweiterungen möglich oder müßte eine über das bereits gesteigerte Maß hinausgehende Nettokreditaufnahme nach sich ziehen.Die Mehrheit des Ausschusses hat sich aus den dargelegten Gründen für die Annahme des vorliegenden Koalitionsentwurfs, Drucksache 8/900, entschieden. Der Antrag der Opposition, die Bundesregierung aufzufordern, einen zehnprozentigen Abschlag auf Einkommen- und und Körperschaftsteuer durch Rechtsverordnung einzuführen, fand keine Mehrheit im Ausschuß. Auch wurde mehrheitlich abgelehnt, das Steuerpaket aufzuschnüren und unstreitige Teile in einem besonderen Gesetz zu regeln. Die Kombination verschiedener Maßnahmen wird von der Mehrheit als sinnvoll zur Entfaltung der angezielten konjunkturpolitischen Wirkung angesehen; auch kann so nach Meinung der Ausschußmehrheit das Gesetz rechtzeitig verabschiedet werden, um eine Absetzung des erhöhten Weihnachtsfreibetrages noch in diesem Jahre zu ermöglichen.Der Ausschuß hatte im Zusammenhang mit dem Hauptanliegen des Gesetzgebungsverfahrens eine größere Zahl von Detailmaßnahmen zu beraten, deren Behandlung im schriftlichen Bericht aufgezeigt ist. Ich möchte an dieser Stelle nur einen Komplex herausgreifen: Der Ausschuß mußte darauf achten, daß im Zusammenhang mit der degressiven AfA die Förderungsvorteile, wie sie im Berlin-Förderungsgesetz oder beim Zonenrandförderungsgesetz vorgesehen sind, in angemessener Form erhalten bleiben, wenn diese Gesetze im Sinne der Präferenzgewährung wirksam bleiben sollen.Der Ausschuß hat sich jedoch nicht in der Lage gesehen, zum jetzigen Zeitpunkt die entsprechenden Korrekturen anzubringen, und daher die Bundesregierung gebeten, im Zusammenhang mit dem alsbald zur Beratung anstehenden Regierungsentwurf des Investitionszulagengesetzes gegebenenfalls Vorschläge zu unterbreiten, die eine ausreichende Förderung auch künftig sicherstellen.Die Minderheit hatte einen Formulierungsvorschlag zur Änderung des Zonenrandförderungsgesetzes vorgelegt, den die Ausschußmehrheit aller- dings nicht ohne nähere Prüfung verabschieden wollte. Ebenso konnte die Mehrheit einem Entschließungsantrag der Minderheit nicht folgen, der die Regierung auffordern sollte, den Präferenzvorsprung insbesondere bei der degressiven AfA anläßlich der Novellierung des Investitionszulagengesetzes wiederherzustellen, weil auch hier ohne nähere Prüfung der Inhalt der notwendigen Gesetzesänderung nicht vorzeitig festgeschrieben werden sollte. Die Mehrheit war der Auffassung, daß der weitergefaßte Auftrag an die Bundesregierung die Meinung der Minderheit mit einschlösse.Namens des Ausschusses darf ich als Berichterstatter bitten, entsprechend den vorliegenden vier Beschlußempfehlungen zu beschließen.
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Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kreile.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen, sehr verehrte Herren! Von dem heute dem Hohen Hause zur Abstimmung vorliegenden Gesetz zur Steuerentlastung und Investitionsförderung erwarten die Bundesregierung und die Fraktionen der SPD und der FDP, wie sich aus ihren Ankündigungen ergibt, neue Impulse zur Förderung des Wirtschaftswachstums und zur Verminderung der Arbeitslosigkeit. Wer von diesem sogenannten Steuerpaket, von diesem doch etwas großsprecherisch als „Bündel von Maßnahmen" angekündigten Steuerpaketchen, solches erhofft, täuscht sich selbst und damit leider auch alle Betroffenen: den deutschen Bürger, den deutschen Arbeiter, den deutschen Arbeitnehmer und die deutsche Wirtschaft. Hier handelt es sich nämlich nicht um ein großzügiges, die danieder liegende Konjunktur in Gang setzendes Steuerentlastungsgesetz, sondern um ein kleinliches, auf die Empfindlichkeiten und Verbohrtheiten der Verteilungspolitiker Rücksicht nehmendes Gesetz zur Reparatur des dennoch verbleibenden Erbübels der Steuerpolitik dieser Koalition: der nach wie vor verbleibenden heimlichen Steuererhöhungen.Daß diese heimlichen Steuererhöhungen, dieser ständig stärker werdende Griff der Steuerprogression und das Anwachsen von Scheingewinnen, die nichts anderes als Verluste sind, den Bürger immer schwerer und immer unzumutbarer belasten, hätte diese Bundesregierung bereits bei ihrer Regierungserklärung im Dezember 1976 nicht nur sehen können, sondern auch müssen. Sie hätte erkennen müssen, daß es nicht dabei bleiben kann, nur einen Tarifbericht vorzulegen. Sie hätte mit allem Nachdruck die notwendigen Konsequenzen ziehen müssen und zum 1. Januar 1978 einen neuen Einkommen- und Lohnsteuertarif als Gesetz vorschlagen müssen, mit dem und durch das die heimlichen Steuererhöhungen nachhaltig abgebaut werden.Statt dessen hat die Bundesregierung sich in der Regierungserklärung damit begnügt, klarzustellen, daß sie — mit Ausnahme dessen, was im Steueränderungsgesetz 1977 mit der einen Hand durch Steuererhöhungen genommen und mit der anderen Hand als Steuerentlastungen wieder gegeben wur-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3561
Dr. Kreilede — keine Möglichkeiten sähe, Vorschläge für eine weitere Steuersenkung zu realisieren. Man muß noch einmal nachlesen und man darf zitieren, Herr Präsident, was in der Regierungserklärung seinerzeit gesagt worden ist. Es hieß:Die Regierung wird solche Forderungen mit den ihr gegebenen Möglichkeiten abwehren. Dies bedeutet auch: Steuererleichterungen z. B. auf dem Gebiete der Abschreibungen, die heutigen Investoren einen Aufschub ihrer für 1977 geplanten Investitionen auf einen späteren Zeitpunkt lohnend erscheinen lassen könnten, sind nicht beabsichtigt.So weit das Zitat aus der Regierungserklärung.Trotzdem stehen wir heute, kaum ein Vierteljahr nach der Verabschiedung des Steueränderungsgesetzes 1977, erneut in der dritten Lesung eines Steuerentlastungspakets. Wie kommt es dazu, daß die noch kein Jahr alte Klarstellung der Bundesregierung nicht mehr gilt? Der Herr Bundesfinanzminister hat gestern als Begründung angegeben, es habe sich die Notwendigkeit einer erneuten Feineinstellung, einer konjunkturellen Nachsteuerung ergeben. Mit einer solchen Begründung werden aber die eigentlichen Ursachen für die Notwendigkeit eines Steuerentlastungsprogramms verwischt.Die Ursachen liegen nämlich sehr viel tiefer. Die erste Ursache liegt darin, daß die Bundesregierung die Wirkung ihrer verschiedenen Konjunkturprogramme überschätzt hat. Man hat in den letzten drei Jahren über 30 Milliarden DM ausgegeben, ohne damit den Aufschwung, der uns seit den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen als unmittelbar bevorstehend angepriesen worden ist, tatsächlich erzielen zu können. Das Scheitern dieser Konjunkturprogramme bestätigt die hier von uns immer wieder vorgetragene Auffassung: der Schlüssel für einen dauerhaften Aufschwung liegt nicht in der Ausgabensteigerung beim Staat, er liegt vornehmlich in der Förderung der Investitionen im privaten Bereich.
Die zweite Ursache liegt darin, daß die Bundesregierung den Unwillen der Bevölkerung über die heimlichen Steuererhöhungen unterschätzt hat. Noch im April 1977, als die Diskussion um das sogenannte Steuerpaket 1977 in vollem Gange war, hat die Bundesregierung ausgeführt, die Lohnsteuerbelastung der Arbeitnehmer sei insgesamt keineswegs als unvertretbar hoch anzusehen.
Man glaubt es gar nicht. Sie hat weiter ausgeführt, die fehlende steuerliche Anpassung an die Entwicklung des Geldwertes habe die Steuerbürger keinesfalls immer einschneidender getroffen; es bestehe keine Veranlassung, so sagte die Bundesregierung im April, also vor einem halben Jahr, den Tarif und die Steuerfreibeträge so kurze Zeit nach der erfolgten Entlastung im Rahmen der Steuer- und Kindergeldreform 1975 erneut anzupassen.
Man kann nur sagen, die Probleme, die sich aus dem Zusammenwirken der Inflation und Progression ergeben, sind bereits damals verkannt worden. Daß sie auch heute noch nicht richtig erkannt werden, zeigt der von der SPD und FDP gemachte Vorschlag einer isolierten Erhöhung des Grundfreibetrags ohne gleichzeitige Tarifreform.Die dritte Ursache aber ist, daß es die Bundesregierung nicht vermocht hat, das für einen Konjunkturaufschwung unentbehrliche Vertrauen in eine längerfristige, stetige, marktwirtschaftliche, freiheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik zu wekken. Die Bundesregierung hat keine Klimaänderung bei den Investoren und Verbrauchern bewirken können. Dieses Konjunkturgesetz wird das gleiche Schicksal erleiden wie die vergangenen; es wird deswegen nichts Wesentliches passieren.
Warum dies so ist, wurde in diesem Parlament einmal ganz präzise gesagt. Ich zitiere:Zum Wirtschaften gehört nun einmal fundamental das Vertrauen der Wirtschaft in die Entwicklung und die Stabilität ihrer Kostendisposition. Nach diesem permanenten Herumoperieren ... hat nun allerdings die Wirtschaft allmählich die Sorge, daß die Grundlage vernünftigen Wirtschaftens und damit die Grundlage langfristiger Disposition ... erschüttert werden könnte. Von daher kommt ein Teil des Attentismus, den wir doch heute spüren. Es ist doch nicht mehr die Zinshöhe, es sind doch nicht mehr die Kreditrestriktionen, es sind doch nicht mehr mangelnde Abschreibungsmöglichkeiten, ... die eine Gesundung der Wirtschaft verhindern, sondern es ist in der Tat eine Vertrauenskrise, die mitschwingt.
Wer dies der Regierung gesagt hat, war Frau Abgeordnete Funcke am 10. Mai 1967 in ihrer Rede zum Stabilitätsgesetz. — Goldene Worte von der .Oppositionsbank aus, leider aber in der Regierungsverantwortung hier und heute nicht befolgt.
In der gestrigen Haushaltsdebatte wurde sehr deutlich gemacht, wo der Grund für diese Vertrauenskrise zu suchen ist: Es ist der kontinuierliche offene und verdeckte Abbau der Sozialen Marktwirtschaft.
Dieser zunehmende Abbau der Sozialen Marktwirtschaft ist auch im Bereich der Steuerpolitik deutlich zu sehen, und zwar sogar in der Art und Weise, wie notwendige Steuergesetze zustande kommen, wie die in dieser Konjunkturlage dringenden Steuersenkungsmaßnahmen von der SPD und der FDP — teilweise nur mit halbem Herzen, teilweise so-
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3562 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Dr. Kreilegar nur widerwillig — mitgetragen und mitverantwortet werden.
Das fing damit an, daß sie sich weigerten, unseren Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes 1978, des Ersten Gesetzes zum Abbau der Überbesteuerung der Arbeitnehmer und der Betriebe, noch in die Beratungen einzubeziehen, die schließlich zum Steueränderungsgesetz 1977 geführt haben. Das ging weiter damit, daß der Bundesfinanzminister dann eine Steuerentlastung erst für 1980 in Aussicht stellte,
daß der stellvertretende SPD-Vorsitzende Koschnick im Spätsommer dieses Jahres eine Diskussion über. Steuerentlastungen noch für geradezu makaber hielt. Makaber ist diese Meinung des Herrn Koschnick, nicht die Diskussion. Es ging dann weiter damit, daß der Bundesfinanzminister am 4. August 1977 die Auffassung vertrat, eine massive Reduzierung der Steuerlast müsse zu einer massiven Reduzierung der Lebenschancen und der Lebenssicherheit der Bürger führen,
und daß in der SPD eine lange Diskussion darüber geführt werden mußte, ob Steuersenkungen überhaupt sinnvoll seien oder ob man nicht allein einer verstärkten Haushaltsausweitung den Vorzug geben müsse.Schließlich haben Sie sich dann zu dem durchgerungen, was Sie ein „Bündel von Maßnahmen" nennen, bei dem auf steuerlichem Gebiet überall ein bißchen gekleckert, aber nirgends ein wuchtiger Schritt getan wird. Zu wuchtigen Schritten sind Sie immer nur auf dem Gebiet der Ausweitung des Staatskorridors fähig, d. h.: mehr Staatsausgaben, aber nie in wirklich vernünftiger Form Abbau der steuerlichen Leistungen die vom Bürger verlangt werden.
Einige Schritte in dem Maßnahmenpaket, das hier vorgelegt worden ist — dies muß man zugeben, das gabe ich gerne zu —, sind durchaus Schritte in die richtige Richtung. Dies gilt insbesondere für die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages. Eine solche Erhöhung haben wir jedoch bereits im Sommer dieses Jahres gefordert. Sie haben diese abgelehnt. Die jetzt vorgesehene Erhöhung von 100 DM auf 400 DM haben wir im Finanzausschuß mitbeantragt und mitgetragen.Für die Erhöhung der Obergrenze bei den degressiven Abschreibungen für bewegliche Wirtschaftsgüter gilt ebenfalls die Auffassung, daß dies ein Schritt in die richtige Richtung ist. Es ist die Wiederherstellung eines bis in den 60er Jahren geltenden Rechtszustandes. Ebenso begrüßen wir die Wiedereinführung der Gebäudeabschreibung in Staffelsätzen für alle Bauherren. Schließlich begrüßen wir auch die Maßnahmen bei der Investitionszulage und der Forschungsförderung.Gerade aber bei den letzten, die Wirtschaft sehr interessierenden Maßnahmen mußten doch innerhalb der SPD-Fraktion starke Widerstände überwunden werden. Dort hält man nämlich, wie gelegentlich auch anderswo, die Erhöhung der degressiven Abschreibung fälschlicherweise für ein Steuergeschenk an Unternehmer.
Mit einem Geschenk haben diese Abschreibungen jedoch nichts zu tun.
Jede vorgezogene Abschreibung erhöht den Gewinn der folgenden Jahre. Die Steuern hierauf werden in jedem Fall bezahlt. — Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihren Zwischenruf, daß dies nur eine Steuerstundung ist. Aber ich meine: Nicht mir müssen Sie dies sagen, sondern Ihren Kollegen in der Fraktion und außerhalb der Fraktion müssen Sie dies sagen,
damit endlich das dumme Gerede von dem Geschenk an die Unternehmen abgebaut wird.
Die Motive dafür, warum Sie der Erhöhung der degressiven AfA letztlich doch zugestimmt haben — diese hätten Sie ja auch schon früher vornehmen können; der Herr Bundeswirtschaftsminister hat es ja bereits für das Frühjahr angekündigt und hätte es gern schon zu dem Zeitpunkt gehabt —, will ich nicht weiter erforschen. Ebensowenig will ich der Vermutung nachgeben, ob die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages für Sie nicht den Grund darin hat, daß sehr vielen Arbeitnehmern bei der Auszahlung des Weihnachtsgeldes erst richtig bewußt wird, wie eigentlich die Steuerprogression wirkt und wie weit die Steuerschraube schon tatsächlich angezogen worden ist. Ich will nicht hoffen, daß Ihre plötzliche Bereitschaft, den Weihnachtsfreibetrag zu erhöhen, auf Ihrer Hoffnung beruht, Sie könnten dadurch die Progressionswirkung etwa vergessen machen oder etwas kaschieren.
Leider aber glaubten Sie, diese umstrittigen Maßnahmen mit einem gleichmacherischen, egalitären Drall versehen zu müssen, indem Sie sich nämlich weigern, die heimlichen Steuererhöhungen dort abzubauen, wo sie entstehen, nämlich im Progressionsbereich der Einkommensteuer und der Lohnsteuer.
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Dr. KreileVon den heimlichen Steuererhöhungen — das sollte zwar allgemein bekannt sein; ich will es aber trotzdem noch einmal ins Gedächtnis rufen — werden nicht diejenigen am stärksten betroffen, die sich am unteren oder am oberen Ende der Einkommensskala befinden, sondern davon werden die breiten Mittelschichten unseres Volkes betroffen:
die Facharbeiter, die Einzelhändler, die Handwerker und viele Angehörige der freien Berufe, Beamte, kurzum all jene, die als Ledige über ein Einkommen zwischen 16 000 DM und 40 000 DM und als Verheiratete über ein Einkommen zwischen 32 000 DM und 80 000 DM jährlich verfügen. Dort wirkt die Steuerprogression wirklich einschneidend, und das ist der Bereich, in dem etwas getan werden muß. Diese heimlichen Steuererhöhungen sind doch mit eine der Ursachen des Marsches in den Lohnsteuerstaat, den der Bundesfinanzminister zwar öffentlich beklagt, den er jedoch mit diesem Gesetz nicht stoppt, den er kaum verlangsamt.
Der Marsch in den Abgabenstaat, in den Steuerstaat, wird einem deutlich vor Augen geführt, wenn man einmal in das Bundesgesetzblatt der letzten Jahre blickt. Eine wahre Flut von Steuergesetzen ergießt sich über den Bürger. 1974 waren es allein 21 Steuergesetze, 1975 mußten 13 Steuergesetze beschlossen werden, und 1976 waren es dann wieder 19 Steuergesetze. Allein das Einkommensteuergesetz von 1974, das als großes Reformwerk angepriesen wurde, ist sei 1974 vierzehnmal geändert worden. Heute beraten wir die 15. Änderung eines Gesetzes aus dem Jahre 1974, eines großen Reformgesetzes,
das sozusagen ein Jahrhundertwerk werden sollte.Dazu kommt, daß der Marsch in den Lohnsteuerstaat von Lohnsteuerrichtlinien begleitet wird wie die Schafe von den Hunden des Schäfers. Ich möchte dem Herrn Bundesfinanzminister der diesen Marsch in den Lohnsteuerstaat beklagt, einmal einige Beispiele für die administrativen Verschärfungen gerade im Lohnsteuerbereich nennen, Verschärfungen, die zur Belastung des Arbeitnehmers führen.Es fehlt beispielsweise an 'der mangelnden Anpassung der Pauschsätze für einen Verpflegungsmehraufwand. Es wird alles auf den Einzelnachweis abgestellt. Das bedeutet eine vermehrte Arbeitsbelastung für die Finanzverwaltung und natürlich auch eine erhöhte Belastung für den einzelnen Staatsbürger. Die Sachzuwendungen an die Arbeitnehmer sind seit jeher ein beliebtes Thema für die Lohnsteuerprüfungen. Jetzt geht es nicht nur darum, sondern jetzt sollen diese sozialen Leistungen, die den Arbeitnehmern gegeben werden, auch noch der Umsatzsteuer unterworfen werden. Eine ganz besonders groteskte Verschärfung liegt im Bereich der verbilligten Wohnungsüberlassungen. Wenn ein Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer eine Wohnung überläßt, dann ist der Betrag für die Miete bis zu 40 DM lohnsteuerfrei.
Was steht nun in den Lohnsteuerrichtlinien? Durch sie sind die Lohnsteuerprüfer veranlaßt, mit spitzestem Bleistift auszurechnen, ob die Marktmiete für solch eine überlassene Wohnung nicht etwas mehr als 40 DM beträgt. Das bedeutet, daß diese Marktmiete für die Arbeitnehmer überall angehoben wird, und das hat dann nicht nur Auswirkungen im Bereich der Einkommensteuer; in Essen beispielsweise, wo die Firma Krupp große Wohnungsgebiete für ihre Arbeitnehmer hat, wird damit das Mietniveau ganz allgemein, also für alle angehoben. Das, Herr Bundesfinanzminister, sind Ergebnisse einer administrativen Steuerpolitik, die einmal einer sozialen Überprüfung bedürften.
— Nein, wir wollen eine vernünftige Steuerpraxis, nicht eine unvernünftige und deswegen unsoziale Steuerpraxis haben.
— Herr Offergeld, es ist mir natürlich bekannt, daß die Administration den Ländern zusteht. Aber ich darf Ihnen doch einmal erläutern — was Sie natürlich genau wissen, in Ihrer Frage aber nicht zum Ausdruck bringen —, daß die Referenten des Bundesfinanzministeriums unter Aufsicht und Anweisung der politischen Spitze die Lohnsteuergespräche führen und daß dort nur das geschieht, was von Ihnen, Herr Staatssekretär Offergeld, an Verschärfungen auch abgezeichnet wird.
- Sie hören das nicht gern, aber in der Tat ist es so!Vor diesem Hintergrund der heimlichen Steuererhöhungen mutet nun die isolierte Erhöhung des Grundfreibetrages um 510 DM in einem solchen Maße unzureichend und grotesk an, daß Sie hierbei auf unsere Mitwirkung nicht rechnen können.
— Ja, mal sehen, ob Sie das so gern haben!Die Grundfreibetragserhöhung verkürzt nämlich lediglich die untere Proportionalzone, sie mindert aber nicht den Progressionseffekt der Steuertarife. Die nivellierenden und leistungshemmenden Wirkungen des Einkommen- und Lohnsteuertarifs werden nicht abgebaut, sondern damit unverändert fortgeschrieben. Die Selbständigen, die von der Erhö-
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Dr. Kreilehung des Weihnachtsfreibetrages ohnehin nicht profitieren und die zu einem großen Teil auch nicht von der Erhöhung der degressiven AfA betroffen werden, werden hierdurch klar benachteiligt.
Sie versuchen nun, die isolierte Erhöhung des Grundfreibetrages mit dem Argument zu rechtfertigen, diese Maßnahme entlaste im unteren Einkommensbereich, wo jede Mark Steuerersparnis in den Konsum fließe, relativ stärker als bei besser Verdienenden. Das ist doch, obwohl es der Herr stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD Ehmke gestern nochmals mit Verve vorgetragen hat, ein fadenscheiniges Argument! Denn bei dem sogenannten Konjunkturfreibetrag oder Tarifausgleichsbetrag oder Tarifüberlastungsbetrag, wie ihn beispielsweise der Bundesrat vorgeschlagen hat, erhalten diese unteren Einkommensschichten keine Mark weniger als nach Ihrem Vorschlag. Der Konjunkturfreibetrag würde aber gleichzeitig dazu beitragen, daß der überproportionale Zugriff auf jede zusätzlich verdiente Mark etwas gemildert wird. Ihr scheidender Bundeswirtschaftsminister Friderichs hat dies in der Debatte, die vor dieser Debatte geführt worden ist, sehr klar erkannt, und auch Herr Genscher hat dies in seinen Sonntagsreden immer klar erkannt.Es geht doch darum: Heute steht doch nicht der Proportionalsteuersatz von 22 % im Kreuzfeuer der Kritik, sondern der Tarifsprung von 22 % auf 30,8 % mit der sich anschließenden steilen Steuerprogression. Dieser groteske Sprung des Grenzsteuersatzes ist schlechthin unerträglich, und er bleibt es auch bei der Erhöhung des Grundfreibetrages, denn er beginnt dann lediglich 510 DM später seine schädliche Wirkung zu entfalten.Die isolierte Erhöhung des Grundfreibetrages erschwert die zunehmend notwendig erscheinende Tarifumstellung, denn ein Teil der Finanzmasse, die für die Tarifreform notwendig ist, wird hier von vornherein aufgebraucht. Jeder durchgehend progressive Tarif, der nach dieser isolierten Erhöhung des Grundfreibetrages noch möglich ist, ist nur um den Preis wesentlich höherer Steuermindereinnahmen zu haben. Auch dies bestärkt mich und meine Freunde in der Befürchtung, daß es SPD und FDP um eine Tarifreform, um einen durchgehenden progressiven Tarif gar nicht geht, daß Sie ihn zumindest jetzt gar nicht wollen.Denn in dieselbe Richtung zielte auch ein Argument, das der DGB in der Anhörung am vergangenen Mittwoch vorgebracht hat. Man müsse, so hat der Sprecher des DGB gesagt, vor einer Tarifänderung erst einen Überblick über die sogenannten Transfereinkommen gewinnen und dazu die Ergebnisse der eben erst eingesetzten Tarif-Enquete-Kommission abwarten.
Herr Abgeordneter Böhme hat dies dann sofort — wenn auch verdeckt um fast wissenschaftlich aufgeputzt — im Pressedienst seiner Partei wiederholt.Dies alles bedeutet doch im Klartext, daß die Tarifreform auf den Sanktnimmerleinstag verschoben werden soll,
und dies, obwohl gesetzlich vorgeschrieben ist, daß zum 1. Januar 1978 — nicht 1979 oder 1980 oder 1985 — ein durchgehender progressiver Tarif in Kraft treten muß. So geht die Koalition, so geht die Bundesregierung mit Gesetzen um, die sie selber beschlossen hat.
Meine Damen und Herren, wir sind nach wie vor der Auffassung — und haben das in den Ausschußberatungen immer wieder vorgetragen —, daß die optimale Lösung der derzeitigen Schwierigkeiten im Bereich der heimlichen Steuererhöhungen in einer Reform des Tarifs schon zum 1. Januar 1978 gesehen werden muß. Eine solche Tarifreform wäre — wie der Vertreter des Bundesfinanzministeriums im Finanzausschuß des Bundesrates auch zugegeben hat, entgegen der Auffassung, die von den Koalitionsfraktionen im Finanzausschuß des Bundestages geäußert worden ist — technisch innerhalb kürzester Frist möglich. Sie wäre jetzt noch ohne weiteres durchführbar. Es mangelt nicht an der Zeit. Es mangelt nur am politischen Willen der SPD und der FDP.
Weil dies so ist und weil deshalb eine Tarifreform wohl kaum vor dem 1. Januar 1979 — wenn überhaupt — gegen Ihre Widerstände, meine Damen und Herren von der SPD und der FDP, durchgesetzt werden kann, ist von uns als Sofortmaßnahme, als Überbrückungsmaßnahme ein zehnprozentiger Konjunkturabschlag vorgeschlagen worden, so, wie er im Stabilitätsgesetz bzw. in den Ermächtigungsvorschriften zum Einkommensteuergesetz vorgesehen ist. Dieser zehnprozentige Konjunkturabschlag könnte, wenn es der Bundesregierung und der sie tragenden Mehrheit in diesem Hause wirklich ernst mit den Konjunkturmaßnahmen und dem Abbau der heimlichen Steuererhöhungen wäre, bereits seit Wochen in Kraft sein.Der Bundesfinanzminister, Herr Dr. Apel, hat es sich in seiner zweiten Einlassung gestern nachmittag zu leicht gemacht, als er behauptete, diese Forderung der CDU/ CSUFraktion nach einem zehnprozentigen Tarifabschlag von der Einkommen- und der Körperschaftsteuer stünde im Gegensatz zu der Auffassung des Bundesrates, auch von dessen CDU/CSU-Mitgliedern. Hat der Bundesfinanzminister denn die bohrende Frage des Finanzministers von Rheinland-Pfalz in der Sitzung am 30. September 1977 überhört, wo Herr Gaddum ihn gefragt hat, wie schlecht die Lage denn eigentlich sein müsse, damit dieser vom Stabilitätsgesetz vorgezeigte Weg von Ihnen begangen werde? Hat der Bundesfinanzminister denn vergessen, daß ihm in dieser Bundesratssitzung vorgeworfen wurde, die Bundesregierung „habe hier ihre Chance vertan und habe deswegen die Verantwortung für alles, was aus diesem Nichttätigwerden komme, zu tragen"?
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Dr. KreileSie versuchen nun, den Konjunkturabschlag dadurch zu diffamieren, daß sie seine Entlastungswirkung in einzelnen Extremfällen vergleichen und dabei ganz naiv an latent vorhandene Neidkomplexe appellieren.
Sie übersehen aber dabei, daß der Konjunkturabschlag nur das Gegenstück zum Konjunkturzuschlag, zum Stabilitätszuschlag ist. Sie haben nichts dabei gefunden, den Stabilitätszuschlag anzuwenden. Sie haben es für selbstverständlich und erwünscht hingenommen, daß Besserverdienende prozentual gleich, im Ergebnis aber natürlich mit höheren Beträgen, belastet wurden. Wir fanden das in der seinerzeitigen Konjunkturphase auch durchaus richtig. Aber warum ist es denn bei einem Konjunkturabschlag nicht genauso richtig? Wenn nunmehr von Ihnen argumentiert wird, ein prozentual gleicher Abschlag sei unsozial, dann wird damit von Ihnen gleichzeitig das Stabilitäts- und Wachstums-Gesetz für unsozial erklärt.
Erinnern Sie sich noch, was der der SPD angehörende Bundeswirtschaftsminister Schiller am 10. Mai 1967 bei der Einbringung dieses Gesetzes gesagt hat? Er hat erklärt, daß dieses Gesetz dem sozialen und ökonomischen Gleichgewicht diene — ich wiederhole: dem sozialen Gleichgewicht, und zwar mit allen Maßnahmen, die in diesem Gesetz vorgesehen sind —, daß es ein Gesetz des wirtschaftlichen und technischen Fortschritts sei, daß es der Interdependenz privater und öffentlicher Wirtschaft diene, daß es dem Übergang von einer konventionellen Marktwirtschaft zu einer aufgeklärten Marktwirtschaft — über die Herr Bundesfinanzminister Apel gestern so beredte Worte gefunden hat — diene. Jetzt auf einmal soll das alles nicht mehr wahr sein?Der Sprecher der Bundesregierung hat im Sommer dieses Jahres empfohlen, dieses Stabilitätsgesetz zu lesen. Jetzt, wo es gelesen worden ist und wo es darauf ankommt, daß es angewendet wird, entdeckt man auf einmal auf Ihrer Seite, dieses Stabilitätsgesetz sei unsozial.In diesem Zusammenhang muß ich noch ein Wort zu Ihrem weiteren Argument sagen, eine allgemeine prozentuale Steuersenkung, wie sie mit dem Konjunkturabschlag vorgeschlagen sei, sei eine Gießkannenförderung. Ich bin dagegen — wir wohl allle —, immer und stets mit der Gießkanne zu fördern. Es gibt aber Situationen, in denen nur solche Maßnahmen zum Erfolg führen. Sie können eine ausgedörrte Wiese — und so stellt sich doch derzeit die deutsche Industrie dar — nicht dadurch wieder zu einem grünen Rasen machen, daß Sie einzelnen Pflanzen sozusagen mit der Pipette etwas Wasser zuteilen. Hier muß schon allgemein gefördert werden, hier muß ein warmer, ein das Wachsten fördernder Regen kommen. Das ist richtige Konjunktur- und Steuerpolitik, nicht aber Ihr Kiekkern.
Wenn Sie schon diesen unseren Vorschlag, der zu einer raschen Entlastung geführt hätte, aus gleichmacherischen Gründen ablehnen und wenn schon die Art der tariflichen Entlastung weitere Gespräche, möglicherweise — oder sogar sicher — ein Vermittlungsverfahren notwendig macht — Sie riskieren das jedenfalls —, so hätte es doch nahegelegen, wenigstens die unstrittigen Teile Ihres Steuerpakets, nämlich den Weihnachtsfreibetrag, die Erhöhung der degressiven Abschreibungen, die Wiedereinführung der degressiven Gebäudeabschreibung auszuklammern und vorab zu verabschieden. Aber dazu waren — und wie ich vorhin der Stellungnahme Ihres Berichterstatters entnommen habe — und sind Sie offenbar auch heute bei der Abstimmung nicht bereit. Sie glauben wohl, Sie könnten mit dieser Taktik den Bürgern im Lande weismachen, wir, die CDU/CSU, hätten gegen den erhöhten Weihnachtsfreibetrag gestimmt. Allerdings werden wir gegen dieses von der SPD und der FDP vorgelegte unorganische und unordentliche Steuergesetz stimmen.
Aber die Bürger wissen, daß wir bereits seit dem Sommer die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrags fordern, und sie wissen, daß es die CDU/CSU ist, die sich konsequent für den Abbau der steuerlichen Überbelastungen ausgesprochen hat und diese auch durchsetzen wird.Die CDU/CSU-Fraktion fordert die SPD- und die FDP-Fraktion sowie die Bundesregierung auf, dem Abbau der steuerlichen Überbelastung nicht mehr im Wege zu stehen. Die Bundesregierung hätte längst handeln und das Stabilitätsgesetz anwenden müssen. Der 10 °/oige Abschlag von der Einkommen- und Körperschaftsteuer könnte bereits in Kraft sein und seine positive Wirkung für eine Konjunkturbelebung und für das Investitionsklima ausüben.
Für die Verabschiedung der jetzt zur Abstimmung anstehenden Steuergesetze, nämlich des CDU/CSU- Gesetzes zum Abbau der Überbesteuerung — jetzt geht es im wesentlichen um den Weihnachtsfreibetrag — und des SPD/ FDP-Gesetzes zur Steuerentlastung und Investitionsförderung gilt folgendes:Erstens. Die CDU/CSU-Fraktion ist für die sofortige Erhöhung des Weihnachtsfreibetrags, für die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung bei Gebäuden, für die Verbesserung der degressiven Abschreibung bei beweglichen Wirtschaftsgütern.Zweitens. Wir sind nach wie vor bereit, diese unstrittigen Regelungen vorab zu beschließen, damit sie möglichst umgehend in Kraft treten können.Drittens. Wir sind aber gegen die ungerechte, gleichmacherische, mittelstandsfeindliche und leistungsfeindliche Reduzierung der Entlastung im Tarifbereich auf die Erhöhung des Grundfreibetrags.Viertens. Wenn Sie nicht bereit sind, das Paket aufzuschnüren, die unstrittigen Teile vorab zu beschließen und in der einzig noch strittigen Frage nach einem annehmbaren Kompromiß zu suchen, dann sind wir nicht bereit, diesem Ihren Gesetzes-
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Dr. Kreilevorschlag zuzustimmen, sondern lehnen ihn ab. Die schwerwiegenden Folgen gehen dann zu Ihren Lasten. Der deutsche Arbeitnehmer kann jedoch sicher sein, daß die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages noch in diesem Jahr in Kraft treten wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich das Haus davon in Kenntnis setzen, daß auf der Diplomatentribüne Platz genommen haben und der Sitzung des Deutschen Bundestages folgen: die Vorsitzende der britischen Kommission für Kommunalpolitik, Baroness Bea Serota, der Ombudsmann von Finnland, Herr Dr. Aalto, und der Beauftragte der Stadt Zürich in Beschwerdesachen, Herr Dr. Vontobel. Auf Einladung des Deutschen Bundestages halten sie sich zur Zeit zu Informationsgesprächen in Bonn auf. Ich darf sie herzlich begrüßen.
Das Wort hat nunmehr der Herr Abgeordnete Dr. Böhme.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kreile hat vorhin in seiner Rede davon gesprochen, in der Steuerpolitik sei eine Klimaänderung notwendig, um Vertrauensverluste in der Wirtschaft wieder auszugleichen. Ihr Wort, Herr Dr. Kreile, vom Klima in Gottes Ohr! Tatsächlich ist es so, daß die Opposition in diesem Hohen Hause nichts unversucht läßt, um durch ständige Polemik dieses Klima von ihrer Seite aus zu verschlechtern.
Dabei muß ich hinzufügen — wenn ich an die Reden einiger Kollegen von der Opposition denke —, daß der Donner ihrer Polemik selten vom Blitz einer Erleuchtung oder eigenen Idee erhellt wird.
Was wir von der Steuerpolitik der CDU/CSU in Wirklichkeit hören, ist, daß Sie ständig über Steuerentlastungen reden, die Stimmung draußen im Volke anheizen, indem Reizworte wie „Inflation, Überbesteuerung, zu hoher Staatsanteil" gebraucht werden, und gleichzeitig in jeder konkreten Abstimmung, wenn es um Steuerentlastungen tatsächlich geht, ein hochmütiges und vorprogrammiertes Nein aussprechen.
So war es bei der Verabschiedung der Steuerreform im Jahre 1974. So war es vor wenigen Wochen bei der Verabschiedung des Steueränderungsgesetzes 1977. Und so wird es heute nachmittag bei der Abstimmung wieder sein. Das ist die Tatsache.Herr Dr. Kreile, Sie haben davon gesprochen, daß Sie sich für eine Tarifreform einsetzen. Hier sind wir nicht auseinander. Aber ich frage Sie: Wenn dies ein so dringendes Problem für Sie ist, warum werden Sie dann nicht selber, z. B. über den Bundesrat, initiativ? Bayern hat einen Gesetzentwurf angekündigt. Darüber wird man sprechen müssen. Auch wir sind für eine Tarifreform. Aber ich wende mich dagegen, daß Sie hier etwas pharisäerisch die Nichtvorlage einer Gesetzesvorlage kritisieren, während Sie selber Ihre Möglichkeiten nicht wahrnehmen. Dies ist keine redliche Argumentation.
Zum anderen noch ein Wort zu den sogenannten bürokratischen Hemmnissen. Sie haben hier Beispiele angeführt, die aus der Praxis sind und die auch wir kennen. Wir wissen, daß dies draußen Ärger macht. Aber auch hier, meine ich, sollten wir ehrlich und redlich miteinander umgehen. Ich möchte Ihnen sagen, daß bei keiner dieser Regelungen in den Jahren der Regierung der sozialliberalen Koalition irgendwo eine Verschärfung eingetreten ist. Sie haben den Eindruck erweckt, als ob von der Seite unserer Regierung her bei einem dieser Punkte irgend etwas verschärft worden ist. Das ist nicht der Fall.Ähnlich ist es bei den Fragen, die Sie genannt haben, z. B. bei den Werkswohnungen oder beim Kantinenessen oder bei den Sachzuwendungen. Ich weiß, daß diese Fragen gerade bei den Arbeitnehmern eine wichtige Rolle spielen. Wir haben uns diese Fragen überlegt. Aber ich sehe z. B. beim Kantinenessen keine Möglichkeit, mehr zu tun als das, was bisher schon geschieht; denn wir dürfen nicht nur diejenigen sehen, die die Möglichkeit haben, in der Kantine zu essen, sondern müssen auch die Millionen der Arbeitnehmer sehen, die eben nicht die Möglichkeit haben, in einer Kantine zu Mittag zu essen. Hier müssen die Gleichmäßigkeit der Besteuerung und die soziale Gerechtigkeit gewahrt sein. Das gleiche gilt für die Werkswohnungen. Hier sind 40 DM der Sachzuwendung, nämlich der billigere Bezug der Wohnung, steuerfrei. Das ist eine richtige Sache; aber auch hier ist eine Abwägung gegenüber denjenigen vorzunehmen, die keine Möglichkeit haben, eine solche Werkswohnung zu besitzen. Ich stelle Ihnen anheim, hier konkrete Anträge zu stellen; dann können wir konkret darüber sprechen.Lassen Sie mich jetzt zu dem kommen, was heute zur Abstimmung steht.
Die Regierungskoalition stellt heute im Plenum des Deutschen Bundestages die Gesetzentwürfe zur Entscheidung, welche vorgestern abend im Finanzausschuß mit den Stimmen der SPD und FDP verabschiedet worden sind. Regierung und Koalition leiten damit ihre ursprünglichen Vorlagen unverändert dem Deutschen Bundestag zu, wohl wissend, daß diese Vorlagen nach dem Votum des Bundesrates nicht ohne zusätzliche Veränderungen rechtskräftig werden. Die Koalition hat aber keine andere Wahl. Die CDU/CSU-Opposition hat die in der Öffentlichkeit z. B. über das Wochenende diskutierte Kompromißmöglichkeit entweder ausdrücklich abgelehnt oder unbeachtet gelassen. Sie hat im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages sogar darauf verzichtet,
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Dr. Böhme
die Voten des Bundesrates, z. B. das Votum betreffend die Einführung eines Konjunktur- oder Tariffreibetrages, auch nur zum Gegenstand einer Kompromißformel zu machen.
Im Gegenteil: Die CDU/CSU-Opposition, Herr von der Heydt, beharrt im Bundestag auf ihrem ursprünglichen Gesetzentwurf, nämlich der Einführung eines Konjunkturabschlages.
Das hat Herr Dr. Kreile wieder bestätigt. Ihr erster Sprecher in der gestrigen Debatte, Herr Franz Josef Strauß, hat ausdrücklich auf diesen Vorschlag eines Abschlags nach dem Stabilitäts- und Wachstums-Gesetz abgehoben und alle anderen Vorschläge als Flickschusterei bezeichnet. Von Kompromißbereitschaft ist also keine Spur. Damit wird klar, daß es die CDU/CSU-Opposition im Bundestag bei dieser Steuervorlage leider erneut auf eine klare Konfliktstrategie abgesehen hat.Bei dieser Situation muß die Ausgangslage besonders hervorgehoben und der Öffentlichkeit und allen Bürgern klargemacht werden, daß es die Opposition ist, welche stur und rechthaberisch auf ihren Vorlagen beharrt,
und das Steuerpaket an dieser Haltung zu scheitern droht.
Die Schuld liegt hier vor allem bei den Scharfmachern in der Bundestagsfraktion der CDU/CSU.
Kein einziger Sprecher — auch Sie, Herr Dr. Kreile, heute morgen nicht — hat in der stundenlangen Debatte auch nur mit einem einzigen Ton eine Kompromißbereitschaft im Steuerstreit erkennen lassen, obwohl diese Frage die Bürger draußen in unserem Lande stark beschäftigt. Deswegen stellen wir die Opposition heute in dieser Debatte und machen in diesem Hohen Hause und in der Öffentlichkeit klar, wer die Verantwortung für ein mögliches Scheitern des Steuerpaketes trägt. Den Beweis hierfür kann man antreten, indem der Gang der Verhandlungen dargestellt und die wechselseitigen Anträge, die heute zur Abstimmung kommen, analysiert werden.Die CDU/CSU hat in einem eigenen Gesetzesvorschlag die Anwendung des Stabilitäts- und Wachstums-Gesetzes mit einem linearen Abschlag von 10 % vorgesehen und einen weiteren Gesetzentwurf eingebracht, welcher im noch nicht erledigten Teil eine Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages um 100 DM vorsah. Später hat die Opposition im Finanzausschuß die Erhöhung des Grundfreibetrages abgelehnt und sonst im übrigen die Vorschläge der Koalition übernommen, nämlich die Vervierfachung des Weihnachtsfreibetrages, die Verbesserung der degressiven AfA und die Einführung eines Ausbildungsplatzabzugsbetrages. Es ist wichtig, diese Feststellung hier zu treffen, damit klar ist, daß insbesondere die Vervierfachung des Weihnachtsfreibetrages kein Vorschlag der CDU/CSU war. Die Opposition hat sich hier vielmehr der Initiative der Koalition nachträglich angeschlossen. Beim Weihnachtsfreibetrag ist die CDU/CSU ein Trittbrettfahrer unserer Gesetzesvorlage.
Das ist aber gut so — ich kritisiere es nicht —, denn der ursprüngliche Vorschlag, den Weihnachtsfreibetrag nur um 100 DM zu erhöhen, war gegenüber den Arbeitnehmern eine Zumutung. Eine solche Minimaßnahme hätte praktisch nichts daran geändert, daß die seit 1960 unverändert bestehende Höhe des Weihnachtsfreibetrags völlig überholt ist und der inzwischen eingetretenen Entwicklung bei der Lohnsteuerprogression und der Weihnachtsgeldhöhe in keiner Weise mehr entspricht.
Deswegen unser Vorschlag der Vervierfachung. Betrachten Sie von der Opposition doch Ihre eigene Vorlage. Dann werden Sie feststellen, daß Ihr ursprünglicher Vorschlag auf 100 DM gerichtet war. Ich bin froh, daß wir uns jetzt hier verständigt haben
und dieses Hohe Haus geschlossen eine Erhöhung auf 400 DM trägt.Lassen Sie mich nun zum Gesamtpaket der Vorschläge der Union einige Anmerkungen im Zusammenhang machen.Erstens. Wir lehnen die Anwendung des Stabilitäts- und Wachstums-Gesetzes mit einem linearen Steuerabschlag von 10 % ab, weil dieser Abschlag in der gegenwärtigen Konjunktursituation konjunkturpolitisch nicht das richtige Mittel ist, zugleich verteilungspolitisch zu unerwünschten Ergebnissen führt und damit sozial unausgewogen ist.Ein linearer Abschlag bei der Einkommensteuer einschließlich der Körperschaftsteuer bedeutet, daß der Entlastungseffekt mit steigendem Einkommen wächst. Der lineare Abschlag bevorzugt somit hohe und höchste Einkommen gegenüber kleineren Einkommen in unerträglicher Weise. Wir haben dies ausgerechnet. Beispielsweise würde ein verheirateter Millionär durch den Konjunkturabschlag nicht weniger als 55 000 DM kassieren, während ein Arbeitnehmer mit zwei Kindern und 24 000 DM Jahresgehalt mit ganzen 277 DM zufrieden sein müßte.Kann diese Argumentation der SPD als Ausdruck eines Neidkomplexes abgetan werden? Oder ist es nicht neben der Steuergerechtigkeit ein Gebot der ökonomischen Vernunft, die Einkommensunterschiede in unserem Land von Staats wegen nicht noch zu vergrößern? Herr Strauß hat gestern noch einmal die Anwendung des Stabilitäts- und Wachstums-Gesetzes mit dem zehnprozentigen Steuerabschlag gefordert und die ablehnende Haltung der Koalition und unseren Vorschlag der Anhebung des Grundfreibetrags als Gleichmacherei und als Ausdruck eines Neidkomplexes kritisiert. Außerdem hat er sich für den Leistungsbegriff eingesetzt, wo-
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Dr. Böhme
nach jeder Bürger — ich zitiere aus seiner gestrigen Rede — „mit beruhigendem Blick auf die eigene Leistung zurückschauen" könne.Genau dies ist der Punkt. Wenn der Konjunkturabschlag für den einen Bürger von Staats wegen einen Steuervorteil von sage und schreibe 55 000 DM ausmacht und bei dem anderen Bürger ganze 280 DM bringt, so ist dies für den kleinen Mann eben keine beruhigende Feststellung, sondern im Grund ein Anlaß für einen Blick zurück im Zorn.
Diese christdemokratische Steuerpolitik nach dem Motto „Wer hat, dem wird gegeben" machen wir nicht mit.
Zweitens. Wir lehnen die Anwendung des Konjunkturabschlags im Zusammenhang mit • den anderen Gesetzesinitiativen — die von der Opposition ja übernommen worden sind — ab, weil das Gesamtvolumen zu hoch wäre. Zusammen mit der degressiven AfA, dem Weihnachtsfreibetrag und dem Ausbildungsplatzabzugsbetrag würde das Volumen nach Ihrer Vorstellung durch die Anwendung des Stabilitäts- und Wachstums-Gesetzes etwa 20 Milliarden DM ausmachen. In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, daß diese heutige Steuerdebatte im Rahmen einer Haushaltsberatung geführt wird. Also ist — und zwar mit dem spitzen Bleistift — zu fragen: In welcher Weise macht die Opposition Deckungsvorschläge für die zusätzlichen Ausfälle?
Darüber ist in dieser Debatte bisher kein einziger Ton gesagt worden. Die Wirkung Ihrer Gesetzesvorschläge würde also darauf hinauslaufen, daß der Staat mehr Schulden machen soll.Über diese Vorschläge kann ich mich nur wundern, weil sie von genau den gleichen Politikern kommen, die noch vor kurzem den Staatsbankrott der Bundesrepublik Deutschland hier in den schwärzesten Farben gemalt haben. Ich finde, es ist keine seriöse Politik, in diesem Hin und Her Steuerentlastungsvorschläge zu unterbreiten, ohne gleichzeitig an die Auswirkungen im Haushalt zu denken. Aber diese Art von Finanzpolitik kennen wir von der Opposition leider zur Genüge, nämlich vom Staat Mehrausgaben zu verlangen und gleichzeitig Einnahmen zu verweigern. Dies ist keine seriöse Politik, vielmehr das Gegenteil solider Haushaltsgestaltung.
Drittens. Den Konjunkturabschlag haben wir auch deshalb abgelehnt, weil das Problem der Anschlußwirkung ungelöst ist. Bekanntlich ist der Konjunkturabschlag auf ein Jahr befristet. Nun will die Opposition diesen Steuerabschlag offensichtlich in eine Tarifreform einmünden lassen. „Einmünden" lautet das Stichwort. Das bedeutet, daß die jetzige Entlastung um 15 Milliarden DM, nämlich die progressionsbedingte Steigerung der Auswirkungen nach dem Stabilitäts- und Wachstums-Gesetz, voll in den künftigen Tarif eingehen muß und daß damit ein zusätzliches notwendiges Volumen für eine echte Tarifreform nicht mehr vorhanden ist. Also gerade derjenige, der eine Tarifreform fordert, muß sichgegen einen solchen Konjunkturabschlag wenden.Im übrigen möchte ich der Vollständigkeit halber nur anmerken, daß die Forderung der Opposition, den zehnprozentigen Konjunkturabschlag bei der Tarifreform in dauerhafte Steuersenkungen übergehen zu lassen, befürchten läßt, daß eine derartige Tarifreform eine Reform für die Reichen sein wird. Dazu kann ich nur sagen: ohne uns. Wir stellen uns eine Tarifreform, die auch wir befürworten, anders vor.
— Ich komme gerade darauf, Herr Kollege. Besonders delikat ist nämlich in diesem Zusammenhang die Begründung eines solchen Vorgehens mit dem, was sich hier in der Diskussion über die Steuerlastquote ergeben hat. Richtig ist, daß die Steuerlastquote 1937 gegenüber 1976 gestiegen ist. Aber interessant ist diese Überlegung erst, wenn die Steuerlastquote in ihrer Zusammensetzung betrachtet wird. Hier stellt man fest, daß es die Lohnsteuer war, welche durch ihr starkes Ansteigen verhindert hat, daß die Steuerlastquote überhaupt sinkt. Fast alle anderen Steuerarten sind gesunken, sind abgesackt, dies stellt man fest, wenn man sich die Gliederung des Steueraufkommens ansieht, während die Lohnsteuer angestiegen ist. Es ist also gerade die Lohnsteuer, welche die Steuerlastquote insgesamt verursacht. Gerade weil dies so ist, darf diese Entwicklung nicht fortgesetzt werden, sondern muß abgestoppt werden. Aber dies wird bei einem linearen Abschlag von 10 % nicht nur auf die Lohnsteuer, sondern auch auf die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer nicht erreicht. Die jetzige Struktur des Steueraufkommens, gerade im Lohnsteuerbereich, ist geradezu ein Fanal dafür, die gegenwärtige Entwicklung nicht weiterlaufen zu lassen. Genau dies soll aber nach den Vorschlägen der Union der Fall sein. Der kleine Mann bekommt wieder ein Zubrot, während die großen Einkommensbezieher den Goldschnitt bekommen. Da machen wir nicht mit.Die Opposition — auch dazu noch ein Wort — spricht immer von Leistung. Wir sind auch für Leistung, aber dann bitte für alle. Wir fragen zurück: Was ist dies für ein Leistungsbegriff, der die phantastischen Einkommensunterschiede in unserer Gesellschaft abdeckt? Wenn es richtig ist, daß in Zukunft die großen Wachstumsschübe fehlen werden und die Zuwächse am verteilbaren Einkommen geringer sind, müssen die jetzigen großen Unterschiede überwunden werden. Es ist z. B. nicht einzusehen, daß eine Krankenschwester im Operationssaal nur einen Bruchteil dessen verdient, was der Chefarzt am gleichen Arbeitsplatz erhält. Das ist im übrigen hier nicht einmal das eigentliche Thema, sondern es geht darum, daß der Staat nicht die Hand dazu reichen soll, daß sich durch lineare Steuersenkungen die Schere zwischen den Einkommen noch weiter öffnet. Das ist der Punkt.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3569
Dr. Böhme
— Ich könnte noch andere Beispiele bringen; ich will sie lieber nicht bringen.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort zu dem Vorwurf, der Bund betreibe eine Finanzpolitik des „stop and go". Herr Strauß hat gestern vormittag dazu einige Beispiele gebracht. Hier muß man zurückfragen, ob dieser Vorwurf des „stop and go" — ich glaubte gestern nicht richtig gehört zu haben — an die richtige Adresse geht, z. B. an die Adresse der Bundesbank, die wegen der wirtschaftlichen Strukturänderungen und wegen der Konjunkturschwankungen ihr Geldmengenziel Jahr für Jahr korrigieren mußte und in den letzten Monaten eine fast dramatisch zu nennende Zinspolitik gemacht hat — ich kritisiere dies nicht, sondern zeige auf, daß z. B. bei der Bundesbank auch Schwankungen ausgeglichen werden mußten —, oder z. B. an die Adresse des Sachverständigenrates oder an die Adresse der Wirtschaftsinstitute, die, wie der Bundesfinanzminister gestern ausgeführt und nachgewiesen hat, in den letzten Monaten fast einen Salto mortale bei der Begründung und den Ratschlägen für wirtschaftliche und steuerpolitische Entscheidungen gemacht haben? Oder richtet sich dieser Vorwurf des „stop and go" vielleicht an Ihre eigene Adresse?Die Opposition hat am Tage der Abstimmung über das Steueränderungsgesetz 1977 — das war kurz vor der Sommerpause - in diesem Hohen Hause gegen das Gesetz mit den Erhöhungen der Sonderausgabenhöchstbeträge, des Kindergeldes und der Absenkung der Vermögensteuersätze gestimmt.
Dies war doch wohl ein Stopp-Zeichen für die Vorlage der Regierung. Beinahe am gleichen Tage hat dann die Opposition aber einen Gesetzentwurf mit fast dem gleichen Inhalt eingebracht.
Das war dann wohl die Politik des „go". Am gleichen Tag „stop and go" in ein und derselben Sache!
Mit dieser Argumentation sitzen Sie nach meiner Auffassung mitten im Glashaus. Da sollten Sie nicht mit Steinen werfen.
Bietet somit das Steuerpaket der Opposition keine Grundlage,
so bleibt es bei. der Regierungsvorlage. Die Regierungsvorlage setzt bei ihren Entlastungen dort an,wo der Grund für die gegenwärtige Konjunkturschwäche liegt, nämlich bei den geringen Impulsen von der Nachfrageseite.
Es kommt somit in der gegenwärtigen Situation vor allem auf die Stärkung des privaten Konsums an, um die Kapazitätsauslastung und damit die Investitionsbereitschaft der Unternehmen zu verbessern. Eine überproportionale Begünstigung der hohen Einkommensbezieher führt jedoch dazu, daß gerade die hohen Einkommensbezieher, welche den höchsten Sparanteil haben, gefördert werden. Das Gegenteil tut not; es gilt, die Massenkaufkraft der kleinen und mittleren Einkommensbezieher mit hohem Konsumanteil zu stärken.
Dieses Anliegen wird durch die gleichmäßige Entlastung bei der Anhebung des Grundfreibetrages nach Vorschlag der Koalition erreicht. Die jetzige Erhöhung bedeutet für einen verheirateten Arbeitnehmer einheitlich .einen Steuernachlaß von 224 DM; er ist also für alle Steuerbürger gleich. Die Sorge und der Einwand, daß diese Steuerersparnis nicht in den Konsum fließt, kann entkräftet werden. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage des Wickert-Instituts hat gezeigt, daß gerade die jetzigen Steuerentlastungen — dies gilt vor allem für den Weihnachtsfreibetrag — voll in den Konsum gehen werden.Im übrigen sind die Erhöhung des Grundfreibetrages und die Anhebung des Weihnachtsfreibetrages im Zusammenhang mit den anderen Steuererleichterungen und Leistungen zu sehen, die am 1. Januar 1978 in Kraft treten, nämlich mit der Erhöhung der Sonderausgabenhöchstbeträge und der Anhebung des Kindergeldes. Es kommt letztlich auf die Gesamtauswirkung all dieser steuerlichen Entlastungen zum 1. Januar 1978 an, und es ist eine Irreführung der Öffentlichkeit, wenn jetzt bei den einzelnen steuerlichen Entlastungen die Wirkung isoliert ausgerechnet wird. Nur der Blick auf das Ganze, was ab 1. Januar 1978 gelten soll, schafft die richtige Optik und macht die große Anstrengung der Bundesregierung deutlich, fühlbare Steuererleichterungen zu gewähren.Im Zusammenhang dargestellt ergibt sich:1. Erhöhung der Sonderausgabenhöchstbeträge um 300 DM für Ledige und 600 DM für Verheiratete; gleichzeitig wird die Vorsorgepauschale von 16 0/o auf 18 % erhöht.2. Erhöhung des Kindergeldes für das zweite Kind von 70 DM auf 80 DM und für das dritte und jedes weitere Kind von 120 DM auf 150 DM. 3. Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages — auch schon für 1977 — von 100 DM auf 400 DM, worüber jetzt zu entscheiden ist.4. Erhöhung des Grundfreibetrages von zur Zeit 3 000 DM auf 3 510 DM für Ledige; für Verheiratete verdoppeln sich diese Beträge.
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3570 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Dr. Böhme
Die Auswirkungen dieser Gesetze — für den Bürger draußen kommt es auf die Auswirkungen an — können sich sehen lassen. So beträgt der Steuernachlaß im Falle eines verheirateten Arbeitnehmers ohne Kinder bei einem Jahresbruttolohn von 24 000 DM 330 DM. Bei einem Arbeitnehmer mit zwei Kindern sind es 410 DM, bei einem Arbeitnehmer mit vier Kindern 1 130 DM. Das sind keine Pfennigbeträge, sondern Entlastungen, die kräftig im Geldbeutel zu spüren sein werden.Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren. Die Frage ist berechtigt, welches Schicksal diese Steuervorlage nach dem zu erwartenden und angekündigten Nein der Opposition haben wird. Bisher hat die CDU/CSU-Opposition im Bundestag weder die Vorschläge des Bundesrates aufgenommen noch andere Kompromißvorschläge, die in der Offentlichkeit gemacht wurden, positiv beurteilt. Dies kann politisch nur so gewertet werden, daß die Opposition offensichtlich keine Kompromisse will. Dafür wird die Opposition aber in der Offentlichkeit wenig Verständnis finden. Der Bürger erwartet eine rechtzeitige Verabschiedung der Steuerentlastungsgesetze mit Wirkung für Weihnachten 1977 und zum 1. Januar 1978. Dies ist hier unsere Sache. Wir waren dazu bereit, Kompromisse zu machen, und sind dies auch heute noch. Aber die CDU/CSU hat keine Bereitschaft gezeigt, sondern hat den bekanntgewordenen Kompromißvorschlag ausdrücklich abgelehnt und beharrt heute hier im Plenum auf ihrem Gesetzentwurf der Anwendung des Stabilitäts- und Wachstums-Gesetzes.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von der Heydt?
Bitte sehr.
in welchem wir überhaupt keine Kontroverse haben, damit er jetzt wirklich zügig und ohne weitere Verzögerung beschlossen werden kann? Warum drehen Sie das hier herum und sagen, wir wollten das nicht?
Das ist eine Frage, die mehrfach in der Öffentlichkeit abgehandelt worden ist. Herr von der Heydt, mich wundert, daß Sie die Frage stellen. Ich will Ihnen die Antwort hier noch einmal geben: Wir betrachten mit gutem Grund die ganze Steuervorlage als ein_ Paket, das sozial austariert und in sich abgewogen ist.
Da können Sie nicht nur eine Rosine herauspicken, sondern da muß das Ganze gesehen werden. Im übrigen, Herr von der Heydt, wollen wir doch einmal die Sache beim Namen nennen! Sie sind nicht dafür, diesen Weihnachtsfreibetrag allein abzutrennen, sondern Ihre Vorlage war, es mit der degressiven AfA zu verbinden.
Nachtigall, kann ich nur sagen, ick hör dir trapsen.
Den entscheidenden Punkt, der hier abzuhandeln ist, möchte ich noch einmal wiederholen. In den letzten Tagen ist natürlich hinter den Kulissen um einen Kompromiß gerungen worden. Es ist ein Tauziehen um einen Kompromiß im Gang. Sie, meine Damen und Herren von der Union — nicht alle, ich weiß das, aber die, von denen ich hier eingangs gesprochen habe, stellen leider in der Fraktion der CDU/CSU die Mehrheit —, waren nicht bereit, auf diese Kompromißvorschläge einzugehen, ja Sie haben es sogar versäumt, das, was sich über das Votum des Bundesrates als Möglichkeit eines Kompromisses hier angebahnt hat, aufzunehmen. Sie sind stehengeblieben und haben darauf beharrt, Ihre ursprüngliche Vorlage durchzusetzen. Das ist eine Politik des Alles oder Nichts.
So sieht keine Politik aus, die auf Konsens ausgeht, sondern hier wird eine Politik deutlich, die den Konflikt sucht. Das muß die Opposition ja wohl auch, denn der Herbst steht vor der Tür, und die angekündigte Offensive ist fällig. Herr Kohl ist gerüstet.
Bei dieser Steuervorlage zeigt sich aber die ganze Hohlheit und das Wortgeklingel dieser Oppositionspolitik, die zum Nachteil dessen ist, was wir in diesem Parlament für die Bevölkerung draußen zu machen haben.Sie verteufeln hier unseren Vorschlag auf Erhöhung des Grundfreibetrages als Sozialismus und Gleichmacherei. Aber gleichzeitig bereitet das Land Bayern, wohl ein unverdächtiger Zeuge in dieser Debatte, einen Gesetzesvorschlag vor, von dem im Bulletin der Bayerischen Staatsregierung vom 14. September noch einmal bestätigt wird, daß er im Zusammenhang mit einer Tarifreform die Anhebung des Grundfreibetrages vorsieht. Natürlich ist die Anhebung des Grundfreibetrages notwendiger Teil jeder Tarifreform. Deswegen sind wir nicht nur aus verteilungspolitischen Gründen, nicht nur, weil es konjunkturpolitisch richtig ist, sondern auch gerade weil wir für eine Tarifreform sind und weil wir den Grundfreibetrag als Einmündung in die Tarifreform brauchen, dafür, daß es bei der Regelung des Grundfreibetrages bleibt.
Wir sehen darin nach wie vor einen wesentlichenBestandteil unserer Vorlage. Dies ist keine Hals-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3571
Bundesverfassungsgericht auferlegte Änderung im Bereich der Besteuerung der Geschiedenen — in Verbindung mit einer Änderung des Investitionshilfegesetzes und vielleicht auch in Verbindung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf über die steuerliche Vergünstigung bei kunsthistorischen Gebäuden nach Verabschiedung dieses Gesetzes zügig beraten und die entsprechenden Vorlagen verabschiedet werden sollen.Das einzig Strittige, um das es hier jetzt noch geht, ist der über den Weihnachtsfreibetrag und die Abschreibung hinausgehende Vorschlag einer Entlastung der Steuerzahler im Einkommensteuerrecht. Die Koalition hat vorgeschlagen, den Grundfreibetrag um 510 DM für den Alleinstehenden und den doppelten Betrag für Verheiratete anzuheben, d. h. von 3 000 DM auf 3 510 DM. Der Bundesrat schlägt den gleichen Betrag als Tariffreibetrag vor mit der Folge, daß er nicht mit dem Proportionalsatz von 22 %, sondern mit dem jeweiligen Spitzensteuersatz wirkt. Ich könnte mir nun denken, daß es bei diesem begrenzten Differenzbetrag möglich sein müßte, daß Bundesrat und Bundestag rechtzeitig aufeinander zugehen. Wir könnten das vom Bundestag aus, meine ich, in doppeltem Sinne tun. Wir könnten einer Erhöhung des Steuerausfalls von rund 1,5 Milliarden DM entsprechend dem Bundesratsentwurf zustimmen. Außerdem könnte ich mir denken, daß sich die Lösung der Frage Grundfreibetrag oder Tariffreibetrag auf einer mittleren Linie finden könnte. Wir haben deswegen den Vermittlungsvorschlag auf 300 DM Grundfreibetrag und 300 DM Tariffreibetrag gemacht. Der Differenzbetrag zwischen diesem Kompromißvorschlag — nun bitte ich, einmal wirklich genau zuzuhören — und dem Vorschlag des Bundesrates beträgt bei einem Alleinstehenden mit einem Einkommen von 40 000 DM 2,50 DM im Monat und ein Alleinstehender, der 120 000 DM verdient, also mit seinem Verdienst in der Progressionsspitze angesiedelt ist, würde durch den Bundesratsvorschlag gegenüber dem Kompromißvorschlag im Monat 4,25 DM mehr haben. Meine Damen und Herren, denjenigen, die hier noch sagen, es werde Leistung in dem einen Fall ungemein belohnt, in dem anderen Fall aber diffamiert,
muß man doch fragen: Was soll das?
Außerdem entspricht dieser Kompromißvorschlag, meine Damen und Herren, genau der Stellungnahme des Bundesrates. Denn da ich lesen gelernt habe, lese ich in der Stellungnahme des Bundesrates, daß vom Bundesrat lediglich „die alleinige Anhebung" des Grundfreibetrages nicht gewollt wird. Das kann doch wohl nichts anderes heißen, als daß der Bundesrat bereit sein müßte, einer Kombination, die neben der Anhebung des Grundfreibetrages auch noch andere steuerrechtliche Elemente enthält, zuzustimmen.Die FDP bedauert daher, daß sich die Ministerpräsidenten der CDU/CSU nicht bereit gefunden haben, das denkbare Entgegenkommen der Koalition entsprechend aufzugreifen und damit einen Schritt aufeinander zuzumachen. Zu diesem Zeitpunkt jedenDr. Böhme
starrigkeit, sondern der Versuch, hier sachlich miteinander umzugehen. Die Bürger draußen erwarten von uns kein Pathos, keine Phrasen, sondern eine rechtzeitige Verabschiedung dieser Vorlage der Steuerentlastungen zu Weihnachten 1977 und zum 1. Januar 1978.Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bitte ich um Annahme dieser Vorlagen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, ist es mir eine besondere Freude, dem Hause mitzuteilen, daß auf der Diplomatentribüne eine Delegation des Parlaments von Kenia Platz genommen hat.
Es ist die Delegation, die Kenia auf der IPU-Konferenz in Sofia vertreten hat. Sie weilt auf Einladung des Deutschen Bundestages in Bonn. Ich heiße die Kollegen des kenianischen Parlaments herzlich willkommen und wünsche ihnen einen angenehmen Aufenthalt in Deutschland.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir haben am 9. September und am 15. September bereits über die Steuerentlastung gesprochen und sprechen heute wieder darüber. Ich habe den Eindruck, daß dieses Thema allmählich nicht mehr alle die bemühten Ideologien, Taktiken und Polemiken erträgt,
und zwar um des Steuerrechts willen und auch sicher nicht zuletzt um der Glaubwürdigkeit dieses Parlaments willen.Worum geht es denn nun eigentlich wirklich? Wir sind darüber einig, daß der Weihnachtsfreibetrag von 100 auf 400 DM erhöht werden soll. Wir sind darüber einig, daß die degressive Abschreibung für mobile Anlagewerte auf das Zweieinhalbfache der linearen angehoben werden soll. Wir sind uns einig über die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung bei den Gebäuden. Wir sind uns einig über die Einführung eines Ausbildungsplatzabzugsbetrages. Wir sind darüber einig, daß ein notwendiger Abstand zwischen den normalen Wirtschaftsbedingungen und denen in Berlin und im Zonenrand gesichert sein muß. Die Koalition dieses Hauses ist sich mit dem Bundesrat auch darüber einig, den Vorschlag der CDU/CSU — Stabilitätsgesetz mit 10 °/o Steuerabschlag — abzulehnen; denn das würde den Gemeinden Steuerausfälle von rund 4 Milliarden DM, den Ländern Steuerausfälle über 6 Milliarden DM bringen. Es ist verständlich, daß der Bundesrat dafür keine Begeisterung an den Tag legt. Wir werden diesen Antrag darum auch mit der mindestens geheimen Zustimmung des Bundesrates ablehnen.Wir sind uns auch darüber einig, daß noch einige offene Probleme im Steuerrecht — z. B. die uns vom
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3572 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Frau Funckefalls haben sie es nicht getan. Das bedeutet eine unnötige Verzögerung um etwa vier Wochen, in denen wir das deutsche Volk weiterhin in Spannung halten, ob nun beim Höchstverdiener 4,25 DM, 3,86 DM oder vielleicht nur 1,24 DM mehr an Steuerentlastung herauskommen. Meine Damen und Herren, hier wird ein fulminantes Schaustück um Pfennige aufgeführt.
Ich frage mich wirklich, wem das dienen kann.
Auf der Strecke bleibt die Vernunft, auf der Strekke bleibt aber auch, meine Damen und Herren — das sollte man genau wissen —, das Verständnis unserer Bevölkerung für das föderative System. Denn dies kann allmählich keiner mehr für vernünftig halten.
Wenn von Ihnen, Herr Kollege Kreile, von Vertrauenskrise geredet wird, dann sollten Sie sich fragen, ob man nicht vielleicht auf der eigenen Seite erheblich daran mitgewirkt oder sie sogar entscheidend verursacht hat. Wer aus kleinlichen parteipolitischen Interessen eine notwendige Entscheidung auf Wochen vertagt, zerstört Vertrauen.Gestern hat in diesem Hause nicht nur ein Sprecher der Opposition beklagt, daß das Klima für Investitionen so ungünstig sei. Meine Damen und Herren, wenn Sie die Wirtschaft nun noch weitere vier Wochen darauf warten lassen,
ob es nun die Abschreibung geben wird oder nicht, werden Sie die Verantwortung für den Attentismus auf sich nehmen müssen.
Wir waren bereit, den Unternehmen die Möglichkeit einer klaren Disposition baldmöglichst zu geben.
— In Nordrhein-Westfalen haben wir glücklicherweise einen vernünftigeren! — Wenn Herr Stoltenberg als Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und damit als Mitglied des Bundesrates sagt, man könne einen „verwaschenen„ Kompromiß nicht annehmen, dann möchte ich Sie, meine Damen und Herren, fragen: Welches Verständnis steht denn hinter einer solchen Auffassung, die in einer pluralen und freiheitlich-demokratischen Gesellschaft nicht bereit ist, einen Kompromiß als etwas Gutes anzusehen, sondern ihn als „verwaschen" abqualifiziert?
Wie soll es denn anders gehen? Was soll die erpresserische Formulierung des Bundesrates, die besagt: Es gibt nichts, wenn nicht ein Tariffreibetrag von 510 DM eingeführt wird? Das ist bloße Kraftmeierei. Denn wir wissen doch alle, daß im Vermittlungsausschuß entsetzlich lange geredet und zum guten Schluß natürlich ein Kompromiß gefunden werden muß,
der irgendwo dazwischenliegt. Vielleicht wollen Sie den FDP-Vorschlag annehmen oder — weil Ihnen das nicht behagt — monatlich für den einzelnen noch einmal 33 Pfennig hinauf oder heruntergehen. Nur, meine Damen und Herren, es wird ein Kompromiß sein. Es tut niemandem gut, Kompromißbereitschaft mit dem Wort „verwaschen" zu disqualifizieren.
Dann hat uns noch der Finanzberater des Landes Rheinland-Pfalz, Herr Klein, ein bißchen überrascht — nicht nur uns hier im Hause, ich nehme an, auch den Bundesrat, die CDU und die Öffentlichkeit —, indem er erklärte, der Kompromißvorschlag der FDP sei a) unsystematisch, b) erschwere er die Verwaltung und c) werde er die ungleiche Besteuerung zwischen Selbständigen und Arbeitnehmern nicht beseitigen. Was soll das?Der Vorschlag ist allerdings nicht unsystematisch, oder man hält einen Grundfreibetrag bei einer progressiven Steuer überhaupt für unsystematisch. Nur läuft man dann Amok gegen das System überhaupt, das ja schon lange besteht. Wenn es nun aber mit allgemeiner Zustimmung einen Grundfreibetrag gibt, kann eine gelegentliche Anhebung ja wohl nicht unsystematisch sein.
Wenn der Kompromißvorschlag außerdem die Einführung eines Konjunkturfreibetrages oder eines Tariffreibetrages enthält, dann stimmt das genau mit dem überein, was auch der Bundesrat will. Dann ist eben der Bundesrat _auch unsystematisch. Ich frage mich eigentlich, was das soll und was solche Sachverständige und Berater einer Regierung eigentlich für einen Zweck haben, wenn sie in der Offentlichkeit gegen alles Sturm laufen, einschließlich dessen, was der Bundesrat gemacht hat. Natürlich erschwert ein zusätzlicher Tariffreibetrag die Verwaltung — denn er wird als neues Institut eingeführt —, und selbstverständlich ändert er auch nichts an dem Verhältnis von Arbeitnehmern und Selbständigen. Aber das trifft gleicherweise auf den Entwurf des Bundesrates zu; denn das, was er vorschlägt, gilt für alle Steuerpflichtigen — ob Arbeitnehmer oder Selbständige —, ist also völlig neutral im Hinblick auf diese Differenzen. Ich weiß nicht, was eigentlich dieser Querschuß eines Beraters aus Rheinland-Pfalz soll. Jedenfalls war dies sicherlich nicht hilfreich.Was der Herr Sachberater in Wirklichkeit will, ist die Tarifreform, und zwar sofort. Wir wollen sie auch. Aber ich frage mich — die Bank des Bundesrates ist leider leer, obwohl es gerade um seine Ent-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3573
Frau Funckescheidung geht und um ein bißchen mehr Gemeinsamkeit mit den Herren —; was soll denn eigentlich die Bemerkung in der Vorlage des Bundesrates vom 30. September: . . . wenn es der Bundesregierung kurzfristig nicht möglich ist, einen Gesetzentwurf über die Neugestaltung des Tarifs vorzulegen" ? Das kann in diesem Zusammenhang doch nur bedeuten, daß, wenn die Regierung dazu in der Lage wäre, der Bundesrat meint, ein solcher Tarif könne übermorgen verabschiedet werden.Meine Damen und Herren, welches Verständnis haben die Herren vom Bundesrat eigentlich von der parlamentarischen Demokratie? Glauben Sie, wir sitzen hier im Bundestag und würden eine völlige Umstrukturierung des Tarifs mit Kopfnicken zur Kenntnis nehmen, ohne überhaupt darüber zu beraten? Ich meine — das geht auch Sie an, meine Damen und Herren von der Opposition, weil Sie immer wieder sagen, wir hätten zuwenig Zeit zur Beratung —, gegen eine solche Zumutung sollten Sie genauso deutlich Stellung nehmen, wie wir es tun.
Es entspricht nicht unserem Verständnis von der parlamentarischen Demokratie, daß man einfach ja sagt, wenn die Regierung etwas vorlegt. — Wir haben genügend Zeit zur Beratung der jetzt zur Debatte stehenden Vorlagen gehabt, meine Damen und Herren! Wir hatten sogar in diesen Wochen die für den Finanzausschuß vorgesehene Zeit nicht einmal voll gebraucht. Wir haben also für die Vorlagen der Regierung und der Koalition — und auch für Ihre — schon genügend Zeit gehabt, aber diese Zumutung, die uns der Bundesrat hier auf den Tisch legt, müssen wir gemeinsam zurückweisen. Allerdings nicht in der Sache. Wir wollen die Tarifreform — meine Fraktion wird sich nachdrücklich dafür einsetzen —, aber bitte in einem sorgfältigen Beratungsverfahren und nicht hopplahopp über den Tisch.Meine Herren und Damen, wir bedauern — um auch das noch zu sagen — die Kleinkrämerei um Pfennigbeträge, die sich jetzt abzeichnet. Seitens der FDP sind wir nach wie vor zu einem Kompromiß bereit, damit am 14. Oktober endgültig Klarheit über die Steuerentlastungen gewonnen wird. Wir sind dazu bereit, denn es kann niemandem — wer immer in Bund, Ländern und Gemeinden Verantwortung trägt — daran gelegen sein, durch ein solches wochenlanges Schaustück die Erwartung der Bevölkerung bezüglich der Steuerentlastungen weit über das tatsächlich Mögliche hinaus nach oben zu eskalieren.
— Niemand kann daran interessiert sein.Es mag vielleicht, meine Damen und Herren von der Opposition, für die jeweilige Opposition verführerisch sein, das seit mindestens 2 000 Jahren verbürgte Unbehagen gegenüber dem Steuerzahlen zu parteipolitischen Zwecken nutzen — ich sage: mißbrauchen — zu wollen. Wer aber lange genug auf diesem Felde gearbeitet hat, kann im Interesse aller vor solchen kurzfristigen Experimenten nur warnen. Wir hoffen immer noch, daß sich Vernunft und Kompromißbereitschaft durchsetzen werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Langner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst, Herr Böhme, ein Wort zu Ihnen: Sie haben uns hier eine Politik mangelnder Kompromißbereitschaft und eine Strategie des steuerpolitischen Konflikts vorgeworfen. Herr Böhme, das muß ich nun wirklich zurückweisen, weil Sie hier einfach Konflikt mit unserer entschiedenen Ablehnung der konzeptionslosen Flickschusterei verwechseln, die Sie hier vorgelegt haben, die das Steuerrecht kompliziert und die Tarifreform unmöglich machen soll.
Das sind zwei ganz verschiedene Dinge.
Deshalb, verehrte Frau Funcke, trifft uns Ihr Vorwurf der mangelnden Kompromißbereitschaft ebenfalls nicht. Als Sie uns hier Ihre Rechnungen von 4,35 bis 8 DM vorgeführt haben, da spürte ja jeder im Saal geradezu die „sprühenden Konjunktureffekte" solcher steuerlichen Maßnahmen,
wie Sie sie hier erörtert haben. Und es geht ganz und gar nicht an, daß hier jetzt der Versuch gemacht wird, für irgendeinen Attentismus etwa im Investitionsbereich unserer Wirtschaft den Bundesrat und die Bundestagsminderheit verantwortlich zu machen; das heißt doch, den Ablauf des Verfahrens völlig verkehrt darzustellen. Wie war es denn? Im August begann doch die Diskussion, lanciert durch Meldungen aus dem Bereich der Regierung, und dann hat sich die Regierung bis zum 14. September Zeit genommen, bis sie hier ihr Konzept auf den Tisch gelegt hat. Dort sind die Ursachen zu sehen.Sie können auch nicht sagen, wir seien nicht kompromißbereit. Unser Vorschlag war eben der 10 %ige Konjunkturabschlag, und wenn der Bundesrat — und die Bundesratsmehrheit ist ja noch immer nicht mit der Opposition in diesem Hause identisch; auch das wollen wir einmal festhalten —
Ihren Vorschlägen sehr weit entgegengekommen ist und einen Tariffreibetrag in seine Überlegungen mit einbezogen hat, so hat sich der Bundesrat sehr kompromißbereit gezeigt und ist Ihnen entgegengekommen. Sie sind es, die im Ausschuß nichts dergleichen aufgenommen haben. Was für eine Vorstellung von Ihrer politischen Führungsrolle als Koalitionsparteien in diesem Land haben Sie eigentlich, wenn Sie das geradezu herumdrehen, Herr Böhme, und behaupten, daß es unsere Aufgabe gewesen wäre, dies aufzunehmen?
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3574 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Dr. LangnerMeine Damen und Herren, ich muß mich hier mit einem weiteren Argument auseinandersetzen, das einfach so nicht stehenbleiben darf, das nur den Eindruck erwecken soll, als seien die Vorschläge unserer Fraktion unseriös. Herr Böhme sprach davon, daß die von uns vorgeschlagenen Entlastungsmaßnahmen 20 Milliarden DM kosten würden, ein Argument, das Frau Funcke in der ersten Lesung auch schon so bemühte. Das ist nun einfach nicht wahr. Unser Antrag, einen Konjunkturabschlag, eine zeitlich befristete Steuersenkung, vorzunehmen, kostet 14,7 Milliarden DM. Das ist unser Antrag.Wenn wir später im Laufe der Beratungen gesagt haben, daß Weihnachtsfreibetrag und AfA auch Ansatzpunkte für Maßnahmen auf dem Weg sind, den wir für richtig halten, so können Sie die Kosten dieser Vorschläge nicht einfach zu den Kosten hinzuzählen, die unser ursprünglicher Entlastungsantrag zur Folge gehabt hätte.Sie müssen folgende Rechnung aufmachen: Ihre Vorschläge kosten 7 bis 8 Milliarden DM, unsere würden 14,7 Milliarden DM kosten. Es geht um die Differenz zwischen diesen beiden Beträgen. Nun ist es unsere Meinung, daß diese 7 Milliarden DM bei einer Haushaltsausweitung, die sich im Rahmen der Finanzplanung halten würde, besser den Steuerbürgern gegeben als für staatliche Maßnahmen verwendet werden sollten. Das ist der Streitpunkt und nichts anderes.
Ich wende mich jetzt dem Thema zu, ob man in der Finanzpolitik dieses unseres Finanzministers so etwas wie eine durchgängige Konzeption entdecken kann. Dem, was wir heute als Gesetzesvorschlag beraten, ist von der Fachwelt der Ausdruck „Flickschusterei" aufgedrückt worden. Das ist eigentlich nichts Neues. Wer eine Voraussage über den steuerpolitischen Kurs dieser Regierung und der Koalition auch nur bis Weihnachten wagen wollte, wäre, glaube ich, ein Scharlatan; denn die Steuerpolitik, die ich bisher hier erlebt habe, war durch einen Zickzackkurs gekennzeichnet. Was noch im August 1974 vom Finanzminister als schlechter Witz abgetan wurde, nämlich eine Umsatzsteuererhöhung, eine Mehrwertsteuererhöhung, war dann später ein „unabweisbares fiskalisches Bedürfnis". Zuerst sollte die Erhöhung zwei Prozentpunkte ohne Ausgleich, dann zwei Prozentpunkte mit hälftigem Ausgleich betragen, und jetzt beträgt sie einen Prozentpunkt mit Vollausgleich. Das war dann das allerletzte Wort. Eigentlich sollte nach der Regierungserklärung — Kollege Kreile hat das heute morgen zitiert — außer im Zusammenhang mit dem § 7 b des Einkommensteuergesetzes und außer dem Steueränderungsgesetz 1977 in dieser Legislaturperiode in der Steuergesetzgebung nichts geschehen.Doch, meine Damen und Herren, öfter mal was Neues! Am 19. September 1977 erklärte der Finanzminister im „Spiegel", Steuerpolitik sei als etwas „sehr Jährliches" anzusehen. Noch am 28. Mai hatte derselbe Finanzminister allerdings der „Frankfurter Rundschau" erklärt:Der Finanzminister darf sich auf keinen Fall den halbjährlichen Modetrends in Wissenschaft und damit auch in den Äußerungen von Politikern anschließen.Unterdessen sind wir nun schon beim vierteljährlichen Rhythmus angelangt. Das mag zwar auch eine Art der Beschäftigungspolitik für Druckereien und zum Abbau der Akademikerarbeitslosigkeit durch Bedarfsweckung im Steuerberaterberuf sein, aber niemand mehr — ob Private oder Betriebe — kann sich in Kalkulation oder Planung auf irgendeine verläßliche Entwicklung einstellen. Das ist ein Element der Krise, die wir haben.
Kein Mensch kann die Zielrichtung, das Konzept der Steuerpolitik dieser Regierung erkennen.
Noch am 23. Dezember 1976 meinte der Finanzminister in der Magazinsendung „Plusminus" :Was wir tun können in der nächsten Legislaturperiode, ist sicherlich nicht eine allgemeine Tarifsenkung.Das sagte er also im Dezember 1976. Am 2. April klang das im „Süddeutschen Rundfunk" schon etwas anders. Dort sagte er:Ich stehe hier auch keineswegs auf dem Standpunkt, daß unser gegenwärtiger Steuertarif einer für die Ewigkeit ist.Und am 2. Mai 1977 entdeckte dann auch der Finanzminister vor dem Steuerberaterkongreß 1977 den Marsch in den Lohnsteuerstaat, nachdem unser Kollege Häfele diese Formel schon Monate vorher in diesem Hause geprägt hatte.Mitte Juli war es dann so weit, daß der staunenden Öffentlichkeit für das Jahr 1980 — Zeitpunkt rein zufällig — ein neuer Tarif in Aussicht gestellt wurde. Geschichte einer Erkenntnis möchte man sagen. Doch wie wird dieser Erkenntnis gemäß gehandelt?Da gibt es zunächst — das ist zuzugeben — einen stimmigen Punkt im Verhalten von Regierung und Koalition. Wenn 1980 der steuersystematisch richtige Zeitpunkt für eine neue Tarifgestaltung ist, dann kann es natürlich zum 1. Januar 1978 keinen neuen Tarif geben. Deshalb darf die Einführung eines neuen Tarifs zu diesem Zeitpunkt technisch nicht möglich sein; denn was nicht sein kann, das nicht sein darf. Da wollen wir einmal vergessen, daß es möglich war, innerhalb von zwei Wochen die Tabellen aufzustellen und auszudrucken, die eine Erhöhung des Grundfreibetrags erforderlich machen. Da wollen wir einmal vergessen, daß dieses technische Argument wohlfeil ist. Ich erinnere mich an ein Interview des Finanzministers vom 2. Juni in den „Lübecker Nachrichten", als es damals um das Steueränderungsgesetz 1977 ging. Da hat er schon im Juni angekündigt, Juli sei der absolut letzte Zeitpunkt, um noch die Lohnsteuertabellen für den 1. Januar 1978 herstellen zu können.Wenn es so ist, daß mit steuerlichen Veränderungen so viele technische Schwierigkeiten verbun-
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Dr. LangnerI den sind, frage ich mich allerdings, warum denn im Ausschuß und heute hier unserem Abtrennungsantrag, AfA und Weihnachtsfreibetrag vorab zu beraten und zu beschließen, nicht gefolgt wurde bzw. wird. Ist uns denn im Hearing von dem Vertreter der Steuergewerkschaft nicht sogar als letzter möglicher Zeitpunkt der 30. September genannt und eine sechswöchige Vorlauffrist als notwendig bezeichnet worden?Ich möchte jetzt zu dem unstimmigen Punkt im Verhalten von Regierung und Koalition — auch nach deren eigener Argumentationslinie — kommen. Wenn man 1980 wirklich einen neuen Tarif will, dann darf man nicht heute mit der Erhöhung des Grundfreibetrags einen wesentlichen Teil der zur Verfügung stehenden Finanzmasse verfrühstücken. Das haben uns im Hearing fast alle Vertreter bestätigt. Das gilt im übrigen auch für das eben so beredt vorgetragene Mischmodell der Frau Kollegin Funcke, das das Steuersystem darüber hinaus auch noch unnötig sehr kompliziert machen würde. Nein, wer einerseits eine langfristig konzeptionelle Steuerpolitik betreiben will und wer andererseits Steuergerechtigkeit durch Tarifneugestaltung mit einer Steuerpolitik konjunktureller Impulse verbinden will, für den gibt und gab es nur ein Mittel und einen Weg, und das ist der befristete Konjunkturabschlag, der in einen neuen Tarif einmündet.Wie ist denn im Moment das konjunkturelle Bild? Wir verzeichnen ein zum Stillstand gekommenes Wirtschaftswachstum seit dem zweiten Quartal, eine sehr flache Entwicklung des Auslandsgeschäfts, unbefriedigende Investitionsgüternachfrage; der private Konsum geht, und die Sparquote — das wird übrigens in der öffentlichen Diskussion oft gar nicht so hervorgehoben — geht leicht zurück. Der schnelle und wuchtige Schritt eines Konjunkturabschlags, wie mein Kollege Häfele das bezeichnet hat, wäre in der Tat ein Signal gewesen, hätte die Regierung Ende August die Verordnung erlassen und Anfang September, als wir aus der Sommerpause kamen, unsere Zustimmung eingeholt.Zur Erhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ist die Verminderung des Kostendrucks der Wirtschaft unbedingt erforderlich. Hier wirkt die von uns vorgeschlagene Steuersenkung zweifach: Einerseits senkt sie die Kosten direkt, und zum anderen gibt sie den Tarifpartnern einen Spielraum, die Lohnsteigerungen angemessen zu gestalten.Es ist doch einfach lächerlich, wenn man uns deshalb, weil wir diese Absicht, diese Wirkung mit unserer Maßnahme verbinden, vorwirft, wir machten uns eines Eingriffs in die Tarifautonomie schuldig. Zunächst einmal ist es widersprüchlich; denn aus den Reihen der Koalition wird argumentiert, daß es gerade der Grundfreibetrag sei, der den Gewerkschaften die Verhandlungen erleichtere Es ist aber auch lächerlich. Mit der Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages etwa beabsichtigen auch die Kollegen aus der Koalition eine Konsumanregung. Niemand ist auf die Idee gekommen, deshalb die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages als Konsumterror zu diffamieren. Niemand käme auf die Idee, deswegen zu sagen, es sei ein Eingriff in die freie Entfaltungsmöglichkeit der einzelnen Bürger. Es ist doch ganz selbstverständlich, daß Steuerpolitik Erwartungen an das Verhalten der Steuerbürger und -gruppen knüpft.Wenn wir eine unbestrittene Investitionsschwäche in der Wirtschaft haben, dann kann eine lineare Steuersenkung, die zugestandenermaßen die Bezieher hoher Einkommen linear entsprechend entlastet, doch prinzipiell so verkehrt nicht sein. Kein Mensch garantiert, daß dann die Pferde wieder saufen, wie es so schön heißt. Aber ohne Signale vom Staat, ohne daß er sich von einer Politik des ständig wachsenden Staatsanteils abwendet, wird erst recht nicht gesoffen werden; das ist ziemlich klar.Die Steuerlastquote klettert auf 25 %, die Abgabenlastquote geht auf 42 %, der Staatsanteil beträgt 47 %. Bei dieser Zuordnung von Privatem und Öffentlichem ist ohne eine Kehrtwendung Vertrauen nicht zu begründen.Was soll denn der stereotype Hinweis — Herr Böhme, Sie haben das Beispiel heute morgen hier gebracht — auf den Einkommensmillionär, der nach unserer Maßnahmen 55 000 DM Steuern spart. Wir wollen mal absehen davon, daß er noch 495 000 DM Steuern zahlt; das lassen Sie nämlich immer aus, wenn Sie hier so polemisieren. Übrigens: daß er damit sicherlich fast doppelt so viel wie ein Spitzenverdiener in manchem sozialistischen Land zahlt, damit sollten Sie sich auch einmal befassen. Davon wollen wir einmal ganz absehen. So viele von diesen Einkommensmillionären laufen ja hier gar nicht herum. Wenn ich schnell Konjunkturimpulse brauche und wenn die Wirkung insgesamt in der Breite gerecht ist, muß ich eben auch einen solchen Extremfall in Kauf nehmen und kann meine ganze Argumentation nicht an einem extremen Beispiel aufhängen.Der Konjunkturzuschlag wirkt allerdings in der Breite der Maßnahmen richtig. Von dem Finanzvolumen von 14,7 Milliarden DM entfallen über 10 Milliarden DM auf die Lohnsteuerzahler, nur über 2 Milliarden DM auf selbständige Einkommensteuerzahler und etwas unter 2 Milliarden DM überhaupt nur auf die Körperschaften. Die Regierung hat uns im Ausschuß in einer Tischvorlage — Umdruck 2 — einmal eine sehr interessante Tabelle vorgelegt, auf der Sie selber ablesen können, wen denn unsere Maßnahme nun wirklich treffen würde. Da muß man eben einfach wissen, daß 85 % der Lohnsteuerzahler Jahreseinkommen bis 50 000 DM beziehen, daß sogar 97 % bei bis zu 75 000 DM angesiedelt sind. Das sind doch Beträge, die, wenn beide heute arbeiten, durchaus erreicht werden können. Das sind doch nicht die Spitzenverdiener, die Sie hier dauernd als Buhmann aufs Tapet malen. Über 50 % der Lohnsteuerzahler liegen zwischen 20 000 und 50 000 DM. Das sind die eigentlich Progressions-belasteten. Hier liegen die Hauptprobleme der heimlichen Steuererhöhungen.Ich darf noch einen Hinweis auf das Problem der Einkommensgrenzen bei den Transferleistungen anfügen. Denn das ist unterdessen auch jedem klar-
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3576 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Dr. Langnergeworden, daß auf der einen Seite das Herausfallen aus BAföG, Wohngeld, Sparförderung und auf der anderen Seite das Hineinwachsen in die Progression zu der eigentlichen Schere, zu der Zange führt, die die Leistungslust so hemmt. Das ist ganz unbestreitbar; nur brauche ich dazu keinen Enquete-Bericht in zwei, drei, vier Jahren. Das weiß heute jeder. Mit Ihren verteilungspolitischen Scheuklappen haben Sie sich den Weg für eine sachgerechte steuerpolitische Maßnahme versperrt.Ich möchte zum Ende kommen und noch auf ein Zitat unseres Finanzministers hinweisen. Unser Finanzminister erklärte am 19. September in der „Hamburger Morgenpost" : „Weihnachten ist ein Fest der Freude, und schenken macht Spaß." Dies war seine Begründung für die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages: Steuererleichterungen als wohlmeinendes Geschenk der Regierenden, als ob Serenissimus seine Privatschatulle öffnet. Das ist eine Auffassung. Unsere Auffassung, die wir mit dem zehnprozentigen Konjunkturabschlag verbinden, ist eine Neuzuordnung von Geld in öffentlicher Hand und von Geld beim Bürger. Das haben wir im Sinn. Es ist schade und auch zu Ihrem eigenen Schaden, daß Sie uns bei diesem Vorschlag nicht folgen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Diederich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mich verwundert etwas die Statik in der Argumentation der Opposition. Ich möchte hier ganz pauschal sagen, ohne zu diffamieren: Wenn ein Unternehmer seine Entscheidungen so trifft, wie Sie das von uns in der Steuerpolitik verlangen, könnte er den Wechsel der Konjunkturen jedenfalls nicht lange aushalten.Ich empfinde die Flexibilität in der Steuergesetzgebung, Herr Kreile, als notwendig, wenn sie als Instrument der Konjunkturpolitik dienen soll.
Ich glaube, wir sind uns einig, daß sich das in einem Rahmen bewegen muß, der von den Bürgern in diesem Lande und vor allen Dingen auch von den Unternehmungen in diesem Lande in bezug auf ihre eigenen wirtschaftlichen Dispositionen verarbeitet werden kann. Aber es ist doch eine Banalität, daß es immer wieder Änderungen in der Steuergesetzgebung geben wird. Ich würde das eher für eine Flexibilität der Regierung als für des Tadels wert halten, wenn sich die Regierung bemüht, das Gesetzeswerk gerade im Steuerbereich immer wieder den Gegebenheiten, auch den wiftschaftspolitischen Gegebenheiten, anzupassen. Ich meine, es ist gerade eine der Errungenschaften des letzten Jahrzehnts, daß wir es verstanden haben, auch die Ausgaben- und die Steuerpolitik des Staates als ein wirtschaftspolitisches Instrument zu nutzen.Wenn Sie, Herr Dr. Kreile, die Änderungsflut hier beklagen, dann frage ich: Wie viele der heutigen Vorlagen stammen denn von der CDU? Wieviel Änderungswünsche hat denn die CDU an dem Einkommensteuergesetz? Es ist nicht ganz redlich, wenn man dieses Argument bringt.
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Dr. Diederich
Panikmache kommt hier nicht von der Seite der Koalition oder der Mehrheit, sondern eindeutig von der Opposition. Ich kann Sie nur auffordern: Seien Sie doch mal positiv!Was die Unternehmerentscheidungen im globalen Bereich beeinflußt, ist einmal die staatliche Nachfrage — für die tun wir mit dem Haushalt etwas; wir haben auch die Gemeinden und die Länder aufgefordert, dem zu folgen; das ist ja hier in der Debatte schon mehrmals ausgeführt worden.Und die private Verbrauchsgüternachfrage — Herr Langner hat offenbar dieselben Unterlagen gesehen wie ich —: da zeigt die letzte Runde, daß hier eine vernünftige Ausgangsbasis gegeben ist.Und schließlich die Auslandsnachfrage: die können wir nicht in dem Maß beeinflussen, wie wir es vielleicht manchmal wollen. Ich glaube, hier muß ein Defizit ausgeglichen werden. Das nun soll mit der weiteren Belebung der Nachfrage geschehen.Die Opposition hat angeführt, ein Konjunkturabschlag reize auch Investitionsentscheidungen an, und zwar direkt und indirekt. Ich möchte dazu noch einmal das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bemühen. Es sagte schon im Juli:Wie schon auf Grund der unterschiedlichen Entwicklung der Durchschnittseinkommen zu erkennen ist, hat die Einkommensdisparität zwischen Selbständigen- und Arbeitnehmerhaushalten im Berichtsjahr weiter zugenommen ...Insgesamt hat sich die Ungleichheit der Haushaltseinkommen der sozialen Gruppen — als Folge der starken Zunahme von entnommenen Gewinnen auf der einen, der mäßigen Entwicklung von Löhnen und Gehältern auf der anderen Seite — im Jahr 1976 abermals vergrößert.An anderer Stelle steht — ich verlese es nur, um Ihnen auch Zahlen zu nennen —:Das Durchschnittseinkommen der Selbständigenhaushalte stieg gegenüber 1975 um 825 DM oder mehr als 14 v. H. ..., während Angestelltenhaushalte mit 2 695 DM monatlich 100 DM oder knapp 4 v. H. mehr erzielten.14 % auf der einen Seite, 4 % auf der anderen Seite! Noch anders ausgedrückt:Ein Arbeitnehmerhaushalt hatte 1975 im Durchschnitt etwa 42 v. H., 1976 nur noch 38 v. H. der Einkommen, über die ein Selbständigenhaushalt verfügte.Die Einkommen sind also ganz offensichtlich nicht der Grund. Das Fehlen von Investitionen kann somit nicht daran liegen, daß hier 3 oder 5 oder 7 % aus dem Konjunkturabschlag dazukommen müssen, sondern es muß andere Ursachen haben. Und die liegen ganz eindeutig darüber sind sich die Ökonomen einig — in der Einschätzung künftiger Nachfrage und der Erwartung künftiger Gewinne, nicht aber in der Berechnung heutiger Gewinne. Lassen Sie mich noch einmal unterstreichen: die Progression drückt nicht alle, wie das hier immer wieder dargestellt worden ist, sondern sie drückt den unteren und mittleren Bereich. Das ist eine Logik, die wir hier immer wieder betonen müssen, die sich aus den Tatsachen ergibt.Zum Konjunkturzuschlag möchte ich noch etwas sagen. Wir brauchen hier sicherlich kein volkswirtschaftliches Seminar zu halten; aber es ist doch wichtig, auch einmal die Logik solcher Instrumente zu untersuchen. Es ist allen bekannt, daß der Konjunkturzuschlag kein Instrument der Fiskalpolitik, sondern ein solches der Wirtschaftspolitik ist. Wenn ich mich recht erinnere, sind auch die Einnahmen aus dem Konjunkturzuschlag seinerzeit, Herr Dr. Kreile, eben nicht in den Staatssäckel geflossen und in Ausgaben verwurstet worden, sondern sie sind thesauriert worden. Dies war auch ganz bewußt das Ziel, und das ist der Sinn des Instrumentes. Darin rechtfertigt er sich theoretisch und damit auch praktisch, daß nämlich Geldmittel dem Kreislauf entzogen werden. Wenn ich bloß von Privatausgaben in Staatsausgaben oder umgekehrt von Staatsausgaben in Privatausgaben umschichte, bewirke ich möglicherweise Verschiebungen auf dem Markt, ich setze andere Akzente, aber ich bewirke damit noch nicht eine Nachfragebelebung. Das würde also heißen — und dazu hat die Opposition hier nichts angeboten —, daß entweder der Konjunkturabschlag aus einem imaginären Thesaurus kommen müßte, den wir nicht haben, oder wir müssen eben Geldschöpfung betreiben. Insofern ist die Logik des Konjunkturabschlages nicht einfach in Richtung zu dem umkehrbar, was wir mit dem Konjunkturzuschlag gemacht haben, sondern es gehören Nebenbedingungen dazu, die erst geschaffen werden müssen. Das hat die Opposition offensichtlich nicht gesehen. Statt dessen sprechen Sie, Herr Langner, von dem Konjunkturabschlag als einer Wende in der gesamten Steuerpolitik. Ich glaube, daß ist ein grundlegendes Mißverständnis des Charakters dieses Instruments.Ich möchte noch einen weiteren Punkt kurz ansprechen. Wir 'sollten eine Gefahr auch sehen. Abgedroschen ist die 'Redensart vom Klotzen statt des Kleckerns. Das hören wir ja jeden Tag einmal, das ist ein sehr beliebtes Schlagwort. Aber das heißt noch nicht, daß das in der Wirtschaftspolitik immer richtig ist und immer richtig sein muß. Wir haben nämlich auch zu prüfen, wo wir uns zum heutigen Zeitpunkt in der Konjunkturlage befinden. Da möchte ich noch einmal unterstreichen: wir haben ja einiges getan. Nur, vom Gesetzgebungsprozeß bis zur ausgabewirksamen Umsetzung, etwa beim Zukunftsinvestitionsprogramm, vergeht doch einige Zeit. Das weiß auch die Opposition. Wir wissen doch alle, daß das Programm erst jetzt richtig anläuft. Das heißt, es hat seine Wirkung noch nicht voll enfalten können. 'Wir wissen, daß das 'Steueränderungsgesetz 1977 seine Wirksamkeit auch erst zu Beginn 1978 richtig wird entfalten 'können. Hier ist sozusagen für die künftige Belebung einiges getan worden, und wir stehen in der Gefahr, daß wir irgendwann an den Punkt kommen, zu übersteuern. Diese Übersteuerung wäre nach meinem Urteil 'bei der Anwendung des Konjunkturabschlages jedenfalls im jetzigen Zeitpunkt gegeben. Aus diesem Grunde haben wir uns nicht bereit finden können, diesen Vorschlag der Opposition zu befürworten.
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3578 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Dr. Diederich
Wir stehen zu dem, was Dr. Böhme in aller Ausführlichkeit vorgetragen hat. Wir haben ein ausgewogenes Paket von Maßnahmen vorgeschlagen, die in der richtigen Dosierung, im Gesamtzusammenhang gesehen, das beitragen werden, was von staatlicher Seite beigetragen werden kann, um die Wirtschaft zu beleben. Die weitere Aufgabe liegt im Bereich der privaten Wirtschaft und damit der Unternehmen.
Das Wort hat Frau Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die von uns heute und in den letzten Wochen diskutierten Steuersenkungen sind Teil eines Bündels von Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Dies bedeutet, daß wir diese Maßnahmen einzig und allein daran zu messen haben, ob ihre Wirkung auf dieses Ziel hin die beste ist.Wir glauben — das haben wir schon mehrfach diskutiert —, daß die Wirkung des von Ihnen vorgeschlagenen Konjunkturabschlages auf den Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung des hohen Geldeinsatzes von 14,7 Milliarden DM vergleichsweise gering ist, jedenfalls deutlich geringer als die Wirkung der von uns vorgeschlagenen Steuerentlastungen. Ich möchte nicht wiederholen, was wir in den vergangenen Debatten im einzelnen diskutiert haben. Ich glaube nur — das ist der Haupteinwand gegen den von Ihnen vorgeschlagenen Konjunkturabschlag —, daß die Gefahr besteht, daß ein großer Teil dieser freigesetzten Gelder eben nicht die Nachfrage beleben wird, eben nicht in den Konsum geht, den wir wünschen, sondern aufs Sparbuch. Der Nachteil Ihres Vorschlages ist gerade der, daß dort, wo der Bedarf am größten ist — z. B. bei den kinderreichen Familien —, die Entlastungswirkung am allergeringsten ist.Ein weiteres Bedenken — das muß heute auch noch einmal angesprochen werden — haben wir im Hinblick auf den Teil der Entlastung, der sich auf die Wirtschaft bezieht. Ihr Konjunkturabschlag führt dazu, daß die Körperschaftsteuer gesenkt wird. Unser Vorschlag der Verbesserung der degressiven Abschreibung hat den Vorteil, daß er investitionsgebunden ist, also nur gewährt wird, wenn tatsächlich Investitionen vorgenommen werden. Und dies ist von großer Bedeutung. Herr Dr. Kreile, Sie haben das plastische Bild gebraucht, die Wirtschaft sei heute eine ausgedörrte Wiese und da müsse man mit der Gießkanne durchs Land gehen und diese ausgedörrte Wiese insgesamt bewässern. Ich halte dieses Bild für eine falsche Beschreibung des Zustandes unserer Wirtschaft. Wenn wir dieses Bild schon benutzen, dann kann dies doch nur differenziert geschehen: die heutige wirtschaftliche Situation der Unternehmen gleicht zwar teilweise einer ausgedörrten Wiese, teilweise aber auch blühenden Blumenbeeten. Was Sie mit dem Abschlag von der Körperschaftsteuer wollen, geht doch dahin: Sie nehmen nicht nur die Gießkanne, sondern einen dicken Wasserschlauch und wässern ganz besonders die blühenden Blumenbeete, während die verdörrten Wiesen nichts erhalten, weil sie keinen Gewinn machen.
— Nein! Aber die blühenden Blumen benötigen überhaupt keine Unterstützung durch den Staat. Ich halte es nicht für ökonomisch sinnvoll, in dieser Situation die Gewinne der Banken, der Versicherungen und der großen Automobilfirmen noch zu verbessern, sondern wir müssen gerade denjenigen Unternehmen helfen, die wirtschaftliche Probleme haben.
Selbstverständlich, Herr Langner, ist es legal und auch legitim, mit Steuerbeschlüssen Erwartungen und Hoffnungen hinsichtlich der Tarifverhandlungen zu verbinden. Dabei bin ich allerdings der Meinung, daß es für Arbeitnehmer und Gewerkschaften nicht sehr hilfreich ist, dies jeden Tag dreimal lauthals zu verkünden. Aber es ist legitim, Hoffnungen damit zu verbinden. Unsere Sorge geht aber dahin, daß diese Hoffnungen durch Ihren Vorschlag eben nicht erfüllt werden. Denn Sie werden keinem Arbeitnehmer klarmachen können, daß er sich bei den Tarifverhandlungen wegen eines Betrags von 20 DM oder 30 DM zurückhalten müsse, wenn gleichzeitig sein Arbeitgeber ein Vielfaches dieser Steuererleichterungen durch Ihren Konjunkturabschlag erhält.
Auf die großen Ausfälle bei den Gemeinden hat Frau Funcke schon hingewiesen sowie auf die Nachteile, die dann hinsichtlich der konjunkturpolitischen Lage entstehen. Die Gemeinden und die Länder würden zusammen mit Sicherheit ca. 9 Milliarden DM verlieren. Dies würde auch zu einer Verzögerung der Abflüsse der Bundesmittel bei den Investitionsprogrammen führen.Zusammengefaßt meine ich: Es steht fest, daß die heutige Arbeitslosigkeit nicht nur konjunkturelle Ursachen hat. Sie hat konjunkturelle Ursachen, sie hat strukturelle Ursachen — ich verweise darauf, daß heute z. B. Herr von Bismarck in der „Welt" die Probleme als Zeichen einer Strukturkrise ausdrücklich bestätigt hat — und sie hat demographische Ursachen. Wenn aber eine Vielzahl von Ursachen vorhanden ist, dann ist es nicht richtig, darauf mit einer einzigen globalen Maßnahme zu antworten, die uns zudem noch das notwendige Geld für die anderen Maßnahmen wegnimmt. Ein Patentrezept gibt es nicht. Aus diesem Grunde müssen wir Ihren Vorschlag auf Einführung eines befristeten Konjunkturabschlags ablehnen. Wir schlagen statt dessen ein Bündel von Maßnahmen vor, das zum Ziel hat ein deutliches Aufstocken der öffentlichen Haushalte, weitere öffentliche Investitionen, Verstärkung im sozialen Wohnungsbau, verstärkte Einstellungen im öffentlichen Dienst dort, wo Personalengpässe sind,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3579
Frau Matthäus-Maierwie z. B. bei der Arbeitsverwaltung, Anreize für private Investitionen, Anreize für energieeinsparende Ein- und Umbauten und begrenzte Steuererleichterungen.Was die Steuererleichterungen für die Wirtschaft angeht, so ist es wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, daß diese sich nicht nur auf die in diesem Paket vorgesehene Verbesserung der degressiven Abschreibung beschränkt. Seit 1974 sind folgende Erleichterungen im wirtschaftlichen Bereich durchgeführt worden: die Investitionszulage von 7 Milliarden DM, die Einführung des Verlustrücktrags mit einem Entlastungsvolumen von jährlich 400 Millionen DM, Erleichterungen vom 1. Januar 1978 an bei der Gewerbeertrag-, Gewerbekapital- und Lohnsummensteuer in Höhe von einer halben Milliarde DM, die Körperschaftsteuerreform mit ihren strukturellen Verbesserungen für die Kapitalgesellschaften und ihre Anteilseigner, die Senkung der Vermögensteuer in Milliardenhöhe und jetzt die degressive Abschreibung, die erhöhte Zulage für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen sowie die Steuerfreiheit der Ausbildungsplatzprämie. Dies muß zusammengenommen werden. Dies sind vom Volumen her insgesamt erhebliche Erleichterungen im wirtschaftlichen Bereich.Sie haben im Finanzausschuß den Antrag gestellt, daß über die Steuerfreiheit der Ausbildungsplatzprämie nach dem Ausbildungsplatzförderungsgesetz hinaus die Bundesregierung ermächtigt wird, eine Rechtsverordnung zu erlassen, durch welche ein Ausbildungsplatzabzugsbetrag auch bei anderen finanziellen Hilfen des Bundes oder der Länder zur Sicherung von Ausbildungsplätzen gewährt wird. Wir haben diesen Antrag abgelehnt. Ich glaube, es ist wichtig, hier kurz auf die Gründe einzugehen. Sie wissen, daß wir alle schon bei der Einführung des Steuerabzugsbetrages für die Ausbildungsplatzprämie erhebliche steuersystematische Bauchschmerzen haben. In § 3 c des Einkommensteuergesetzes heißt es nämlich:Soweit Ausgaben mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, dürfen sie nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgezogen werden.Nach diesem Paragraphen sind somit öffentliche und auch sonstige Hilfen grundsätzlich zu versteuern. Sinn dieser Regelung ist es, daß man nicht einerseits die Kosten als Betriebsausgaben abzieht und zugleich die Finanzierungshilfen steuerfrei erhält.Wir meinen, daß der vorliegende Gesetzentwurf mit der Einführung des Ausbildungsplatzabzugsbetrages diese steuersystematische Schwierigkeit deswegen umgeht, weil es sich bei dieser Förderung um eine Art Selbsthilfe der Wirtschaft handelt, um eine Umlage innerhalb der Wirtschaft selber. Wenn wir aber Ihrem Antrag gefolgt wären, der dazu führen könnte, daß sämtliche öffentlichen Ausbildungsplatzförderungshilfen der Länder — Sie wissen, daß diese in den einzelnen Ländern außerordentlich hoch sind — steuerfrei gegeben werden, dann haben Sie das System des § 3 c völlig durchbrochen. Wir werden dann zukünftige Ansprüche dieser Art auf anderen Gebieten nicht zurückweisen können, abgesehen davon, daß eine solche Maßnahme außerordentlich teuer wäre und von Ihnen auch nicht beziffert werden konnte.Der eigentliche Streitpunkt — darauf hat Frau Funcke hingewiesen — bleibt in diesem Paket der Grundfreibetrag. Ich glaube, es sollte noch einmal darauf hingewiesen werden, daß die Polemik gegen den Grundfreibetrag als egalitäre, also für alle gleich wirkende Maßnahme an unserem heutigen Steuersystem vorbeigeht. Auch unser heutiges Steuersystem kennt egalitär wirkende Maßnahmen wie den Grundfreibetrag. Wenn in einem Gesamtpaket, abgesehen von dem Kindergeld, das Sie ja hoffentlich nicht wieder ändern wollen — zum Teil gibt es bei Ihnen allerdings Bestrebungen, dies wieder in einen Freibetrag umzuändern —, alle übrigen Maßnahmen sich progressionsmildernd auswirken, und der Grundfreibetrag die einzige Maßnahme ist, die für alle gleich wirkt, dann sind, glaube ich, Vorwürfe der Art, hier handele es sich — das ist ein beliebtes Wort der letzten Debatte — um Vulgärsozialismus, völlig abwegig.Ich glaube — ein entsprechender Vorwurf ist auch heute morgen wiederholt worden —, daß eine Erhöhung des Grundfreibetrags auch nicht einer Tarifreform entgegenstehen würde. Heute ist es doch so, daß z. B. ein Sozialhilfeempfänger allein für den laufenden Lebensunterhalt — ohne die weiteren Zulagen für Miete, Hausrat, Kleidung usw. — zirka3 500 DM im Jahr steuerfrei erhält. Ich glaube, man kann niemandem klarmachen, weshalb ein Steuerpflichtiger damit bereits zur Steuer herangezogen werden soll. Bei einer notwendigen Tarifreform wird man also auch, wie es Herr Streibl aus Bayern richtig vorgeschlagen hat, den Grundfreibetrag anheben müssen.Den Ausführungen von Frau Funcke ist, meine ich, nichts weiter hinzuzufügen. Frau Funcke hat, wie Sie wissen, als Kompromißmöglichkeit eine Kombination aus einer Erhöhung des Grundfreibetrages und der Einführung des vom Bundesrat vorgeschlagenen Tarifausgleichsbetrages ins Gespräch gebracht. Sie hat darauf hingewiesen, daß der Unterschiedsbetrag höchstens 4,30 DM ausmacht. Ich habe mir einmal eine Tabelle aufstellen lassen, um zu sehen, wieviel der Unterschied bei den übrigen Einkommen ausmacht. Bei einem Alleinstehenden mit einem zu versteuernden Monatseinkommen von1 500 DM beträgt die Differenz zwischen dem vom Bundesrat vorgeschlagenen Tarif ausgleichsbetrag und dem — lassen Sie es mich so bezeichnen — Funcke-Modell 0,16 DM, bei einem zu versteuernden Monatseinkommen von 2 000 DM 1,08 DM, bei einem zu versteuernden Monatseinkommen von2 500 DM 1,83 DM. Das geht so weiter bis zu dem Differenzbetrag von 4,30 DM.Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie werden keinem Bürger draußen klarmachen können, daß sich der Bundestag hier heute in dieser Frage nicht einig werden kann. Sie werden keinem Bürger klarmachen können, daß wir über diese Frage, die auf einen Unterschied von 4,30 DM hinausläuft, auf Biegen und Brechen in ein Vermittlungsverfahren werden eintreten müssen. Wir bedauern das
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3580 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Frau Matthäus-Maiersehr. Wir haben rechtzeitig einen Kompromißvorschlag gemacht. Wir sollten uns alle darum bemühen, daß dieser möglichst bald Wirklichkeit wird.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch ein Thema ansprechen, das von Ihnen, speziell von Herrn Gaddum, für das Jahr 1978 als Ausweg, als angeblicher Kompromiß angeboten worden ist: die Tarifreform. Auch ich bin der Meinung, daß eine Tarifreform zum 1. Januar 1978 die optimale Lösung gewesen wäre. Nur glaube ich, daß es nicht redlich ist, so zu tun, als ob wir in der kurzen Zeit, die uns zur Verfügung gestanden hat, eine Tarifreform hätten durchführen können.
Abgesehen davon, daß es einem Parlament wirklich nicht zuzumuten ist, innerhalb von ein bis zwei Wochen eine komplizierte Tarifreform durchzuführen, ist auch noch eine Vielzahl von Fragen ungeklärt. Diese möchte ich hier nur ganz kurz problematisieren; denn ich halte es nicht für gut, daß in der Offentlichkeit mit einer Tarifreform falsche, viel zu hoch gesteckte Erwartungen verbunden werden.Ein Stichwort, das immer wieder durch die öffentliche Diskussion geistert, ist das Wort von dem durchgehenden Tarif zum Abbau der starken Progression. Nur am Rande möchte ich bemerken, daß die Progression selbstverständlich nicht etwas grundsätzlich Schlechtes ist. Wir haben in unserem Steuersystem nämlich vorgesehen, daß mit steigender Leistungskraft auch verstärkt Steuern gezahlt werden müssen. Das ist der Sinn der Progression. Das Problem, das wir haben, ist, daß ein Teil der Lohnsteigerungen auf der Geldentwertung beruht.
Real sind die Lohnsteigerungen deshalb nicht so hoch, wie es nominal den Anschein hat. Ich erwähne dies deshalb, weil immer wieder undifferenziert gefordert wird, man müsse die Progression abbauen. Deswegen ist eine solche Klarstellung wichtig: wir müssen die durch die nominalen Lohnsteigerungen herbeigeführte Progressionswirkung und den damit verbundenen harten Tarifsprung von 22 auf 30,8 % abbauen.Der große Nachteil bei einem durchgehenden Tarif, ein Nachteil, der in der Offentlichkeit nicht gesehen wird, wäre aber doch der, daß die Progressionswirkung noch stärker würde als vorher. Jede zusätzlich verdiente Mark, und zwar von ganz unten bis ganz oben, würde einer höheren Besteuerung unterliegen. Das heißt: Der Unmut darüber, daß bei Lohnerhöhungen, bei Überstunden, bei Akkord die zusätzlich verdiente Mark höher besteuert würde, würde gerade bei einem durchgehenden Tarif zweifellos verstärkt. Sie wissen außerdem, daß nach dem im Tarifbericht diskutierten Modell T 5 bereits ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 9 000 DM bei einem Alleinstehenden die Grenzsteuerbelastung ansteigen würde. Sie haben dann nur die Alternative, diesen T 5 so weit herunterzuziehen, daß eine solche Grenzsteuererhöhung nicht eintreten würde. Dann aber würde ein solcher Tarif unbezahlbar.Das zweite Problem beim durchgehenden Tarif wäre das Problem von etwa einer Million zusätzlicher Veranlagungsfälle. Die Deutsche Steuergewerkschaft weist darauf hin, daß dieses Problem nach ihrer Ansicht durch eine generelle Veranlagung aller Arbeitnehmer, durch ein vereinfachtes Veranlagungsverfahren gelöst werden könnte. Nur der Fairneß halber will ich darauf hinweisen, daß das Finanzministerium uns gesagt hat, in einem Planspiel sei die Nichtdurchführbarkeit eines solchen Veranlagungsverfahrens nachgewiesen worden.Ich meine daher — aus diesem Grunde habe ich das heute hier gesagt —, alles dies zeigt, daß wir die Tarifreform im nächsten Jahr ruhig, offen und unideologisch gemeinsam diskutieren sollten, daß wir uns z. B. dieses Planspiel vorführen lassen sollten, daß wir die anderen in der Diskussion befindlichen Tarife — T 600, T 602 oder andere Modifikationen — offen durchdiskutieren sollten. Meine Bitte war nur: bitte, keine falschen Erwartungen mit der Tarifreform schüren und sich jetzt auf das Maßnahmenpaket konzentrieren, das vorliegt! Ich glaube, daß mit dem Kompromißvorschlag von Frau Funcke ein echtes, ein faires Angebot für eine Einigung gegeben ist. Diese sollte möglichst schnell angestrebt werden.
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich gleich an den letzten Punkt anschließen: Tarifreform. Ich glaube, die Kollegin Matthäus hat uns hier einige sehr bedenkenswerte Überlegungen für einen durchgehend progressiven Steuertarif an die Hand gegeben. Ich möchte ein weiteres Argument hinzufügen: Es ist für die Tarifvertragsparteien zur Zeit wenigstens insoweit einfach, Lohnabschlüsse zu tätigen, als die Löhne noch in der Proportionalzone der Besteuerung sind, weil man dann sehr genau weiß, daß eine Lohnsteigerung von X Prozent — von 6 %, von 7 %, was auch immer — proportional besteuert wird und auch die Sozialversicherungsabgaben proportional erhoben werden, so daß bei den Arbeitnehmern dann auch in der Tat 6 % in der Lohntüte mehr bleiben. Wir sehen deswegen bei Tarifabschlüssen der Gewerkschaft, deren Mitglieder überwiegend bereits in der Progressionszone sind — ich denke hier insbesondere an die IG Druck und Papier —, zunehmend Probleme für die Gewerkschaften, indem nämlich die Gewerkschaften von ihren Mitgliedern anschließend gefragt werden, wo denn nun diese 6 %ige, 7 %ige oder X %ige Lohnerhöhung geblieben sei, weil genau das eintritt, was Frau Matthäus hier angesprochen hat: daß nämlich jede zusätzliche Mark progressiv mehr besteuert wird. Ich meine also, wir
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3581
Bundesminister Dr. Apelmüssen uns sehr, sehr genau überlegen, ob wir den Tarifvertragsparteien die Tarifverhandlungen mit einem durchgehenden Progressionstarif erschweren wollen, weil dann diese Effekte über die ich gesprochen habe, überall eintreten. Das ist das eine.Das zweite: Eine Tarifreform, die in die Nähe der Aufkommensneutralität kommt, können wir uns wohl kaum vorstellen. Aber selbst eine Tarifreform, die nun einige Milliarden kostet, würde bei einem durchgehenden Progressionstarif dazu führen, daß schon in der oberen Zone der jetzigen Proportional-zone mehr Steuern gezahlt werden müßten, zumindest sind wir in der sehr großen Gefahr. Dann, meine sehr geehrten Damen, meine Herren, muß ich Sie fragen, ob Sie sich dies politisch vorstellen können, ob Sie auf diese Weise sehenden Auges in eine schlimme Debatte hineinlaufen wollen. Andererseits muß ja wohl auch das Geld für eine Tarifreform da sein. Es hat keinen Zweck, daß die Steuerpolitiker Tarife konstruieren, darüber sprechen und vielleicht auch Beschluß fassen wollen, ohne Rücksicht auf die Kassenlage zu nehmen. Dies alles führt mich zu dem Ergebnis, daß es wirklich unangemessen wäre, unangemessen auch angesichts der Überlegungen von Frau Funcke, hier mal eben heute und jetzt eine Tarifreform zu machen. Wenn ich über Geld rede, dann stellen Sie von der CDU/CSU selber fest, wie die Vertreter der Gemeinden bei der CDU angesichts des wuchtigen Zuschlagens von Herrn Häfele schon versucht haben, sich über einen entsprechenden Antrag beim Bund und bei den Ländern schadlos zu halten.Lassen Sie mich eine weitere Bemerkung machen. Insbesondere Herr Dr. Langner hat in den Zettelkasten gegriffen.
— Normalerweise ist es ein Zeichen dafür, daß man keine eigene Konzeption vorträgt, wenn man Zitate eines Bundesministers aus den letzten Jahren zusammensucht, um damit irgend etwas zu beweisen. Das stört mich überhaupt nicht. Nur, ich kann für meine Person — ich gehöre jetzt dem Deutschen Bundestag zwölf Jahre an — sagen, daß ich so etwas nie getan habe, weil dies eigentlich uninteressant ist. Es geht hier um Politik und nicht um irgendwelche zusammengesuchten Zitate.
Nur, eines will ich hier sehr deutlich sagen: Ich weiß natürlich, was ich im Jahre 1974 gesagt habe. Aus der Sicht des Jahres 1974 war das richtig.
Ich weiß auch, was ich in den Jahren 1975, 1976 und 1977 gesagt habe. Aber das zentrale Problem zwischen Ihnen und mir ist doch folgendes: Ich trage nun bald 31/2 Jahre als Bundesminister der Finanzen die Verantwortung für die Finanzpolitik.
— „Leider", das kann ich verstehen. Sie möchten gern regieren; wir hätten das nicht so gerne, denn wir sehen ja, welches Bild Sie uns bieten.
Natürlich muß ich mich als Bundesminister der Finanzen, auch wenn es mir manchmal schwerfällt, neuen ökonomischen Gegebenheiten stellen. Das bedeutet auch, neue Maßnahmen zu ergreifen. Dann können Sie natürlich ausgangs des Jahres 1977 an Hand von Zitaten aus dem Jahre 1974 beweisen, wie unrecht ich damals aus heutiger Sicht hatte. Ich weiß nur nicht, was das eigentlich soll.
— Ich komme darauf sofort zurück. Politik heißt doch Anpassung an neue Gegebenheiten.Nun komme ich zu den Zitaten aus diesem Jahr. Der Bundeswirtschaftsminister hat uns gestern deutlich gemacht, daß alle Institute am Beginn dieses Jahres ein hohes Wirtschaftswachstum für dieses Jahr vorausgesagt haben, nicht nur national, sondern auch international. Jetzt ist dieses Wirtschaftswachstum vorübergehend ins Stocken geraten. Was erwarten Sie eigentlich vom Bundesfinanzminister? Ich denke, Sie erwarten von ihm, daß er sich neuen Herausforderungen mit neuen Maßnahmen entgegenstemmt, daß er nicht stur bleibt bei den Dingen, die er auch in der Regierungserklärung am Anfang dieses Jahres für richtig gehalten hat. Politik ist immer nur die Kunst des Möglichen. Immer konsequent sein, hat Bismarck gesagt, heißt dumm sein. Hier muß man sich in der Tat hin und wieder neuen Gegebenheiten anpassen.Ich bleibe aber im übrigen bei meiner Aussage, daß wir Finanzpolitiker allen Grund haben, Modetrends zu widerstreben. Ich bin weiterhin dieser Meinung. Für mich heißt z. B. Haushaltspolitik Finanzpolitik. Das bedeutet, daß wir auch in den vor uns liegenden Jahren das Ziel der Haushaltskonsolidierung nicht aus den Augen verlieren dürfen. Insofern ist hier — ich habe das in meiner Einbringungsrede gesagt — nur eine Kurskorrektur vernünftig, aber nicht eine totale Kursveränderung.Ich möchte nichts zu den Bemerkungen über die Jährlichkeit — ich habe dazu gestern Stellung genommen —, zu dem Problem der Staatsausgaben und auch nichts zu dem Problem Bürokratie sagen; denn ich halte nichts davon, wenn in diesem Deutschen Bundestag Tag für Tag im Stile tibetanischer Gebetsmühlen dieselben Argumente vorgetragen werden. Wir dürfen uns dann nicht wundern, daß das Plenum so leer ist, wenn Sie jeden Tag die gleichen Reden halten, auch Sie, Herr Dr. Kreile. Das hat doch keinen Zweck.
Im übrigen konnte ich mich bei der gestrigen Rede von Herrn Strauß wenigstens noch amüsieren. Das war ja eine durchaus witzige Rede. Nur wenn das gleiche ein zweites Mal mit den gleichen Argumen-
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3582 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Bundesminister Dr. Apelten ohne neue Witze kommt, dann nehme ich dazu nicht mehr Stellung. Ich verweise auf das Protokoll der gestrigen Sitzung.Letzte Bemerkung — und dann bin ich in der Lage gewesen, in acht Minuten zu antworten; dies zeigt natürlich auch die Qualität Ihrer Argumente, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition —:
Ich finde, das, was Frau Funcke zum Thema „Kompromiß" — durch Zahlen untermauert — gesagt hat, trifft den Nagel auf den Kopf.
Es ist schade, daß wir nicht in der Lage gewesen sind, die letzten Tage zu nutzen. Ich habe daraus eine Lehre gezogen: Da sagt — von Ihrer Seite — der eine Landesminister das, der andere jenes, der dritte dieses. Bei Ihnen gibt es eben — und das ist unser Problem in der Steuerpolitik — keine Position, mit der man rechnen und mit der man verhandeln könnte.
Dies macht uns die Dinge so schwer. Und Frau Funcke hat recht: Der Weg durch den Vermittlungsausschuß ist überflüssig; wir hätten uns in diesen Tagen einigen können. Wenn das nicht so ist, liegt es an der Konzeptionslosigkeit, die wir leider bei Ihnen feststellen müssen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Wartenberg.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, wenn man während der letzten Monate die steuerpolitische Diskussion Ihrer Seite beobachtet hat, muß man annehmen, ein nur an ruhige Binnengewässer gewöhnter Segler sei plötzlich auf hoher See in den stürmischen Wind geraten; das Staatsschiff kommt nicht voran, es stampft und ächzt, das Segel flattert — man sagt auch „killt" —, die Wellen schütteln die Mannschaft durcheinander, ein geschlossenes Handeln ist nicht mehr möglich, und der Steuermann paddelt mal auf backbord, mal auf steuerbord — natürlich überwiegend auf backbord, weil das links ist —;
anstatt das Ruder herumzureißen und die Segel richtig zu stellen — und jede Wende erfordert Herz
und Mut —, riskiert man das Kentern des Bootes.
Meine Damen und Herren, bei der Ausgangslage der heutigen Steuergesetze sind wir uns in der Bewertung einig. Es geht darum, mehr Nachfrage zu schaffen, Impulse zu schaffen, Triebkräfte für die Konsum- und die Investitionsnachfrage zu schaffen. Aber bei der Bewertung dieser Entwicklung widersprechen Sie sich laufend. Einige von Ihnen reden plötzlich von einem langfristigen Strukturwandel; ich sage, sie reden plötzlich davon, weil sie früher einmal glaubten, mit kurzfristigen Maßnahmen die unmittelbar bevorstehenden Aufschwünge dirigieren zu können. Andere sprechen von einer nicht vorhersehbaren dramatischen konjunkturellen Entwicklung, und diese dramatische konjunkturelle Entwicklung führt zu völlig unterschiedlichen steuerpolitischen Argumenten vor und nach der Sommerpause.
Wir müssen Sie fragen, Herr Diederich: Haben Sie eigentlich in den vergangenen Jahren alle wirtschaftswissenschaftlichen Gutachten, haben Sie die Prognosen gelesen? Hören Sie bei den Debatten in diesem Hause eigentlich zu? Wir sind ja gezwungen, immer wieder dasselbe zu sagen, weil Sie nicht glauben, daß das, was wir vor zwei Jahren und vor einem Jahr vorausgesagt haben, eingetreten ist.
Frau Matthäus, wir sind uns darin einig, daß es an Nachfrage fehlt. Aber wenn man meint, daß die klassischen Konjunkturinstrumente versagt haben, muß ich sagen, das stimmt nicht. Die klassischen Konjunkturinstrumente wurden ja, wenn überhaupt, viel zu spät eingesetzt. Und wenn man von klassischen Konjunkturinstrumenten spricht, dann denken Sie immer nur an deficit spending, an Schuldenmachen, an Staatsaufträge. Es gehört aber auch die andere Seite dazu. Der Staat wird nämlich zum Träger einer negativen Konjunkturentwicklung, wenn er den privaten Spielraum immer mehr einengt, wenn er den Investoren den Mut zum Wagnis nimmt, wenn er den privaten Konsumenten Sorge um die Zukunft auferlegt. Insoweit wird man nur dann Erfolg haben können, wenn es gelingt, das Vertrauen in eine langfristig angelegte Steuer- und Wirtschaftspolitik wiederherzustellen.
Gerade die Steuerpolitik der letzten zwölf Monate ist doch ein beredtes Beispiel für die Widersprüche, für die Hektik, für die Stop-and-go-Politik des Herrn Bundesfinanzministers. Vor der Wahl waren Sie gegen die Mehrwertsteuererhöhung. Nach der Wahl kündigten Sie diese Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar 1977 an. Dann legten Sie dem Bundestag einen 2%igen Erhöhungsvorschlag zum 1. Januar 1978 vor, und zwar aus haushaltspolitischen Gründen. In der Sommerpause stimmen Sie einem 1 %igen Steuererhöhungsvorschlag bei vollem Ausgleich zu; von Haushaltspolitik war überhaupt keine Rede mehr. Danach verkündeten Sie Ruhe an der Steuerfront. Vierzehn Tage später verkündeten Sie Steuererleichterungen für das Wahljahr 1980. Nach der Sommerpause spekulierten Sie mit ihren Fraktionskollegen bereits über Steuererleichterungen für das nächste Jahr. Während der Beratungen des vorliegenden Steuerpaketes geben Sie zu überlegen, ob man die Steuergesetze nicht jedes Jahr ändern sollte. Meine Damen und Herren, heute weiß doch jeder von uns, daß der vorliegende Steuergesetzentwurf das Klassenziel so nicht erreichen wird. Spätestens morgen werden auch Sie wissen, daß die Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar 1978 konjunkturpolitisch verfehlt sein wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Bitte sehr, Herr Kühbacher.
Herr Kollege, Sie haben den Kollegen Diederich gefragt, ob er zugehört habe. Ich frage Sie, ob Sie zugehört haben, als hier Herr Kollege Dr. Langner sprach. Sie scheinen dieses Konzept noch einmal abzulesen. Wir haben das gleiche hier schon mal vor einer 'Dreiviertelstunde gehört.
Entschuldigen Sie, Herr Kühbacher, ich bin doch nicht daran gehindert, hier die Wahrheit zu sagen.
Meine Damen und Herren, was soll diese Hektik? In den Finanzämtern und bei den Steuerzahlern wächst das Unverständnis über diese teilweise widersprüchliche und sich zeitlich überlagernde, immer komplizierter werdende Steuergesetzgebung. Die Steuerpolitiker Ihrer Fraktion kommen mir manchmal wie Mieter einer Altbauwohnung mit einer durch Ventil zu steuernden Heizung vor. Wenn es zu heiß ist, dann müssen sie das Ventil zudrehen. Kurz danach ist es dann zu kalt; dann drehen sie es wieder auf. Sie laufen immer hin und her, hin und her. Vertrauen Sie einem Thermostaten! Er regelt das automatisch. Der Thermostat unserer Wirtschaftsordnung ist nun einmal die Privatinitiative, der Spielraum, den die Marktwirtschaft für Investitionen läßt.
Meine Damen und Herren, gerade in der Konjunkturpolitik und in der Steuerpolitik kommt es auf die längere Geltungsdauer der Bestimmungen an, auf die sich die Bürger dann verlassen können. Natürlich verspricht eine Politik nur dann Erfolg, wenn auch die Investitionsbedingungen, vor allem steigende Nachfrage mit steigendem Absatz und steigenden Erträgen, gegeben sind.
Nur ein Blick durch die ideologische Brille erlaubt es, die Wurzel für die anhaltende Arbeitslosigkeit vor allem in der Zurückhaltung der öffentlichen Nachfrage oder gar im flacheren Verlauf der Weltkonjunktur zu sehen. Wer aber — wie die Koalition — angesichts der Notwendigkeit der Schaffung zusätzlicher Nachfrage immer nur an staatliche Aufträge denkt, wer — wie im Hearing des Finanzausschusses der Deutsche Gewerkschaftsbund — vor dem Folgekostendenken bei öffentlichen Investitionen warnt, weil dadurch öffentliche Investitionen in Frage gestellt werden könnten, der wird langfristig unser Wirtschaftssystem verändern.
Auf dem Tisch liegen heute zwei klare Alternativen. Zunächst sind wir uns im Prinzip über die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages und die Verbesserung der Abschreibungsbedingungen einig. Wir wissen auch, daß die Verbesserung der Abschreibungsbedingungen nur eine kleine Angleichung an die Abschreibungsbedingungen des Auslandes und nur eine kleine Anpassung an die infolge des technologischen Fortschritts notwendige schnellere wirtschaftliche Abschreibung darstellt. Die Verbesserung dieser Abschreibungsbedingungen wird Neuinvestitionen anregen und bereits geplante und notwendige Investitionen verstärkt absichern.
Daß Sie, meine Damen und Herren und Herr Professor Diederich, bei der Formulierung der Verbesserung der Abschreibungsbedingungen gänzlich die unterschiedliche Handhabung, die unterschiedliche Präferenzstruktur der Abschreibungen in Berlin, im Zonenrandgebiet und im übrigen Bundesgebiet vergessen haben, spricht doch einfach für die Nervosität, mit der sie dieses Gesetz mit heißer Nadel gestrickt haben.
Uns ist nicht damit geholfen, wenn ein neuer Ausschuß damit beauftragt wird, zu überprüfen, inwieweit man die Strukturpolitik, von der Sie immer reden, umgestalten könnte, damit sie im Zonenrandgebiet und in Berlin erfolgreich sein kann. Wir wollen, daß solche Verbesserungen, wenn sie vorgenommen werden, parallel erfolgen. Wir wollen ferner, daß diese Präferenzstruktur nicht auch nur wenige Monate in Frage gestellt wird, denn dieses Infragestellen verhindert gerade in den nächsten Wochen und Monaten Entscheidungen, die notwendig sind.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wittmann?
Bitte sehr.
Herr Kollege, wie wollen Sie Ihren Wählern verständlich machen und es draußen vertreten, daß bei Annahme Ihres Vorschlages eines 10%igen Konjunkturabschlages ein Abgeordneter eine durchschnittliche Steuervergünstigung von 2 500 DM erhält, während bei Annahme unserer Vorlage diese Steuervergünstigung nur 250 DM beträgt?
Herr Kollege, ich habe Sie vorhin schon gebeten, doch zuzuhören. Zum Konjunkturabschlag habe ich noch gar nichts gesagt. Darauf komme ich gleich noch zurück.
Wir haben im Finanzausschuß beantragt, diese Präferenzstruktur im nachhinein wieder zurechtzurücken. Nur das ist sinnvoll und vernünftig für eine langfristige Strukturpolitik. Dieser Antrag wurde bei Stimmengleichheit abgelehnt.Die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages ist seit langem, gerade als Ausgleich für die Geldentwertung und die zunehmende Steuerprogression, mehr als überfällig. In der dritten Lesung wird der Kollege Stutzer unseren Antrag begründen, mit dem
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Dr. von WartenbergIhnen die Möglichkeit geboten wird, den Arbeitnehmern heute die Sicherheit zu geben, den Weihnachtsfreibetrag auch tatsächlich mit Wirkung ab Dezember zu haben.Bei den Beratungen des Steuerpaketes sollten Sie die Worte Ihres Finanzministers Halstenberg aus Nordrhein-Westfalen ernst nehmen, der gesagt hat: Wir geben doppelt, wenn wir rasch geben, und wir geben nichts, wenn wir spät geben. Dieser Spruch gilt auch für den zweiten, den strittigen Teil des Gesetzes, auf den sich Ihre gesamten konjunkturpolitischen Hoffnungen konzentrieren. Wir meinen, durch einen wuchtigen, entschlossenen, sofort wirksamen Ruck ändert sich der Kurs, füllen sich die Segel — um mit den Seglern aus Hamburg zu sprechen —, bekommen wir wieder Fahrt. Sie meinen, ein bißchen Paddeln, mal links, mal rechts, würde genügen.Die gesetzliche Ermächtigung zum Konjunkturabschlag ist nicht nur ein Recht, sondern es ist in dieser Situation eine Verpflichtung der Bundesregierung, zeitgerecht zu handeln. Sie glauben, mit 9,35 DM mehr im Monat, mit drei Schachteln Zigaretten die Konjunktur ankurbeln zu können. Noch nie haben so viele Bürger so lange auf so wenig warten müssen.
Wenn im Hearing alle Sachverständigen, mit einer Ausnahme, zum Ausdruck gebracht haben, daß unser Vorschlag der zur Zeit angemessene Vorschlag ist, dann, Herr Böhme, ist es nicht Rechthaberei, wenn wir es ablehnen, auf den Kompromiß einzugehen. Wir sind Sachargumenten zugänglich. Das Heraring diente dazu, unsere Sachargumente zu untermauern; das ist uns gelungen. Die Fachleute sprechen für uns, also sind wir auch aufgefordert, diesen Antrag weiterhin aufrechtzuerhalten.Der von uns vorgeschlagene 10%ige Steuerabschlag kann ohne Zeitverzögerung sofort, im Grunde genommen heute, durch Rechtsverordnung in Kraft gesetzt werden. Wenn wir dem zustimmen, werden 14 Milliarden DM für privatwirtschaftliche Aktivitäten frei, davon knapp 10 Milliarden DM für die Arbeitnehmer, für den Konsum und knapp 4 Milliarden für die Betriebe, für neue Investitionen. Mit Ihrem Vorschlag, den Grundfreibetrag zu erhöhen und jedem eine einheitliche Entlastung von 9,35 DM zu gewähren, rücken Sie der bedrückenden Steuerprogression doch nur halbherzig zu Leibe. Wissen Sie denn nicht, daß 57 % der Lohnsteuerzahler einen Bruttolohn zwischen 25 000 und 75 000 DM haben, aber insgesamt 77 % des gesamten Lohnsteueraufkommens aufbringen? Dazu gehören nicht die Millionäre, auf die Sie sich so gern beziehen — leider haben wir nicht genug davon —, sondern dazu gehören die Facharbeiter, die Aufsteiger, die jungen Akademiker, diejenigen, die etwas leisten wollen. Jeder lebt von seiner Arbeit, und je besser er sie tut, desto besser kann er leben. Dieses Prinzip wollen Sie doch wohl nicht bestrafen, dieses Prinzip gilt es zu stützen.Sie polemisieren gegen unseren Konjunkturabschlag mit dem -Argument, er sei ungerecht. WissenSie denn nicht, daß ein verheirateter Arbeitnehmer mit zwei Kindern und einem monatlichen Bruttolohn von 4 000 DM zwar doppelt soviel verdient wie der mit einem Bruttolohn von 2 000 DM, aber heute schon dreimal so viele Steuern zahlt? Wäre es nicht gerechter, ihn auch absolut mehr zu entlasten?
Sie begründen Ihren Vorschlag mit der verteilungspolitischen Variante. Natürlich spielt diese verteilungspolitische Variante bei jeder Steueroder Tarifrunde auch eine Rolle. Aber von größerer Bedeutung ist doch die Nettolohnsteigerung, die der Arbeiter in seinem Portemonnaie spürt. Diese Nettolohnsteigerung ist wegen der starken Steuerprogression nur schwer zu realisieren. Ich habe die Argumente für diese verteilungspolitische Variante bei der vergangenen Mehrwertsteuerrunde von Ihrer Seite vollkommen vermißt. Da haben Sie nicht an die kinderreichen Familien gedacht, die durch diese Mehrwertsteuererhöhung mehr als andere belastet wurden.
Der von der CDU/CSU vorgeschlagene Steuernachlaß nach den Vorschriften des Stabilitätsgesetzes bedeutet dagegen einen sofortigen, einen wuchtigen Nachfragestoß, der sich nicht nur auf die Einkommen der unselbständig Tätigen, sondern eben auch auf die Rentabilitätsüberlegungen der selbständig Tätigen konzentriert.Daß dieser von uns vorgeschlagene Schritt darüber hinaus eine wirksame Vorstufe für die Tarifbereinigung, für eine Verbesserung des Tarifes ist, ist jedem verständlich. Daß man mit jedem Kleinklein vorweg die Milliarden wegnimmt, die man später für einen vernünftigen Tarif benötigt, ist jedem, der rechnen kann, wohlbekannt.Seit wann, Herr Böhme, sind Sie denn auf die Vorschläge der Opposition angewiesen? Soll denn das Land Bayern, sollen denn die CDU-regierten Länder immer nur Ausputzer sein für das, was Sie versäumt haben? Wenn Sie im Januar dieses Jahres bei der Vorlage des Tarifberichtes schon festgestellt haben, daß dieser Tarif aus Steuer- und haushaltspolitischen Gründen nicht möglich ist, nun aber das in Frage stellen, — was haben Sie in der Zwischenzeit denn getan? Wenn diese Zwischenzeit genutzt worden wäre, hätte man Milliarden sparen können, um mit diesen Milliarden einen erheblichen Teil des neuen Tarifes zu bezahlen.
Frau Matthäus, die jetzt kursierenden Tarifmodelle, die einem Laien wie Panzermodelle vorkommen — T 600, T 602 —, sind für den Fachmann hochinteressant. Aber vergessen Sie doch bitte nicht eines. Der Steuerzahler interessiert sich nicht für irgendwelche Knicke innerhalb der Kurve, sondern er interessiert sich dafür, wieviel Steuern er am Ende zu zahlen hat.Meine Damen und Herren, Sie haben für die Schlußabstimmung meines Wissens eine namentliche
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Dr. von WartenbergAbstimmung beantragt. Ich weiß daher, daß ein Appell an eine langfristige oder veränderte Steuerpolitik wenig Sinn hat. Bedenken Sie aber bitte eines. Eine vertrauensvolle Steuerpolitik, eine vertrauensvolle Konjunkturpolitik erfordern Beständigkeit. Zur Beständigkeit gehört Linie. Ihre sich im Kreis drehende Gas- und Bremspolitik führt Sie jedoch immer wieder an dieselbe Stelle zurück. Nur: Sie schrauben sich wie bei der Spirale nach unten. Nach den Erfahrungen der vergangenen Monate muß man Sie heute fragen: Was tun Sie eigentlich im Frühjahr des kommenden Jahres? Wollen Sie dann einen neuen Tarif durchsetzen, dessen Kosten Sie teilweise jetzt schon ohne Wirkung ausgeben. Eines kann ich Ihnen versichern: Im Frühjahr stimmen wir nicht mit bei der Einführung eines Osterfreibetrages oder bei der Einführung eines Pfingstfreibetrages.Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie beklagen sich über die Eile, in der Sie Ihre Gesetze beraten und durchpeitschen müssen. Sie sollten sich dafür entschuldigen.Zum Kompromißvorschlag von Frau Funcke: Früher war es üblich, daß ein Gesetz ausführlich in den Ministerien, in den Fraktionen, in den Ausschüssen beraten und geprüft wurde. Dann hatte dieses Gesetz Bestand und war eine langfristige Orientierung für die Bürger und für die Wirtschaft dieses Landes. Heute dagegen bringen Sie ein Gesetz ein, und noch während der Beratungen trösten Sie den Wähler damit: „Aber morgen machen wir ein besseres Gesetz." Während der Beratungen machen Sie Alternativen zu Ihren eigenen Vorschlägen, weil Sie sich vorher nicht korrekt über die Mehrheitsmöglichkeiten Ihrer Gesetze abgesichert haben.Wir schlagen Ihnen heute eine Alternative vor. Ziehen Sie Ihre Anträge zurück! Stimmen Sie mit uns für die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages, für die verbesserten Abschreibungsbedingungen! Dann können wir in Ruhe über vernünftige konjunkturpolitische und steuerpolitische Maßnahmen nachdenken.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Anwendung des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft auf Drucksache 8/983, Tagesordnungspunkt 2 a). Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses über den von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Steuerentlastung und Investitionsförderung, Drucksache 8/984, Tagesordnungspunkt 2 b). Ich rufe Art. 1 und 2 in der Fassung der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf. Wer die Zustimmung geben will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/993. Es wird beantragt, nach Art. 2 einen neuen Art. 2 a einzufügen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/993 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Stimmenthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe Art. 3 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Fassung der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Wir kommen zu dem von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes zum Abbau der Überbesteuerung der Arbeitnehmer und Betriebe sowie zur Erhöhung des Kindergeldes für Kinderreiche auf Drucksache 8/592, Punkt 2 c) der Tagesordnung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/985, den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/592 für erledigt zu erklären. Darüber kann jetzt nicht abgestimmt werden, da der Gesetzentwurf der Koalition noch nicht verabschiedet ist.
Wir treten daher in die Abstimmung in zweiter Beratung ein. Ich rufe Art. 1 und Art. 2 Nummern 1 bis 3 auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Stimmenthaltungen? — Keine Stimmenthaltungen. Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe Art. 2 Nr. 4 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/995 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Dr. von Wartenberg.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Böhme, Sie haben vorhin gesagt, wir seien Trittbrettfahrer bei der Koalition bei der Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß wir bereits vor der Sommerpause einen Antrag auf Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages hier im Hause vorgelegt haben.
Zu einem Zeitpunkt, als Sie darüber überhaupt noch nicht nachdachten, haben wir eine Verdoppelung des Weihnachtsfreibetrags hier beantragt. Sie haben das damals in der Diskussion abgelehnt.
Auf Grund der veränderten Situation schlagen wir Ihnen heute eine Änderung in diesem Gesetzentwurf vor, nämlich den Weihnachtsfreibetrag auf 400 DM zu vervierfachen. Sie haben damit die Möglichkeit, den Warnungen der Fachleute zu folgen, daß der Entwurf zur Änderung des Weihnachtsfreibetrags dem Bundesrat möglichst unverzüglich zugeleitet
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Dr. von Wartenbergwerden muß, damit er noch im Oktober Gesetzeskraft erlangt und in die Computer der Verwaltungen eingespeist wird, so daß die Arbeitnehmer nicht erst im Januar oder Februar die Vergünstigung des Weihnachtsfreibetrags erhalten. Der Weihnachtsfreibetrag sollte Weihnachten wirksam sein.Wenn Sie da mitziehen wollen, müssen Sie diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Wir haben vor drei Minuten schon beschlossen, den Weihnachtsfreibetrag von 300 auf 400 DM anzuheben.
Da wir interfraktionell vereinbart haben, die Abstimmungen in der dritten Beratung um 14 Uhr vorzunehmen, sind wir in dieser Geschäftsordnungsprozedur, von der Sie eben gesprochen haben. Die CDU/CSU-Fraktion unterstellt selbst, daß der Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und FDP, der auf der Tagesordnung als Punkt 2 c aufgeführt ist, nicht beschlossen wird. Denn sie hat für die dritte Beratung einen Antrag eingebracht, mit dem sie unterstellt, daß der Antrag der Koalitionsfraktionen beschlossen wird. In diesem Änderungsantrag fordern Sie das Parlament wiederum auf, den Weihnachtsfreibetrag von 100 'auf 400 DM anzuheben.
Ich will zum Schluß kommen. Das Parlament ist sich in der Sache einig, den Weihnachtsfreibetrag anzuheben. Deswegen haben wir es schon beschlossen. Weil wir es soeben beschlossen haben, brauchen wir es jetzt nicht noch einmal zu beschließen. Deshalb müssen wir aus Geschäftsordnungsgründen Ihren Antrag ablehnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/995 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Stimmenthaltungen? — Keine Stimmenthaltung. Dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über Art. 2 Nr. 4 in der ursprünglichen Fassung ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe Art. 2 Nummern 5 bis 9, Art. 3 bis 10, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Lesung abgelehnt. Nach § 84 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung unterbleibt damit jede weitere Beratung und Abstimmung.
Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung
des Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerentlastung und Investitionsförderung.
Das Wort zur allgemeinen Aussprache wird nicht gewünscht.
Auf Drucksache 8/994 liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU vor. Soll dieser Antrag begründet werden?
— Wer wünscht das Wort? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Stutzer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den Zielen der Unionspolitik gehört es, auf dem Gebiet der Einkommen- und Lohnsteuer Entlastungen zu gewähren, um das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigungsentwicklung positiv zu beeinflussen. Eine alte Forderung der CDU/CSU ist es, den Weihnachtsfreibetrag zu erhöhen, weil es sich hier um eine wirksame Sofortmaßnahme handelt, die noch in diesem Jahr greifen kann. Noch bevor die Regierungsfraktionen einen Gesetzentwurf vorlegten, der u. a. eine Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages vorsieht, hatten wir in unserem Steuerentlastungsgesetz 1978 eine solche Erhöhung gefordert. Wir hatten uns zunächst auf eine Erhöhung um 100 DM beschränkt, weil wir im Anschluß daran eine lineare Senkung der Einkommensteuer nach dem Stabilitätsgesetz, und zwar in Höhe von 10 %, als finanz- und wirtschaftswirksamste Maßnahme durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung fordern wollten, was, wie Sie wissen, in der Zwischenzeit geschehen ist, leider ohne Erfolg. Nach dem Konzept der CDU/CSU wären bei einer zehnprozentigen Senkung der Einkommen- und Lohnsteuer und einer Erhöhung des Weihnachtsfreibetrags um 100 DM die Arbeitnehmer, insbesondere aber auch die Facharbeiter, stärker entlastet worden als bei einer Erhöhung des tariflichen Grundfreibetrages um 510 bzw. 1 020 DM und einer Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages von 100 auf 400 DM.
Nachdem die Bundesregierung erklärt hatte, eine solche Rechtsverordnung nicht erlassen zu wollen, war es erforderlich, andere steuerpolitische Schritte einzuleiten, die in ihrer Gesamtwirkung einer Steuersenkung nach dem Stabilitätsgesetz möglichst nahekommen. Die CDU/CSU-Fraktion hat daraufhin zu ihrem Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes 1978 den Änderungsantrag gestellt, den Weihnachtsfreibetrag ab 1977 nicht nur um 100 DM, sondern um 300 auf 400 DM zu erhöhen. Der Finanzausschuß hat diesem Änderungsantrag zugestimmt.Weil der Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes 1978 der CDU/CSU dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen voranging, waren wir der Meinung,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3587
Stutzerdaß nach der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages dieser Entwurf zuerst behandelt werden muß. Dieser Antrag wurde im Finanzausschuß mit Mehrheit abgelehnt. Eine Klärung soll hier durch den Ältestenrat erfolgen.Wie ernst es uns mit der Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages schon für 1977 ist, möge man daraus ersehen, daß wir mehrfach im Finanzausschuß eine Abkoppelung der unstreitigen Teile des Gesetzentwurfs gefordert haben, nämlich der Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages und der rückwirkenden Verbesserung der degressiven AfA. Wir wurden darin durch das Hearing bestärkt — auch das ist heute hier schon angeklungen —, bei dem u. a. Herr Fredersdorf als Mitglied der SPD, aber auch als Steuerfachmann erklärt hat, daß die Entscheidung über die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages bis zum 30. September 1977 getroffen sein müßte, wenn sie noch in diesem Jahr in die Praxis umgesetzt werden soll. Bei einem bißchen guten Willen der Regierungsfraktionen hätte man sich schnell über eine Abkoppelung des Weihnachtsfreibetrages einigen können. Aber die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages im Gesamtpaket soll nur ein Köder sein, die Kröte, nämlich den tariflichen Grundfreibetrag, zu schlucken. Doch hier werden wir nicht auf den Leim gehen. Jedermann draußen im Land weiß, daß sich die CDU/CSU als erste für die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages eingesetzt hat.
Jedermann weiß auch, daß es SPD und FDP allein zu vertreten haben, daß es unter Umständen in diesem Jahr nicht mehr zu einer Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages kommt, weil sie eine Abkoppelung abgelehnt haben. Ich habe in den letzten Wochen mit vielen Arbeitnehmern über die beabsichtigte Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages gesprochen. Keiner dieser Arbeitnehmer konnte verstehen, daß durch die starre Haltung der Koalitionsfraktionen die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages für dieses Jahr in Gefahr gerät.SPD und FDP kennen die Forderung des Bundesrates, der den Bundestag aufgefordert hat, im Interesse einer zügigen Verabschiedung des Gesetzes die Vorschläge des Bundesrates zu übernehmen. Da dies nicht möglich ist, hält es der Bundesrat aus Zeitgründen für zwingend geboten, die unstrittigen Maßnahmen des Regierungsentwurfs — dazu gehört nun einmal die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages — in einem gesonderten Gesetz zu verwirklichen.Ich möchte betonen, daß es sich hier nicht nur um die Meinung reiner CDU/CSU-Länder handelt. Da der Bundesrat die in dem Koalitionsgesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen mit Mehrheit für unzureichend hält, ist mit einer Ablehnung und damit auch mit einer Ablehnung der Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages zu rechnen. Es wird dann zu einem Vermittlungsverfahren kommen, von dem wir nicht wissen, wann und wie es endet.Wir haben daher, dem Wunsch des Bundesrates folgend, einen Änderungsantrag zur dritten Beratung des von den Fraktionen der SPD und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerentlastung und Investitidnsförderung vorgelegt. Dieser Änderungsantrag enthält alle unstrittigen Maßnahmen des Entwurfs der Koalitionsfraktionen. Es wurde lediglich die Anhebung des Grundfreibetrages ausgeklammert.Ich möchte die Damen und Herren der Koalition recht herzlich bitten, unserem Änderungsantrag im Interesse der Arbeitnehmer zuzustimmen, die bitter enttäuscht wären, wenn es aus Zeitgründen nicht zu einer Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages in diesem Jahr käme. Sie als Mitglieder der Koalitionsfraktionen hätten es dann alleine zu vertreten, wenn Sie unserem Änderungsantrag, der Drucksache 8/994, nicht zustimmen sollten. Wir beantragen namentliche Abstimmung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Spöri.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Ablehnung des vorliegenden Änderungsantrags der Opposition begründen. Ich möchte dabei auf einen Aspekt der heutigen Debatte noch einmal akzentuierter eingehen, der im Verlauf der Diskussion ständig stärker in den Vordergrund gerückt ist, nämlich auf den Zusammenhang zwischen der Notwendigkeit einer mittelfristigen Tarifreform beim Lohn- und Einkommensteuertarif einerseits und den kurzfristig jetzt zu ergreifenden steuerpolitischen Maßnahmen. Wenn wir uns diesen Zusammenhang analytisch verdeutlichen, werden wir zu dem Schluß kommen, daß wir dem Änderungsantrag der Opposition nicht folgen können.Meine Damen und Herren, der Finanzminister von Rheinland-Pfalz, Herr Gaddum, hat vor ca. zwei Wochen — Sie haben diesen Gedanken vorhin in der Debatte aufgegriffen — den Vorschlag gemacht, die von uns vorgeschlagenen Maßnahmenbereiche gar nicht in Angriff zu nehmen, sondern statt dessen eine grundlegende Änderung des Einkommensteuertarifs bis zum 1. Januar 1978. Nun gebe ich zu, meine Damen und Herren von der Opposition, daß das auf den ersten Blick wirklich eine reizvolle Idee, eine attraktive Gedankenspielerei sein könnte, aber eben nur auf den ersten oberflächlichen Blick hin. Ich kann Ihnen versichern, daß wir Ihnen in nichts nachstehen, wenn es darum geht, mit Sorge festzustellen, daß viele Arbeitnehmer, für die ursprünglich die Proportionalzone im Bereich der Lohn- und Einkommensteuer mit 22 % Grenzsteuersatz vorgesehen war, aus dieser Proportionalzone hinauswachsen, in den unteren Bereich der Progressionszone hineinschliddern und hier vielleicht zum Teil steuerlich so behandelt werden, als hätten sie einen etwas günstigeren Platz in der Einkommenspyramide dieser Gesellschaft.Wenn auch der Sprung von einem Grenzsteuersatz von 22 % auf einen Grenzsteuersatz von 30,8 % und etwas mehr nicht so drastisch und so abrupt ausfällt, wie es gemeinhin in der Publizistik oder im
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Dr. SpöriFernsehen in den Grafiken über diesen Tarif dargestellt wird, weil die Lohnsteuertabelle etwas gemäßigter aussieht, sehen wir dieses Sprungproblem, Herr Dr. Sprung, durchaus als eine zentrale mittelfristige Aufgabe der Steuerpolitik dieses Bundestages. Nur, wenn ich von einer mittelfristigen Aufgabe spreche, dann grenze ich mich deutlich von dem ab, was Herr Gaddum im Bundesrat vorgeschlagen hat und was hier z. B. Herr Kreile wiederum an Diskussionspositionen aufgenommen hat. Wenn wir einen neuen Lohn- und Einkommensteuertarif schneiden, dann nehmen wir eine so grundlegende Änderung beim Lohn- und Einkommensteuersystem vor, daß wir tatsächlich einen längerfristigen Bestand dieser Änderung garantieren sollten. Daher können wir einfach nicht darauf verzichten, die Gesamtheit der Wirkungen der staatlichen Ausgabe- und Einnahmeseite auf die verfügbaren Einkommen der einzelnen Bevölkerungsgruppen dabei mit zu berücksichtigen.Ich glaube, es ist gemeinhin bekannt, daß es sich im Gegensatz zu Freibetragsänderungen — ob das jetzt eine Änderung des Weihnachtsfreibetrages oder des Grundfreibetrages ist, Herr Stutzer, die Sie als Kröte bezeichnen; darauf komme ich gleich noch zurück — bei einer solchen Systemumstellung, die Sie heute hier zum Teil gefordert haben — ich wundere mich, daß Sie nicht einen Antrag dahin gehend gestellt haben, wenn Sie dies tatsächlich fordern wollen, wie Herr Gaddum es tat —, um eine Maßnahme handelt, bei der der gesamte Verteilungseffekt der Transferzahlungen berücksichtigt werden muß, die der Staat heute über die einzelnen Gebietskörperschaften entweder in der Form von Wohngeld oder von BAföG-Zahlungen oder in der Form von Kindergeld leistet. Es wäre doch einfach grundfalsch — hier können wir uns doch einigen —, wenn wir jetzt eine Tarifreform kurzfristig übers Knie brechen würden und wenn wir dann hinterher, meine Damen und Herren von der Opposition, bei der Vorlage des Berichts der Transferkommission feststellen müßten, daß wir den neuen Tarif an den Ergebnissen dieser Kommission vorbeigeschnitten hätten. Wir hätten dann auf die Chance verzichtet, steuerpolitisch den gesamten Verteilungseffekten, die statistisch ermittelt werden, tatsächlich tarifpolitisch Rechnung zu tragen.Das ist ein Riesenbatzen an Geld, der durch diesen Bericht transparenter gemacht werden muß, Herr Dr. Sprung. Sie wissen ja, daß z. B. 1976 die Ausgaben über Transferzahlungen aller Gebietskörperschaften den Betrag von 235 Milliarden DM insgesamt oder 3 800 DM pro Kopf angenommen haben. Hier müssen. wir eine bessere Übersicht haben. Die haben wir doch gegenwärtig von der amtlichen Statistik überhaupt nicht, wenn wir ehrlich sind.Sie können mir abnehmen, daß es mich genauso jucken würde wie Sie, eine Tarifänderung so schnell wie möglich durchzuziehen. Auch ich möchte mit meiner Fraktion so schnell wie möglich agieren. Ich habe ja einiges dazu gesagt und z. B. im August hier eine Entlastungsvariante angesprochen, die uns sehr interessant erscheint und die wir jetzt auch in den Ausschuß bekommen haben.Ich meine aber, wir können das, wenn wir das mit einer Tarifänderung machen wollen, nicht so kurzfristig tun, wie Sie das heute hier behauptet haben. Ich habe immer betont, daß derartige Beratungen zur Änderung des steuerlichen Tarifsystems bei der Lohn- und Einkommensteuer nicht im Schweinsgalopp bis zum 1. 1. 1978 durchgezogen werden können.
Was wir heute — und bis zu diesem Punkt können wir uns mit Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, vielleicht einigen — für eine Tarifreform — auch in dieser Diskussion um Ihren Änderungsantrag — leisten können und müssen, ist 1. 1. 1978 zu ergreifenden Maßnahmen selber die doch, daß wir verhindern, uns mit kurzfristig zum mittelfristige Möglichkeit der auch von Ihnen gewünschten Tarifreform zu nehmen. Dies ist der Grundgedanke, von dem wir heute auch bei der Diskussion Ihres Änderungsantrages ausgehen müssen. Die jetzt zu ergreifenden Maßnahmen, über die wir hier diskutieren, müssen also nahtlos in die mittelfristige notwendige Änderung des Tarifs einmünden.Herr Dr. Kreile und Herr Dr. Langner, hier kann ich nach dem Verlauf der Diskussion Ihrer Argumentationslogik einfach nicht folgen. Ich glaube, das liegt nicht daran, daß ich hier neu bin. Ich möchte nicht egozentrisch werden. Nach dem, was z. B. mein Kollege Böhme hier heute vorgetragen hat, verstehe ich einfach nicht, wie Sie noch behaupten können, daß ausgerechnet eine Erhöhung des Grundfreibetrages, wie Sie das auch in Ihrem Änderungsantrag unterstellen, den Weg zu einer mittelfristigen Tarifreform bei der Lohn- und Einkommensteuer versperren soll.
Das begreife ich im Zusammenhang mit Ihrem Änderungsantrag nicht. Wir müssen doch alle davon ausgehen, daß im Laufe der Jahre das Existenzminimum immer teurer wird. Gerade Sie dringen immer wieder darauf, daß dieses festgehalten wird. Wenn man ein ständig teurer werdendes Existenzminimum in der Bundesrepublik hat, ist logischerweise eine Tarifreform, die das Prädikat „sozial" verdient, gar nicht möglich ohne das Teilelement einer Erhöhung des Grundfreibetrages.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kreile.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte nicht so herzlos sein wie Herr Barzel gestern zu mir. Bitte schön, Herr Kreile.
Haben Sie wirklich nicht verstanden, daß wir unsere Ablehnung einer Erhöhung des Grundireibetrags ausschließlich mit der Befürchtung begründen, daß Sie keine Tarifreform machen? Haben Sie nicht verstanden, daß wir deswegen die Erhöhung des Grundfreibetrages erst im Rahmen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3589
Dr. Kreileeiner Tarifreform haben wollen? Sollten Sie diesen politischen Aspekte wirklich nicht begriffen haben?
Vielen Dank für die Frage. Ich komme nach dem nächsten Satz, Herr Dr. Kreile, ich verspreche es Ihnen, genau auf Ihre Frage zurück.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja, wenn es sein muß.
Herr Kollege Spöri, können Sie mir bestätigen, daß Herr Kollege Kreile aus Bayern kommt und daß der Finanzminister, der derselben Partei wie Herr Kreile angehört, zur Frage Tarif und Grundfreibetrag exakt die gegenteilige Meinung von Herrn Kreile vertreten hat?
Herr Huonker, ich kann dies bestätigen. Sie nehmen mir auch alles weg; das habe ich im nächsten Satz sagen wollen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? Sie können nein sagen, .Sie brauchen gar nicht darüber zu diskutieren.
Ich komme sonst mit der Zeit nicht zu Rande.
Wie Sie wollen. Also keine Zwischenfrage.
Ich bitte Sie um Nachsicht, Herr Kollege, ich möchte jetzt weiterkommen.Meine Damen und Herren, der Kollege Huonker war so nett, den regionalen Querverweis zur bayerischen Landesregierung und zu Ihrem sehr geschätzten Kollegen, Herrn Streibl von der CSU, herzustellen. Ich glaube, für Herrn Streibl war das, was wir heute hier von uns aus gefordert haben, eine logische Selbstverständlichkeit, daß nämlich zu einer sozialen Tarifreform eine Erhöhung des Grundfreibetrages gehört.Jetzt zu Ihnen, Herr Dr. Kreile: Die von uns hier geforderte Grundfreibetragserhöhung — das können Sie z. B.' in einem „Zeit"-Interview des Finanzministers, gegeben in der Sommerpause, nachlesen; er hat es genauso vertreten — ist ja geradezu eine logische Vorwegnahme dieser mittelfristig notwendigen Tarifreform in einem zentralen Bereich, Herr Dr. Kreile, nämlich dort, wo wir auch heute ohne den Bericht der Transferkommission schon wissen, was wir zu tun haben.Zudem ist diese Maßnahme — da kann ich mir große Ausführungen und Exkurse sparen — gegenüber Ihren vorgeschlagenen Maßnahmen auch nachfragepolitisch und wachstumspolitisch bei weitem effektiver. Zu diesem Eindruck komme ich jedenfalls, wenn ich z. B. unseren Vorschlägen die Vorschläge gegenüberstelle, die Sie neuerdings im Kielwasser Ihrer Freunde aus dem Bundesrat — in der Offentlichkeit zumindest — machen und hinter denen Sie neuerdings manchmal in der Öffentlichkeit — nicht hier heute im Plenum — Ihren Konjunkturabschlag verstecken, weil er nach der ersten Lesung anscheinend doch nicht mehr so attraktiv ist.Meine Damen und Herren, wenn Sie uns fragen — Herr Dr. Kreile hat das vorhin auch gefragt —, was wir denn kurzfristig für die Leute, für die Arbeitnehmer tun, die ich vorhin angesprochen habe, die in den unteren Bereich der Progressionszone hineinrutschen — von denen spricht ja normalerweise auch Herr Häfele immer —,
wenn Sie uns fragen, was wir für die nach Ihrer Diktion inflatorisch Geschädigten, Progressionsgeschädigten tun — in diesem Zusammenhang kommt dann auch noch der Begriff „heimliche Steuererhöhung" auf —, ob wir für die kurzfristig gar nichts tun, weil wir nur den Grundfreibetrag anheben würden, dann sage ich Ihnen, daß mir Ihre Formulierungen schleierhaft sind. Denn das Resümee von heute, von meinen verehrten Vorrednern der Koalitionsfraktionen läuft doch darauf hinaus, daß gerade diese Mittelschichten, auch die Facharbeiter, durch den erhöhten Grundfreibetrag — der ist ja nicht auf die untersten Einkommensschichten beschränkt —, durch den erhöhten Grundfreibetrag, den erhöhten Weihnachtsfreibetrag und durch das verbesserte Kindergeld im nächsten Jahr eine wirksame Entlastung erfahren. Ich verstehe nicht, daß Sie vor dieser Erkenntnis haltmachen. Auch dies ist für jene im unteren Bereich der Progressionszone eine kurzfristige Entlastungsmaßnahme. Ich kann mir das nur so erklären, daß Sie hier in der Diskussion die Scheuklappen herunterlassen, nicht mehr erkenntnisoffen diskutieren wollen, und zwar deshalb, weil Sie Ihre einmal vorgeführte tibetanische Gebetsmühle hier weiter abspulen wollen.Meine Damen und Herren, wir sollten uns bei der ganzen Diskussion über Progressionsprobleme — das liegt mir wirklich am Herzen - über eines im klaren sein, und da sollten wir draußen bei der Bevölkerung keine Illusion entstehen lassen. Ich habe heute den Verdacht gehabt, daß diese Illusion bei der Diskussion aufkommen könnte. Sie sollten genauso wie wir dieser Illusion entgegenwirken: Auch eine Tarifreform, wenn wir sie mittelfristig machen sollten,
kann nicht den Progressionseffekt abbauen.
Der Progressionsgedanke, meine Damen und Herren von der Opposition, ist von Ihnen sicherlich allgemein akzeptiert. Er ist Ausdruck steuerlicher Gerechtigkeit, steuerlicher Behandlung nach /der Leistungsfähigkeit und sollte auch von Ihnen anerkannt werden, besonders dann, wenn Sie einen durchgehend progressiven Tarif akzeptieren. Hier sollten wir nicht etwa vorgaukeln, daß nachher keine Pro-
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3590 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Dr. Spörigressionswirkung vorhanden ist, meine Damen und Herren.
— Ja, sicher. Das tue ich die ganze Zeit. Herr Häfele, der Zusammenhang zwischen mittelfristiger Tarifreform, kurzfristigen Maßnahmen — ich weiß nicht, warum Sie das nicht begreifen — und Ihrem Änderungsantrag
ergibt mit logischer Klarheit, daß wir Ihren Änderungsantrag wegen folgender Argumente ablehnen müssen:
Wir brauchen für die Maßnahmen zur Durchführung einer mittelfristigen Tarifreform später eine Menge Geld. Sie betonen doch immer, daß eine solche Reform unbedingt kommen muß. Deshalb müssen Sie bei den kurzfristigen Maßnahmen in Ihren Änderungsanträgen die mittelfristigen Aspekte der Forderungen, die Sie aufstellen, berücksichtigen. Es ist doch vollkommen legitim, dies hier anzusprechen. Ich meine, dazu brauchen wir eine Menge Geld. Wir können diese Maßnahmen doch nicht aus dem „Geldscheißer" oder aus der Notenpresse finanzieren.
— Sie haben hier heute Forderungen vertreten, die im Mittel ein Volumen in Höhe von 15 Milliarden DM haben, z. B. beim allgemeinen Konjunkturabschlag.
Sie lehnen den von uns vorgeschlagenen Grundfreibetrag ab. Ich sage Ihnen: das ist für eine mittelfristige Tarifreform kein verschenktes Geld. Es ist eine inhaltliche Vorwegnahme dieser mittelfristig notwendigen Tarifreform.Darum bitten wir Sie, meine Damen und Herren von der Opposition: Nehmen Sie sich selbst beim Wort, rücken Sie zumindest in der Höhe von Vorschlägen wie dem Konjunkturabschlag ab.
— Herr Stutzer, Sie und vor allen Dingen auch Herr von Battenberg haben über einen Konjunkturabschlag gesprochen. Eine Bezugnahme hierauf ist zulässig.
Wir wollen uns mit den von uns vorgeschlagenen kurzfristigen Maßnahmen — das gehört zur Ablehnung Ihres Änderungsantrages — nicht den Weg zu einer mittelfristigen Tarifreform verbarrikadieren. Dieser Weg geht über eine Erhöhung des Grundfreibetrages. Darauf bestehen wir.Nehmen Sie Ihre eigenen konjunkturpolitischen Appelle, daß jetzt zügig gehandelt werden sollte. ernst, und gefährden Sie nicht die positiven Signale, die für Bürger und Wirtschaft von unserem Paket ausgehen können. Verzichten Sie auf Machtproben, die uns allen schaden. Zudem konnten Sie sich gestern sicherlich mit Floskeln wie ,,Gleichmacherei" gegenüber der Erhöhung dieses Grundfreibetrages reichlich austoben.
Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen schon für die Fragen drei Minuten zusätzliche Redezeit gegeben. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen. Mein leises Glockenzeichen ist anscheinend nicht wahrgenommen worden.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie wollen mit Ihrem Änderungsantrag — auch wenn Sie noch so damit wedeln — in der Zielrichtung die Erhöhung des Grundfreibetrages aus unserem Steuerpaket herausbrechen. Das ist doch eine Tatsache. Wir können das nicht akzeptieren, weil eine derartige Erhöhung die Überleitung, ja das Fundament für eine mittelfristige Tarifreform ist. Enttäuschen Sie durch Ihr Abstimmungsverhalten nicht die Millionen von Bürgern, die zu Recht große Hoffnungen an unser Steuerpaket geknüpft haben.
Die Koalitionsfraktionen lehnen Ihren Änderungsantrag ab.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache zur dritten Lesung. Die Abstimmung über diesen Änderungsantrag findet zusammen mit der Schlußabstimmung ab 14 Uhr statt. Dafür ist namentliche Abstimmung beantragt. Es liegt ein weiterer Antrag auf namentliche Abstimmung in der dritten Lesung vor, der die notwendige Unterstützung hat.
Damit sind wir am Ende dieses Beratungsabschnitts. Wir treten in die Mittagspause ein. Die unterbrochene Sitzung wird um 14 Uhr wiederaufgenommen.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.Meine sehr geehrten Damen und Herren, es sind bei einigen Kolleginnen und Kollegen Unklarheiten über den weiteren Ablauf der Tagesordnung aufgetreten. Ich möchte Ihnen noch einmal mitteilen, daß die Eidesleistung des neuen Herrn Bundeswirtschaftsministers, Dr. Graf Lambsdorff, morgen früh um 9 Uhr vor dem Hohen Hause vorgenommen wird.Wir kommen nunmehr in dritter Beratung zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3591
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausender CDU/CSU auf Drucksache 8/994. Es ist namentliche Abstimmung beantragt worden. Wer dem Antrag zustimmen will, muß die blaue Stimmkarte, wer ihn ablehnt, die rote Stimmkarte, wer sich der Stimme enthält, die weiße Karte in eine der drei aufgestellten Urnen werfen.Ich eröffne die namentliche Abstimmung. — Ich frage, ob ein Mitglied des Hauses seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat. — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung. —Ich gebe Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf der Drucksache 8/994 bekannt. Mit Ja haben 205 Abgeordnete und 11 Berliner Kollegen — mit Nein 220 Abgeordnete und 10 Berliner Kollegen — gestimmt. Insgesamt sind 425 Stimmen abgegeben worden, und 21 Berliner Kollegen haben sich an der Abstimmung beteiligt.ErgebnisAbgegebene Stimmen 425 und 21 Berliner Abgeordnete; davonja: 205 und 11 Berliner Abgeordnete,nein: 220 und 10 Berliner AbgeordneteJaCDU/CSUDr. Abelein Dr. AlthammerDr. Arnold Dr. Barzel BayhaDr. Becher
Dr. Becker Frau BenedixBergerBiecheleBiehleDr. Blüm Dr. Bötsch BraunBreidbach BrollBühler
BurgerCarstens Carstens (Fehmarn) Conrad (Riegelsberg)Dr. Czaja DammDawekeDr. DollingerDreyerEngelsbergerErhard ErnestiEyEymer
Dr. Eyrich Feinendegen Frau FischerFrancke FrankeDr. FriedmannDr. FrühFrau Geier Geisenhofer Dr. von GeldernGerlach GersteinGerster Gierenstein GlosDr. Gruhl Haase
HaberlDr. Häfele Dr. HammansHanz
Hauser HelmrichDr. Hennigvon der Heydt Freiherrvon Massenbach HöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann
Dr. HornhuesHorstmeier Dr. Hubrig Frau HürlandDr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Dr. Jaeger Jäger
Dr. Jahn
Dr. JenningerDr. Jentsch Dr. JobstJostenFrau KarwatzkiKatzerKiechleDr. h. c. KiesingerDr. Klein Klein (München)Dr. Köhler
Dr. Köhler KösterDr. KohlKolbKrampeDr. Kraske KrausDr. KreileKrey Kroll-SchlüterFrau Krone-AppuhnDr. Kunz LampersbachLandréDr. LangguthDr. LangnerDr. LaufsLeichtDr. Lenz
LinkLintner Löher Dr. LudaDr. MarxDr. Mertes MetzDr. Meyer zu BentrupDr. MikatDr. MiltnerMilzDr. MöllerMüller
Dr. NarjesNeuhausFrau Dr. Neumeister NiegelNordlohneFrau PackPetersenPfeffermannPfeifer Picard Pieroth Dr. PingerPohlmannPrangenbergDr. ProbstRainer RaweRegenspurgerDr. ReimersFrau Dr. Riede Dr. Riedl (München)Dr. RiesenhuberDr. Ritz Röhner Dr. RoseRüheRusseSauer Sauter (Epfendorf)Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Schartz
SchedlFrau SchleicherSchmidt
Schmitz
Dr. SchneiderDr. Schröder Schröder (Lüneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Dr. Schulte (SchwäbischGmünd)SchwarzDr. Schwarz-Schilling SeitersSickSpilker SprangerDr. SprungStahlbergDr. Stark
Graf StauffenbergDr. StavenhagenDr. SterckenStommelStücklenStutzerSussetde TerraTillmannDr. TodenhöferFrau Tübler Dr. Unland Frau VerhülsdonkVogt VolmerDr. VossDr. WaffenschmidtDr. Waigel Dr. WarnkeDr. von Wartenberg Weber Weiskirch (Olpe)Dr. von Weizsäcker WernerFrau Dr. Wex Frau Will-FeldFrau Dr. WilmsWimmer
Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissebach WissmannDr. Wittmann Baron von Wrangel WürzbachDr. Wulff Dr. ZeitelZieglerDr. ZimmermannZinkBerliner AbgeordneteAmrehnFrau Berger
Dr. GradlKittelmann Kunz LusterMüller
Dr. Pfennig Frau Pieser Straßmeir WohlrabeNeinSPDAhlers AmlingDr. ApelArendt AugsteinBaack BahrBatzBecker BiermannBindig BlankDr. Böhme BrandtBrandt
Brück BuchstallerBüchler
Dr. von BülowBuschfortDr. BußmannCollet ConradiCoppikDr. CorterierCurdt
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3592 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDr. von DohnanyiDürrDr. EhmkeDr. EhrenbergEickmeyerFrau Eilers
Dr. EmmerlichEngholm Frau Erler EstersEwenFiebigDr. Fischer Frau Dr. FockeFranke Friedrich (Würzburg) GanselGerstl
GertzenGlombig Gobrecht Grobecker Grunenberg Gscheidle Dr. Haack HaarHaehserHansenFrau Dr. Hartenstein HauckDr. Hauff HenkeHeyennHöhmannHofmann
HornFrau Huber Huonker IbrüggerImmer Jahn (Marburg)JaunichDr. Jens Junghans JungmannJunkerKaffkaKirschnerKlein
KoblitzKonradKratzKretkowskiDr. KreutzmannKrockert Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lattmann Dr. LauritzenLeberLendersFrau Dr. LepsiusLiedtkeDr. Linde LutzMahneMarschallFrau Dr. Martiny-Glotz MatthöferDr. Meinecke Meinike (Oberhausen) MeininghausMenzelMöhringMüller
Müller
Müller
Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNeumann Dr. Nöbel Offergeld OostergeteloPaternaPeiterDr. Penner PenskyPeterPolkehn PorznerRapp
Rappe RavensFrau RengerReuschenbachRohdeRosenthal RothSaxowskiDr. SchachtschabelSchäfer
Dr. Schäfer ScheuSchirmer Schlaga SchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmidt (Wattenscheid)Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchulte
Dr. Schwenk
SielerFrau Simonis SimpfendörferDr. SperlingDr. SpöriStahl
Dr. Steger Stockleben StöcklSybertzThüsingFrau Dr. TimmTönjesTopmann Frau TraupeUrbaniak VogelsangVoigt WaltematheWaltherDr. Weber
WehnerWeißkirchen WendtDr. Wernitz Westphal WiefelWilhelmWimmer WischnewskiDr. de With Wittmann
Wolfram WredeWüsterWuttkeWuwerZanderZeitlerBerliner AbgeordneteBühlingDr. Diederich Dr. DübberEgertLöfflerManningMattickFrau SchleiSchulze
FDPAngermeyer BaumCronenberg Eimer EngelhardErtlDr. Friderichs Frau Funcke GärtnerGallusGattermann GenscherGrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann HölscherHoffieJungKleinertDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff LudewigDr. Dr. h. c. Maihofer Frau Matthäus-Maier MischnickMöllemann OlleschPaintnerPeters Schmidt (Kempten)von Schoeler Frau Schuchardt SpitzmüllerDr. Wendig Wolfgramm WurbsZywietzBerliner Abgeordnete HoppeDamit ist der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Schlußabstimmung. Auch hierzu ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. — Ich frage, ob ein Mitglied des Hohen Hauses seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat. — Das ist offensichtlich nicht der Fall. — Ich schließe die Abstimmung.Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Schlußabstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Steuerentlastung und Investitionsförderung bekannt. Mit Ja haben gestimmt 219 Damen und Herren des Hauses und 9 Berliner Abgeordnete, mit Nein 206 und 11 Berliner Abgeordnete, insgesamt abgegebene Stimmen 425 und 20 Berliner Abgeordnete.ErgebnisAbgegebene Stimmen 425 und 20 Berliner Abgeordnete; davonja: 219 und 9 Berliner Abgeordnete,nein: 206 und 11 Berliner AbgeordneteJaSPDAhlers Amling Dr. Apel Arendt AugsteinBaack BahrBatzBecker BiermannBindig BlankDr. Böhme BrandtBrandt
Brück BuchstallerBüchler
BuschfortDr. Bußmann ColletConradiCoppikDr. Corterier CurdtFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDr. von DohnanyiDürrDr. EhmkeDr. Ehrenberg EickmeyerFrau Eilers
Dr. Emmerlich EngholmFrau ErlerEstersEwenFiebigDr. Fischer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3593
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenFrau Dr. FockeFranke Friedrich (Würzburg) GanselGerstl
Gertzen Glombig Gobrecht Grobecker GrunenbergGscheidle Dr. Haack HaarHaehser HansenFrau Dr. Hartenstein HauckDr. Hauff HenkeHeyennHöhmannHofmann HornFrau Huber Huonker IbrüggerImmer Jahn (Marburg)JaunichDr. Jens Junghans Jungmann 'JunkerKaffkaKirschnerKlein
KoblitzKonradKratzKretkowskiDr. Kreutzmann Krockert Kühbacher Kuhlwein Lambinus LattmannDr. LauritzenLeberLendersFrau Dr. LepsiusLiedtkeDr. Linde LutzMahneMarschallFrau Dr. Martiny-Glotz MatthöferDr. Meinecke Meinike (Oberhausen) MeininghausMenzelMöhringMüller Müller (Nordenham) Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNeumann Dr. Nöbel Offergeld OostergeteloPaternaPeiterDr. Penner PenskyPeterPolkehnPorznerRapp Rappe (Hildesheim)RavensFrau Renger ReuschenbachRohde RosenthalRothSaxowskiDr. Schachtschabel Schäfer
Dr. Schäfer ScheuSchirmerSchlagaSchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmidt (Wattenscheid) Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchulte
Dr. Schwenk
SielerFrau Simonis SimpfendörferDr. SperlingDr. SpöriStahl
Dr. StegerStocklebenStöckl Sybertz Thüsing Frau Dr. TimmTönjes TopmannFrau TraupeUrbaniakVogelsangVoigt WaltematheWaltherDr. Weber
WehnerWeißkirchen WendtDr. WernitzWestphalWiefel WilhelmWimmer WischnewskiDr. de WithWittmann Wolfram (Recklinghausen) WredeWüster Wuttke Wuwer Zander ZeitlerBerliner AbgeordneteBühlingDr. Diederich Dr. DübberEgertLöfflerMänningFrau SchleiSchulze
FDPAngermeyer BaumCronenberg Eimer EngelhardErtlDr. FriderichsFrau FunckeGärtner •GallusGattermannGenscherGrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann HölscherHoffie JungKleinertDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff LudewigDr. Dr. h. c. Maihofer Frau Matthäus-Maier MischnickMöllemannOlleschPaintnerPeters Schmidt (Kempten)von SchoelerFrau Schuchardt SpitzmüllerDr. WendigWolfgramm WurbsZywietzBerliner Abgeordnete HoppeNeinCDU/CSUDr. AbeleinDr. AlthammerDr. ArnoldDr. BarzelBayhaDr. Becher
Dr. Becker Frau BenedixBenzBerger BiecheleDr. BiedenkopfBiehle Dr. BlümDr. BötschBraun BreidbachBrollBühler
BurgerCarstens Carstens (Fehmarn) Conrad (Riegelsberg) Dr. CzajaDamm DawekeDr. DollingerDreyer EngelsbergerErhard ErnestiEyEymer
Dr. EyrichFeinendegenFrau FischerFrancke FrankeDr. FriedmannFrau GeierGeisenhoferDr. von GeldernGerlach
Gerstein Gerster
Gierenstein GlosDr. Gruhl Haase
HaberlDr. Häfele Dr. HammansHanz
Hauser
Helmrich Dr. Hennigvon der Heydt Freiherrvon MassenbachHöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann
Dr. HornhuesHorstmeier Dr. Hubrig Frau HürlandDr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Dr. Jaeger Jäger
Dr. Jahn
Dr. JenningerDr. Jentsch
Dr. Jobst JostenFrau KarwatzkiKatzerKiechleDr. h. c. KiesingerDr. Klein
Klein
Dr. Köhler
Dr. Köhler
KösterDr. KohlKolbKrampeDr. Kraske KrausDr. Kreile KreyKroll-SchlüterFrau Krone-AppuhnDr. Kunz LampersbachLandréDr. Langguth Dr. Langner Dr. LaufsLeichtDr. Lenz
LinkLintnerLöherDr. LudaDr. MarxDr. Mertes
MetzDr. Meyer zu BentrupDr. Mikat Dr. Miltner MilzDr. MöllerMüller
Dr. Narjes NeuhausFrau Dr. Neumeister
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3594 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenNiegelNordlohne Frau Pack Petersen Pfeffermann PfeiferPicardPierothDr. Pinger Pohlmann PrangenbergDr. Probst RainerRaweRegenspurgerDr. ReimersFrau Cr. Riede Dr. Riedl (München)Dr. RiesenhuberDr. RitzRöhnerDr. Rose RüheRusseSauer Sauter (Epfendorf)Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Schartz
SchedlFrau SchleicherSchmidt
Schmitz
Dr. SchneiderDr. Schröder Schröder (Luneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Dr. Schulte (SchwäbischGmünd) SchwarzDr. Schwarz-Schilling SeitersSickSpilkerSpranger Dr. Sprung Stahlberg Dr. Stark
Graf StauffenbergDr. StavenhagenDr. SterckenStommel Stücklen StutzerSussetde Terra Tillmann Dr. TodenhöferFrau TüblerDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogt
Volmer Dr. Voss Dr. WaffenschmidtDr. WaigelDr. WarnkeDr. von Wartenberg Weber Weiskirch (Olpe)Dr. von Weizsäcker WernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldFrau Dr. WilmsWimmer
Windelen
Frau Dr. Wisniewski WissebachWissmannDr. Wittmann Baron von Wrangel WürzbachDr. Wulff Dr. Zeitel ZieglerDr. ZimmermannZinkBerliner AbgeordneteAmrehnFrau Berger
Dr. GradlKittelmann Kunz LusterMüller
Dr. Pfennig Frau Pieser Straßmeir WohlrabeDamit ist das Gesetz in Dritter Beratung angenommen.
Es liegen noch zwei Beschlußempfehlungen des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt auf der Drucksache 8/984 unter Ziffer 2 die Annahme von Entschließungen. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! - Stimmenthaltungen! — Es ist einstimmig so beschlossen.Der Ausschuß empfiehlt uns ferner, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ich frage, ob das Haus damit einverstanden ist. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Zu dem Tagesordnungspunkt 2 d) empfiehlt der Finanzausschuß auf der Drucksache 8/986, den Gesetzentwurf auf der Drucksache 8/974 für erledigt zu erklären. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen! — Der Beschlußempfehlung des Ausschusses ist damit entsprochen.Ich rufe nunmehr den ersten Zusatztagesordnungspunkt auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Sechsten Gesetz über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern (Sechstes Bundesbesoldungserhöhungsgesetz)- Drucksache 8/998 —Berichterstatter des Bundestages ist der Abgeordnete Dr. Vogel , des Bundesrates der Herr Staatsminister Dr. Halstenberg. Das Wort hat der Herr Kollege Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens des Vermittlungsausschusses erstatte ich über die gestrige Sitzung des Vermittlungsausschusses den folgenden Bericht.Der Bundesrat hat am 15. Juli dieses Jahres beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 16. Juni 1977 verabschiedeten Gesetz die Einberufung des Vermittlungsausschusses zu verlangen, um eine Änderung des Gesetzesbeschlusses in vier Punkten zu erreichen.Ziffer 1 des Anrufungsbegehrens des Bundesrates betraf zum einen das Begehren, in dem Bundesbesoldungsgesetz eine Übergangsregelung für die Besoldung von Stufenlehrern selbst vorzusehen, zum anderen das Verlangen, die Regelung der Anwärterbezüge gegenüber der vom Bundestag beschlossenen Regelung zu ändern.Erstens. Der Vermittlungsausschuß hat die Frage der Regelung der Stufenlehrerbesoldung sehr eingehend beraten. Ausgangspunkt der Beratung war, daß die Sperrvorschrift des § 27 des Zweiten BesVNG, die den Ländern untersagte, für Lehrer in einem Amt mit stufenbezogenem Schwerpunkt Besoldungsregelungen zu treffen, nach dem Gesetzesbeschluß des Bundestages am 30. September 1977 ausgelaufen wäre. Der Bundesrat machte in seinem Anrufungsbegehren nun geltend, daß nicht nur in mehreren Ländern bereits Beamte auf Widerruf im Vorbereitungsdienst für derartige Lehrämter in Ausbildung sind, sondern daß gegenwärtig zum Teil in den Ländern auch schon stufenbezogen ausgebildete Lehrer als Beamte auf Probe übernommen worden sind. Wenn in dieser Situation die genannte Sperrvorschrift auslaufe, ohne daß eine bundesrechtliche Regelung für die Stufenlehrerbesoldung getroffen wäre, steht es den in Betracht kommenden Ländern frei, selbst Besoldungsregelungen für die Stufenlehrer zu treffen, da es sich hier um neue Ämter handele. Es bestehe dann die Gefahr einer besoldungsmäßigen Auseinanderentwicklung zwischen den Ländern, die die Lehrerausbildung stufenbezogen organisieren, und anderen Ländern, die es bei einer schulartbezogenen Lehrerausbildung belassen wollen. Es wäre — so der Bundesrat — unerträglich, wenn je nach Organisation der Lehrerausbildung die Besoldung entweder bundesgesetzlich oder landesgesetzlich geregelt würde.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3595
Vogel
Im Vermittlungsausschuß setzte sich die Meinung durch, daß aus den vom Bundesrat geltend gemachten Gründen der Gefahr einer besoldungsrechtlichen Auseinanderentwicklung in den Ländern die Besoldung der Stufenlehrer bundesrechtlich eingebunden werden muß und daß ferner entsprechend dem Vorschlag des Bundesrates die bundesrechtliche Regelung auf eine Übergangszeit, nämlich bis zum 31. Dezember 1981, eingeschränkt werden soll.In der konkreten Ausgestaltung der Besoldungsregelung der Stufenlehrer folgte der Vermittlungsausschuß nicht voll dem Vorschlag des Bundesrates, sondern er schlägt eine Kompromißlösung vor. Dabei wurde davon ausgegangen, daß für die genannte Übergangszeit in die bestehende Besoldung der Stufenlehrer möglichst nicht eingegriffen, also der bestehende Zustand nicht grundlegend verändert werden sollte. Die vorgeschlagene Lösung hat folgendes zum Inhalt:Lehrer mit der Befähigung für ein Lehramt der Primarstufe oder der Sekundarstufe I werden in A 12, Lehrer mit der Befähigung für ein Lehramt der Sonderpädagogik bei einer dieser Befähigung entsprechenden Verwendung werden in A 13 und Studienräte mit der Befähigung für ein Lehramt der Sekundarstufe II bei einer dieser Befähigung entsprechenden Verwendung in A 13 mit ruhegehaltsfähiger Zulage eingestuft. Ferner enthält der Kornpromißvorschlag die Regelung, daß Lehrer mit der Befähigung für ein Lehramt der Sekundarstufe I bei Verwendung an Realschulen, an Gymnasien oder an Zweigen dieser beiden Schulformen eine nicht ruhegehaltsfähige Stellenzulage in Höhe des jeweiligen Unterschiedsbetrags zum Grundgehalt der Besoldungsgruppe A 13 erhalten. Das gleiche gilt bei einer entsprechenden Verwendung an schulformunabhängigen Gesamtschulen oder an schulformunabhängigen Orientierungsstufen. Diese Regelungen sollen, wie bereits erwähnt, bundesrechtlich für eine Übergangszeit, d. h. bis Ende 1981, festgeschrieben werden.Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß bereits nach dem geltenden Recht § 80 des Bundesbesoldungsgesetzes eine Sonderregelung für die Lehrerbesoldung in den Ländern Bremen und Hamburg vorsieht. Hierzu schlägt der Vermittlungsausschuß eine Ergänzung vor, um für die drei Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg wegen ihrer besonderen besoldungsrechtlichen Regelungen eine Abweichung von der allgemeinen bundesrechtlichen Regelung für die Stufenlehrer zuzulassen; die Regelung soll ebenfalls nur bis Ende 1981 gelten.Zweitens. Hinsichtlich der Regelung der Anwärterbezüge hat der Vermittlungsausschuß ebenfalls einen Kompromiß vorgeschlagen: Der Bundestagsbeschluß hatte zum einen vorgesehen, daß für Anwärter, die nach dem 30. September 1977 eingestellt werden bzw. eingestellt worden sind, hinsichtlich der Eingangsämter A 12, A 13 und A 13 plus Zulage einheitliche Bezüge gewährt werden sollen. Der Vermittlungsausschuß schlägt demgegenüber vor, daß es — insoweit entsprechend dem Begehren des Bundesrates — bei einer differenzierten Besoldung für dieAnwärter mit den Eingangsämtern A 12, A 13 und A 13 plus Zulage bleiben soll.Hinsichtlich der Höhe der Anwärterbezüge hatte der Bundestag weiterhin entsprechend der Regierungsvorlage beschlossen, daß für Anwärter, die nach dem 30. September 1977 eingestellt werden, eine Senkung der Bezüge eintreten sollte, damit die dadurch ersparten Beträge dazu benutzt werden könnten, in vermehrtem Maße Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Hierzu schlägt der Vermittlungsausschuß vor, daß im Gesetz allgemein für die Anwärterbezüge, d. h. auch für die ab 1. Oktober dieses Jahres eingestellten Anwärter, die bisherigen Sätze — erhöht um die allgemeine Anpassung um 5,3 % — bestehenbleiben sollen.In diesem Zusammenhang faßte der Ausschuß aber die folgende Entschließung:Der Vermittlungsausschuß fordert die Bundesregierung und die Länder auf, bei der nächsten Anpassung der Besoldung gemäß § 14 Bundesbesoldungsgesetz die Anwärterbezüge in Anlehnung an bereits vorhandene Regelungen der öffentlichen Ausbildungsförderung neu zu gestalten.Hierzu erklärte im Vermittlungsausschuß die Bundesregierung, vertreten durch Herrn Staatssekrtär Dr. Hartkopf, daß die Bundesregierung sich im Zusammenwirken mit den Ländern bemühen wird, dem zu entsprechen.Ich darf mir erlauben, den Bericht hinsichtlich der weiteren drei Anrufungsbegehren des Bundesrates ganz kurz zu fassen: Der Vermittlungsausschuß hat sich in allen drei Punkten dem Änderungsbegehren angeschlossen.Abschließend darf ich darauf hinweisen, daß nach dem Beschluß des Vermittlungsausschusses über die vorgeschlagenen Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und frage, ob das Wort zur Abgabe einer Erklärung gewünscht wird. — Das ist offensichtlich nicht der Fall.Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Wie der Herr Berichterstatter bereits gesagt hat, hat der Vermittlungsausschuß gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß über die vorliegenden Änderungsanträge gemeinsam abzustimmen ist. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. —Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? — Fünf Stimmenthaltungen. Damit ist dem Antrag des Vermittlungsausschusses zugestimmt.Wir treten nun in die Fortsetzung der Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1978 und der Beratung des Finanzplans des Bundes 1977 bis 1988 ein.Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
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3596 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die von dem Abgeordneten Dr. Strauß geführte Opposition
sah es gestern als ihre Aufgabe an, durch seinen Mund das Bild der Bundesrepublik Deutschland, das Bild ihrer Gesellschaft, das Bild ihrer Wirtschaft, ihrer Finanzen, möglicherweise auch sogar das Bild ihrer auswärtigen Beziehungen, jedenfalls das Bild ihres geistigen und demokratischen Prozesses, das Bild ihres Parlaments, ihrer Bundesregierung so schwarz, so abstoßend, so beängstigend wie möglich zu zeichnen und auszumalen. Demgegenüber hat die Bundesregierung die Aufgabe, für die tatsächlichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland und für die tatsächlichen Interessen aller Deutschen einzutreten. Dazu gehört auch ein wahrhaftiges Bild von unserem Volke und unserem Staate.
Sodann hat drittens das Publikum — übrigens nichtnur im Inland, sondern auch im Ausland — sicherlich die Aufgabe, sich ein eigenes Urteil zu bilden.Was nun die vielfältigen Korrekturen angeht, deren das Gemälde des Herrn Abgeordneten Strauß dringend bedarf, fange ich mit vergleichsweise weniger wichtigen an, wobei ich vieles auslassen muß, denn man kann nicht auf alle Punkte einer neunzigminütigen Rede antworten.Ich muß mich gegen den hier gemachten Versuch wenden, das aus den 50er Jahren stammende Schlagwort von der Sozialen Marktwirtschaft,
so wie es in den 50er und am Anfang der 60er Jahre praktiziert worden ist, sozusagen normativ festzuschreiben.
— Auf den Zwischenruf darf ich Ihnen antworten, daß ich im Gegensatz zu den Freien Demokraten — und ich befinde mich da in voller Übereinstimmung mit allen Sozialdemokraten — mir weder dieses Schlagwort von Ludwig Erhard — eigentlich von Alfred Müller-Armack — noch das andere von der „formierten Gesellschaft" oder das dritte von den „Pinschern" jemals zu eigen gemacht habe.
— Herr Kohl, Sie werden noch viel Gelegenheit zum Widerspruch und auch zum Zwischenruf haben; aber es wäre gut, Sie würden sich ihn besser überlegen als das, was Sie eben gesagt haben.
Wenn ich mich für einen Augenblick auf den Boden derjenigen stelle, die seinerzeit das Konzept Ludwig Erhards aufgenommen haben — und das ist ein ernst zu nehmendes Konzept —, wenn ich mich auf diesen Boden einen Augenblick stelle, dann muß ich Ihnen doch sagen: Dieses im Laufe der Jahre mit allen möglichen Aussagen — auch dogmatischen Aussagen wie z. B. „formierte Gesellschaft" — verbundene Konzept, kann doch nicht ein Gebäude sein, das Sie festschreiben wollen, sondern es kann doch nur eines sein, das weiterentwickelt werden muß. Nur durch Entwicklung, durch Entfaltung gegenüber der fortschreitenden wirtschaftlichen, sozialen, staatlichen, internationalen Wirklichkeit kann marktwirtschaftliche Lenkung, für die ich zu jeder Zeit eintrete, für vereinbar mit dem sozialen Rechtsstaat gehalten werden, auf den hin ich vereidigt bin.Ich mache hier einen deutlichen Unterschied zwischen dem, wofür wir eintreten, und dem, was uns nach dem Geist und dem Buchstaben des Grundgesetzes vorgeschrieben ist. Ich wehre mich dagegen, die Vorstellung von der Sozialen Marktwirtschaft, die eine ernsthafte und von mir ernst genommene Vorstellung ist, auch wenn ich mir dieses Schlagwort nie zu eigen mache, auf dem Weg der Argumentation quasi in Verfassungsrang zu erheben.
Wenn ich sage, daß die Soziale Marktwirtschaft, so wie Sie sie als Konzept verstehen,
der Entfaltung und der Fortentwicklung bedarf, dann gebe ich dafür vier Beispiele, von denen ich glaube, daß Sie im Grunde damit mehr oder minder — vielleicht sogar mehr — übereinstimmen müßten.Das erste Beispiel, womit Sie sicher sehr weitgehend übereinstimmen, ist, daß auch im Zuge Ihres Konzepts — nicht nur im Zuge der Konzepte anderer Parteien — der Ausbau der Vermögenspolitik zur Milderung extrem ungleicher Vermögensverteilungen wünschenswert ist, aber noch weitgehend in der Zukunft liegt. Ich nehme an, daß Sie dem zustimmen.Zweites Beispiel: daß das Ziel der Vollbeschäftigung durch Stärkung der konjunkturpolitischen Komponente eine richtige, notwendige Ergänzung ihres ursprünglichen Konzeptes sein sollte. Diejenigen, die dem Deutschen Bundestag etwas länger angehören, werden sich vielleicht daran erinnern, daß Vollbeschäftigung zur selben Zeit, als das Konzept unter dem Schlagwort der Sozialen Marktwirtschaft entstanden war, von dem Urheber dieses Konzepts abgelehnt wurde. Hier ist auf seiten der Unionsparteien ein Gesinnungswandel eingetreten, den ich begrüße. Ich sage, daß Vollbeschäftigung ursprünglich von Ihnen sogar abgelehnt wurde zu einer Zeit, wo auf sozialdemokratischer Seite eine Quote von 4 % Arbeitslosigkeit als normal und als Vollbeschäftigung angesehen wurde; das war vor 25 und 28 Jahren, zu Beginn des Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland. Selbst diese Vorstellung, die ich heute ablehnen würde — wir haben uns ja auch fortentwickelt, nicht nur die Union entwickelt sich —, ist seinerzeit von dem Urheber des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft abgelehnt worden
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3597
Bundeskanzler SchmidtOder ich gebe in diesem Zusammenhang zu be-denken, daß etwa das Stabilitäts- und WachstumsGesetz seiner Zielsetzung nach für Sie eine Fortentwicklung ist, in der Mitte der 60er Jahre entstanden, wesentlich auf sozialdemokratische Anregung hin und, wenn ich mich richtig erinnere, seinerzeit gemeinsam verabschiedet.
Das ist ja auch etwas, was im Laufe der Zeit hinzugekommen ist, Vorstellungen, die Sie früher nicht hatten.Die Konzertierte Aktion, drittens, von der Herr Friderichs gestern sprach — ich komme darauf zurück —, ist ja doch nicht ein Urbestandteil, so schlecht, so irreführend dieses Wort „Aktion" auch sein mag. Da wird ja nicht agiert im Sinne von gemeinsam handeln, sondern da wird ja nur agiert im Sinne von auf derselben Bühne miteinander reden, Dialog und Aussprache halten. Aber auch dies ist ja im Laufe der Jahre Ihrem Konzept nur hinzugefügt worden — mehr von außen als von innen.Viertens. Da werden Sie jetzt weniger zustimmen, nehme ich an, aber im Grunde werden einige innerlich zustimmen, wenn ich sage, daß das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft, so wie Sie es vertreten, auch der Entfaltung bedurft hat und weiterhin bedarf, was die bessere Verwirklichung der Chancengleichheit im Bildungs- und Ausbildungswesen angeht.Oder ich erwähne als fünftes Beispiel den Ausbau der Mitbestimmung, bei der Sie Verdienste am Anfang der frühen 50er Jahre haben, die Sache aber seitdem bis in die 70er Jahre hinein liegengelassen haben.
Ich habe mit diesen fünf Beispielen Ergänzungen bezeichnet, die nun allerdings keineswegs von vornherein Ihrem Konzept — schon gar nicht ausschließlich — zugehört haben, sondern die zum Teil auf dem geistigen Boden der Liberalen, der Freien Demokraten, zum Teil auf dem geistigen Boden der Sozialdemokraten gewachsen sind. Sie waren in dem ursprünglichen Konzept der Sozialen Marktwirtschaft nur bruchstückweise vorhanden. Ich würde Ihnen aus dieser geschichtlichen Erfahrung heraus nahelegen wollen, sich auch für die Zukunft für die Entfaltung, für die weitere Entwicklung Ihrer Konzepte offenzuhalten und das Volk nicht glauben zu machen, Sie hätten seit 1949 alles gewußt, besser gewußt, und wenn man dahin zurückkehrte, sei alles in Ordnung.
Im übrigen gebe ich denjenigen recht, die, soweit es sich um ernsthaft gemeinte Debattenbeiträge handelte, von Gefährdungen marktwirtschaftlicher Prozesse reden. Die sind sicherlich gegeben, übrigens auch durch den Staat in seiner vielfältigen Gestalt von Bundesländern und allen möglichen Behörden, auch Kommunen. Sie sind auch gegeben, meine Damen und Herren, durch Fehlverhalten derjenigen, die ihre Freiheit am Markte nicht richtig oder nicht optimal genutzt haben oder falsch nutzen. Oder noch anders ausgedrückt und zugespitzt: Marktwirtschaftliche Abläufe können auch durch unternehmerische Resignation und Abtretung der Verantwortung an den Staat und an das Parlament gestört werden. Ich mag die Reden, nach denen Verbandssyndikus oder Geschäftsführer zu sein — auf der Seite der Arbeitgeber- und Unternehmerverbände genauso wie auf der Seite der Gewerkschaf- ten — ein Hauptberuf geworden ist, die Reden der hauptberuflichen Geschäftsführer, die nun daraus wirklich ihren Beruf machen — sie wollen für ihr Einkommen ja auch etwas leisten —, nicht gern hören, wenn sie einerseits von den Gefahren für die Marktwirtschaft durch die Parlamentsmehrheit oder durch die Regierung sprechen, aber andererseits immer dann, wenn es in einem Unternehmen oder in einer Branche nicht klappt — schauen Sie auf den Schiffsbau oder auf die Stahlindustrie: sicherlich internationale Krisen; schauen Sie auf bestimmte Firmen der deutschen Flugzeugbauindustrie: sicherlich weder eine internationale noch eine nationale Krise, sondern die Krise eines schlecht geführten Einzelunternehmens —, zum Staat gehen und sagen, er solle gefälligst helfen und eingreifen, und zwar ohne Rücksicht auf den Markt.
Das Funktionieren der Marktwirtschaft gefährdet übrigens auch derjenige, der sich dazu verführen läßt, durch seine Rede, durch seine Vorschläge, durch seine öffentlich ausgesprochenen Urteile Attentismus, Abwartehaltungen, bei den Marktbeteiligten auszulösen oder, sofern vorhanden, zu verstärken. Zur Marktwirtschaft gehört auch, sage ich zugespitzt, Selbstbewußtsein der Unternehmensleitungen, gehören Verantwortung für das, was sie geleistet haben, und Verantwortung für das, was ihnen schiefgegangen ist.
Die steuerpolitischen, die finanzwirtschaftlichen Maßnahmen, der Haushaltsentwurf 1978, der den Ausgangspunkt der gegenwärtigen zweitägigen Debatte bildet, die Ihnen schon vorliegenden Programme, wie das Programm für Zukunftsinvestitionen, all dies sind Schritte, welche Bundesregierung und Gesetzgeber auf ihrer Seite, auf der staatlichen Seite, zur Stützung und Stärkung eines sich im übrigen marktwirtschaftlich vollziehenden Wachstums tun. Andere müssen ebenso ihre Beiträge leisten. Mit „anderen" meine ich in diesem Zusammenhang an allererster Stelle die Tarifpartner.Ich rede hier vor dem Deutschen Bundestag nicht anders als vor drei oder vier Wochen vor dem Gewerkschaftstag der Industriegewerkschaft Metall: Diese Zeit ist keine geeignete Zeit für verteilungspolitische Glaubenskriege. Ich bitte einerseits die Unternehmensleitungen in unserem Lande um ein äußerstes Maß an preispolitischer Disziplin, um unsere deutlichen Erfolge bei der Bekämpfung der Weltinflation nicht in Gefahr zu bringen. Ich bitte andererseits die Tarifparteien, sich des unverändert schmalen Grates zwischen der auch konjunkturell.
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3598 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Bundeskanzler Schmidterwünschten Erhöhung der Einkommen und einem beschäftigungspolitisch und stabilitätspolitisch abträglichen erneuten Auftrieb von Lohnkosten und Lohnnebenkosten bewußt zu bleiben. Jedes Verlassen dieses Pfades würde zu Nachteilen führen, die für die Gesellschaft als Ganzes, zumal für ihre Arbeitslosen, größer wären als die kurzfristigen Vorteile für einzelne oder für einzelne Gruppen.Nach meinem Urteil waren der bisher in der Bundesrepublik Deutschland gewahrte soziale Friede und das hohe Ausmaß, in dem er hat gewahrt werden können, eine der entscheidenden Voraussetzungen — vielleicht d i e entscheidende Voraussetzung — für die unerhörte Entfaltung der Produktivkräfte unseres Landes. Wenn man den internationalen Vergleich zieht und sich fragt, warum einiges in dieser oder jener Branche in diesem Lande anders und effektiver läuft als in einem anderen Lande, glaube ich sogar, daß das hohe Maß, in dem wir in der Lage waren, den sozialen Frieden zu wahren, d i e entscheidende Voraussetzung für die Entfaltung unserer Kräfte gewesen ist. Natürlich gehört dazu auch die freie Lohnfindung, die Lohnautonomie der Tarifpartner, gehört dazu das Betriebsverfassungsgesetz mit seiner Verbesserung und seinem Ausbau, seiner Entfaltung, gehört dazu die Mitbestimmung mit ihrer Entfaltung.Natürlich kann jeder — und das soll jeder können — gegen bestimmte Gesetze vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Das muß auch in bezug auf das Mitbestimmungsgesetz gelten, das hier im übrigen von drei Fraktionen, auch wenn einige nicht mitgestimmt haben, gemeinsam beschlossen worden ist — es gibt ja manchmal bei der Gesetzgebung Enthaltungen und Gegenstimmen — —
— Das ist durchaus kein Punkt, über den ich mich ausschweigen will. Ich komme noch • auf diesen Punkt. Ich bin allerdings auch nicht der Meinung, daß es ein Punkt für Spaßmacherei oder Scherze ist.Jeder darf klagen, auch gegen ein Gesetz, das der Bundestag mit breiter Mehrheit angenommen hat. Ich frage mich nur, was eine gemeinsame, eine kollektive Demonstration durch eine Reihe von Weltfirmen und eine große Zahl von Arbeitgeberverbänden eigentlich soll — wenn es nicht so war, daß es überhaupt nicht ihre Absicht gewesen ist zu demonstrieren, wenn es nicht vielleicht ein Zeichen der Schwäche war, weil es keine einzelne Firma oder kein einzelner Verband allein auf sich nehmen wollte, gegen ein mit breiter Mehrheit des Bundestages beschlossenes Gesetz vorzugehen. Es kann sein, daß das, was wie eine kollektive Machtdemonstration wirkt, in Wirklichkeit aus kollektiver Schwäche geboren ist — das ist denkbar —, weil eben keiner allein zu dieser Klage bereit war.
Nun sehe ich aber die Gefahr, daß aus diesem Konflikt in Karlsruhe — der sich ja lange hinziehen wird; ein solcher Prozeß wird ja nicht in wenigen Monaten entschieden, wird auch nicht auf dem Wege der einstweiligen Anordnung entschieden; da werden viele Vorträge gehalten, und es wird von beiden Seiten viel Salz in die Wunden gestreut werden — eine erhebliche Störung der sozialen Beziehungen in unserem Lande und des sozialen Dialogs entsteht. Ich habe durchaus Verständnis für die erste Gegenreaktion auf gewerkschaftlicher Seite. Ich denke, es ist jetzt in dieser Sache Zeit zum Nachdenken auf beiden Seiten, und vielleicht sollte sich die Seite, die zunächst demonstrativ öffentlich vorgegangen ist, als erste fragen, ob sie nicht Anlaß zum Nachdenken hat.Ich will — wenn ich das sage, nehme ich das auf meine persönliche Kappe — jener Seite, die ihre Klage auf angebliche Verletzung der Grundrechte aus Art. 2, aus Art. 3 und aus Art. 9 und aus Art. 12 und aus Art. 14 und Art. 19 und außerdem auf Verletzung des Art. 79 gestützt hat — sechs Grundrechtsartikel sind angeblich, nach der Meinung der Klagesteller durch die gemeinsame Mehrheit des Deutschen Bundestages verletzt; es ist eine erstaunliche Klage —, doch immerhin zu bedenken geben, daß es neben dem Art. 14 im Grundgesetz seit 1949 auch Art. 15 gibt. Ich will dazu mahnen, daß niemand Entwicklungen — z. B. Entwicklungen, die sich auf den Art. 15 stützen könnten — herbeiführen oder auslösen sollte, die bisher zu unser aller Vorteil, zum Vorteil der Gesamtgesellschaft, zum Vorteil der Marktwirtschaft im wirtschaftspolitischen Forderungskatalog aller Seiten keine Rolle gespielt haben. Es wäre wünschenswert, wenn man sich in jenem Lager eine demonstrative Geste zur Normalisierung des sozialen Klimas überlegte; dann würde die andere Seite ja auch nicht im Abseits bleiben können und wollen.Die sogenannte — ich habe das Wort immer bedauert — Konzertierte Aktion übrigens ist ja keine Veranstaltung zugunsten der Unternehmer, ist ja auch keine Veranstaltung zugunsten des Staates, sondern wir alle brauchen sie, die Arbeitnehmer und ihre Organisationen, die Unternehmer, die Regierung. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich dann, wenn die Bundesregierung oder der Bundeskanzler die an der Wertschöpfung beteiligten Kräfte und die Gruppen, in denen sie sich organisiert haben, zu einem Gespräch einlüde, diese Gruppen dem Gespräch mit der Regierung verweigern wollten; das kann ich mir auf die Dauer nicht vorstellen. Ich kann mir überhaupt keinen demokratisch verfaßten Staat, keine demokratisch verfaßte Gesellschaft vorstellen — auch wenn sie zum Teil noch so sehr, viel stärker als bei uns, durch Klassengegensätze geprägt sind —, in der ein Verband, stünde er hier oder dort, eine Einladung zum Gespräch durch die jeweilige Regierung oder den jeweiligen Regierungschef ablehnen würde. Ich bin mir darin mit allen Bundesministern einig, auch mit dem scheidenden, auch mit dem neu eintretenden.Lassen Sie mich zu dem scheidenden Bundesminister für Wirtschaft, der, wie er sagte, hier gestern seine voraussichtlich letzte Rede im Bundestag gehalten hat, noch ein Wort sagen. Die fünf Jahre, in denen Hans Friderichs sein Ressort führte, waren innerhalb des letzten Vierteljahrhunderts, innerhalb
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Bundeskanzler Schmidtder letzten 25 Jahre gewiß wirtschaftspolitisch die schwierigsten. Er hat an dem bisher erreichten Erfolg einen erheblichen Anteil. Ich will nicht verschweigen, daß die Zusammenarbeit mit dem Bundesminister Friderichs nicht immer für alle einfach, für mich relativ einfach, aber nicht immer für alle einfach, wohl aber für alle immer fruchtbar gewesen ist. Das ist ein Mann, der weiß, was er will, und der sagt, was er will, ein Mann mit großer Überzeugungstreue und einem klaren Zielbewußtsein. Ich nehme an, daß wir uns im Grunde — Herr Barzel hat das gestern auch für die Opposition in gebührender Form zum Ausdruck gebracht — für die Zusammenarbeit mit ihm gemeinsam bedanken wollen und daß wir uns alle wünschen, daß die Verbindung auch in Zukunft, wenn er seineneue Aufgabe angetreten hat, nicht abreißen möge.
Ich muß mich jetzt aber doch — wie angekündigt — wenigstens ein wenig mit dem Kolossalgemälde des CSU-Vorsitzenden beschäftigen. Ich habe hier eine lange Liste von Irrtümern — um das Wort „Verfälschung" 'nicht zu benutzen —, aber auch von Klitterungen und von Verdrehungen — um mich wenigstens an die Grenze dessen heranzutasten, was Sie ohne empörte Zwischenrufe ertragen können.
Ich will Ihnen nicht alle Beispiele vortragen. Es sind deren 20. Ich trage Ihnen einige der Beispiele vor, die mich selbst betreffen, weil ich das in der Tat für nötig halte.Herr Strauß hat mir unterstellt, ich hätte einen Brief Willy Brandts über Rechtsradikalismus — so seine Worte ausweislich des Protokolls — für „blühenden Unsinn" erklärt. Ich darf Ihnen sagen, Herr Abgeordneter Strauß: Dieses haben Sie frei erfunden.
Wahr ist, daß Herr Brandt auf seinen Brief von mir eine schriftliche Antwort bekommen hat, so, wie es sich gehört. Ich kann sie jeden Tag im Bundestag vorlesen.
Dem Sinne nach sagt die Antwort, daß die Bundesregierung sowohl linksextremistische als auch rechtsextremistische Erscheinungen in unserem Lande voll ihre Aufmerksamkeit zuwendet.Daß dies tatsächlich der Fall ist, haben Sie vor zwei Tagen hinsichtlich der antisemitischen Umtriebe auf der Bundeswehrhochschule in München erlebt, auf die hin der Bundesminister der Verteidigung in aller Geschwindigkeit und mit der gebotenen Eindringlichkeit eingegriffen hat.
Ich will aber in dem Zusammenhang einen Satz, den auszusprechen eigentlich nicht notwendig wäre, doch hinzufügen, damit kein Mißverständnis resultiert: In ihrer ganz überwältigenden Mehrheit setzt sich die Bundeswehr aus Soldaten zusammen, diefest und zuverlässig zum demokratischen Staat und zu unserer Verfassung stehen.
Daran möchte ich keinen Zweifel lassen.Herr Strauß hat behauptet, ich hätte früher die Wunderdroge der Inflation als ein Mittel gegen den Übel der Beschäftigungslosigkeit oder die Krankheit der Arbeitslosigkeit angepriesen.
Ich stelle nur fest, daß er den Beleg dafür nicht wird bringen können. Dieses ist eine derjenigen Straußschen Aussagen, die in die Rubrik „Verdrehung oder Klitterung" fallen.
Die nächste Aussage auf derselben Seite des Protokolls, ich hätte mich auf der Londoner Konferenz schlußendlich dem Kommuniqué angeschlossen, daß Inflation kein Mittel zur Verhinderung der Arbeitslosigkeit sei, ist — vielleicht irrtümlich, Herr Strauß — falsch; denn dieser Satz des Kommuniqués wurde auf Vorschlag des deutschen Bundeskanzlers dort hineingeschrieben. Er hat sich ihm nicht angeschlossen, sondern er hat ihn durchsetzen können bei unseren Freunden.
Es gibt eine lange Kette weiterer Unwahrheiten, z. B. die — und das ist die letzte, die ich im Augenblick erwähnen will —,
in der Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 sei eine Prognose über das Wirtschaftswachstum von 5 bis 6 °/o gegeben worden. Wenn Sie inzwischen die Regierungserklärung nachgelesen haben, werden Sie festgestellt haben, daß Sie oder Ihr Zettelkastenbearbeiter sich in diesem Punkte geirrt haben. Davon ist nichts wahr. Wahr ist, daß ich für das Jahr 1976, das damals noch nicht voll abgelaufen war, gesagt habe, ich rechnete für 1976 mit einem Wachstum von 5 bis 6 %. Tatsächlich sind es 5,6 % geworden; deshalb ist die Aussage 5 bis 6 % wohl nicht zu beanstanden.Herr Strauß hat natürlich auch ein paar Sachen gesagt, denen man zustimmen kann; es waren nicht so viele. Immerhin hat er ein Loblied auf Arbeiter und Unternehmer gesungen, die den Export so gefördert haben. Dem kann man sich anschließen. Allerdings wäre es noch besser, Sie hielten dann nicht so lange Reden über Inflation, sondern würden anerkennen, was wahr ist, Herr Abgeordneter Strauß, nämlich, daß mit Ausnahme der Schweiz die deutschen Exportgüter, aber auch die im Inlande verkauften und gekauften Güter, in der ganzen industriellen Welt zu niedrigsten Preisen angeboten und verkauft werden.
Sie haben auch recht, wenn Sie z. B. in Ihrer Rede sagen: „Der Konflikt ohne Konsensus zerstört menschliches Glück und staatliche Gemeinschaft." Ich unterschreibe diesen Satz: Der Konflikt ohne
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3600 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Bundeskanzler SchmidtKonsens zerstört Glück und Gemeinschaft. Ich unterschreibe ihn. Nur, wenn es so ist — das sage ich nicht nur an Ihre Adresse, Herr Abgeordneter Strauß, sondern an die Adresse der Opposition —, was sollen dann diese ganze künstliche Konfrontation und die Freiheit-oder-Sozialismus-Debatte, die doch Spalten aufreißen will? Es ist doch Ihr erklärtes Ziel, den Konsens zu zerstören, der in Wirklichkeit so groß ist, wie Herr Friderichs Idas 'gestern dargestellt hat.
Wie kann denn derselbe Mann, der hier sagt, Konflikt ohne Konsens zerstört die Gemeinschaft, auf seinem Landesparteitag vor wenigen Wochen den Vorsitzenden einer der großen demokratischen Parteien unseres Volkes der Deutschfeindlichkeit bezichtigen?
Wie paßt denn das zusammen?
- Ich hoffe eigentlich, daß dieser Ihr Zwischenruf, Herr Kollege, so nicht ins Protokoll kommt; sonst wird er einen Rattenschwanz von schlimmen Sachen auslösen. Ich bitte Sie herzlich, nehmen Sie doch selber ernst, was Herr Strauß gesagt hat: Konflikt ohne Konsens zerstört die Gemeinschaft.
Es gibt sicherlich Leute, mit denen Konsens unter keinen Umständen möglich ist. Soweit ich sehe, sind die im Deutschen Bundestag nicht vertreten.
Ich beziehe mich z. B. auf die schon mehrfach zitierte Rede eines Kölner Betriebsratsvorsitzenden — Heinz Bastian heißt er —, der bei der Trauerfeier für einen der in Köln Ermordeten gesagt hat:Wir leben als Bürger und Arbeitnehmer sicherlich nicht in einer Welt, in der alles vollkommen ist. Eines ist jedoch gewiß: In der Welt, die uns die Terroristen und deren Sympathisanten aufbauen möchten, wollen wir als arbeitende Menschen in diesem Lande auf keinen Fall leben.Ich glaube, daß die große Mehrheit des deutschen Volkes beiden Feststellungen des Kölner Betriebsratsvorsitzenden zustimmen wird. Wir leben nicht in einer Welt, in der alles vollkommen ist; aber auf keinen Fall wollen wir in einer Welt leben, wie die Terroristen sie herbeiführen wollen. Wenn wir in einer unvollkommenen Welt leben, wenn es unser Auftrag ist, sie zu verbessern, dann muß Kritik möglich bleiben, dann muß das streitige Austragen politischer Meinungskonflikte, Urteilskonflikte möglichbleiben, dann darf auch niemand, nur weil er kritisiert, um dieses Tatbestands willen in die Ecke gestellt werden.Zum anderen: Mit der Intoleranz haben wir nichts im Sinn. Wir wissen, daß kein Gesetz — übrigens in keinem Staate — jemals völlig verhindern kann, daß Verbrecher aus dem Hinterhalt morden. Aber es ist ein Irrtum — und es ist nicht gut, wenn diesem Irrtum Vorschub geleistet wird — anzunehmen, daß deswegen dieser Staat hilflos sei. Dieser freiheitlichste, demokratischste Staat, den Deutschland je kannte in seiner Geschichte, kann durch einen verlorenen Haufen von Desperados nicht ernsthaft gefährdet werden — dann jedenfalls nicht, wenn wir uns von diesen Erscheinungen des Terrorismus nicht dazu verleiten lassen, unsererseits zur Zerstörung der Gemeinschaft beizutragen.Ich habe hier im Bundestag vor einigen Monaten — oder war es am anderen Ort — gesagt, der Rechtsstaat bleibe unverwundbar, so lange er in uns selbst lebt, und hinzugefügt: er lebt in uns, nun gerade und nun erst recht. Ich nehme mir das Recht, daran zu erinnern, wenn ich lese, daß der Abgeordnete Strauß auf seinem Parteitag vor 14 Tagen gesagt hat — wörtlich —: „Man sollte einmal die, die für die Freiheit des Volkes angeblich kämpfen, dem Volke überlassen. Dann braucht die Polizei und braucht die Justiz sich gar nicht mehr darum zu kümmern."
Ich weiß nicht, Herr Abgeordneter Strauß, wie das gemeint ist. Es wäre gut, Sie würden es interpretieren. Man ist vieles von Ihnen gewöhnt. Aber dieses macht auf den ersten Blick hin den Eindruck, als ob Sie Rechtsstaatlichkeit und Verfassung am liebsten beiseite schieben wollten, um sich einer Rechtsprechung durch den Ku-Klux-Klan hinzugeben.
Ich wäre dankbar, wenn der Satz interpretiert werden könnte: „Dann braucht sich die Polizei nicht mehr darum zu kümmern, und die Justiz braucht sich auch nicht mehr darum zu kümmern." Ich bin der Meinung, daß die Polizei und die Gerichte dazu da sind, sich darum zu kümmern, damit nicht Selbstjustiz in unserer Gesellschaft einreißt.
Ich stimme der Rede meines Kollegen Ehmke von gestern bei, daß unser Volk in dieser Sache keine parteiliche Polemik so sehr gerne hören will, sondern einen Sieg des demokratischen Rechtsstaates über den Terrorismus erleben will. Ich bleibe bei dem Wort, daß wir, um diesen Sieg des Rechtsstaates über den Terrorismus zu ermöglichen, nichts verschulden dürfen — allesamt nicht — und nichts versäumen dürfen. Ich weiß, daß die von vielen dadurch abverlangte Geduld, Zurückhaltung und Selbstbeherrschung um so schwieriger zu wahren sind, je länger sie gefordert werden. So wie ich in allen diesen vier Wochen bei manchen Versuchungen — das will ich nicht verhehlen — an mich selbst und an meine Kollegen in der Bundesregierung appelliert
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3601
Bundeskanzler Schmidthabe, so möchte ich auch an Sie appellieren: lassen Sie uns gemeinsam in dieser Sache im Reden und im Handeln Selbstdisziplin, Zurückhaltung, Selbstbeherrschung üben. Die Diskussion um die notwendigen Maßnahmen zur weiteren Verbesserung im Kampf gegen den Terrorismus oder die geistig-politische Auseinandersetzung mit Ursachen und Hintergründen des Terrorismus braucht darunter nicht zu leiden. Im Gegenteil, sie könnte davon gewinnen, wenn wir sie mit Gelassenheit und dem Willen, auch dem anderen zuzuhören, führten. Sie würde durch geistige und moralische Selbstdisziplin gefördert werden.Es ist übrigens eine notwendige Diskussion. Sie ist auch international notwendig. Aber wir müssen sie in Gelassenheit führen. Das würde allen, uns und übrigens auch dem Ansehen unseres Volkes im Ausland, insbesondere auch bei unseren Freunden, sehr zugute kommen. Wir haben gezeigt, daß der Rechtsstaat da, wo die Not es erfordert, schnell zu handeln und schnell zu reagieren vermag; aber wir wollen uns Inhalt, Tempo und Stil der Auseinandersetzung über unsere Gesetzgebungsarbeiten nicht von den von Terroristen gesetzten Daten vorschreiben lassen.Es werden Verbesserungen unserer inneren Sicherheit notwendig sein. Mir scheint, es ist notwendig, daß sie mit der für gute Gesetze angemessenen Bedachtsamkeit und Umsicht zustande gebracht werden. Sie müssen vorher ausreifen, ehe sie im Bundesgesetzblatt stehen. Die Bundesregierung hat mehrfach betont, daß sie jeden Vorschlag unvoreingenommen prüfen werde. Ich stehe dazu; aber gleichzeitig betone ich mit Nachdruck: unsere geistige Stärke, unsere moralische Rechtfertigung in dieser Sache liegen allein in der Treue zum Recht und im entschiedenen Einsatz für den Rechtsstaat des. Grundgesetzes.
Es gab einen Fall, in dem war Eile geboten, weil Gefahr im Verzuge gegeben war. Deswegen haben Bundestag und Bundesrat in der letzten Woche das sogenannte Kontaktsperregesetz in einem beispielhaft zügigen Verfahren verabschiedet, das gleichwohl allen rechtsstaatlichen Anforderungen genügt. Das beweist einmal mehr, daß unser Rechtsstaat, der die Staatsgewalt durch ein sehr kompliziertes System von Verfahrens- und Kompetenznormen bindet und einschränkt, kein Nachtwächterstaat ist, sondern daß er sehr wirkungsvoll handeln und zupacken kann, wenn Gefahr ins Haus steht. Dieses Kontaktsperregesetz schafft die geschriebene Rechtsgrundlage dafür, daß in Situationen wie derjenigen, die durch das Verbrechen an Dr. Schleyer und seinen Begleitern entstanden ist, die Strafanstalten, wie z. B. in Stammheim und anderorts, nicht fahndungssichere Befehlszentralen für terroristische Aktivitäten bilden können. Wir haben leider die bestürzende Erfahrung machen müssen, daß einige Rechtsanwälte nicht als Organ der Rechtspflege handeln, sondern daß sie ihre zahlreichen Rechte dazu benutzen, nach dem Vorbild der Franks und der Freislers den Rechtsstaat zu unterminieren und, wenn es geht, zu beseitigen.Dennoch war das Kontaktsperregesetz ein schwerwiegender Eingriff, den sich niemand leicht machen konnte. Man konnte z. B. auch die Frage stellen, ob es nicht diesem besonderen Charakter des Gesetzes besser entsprochen hätte, es statt dessen bei den bisher ungeschriebenen Regeln des übergesetzlichen Notstandes zu belassen, statt diese Ausnahme zu normieren, wie wir es getan haben.Das Bundesverfassungsgericht hat sich gestern dazu geäußert; ich will darauf noch zurückkommen. Es hat auf die neue Kontaktsperregesetzgebung in seinem Beschluß Bezug genommen, und ich empfehle den Beschluß und seine Begründung dem sorgfältigen Studium aller Abgeordneten, insbesondere aber derjenigen, die in der vorigen Woche gezögert haben, dem Gesetz zuzustimmen.
— Einige haben es abgelehnt, andere haben sich enthalten, manche haben gezögert und dennoch zugestimmt. Diejenigen, die sich anders verhalten haben, haben es damit allerdings auf sich genommen, dem schlimmen Eindruck Vorschub zu leisten, den Herr Strauß und andere gern verbreiten möchten, daß die Solidarität und die innere Festigkeit der Koalition nicht ausreiche, um in diesem Lande die notwendige Handlungsfreiheit der Bundesregierung und die Handlungsfreiheit der gesetzgebenden Mehrheit des Deutschen Bundestages zu wahren.
Ich sage hier einen Satz hinzu für den, den es angeht: Solidarität ist nirgendwo im Leben eine Einbahnstraße.
Und für diejenigen, die mir jetzt aus den Reihen der Opposition Zwischenrufe machen — übrigens lächelnden Gesichtes; ich kann nicht verstehen, daß dies ein Gegenstand der Schadenfreude sein sollte; wenn es etwas anderes ist als Schadenfreude, was ich auf dem Gesicht des Herrn Abgeordneten Kohl lese — —
Politische Parteien
sind in einem demokratischen Staat — — Sie lachen ja schon wieder, Herr Kohl! Sie lachen die ganze Zeit!
Es scheint mir eine
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3602 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Bundeskanzler Schmidt4 Zwangshandlung zu sein, daß Sie beim Anhören von Argumenten, die Ihnen nicht gefallen, immer nur lächeln können.
Ich will
darauf hinweisen, daß politische Parteien, auch die Unionsparteien, ja nun in der Tat keine monolithischen Blöcke sind. Das haben wir ja manches Mal erlebt, Herr Abgeordneter Kohl und Herr Abgeordneter Barzel.
Jeder Abgeordnete hat das Recht der freien Gewissenentscheidung.
— Was?
— Ich stelle fest, daß die Opposition sich darüber freut, daß auf der Regierungsbank einer lacht. Die Regierung hat ja auch zu lachen, meine Damen und Herren. Sie hat ja auch zu lachen. Der Unterschied ist: Wir lachen manchmal, und Sie lachen immer.
Wenn ich
zum Ernst zurückkommen darf:
So wie jeder Abgeordnete immer, insbesondere in Ausnahmesituationen, selbstkritisch wird prüfen müssen,
was er seinem Gewissen, was er seinen Koalitions- und Parteifreunden — —
— Nein, das sollten Sie nicht! Es tut mir leid, daß die Mitte dieses Hauses nicht in der Lage ist, eine für das ganze Haus weiß Gott schwierige Frage in Ruhe zu erörtern.
Ich mache nochmals einen Versuch und bitte um Nachsicht, daß ich einige Sätze wiederhole, weil mir daran liegt, daß sie im Zusammenhang gehört werden.In einem freiheitlichen Staat sind Parteien und Fraktionen — das gilt auch für die Union — keine monolithischen Gebilde. Jeder Abgeordnete hat das Recht und die Pflicht der freien Gewissensentscheidung. Aber ebenso wird jeder Abgeordnete auch, insbesondere in Ausnahmesituationen, selbstkritisch prüfen müssen, was er seinem Gewissen, was er seinen Koalitions- und Parteifreunden, was er der Gesamtheit der politischen Zielvorstellungen seiner Wähler, die ihn entsandt haben, was er dem Grundkonsens aller bei der Verteidigung der grundgesetzlichen Ordnung des Staates schuldig ist.Das Bundesverfassungsgericht hat in der schon erwähnten dankenswert klaren und einstimmigen Entscheidung die Verfassungsmäßigkeit der Kontaktsperren bestätigt. Diese Entscheidung wird den Konsens der demokratischen Kräfte unseres Landes stärken und die Entschlossenheit bekräftigen, bei der Bekämpfung des Terrorismus wirklich die Grenzen des Rechtsstaates auszuschöpfen, aber nicht und niemals diese Grenzen zu überschreiten, womit die Identität dieses Staats gefährdet würde. Das Gericht hat festgestellt, daß ein „begehbarer Mittelweg" — ich zitiere —, „auf dem einerseits die ungehinderte Verteidigung den inhaftierten Antragstellern, andererseits die für notwendig erachtete Unterbindung von Kontakten der in Haft befindlichen Antragsteller mit ihren Verteidigern gewährleistet werden könnte", nicht ersichtlich sei. Das Gericht hat dabei nicht übersehen, daß die beanstandete Unterbindung von Kontakten zwischen Verteidigern und ihren inhaftierten Mandanten auch solche Anwälte treffen kann, die sich voll im Rahmen ihrer beruflichen und gesetzlichen Pflichten halten. Das Gericht hat das nicht übersehen. Diese generalisierende Wirkung des einstweiligen Besuchsverbots ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu umgehen, wenn nicht die Wirksamkeit der Maßnahme insgesamt in Frage gestellt werden soll. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts hat die Bedenken derjenigen, die dem Gesetz nicht zugestimmt haben, durchaus und ausdrücklich gewürdigt. Aber es hat eindeutig die Rechtsauffassung derjenigen bestätigt, die dieses Gesetz, wenn auch in vielen Fällen nicht leichten Herzens, als eine notwendige Maßnahme zur Bekämpfung des Terrorismus beschlossen haben.Ich will in diesem Zusammenhang einen Punkt erwähnen, in dem ich meine Meinung geändert habe. Es ist ja bekannt, daß ich mich im Gegensatz zu manchen meiner eigenen Fraktion lange Zeit für die Überwachung des mündlichen Verteidigerverkehrs ausgesprochen habe. Ich hielt diese Maßnahme für notwendig, um die unerträglichen Kontakte zwischen inhaftierten Terroristen und kriminellen Anwälten zwecks Vorbereitung neuer terroristischer Aktivitäten zu unterbinden. Ich habe inzwischen eine Reihe neuer Erfahrungen und Einsichten in dieser Sache gewonnen und bin zu dem Ergebnis gekommen, daß über die von uns vorgeschlagene verschärfte Ausschlußregelung für Verteidiger unter bestimmten Voraussetzungen und das inzwischen erlassene Kontaktsperregesetz hinaus eine Überwachung des mündlichen Verteidigerverkehrs kaum effizient werden würde. Das habe ich inzwischen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3603
Bundeskanzler Schmidtkapiert. Ich bin bereit und die Minister der Bundesregierung sind bereit, im Ausschuß darüber Aufschluß zu geben, welche Erfahrungen das sind. Es kommt bei der Terrorismusbekämpfung nicht auf starke Worte, nicht auf Rechthaben an, es kommt darauf an, daß wir entschlossen und wirksam handeln. Deswegen Ist es mir in diesem speziellen Punkt auch nicht schwer gefallen, meine Meinungsänderung hier öffentlich zu bekennen.Nun genügt es freilich nicht, sich um der gemeinsamen politischen Ziele willen von den verbrecherischen Methoden der Terroristen zu distanzieren, wie manche es in der öffentlichen Debatte tun. Es gibt ja gar kein politisches Ziel, das die Terroristen anstreben. Sie legen es nicht dar. Wer sich in den Bannkreis des Terrorismus begibt, der steckt sehr schnell mitten in dem Teufelskreis von Gewalt und Zerstörung und Mord und wieder Gewalt und wieder Zerstörung. Deswegen, denke ich, sollte niemand terroristische Gewalttat als Abirrung angeblich politisch motivierter Täter verharmlosen, auch wenn am Ursprung im Einzelfall einmal politische Attituden gestanden haben.Ich denke, es sollte niemand, weder auf der Seite der Sozialdemokraten noch der Freien Demokraten noch der Christdemokraten noch der Christlich-Sozialen, den parteipolitischen Gegner in der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus in unterschwelligen Zusammenhang mit dem Terrorismus bringen. Ich bin für die geistige Auseinandersetzung mit all den Phänomenen, die wir heute beklagen, und denen, die dahinterstehen und die vielleicht beigetragen haben. Ich sage ja zur Suche nach den psychologischen, den pädagogischen, den gesellschaftlichen, den politischen Wurzeln, übrigens nicht nur in den Parteien, auch in den Medien, an vielen Orten unserer Gesellschaft. Aber ich bitte uns alle: Lassen Sie uns nein sagen zu irgendwelcher Hysterie, auch nein zur Antihysterie gegenüber dem Terrorismus.
Ich gebe ein Beispiel. Es liegt eine gefährliche Einengung der eigenen Urteilskraft vor, wenn eine Veranstaltung mit Frau Luise Rinser abgesagt wird, die vorher von einer Illustrierten zur Symphatisantin des Terrorismus gestempelt wurde. Es gibt andere Fälle. Ich sollte den Namen Böll erwähnen. Ich könnte viele Namen nennen. So dürfen wir uns selber nicht denaturieren.
Ich bin dafür, diese Debatte mit kühlem Kopf — ich wiederhole das — und, wenn es geht, mit Gelassenheit zu führen.Ich habe am 15. September hier gesagt, es sei eine normale und zentrale politische Führungsaufgabe des Parlaments gegenüber einer demokratischen Gesellschaft, die durch dieses Parlament vertreten ist, daß sich das Parlament streitig auseinandersetzt, daß es streitig die politischen Grundströmungen des eigenen Volkes hier gegeneinanderstellt und in diesem Saal austrägt. Sie sind an jenem Tage dazu nicht bereit gewesen. Das war der 15. September. Gestern waren Sie dazu bereit. Die Bundesregierung und ich selbst, wir waren darauf durchaus eingestellt und hätten es für völlig normal gehalten, diese normale Funktion des Parlaments, sich über alle Bereiche der Politik streitig auseinanderzusetzen, auch zehn Tage nach jenem terroristischen Verbrechen stattfinden zu lassen. Wir waren darauf eingestellt. Sie waren eigentlich auch darauf eingestellt gewesen, aber Sie haben dann damals sagen lassen — verbunden mit der Andeutung bestimmter parlamentarischer Verhaltensweisen, die Ihnen legitimerweise zu Gebote stehen —, Sie wünschten dies nicht.Die Regierungsparteien und die Bundesregierung haben sich dem Wunsche der Opposition insoweit nicht verschlossen und haben die Regierungserklärung auf den Gegenstand beschränkt, der durch das terroristische Verbrechen gegeben war. Ich habe mich dabei bemüht, meinerseits keinen Graben aufzureißen oder einen bereits aufgerissenen Graben zu vertiefen. Ich will nur sagen: Es muß trotzdem bei alledem die normale politische Auseinandersetzung weitergehen.
Ich weiß nicht, ob die normale politische Auseinandersetzung nun allerdings mit der Terrorismusdebatte so verknüpft werden muß, wie das hier und da in den letzten Tagen begonnen hat. Uns wird eine „Herbstoffensive" der Opposition angekündigt. Ich weiß nicht, ob der Ausdruck ganz glücklich gewählt ist; mögen die Urheber darüber nachdenken. Ich entnehme nur, daß Herr Strauß vor 14 Tagen auf die Offensive noch nicht ganz vorbereitet war. Gestern war er ganz gut vorbereitet. Er hatte eine ganze Menge an wirksamen Späßen und rhetorischen Formeln zur Verfügung.Nur, Herr Abgeordneter Strauß, wer sich auf diese Offensive festlegt, muß sich fragen, ob er eigentlich seiner Rolle als Opposition wirklich gerecht werden kann. Wenn Sie Offensive im Sinne totaler Konfrontation wirklich meinen — gut, wir werden das ertragen müssen. Wir haben das bisher auch schon eine Zeitlang ausgehalten, und wir sehen dabei gar nicht so schlecht aus, Herr Strauß. Wir können das. Ob es gut ist, totale Konfrontation in einem Parlament zu wollen, wenn man gleichzeitig davon spricht, daß Konfrontation die Gemeinschaft zerstöre, das müssen Sie selbst beurteilen. Ich habe darüber ein feststehendes Urteil: Das ist nicht gut.
Der Angriff gegen die Position der Regierungsparteien ist legitim; der steht Ihnen zu. Aber er wäre eindrucksvoller, wenn Sie eine eigene Position hinzufügen könnten. Sie hat gestern 90 Minuten lang gefehlt; davon war nichts zu erkennen.
Je stärker aber nicht um Substanz gestritten wird und je weniger alternative Substanz angeboten wird, je mehr statt dessen Konfrontation inszeniert wird, desto größer ist die Gefahr für das Ansehen der Parteien. Es ist ja nicht so, daß unser Volk von einer Staatsverdrossenheit erfaßt sei. Es ist Parteienverdrossenheit, die Sie vielerorten treffen. Das bezieht sich auf alle politischen Parteien. Herr Strauß
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3604 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Bundeskanzler Schmidthat es gestern in seiner Rede selber eingeräumt, als er sagte, das gehe ja auch an der CDU/CSU nicht vorbei. Die Burger, wo sie auch politisch stehen, möchten parteiliche Konfrontation nicht als Selbstzweck vorgeführt bekommen. Deswegen genießen ja bei alledem die Bundesregierung und die Organe des Staates insgesamt ein unbeeinträchtigtes Vertrauen gegenüber sehr beeinträchtigtem Vertrauen in politische Parteien.Herr Strauß hat ein weiteres Mal in den langen Jahren seiner Zugehörigkeit hier auf den Marxismus-Popanz eingeschlagen. Dazu möchte ich etwas sagen. Kurt Schumacher hat 1946 das in meiner Partei geradezu klassisch gewordene Wort geprägt, daß es nicht darauf ankäme, ob jemand durch die Methoden marxistischer Wirtschaftsanalyse oder ob jemand aus ethischen Gründen oder ob jemand aus dem Geiste der Bergpredigt Sozialdemokrat geworden sei. Dazu ist zu sagen: Meine Partei, für die ich einmal im Augenblick ein paar Minuten sprechen darf, ist schon lange vor 1946, während der ganzen Nazi-Zeit — 1946 konnte es erst öffentlich erkennbar werden —, dieser von Schumacher geprägten Maxime gefolgt. Das wird auch darin deutlich, wie ihre Mitglieder miteinander umgingen. Schließlich hat das dann im Godesberger Grundsatzprogramm heute vor bald 20 Jahren seinen Niederschlag gefunden. Schumacher hat übrigens auch gesagt, eine einheitliche Parteitheorie sei der Tod der Freiheit, woraus sich ergibt, daß solche marxistischen Positionen, die eine ausschließliche und damit letztendlich undemokratische Theorie vertreten, in der SPD sicherlich nicht legitim sind. Jeder weiß, daß ich kein Marxist bin. Aber ich möchte doch wiederholen, was ich trotz Herrn Strauß viele Male gesagt 'habe: Ich empfehle, den Mann zu lesen. Ich empfehle, manches andere auch zu lesen. Ich empfehle nicht, ihn allein zu lesen; denn einseitige geistige Diät ist eine Ursache für mancherlei philosophische Krankheit.Was aber nun die Sozialdemokraten angeht, Herr Strauß: die Überzeugungen der Sozialdemokraten, die Überzeugungen des demokratischen Sozialismus, über den Sie sich gestern lächerlich machen zu sollen meinten, fließen nicht aus einer einzigen Theorie. Sie fließen aus eigener Erfahrung mit der Wirklichkeit. Sie fließen aus vielem, was man liest und lernt. Sie fließen aus der Interpretation all dessen, auch aus der Interpretation der eigenen Erfahrung. Letztlich fließen sie aus dem sittlichen Urteil über das, was politisch sein soll, was in Solidarität getan werden soll, um .der Freiheit willen, um der Demokratie, um der Gerechtigkeit, um dem Rechtes, um der Würde des Menschen willen. Wer von dem Anspruch beseelt ist das, was sein soll, zwingend aus einer rein theoretischen Erklärung dessen abzuleiten, was ist oder war, der wird es schwer haben. Hier liegt sicherlich eine der großen Gefährdungen, die aus dem Marxismus kommen. Solche Marxisten, die das so meinen, die dienen dem großen Marx sicherlich nicht, der in mancher Weise unser ökonomisches, unser soziologisches, unser philosophisches Wissen bereichert hat.Lassen Sie mich sagen: Der Kern, um den hier gerungen wird, um den es hier geht — Herr Strauß hat ja den Vorstoß zum Kern der Dinge verlangt —, ist, daß nicht einer von dem anderen Popanze aufbaut, Potemkinsche Dörfer, und sich dann in glänzenden Kavallerieattacken als jemand darstellt, der den Gegner besiegt.
Ich verstehe nach all dem Ärger, den Ihnen das Wort vom Saustall eingebracht hat, auch nicht, daß Sie nun in München die FDP in Ihrer Parteitagsrede einen Sauhaufen genannt haben. Herr Strauß, Sie haben eine ausgesprochene Neigung zum Borstenvieh in ihrer politischen Sprache.
Ich bin gegen diese fortlaufende, fortwährende, von ihm nicht provozierte Herabsetzung des Gegners. Es hatte ja vor Ihnen auf dem CSU-Parteitag weder ein Sozialdemokrat noch ein Freier Demokrat gesprochen und Sie angegriffen, auf ' den Sie hätten antworten müssen. Daß hier im Bundestag auf grobe Klötze auch grobe Keile gesetzt werden müssen, ist allerdings meine Überzeugung; aber Ihre Parteitagsreden, Herr Abgeordneter Strauß, halten Sie doch in kaltem Blute, um anderen Leuten das Blut in Wallung zu treiben; das ist Ihre wirkliche Absicht.
Das ist nun der Punkt, an dem ich mich Dr. Barzel zuwende, der gestern gemeint hat, auf diesem Lande laste die Koalition.
Er meint das Land, in dem in zehn Jahren die Nettoeinkommen um mehr als hundert Prozent gestiegen sind. Er meint das Land, in dem die Renten um mehr als hundert Prozent gestiegen sind.
Er meint das Land, das einen großen Schritt in Richtung Mitbestimmung getan hat. Er meint das Land, in dem heute die Renten so hoch sind wie niemals vorher.
Er meint das Land, das in vielerlei Weise den Frieden nicht nur im Innern,
sondern auch nach außen hat bewahren und festigen können, nicht immer mit der Zustimmung Ihrer Fraktion, wohl mit Ihrer eigenen Zustimmung, Herr Dr. Barzel; dessen bin ich mir durchaus bewußt. Keineswegs aber hat uns bei dieser Friedensarbeit überall die Zustimmung der CDU/CSU geholfen;
im Gegenteil! Wenn ich jetzt manchmal den Ministerpräsidenten Albrecht höre, habe ich das Gefühl, er habe die Vertragspolitik mit der Volksrepublik Polen selber erfunden. Aber so war es ja nicht.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3605
Bundeskanzler SchmidtSie meinen, Herr Dr. Barzel, das Land, das Freie Demokraten und Sozialdemokraten über eine lange Strecke von Jahren, in denen wir in diese wirklich schlimme weltwirtschaftliche Krise hineingekommen sind, gut ausgebaut haben.
— Ich verstehe Ihre Zwischenrufe nicht. Darf ich Sie an das erinnern, was Herr Strauß gestern sagte, der die Behauptung aufstellte, das seien überall sozialistische oder sozialdemokratische Regierungen, die für die heutigen wirtschaftlichen Zustände verantwortlich seien. Ist denn in Japan, ist in Amerika, ist in Italien, ist in Frankreich eine sozialdemokratische Regierung im Amte? Was soll denn diese Schwarzweißmalerei? Das ist doch lächerlich, das hat doch keinen Sinn.
Herr Barzel war sicherlich sehr viel höflicher und sehr viel überlegener und überlegter. Aber ich finde, so, Herr Barzel, wie Sie gestern gesprochen haben, sollten Sie eigentlich nicht reden.
— Ich meine, daß muß doch noch erlaubt sein:
wenn mich ein Kollege öffentlich mahnt, was ich nicht tun sollte, darf ich ja wohl auch meinerseits eine solche Bitte aussprechen; so weit sind wir ja noch nicht.
Herr Barzel hat z. B. außenpolitische Bemerkungen gemacht.
Lassen Sie mich dazu ein Wort sagen, Herr Barzel. Es hat am Anfang der Amtsperiode des neuen amerikanischen Präsidenten auf manchen Gebieten Meinungsverschiedenheiten gegeben. An der Austragung und Ausräumung einiger dieser Meinungsverschiedenheiten war auch die Führung der Opposition durchaus beteiligt. Inzwischen ist die Sache so, daß man ohne jedwedes Zögern in der Stimme feststellen muß, daß die festgefügten Grundlagen des deutsch-amerikanischen Bündnisses, des beiderseitigen Verhältnisses völlig intakt sind, daß unsere intensiven Gespräche miteinander, insbesondere im Juli in Washington, inzwischen dazu geführt haben, daß auch bezüglich des Ost-West-Verhältnisses, des praktischen Fortgehens bei der Entspannungspolitik volle Übereinstimmung hergestellt wurde, was seinen Niederschlag findet auf der vorgestern in Belgrad begonnenen KSZE-Folgekonferenz und darin, daß wir dort gemeinsam mit den Vereinigten Staaten argumentieren. Es hat seinen Niederschlag auch in der Intensität gefunden, mit der die neue amerikanische Administration ihr Verhältnis zur Sowjetunion insgesamt zu entwickeln sucht, eine Entwicklung, die uns berechtigte Hoffnungen gibt, daß es auf dem für uns alle vitalen Gebiet einer Begrenzung der strategischen Nuklearwaffen durch SALT in absehbarer Zeit wirksame Fortschritte geben wird. Ich will zu all dem hinzufügen, daß meine inzwischen vielfältigen Gespräche mit Präsident Carter das bereits im Mai in London hergestellte vertrauensvolle persönliche Verhältnis sehr gefestigt und vertieft haben.Ich sage das alles nur, weil der Herr Kollege Barzel gestern gemeint hat, Herr Carter reise um Deutschland herum. So ist es nicht. Er macht eine Weltreise zu zehn Staaten. Im nächsten Jahr kommt er, ohne Rundreise, in die Bundesrepublik Deutschland und geht auch nach Berlin. Dies ist verabredet, Herr Kollege Barzel.
— Zu dem Zwischenruf, den Herr Barzel macht: Auch Herr Breschnew kommt bestimmt. Allerdings will ich eines hinzufügen: Wenn die von mir prinzipiell positiv beurteilte fortschreitende Entwicklung bei SALT II andere Besuche — was ich nicht ankündigen will, aber nicht für völlig ausgeschlossen halten darf — sich zeitlich in den Vordergrund schieben lassen sollte, würde ich darüber nicht weinen.
— Vom Herbst ist die Rede!Herr Carter hat vorgestern vor den Vereinten Nationen seine konsequente Friedenspolitik erläutert. Er hat seine Verpflichtung, seine für die USA ausgesprochene Verpflichtung zum Ausdruck gebracht, Nuklearwaffen nur zur Selbstverteidigung, d. h. bei einem nuklearen oder konventionellen Angriff auf die Vereinigten Staaten oder auf das Gebiet eines ihrer Verbündeten oder auf ihre Streitkräfte, einzusetzen. Diese seine Verpflichtung hält sich in voller Übereinstimmung mit dem Grundkonzept der Atlantischen Allianz, dem Grundkonzept der Kriegsverhütung durch Abschreckung, entspricht dem Prinzip des Gewaltverzichts, wie es in der UN-Charta und in der Helsinki-Schlußakte verankert ist, demselben Prinzip, das in unserer Außenpolitik seit Jahren seine konkrete Ausprägung findet. Wir begrüßen die Erklärung des Präsidenten und erwarten, daß sich die andere Seite dem politisch-moralischen Imperativ dieser Erklärung nicht entziehen wird.Wenn es zu einem neuen SALT-Abkommen kommt, so würde dies nicht nur Auswirkungen auf das strategische Kräfteverhältnis zwischen den beiden Großmächten haben, sondern auch auf andere Bereiche der Ost-West-Beziehungen ausstrahlen. Dies kann nur zu unserem Nutzen sein. Kein Volk ist mehr als die geteilte deutsche Nation seiner Existenz wegen so darauf angewiesen, daß der Friede bewahrt wird, wie wir hier — mitten auf der Nahtlinie reitend —, ein Teil drüben: die Deutsche Demokratische Republik, ein Teil hier: die Bundesrepublik Deutschland. Übrigens, unsere Sondierungen mit der DDR haben dazu geführt, daß auf Teilgebieten sofort offizielle Verhandlungen beginnen können und auch werden.
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3606 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Bundeskanzler SchmidtIch möchte ein Wort zur Solidarität mit unseren Partnern in Europa hinzufügen, einer Solidarität, die sich im Laufe der letzten Sommer- und Herbstmonate besonders bewährt hat. Das gilt für Frankreich und seinen Präsidenten. In den nächsten Wochen kommt der französische Premierminister Barre hierher zu Besuch. Das gilt für Großbritannien, dessen Premierminister am 18. Oktober hierher zu Besuch kommt, dessen Bemühen um Wiedergewinnung wirtschaftlicher Stabilität, dessen Entschlossenheit auf diesem Feld wir mit großer Befriedigung verfolgen. Das gilt auch, um den dritten der großen westeuropäischen Partner zu nennen, für Italien. Ich bin ganz zuversichtlich, daß sich die im Wissen um die Geschichte unserer Länder in jahrelanger Zusammenarbeit festgegründete deutsch-italienische Freundschaft behaupten wird. Es wird auch mit Premierminister Andreotti bald zu einem Treffen kommen.Ich will in diesem Zusammenhang ein Wort zu dem Deutschlandbild sagen, das im Ausland entstanden ist, zum Teil mit Fleiß gezeichnet wird. Es mag sein — ich rede jetzt nicht von einigen, die ihre Komplexe an den Deutschen abreagieren oder die ihre innenpolitischen Streitigkeiten auf dem Rücken des außenpolitischen deutschen Partners austragen, diese lasse ich einmal beiseite; ich rede von unseren guten Freunden oder von denjenigen, deren Urteil wir in jedem Fall ernst nehmen müssen —, daß manches am Bilde Deutschlands manchen ausländischen Beobachter erstaunt. Es erstaunt ihn, daß es bei uns keine neofaschistische Partei gibt, es erstaunt ihn, daß es bei uns keine nennenswerte kommunistische Partei gibt. Das politische Spektrum in der Bundeserepublik ist sehr viel enger als das politische Spektrum, das Parteienspektrum in anderen westeuropäischen Ländern. Dies kommt manchen ungewöhnlich vor; einigen kommt es sogar nicht normal vor. Für uns ist es normal angesichts der Erfahrungen mit dem Faschismus, angesichts der Nähe zur kommunistischen Herrschaftsform. Darin liegt einer der Gründe für mancherlei Fehlinterpretation. Ein anderer liegt vielleicht in unserem relativen wirtschaftlichen Erfolg.Aber sosehr wir auf der einen Seite ernst nehmen müssen, was unsere Freunde uns raten — und sie raten uns ja auch zur Gelassenheit gegenüber dem Terrorismus und zur Gelassenheit im Umgang mit uns selbst -, so wenig können wir uns die Legitimation nehmen lassen, dabei mitzureden. Wir reden ja auch mit, wir schreiben mit durch all das, was wir täglich sagen und schreiben. Ich bitte nur, daß wir uns dessen bewußt bleiben, daß wir nicht, was einigen draußen in der Welt vielleicht ganz erwünscht wäre, zum Sündenbock für anderes Übel werden dürfen. Wir können auch nicht zulassen, daß die Deutschen in der Bundesrepblik Deutschland quasi stellvertretend für die ganze deutsche Geschichte in Anspruch genommen und jetzt erneut gescholten werden, und diejenigen, die dort drüben die kommunistische Herrschaft ausüben, sich dann auch noch aufspielen können, als ob sie darüber erhaben seien. Das können wir auch nicht zulassen.Wir werden bei manchen in der jungen Generation die Bereitschaft dafür wecken müssen — nicht bei allen muß man sie wecken; bei den meisten ist die Beschäftigung mit Hitler-Filmen und dergleichen ja etwas durchaus als sehr erfreulich zu Qualifizierendes —, sich mit der Frage auseinanderzusetzen: Wie konnte es zu Hitler und zu Oradour und zu Auschwitz kommen?, Fragen, die uns gegenwärtig vom Ausland wieder besonders laut gestellt werden? Wir sind bereit, diese Frage immer wieder auf uns zu nehmen und an der Auseinandersetzung mitzuwirken. Wer aber die Bundesrepublik Deutschland damit vermengen möchte, der wird in uns allen seinen gemeinsamen und entschlossenen Gegner finden müssen:
Manches an dem heute im Ausland gezeichneten Deutschlandbild muß einen erstaunen. Manchem muß man ausdrücklich sagen, daß Angehörige der drei Parteien, die nach dem Krieg entstanden oder — in unserem Fall — wiedererstanden sind, daß viele führende Männer der ersten Stunde und der ersten Jahre hinter den Gefängnisgittern der Nazis gesessen haben, in den Konzentrationslagern gesessen haben, daß sie schreckliche Unbill erlitten haben, daß sie Menschen verloren haben, die ihnen vom Herzen und vom Geiste her nahestanden, daß viele ihr Land haben verlassen müssen, in das sie nachher zurückgekehrt sind. Es ist erstaunlich, daß man das heute manchen Ausländern in die Erinnerung zurückrufen muß. Aber wir müssen es vielleicht doch tun. Wir werden es um so leichter tun können, je weniger wir heute durch den Umgang untereinander das Mißverständnis aufkommen lassen, als ob sich hier gewisse angeblich latente Neigungen der Deutschen zu Ordnungshysterie wieder Spielraum verschafften.
Meine Damen und Herren, ich möchte am Schluß einen Satz sagen, für den ich meinen freidemokratischen Koalitionspartner nicht in Anspruch nehmen kann. Wenn hier denn Konfrontation geübt werden soll — damit komme ich auf die Rede des Oppositionsführers von gestern zurück —, dann mögen Sie die Linke in unserem Lande — und die Sozialdemokratie ist die große demokratische linke Volkspartei in der Bundesrepublik — verteufeln. Eines werden Sie nicht verhindern können, nämlich dies: Das Herz der kleinen Leute, Herr Abgeordneter Strauß, wird auch in Zukunft in diesem Lande immer links schlagen.
Es wird schlagen für mehr Gerechtigkeit und für mehr Freiheit und für mehr Humanität. Und auf dieser Seite stehen wir Sozialdemokraten,
ob Ihnen das nun paßt, ob Sie es leugnen wollenoder nicht. Hier werden wir stehen, hier werden wirarbeiten. Und das ist der Kern der Sache, um den
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3607
Bundeskanzler SchmidtSie nur streiten können, den Sie aber nicht werden ändern können.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kohl.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Zufall des Kalenders fügt es, daß diese Debatte am zweiten Tage der ersten Lesung des Bundeshaushalts ein Jahr nach dem Sonntag der Bundestagswahl 1976 stattfindet.
So gerät diese erste Lesung des Bundeshaushalts für das nächste Jahr ganz zwangsläufig — das ist verständlich und vernünftig und entspricht parlamentarischem Stil — zur Generalaussprache über die anstehenden Themen. Ich bin mit Ihnen, Herr Bundeskanzler, durchaus der Meinung, daß wir in den nächsten Wochen genug Gelegenheit haben, noch über andere Felder der Politik im einzelnen zu sprechen.Ich stimme Ihnen auch darin zu, daß dies eine ganz normale politische Debatte ist. Ich vermag nur nicht zu begreifen, warum Sie hier nun heute — und gar vor dem Fernsehpublikum, das das doch gar nicht verstehen kann — die Frage aufwerfen, warum wir nicht vor 14 Tagen, unter dem unmittelbaren Eindruck der Entführung von Dr. Hanns Martin Schleyer, eine solche Debatte geführt haben. Stil und Selbstverständnis des deutschen Parlaments haben uns damals zu dem richtigen Schritt geraten, und das, was Sie heute tun, ist törichtes Nachkarten in dieser Sache.
Meine Damen und Herren, es war in der Tat auch eine ganz normale Rede des gegenwärtigen deutschen Bundeskanzlers. Er hat hier gesagt, mit kaltem Blut habe der Kollege Franz Josef Strauß auf dem CSU-Parteitag gesprochen. Wer weiß, Herr Bundeskanzler, wie Sie mit kaltem Blut an dieses Pult treten, um den Gegner zu reizen, ihn herabzusetzen und zu beleidigen,
der fragt sich: Woher nehmen Sie eigentlich überhaupt das Recht, andere zu rügen?
Ihre Rede war ein einziges Dokument der Schwäche.
Es war, meine Damen und Herren, die Rede eines Mannes, der eine Minderheitsregierung anführt
und der hier seine Unterwerfung gegenüber den Linken in der eigenen Partei dokumentieren und demonstrieren muß.
Und es war in Wort und Stil der reine Helmut Schmidt, wie wir ihn kennen: hier ein bißchen verleumdet, dort ein bißchen Halbwahrheit und dazwischen eine Partie staatsmännischer Ausführung. Meine Damen und Herren, ich will es gar nicht auf uns, die sich jetzt hier im Saale befinden, beziehen. Es gab bei dieser Debatte eine Eingangsszene, die typisch ist.Sie haben über die Soziale Marktwirtschaft gesprochen, Herr Bundeskanzler. Das ist Ihr gutes Recht. Wenn Sie jetzt über Soziale Marktwirtschaft reden, wenn Sie jetzt über Ludwig Erhard reden, dann muß ich Sie ganz einfach fragen: Was soll denn das, wenn Sie sagen, Sie seien nicht seiner Meinung im Zusammenhang mit der Sozialen Marktwirtschaft? Das ist Ihr gutes Recht. Sie fuhren dann fort, Sie seien nicht seiner Auffassung in Sachen formierter Gesellschaft. Das ist Ihr gutes Recht. Aber was soll denn der Hinweis mit den Pinschern?Herr Bundeskanzler, im Mai dieses Jahres haben Sie in einem Staatsakt in diesem Saal als Regierungschef eine Trauerrede gehalten; da haben Sie vor dem deutschen Volk den Eindruck erwecken wollen, Sie seien der Erbe und Sachwalter Ludwig Erhards.
Wenn Sie sich in dieser Debatte mit der Vorstellung der Union von Sozialer Marktwirtschaft auseinandersetzen wollen, dann tun Sie es doch!
Was soll in dieser Debatte der tote Ludwig Erhard, der unseren Respekt verdient? Ich kann Ihnen nur raten: Kehren Sie wenigstens zu den einfachsten Umgangsformen bürgerlichen Anstands zurück!
Dann sagen Sie zu anderen, sie würden politische Gegner verteufeln. Wenn Sie einmal Ihre eigenen Reden analysieren, sehen Sie, daß sie auf dem Prinzip des Verteufelns aufgebaut sind, mit dieser oder mit jener Halbwahrheit.
— Meine Damen und Herren, Sie werden sich heute noch mehr zu diesem Thema anhören müssen, und Sie werden es mit Geduld tun.
Es ist Ihre Sache, Herr Bundeskanzler, sich hierher zu stellen und zu erklären: -Das Herz der kleinen Leute schlägt links. Vor einem Jahr bei der Wahl haben Sie gesehen, wie Ihnen die kleinen Leute davongelaufen sind. Wenn diese kleinen Leute vor einem Jahr gewußt hätten, was die Regierung Helmut Schmidt ihnen in den nächsten zwölf Monaten bescheren würde, wären Sie längst davongejagt worden. Das ist doch das, was hier zu sagen ist.
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3608 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Dr. KohlWer hat denn die kleinen Leute im Zusammenhang mit der Rente betrogen?
Das waren doch Sie, Herr Bundeskanzler, und sonst niemand.
Wer hat denn die kleinen Sparer in der Bundesrepublik betrogen? Das waren doch Sie, Herr Bundeskanzler. (Beifall bei der CDU/CSU)Wer hat denn der jungen Generation die Verheißung einer neuen Vision gegeben? Das waren doch Willy Brandt und Sie, Herr Bundeskanzler, und Sie haben sie betrogen.
Darüber werden wir uns unterhalten.
Uns verdrießt es nicht, wenn sich hier der Bundeskanzler, klar von seinem liberalen Koalitionspartner abgesetzt, seine Definition der Sozialen Marktwirtschaft gibt.Ich sehe im Augenblick nicht den Kollegen Graf Lambsdorff; aber er kann es ja nachlesen. Er hat gestern hier ein feuriges, leidenschaftliches Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft abgelegt.
Er hat deutlich gemacht, daß dies das Leitbild sei, das sozusagen schriftlich und symbolisch über seinem künftigen Schreibtisch hängen werde. Ich kann ihm nur wünschen, daß er mit diesem Leitmotiv in dieser Koalition nicht genauso scheitern wird wie sein Vorgänger, der heute seinen Abschied nimmt.
Herr Bundeskanzler, was Sie von Sozialer Marktwirtschaft halten, das ist Ihre Sache. Für uns ist nach den 28 Jahren, die die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ausmachen, die Soziale Marktwirtschaft das entscheidende tragende Prinzip der lebenden Verfassung von Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland.
Wir haben das nie anders verstanden denn als ein dynamisches Prinzip. Sie selbst haben hier in Ihrer Totenrede auf Ludwig Erhard sein Verständnis von Sozialer Marktwirtschaft in diesem Sinne entsprechend gewürdigt Ich kann mich dem eigentlich nur anschließen. Aber ich sehe mit großem Interesse, wie Sie auch in dieser prinzipiellen Frage so deutlich einen Weg abbauen, den Sie bisher für selbstverständlich gehalten haben. Es ist die Zeit des Hamburger Parteitags, und es gilt vor dem GeßlerHut rechtzeitig seine Reverenz zu erweisen. Das ist das, was hier ansteht.
Dann haben Sie eine gewaltige Schelte auf die Redner der Union, auf Rainer Barzel und Franz JosefStrauß losgelassen. Bloß, Sie haben beide in keinem einzigen Punkt widerlegt.
Sie haben Ihre alten Platitüden neu aufgezogen, beispielsweise die, daß jeder, der die Politik dieser Regierung kritisiert, seine Majestät den Kanzler kritisiert, den Attentismus unterstützt. Wenn der Attentismus von jemandem unterstützt wird, dann doch von Ihnen und den Mitgliedern Ihrer Regierung. Lesen Sie doch einmal nach, was Herr Matthöfer alles zur Energiepolitik gesagt hat! Das ist schon gar kein Zickzackkurs mehr; ich komme gleich darauf zu sprechen. Und Herr Apel hat ja gestern als ganz neues tragendes Prinzip weitschauender Wirtschaftspolitik die jährliche Steuerfestsetzung proklamiert.
Das ist wirklich ein Beitrag zu einer „soliden" Gestaltung volkswirtschaftlicher Grunddaten! Bei diesen Rahmenbedingungen kann der deutsche Unternehmer mit Lust und Gewinn investieren, wie sich jeder vorstellen kann.
Sie reden von Attentismus, Herr Bundeskanzler, und sind stellvertretender Vorsitzender — auch wenn Sie es so verbergen — einer Partei, die jahrelang Leistung und Gewinn bewußt diffamiert hat, die es zugelassen hat, daß der wagende und wägende Unternehmer ins Abseits gedrängt wurde, die Neid zu einem Mittel sozialistischer Politik hochstilisiert hat. Da wundern Sie sich, wenn ein Vertrauensverlust eintritt. Wer will denn einer Regierung vertrauen, die etwa in Sachen Steuern über zwölf Monate hinweg solche Ankündigungen macht? Es reicht ja kaum die Zeit einer normalen Bundestagsrede, um allein diesen Zickzackkurs einmal nachzuzeichnen.
Das ist die Bilanz Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, ein Jahr nach der Wahl: Arbeitslosigkeit und weit und breit keine Besserung in Sicht; Verlust an Zukunftschancen und depressive Stimmung in der jungen Generation; stagnierende bzw. niedrigere Zahlen in unserer wirtschaftlichen Entwicklung.; Schwinden der Investitionsbereitschaft, mit einem Wort: Das Vertrauen ist dahin. Und wenn Sie es noch einmal kritisieren: Das Vertrauen in die investive Kraft unserer Wirtschaft, in die dynamische Kraft und die dynamischen Möglichkeiten der deutschen Volkswirtschaft werden erst dann wieder voll und ganz da sein und wir werden Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum erst dann wieder haben, wenn Sie und Ihre Regierung abgetreten sind. Das ist die Voraussetzung.
Vor zehn Monaten, bei Abgabe Ihrer Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, sagten Sie — Sie waren stolz darauf —, Sie stünden mit dieser Bundesregierung in der Kontinuität der Regierungen Willy Brandts. So gilt dieser Satz nach Ihrem Anspruch auch für Sie und Ihre Regierung: Mehr Demokratie wagen, jetzt beginne die deutsche Demokratie eigentlich erst. Das war damals Hybris, und
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Dr. Kohljeder wußte es. Und jetzt sehen Sie die Bilanz an: Verlust an Vertrauen,
Verlust an Autorität des Staates, Verdrossenheit geht um. Das ist keine Sache, von der Sie sich mit der Bemerkung davonschleichen können, das gehe alle Parteien an. Der Satz ist richtig: Das geht alle Demokraten und damit alle demokratischen Parteien und damit selbstverständlich auch die CDU/CSU an. Aber woher kommt denn diese Vertrauenskrise? Wer hat denn das Volk Monate hindurch so belogen, wie Sie in der Regierung das getan haben?
Wir werden uns heute über diese Dinge hart auseinandersetzen; denn es ist unerträglich, daß beispielsweise in der Frage der Bekämpfung des Terrorismus bei den Staatsakten und bei den Trauerfeiern die Gemeinsamkeit der Demokraten beschworen wird und sich dann, wenn es zum einfachsten Handeln wie am vergangenen Donnerstag kommt, soundso viele vor dieser Verantwortung drücken. Hier hat doch Herbert Wehner recht und nicht Sie. Wehner hat es doch deutlich charakterisiert am vergangenen Donnerstag und nicht Sie heute, Herr Bundeskanzler. Das hat doch nichts damit zu tun, daß hier Abgeordnete ihrem Gewissen entsprechend abstimmen.
Das ist doch ganz selbstverständlich, daß in einem freien Parlament mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Abgeordnete ihrem Gewissen entsprechend abstimmen können. Das brauchen wir doch überhaupt nicht zu betonen. Hier geht es doch nicht um das Abstimmungsverhalten allein, hier geht es doch darum, mit welchen Tönen hier begründet wurde, welche unglaublichen Thesen bei dieser Gelegenheit vertreten wurden.
Dazu, Herr Bundeskanzler, haben Sie nichts gesagt, weil Ihnen der Mut fehlt, weil Sie erpreßbar geworden sind mit Ihrer Mehrheit von den Linken in Ihrer eigenen Partei,
weil es so ist, daß die wirklichen Schicksalsfragen unseres Landes gegenwärtig von dieser Regierung nicht angegangen werden können — selbst wenn sie den Willen und die Einsicht hat —, weil einige Hände voll radikaler Linker in Ihrer Partei und einige Fellow travellers in der FDP Sie daran hindern, Vernünftiges zu tun.
Ich will es Ihnen an zwei Beispielen deutlich machen, an der Frage der Energiepolitik und an der Frage der Bekämpfung des Terrorismus.Was gestern hier Herr Friderichs in seiner Abschiedsvorstellung in Sachen Energiepolitik sagte, war wirklich schwer erträglich.
Er, der völlig vernünftige Ansichten im Bundes-hauptausschuß der FDP vertreten hat, der dort untergegangen ist, sah sich nun gestern bemüßigt, in seinem Schwanengesang etwas zu sagen, was doch nie seine Überzeugung sein kann. Er weiß doch so gut wie ich, daß dieser Beschluß der FDP in ihrem Hauptausschuß verhängnisvoll ist, wenn er Wirklichkeit wird und deutsche Politik bestimmen kann.
Die Wahrheit ist, daß es in diesen Tagen das ganze Bestreben der Bundesregierung und allen voran der Bundeskanzler ist, das Thema Energiepolitik zu tabuisieren, um die Parteitage von FDP und SPD im November überwinden zu können. Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, hier schließt sich der geschichtliche Kreis.
Sie haben eben wieder die große SPD-Tradition angesprochen. Sie stehen hier — —
— Nun, die Herren sind — —
— Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen das, glaube ich, nicht weiter zu rügen. Wer unfähig und unwillig zur Diskussion ist, der braucht dem politischen Gegner nicht einmal mehr die Reverenz zu erweisen. Das ist der neue Stil deutscher Demokratie, der hier „gewagt" wird.
Herr Bundeskanzler, wenn ich Sie jetzt beobachte, beispielsweise in Sachen Energiepolitik, dann kommt doch automatisch der Gedanke an eine Periode deutscher Geschichte, wo es auch einen sozialdemokratischen Regierungschef gab: ich denke an den Reichskanzler Herbert Müller, der damals, 1929, wichtige Entscheidungen im Interesse des ganzen Landes treffen wollte, im Kabinett traf und dem dann der Parteitag der SPD das Instrumentarium aus der Hand schlug. Das ist doch heute wirklich Ihre Lage. Das sollten Sie einmal hier vom Pult aus erläutern, wie es möglich ist, daß eine von Ihnen wie mir gleichermaßen, von der Mehrheit dieses Hauses gleichermaßen — ich behaupte sogar: von der Mehrheit der SPD-Fraktion gleichermaßen — als vernünftig erkannte Energiepolitik gestoppt werden soll, weil aus ideologischen Verklemmungen eines Randbereiches in Ihrer eigenen Partei, der aber immer stärker wird, hier das politisch und wirtschaftlich Vernünftige unmöglich gemacht werden soll.
Sie sprachen vorhin vom Attentismus.
— Verehrter Herr Kollege, der Herr Kollege Gruhl ist Mitglied der Fraktion. In dieser Fraktion gibt es keinen Abstimmungszwang. Er kann natürlich so abstimmen, wie er dies für richtig hält.
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3610 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Dr. Kohl— Aber Sie können doch nicht aus der Tatsache, daß wir in der Fraktion ganz selbstverständlich einen Kollegen haben, der so votiert, schließen, daß wir in dieser Grundsatzfrage deutscher Politik nicht bereit sind, das Notwendige durchzusetzen. Das ist das Entscheidende, und dazu sind Sie unfähig.
Herr Bundeskanzler, Sie sprachen vom Attentismus. Jetzt frage ich Sie: Ist es eigentlich Attentismus, wenn Besteller von Reaktoranlagen zurückhalten, nachdem sie im März dieses Jahres Eckwerte der Bundesregierung mitgeteilt bekommen haben und jetzt zu befürchten steht,. daß Sie auf Ihren Parteitagen ein Moratorium beschließen und daß alles gar nicht geht? Sie wissen, es ist eine Kapazität von weit über 10 Milliarden DM, von der ich in diesem Zusammenhang spreche. Das sind doch wirklich drängende Fragen. Kein Wort ist von Ihnen dazu zu hören, außer jenen nebulosen Äußerungen des Herrn Abgeordneten Ehmke, auf die ich nachher noch zu sprechen komme.
Es ist ganz klar, daß der Parteivorstand der SPD mit dem, was er als Vorlage für den Bundesparteitag beschlossen hat, seine eigene, von ihm getragene Bundesregierung zurückgenommen, zurückgezwungen hat und daß Sie wirtschaftliche Vernunft auf Grund dieses Beschlusses nicht durchsetzen können.
Was soll man dazu sagen, wenn Sie selbst sich noch in der Regierungserklärung am 16. Dezember klar und unmißverständlich zugunsten der Kernenergie aussprechen und der Minister für Forschung und Technologie, also ein Kabinettsmitglied, Herr Bundeskanzler, dann wenige Monate später schon erklärt — ich zitiere wörtlich —, „daß wir mit einem Aussetzen des Neubaus von Kernkraftwerken von drei bis fünf Jahren zu rechnen haben"? Herr Bundeskanzler, um auch das gleich auszusprechen: Das Ganze läuft dann draußen im Lande in einer sehr eigenartigen Weise. Sie treten nicht jenen Gruppen entgegen, die sich hier entschieden im mißbräuchlichen Sinne des Umweltschutzes bemächtigen wollen; denn unter vernünftigen Menschen in der Bundesrepublik — ich schließe hier alle Kollegen aus dem Bundestag mit ein — kann es doch gar keinen Zweifel geben, daß keiner von uns einer Politik der Kernenergie das Wort redet, die schrankenlos ist, die nicht um die Notwendigkeit ökologischer Bedürfnisse, des Umweltschutzes und der Sicherheit für die Bevölkerung weiß. Natürlich muß hier eine Güterabwägung eintreten; aber in der Güterabwägung muß doch auch enthalten sein, daß eine moderne Industriegesellschaft, wie wir, in der Zukunftssicherung für die Jahre, die vor uns liegen, auch die notwendigen mutigen Entschlüsse treffen muß. Wir brauchen in diesem Zusammenhang keinen Nachhilfeunterricht.
Sie haben uns oft als Konservative verschrien. Für mich ist das überhaupt kein Schimpfwort. Nur wer wirklich konservativ ist, der muß bei seinem politischen Tun, bei Entscheidungen, die in die Zukunft weisen, an die Generation nach ihm und an die Generation seiner Enkel denken. Wir wissen, daß der Wasserschatz der Bundesrepublik, daß der Waldreichtum, daß die natürlichen Gegebenheiten nicht kaputtgemacht werden dürfen. Wir wissen um die Verantwortung, das möglichst unbeschädigt, möglichts gut an die nächste Generation weiterzugeben. Aber in der Güterabwägung wissen wir auch, daß wir ein wirtschaftliches Wachstum brauchen und daß wir ohne Kernenergie nicht fähig sind, Wachstum zu erzielen und eine moderne Volkswirtschaft zu unterhalten, und daß in dieser Güterabwägung auch die Kernenergie mit enthalten sein muß.
Wenn ich von Herrn .Eppler und seinen Gefolgsleuten absehe, sind wohl die meisten vernünftigen Menschen in der Bundesrepublik der Auffassung, daß wirtschaftliches Nullwachstum verheerende wirtschaftliche, gesellschaftliche Folgen nach sich ziehen würde, daß ein Baustopp für drei, vier Jahre de facto ein Stopp für zwölf Jahre ist, wenn ich die Genehmigungs- und die Bauzeiten mit einbeziehe.
— Ich komme gleich zu Herrn Albrecht. Herr Kollege, Sie sollten nicht so vorlaut sein; dieser Buhmann findet für Sie nicht statt.
Ein Moratorium von drei, vier Jahren bringt, bis die Anlagen in Betrieb gehen können, de facto einen Baustopp und eine Verzögerung von zehn bis zwölf Jahren, d. h., wir sind dann am Beginn der 90er Jahre. Sie, Herr Bundeskanzler, müssen dann gegenüber der deutschen Offentlichkeit und der nachwachsenden Generation vertreten, daß wir in einer solchen Lage das Notwendige nicht getan haben. Sie müssen die Bedrohung von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen als Folge einer Rezession, die dann durch Mangel an elektrischer Energie und an Basisenergie ausgelöst wird, vertreten. Sie müssen dann eine nicht wiedergutzumachende Benachteiligung der anerkannten deutschen kerntechnischen Industrie als Anbieter auf den Weltmärkten vertreten. Sie müssen — dann mit einem Wort — vertreten, daß hier ein entscheidendes Stück unserer Zuwachserwartung, unserer Zukunftshoffnung zerstört wird.Im Jahr 2000 entspricht die errechnete Lücke fast jenem Wert, der 1976 an Mineralöl, Erdgas und Steinkohle zusammen verbraucht wurde. Man braucht doch dann keinen langen Vortrag mehr zu halten, wie notwendig es ist, daß wir jetzt unter voller Berücksichtigung der ökologischen Besorgnisse, der Umweltschutzbedingungen und vor allem der Sicherheitsauflagen das Erforderliche tun.
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Dr. KohlDamit das klar ist, meine Damen und Herren von der SPD und von der FDP: Sie werden vor Ihren Parteitagen Gelegenheit bekommen, hier Farbe zu bekennen. Das wird nicht vertagt. Wir werden Sie nicht nur in diesem Saal stellen, sondern auch in vielen hundert Veranstaltungen draußen in der ganzen Bundesrepublik. Dort werden Sie Farbe bekennen müssen.
Herr Bundeskanzler, dann wollen wir einmal sehen, was die kleinen Leute von denen Sie gesprochen haben, denken, wenn sie von einer solchen Politik hören.Im Rahmen des gesamten Schlachtengemäldes, das die Sozialdemokraten unter Führung von Helmut Schmidt hier entwickeln, wird jetzt ein neuer Kriegsschauplatz eröffnet.
Man braucht ja auf allen Feldern Schuldige. Beim Suchen des Schuldigen ist jetzt die niedersächsische Landesregierung dran. Man muß sich einmal vorstellen, wie schrecklich es für Sie wäre, wenn es Herrn Kubel dort noch gäbe. Es ist für Sie ein wahres Gottesgeschenk, daß einige damals Herrn Kubel für ablösungsreif erklärten und Ernst Albrecht Ministerpräsident wurde.
— Entschuldigung, Herr Kollege Schäfer! Ich bin gern bereit, das umzuformulieren. Sie haben recht. Herr Kubel ist zurückgetreten; aber die von der SPD als seine Nachfolger Vorgeschlagenen sind nicht gewählt worden.
Im Ergebnis kommt das aber auf dasselbe heraus; um das deutlich zu sagen.Ich habe gerade nach diesen ja sehr kalkulierten Angriffen von gestern nochmals mit Ministerpräsident Ernst Albrecht gesprochen. Er hat klar und deutlich gesagt — ich verlese das wörtlich —, daß die Landesregierung von Niedersachsen den Antrag auf Genehmigung einer Entsorgungsanlage so schnell wie möglich und so zügig wie möglich behandeln wird.
— Sie sollten nicht lachen. Denn draußen reden Sie doch ganz anders, wenn Sie die Bürger in diesem Punkt aufhetzen. — Die Anlage, so schreibt Ernst Albrecht, wird dann genehmigt werden, wenn sich als wahr erweist, was die Bundesregierung immer wieder betont, nämlich daß diese Anlage ohne Gefährdung von Leben und Gesundheit der Bevölkerung betrieben werden kann.Was der niedersächsische Ministerpräsident hier tut, ist also nichts anderes, als pflichtgemäß als Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes das zu prüfen, was er nach dem Gesetz zu prüfen hat.
Ich bin ziemlich sicher, wir sind uns alle einig, daß die Sicherheit der Bevölkerung auch bei einer solchen Anlage den absoluten Vorrang haben muß. Wir wissen doch auch, daß eine solche Prüfung ihre Zeit braucht — er hat nie etwas anderes gesagt, als er jetzt ausführt — und daß wir bei der Endlagerung vor einem völlig neuen technologischen Problem in Deutschland stehen, ja, daß in weiten Teilen der Welt eine solche Technologie überhaupt noch nie angewandt wurde.
— Wenn das sehr wahr ist, warum protestieren Sie dann, Herr Kollege? Irgendwo ist das in sich absolut absurd.
Wenn die deutsche Energieversorgung an etwas zu scheitern droht, dann doch daran, daß SPD und FDP der Bundesregierung für notwendige Schritte die Gefolgschaft verweigern. Es war doch Ihr Fehler, Herr Bundeskanzler, daß Sie die Entsorgungskoppelung so verfügt haben, daß Sie jetzt in diesen Zeitdruck gekommen sind. Ich habe nie verstanden, warum man von vornherein die Frage der Zwischenlager auf drei Jahre terminiert hat. Mir hat bisher auch noch nie jemand klarmachen können, wieso man Zwischenlager nur für drei Jahre und nicht auch für fünf Jahre einrichten kann. Der Zeitdruck ist doch — wie oft in Ihrer Politik — von Ihnen selber aus vordergründigen Motiven erzeugt worden.
Als Sie dann gemerkt haben, wie gefährlich diese Entsorgungskoppelung für die Energieversorgung ist, haben Sie — das muß doch bestätigt werden —sich mit den Ministerpräsidenten dahin verständigt, daß die Forderung auf Entsorgungskoppelung als erfüllt gelten soll — und jetzt kommt es deutlich, meine Kollegen von der SPD —, wenn die Reaktorsicherheitskommission und die Strahlenschutzkommission ihr Gutachten zum Projekt vorgelegt haben. Dies soll noch in diesem Jahr der Fall sein.Jetzt frage ich Sie bei diesem Tatbestand: Wo hat eigentlich der niedersächsische Ministerpräsident seine gesamtstaatliche Verantwortung hier verweigert? Er hat pflichtgemäß gegenüber den Bürgern seines Landes gehandelt. Und Sie sind unfähig, so zu handeln, wenn Sie die Beschlüsse Ihres Parteivorstands auf Ihrem Parteitag annehmen werden.
Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu dem Thema Terrorismus machen. Herr Bundeskanzler, Sie haben auch hier wieder die Gemeinsamkeit der Demokraten beschworen. Ich sagte schon, das hören wir nun seit vielen Wochen und Monaten bei allen Staatsakten und dann auch — ich muß es offen sagen — an den Gräbern. Wir müssen uns fragen, ob
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3612 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Dr. Kohlunser Bekenntnis zu diesem freiheitlichen Rechtsstaat und zu seiner Ordnung überzeugend ist, wenn sich die Gemeinsamkeit der Demokraten stets nur als eine Art Notgemeinschaft bewährt und in der Stunde danach das kraftvolle Handeln ausbleibt.Diesen Eindruck müssen doch unsere Mitbürger gewinnen, wenn sie diese gespenstische Debatte am vergangenen Donnerstag hier miterlebt haben, eine Debatte, die doch an der Wirklichkeit der Bundesrepublik völlig vorbeigeht an jener Wirklichkeit, die wir nicht erst heute, sondern seit über zwei Jahren immer wieder hier vortragen. Wir haben doch immer wieder vor dieser Entwicklung des Terrorismus in der Bundesrepublik gewarnt. Sie wurde bestritten. Es wurde gesagt, daß unsere Maßnahmen überzogen seien, daß wir in keinem Verhältnis zur wirklichen Gefahr reagieren würden und vieles andere mehr. All das ist ohne Wirkung geblieben. Im Gegenteil, nachdem seinerzeit von einigen zwanzig aktiven Terroristen und von einigen hundert Sympathisanten im harten Kern gesprochen wurde, spricht heute der Präsident des Bundeskriminalamts, Herr Herold, von 1 200 aktiven Terroristen und von über 5 000 Sympathisanten.In diesen letzten Monaten und Jahren mußte der Bürger miterleben, daß Herr Croissant als Terroristenanwalt tätig wurde und daß — ich zitiere jetzt irgendeinen, der es besser weiß als ich, ohne ihn gleich beim Namen zu nennen, er ist hier im Saal —„dieses Rattennest seines sogenannten Anwaltsbüros als konspirative Zelle sondergleichen tätig sein konnte".
— Jetzt frage ich mich wirklich, wollen Sie sagen, verehrter Herr Professor der Rechte, daß Hans Filbinger mit Landesrecht das Bundesrecht der Bundesrepublik Deutschland brechen soll? Ich muß da wirklich fragen, was geht hier in Ihnen vor?
Wir haben erlebt, daß Croissant und andere Anwälte in der Bundesrepublik und im Ausland Greuelmärchen über diese Bundesrepublik in der herabsetzendsten Weise verbreitet haben. Wir haben erlebt, daß inhaftierte Terroristen über konspirierende Anwälte nicht nur Informationskontakte, sondern Aktionen aus den Zellen heraus steuern konnten. Wir haben erlebt, daß gefährliche Schwerverbrecher, gerade aus der Haft entlassen, sofort im Untergrund verschwunden sind und jetzt erneut an diesen terroristischen Greueltaten beteiligt sind. Wir haben erlebt — bis in diese Tage hinein erleben wir das —, daß Gewaltliteratur verbreitet wird. Wir haben bei Demonstrationen in Brokdorf und in Grohnde blutige Schlachten mit bürgerkriegähnlichem Charakter erlebt. Dies alles ist passiert, und danach ist nichts passiert, soweit es die Autorität des Staates betrifft.
Um ein anderes Feld, das indirekt damit in Zusammenhang steht, anzusprechen: wir haben erlebt, daß trotz aller unserer Aufrufe an die Vernunft demokratischer Parteiführungen es weiterhin möglich ist, daß an der Mehrheit deutscher Hochschulen Volksfrontbündnisse mit ausgesprochenen Feinden unserer Demokratie mit Ihrer politischen Unterstützung geschlossen werden.
Wir haben erlebt, daß Vertreter nichtmarxistischer Hochschulgruppen diskriminiert werden, mit Redeverbot belegt werden, von ,den Podien geprügelt werden. Und meine Damen und Herren, an eines der schauerlichsten Zeugnisse sei hier auch erinnert: Wir haben erlebt — ich will gar nicht auf die Details eingehen —, daß schließlich jener primitive und gemeine Nachruf, der auf den ermordeten Siegfried Buback veröffentlicht wurde, von. Professoren, von Leuten, die von den Steuerzahlern unterstützt und bezahlt werden, entsprechend verbreitet und interpretiert wurde.Meine Damen und Herren, das hat doch nichts mit Polizeistaat zu tun, das hat mit wehrhafter Demokratie zu tun, daß — ich zitiere Sie, Herr Bundeskanzler — diese Bundesrepublik kein Nachtwächterstaat ist, sondern sich kraftvoll zur Wehr setzt, wenn eine solche Herausforderung besteht.
Sie haben uns seit Jahren Ihre Unterstützung verweigert; das ist eine Verweigerung der Gemeinsamkeit der Demokraten. Was haben Sie denn mit unseren Gesetzentwürfen in der Frage des Gemeinschaftsfriedens getan, in der Frage der Bekämpfung des Terrorismus und der Gewaltkriminalität? Sie haben auch jetzt, meine Damen und Herren, bis jetzt, nicht erkennen lassen, daß Sie bereit sind, etwas zu tun.
Herr Ehmke hat gestern angekündigt, daß die Frage der Überwachung von Gesprächen der Verteidiger mit inhaftierten Terroristen seine Unterstützung nicht findet. Der Bundeskanzler hat heute zum Rückzug geblasen. Da muß ich doch die Frage stellen: Liegt bei alledem das Risiko in der Bundesrepublik eigentlich nur noch bei den Opfern?
Das ist doch eine Frage, die man sich stellen muß.
Lassen Sie mich das ganz offen sagen: Ich bin nun durch den Zufall meiner Funktion zum drittenmal mit anderen aus allen demokratischen Parteien in dieser Runde. Es ist bedrückend zu sehen, daß wir da reden und reden, und dann nimmt es so oder so ein Ende — ein gutes oder ein weniger gutes, wie wir beides schon erlebt haben — und anschließend geschieht gar nichts. Und Flier erleben wir jetzt Vorwürfe, daß der Gedanke der Überwachung des Verkehrs zwischen Mandant und Terroristenanwalt die Aushöhlung des Rechtsstaats sei. Mir gefällt das auch nicht, aber was wollen wir denn tun? Wollen wir dastehen und verharren und sagen, das sei Gott
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Dr. Kohlgefügtes Unheil, das über uns kommt? Nein, wir müssen uns zur Wehr setzen — und Sie auch!
Nun, Herr Bundeskanzler, wir werden bald diese Abstimmung haben. Ich werde Ihnen Gelegenheit geben, hier in der Auseinandersetzung die Gründe vorzutragen, warum das alles falsch ist,
was Sie doch selbst in Ihrer eigenen Regierung gedacht haben. Sie wollten doch zunächst den gleichen Schritt tun, und dann sind Sie von der eigenen Fraktion gezwungen worden, den Rückzug anzutreten.
Und Sie sind nicht der einzige, den wir hier auffordern werden. Wir werden den Kollegen Genscher auffordern, der im Deutschen Fernsehen zu Recht gesagt hat, daß er diesen Schritt für richtig hält. Wir werden den Kollegen Maihofer auffordern, der auf Grund seiner täglichen Erkenntnis weiß, wie richtig dieser Vorschlag der Union ist.
Und wir werden den Kollegen Ertl auffordern, das Entsprechende zu tun. Und auch derjenige, der jetzt aus seinem Amt zurücktritt, muß, wenn er eine so bemerkenswert nachdenkliche Rede auf den toten Jürgen Ponto gehalten hat, hier, wenn es darum geht zu handeln, richtig abstimmen, er muß kraftvoll die Demokratie verteidigen.
Natürlich respektieren wir die Gewissensentscheidung jedes Abgeordneten. Das ist doch — ich sage es noch einmal — selbstverständlich. Nur, meine Damen und Herren, was wir hier dem Bürger draußen als Schauspiel bieten, das ist doch völlig unverständlich, wenn dieser gleiche Bürger weiß, daß diese Anschläge zum größten Teil in den terroristischen Zellen und Gewahrsamen erdacht und konspiriert wurden und daß Anwälte sie draußen weiter getragen haben oder 'sogar in Praxis umsetzten. Ich kann nur sagen: Jeder weiß — vielleicht nicht der Herr Bundesjustizminister —, was er in diesem Punkt will.Aber viele glauben Ihnen, Herr 'Bundeskanzler, die Binsenweisheit nicht mehr, daß nämlich ein hilfloser Staat vor allem auch ein herzloser Staat ist. Ich nehme dieses Wort von Ihnen auf, aber wenn Sie er ernst meinen, dann müssen Sie dieses Wort auch in die Tat umsetzen.Das ist ja das Beängstigende — davon habe ich eben kein Wort gehört —, daß die geistige und politische Verwirrung in den Reihen Ihrer eigenen Partei ein so beängstigendes Ausmaß angenommen hat. Daß hier ein Kollege ans Pult geht und erklärt, warum er im Gegensatz zur Fraktion anders stimmt, das halte ich für selbstverständlich. Aber es ist doch grotesk, daß hier einer der Sprecher der SPD am Donnerstag erklärte, in unserem Lande herrsche eine Pogromstimmung, und die Schüsse der RAF würden von Reaktionären dazu gebraucht, um das kaputtzumachen, was in vielen Jahren mühsam an demokratischer Errungenschaft und rechtsstaatlichen Garantien erkämpft worden ist.Meine 'Damen und Herren, die rechtsstaatlichen Garantien stehen in unserer Verfassung, sie stehen in unseren Gesetzen. Nur der Gesetzgeber, nur wir, können sie ändern. Wer will etwa diese Regierung verdächtigen, die doch im Amt ist, daß sie mit den Gesetzen, die wir als Opposition mit schaffen und ihnen in die Hand geben wollen, um diesen Staat kraftvoll zu verteidigen, einen Polizeistaat einführen will? Was ist das für eine Logik? 'Es wird doch der Eindruck erweckt, der Rechtsstaat sei nicht so sehr von den Anarchisten bedroht, sondern von denjenigen, die ihn schützen und ihn wehrhaft machen wollen. Das ist doch unerträglich.
Herr Bundeskanzler, wenige Tage — wir müssen das hier austragen — vor der Entführung von Hanns Martin Schleyer sagten Sie auf einer Veranstaltung in Esslingen — ich zitiere wörtlich —:Man soll nicht immer nach dem Polizeiknüppel Ausschau halten. Terroristen sind meist irregeleitete junge Leute aus bürgerlichen oder großbürgerlichen Familien, denen so manches zum Halse hinausstinkt.Wer vom Polizeiknüppel redet, wer Terroristen als irregeleitet verharmlost, wer mit solch schlechten Bildern Verständnis für ihr Aufbegehren simuliert, dem glaubt man doch nicht, daß er entschlossen gegen diese Pest vorgehen will.
Man glaubt Ihnen erst recht nicht, Herr Bundeskanzler, wenn Sie 14 Tage danach wieder in ihrer Litanei von „Ordnungshysterie" und „Panikmache" sprachen.Herr Bundeskanzler, was ist das eigentlich für ein Leitantrag zum Terrorismus, der vom Vorstand Ihrer Partei beschlossen wurde, mit einer Warnung vor den „rechten Ideologen" und „rechten Scharfmachern"? Wer sind eigentlich die Leute, vor denen Sie warnen? Wo gibt es die denn? Wo können Sie sich denn in der konkreten historischen Situation der Deutschen der Jahre 1977 und 1978 diese rechten Scharfmacher und Ideologen vorstellen?Meine Damen und Herren, ich muß das noch einmal sagen. Sie, Herr Bundeskanzler, und die sie tragende Koalition haben eine zwar minimale, aber, wenn Sie zusammenstehen, eine vorhandene Mehrheit. Sie haben, wenn Sie nur wollen, eine Parlamentsmehrheit. Sie bestimmen doch darüber, wie diese Gesetze dann eingesetzt werden, die wir schaffen wollen, um die Terroristen entsprechend zu 'bekämpfen. Wer hätte denn die Macht, diese Bundesrepublik zu einem „Zwangsstaat" zu machen? Wessen Ordnungshysterie, wenn es sie überhaupt gäbe,
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3614 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Dr. Kohlkönnte zu voreiligen unangemessenen Reaktionen führen? Wer macht denn in Panik?
Oder um Herrn Brandt zu zitieren: Wer macht denn in Überreaktion, meine Damen und Herren?
Wo gibt es ein Land der freien Welt in der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, in dem eine solche Heimsuchung stattgefunden hat und die Bürger trotz aller Aufwallungen alles in allem so abgewogen, vernünftig reagiert haben wie in der Bundesrepublik?
Dies ist doch alles unerträglich in dieser ganzen Diskussion. In diesen schweren Wochen ist von keiner Fraktion, von keinem einzigen Mitglied dieses Hauses ein Vorschlag gemacht worden, der, an den Kriterien der Rechtsstaatlichkeit gemessen, unqualifiziert gewesen wäre.
— Wissen Sie, Herr Kollege — — Es stockt mir fast der Atem in diesem Zusammenhang, zu sagen: Herr Kollege. Dies ist so armselig bei diesem Thema, so erbärmlich, dazwischenzugehen, daß das auf Sie zurückfällt; das entspricht Ihrer Qualifikation.
Mit Recht hat der Herr Bundespräsident in diesen Tagen gegenüber ausländischen Gästen in Hamburg erklärt — ich zitiere wörtlich —: „Sie werden keinen Vorschlag finden, der sich mit den Grundsätzen eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats nicht vereinbaren läßt."Was ich Ihnen vorwerfe, Herr Bundeskanzler, ist, daß Sie jetzt und heute wie in diesen ganzen kritischen Tagen die notwendige Wende nicht vollzogen haben. Statt daß Sie jetzt hierhertreten und klar und deutlich sagen, was jetzt zu tun ist, schielen Sie bereits auf Ihren Parteitag im November, um nach der Methode der Einigung auf den kleinsten Nenner über die Runden der Macht zu kommen.
Sie wissen so gut wie ich — das ist doch keine Erfindung von mir —, daß sich diese Terroristen Marxisten, Anarchisten, Kommunisten, Sozialisten nennen. Es ist Ihre Pflicht, das auch deutlich auszusprechen, wo hier der Trennungsstrich zu ziehen ist.Vor 21/2 Jahren, Herr Bundeskanzler, haben Sie hier erklärt, daß seit den Tagen der sogenannten APO manches verharmlost und bagatellisiert wurde, was nicht hätte bagatellisiert werden sollen. Dies ist richtig. Aber wann ziehen Sie endlich die richtige Konsequenz? Statt dessen sitzen Sie, mehr oder minder resignierend, im Kanzleramt, und Herr Brandt schiebt die Kulissen auf diesem speziellen Feld, unterstützt von manchem, über dessen geistige Verwirrung man nur noch den Kopf schütteln kann.Ich will hier ein Paradebeispiel geben, was wir gestern alle miterleben mußten. Da sprach der Abgeordnete Professor Ehmke von einer — ich zitiere ihn wörtlich — Hitler-Nostalgiewelle in der Bundesrepublik. Auf meinen empörten Zwischenruf, wo er die denn sehe, hat er mir seiner Art entsprechend — das hat ja seine politische Karriere immer so wohltuend begleitet — natürlich die intellektuelle Kapazität, ihn zu begreifen, abgesprochen. So zurechtgewiesen, bin ich tief gedemütigt in mein Zimmer, habe den Brockhaus zur Hand genommen, Herr Abgeordneter Ehmke, und habe da gelesen: Nostalgie, das ist „Sehnsucht nach Vergangenem", wörtlich zitiert. Wollen Sie ernsthaft im Angesicht des deutschen Volkes behaupten, daß es in der Bundesrepublik eine Hitler-Nostalgiewelle gibt, wenn Nostalgie unbestreitbar Sehnsucht nach Vergangenem bedeutet? Was geht eigentlich in Ihrem Kopf vor, Herr Ehmke, wenn Sie solchen Blödsinn sagen?
Vor einem Jahr hatten wir die Bundestagswahl. Wir hatten ohne gesetzliche Wahlpflicht in freier Wahl in der Bundesrepublik eine Wahlbeteiligung von über 90 %. Von diesen 90 % Wählern haben sage und schreibe 0,9 % den Rechts- oder Linksradikalen ihre Stimme gegeben. Meine Damen und Herren, nennen Sie mir doch ein zweites Land auf dieser Erde, in dem so viel — und das sage ich mit Stolz für uns alle — demokratische Gesinnung und so viel Hinwendung zu den großen demokratischen Parteien und Traditionen zu beobachten sind!
Aber wenn das so ist, wie kann dann ein verantwortlicher Abgeordneter hier von einer HitlerNostalgiewelle reden?Dann sprachen Sie auf meinen Zwischenruf hin — ich bin nicht dahintergekommen, was Sie meinen — von Filmen. Nach meiner Kenntnis gibt es in der Bundesrepublik nur einen Film, im Ausland gibt es viele NS-nachahmende Filme, die zutiefst antideutsch sind. Die haben wir beide nicht zu vertreten. Wir haben in einem freien Land auch den Festschen Film nicht zu vertreten, aber er ist da.Aber, Herr Ehmke, von einem Mann Ihrer intellektuellen Herkunft muß ich doch erwarten, daß er hier, wenn er in Richtung Ausland spricht, sagt: Es ist doch ganz natürlich, daß jetzt, wo eine völlig neue Generation herangewachsen ist, die Generation der Schulkinder von heute, nachdem alle demokratischen Gruppen — aus welchen Gründen auch immer — die Bewältigung .der NS-Vergangenheit lange genug vor sich hergeschoben haben, die Frage stellt: Warum war mein Großvater oder vielleicht sogar noch mein eigener Vater für Hitler? Wir müssen doch einmal aufhören, 30 Jahre danach die Geschichte so zu betrachten, daß sie entweder nicht wahr ist, beschönigt wird oder überhaupt nur in abstrusen Formen gezeigt wird.Was die Tatsache angeht, daß mehr als 10 Millionen Deutsche damals Mitglieder einer Partei wurden, so hüte ich mich davor — was immer man dazu sagen mag, im Guten wie im Schlechten —, leichtfertig Vorwürfe zu erheben. Ich war damals 15 Jahre
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3615
Dr. Kohlalt. Ich war nicht in der Gefahr, in Versuchung zu geraten. Wenn dies aber so war, dann muß das doch einen Grund haben. Ich habe nichts dagegen, wenn verantwortliche Historiker sich dieses Themas annehmen, schon gar nicht dann, meine Damen und Herren — das ist doch ein wichtiger Punkt —, wenn sich 30 Jahre nach einem Ereignis die Archive öffnen, die Sperren wegfallen und man über diese Dinge offener reden kann. Aber das hat doch nichts damit zu tun, daß wir deswegen einen Beitrag zum „häßlichen Deutschen" zu leisten haben.Ich bin der letzte — ich habe das oft gesagt —, der die Last der deutschen Geschichte leugnet. Wir haben mit Auschwitz, Majdanek und Treblinka zu leben. Das ist nicht zu verdrängen. Aber wir alle — auch die Jungen, die nachgewachsen sind, mehr als 50 O/o der Deutschen sind nach Hitler geboren — haben das Recht, aufrecht durch die Geschichte in die Zukunft zu gehen.
Herr Ehmke, dann warnten Sie vor dem Ausland. Diese Torheiten sind doch durch Sie und Ihresgleichen ins Ausland hineingetragen worden.
Wenn Sie und Willy Brandt — ich nenne Sie hier beide; ich komme zu Brandt gleich noch etwas intensiver — solche Äußerungen machen, als sei nun quasi die Gefahr eines Neofaschismus im Anmarsch, dann kann ich nur fragen: Von welcher Republik reden Sie? Doch nicht von der Bundesrepublik! Diese Gefahr existiert doch überhaupt nicht!
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, danke schön! —Meine Damen und Herren, die Folgen liegen schon auf der Hand. Am 12. September hat das Politbüromitglied Mückenberger gesagt — das wird in alle Welt verbreitet —, die Bundesrepublik sei auf dem besten Wege, eine Kappler-Republik zu werden; das enge Zusammenwirken der neofaschistischen Kräfte in Westeuropa sei Ausdruck eines Sich-bereits-wieder-stark-Fühlens revanchistischer faschistischer Kreise.Meine Damen und Herren, ich behaupte nicht, daß Sie das absichtlich machen, aber in Ihrer Torheit und politischen Kurzsichtigkeit helfen Sie doch solchen Angriffen gegen die Bundesrepublik.
Sie, Herr Bundeskanzler, Herr Brandt, Herr Ehmke oder Herr Bahr, der ja ein Altmeister dieser Kunst ist,
machen das doch nur, um von den wahren Verhältnissen abzulenken.Denn vernünftigerweise kann doch niemand auf den Gedanken kommen, daß diese Terroristen aus dem rechten Spektrum stammen. Die haben mit dem Faschismus nun wirklich nichts zu tun. Sie haben mit dem Faschismus etwas gemeinsam, nämlich dieVerachtung des menschlichen Lebens, der menschlichen Persönlichkeit, die Unmenschlichkeit. Aber das ist nichts Neues. Wir, die Union, haben zu jeder totalitären Gesinnung immer nein gesagt, ob sie faschistisch oder kommunistisch ist. Wir sind auf keinem Auge blind!
Bestimmte Teile der SPD, meine Damen und Herren, sind doch drauf und dran, dies alles gar nicht mehr zu begreifen. Ihr Blick ist doch verstellt, daß sich die politische Zielsetzung solcher Köpfe, die sich dann noch sozialistisch nennen, verabsolutiert, daß sie zwangsläufig in totalitärem Anspruch und brutaler Gewalt enden muß.
Ich will das gar nicht mit meinen Worten sagen. Ein Mann, der einige Verdienste um die Geschichte Ihrer Partei, genauer gesagt, um die Geschichtsschreibung Ihrer Partei, hat, der wohl beste Kenner, wie ich neidlos anerkenne, der Weimarer Republik, der Bonner Politikwissenschaftler Karl Dietrich Bracher, hat in diesen Tagen in einem Artikel in einer großen deutschen Tageszeitung folgendes geschrieben — ich zitiere —:Diese Tabuisierung geschieht auch in den aktuellen Kontroversen über die Wurzeln und Erscheinungsformen des linksextremen Terrorismus, indem man diesen als „faschistisch" klassifiziert und den Kindern Hitlers zuschiebt, die doch so erklärtermaßen Kinder Marxens und Lenins sind. Bewußt oder nicht bedeutet dies ein Bagatellisieren oder Exkulpieren der totalitären Wurzeln und Konsequenzen.Meine Damen und Herren, mit diesem Satz müssen Sie sich auseinandersetzen. Ich sage das nicht schadenfroh. Es ist Aufgabe einer demokratischen Partei, hier nicht Spuren zu verwischen, sondern Dinge auszumerzen, wenn es etwas auszumerzen gibt.Es ist dann natürlich schon erstaunlich, daß Herr Bahr vor einigen Tagen — es ist ein Verdient, daß er diese Zeilen Willy Brandts an die Öffentlichkeit gebracht hat — eine Passage eines Aufrufs von Willy Brandt an die Sympathisanten der Terroristen veröffentlichte, indem er Brandt wörtlich wie folgt zitierte:Wissen Sie nicht, daß Sie politisch zu denken vorgeben, daß Sie, statt mehr Freiheit und Gerechtigkeit für die breiten Schichten in diesem Lande zu schaffen, die Geschäfte der finsteren Reaktion, ja, der Neo-Nazis betreiben? Daß Sie das Bewußtsein der Bevölkerung
— bitte hören Sie zu! —
über den Rand hinausbomben, hinter dem esnur noch den Abgrund .von Chaos, Polizeistaatoder Diktatur gibt? Oder wollen Sie genau das?Das Zitat ist von Brandt.
Meine Damen und Herren, was für eine Verwirrung muß eigentlich in Willy Brandts Kopf vor sich
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3616 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Dr. Kohlgehen? Er ist doch ausgezogen, mehr Demokratie zu wagen. Mit welchem Volke denn? Mit einem Volk, das sich von einigen Terroristen zurechtbomben läßt, um einen Polizeistaat zuzulassen? — Es ist nicht das Volk der Bundesrepublik, an das Sie denken und für das Sie handeln wollen.
Was ist das für ein pseudoelitärer Quatsch, der hier als Grundlage politischen Tuns ausgegeben wird?
Herr Bundeskanzler, hier gibt es kein Vertun. Sie sind Kanzler der Bundesrepublik Deutschland.
Sie sind stellvertretender Vorsitzender der SPD. Sie haben sich heute über ein Zitat erregt, das Franz Josef Strauß gebracht hat, und Sie haben es widerrufen. Dieses Zitat können Sie nicht widerrufen. Es ist vom Bundesgeschäftsführer Ihrer Partei wiedergegeben worden. Ich erwarte von Ihnen, daß Sie von diesem Pult aus sagen, was das eigentlich für eine Vorstellung im Kopf des Herrn Willy Brandt über die Möglichkeiten ist, die im deutschen Volk schlummern. Meine Damen und Herren, dürfen Sie sich wundern, wenn Tag für Tag solche Torheiten in Ihrem Lager verzapft werden, daß draußen im Ausland von unseren Feinden das Bild des häßlichen Deutschen gezeichnet wird?
Sie sollten derartige Diskussionen aufgeben, sich dem eigentlichen Thema zuwenden, Roß und Reiter nennen und klare Trennungsstriche ziehen, statt Nebel zu verbreiten.Jochen Steffen hatte sicher recht, als er einmal sagte:Wenn eine Partei auf Klassenbewußtsein setzt oder davon profitiert,— die Partei der „kleinen Leute", Herr Bundeskanzler —muß sie auch wissen: Wer auf einem Tiger reitet, wird aufgefressen, wenn er absteigt.Meine Damen und Herren, dieses Wort ist des Nachdenkens wert.
— Natürlich, wenn ich Sie betrachte, ist es in der Tat so, Herr Kollege.
Meine Damen und Herren, wer 1969 mit dem großen Aufbruchspathos anfing, wer prinzipiell Systemüberwindung forderte und nur noch darüber diskutierte, ob sie revolutionär oder auf dem Wege innerer Reformen vorzubereiten ist, wer — und das lassen Sie sich ins Stammbuch geschrieben sein, meine Damen und Herren — Politik prinzipiell als Kampf antagonistischer Interessen begreift, wer dann weiter so töricht redet wie Herr Ehmke gestern, daß diejenigen, die Konfliktstrategie oder Konfliktpädogogik kritisieren, in einem törichtenVolkstums- und Volksgemeinschaftsdenken verbleiben
— Herr Ehmke, auf Grund unserer Herkunft, gerade auch der christlichen Herkunft, wissen wir, wie auch Sie, sehr genau, daß dies nicht eine Welt ist, die das Paradies auf Erden herbeiführt; es ist nicht das Traumziel von Christdemokraten, sondern von Sozialdemokraten, das Paradies auf Erden schaffen zu wollen —,
wer in unserem Staate duldet, daß starke Gruppen unsere Wirtschaftsordnung, das vorhandene System, als morsch und überholt ansehen, tagtäglich so kritisieren, wie dies geschehen ist, der sitzt in der Tat auf einem gefährlichen Tiger.Meine Damen und Herren, wer im Interesse einer sogenannten permanenten Veränderung die Reformbedürftigkeit des Staates, die wir alle doch bejahen, zum politischen Credo erhebt, wer duldet, daß dieser Staat immer wieder, Jahr für Jahr madig gemacht wird, der darf sich doch nicht wundern, wenn bei einer nicht geringen .Zahl junger Leute natürliche Skrupel gegenüber Gewaltsamkeit abgebaut werden, wenn sittliche Barrieren eingerissen werden.Wenn — Herr Bundeskanzler, Sie haben das heute angesprochen; lassen Sie uns das ganz klar austragen — bekannte Männer der Literatur, Hochschullehrer, Theologen Rechtfertigungen und Begründungen für eine angeblich politisch und moralisch erlaubte Gegengewalt liefern, müssen Sie sich als führender deutscher Sozialdemokrat, als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland doch klar und deutlich mit Nennung von Roß und Reiter von diesen Leuten lossagen, auch wenn sie gestern und vorgestern Helfer Ihrer Wählerinitiative gewesen sind!
Sie haben es doch mit geduldet, daß jahrelang die klassische Aufgabe des Staates, Recht und Ordnung zu sichern und damit auch das Glück des Bürgers zu schützen, nur noch sehr schamhaft und nur noch gelegentlich als zentrale Aufgabe herausgestellt wurde. Wer aber, meine Damen und Herren, Recht und Ordnung nicht mehr als zentrale Aufgabe des Staates begreift, wer nicht zu sagen wagt, daß nur ein wirklich starker Staat mit Autorität — nicht ein autoritärer Staat, sondern ein Staat mit Autorität! — die Freiheit seiner Bürger sichern kann, der baut doch ganz selbstverständlich das Eintreten der Bürger für diese Rechtsordnung ab, und der braucht sich über den Verfall von Bürgersinn im Lande nicht mehr zu wundern. Die Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien ist uns allen — in allen demokratischen Lagern — aufgegeben. Den Rechtsstaat zu schützen, ist nicht nur den Strafverfolgungsbehörden und der Polizei aufgetragen,
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Dr. Kohlund doch gibt es eine sich verbreitende fatale Meinung, das sei Sache der Behörden, ,der Polizei oder der Justiz. Dort werden eine Staatsgesinnung und ein Staatsethos vorausgesetzt, die eben ein entsprechendes inneres Engagement der Bürger bedingen. Sie, die Sie jetzt so lachen, haben sich lange genug an der Verteufelung auch der Ordnungskräfte beteiligt; Sie sollten da gar nichts sagen.
Ich will hier nicht auf diesen törichten Streit, ob die Baader/ Meinhof-Gruppe eine Gruppe oder eine Bande ist, eingehen; ich will in diesem Zusammenhang zu vielem von dem, was Sie von diesem Pult aus in diesen Jahren gesagt haben, gar nichts weiter sagen.Ich finde es sehr eindrucksvoll — dafür sind wir dankbar —, daß die beiden Kirchen in diesen Tagen in ihren Erklärungen festgestellt haben, um was es geht. Ich zitiere wörtlich aus der Erklärung der katholischen Bischöfe:Die Begrenztheit des Menschen und die Wirklichkeit des Bösen wurden nicht mehr gesehen . .. Hand in Hand damit ging eine zynische Herabsetzung der Grundwerte und der Grundhaltungen eines menschenwürdigen Lebens. Von manchen Kathedern unserer Hochschulen und Universitäten werden seit Jahren Theoriender Verweigerung und der Gewalt gegen die fortgeschrittenen Industriegesellschaften gelehrt und empfohlen ... In Massenmedien und selbst im Unterricht gab und gibt es Versuche, unseren Staat, seine Verfassung, seine Gesetze und seine Vertreter herabzusetzen und lächerlich zu machen.Meine Damen und Herren, der Text spricht für sich. Er entspricht der Erfahrung der riesigen Mehrheit der Bürger unseres Landes. Ich will darauf verzichten, solche Beispiele intellektueller Verwahrlosung im einzelnen zu nennen. Sie alle kennen sie genug.Aber, meine Damen und Herren, ich bin strikt dagegen, daß jetzt in dieser Nebelwand über all das, was mit zu dieser Heimsuchung geführt hat, geschwiegen wird. Es gibt — und jeder, der um die geistige Zukunft dieses Landes besorgt ist, wird sich damit auseinandersetzen müssen — einen sehr interessanten Aufruf des Vorstands der Humanistischen Union, einen offenen Brief an den Herrn Bundespräsidenten. Darin steht manches, was sehr bedenkenswert ist. Aber, meine Damen und Herren, ich vermisse in diesem Brief, daß man sich mit dem, womit wir uns jetzt beschäftigen müssen, kräftig, entschlossen und entschieden auseinandersetzt. Das Problem der Bundesrepublik ist nicht eine Hexenjagd auf Intellektuelle. Wer bläst denn zu dieser Hexenjagd?
— Sie werden gleich auf Ihre Rechnung kommen. Ich wäre etwas zurückhaltend.Wer bläst denn zu einer Hexenjagd?
Wo geht denn in der Bundesrepublik McCarthy um?
Herr Günter Grass, in der „Frankfurter Rundschau" in einem Interview gesagt hat. Das ist ein lesenswertes Interview, weil es eine Welt aufhellt, die mit der Bundesrepublik nur noch sehr bedingt etwas zu tun hat. Ich bin nicht dagegen, daß ein Schriftsteller in Visionen denkt; aber dies ist eine schlimme Vision. Dies ist nicht unsere, nicht meine Bundesrepublik — wenn ich das ganz persönlich, als einzelner Bürger für mich sagen darf. Ich zitiere ihn wörtlich. Herr Grass sagt auf die Frage „Und wie hat ein Günter Grass in dieser Situation" — das ist die Gesamtlage, die angesprochen ist — „reagiert?" folgendes:
Ich bin seit einigen Wochen unterwegs, merke die Beklommenheit und Unsicherheit in diesem Lande. Ich spüre, wie froh viele junge Menschen sind, wenn überhaupt noch jemand den Mut hat
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3618 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Dr. Kohl— für mich ist es eine Selbstverständlichkeit —, über das zu sprechen, was die jungen Leute bedrückt: Radikalenerlaß, Jugendarbeitslosigkeit, Alternativlosigkeit,— das sind alles Vorwürfe an Sie, Herr Bundeskanzler -nicht motiviert sein für irgend etwas. Von Ausnahmen abgesehen, werden aber solche Gespräche weitgehend ausgespart,— und jetzt kommt die entscheidende Stelle —und dafür wird etwas getan, was uns, wenn Dregger und Strauß jemals Regierungsgewalt bekommen, rechtlich gesehen, ins Mittelalter zurückwerfen würde.
— Ja, Sie klatschen dazu.
— Ich muß Ihnen sagen: Wenn ich Sie betrachte, muß ich das Mittelalter gegen Sie in Schutz nehmen. Das ist die erste Feststellung, die ich hierzu zu treffen habe.
Meine Damen und Herren, das ist jetzt wirklich keine ironische Betrachtung. Das führt in eine ganz andere Dimension. Was geht im Kopf dieses Mannes vor, wenn er in einer solchen Weise Haß sät? Etwas anderes als blanker Haß ist es nicht, der hier gesät wird.
Ich bringe ein anderes Beispiel. Herr Bundeskanzler, Sie und ich und eine Reihe von Kollegen sind in diesen Wochen, in dieser besonders schlimmen Zeit nach der Entführung von Dr. Hanns Martin Schleyer oft zusammen gewesen. Wir haben — ich darf das einmal so salopp sagen, ohne mißverstanden zu werden —
beinahe hautnah immer wieder mit den führenden Repräsentanten unserer Kriminalpolizei und wichtigen Repräsentanten der Ordnungsmacht des Staates zusammengesessen. Wir haben erlebt, wie diese Beamten und wie die vielen Beamten draußen bis zum letzten ihre Pflicht tun, und dafür haben wir ihnen zu danken. Nun lesen wir alle, Woche für Woche, seit Jahren, einen „Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten". Dieser Informationsdienst ist nicht eingestellt worden, er kommt jede Woche heraus.
— Herr Kollege, bevor Sie dazwischenrufen, sollten Sie sich erst einmal um den Gegenstand bemühen. — In diesem Informationsdienst, der in einer ziemlich großen Auflage herauskommt, wird im wesentlichen aus den Gefängnissen der Bundesrepublik berichtet, die in der Sprache des Terrorismus als Lager bezeichnet werden, um den politischen Anspruch deutlich zu machen.Jetzt lese ich Ihnen etwas aus einer Nummer vor, die acht Tage nach der Ermordung von Siegfried Buback herausgekommen ist. Der Bericht kommt aus dem „Lager Tegel" ; das ist die Strafvollzugsanstalt in Tegel. Ich zitiere wörtlich:Wahrlich, die Gefangenen hatten und haben bei diesem Anlaß Grund zum Jubeln, da sie, also wir, diese Verbrechen, Schikanen und praktischen Selbstmorde täglich am eigenen Leib verspüren, für die einzig und allein Siegfried Buback als letzter Mann dieses mörderischen deutschen Justizapparates in hohem Maße die Schuld und Verantwortung trug. Buback war und ist für uns eine Verkörperung für deutschen Faschismus und Sadismus innerhalb der Bundesrepublik und West-Berlins. Die Hinrichtung von Siegfried Buback war und ist eine unmißverständliche Warnung an alle jene Faschisten, die skrupellos wie vor 35 Jahren schon wieder unschuldige Menschenleben zerstören und vernichten. Nun endlich muß es diesen zweibeinigen Raubtieren langsam dämmern, klargeworden sein, daß keiner von ihnen früher oder später der gerechten Strafe des Volkes entgeht.
Der Text ist schlimm genug. Aber die Zusammensetzung des Beirates dieses ID, meine Damen und Herren von der SPD, ist noch schlimmer. Ich will nicht alle Namen vorlesen, aber ich will von diesem Pult aus sagen: Daß Helmut Gollwitzer bis zur Stunde diesem Beirat angehört, ist eine Schande für die intellektuelle Redlichkeit.
Gerade weil wir uns leidenschaftlich, offen und unvoreingenommen mit den Intellektuellen — soweit es sie überhaupt in dieser Verallgemeinerung gibt — auseinandersetzen wollen, können wir nicht hinnehmen, daß derartige Auswüchse schlimmster Art — auch im Blick auf die betroffenen Familien — ungerügt durchgehen. Dieser Deutsche Bundestag hat überhaupt nicht die Aufgabe einer intellektuellen Vergangenheitsbewältigung. Aber wir haben die Pflicht, im Plenum des Bundestages deutliche Worte zu staatlichen Verlautbarungen zu sagen, in denen Konflikttheorien, parteiische Geschichtsklitterung, ein ideologisch einseitiges Gesellschafts- und Verfassungsverständnis übernommen werden. Dies alles muß jetzt angesprochen und ausgetragen werden. Denn wir können uns weder Experimente noch falsch verstandene Toleranz leisten. Wir müssen aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Das ist das Gebot der Stunde.
Gerade in der Erziehung junger Leute dürfen wir das Feld nicht den Ideologen überlassen, die alles für machbar halten und die sich das vermessene Ziel setzen, einen neuen Menschen für eine neue Gesellschaft nach ihrem Bilde heranzuzüchten. Allzu lange, viel zu lange ist einer oft niederträchtigen Systemkritik, ist Forderungen nach Systemüberwin-
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Dr. Kohldung, ist der Denunziation unserer Verfassungsordnung interessierte Toleranz entgegengebracht worden. Die sie vorbrachten, waren auf dem besten Wege, alle anderen mundtot zu machen. Es muß klar sein, daß diese destruktive Kritik weder fortschrittlich noch progressiv ist noch irgendeinen Wert hat, wie überhaupt Veränderung an sich keinen Wert darstellen kann. Kein politisches Ziel, keine Gewalt, kein Terror ist zu rechtfertigen.Ich will mit einem Satz des Züricher Philosophen Hermann Lübbe schließen, eines großen Sozialdemokraten, wie Sie wissen, der an die Adresse der allzu toleranten 'Bewunderer kritischer Intelligenz folgendes sagte:Verächtlich machen sich Gemeinwesen, die den Angriff auf ihre rechtlichen und moralischen Grundlagen, anstatt ihn abzuwehren, zum Ausdruck einer höheren Form kritischen Bewußtseins emporloben.Verächtlich wird, wer Tritte, die man ihm versetzt, „unbequem" nennt und die Tretenden ihrer kritischen Gesinnung wegen rügt.Verächtlich macht sich, wer jede politische Provokation sich bieten läßt, weil er nicht wahrhaben möchte, daß es Leute gibt, deren politische Feindschaftserklärung wirklich ernst und total gemeint ist.Dieses Zitat muß doch eigentlich jeden anrühren. Wir, meine Damen und Herren in diesem Saal, die Mitglieder des Deutschen Bundestages, werden vor _der Geschichte einmal nicht am politischen Urteil dieses oder jenes literarischen Zeitgenossen gemessen, sondern daran, ob wir den inneren und äußeren Frieden, der diesem Lande und seinen Bürgern Freiheit, Sicherheit und Wohlstand gebracht hat, entschlossen, mutig und wirksam gegen alle Feinde verteidigt haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe volles Verständnis dafür, daß man, wenn man über drei Stunden hier gesessen hat, nicht mehr stilvoll sein kann.
— Aber lieber Herr Kollege Kohl, wenn Sie hier die Meinung vertreten haben, daß die Frage, ob diese oder jene Zahl anwesend ist, eine Frage des Stils ist, dann hat die Union einen Nachholbedarfan Stil, der von niemandem in diesem Haus zu überbieten ist.
— Im Augenblick sind Sie selbstverständlich in etwas größerer Zahl anwesend; sonst sieht das immer ein bißchen anders aus. Wir sollten diese Frage nicht zum Maßstab der Diskussion machen.Der Herr Bundeskanzler hat davon gesprochen, daß er dieses Schlagwort ;,Soziale Marktwirtschaft" nie übernommen habe, und er hat von der formierten Gesellschaft und von den Pinschern gesprochen. Ich kann nur feststellen: Für die Freien Demokraten ist die Soziale Marktwirtschaft nie ein Schlagwort gewesen. Für uns war es immer der Begriff für eine Wirtschaftsform, die dieser freiheitlichdemokratischen Gesellschaft am meisten gemäß ist, und wir werden immer in diesem Sinne politisch tätig sein.
Daß man über Bezeichnungen, über Zusätze streiten kann, darüber besteht kein Zweifel. Es besteht auch kein Zweifel darüber, daß sie nicht in der Verfassung verankert ist. Aber es hat sich in dieser freiheitlich-demokratischen Gesellschaft das herausgeschält, was manche gern mit dem Begriff „die normative Kraft des Faktischen" bezeichnen. Die Marktwirtschaft ist ein Teil unseres Verfassungslebens geworden, obwohl sie nicht in der Verfassung verankert ist; das ist kein Zweifel.
Wir Freien Demokraten haben diese Marktwirtschaft aber auch nie als etwas Statisches, sondern immer als eine dynamische Möglichkeit empfunden, und deshalb kann nicht jeder Vorschlag, dies oder jenes zu verändern, schon als Kritik oder als Zweifel an der Marktwirtschaft bezeichnet werden, wie es leider oft auch aus den Reihen der Opposition geschehen ist.
— Ich darf Sie nur daran erinnern, daß gerade aus Ihren Reihen, als die Freien Demokraten auf ihrem Freiburger Parteitag eine Fortschreibung dessen, was wir als Marktwirtschaft verstehen, diskutiert haben, die Anklage kam, das sei der Weg weg von der Marktwirtschaft. Das ist genausowenig richtig wie andere Behauptungen, die aufgestellt worden sind. Mit der formierten Gesellschaft haben wir nie etwas zu tun gehabt. Das war für uns immer ein nicht fest umrissener Begriff. Die Auseinandersetzung mit den „Pinschern" ist eine Sache, die diejenigen durchzuführen haben, die diesen Begriff in die Debatte eingebracht haben.Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen zu dem machen, was der Kollege Strauß gestern sagte. Er hat zu Beginn seiner Rede, als er gerade über die Marktwirtschaft sprach, gesagt: Hut ab vor der FDP, die sich 1949 gegen den Zeitgeist f ü r die Marktwirtschaft entschieden hat. — Meine ver-
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Mischnickehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ CSU, so, wie wir uns damals gegen den Zeitgeist für die Marktwirtschaft entschieden haben, werden wir uns heute gegen manchen Zeitgeist, der den freiheitlichen Rechtsstaat nicht immer bis zum letzten verteidigt, auch zu wehren wissen und aus dieser Sicht unsere Entscheidung gerade im Bereich der Bekämpfung des Terrorismus zu fällen haben.
Die entscheidende Frage richtet sich nicht auf den Zeitgeist, sondern darauf, was im Interesse dieses demokratischen Rechtsstaates notwendig ist. Die Kollegen von der Union brauchen sich keine Sorgen über die gemeinsame Grundlage der Freien Demokraten zu machen. Wenn wir das, was unsere gemeinsame Grundlage ist, durch Diskussionen auf den Parteitagen ausfüllen und unterschiedliche Meinungen austragen, dann ist das eben ein Teil unserer freiheitlichen Demokratie und nicht etwa Zeichen einer Verfallserscheinung. Es wäre schlimm, um diese Demokratie bestellt, wenn es nicht mehr möglich wäre, auf Parteitagen unterschiedliche Auffassungen zur Ausfüllung einer Grundmeinung vorzutragen. Dann hätten wir keine freiheitliche Demokratie mehr; dann hätten wir einen Staat, in dem die Partei zu bestimmen hat und der Parteifreund nicht mehr mit entscheiden kann, was diese Partei will und was sie nicht tun soll.
Der Herr Kollege Strauß hat davon gesprochen, es gebe vier Regierungsparteien — zwei SPDs und zwei FDPs — und daraus den Schluß gezogen, hier gebe es eigentlich keine Mehrheit mehr. Nun, es ist doch unbestritten: Am vorigen Donnerstag haben 198 von der Koalition und 173 von der Opposition für den Gesetzentwurf gestimmt;
heute haben 219-von der Koalition für den Gesetzentwurf gestimmt und 206 der Opposition dagegen. Sind das keine Mehrheiten? So schnell sind wir immer wieder in der Lage, Ihnen den Beweis zu liefern, daß Ihre Behauptung, wir hätten keine Mehrheit, falsch ist. Und wir werden Ihnen auch in Zukunft beweisen, daß wir die Mehrheit haben.
Herr Kollege Strauß hat sich sehr lang mit dem Marxismus auseinandergesetzt und davon gesprochen, es gebe marxistische Flügel in der SPD. Er hat dann mit dem Blick auf die Freien Demokraten den Eindruck suggerieren wollen, auch bei uns gebe es Marxisten. Da kann er ganz beruhigt sein: Marxisten gibt es nicht bei uns. Und wenn jemand auf die komische Idee kommen sollte, als Marxist FDP-Mitglied werden zu wollen, werden wir ihm deutlich machen, daß er bei uns keinen Platz hat. Das können Sie ganz beruhigt uns überlassen.
Der Kollege Barzel hat davon gesprochen, daß der Kollege Friderichs wegen der zentralen Spannungen, die in unserer Partei über bestimmte wirtschaftspolitische Fragen herrschen, aus dem Kabinett und aus der aktiven Politik ausscheide. Kollege Friderichs hat die entsprechende Antwort gegeben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Barzel?
Bitte.
Herr Kollege, ich habe den Kollegen Friderichs doch aufgefordert, zu der Pressemeldung eine Erklärung abzugeben, wonach er gegangen sei, weil es weder eine politische Führung gegeben noch er eine Mehrheit gefunden habe. Zu dieser Pressemeldung hat er nichts gesagt; er hat sie nicht dementiert. Vielleicht können Sie für ihn eine Erklärung abgeben. Das würde uns alle interessieren.
Sehen Sie, Herr Kollege Barzel, so leicht kann man, wenn man den genauen Wortlaut nicht kennt, zu einer falschen Darstellung kommen, die nicht bewußt geschieht. Er hat davon gesprochen: In einer Demokratie — generell — ist das für jeden eine Voraussetzung. Daß er auf unserem Parteitag in Kiel seine Auffassung selber vertreten wird, werden Sie im November erleben; da können Sie sicher sein.. Dann werden wir gemeinsam mit Mehrheit zu entscheiden haben, ob wir diesen oder jenen Weg gehen. Ich bin sicher: So, wie er früher für seine Meinung gekämpft hat,. tut er es heute und wird er es morgen tun. Er hat nie aufgehört, für seine Meinung zu kämpfen.Daß es auch in einer Partei möglich ist, einmal nicht die Mehrheit auf der eigenen Seite zu haben, das wissen Sie, Herr Kollege Barzel, und das weiß ich aus eigener Erfahrung. Dies ist aber doch kein Grund, so zu tun, als sei damit im Grundsatz eine unterschiedliche Betrachtungsweise entstanden.Der Kollege Kohl hat heute beschworen, daß wir auf den Tag genau vor einem Jahr den Wahltag hatten. Natürlich verstehe ich, daß man trotz aller Schwierigkeiten, trotz aller Probleme, die wir auch in den Koalitionsparteien hatten, bis zur Stunde eben dieses Wahlergebnis nicht nur respektieren muß, sondern keine Chance sieht, selbst die Regierung zu übernehmen, und daß das schmerzt. Ich habe auch Verständnis dafür, daß immer wieder versucht wird, die Koalition auseinanderzudividieren, daß versucht wird, für sich selbst eine Mehrheit zu bekommen. Das ist nur natürlich. Nur, dann immer wieder zu behaupten, alle Entscheidungen, die wir hier träfen, seien doch Dokumente der Schwäche, während man selber in den seltensten Fällen in der Lage ist, etwas entgegenzusetzen, was überhaupt nur die Chance einer Mehrheit hätte, das ist doch nun wirklich nicht mehr ganz verständlich.
— Wenn Sie immer von dem Donnerstag reden,dann kann ich mich nur wundern, daß von Ihnen
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Mischnickimmer noch nicht verstanden worden ist, wie die Situation wirklich war und ist. Dies werden wir auch bei weiteren Entscheidungen hier deutlich sehen.Ein Weiteres will ich Ihnen auch ganz klar sagen. Es kann doch wohl nicht richtig sein, daß man sich, wenn es um den Umweltschutz geht und hier gesagt wird, da gibt es eine abweichende Meinung, bei der Union hinstellt und sagt, es sei doch selbstverständlich, daß es abweichende Meinungen gibt, während dies, wenn es bei den Koalitionsparteien der Fall ist, plötzlich als Zerfallserscheinung hingestellt wird. Merken Sie denn gar nicht, wie Sie sich mit dieser doppelzüngigen Argumentation selbst widersprechen?
Es ist hier vom Kollegen Kohl wieder gesagt worden: das Vertrauen muß hergestellt werden, die Wirtschaft braucht das Vertrauen. Er ist dabei auf die steuerpolitischen Überlegungen und Entscheidungen eingegangen. Herr Kollege Kohl, ich teile Ihre Meinung, daß es notwendig ist, das Vertrauen auch durch klare und schnelle Entscheidungen zu festigen oder da, wo es verlorengegangen ist, wiederherzustellen. Aber ist es denn Erweckung von Vertrauen in der Wirtschaft, wenn die Wirtschaft erleben muß, daß Sie hier aus rein parteitaktischen Gründen bei dem Gesetzentwurf im Juni Vermögensteuer-, Gewerbesteuer-, Lohnsummensteuersenkungen ablehnen, daß 'Sie in dem Augenblick, wo Kompromisse auf dem Tisch liegen, die schnelle Entscheidungen möglich machen, diesen Entscheidungen nicht beitreten, sondern hier, wie es Frau Kollegin Funcke bis ins einzelne dargelegt hat, um 2,50 DM bis 4,50 DM pro Mann Auseinandersetzungen, auch im Vermittlungsausschuß, führen wollen, nur, weil es nicht möglich ist, vorher die gemeinsame Basis zu finden? Sollten Sie sich dann nicht selbst einmal fragen, ob das nicht auch mit dazu beiträgt, das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit dieser Demokratie zu erschweren? Ich wäre mit Ihnen sofort einer Meinung, wenn es darum ginge, hier grundsätzlich andere Positionen gegeneinanderzustellen. Wenn es nur praktisch noch darum geht, den letzten Feinschliff vorzunehmen, dann muß es doch möglich sein, das auch in diesem Hause und nicht erst über den langwierigen Weg des Vermittlungsausschusses durchzuführen.Herr Kollege Kohl hat sich hier des langen und des breiten über die Energiepolitik ausgelassen und hat dazu — ich habe Verständnis dafür — die unterschiedlichen Meinungen, die zur Zeit noch, auch in meiner Partei, über die Frage vorhanden sind, wieviel Kernenergie eingesetzt werden soll, in die Debatte eingeführt. Bei uns hat niemand beschlossen, daß die Kernenergie aus der Diskussion verschwinden soll. Es geht um die Frage, wie hoch ihr Anteil sein soll. Dies werden wir auf unserem Parteitag behandeln. Es ist doch unzweifelhaft, daß in den letzten Jahren hier neue, zusätzliche Erkenntnisse gekommen sind, die man in die Diskussion mit einbeziehen muß. Nur ist es ein Widerspruch, auf der einen Seite zu sagen: Dem Ministerpräsidenten von Niedersachsen billige ich zu — auch ich billige ihm das zu —, daß er über bestimmte Fragen der Endlagerung noch weiter nachdenkt, und auf der anderen Seite zu sagen: Den anderen billige ich nicht zu, daß sie über die Frage nachdenken, wieviel Kernenergie notwendig ist.
Das ist doch dann ein Widerspruch in sich selbst. Natürlich muß am Ende die Güterabwägung stehen. Natürlich ist uns bewußt, welche 'Probleme gerade für den Arbeitsmarkt durch die Verzögerung von Kraftwerksbauten entstehen. Aber auf der anderen Seite dürfen wir es uns doch nicht so leicht machen und sagen: entscheiden, durchführen, wenn wir wissen, daß die Diskussion in der Offentlichkeit über den Einsatz der Kernenergie eben auch .an Stimmungen mehr mobilisiert hat, als uns lieb sein kann. Dies in die Entscheidungsvorgänge einzubeziehen, ist notwendig.Herr Kollege Kohl, Sie haben sich dann mit den konspirativen Anwälten auseinandergesetzt. Da sind wir alle einer Meinung.
— Darauf komme ich gleich zurück. Sie haben sich mit den Möglichkeiten auseinandergesetzt, wie man dagegen vorgehen könne. Sie haben dann gesagt, Sie seien der Meinung, die Überwachung der Verteidiger sei ein wichtiges Element,
während wir sagen, daß der Ausschluß der Verteidiger das gewichtigere Element sei. Herr Kollege Kohl, Sie wissen ganz genau, daß ich von dem, was wir gemeinsam zu tragen und zu beraten haben, niemals in der Öffentlichkeit gesprochen habe; ich werde es auch nicht tun. Nur, eine Erkenntnis ist doch deutlich geworden, nämlich die, daß es zumindest auch für Sie nachdenkenswert sein sollte, ob nicht der Weg, den wir gehen wollen, den Ausschluß als das härtere Mittel durchzusetzen, besser ist, als die Überwachung vorzusehen. Das muß doch wenigstens als Erkenntnis dabei herausgekommen sein.
Nun ist noch einmal darauf hingewiesen worden, daß die Entscheidungen, die wir in der vorigen Woche zu treffen hatten, doch deutlich gemacht hätten, daß da, wo die erste Handlung kommen sollte, noch nicht einmal die Handlungsfähigkeit vorhanden gewesen sei. Das, Herr Kollege Kohl — ich habe schon am vergangenen Donnerstag ein paar Bemerkungen dazu gemacht —, ist doch nicht richtig. Eines muß ich Ihnen ganz offen sagen. Ihre Bemerkung, ob es nur noch ein Risiko für die Opfer geben solle, ist natürlich sehr eingängig.
Nur, Herr Kollege Kohl, sind Sie sich nicht im klaren darüber, daß es nicht nur ein Risiko für die Opfer ist?
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3622 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Mischnick— Sind Sie sich denn nicht im klaren darüber, daß selbst diese Fragestellung die Gefahr in sich birgt, daß dann genau der Eindruck entsteht, den wir gemeinsam nicht haben wollen und gegen den wir uns gemeinsam wehren, der Eindruck, daß dieser Staat nicht auch gegen solche terroristische Erscheinungen reagieren kann und auch — wie wir vielfach erlebt haben — mit Erfolg reagiert hat? Es ist doch in diesem Bereich auch Positives erreicht worden. Wir setzen uns zur Wehr.
— Entschuldigen Sie, wenn Sie behaupten, ich hätte 1972 gesagt, es seien noch zwei Terroristen in Freiheit, dann ist das ein völliger Irrtum.
Ich habe so etwas nie gesagt. Es trifft zu, daß 1972 gesagt worden ist, daß von der Baader/ MeinhofBande in ihrer damaligen Zusammensetzung zu dieser Zeit noch zwei Mitglieder in Freiheit seien. Das ist richtig. Richtig aber ist auch, daß in der Zwischenzeit — das wissen wir doch — neue Gruppierungen über neue Rädelsführer dieser Art entstanden sind.
Ich bin nie so leichtfertig gewesen, zu glauben, daß das von heute auf morgen zu Ende sein wird. Ich gehe so weit zu sagen: Wir werden wahrscheinlich länger mit solchen Erscheinungen zu leben haben, als es uns lieb ist.
Das wissen wir leider auch aus anderen Ländern. Das ist ja keine allein deutsche Erfahrung. Nur wenn die ganze Diskussion, wie das heute zum großen Teil geschah, in der Frage der Abwehr, der Bekämpfung des Terrorismus immer nur darauf hinausläuft: Hier ein Ausbau der Polizei, da eine Gesetzesänderung und dort geistige Auseinandersetzung, wenn nicht auch etwas tiefer angepackt und gefragt wird: woher kommen diejenigen, die heute Anführer in der Terroristenszene sind, und aus welchen Gründen tun sie das, dann wäre das nur eine Teilauseinandersetzung. Es ist doch hochinteressant, daß eben hier auch offensichtlich nicht nur beim Staat Dinge sind — mag das in der Schule sein, mag das in anderen Bereichen sein —, bei denen wir prüfen müssen, ob sie in Ordnung gebracht werden müssen. Liegt eine Ursache nicht auch darin, daß man in den Familien, wo diese Terroristinnen und Terroristen herstammen, Entwicklungen der eigenen Kinder nicht ernst genug genommen und sich nicht damit auseinandergesetzt hat?
Dies sage ich nicht als Vorwurf. Ich meine nur, wir sollten es uns nicht so leicht machen und sagen: Daß es Terrorismus gibt, ist eine Frage, die derStaat mit Gesetzen oder polizeilichen Maßnahmen ausräumen muß. Das ist vielmehr eine Frage, die jeder von uns in seinem engsten Familien- und Verwandtenbereich auch diskutieren muß; denn es sind doch nicht alle Vollwaisen gewesen, die heute Terroristen sind. Sie haben ein Elternhaus gehabt, zum Teil wohlbehütet, zum Teil besonders gut und wohlstandsgemäß ausgestattet. Trotzdem sind sie diesem abscheulichen Terrorismus verfallen. Auch das gehört zur Auseinandersetzung, die wir zu führen haben.Meine Damen und Herren, es ist davon gesprochen worden, daß wir nun handeln und nicht nur über die Dinge sprechen müßten. Ich habe nach unserer Diskussion am vergangenen Donnerstag über das — wie es so im landläufigen Sprachgebrauch heißt — „Abschottungsgesetz" gelesen, daß die Freien Demokraten bei dieser Entscheidung — so stand es in einer Zeitung — selbstquälerisch zur Entscheidung gekommen seien. Ich bekenne mich dazu. Dieses „selbstquälerisch" ist doch nicht ein Zeichen von Schwäche. Es ist doch das Zeichen dafür, daß wir uns bemüht haben und bei jedem Gesetz, das hier notwendig ist, bemühen werden, auszuloten, was für diesen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat wirklich notwendig ist, was mit unserer Verfassung vereinbar ist, was für unser freiheitlich-demokratisches Rechtsstaatsverständnis tragbar, was nicht tragbar ist. Daß das alles immer unter dem Gesichtspunkt steht, diesen freiheitlichen Rechtsstaat, jeden einzelnen in diesem Rechtsstaat zu schützen, ist doch selbstverständlich. Aber qualifizieren Sie dann bitte nicht das Bemühen darum, diesen Weg zu finden, ab! Es war eben nicht eine einfache Sache, dieses Gesetz in der letzten Woche zu beschließen, sondern es war eine sehr gewichtige Frage, die es hier zu entscheiden galt. Ich wundere mich immer, mit welcher Leichtfertigkeit dann über solche Bemühungen, den richtigen Weg zu finden, hinweggegangen wird.Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen aus der Union, Sie erleben doch bei sich selbst jetzt eine Diskussion, wie man in der Frage der sogenannten K-Gruppen handeln soll. Ich werfe Ihnen nicht vor, daß es unterschiedliche Meinungen in den Ländern darüber gibt, ob man einen Verbotsantrag stellen soll oder nicht. Nur, das Recht, das ich Ihnen hier zugestehe, das abzuwägen, unterschiedlicher Meinung zu sein, ohne daß gesagt wird, das seien Zerfallserscheinungen, dieses Recht müssen Sie doch anderen, insbesondere Liberalen genauso zugestehen.
Da zeigt sich doch, daß das Liberalitätsverständnis eben bei Ihnen in der Union etwas anders aussieht als bei uns Freien Demokraten.Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß die Frage Terrorismus und Konfliktbeherrschung, den Konflikt zu bestehen, in den Schulen eine große Rolle spielt. Manche haben die Sorge, in den Schulen würde vielleicht der Mut zum Konflikt stärker in
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Mischnickden Vordergrund gerückt und der Konsens, beispielsweise in der Familie, zu weit zurückgedrängt. Das ist ein Punkt, über den man reden muß; nur, meine Damen und Herren, wer diese Sorge hat — und ich bin bereit, über diese Dinge zu diskutieren —, der muß auch bereit sein, sich darüber Gedanken zu machen, ob es richtig ist, hier in diesem Hause und draußen in der Öffentlichkeit dann, wenn es um Grundfragen dieses Staates geht, immer wieder Konfliktspotential zu schaffen, wie das von Ihrer Seite geschieht, um die entsprechende Konfrontation zustande zu bringen. Dies muß man dann auch sehen und muß es einbeziehen.
Ich gehöre nicht zu denen, die die Dinge verwaschen wollen, ich meine aber, daß es nicht notwendig ist, auch in den Grundfragen unseres demokratischen Staatswesens, in denen Übereinstimmung besteht, ständig zu versuchen, künstlich Konflikte heraufzubeschwören; das hat dann auch eine negative Wirkung.
Die Konfrontation darf doch nicht letztlich zum Selbstzweck werden.Herr Kollege Kohl hat sich sehr leidenschaftlich mit der Frage auseinandergesetzt: Gibt es eine Hitler-Nostalgiewelle oder nicht? Ich gestehe ganz offen, ich hätte dieses Wort „Nostalgiewelle" auch nicht gebraucht. Eines ist aber unbestreitbar: Man wird im Ausland und hier bei uns von Besuchern aus dem Ausland in wachsendem Maße auf die „Zufälligkeit" des Erscheinens von Filmen, Artikelserien usw. angesprochen. Es müßte doch möglich sein, daß wir gemeinsam eine Abwehrposition gegen die Behauptung finden, das könne in der Bundesrepublik Deutschland einen Nährboden finden. Wir sind gemeinsam der Meinung, daß es hier keinen Nährboden dafür gibt; aber wir müssen genauso aufpassen, daß nicht durch überzogene Positionen bei der Frage, was man im rechtspolitischen Bereich, was man im kriminalpolitischen Bereich zur Bekämpfung des Terrorismus tun muß, diejenigen in unserem Volk Auftrieb bekommen, die es auch gibt, die am liebsten alles bis ins letzte durch den Staat reglementieren wollen. Darauf müssen wir aufpassen; dies müssen wir in unsere Überlegung einbeziehen.
Sie sagen — mit Recht —: Auch wir sind für den kritischen Dialog mit den Intellektuellen. Ich habe nie bestritten, daß Sie das tun, nur habe ich oft den Eindruck, daß viele aus Ihren Reihen „kritischen Dialog" so verstehen, daß man den anderen gar nicht erst anhört, sondern ihm von vornherein bescheinigt, daß er auf dem falschen Weg ist. Zum kritischen Dialog gehört doch, daß man zunächst einmal auch die Argumente, die man für völlig falsch hält, aufnimmt und gegen sie argumentiert und nicht einfach unterstellt, weil der Betreffende zu einer bestimmten Gruppierung gerechnet wird, lohne es sich schon nicht, darüber zu diskutieren. Wir werden diesen Fehler nicht machen. Dies heißt doch nicht, daß man sich damit identifiziert, wenn man bereit ist, sich auch mit falschen, schlechten Ideen, mit falschen Ideologien auseinanderzusetzen.Es ist mehrfach gesagt worden, es dürfe nichts unter den Tisch gekehrt werden, es müsse offen diskutiert werden. Wir sind dazu bereit; aber diese offene Diskussion mit allem, was wir in den nächsten Wochen vor uns haben, wird diesem Volk, wird diesem Staat, wird der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nur nützen, wenn am Ende bei der gesamten Bevölkerung in unserem Land der Eindruck herrscht: diese 90 %, 95 %, 99 % der Demokraten, die in den Wahlen gewählt worden sind, sind auch in der Frage der gemeinsamen Verteidigung dieser Grundrechte auf der gleichen Basis und zerstreiten sich nicht künstlich.Wenn wir all das, was gestern und heute gesagt wurde — und die Haushaltsdebatte ist ja immer ein Anlaß, so eine Art Generalaussprache zu führen —, zusammennehmen, dann stellen wir fest — ich finde das erfreulich —, daß viel über solche Positionen diskutiert worden ist. Aber wenn ich nun an das eigentliche Werk denke, nämlich an den Haushalt, der hier eingebracht worden ist und der natürlich eine Verwirklichung der Politik darstellt, die sich diese Regierung vorgenommen hat, dann muß ich leider feststellen, daß Gegenpositionen in dem Sinne „hier muß dieses und hier muß jenes so oder so anders gemacht werden" nicht dargestellt worden sind.Es ist Kritik geübt worden. Das ist Ihre Aufgabe. Es ist gesagt worden, dies und jenes müsse man bedenken. Aber ein geschlossenes Konzept, von dem man sagen könnte, hier bestehe wirklich die Möglichkeit, zu grundlegend anderen Entscheidungen zu kommen, war nicht da. Insoweit haben Sie den Nachweis erbracht, in der Kritik, in der Polemik mit mehr oder weniger gutem Erfolg — durchaus positiv beurteilt zu werden. Aber den Nachweis für die Regierungsfähigkeit haben Sie mit dieser Debatte nicht erbracht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Ehmke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat heute zu Beginn seiner Rede gesagt, daß Herr Strauß der eigentliche Oppositionsführer sei. Herr Kohl hat das seine ganze Rede hindurch bestätigt.
Denn die Rede von Herrn Kohl bestand im wesentlichen darin, den Straußschen Konfrontationskurs zu fahren, das aber in dem Herrn Kohl eigenen Erbauungsstil: Das trieft nur so vor Anständigkeit und Redlichkeit und schlägt doch unter die Gürtellinie.
Herr Kohl redet von Gemeinsamkeiten, hat aber noch nicht einmal die Kraft gefunden anzuerkennen, daß es in der Frage der Ablehnung der Gewalt
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3624 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Dr. Ehmkeseit jeher eine Gemeinsamkeit der in diesem Hause vertretenen Parteien gibt.
Vielleicht macht eines Sie nachdenklich, sicher Herrn von Weizsäcker: daß Ihre Diffamierungskampagne „Freiheit statt Sozialismus" inzwischen in Ihre eigene Partei hineingeht. Ich lese Ihnen jetzt einmal eine Äußerung Ihres Kollegen Vogt vor, die er in der Grundwerte-Diskussion der CDU gemacht hat. Er sagte:Meine Damen und Herren,— gegenüber Vorwürfen von Biedenkopf, daß das, was die Sozialausschüsse sagten, dem SPD-Orientierungsrahmen entspreche —das sind nach meinem Empfinden Totschlagsworte. Sie regen die Auseinandersetzung nicht an, sie ersticken sie.Und dann kommt etwas sehr Interessantes:Wer die Parole „Freiheit statt Sozialismus" als Waffe in der innerparteilichen Auseinandersetzung der CDU verwendet, nimmt sie sich natürlich als Instrument der Auseinandersetzung mit dem parteipolitischen Gegner.Eine bemerkenswerte Auffassung von „Politik aus christlicher Verantwortung".
Nach innen darf man das nicht, weil es schadet, aber nach außen darf man mit Totschlagsworten, die die Diskussion ersticken, arbeiten. Das ist Ihre Meinung von Politik.
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
— Ich sagte nein.
Herr Kollege Kohl ist auch nicht davor zurückgeschreckt, das, was ich hier gesagt habe, zu verdrehen, und zwar das, was ich in bezug auf folgende Gefahr gesagt habe, Herr Kohl: daß nämlich das Ausland die NS-Vergangenheit und das, was es in der Bundesrepublik an Belebungsversuchen zu sehen meint, mit dem Terrorismus zu einer „Kontinuität des deutschen Irrationalismus" zusammentut. Das habe ich gesagt. Ich habe übrigens hinzugefügt — das, was Sie dazu behauptet haben, Herr Kohl, war unwahr —, daß wir wissen, daß diese Dinge nicht dramatisch sind, daß wir sie aber unsererseits — darum habe ich Herrn Kollegen Strauß gebeten — auch nicht bagatellisieren dürfen.
Sie kennen Italien nicht so gut, aber Ihre Äußerung zu Kappler war schlimm. Wenn Sie überlegen, daß die Stelle, an der Kappler damals die Partisanen erschossen hat, eine der Stationen für Rom-Besucher im Santo Anno war, — — — Das spielt für Sie alles keine Rolle.
— Natürlich war es so!
— Herr Kohl weiß schon, was er zu Herrn Kappler gesagt hat.
— Erstens lüge ich nicht, und zweitens sollten Sie sich, Herr Jenninger, wieder an Mindestformen des Umgangs gewöhnen, auch wenn Sie neben Herrn Kohl sitzen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kohl?
Ja.
Herr Kollege Ehmke, Sie haben soeben, wenn ich Sie recht verstanden habe, erklärt, meine Äußerung zur Flucht Kapplers sei schlimm gewesen. Darf ich Ihnen die Frage stellen, was Ihrer Auffassung nach an meiner Äußerung, daß es 30 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges mit all seinen Schrecken, mit all seinen Versuchungen und Verbrechen richtig wäre, trotz allem Gnade vor Recht ergehen zu lassen, schlimm ist?
Herr Kohl, an dieser Äußerung ist gar nichts schlimm. Ich teile sie.
Ich habe mich, wie Sie wissen, oft für die Begnadigung von Kappler eingesetzt. Ich meinte etwas anderes.
— Herr Jenninger, warum immer so schnell? Es wäre besser, erst einmal nachzudenken Ich versuche doch gerade, Ihnen klarzumachen, daß das aus italienischer Sicht eine völlig andere Dimension hat, und zwar auch aus der Sicht Ihrer Freunde. Gehen Sie doch einmal zu Ihren christdemokratischen Freunden und fragen Sie die, wie sie das sehen.
Meine Warnung lautet, nicht alles von unserem Standpunkt aus zu sehen, sondern auch von dem der anderen aus. Und für die Italiener sah der Fall Kappler eben ganz anders aus. Das müssen Sie mich
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3625
Dr. Ehmkedoch sagen lassen. Ich warne doch deshalb davor, damit wir hier keine Fehler machen.
Das zweite Beispiel, das ich genannt habe, war die Bundeswehrhochschule. Ich hätte mich gefreut, Herr Kollege Kohl, wenn Sie dazu ein Wort gesagt hätten.Schließlich die „Hitler-Nostalgiewelle". Ich weiß nicht, warum Sie sich künstlich aufregen; ich finde das nicht redlich. Es gibt eine Nostalgiewelle in Deutschland, die sich mit dem beschäftigt, was in der Vergangenheit war, statt mit dem, was in der Zukunft sein soll. Darüber werden viele Aufsätze und Essays geschrieben.
-- Entschuldigen Sie! Im Augenblick hat diese Nostalgiewelle die Zeit des Nationalsozialismus erreicht.
Wenn Sie die Diskussion über ,die Wirkung des Filmes von Fest sehen, wenn Sie die Diskussion über die Illustriertenartikel sehen, — —(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Heute im„stern"!)— Jetzt stimmen Sie mir plötzlich zu. Wenn es um ein Presseorgan geht, das Sie nicht mögen, ist plötzlich richtig, was ich sage.
— Herr Kohl, wir sollten einmal den Versuch machen, ernsthaft miteinander zu reden, auch wenn Sie schon wieder lachen.
Es gibt darüber hinaus Untersuchungen darüber, was wohl psychologisch hinter der Masse von Kioskliteratur steht, die sich intensiv und ausdauernd mit der Geschichte des Dritten Reiches und mit dem Krieg beschäftigt.
Herr Kohl, ich sage Ihnen noch einmal —
— Ach, wissen Sie, dazu kann ich nur sagen: Wenn Sie 30 Jahre nach dem Krieg noch Entnazifizierungsbedürfnisse haben, würde ich an Ihrer Stelle lieber in den eigenen Reihen bleiben,
als bei jemandem wie mir anzufangen, der das gleiche für sich in Anspruch nehmen kann wie Herr Kohl, daß er nämlich damals viel zu jung war, dort hineinzuschlittern, und der wie Herr Kohl das Glück hatte, aus einem Elternhaus zu kommen, das damit nichts zu tun hatte — was übrigens für mich kein Grund ist, mich nachträglich als Widerstandskämpfer aufzuspielen.Ich sage noch einmal: Ich bitte darum, daß wir das, was das Ausland sagt, nicht einfach wegwischen. Das, was der Bundeskanzler dazu gesagt hat, war sehr viel vernünftiger und differenzierter.Herr Kohl, jetzt sage ich Ihnen noch etwas —nicht weil ich Sie verletzen will —:
Ich glaube, daß Sie im Grundsatz in dieser Frage tatsächlich gar nicht anders denken als ich, als wir, als die meisten unserer Jahrgangskollegen. Aber, Herr Kohl, ich habe, gerade wenn Sie so denken, die herzliche Bitte, in Zukunft nicht im Stil McCarthy's Kollegen in diesem Hohen Hause als „fellow travellers" zu bezeichnen. Das paßt schlecht zu der Biederkeit, mit der Sie das andere vorgetragen haben.
Herr Kollege Kohl, auf das, was Sie zur Energiepolitik gesagt haben, will ich nicht eingehen,
weil ich das wirklich nicht ernst nehmen kann.
Sie sind ein Mann, der um alles weiß, aber nichts wirklich kennt. Und ich sage Ihnen: Statt uns, mich und den Herrn Bundeskanzler, in der Frage der Verteidigerüberwachung anzugreifen, wäre es viel besser gewesen, Sie wären einmal hier ans Pult gegangen und hätten gesagt, warum das aus Ihrer Erfahrung oder auf Grund Ihnen übermittelter Erfahrungen ein wirksames Mittel sei. Nein, das tun Sie nicht; den Beweis dafür bringen Sie nicht.
Sie treten hier in der Sache gar nicht an, sondern benutzen das gleich wieder zur Diffamierung.Und sehen Sie, Herr Kohl, Sie spielen hier verbal den Kraftprotz in der Terroristenbekämpfung, aber in Ihrer Fraktion haben Sie noch nicht einmal genügend Autorität, meine ganz höfliche und herzliche Bitte von gestern zu erfüllen, uns darauf zu antworten, ob Sie mit uns für eine Verstärkung der Bundeskompetenzen bei der Fahndung eintreten wollen.
Dazu sind Sie nicht in der Lage!
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3626 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Dr. EhmkeUnd sehen Sie, Herr Kohl, Sie reden von Gemeinsamkeit, aber Sie sind nicht in der Lage, dem Sonthofener Kurs von Strauß Widerstand zu leisten.
— Ja, ja, Sie finden das lächerlich! Ich finde es lächerlich, wenn ich höre, daß Sie, Herr Kohl, wie das neulich der Fall war, noch nicht einmal einen Brief abschicken durften, den Sie an Pinochet geschrieben hatten.
— Ja, Sie finden das in Ihrer Fraktion inzwischen normal; wir haben da andere Maßstäbe.
Sehen Sie, Herr Kohl, darum sage ich Ihnen in aller Ruhe: Ein Mann, der so stark in Worten und so schwach in Taten ist — —
— Ja, das finde ich' jetzt auch wieder interessant, weil Sie jetzt an dem Punkt sind, an dem Sie sterblich sind. Herr Haase, ein großer Teil Ihrer Fraktion stimmt mir doch darin zu,
und durch seinen Abgang untermalt Herr Kohl jetzt das, was ich sage,
daß es nämlich ein Glücksfall für das deutsche Volk war, daß ein Mann, der so stark in Worten und so schwach in Taten ist,
nicht Bundeskanzler dieser Republik geworden ist.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich schließe die Aussprache zu den Punkten 1 a und b und schlage Ihnen vor, die Vorlagen an den Haushaltsausschuß zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1977
— Drucksache 8/365 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 8/970 — Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Warnke Abgeordneter Roth
Ich frage zunächst, ob einer der Herren Berichterstatter eine Ergänzung wünscht. — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich danke den Herren Berichterstattern und eröffne die Aussprache. — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Warnke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der ERP- Wirtschaftsplan 1977, über den wir heute zu befinden haben, ist in der Bundesrepublik Deutschland d e r Investitionshaushalt schlechthin: eine Finanzmasse von nahezu 3 Milliarden DM, nichts davon Personalkosten, nichts davon Einkommenstransfers, nichts davon für den individuellen oder den sozialen Konsum, sondern geballt einsetzbar für Investitionen in den Bereichen Mittelstand, Gemeinden, Berlin-Hilfe und Entwicklungshilfe.Für die CDU/CSU-Fraktion ist dabei die Mittelstandsförderung der überragende Schwerpunkt des ERP-Wirtschaftsplans. Entsprechend Geist und Buchstaben jenes Entwurfs eines Mittelstandsförderungsgesetzes, das wir — zwei Wochen ist es her — hier eingebracht und begründet haben, werden wir die Mittel aus den Rückflüssen und den Zuwachsraten des ERP-Wirtschaftsplanes Jahr für Jahr auf diesen Schwerpunkt der Mittelstandsförderung konzentrieren. ERP ist ein Instrument zur Gegensteuerung gegen die mittelstandsfeindlichen Wirkungen der Kreditpolitik. Gerade die Kreditpolitik, meine Damen und Herren, war in den letzten Jahren für den Mittelstand falsch gepolt.
Sie gab Anreize nur für die Großen, aber Entmutigungen für die Kleinen. Im Würgegriff der Hochzinspolitik, die die Bundesbank betreiben mußte,
weil die Bundesregierung in ihrer wirtschaftspolitischen Verantwortung versagt hatte,
sind viele der Kleinen auf der Strecke geblieben,
während sich die Multis zu 7 % in der Schweiz bedienen konnten.
Noch nie ist Wirtschaftspolitik so sehr zugunsten der Großen und zu Lasten der Kleinen betrieben worden wie in jenen sieben Jahren, in denen Sie die Verantwortung dafür tragen.
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Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3627
Dr. WarnkeDie Mittel des ERP-Wirtschaftsplans
stellen die Weichen für den Mittelstandskredit in die richtige Richtung. Sie geben dem Handwerker, dem Einzelhändler, dem Kleingewerbetreibenden Kredit, der niedrigverzinslich, langfristig und vor allem frei von den Schwankungen des Diskontsatzes ist.
Weil der Umfang dieser Kredite in der Vergangenheit aber zu gering gewesen ist, waren die Mittel oft schon nach wenigen Wochen erschöpft. Deshalb mußten sich viele mittelständische Unternehmen am Kapitalmarkt verschulden. Hierin liegt eine der entscheidenden Ursachen — neben den Versäumnissen der allgemeinen Wirtschaftspolitik — für die über 30 000 Kon- kurse und Vergleichsverfahren in den Jahren seit 1974, von denen hauptsächlich mittelständische Unternehmen betroffen waren. Deshalb haben wir von der CDU/CSU-Fraktion uns seit Jahren konsequent für die Erweiterung der ERP-Mittelstandsförderung eingesetzt.Diesmal allerdings, im 30. Jahr nach dem Beginn des Marshallplanes, dem das ERP-Wirtschaftsvermögen seine Existenz verdankt, haben wir einen zusätzlichen Anlaß, die strukturpolitische Rolle des ERP-Vermögens zu betonen; denn dieses Sondervermögen ist der beste Beweis dafür, daß man auch mit marktwirtschaftskonformen Mitteln wirksam Strukturpolitik betreiben kann.
Diese marktwirtschaftskonforme Strukturpolitik bedient sich der Anreize, nicht der Gebote und Verbote, nicht des Rätesystems, nicht des Einsatzes von Investitionsräten oder Strukturräten als Vorstufe zur planwirtschaftlichen Lenkung.
Es bleibt dem einzelnen überlassen, ob er sich ihrer bedienen will oder ob er sich ihrer nicht bedienen will.Das ERP-Sondervermögen dient einer freiheitlichen, einer marktwirtschaftlichen Strukturpolitik. Das gilt auch für die Regionalpolitik; denn für Handel, Handwerk und Kleingewerbe, denen keine Investitionszulagen und Investitionszuschüsse gewährt werden, ist es nur über den ERP-Wirtschaftsplan möglich, über die unterschiedlichen Zinssätze eine zusätzliche Förderung zu erhalten. Die CDU/CSU-Fraktion hat sich deshalb für die Aufrechterhaltung der bisherigen Zinsdifferenzierung ausgesprochen, und zwar mit Nachdruck ausgesprochen, als der Bundeswirtschaftsminister vor vier Wochen anläßlich der geplanten Senkung der Zinsen beim ERP-Programm diese Zinsdifferenzierung zu Lasten des Zonenrandgebietes und zu Lasten Berlins verändern wollte.Wir haben uns mit dieser Auffassung durchgesetzt. Minister Friderichs hat in einer Entscheidung, die in seinem Zuständigkeitsbereich, nicht in dem des Parlaments, lag, der Auffassung des Parlaments Rechnung getragen und seine vorbereitete Entscheidung umgestoßen. Für diesen Akt der Zusammenarbeit mit dem Parlament — dadurch war sein Stil gegenüber dem Parlament gekennzeichnet — möchte ich dem scheidenden Minister als Oppositionssprecher an dieser Stelle danken.
Minister Friderichs hat damit ein Zeichen gesetzt, auch für seinen Nachfolger Lambsdorff, der, wie ich hoffe, wenigstens an der Übertragungsanlage diese Worte über die Notwendigkeit, die Regionalpolitik weiterzuentwickeln, mithören kann. In dein uns jetzt vorgelegten Haushaltsentwurf sind die Arbeitsplatzförderungsmittel im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe gegenüber 1977 um 40 Millionen DM gekürzt worden.
Der neue Minister wird also schnell Gelegenheit haben, seine regionalpolitische Standfestigkeit zu beweisen. Denn die Aufstockungen im ERP-Haushalt zugunsten der Mittelstandsförderung, zugunsten der Schaffung neuer Arbeitsplätze, insbesondere im Existenzgründungsprogramm, die wir gefordert, die wir begrüßt haben und die wir mittragen, werden natürlich neutralisiert und zunichte gemacht, wenn gleichzeitig die Arbeitsplatzbeschaffungsmittel im Haushalt der Gemeinschaftsaufgabe gegenüber den Ansätzen für dieses Jahr um 40 Millionen DM gesenkt werden. Diesen Schwindel werden wir von der CDU/CSU nicht mitmachen. Jede Kürzung der Arbeitsplatzförderungsmittel wird auf unseren erbitterten Widerstand stoßen.
Noch eines sage ich in aller Deutlichkeit denen, die es angeht — sie sollen es hören, und sie werden es spüren —:
Mit unserer Auffassung vom ERP als wirksamstes Instrument der Mittelstandsförderung ist es unvereinbar — wir werden• das nicht zulassen —, daß es zur Selbstbedienung von Großunternehmen der öffentlichen Hand zweckentfremdet wird. ERP ist für den Mittelstand, und der ist gewohnt, sparsam zu wirtschaften.Mustergültig ist das Existenzgründungsprogramm, das den dringend notwendigen Nachwuchs der Selbständigen fördern soll. Mit nur 13 000 DM Einsatz an Kreditmitteln pro neugeschaffenen Arbeitsplatz liegt es in der günstigsten Aufwand-Ertrag-Relation für alle öffentlichen Arbeitsplatzförderungsprogramme. 13 000 DM rückzahlbarer Kredit für die Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes und oft das Zwanzigfache und mehr an Zuschuß bei den kapitalintensiven Unternehmen! Für uns ist das Anlaß, auch einmal jenen jungen Menschen Dank zu sagen, die heute den Mut zum Wagnis der Selbständigkeit besitzen und damit einen unverzichtbaren Beitrag zur
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3628 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
Dr. WarnkeAufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit unseres marktwirtschaftlichen Systems leisten.
Das ist uns auch Anlaß, jenen Einrichtungen Dank zu sagen, die diese Programme verwalten und mit hohen eigenen Mitteln, in Milliardenhöhe, fördern und vervollständigen. Ich meine die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die Lastenausgleichsbank, die jenes Existenzgründungsprogramm in eigener Regie durchführt, und ich meine auch die Kreditgarantiegemeinschaften. Mit den bisher eingesetzten ERPHaftungsfondsdarlehen im Gesamtbetrag von 36 Millionen DM haben die Kreditgarantiegemeinschaften inzwischen weit mehr als 50 000 Einzelbürgschaften im Gesamtbetrag von über 3,5 Milliarden DM, also weit mehr als das Hundertfache dieses eingesetzten Betrages an Bürgschaften übernommen und in der Mehrzahl der Fälle damit überhaupt erst die Voraussetzungen geschaffen, daß die staatliche Wirtschaftsförderung des Bundes bei diesen kleinen und mittleren Unternehmen ansetzen konnte. Das ist auch der Grund gewesen, weshalb wir uns im Wirtschaftsausschuß über gewisse formale Bedenken des Bundesrechnungshofes hinweggesetzt und den Ansatz für die Kreditgarantiegemeinschaften nicht gestrichen, wie es der Bundesrechnungshof verlangt hatte, sondern im Gegensatz verdoppelt haben.Aber wenn der SPD-Parteivorstand in seinem famosen Beschluß vom 19. September 1977 vorausschauende Strukturpolitik fordert mit einem Strukturfonds zur Förderung strukturpolitischer Investitionen aus den Geldern des ERP-Sondervermögens, aus den Mitteln der Kreditanstalt für Wiederaufbau und aus den Mitteln des Haushaltes, dann wollen Sie offensichtlich nicht nur Strukturräte, sondern — von Ihrem Standpunkt aus durchaus konsequent — Sie legen gleich auch noch Butter bei die Fische. Sie geben nämlich den Strukturräten auch noch die Milliarden an Finanzmitteln in die Hand, die dann als Schraube benutzt werden, um daran zu drehen und den Mechanismus der Marktwirtschaft in seinem ordnungsgemäßen Ablauf so lange zu stören, bis Sie ihre Abschaffung verlangen können.
Das erfolgreiche marktwirtschaftliche Zusammenspiel zwischen ERP-Sondervermögen, Kreditanstalt für Wiederaufbau und Haushalt werden wir auch gegen solche Anschläge aus der linken Ecke zu verteidigen wissen. Dem neuen Wirtschaftsminister, an dessen Geld die SPD mit diesem Vorschlag ja nun gehen möchte, kann ich in Abwandlung eines bekannten Wortes nur zurufen: Lambsdorff, bleibe hart!Wir wollen auf dem Wege weitergehen, den in den letzten Jahren die CDU/CSU-Fraktion in den Beratungen von Ausschuß und Plenum konsequent verfolgt hat: Stärkung der Schwerpunkte Mittelstand mit den Hauptpfeilern Existenzgründung und Regionalpolitik. Wenn diese Programme von der Regierung entsprechend ihrer Ankündigung erweitert und ausgebaut werden, dann werden wir das mittragen und unterstützen. Konkret gesagt: an jene Umpolung von über 100 Millionen DM im ERP-Wirtschaftsplan, zu der Sie, verehrte Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion und von der FDP-Fraktion, sich einstimmig im Wirtschaftsausschuß seit Jahr und Tag bereit erklärt haben und die Sie auch diesmal wieder gegenüber Ihrer Regierung nicht durchsetzen konnten, an diese Umpolung wird Sie die CDU/CSU-Fraktion auch in den kommenden Jahren mahnend erinnern, so lange, bis sie vollzogen worden ist — am besten, glaube ich, durch eine Mehrheit der Union.
Wir fahren in der Aussprache fort.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
— Sie können sich beruhigen. Er ist es tatsächlich.
— Vielen Dank. Dann ist es gegenseitig.An diesem Tag muß ich zu dieser Stunde meine tiefe Befriedigung darüber zum Ausdruck bringen, daß ein finanzwirtschaftlich-wirtschaftspolitisches Gesetz in diesem Bundestage, wenn ich den Herrn Vorredner richtig verstanden habe, einstimmig verabschiedet wird. Das ist gut. Es ist ein Gesetz — Herr Warnke hat darauf hingewiesen —, das vor allem den mittleren Schichten in diesem Lande hilft, das zugegebenerweise vor allem Hilfe für mittlere und kleinere Unternehmen ist. Wir nehmen dankbar zur Kenntnis, daß die Opposition zustimmt. Wir wären nur froh, wenn sie in diesem Bundestage auch bei Gesetzen zustimmte, bei denen es um die kleinen Leute in diesem Lande geht, wie beispielsweise beim Grundfreibetrag in der Steuergesetzgebung von heute morgen.
Ich möchte, Herr Warnke, zu Ihren Ausführungen drei Bemerkungen machen. Die erste Bemerkung betrifft Ihre Kritik der Deutschen Bundesbank und der Autonomie der Deutschen Bundesbank. Ihre Kritik der Hochzinspolitik der Deutschen Bundesbank der letzten Jahre, also bis vor anderthalb Jahren, kann ich nur so verstehen, daß Sie vom Parlament oder von der Regierung her — das ist ja Ihre Hoffnung, wenn ich Sie richtig verstanden habe —, von der politischen Seite her die Zinspolitik der Deutschen Bundesbank bestimmen wollen.
Ich bin interessiert, das zu hören. Das wird auch Frankfurt mit Interesse hören.
Wir jedenfalls werden in dieser Frage etwas differenzierter vorgehen. Sie haben einen strukturpo-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3629
Rothlitischen Beschluß des SPD-Parteivorstandes zitiert. Darin steht, daß es für die Zukunft notwendig ist, daß die Deutsche Bundesbank auf alle Ziele des Stabilitätsgesetzes verpflichtet werden muß. Das wird vor allem im Sinne der gegenseitigen Diskussion stattfinden müssen. Wir sind jedenfalls nicht bereit, jetzt nachträglich eine große Zinsschelte in Richtung auf Frankfurt hier zu starten.
Zweiter Punkt! Verehrter Herr Warnke, Sie haben nun die Räterepublik entdeckt. Ich habe Sie nicht richtig verstanden. Sie müßten das vielleicht in der Offentlichkeit noch einmal präzisieren. Wollen Sie den Mittelstandsbeirat beim Wirtschaftsministerium abschaffen? Oder gegen was wendet sich denn Ihre Räterepublik-Ahnung oder -Hoffnung oder kämpferische Einstellung? Wir haben seit Jahren ein Beratungsorgan der mittelstandsorientierten Gruppierungen in diesem Lande beim Wirtschaftsministerium, und die Sozialdemokratische Partei fordert ein Beratungsorgan für die Bundesregierung und für das Parlament im Bereich der Strukturpolitik. Sie sagen zum Mittelstandsbeirat — das vernehme ich jedenfalls sonst immer in den Ausschußsitzungen — ja. Dann frage ich mich: Wie können Sie plötzlich von der Räterepublik sprechen, wenn man einen Strukturrat der sozialen Gruppen für einen anderen Bereich der Wirtschaftspolitik einrichten will.Es folgt eine dritte Bemerkung zur Zinsdifferenzierung im Lande, zwischen Berlin, zwischen Zonenrand und zwischen den anderen Gebieten. Herr Warnke, ich habe es mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß Sie jetzt für regionale Zinsdifferenzierung sind. Wer für regionale Zinsdifferenzierung ist, ist mittelbar auch für investitionslenkende Maßnahmen.
Nicht anders als durch Zinsdifferenzen kann man Investitionen in einem marktwirtschaftlichen System steuern und lenken. Auch da müßten Sie einmal geistig, theoretisch, politisch, wirtschaftspolitisch ein bißchen mehr Klarheit bei sich schaffen.
Ich finde es bei Ihnen so unangenehm, daß Sie hier Popanze aufbauen. Sie können die sozialdemokratischen Beschlüsse auf diesem Gebiete gut oder weniger gut finden; das ist Ihre Sache. Sie sollten aber endlich einmal in eine wirtschaftspolitische Diskussion mit den Verantwortlichen in diesem Lande, mit den Wissenschaftlern, mit vielen Publizisten eintreten und nicht jeweils einen ideologischen Popanz vorn ans Pult stellen und nebenbei noch bei der Rede lächeln, weil Sie selber wissen, daß es eigentlich Quatsch ist.
Also lassen Sie das.Ich bin jetzt endlich zu meinem eigentlichen Thema vorgedrungen, nachdem ich mich mit Ihren Bemerkungen beschäftigt habe, nämlich zum ERP-Sondervermögen. Herr Warnke, wir sind uns darüber einig, daß es notwendig war, die Kreditgarantiegemeinschaft und ihre Förderung nicht nur zu erhalten, sondern auszubauen, weil wir glauben, daß hier ein positiver Multiplikator für Kredite der privaten Wirtschaft entwickelt ist. Ich bin dafür, das auch in Zukunft weiter zu machen. Wir haben durch unsere Entscheidung ausdrücklich dem Rechnungshof widersprochen — ich sage das an dieser Stelle, weil der Rechnungshof ein Hilfsorgan des Parlaments ist —, in der wir sagen: Diese formalrechtlich sicherlich verständlichen Bemerkungen sind nicht tragfähig. Wir können hier nicht mit einer formalrechtlichen Begründung, die zudem solche und solche Argumente zuläßt, eine bewährte Organisationsform der Hilfe der mittleren und kleinen Unternehmen praktisch austrocknen. Ich bin dafür, das so zu machen, und es ist schön, daß wir das im Ausschuß einstimmig zustande gebracht haben.Ich komme zum zweiten Bereich. Wir haben in diesem Wirtschaftsplangesetz die Beträge für die Neugründungs-, für die Existenzgründungsdarlehen erhöht. Wir haben 'dankbar zur Kenntnis genommen, daß das Bundeswirtschaftsministerium durch Verhandlungen mit der Lastenausgleichsbank hier noch andere Deckungsmittel verfügbar gemacht hat. Es ist sehr interessant, daß wir in diesem Jahr 1977, in dem angeblich der Zusammenbruch der kleinen und mittleren Unternehmen vor der Tür steht, mit den bereitgestellten Mitteln für Neugründungen von kleinen und mittleren Unternehmen nicht zurechtkommen, sondern sie aufstocken müssen. Das zeigt auch, daß trotz mancher Konkurse, trotz der Marktauslese — so muß man wohl sagen — in vielen neuen Bereichen aktive Neugründungen stattfinden. Wir als sozialdemokratische Bundestagsfraktion unterstützen dies. Insbeosndere unterstützen wir auch die Erklärung der Regierung, im nächsten Wirtschaftsplangesetzentwurf 500 Millionen DM für diesen Bereich vorzusehen.Lassen Sie mich eine Bemerkung zur Berlin-Hilfe machen, weil auch Herr Warnke das mittelbar angesprochen hat. Die Berlin-Hilfe läuft, wie wir wissen, gut ab; sie wird in Anspruch genommen. Ich persönlich verhehle nicht, daß mir ein zu großer Anteil der Berlin-Hilfe in einem Feuerwehreinsatz für ein öffentliches Unternehmen eingesetzt ist. Ich sage das ganz deutlich. Nur, Herr Warnke, es ist ja nicht so, wie Sie es unter der Hand hier verbreiten wollen, als sei das ein Unternehmen, das im staatswirtschaftlichen Bereich praktisch pleite gemacht habe oder am Rand des Ruins gewesen sei und das dann eben subventioniert werden müsse. Vielmehr wissen wir alle, daß in diesem Bereich Ihr Minister Dollinger im Jahr 1966 zur Verstaatlichung gegriffen hat, weil Arbeitsplätze konkret gerettet werden mußten. Auf Grund spezifischer Standortbedingungen in Berlin ist es nur allmählich möglich geworden', hier Verbesserungen durchzusetzen. Wir sollten das nicht plakativ unter dem Thema „Staat oder Privatwirtschaft?" 'debattieren, sondern gemeinsam offen bekennen, daß dieses Unternehmen, das derzeit in staatlicher Hand ist, deshalb in staatliche Hand gekommen ist, weil seine Zweige unter privatwirtschaftlicher Führung damals in den Keller gefahren3630 Deutscher Bundestag 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977Rothwurden. Wir werden uns bemühen — der Ausschuß jedenfalls hat das beschlossen —, in diesem Bereich eine stärkere Kontrolle als bisher durchzusetzen.Es gibt im Wirtschaftsplangesetz Bereiche, die in diesem Jahr nicht überholt und überarbeitet werden konnten, weil die Einbringung des Gesetzentwurfs so spät stattgefunden hat — nicht aus Schuld der Regierung, sondern auf Grund der Wahlen im vorigen Spätherbst. Ich hätte mir gewünscht — ich sage das auch unter dem Aspekt der parlamentarischen Kontrolle aus einer Regierungsfraktion heraus —, daß wir manche Abschnitte genauer angeguckt, Schwergewichte verlagert und neue Ideen in einzelnen Bereichen vorgeschlagen hätten. Das ging auf Grund der Zeitlage nicht.Ich möchte ein Beispiel nennen. Ich will mir ganz genau angucken, warum Sonderprogramme für Vertriebene mehr als 30 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im mittelständischen Bereich noch notwendig sind und warum nicht alle Gruppen aus dem Vertriebenenlager genauso behandelt werden können wie junge Leute, die beispielsweise einen neuen Betrieb gründen wollen, aber nicht aus dem Vertriebenenlager kommen.
Das leuchtet mir so nicht mehr ein. Ich lasse mich überzeugen, wenn tragfähige Argumente kommen. Sicher wird in Richtung auf Spätaussiedler ein Sonderprogramm in ein künftiges Wirtschaftsplangesetz eingesetzt werden müssen. Ich bin dafür, hier konkret zu überprüfen.Ein zweiter Aspekt. Wir sind jetzt im Jubiläumsjahr des 30jährigen Bestehens des ERP-Sondervermögens und der Marshallplanhilfe. Ich frage mich, ob es unserer internationalen Verantwortung gerecht wird, daß dieses ERP-Sondervermögen in so kleinem Umfang im Bereich internationaler Solidarität und internationaler Hilfe für wirtschaftlich und sozial bedrängte Staaten eingesetzt wird. Ich halte das für eine berechtigte Frage. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika haben nach 1947 auf Vorschlag des damaligen Außenministers Marshall dieses Programm als ein Programm der internationalen Solidarität entwickelt. Ich frage mich, ob es der Wirtschaftskraft der Bundesrepublik Deutschland nicht besser entspräche, wenn wir diesen Grundgedanken des Modells und des Plans stärker aufgreifen würden. Jedenfalls kündige ich seitens der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei an, daß wir im nächsten Jahr Vorschläge auf diesem Gebiet ernsthaft überprüfen werden. Vielleicht gibt es Möglichkeiten, die Hilfe für entwicklungspolitische Initiativen und Aktivitäten von kleinen und mittleren Unternehmen mit Hilfemaßnahmen aus dem ERP-Sondervermögen zu koppeln. Ich halte es für eine interessante Fragestellung, die Grundkonzeption unseres Marshall-Plans, unseres ERP-Wirtschaftsplans, nämlich kleine und mittlere Unternehmen in die Lage zu versetzen, konkurrenzfähig mit und leistungsfähig gegenüber den großen Unternehmen zu sein, mit der Idee einer stärkeren Hilfe für die benachteiligten Regionen dieser Welt zu koppeln. Wir werden das jedenfalls untersuchen.
Wir hören nun immer wieder von verschiedensten Seiten Argumente gegen das ERP-Wirtschaftsvermögen und das Wirtschaftsplangesetz in der Richtung, hier handle es sich um einen Schattenhaushalt, der neben dem eigentlichen Etat laufe und eigentlich eine Rechtsverletzung sei. Ich will hier seitens meiner Fraktion ausdrücklich feststellen, daß wir es für richtig und vertretbar halten, dieses ERP-Sondervermögen nicht nur in der Substanz zu erhalten, sondern auch zu vermehren und in Zukunft als flexibles Element der Wirtschaftshilfe im nationalen und internationalen Maßstab einzusetzen. Wer dem Herrn Wirtschaftsminister und dem Herrn Finanzminister gestern und vorgestern zugehört hat, wer ihre Skepsis bezüglich der Flexibilität der öffentlichen Haushalte in Bund, Ländern und Gemeinden gehört hat — Herr Friderichs hat z. B. ausgeführt, er frage sich, ob die Steuerpolitik und die Haushaltspolitik eigentlich heute noch konjunkturpolitisch und strukturpolitisch flexibel eingesetzt werden können, wie es wünschenswert ist —, wer alles dies an Bedenken gegen den Etat und gegen die Steuergesetzgebung in sich trägt und ernst nimmt — ich nehme das ernst —, der muß wissen, daß das ERP-Plan-Gesetz kein Gesetz im Rahmen eines halbdunklen Schattenhaushalts ist, sondern ein legitimes Instrument dieses Deutschen Bundestages zur Verbesserung der Struktur unserer Wirtschaft, insbesondere der mittleren und kleinen Unternehmen. Wir als Sozialdemokraten werden dieses Instrumentarium nicht nur erhalten, sondern ausbauen.
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Angermeyer.
. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich brauche mich mit Ihnen, Herr Kollege Warnke, Gott sei Dank nicht so viel auseinanderzusetzen, wie es der Kollege Roth dankenswerterweise und nützlicherweise getan hat.Für die FDP-Fraktion möchte ich bei der Behandlung des vorliegenden ERP-Wirtschaftsplans 1977 an die Diskussion über den von der Opposition eingebrachten Entwurf eines Bundesmittelstandsförderungsgesetzes in der letzten Woche anknüpfen und noch einmal deutlich machen, daß es uns nicht so sehr darauf ankommt, schöne Gesetzestexte zu formulieren. Wir sind mehr dafür, praktische Arbeit zu leisten. Ein gutes Beispiel für diese praktische Arbeit ist der ERP-Wirtschaftsplan, den der Wirtschaftsminister jährlich aufstellt. Er gibt uns die Gelegenheit, zu zeigen, was wir in der Mittelstandspolitik zu tun beabsichtigen. Wir spitzen nicht nur den Mund, sondern wir pfeifen hier sogar. Wir erschöpfen uns nicht in Gesetzesformulierungen, sondern wir leisten, wie ich schon sagte, praktische Arbeit mit Haushalten und nicht nur Haushaltsvorbehalten. Dieser Haushalt ist mit einer zwingenden Ausgabeverpflichtung ausgestattet.Dabei sind im ERP-Haushalt die Finanzierungsprobleme nicht ganz einfach. Ausgabenwünsche, die kaum Grenzen kennen, müssen mit zahlenmäßig festliegenden Einnahmen in Einklang gebracht wer-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3631
Angermeyerden. Es gibt im ERP-Sondervermögen bekanntlich nur zwei ordentliche Einnahmearten, nämlich Darlehensrückflüsse und Zinserträge. Sie werden durch die Aufnahme von Fremdmitteln am Kapitalmarkt aufgestockt. Zwischen diesen Einnahmen muß ein ausgewogenes Verhältnis bestehen. Es darf längerfristig nicht dahin kommen, daß einmal der Zinsaufwand den Zinsertrag übersteigt.Wir können und wollen Schwerpunktsetzungen bei der ERP-Förderung nicht vermeiden. Bewußt hat sich die Regierungskoalition auf die Mittelstandsprogramme, den Umweltschutz und die Berlin-Finanzierung konzentriert und diese Programme zielbewußt angereichert, während das Volumen anderer Förderungen stagniert. Die Erfolge dieser langjährigen Politik können sich heute schon sehen lassen.Die Priorität — und jetzt komme ich auf meine Eingangsworte zurück — hat dabei die ERP-Mittelstandsförderung. Im vorliegenden Wirtschaftsplan sind zur Leistungssteigerung kleiner und mittlerer Unternehmen 715 Millionen DM Darlehensmittel veranschlagt. Sie kommen in erster Linie der Gründung neuer Existenzen, der Errichtung von Betrieben in neuen Gewerbegebieten sowie den Investitionen in den strukturschwachen Regionen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" zugute. Aber auch aus anderen Bereichen des ERP-Wirtschaftsplanes fließen Mittel an kleine und mittlere Unternehmen. In erster Linie sind hier die Berlin-Förderung und der Umweltschutz zu nennen.In diesem Zusammenhang sollten wir nicht vergessen, daß auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Lastenausgleichsbank eigene am Kapitalmarkt refinanzierte Programme zur Ergänzung der ERP-Mittel anbieten. Insgesamt kommen wir dabei auf ein Fördervolumen von rund 2,5 Milliarden DM.Diese Mittel werden von den kleinen und mittleren Unternehmen trotz allgemein geringer Investitionslust stark in Anspruch genommen. Sie schätzen dabei vor allem die Langfristigkeit der Darlehen sowie den festen Zinssatz, der eine verläßliche Kalkulationsgrundlage ermöglicht. Dabei ist vor allem der Zins für die ERP-Mittel attraktiv. Dabei befindet sich der Bundeswirtschaftsminister in einem ständigen Zielkonflikt. Die Notwendigkeit, möglichst viele ERP-Mittel anzubieten, die wiederum nur über die Aufstockung der Programme mit Fremdmitteln möglich ist, setzt ihm bei der Gestaltung der ERP-Zinsen gewisse Grenzen. Er muß also die Darlehenszinsen an der Kapitalmarktentwicklung ausrichten. In praxi heißt das: Nach einer zeitlich sehr zögernden Heraufsetzung der Zinsen am Ende des Jahres 1973 erfolgten vier Zinssenkungen, davon zwei allein in diesem Jahr, nämlich im Januar und Ende vorigen Monats.Bei diesen Zinsentscheidungen spielen die Finanzierungsbedürfnisse des gewerblichen Mittelstandes stets eine hervorragende Rolle. Wenn dann von der Opposition kritisiert wird, der Herr Bundeswirtschaftsminister habe für die Bekanntgabe der letztenZinssenkung einen ganzen Monat gebraucht, so muß man dazu natürlich sagen, daß schwierige Sachentscheidungen eben nicht übers Knie gebrochen werden können.Die heutigen Zinsen für ERP-Darlehenszusagen betragen in Berlin 3,5 %, im Zonenrandgebiet 4,5 % und im übrigen Bundesgebiet 5,5 %. Für Darlehen an Gemeinden und für Umweltschutzinvestitionen — Gemeinden und Gewerbe zusammengenommen — sind einheitlich 5 % zu entrichten. Diese Sätze gelten — das sollte man besonders betonen — bei hundertprozentiger Auszahlung ohne sonstige Kosten, wie z. B. Bearbeitungsgebühren — für Darlehen mit Laufzeiten bis zu 15 Jahren. Sie sind daher auch im Verhältnis zu den gesunkenen Kapitalmarktzinsen weiterhin sehr attraktiv.Die bisherigen Leistungen müssen in Zukunft stetig ausgebaut werden. Wichtig ist dabei nach unserer Auffassung zunächst eine intensivere Information über die verschiedenen Förderungsmöglichkeiten. Es gibt immer noch zu viele Unternehmer, die von ERP- und. KW-Programmen nichts oder nur sehr wenig wissen und häufig dann auch noch zu spät von ihnen erfahren. Dabei sind in erster Linie die Vertreter der Verbände aufgerufen. Sie haben ein praktisches Tätigkeitsfeld an der Front; hier können sie aufklärend wirken und möglicherweise auch den Bemühungen mancher Banken entgegenwirken, die aus kurzsichtigen, vielleicht sogar auch aus verständlichen Gründen lieber ihre eigenen Kredite als die öffentlichen Fördermittel anbieten.Für den Staat gilt es im Rahmen des Möglichen die Förderungen zu verbessern. Die FDP-Fraktion begrüßt daher die jüngsten Beschlüsse der Bundesregierung, wonach für 1978 vorgesehen ist, das ERP- Existenzgründungsprogramm kräftig aufzustocken und die Vergabevoraussetzungen zu erleichtern. Der Stellenwert dieser Förderung kann nach unserer Auffassung gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Es liegt auf der Hand, daß unseren jungen Leuten, die das Risiko einer selbständigen Tätigkeit eingehen wollen, auch Finanzierungshilfen angeboten werden müssen. Wie die Erfahrung zeigt, nehmen Nachwuchskräfte der gewerblichen Wirtschaft für die Firmengründung nur die notwendigsten Investitionen vor, um die Belastungen möglichst niedrig zu halten. Nach einer kurzen Anlaufzeit stellt sich dabei meistens heraus, daß weitere Aufwendungen erforderlich werden. Meine Fraktion tritt deshalb dafür ein, alle Investitionsaufwendungen in einer Gründungsphase von drei Jahren in das Förderprogramm einzubeziehen. Zugleich erreichen wir mit dieser Art der Förderung eine hohe arbeitsmarktpolitische Effizienz. Nach den Erfahrungen der Lastenausgleichsbank, die das Programm durchführt, werden im Zusammenhang mit Existenzgründungen im Durchschnitt — Herr Kollege Warnke hat das bereits erwähnt — nur ca. 13 000 DM ERP-Mittel benötigt, um einen einzigen Arbeitsplatz zu schaffen. Das ist in anderen Förderprogrammen so leider nicht möglich. Man sollte aber diese anderen Programme deshalb nicht vernachlässigen, sondern auch hier auf längere Sicht Verbesserungen vornehmen. Dies, meine Damen und Herren, ist wirkliche nützliche Hilfe für den Mittelstand.
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3632 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977
AngermeyerSchließlich gehen wir davon aus, daß auch in Zukunft die zur Verbesserung unserer wirtschaftlichen Infrastruktur notwendigen und zur konjunkturpolitischen Abstützung wichtigen ERP-Umweltprogramme weiter ausgebaut werden. Das heißt, wir müssen den bisher eingeschlagenen Weg zielstrebig fortsetzen.Namens der FDP-Fraktion bitte ich Sie daher, den Entwurf des ERP-Wirtschaftsplanes 1977 mit den vom federführenden Wirtschaftsausschuß vorgeschlagenen Änderungen anzunehmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe die §§ 1 bis 12 mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen. Das Gesetz ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Wortmeldungen zur
dritten Beratung
liegen nicht vor.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Stimmenthaltung? — Keine Stimmenthaltungen. Das Gesetz ist damit angenommen. Es liegen keine weiteren Beschlußempfehlungen des Ausschusses vor.
Wir kommen nun zu Punkt 6 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Reiseveranstaltungsvertrag
— Drucksache 8/786 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Zur Begründung des Entwurfs hat der Parlamentarische Staatssekretär de With das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, dem Regierungsentwurf eines Gesetzes über den Reiseveranstaltungsvertrag, verfolgt die Bundesregierung ein wichtiges Vorhaben im Bereich des Verbraucherschutzes, das bereits in der vergangenen Legislaturperiode in Angriff genommen worden war, jedoch nicht mehr zu Ende gebracht werden konnte.Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung des Reiseveranstaltungsvertrags ist in der Zwischenzeit keineswegs entfallen. Ungeachtet der in manch anderen Wirtschaftsbereichen veränderten konjunkturellen Situation ist das Reisen nach wie vor volkswirtschaftlich und gesellschaftspolitisch von eminenter Bedeutung geblieben. Von den jährlich rund 30 Millionen deutschen Urlaubern buchen rund ein Fünftel, d. h. zwischen 6 und 7 Millionen, eine Pauschalreise. Mit dieser stürmischen Aufwärtsentwicklung des Pauschaltourismus hat unsere Rechtsordnung nicht Schritt gehalten. Bis heute fehlen geeignete Rechtsvorschriften für den Reiseveranstaltungsvertrag. Sie sind dringend notwendig, um die bei einem Massengeschäft dieser Art immer wieder auftretenden und allseits bekannten Störungen, z. B. durch mangelhafte Reiseleistungen, nicht eingehaltene Versprechungen und auch Streiks, in einer für beide Vertragspartner angemessenen Art und Weise zu meistern.Der Ihnen zur Beschlußfassung vorliegende, aus jahrelangen intensiven Vorarbeiten hervorgegangene Gesetzentwurf soll die vorhandene Lücke unserer Rechtsordnung endlich schließen. Durch ihn sollen die Rechtsbeziehungen zwischen Reiseveranstalter und Reisenden auf eine klare und verbindliche Grundlage gestellt werden. Dabei ist auch darauf geachtet , daß die Reiseveranstalter keinen unzumutbaren Belastungen ausgesetzt werden. Ihre legitimen Interessen — etwa auf Vorauszahlung des Reisepreises, Erlangung von Entschädigung bei unberechtigtem Rücktritt oder sonstigem Fehlverhalten des Reisenden — sind voll gewahrt. Auch eine angemessene Begrenzung des Haftungsrisikos soll weiterhin möglich bleiben.Bei der Wiedereinbringung des vorliegenden Gesetzentwurfs hat die Bundesregierung nicht verkannt, daß der Deutsche Reisebüroverband im Jahre 1976 eine Konditionenempfehlung herausgegeben hat, die eine beachtliche Verbesserung der rechtlichen Stellung des Reisenden vorsieht. Diese Bemühungen der Touristikbranche werden ausdrücklich begrüßt. Jedoch erübrigen sie nach den bisherigen Feststellungen der Bundesregierung keineswegs die mit dem Regierungsentwurf vorgeschlagene gesetzliche Regelung des Reiseveranstaltungsvertrages. Zum einen bleiben die vom Deutschen Reisebüroverband aufgestellten Musterbedingungen in verschiedenen Punkten hinter dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zurück, z. 8 hinsichtlich der Möglichkeit und Folgen nachträglicher Programmänderungen einer Reise, hinsichtlich der Haftung des Reiseveranstalters bei Beförderung im Linienverkehr sowie hinsichtlich der Rücktrittsregelungen. Zum anderen sind die vom Deutschen Reisebüroverband empfohlenen Musterbedingungen für die Reiseveranstalter rechtlich unverbindlich. Gerade hierin liegt ihre entscheidende Schwäche.Als die Bundesregierung im März 1977 die Wiedereinbringung des vorliegenden Gesetzentwurfs beschloß, brachte sie zugleich die Erwartung zum Ausdruck, daß die Touristikbranche dies zum Anlaß für eine entsprechende Gestaltung ihrer Reisebedingungen nehmen werde. Bei der Auswertung der nunmehr vorliegenden Kataloge für die Wintersaison 1977/1978 zeichnet sich jedoch ab, daß sich die Erwartungen der Bundesregierung nicht erfüllt haben. Kleine Veranstalter mit Spezialprogramm beachten die Verbandsempfehlungen teilweise überhaupt nicht. Die großen und marktführenden Veranstalter legen zwar das Konditionenmodell weit-
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Parl. Staatssekretär Dr. de Withgehend zugrunde, weichen jedoch in wichtigen Einzelheiten von den Empfehlungen wieder ab.Bedauerlich ist ferner, daß das Klauselwerk der Veranstalter in seinem systematischen Aufbau und seiner terminologischen Ausgestaltung weiterhin sehr unterschiedlich ausgefallen ist. Dadurch wird der für einen echten Konditionenwettbewerb wichtige Vergleich der Reisebedingungen für den Bürger nicht unwesentlich erschwert. Die Bundesregierung hat deswegen alle Veranlassung, an ihrem Gesetzentwurf festzuhalten.Der Bundesrat hat gegen den Regierungsentwurf gesetzessystematische Bedenken erhoben, ohne allerdings zu erkennen zu geben, wie denn nach seiner Vorstellung eine im BGB getroffene Regelung des Reiseveranstaltungsvertrages im einzelnen aussehen solle. Dazu möchte ich hier nur folgendes bemerken: an diesen gesetzessystematischen Bendenken wird eine Regelung des Reiseveranstaltungsvertrages nicht scheitern. Wenn bei den Ausschußberatungen einer Einarbeitung des Reiseveranstaltungsvertrages in das BGB der Vorzug gegeben werden sollte, ist die Bundesregierung bereit, dem Rechtsausschuß auf Wunsch entsprechende Formulierungen unverzüglich vorzulegen.
Meine Damen und Herren, damit ist die Regierungsvorlage begründet. Wir treten in der ersten Beratung in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hennig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deine Rede sei ja ja, nein nein. Dies gilt auch im Deutschen Bundestag. Deswegen möchte ich gleich zu Beginn dieser Aussprache niemanden darüber im unklaren lassen, daß die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion den Entwurf eines Gesetzes über den Reiseveranstaltungsvertrag heute -ablehnen müßte, wenn es sich nicht nur um die erste Lesung und die anschließende Ausschußüberweisung handeln würde. Auch der Bundesrat hat am 3. Juni 1977. „grundsätzliche Bedenken gegen Inhalt und Systematik des Entwurfs" erhoben.Ganz gewiß — und ,da stimmen wir alle überein, Herr Staatssekretär — ist der Tourismus für den einzelnen ein wichtiger Bestandteil seiner Lebensgestaltung. Reisen ist in unserer Zeit zu einem volkswirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Faktor von großer Bedeutung geworden. Die Urlaubsreise gehört zum Recht auf Erholung und Freizeit, und unter dem Gesichtspunkt des Massentourismus ist es berechtigt, die korrekte geschäftliche Abwicklung rechtlich zuverlässig zu regeln. Sicherlich hat es dabei neben unendlich vielen positiven Erfahrungen von Urlaubern mit Reiseveranstaltern in der Vergangenheit auch eine Reihe von ganz verschiedenartigen Vorfällen gegeben, die schon seit längerer Zeit Veranlassung waren, die rechtlichenGrundlagen für das Geschäft mit Reiseveranstaltungen zu überprüfen und zu regeln.Viele Probleme sind allerdings bereits durch das am 1. April 1977 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen gelöst. Es ermöglicht eine ausreichende Kontrolle von Schadensersatzpauschalen beim Rücktritt vom Vertrag, von Vorbehalten bezüglich der Abänderung von Leistungen und Preisen und von Haftungsbeschränkungen auf den Reisepreis. Die früher vielfach vereinbarte, auf einen Haftungsausschluß zielende Klausel, der Reiseveranstalter sei nur Vermittler der von ihm angebotenen Leistungen, wird von der Rechtsprechung schon jetzt für unwirksam gehalten. Die Problematik der Schutzbedürftigkeit der Pauschalreisetouristen ist also in den letzten Jahren und Monaten entschärft worden. Darüber hinaus kann man es nur begrüßen, daß sich die führenden Verbände der deutschen Reiseveranstalter selbst darauf verständigt haben, in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen einige vorhandene Mißstände auszuräumen.Meine Damen und Herren, wir sprechen hier über den unveränderten, nicht einmal überarbeiteten Aufguß eines Entwurfs aus der 7. Legislaturperiode, der schon im letzten Bundestag steckengeblieben war. Insofern erleben wir heute die zweite erste Lesung genau des gleichen Gesetzentwurfs, bei 'dem lediglich im Vorblatt und in der Begründung eine Jahreszahl geändert worden ist. Der Herr Kollege Kleinert wird sicher nicht genau die gleiche Rede halten wie in der ersten ersten Lesung. Diese Rede war selbst für den Kollegen Kleinert, von dem wir humorvolle Einlagen und Anspruchsvolles gewohnt sind, gut. Sie enthielt einen Schluß, den ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Sie enthielt nämlich gleichzeitig eine solche Belobigung und Verdammung dieses Gesetzentwurfs, was ein ganz schwieriges Unterfangen war, das aber geglückt ist. Er hat nämlich gesagt:Wir betrachten diesen Gesetzentwurf als eine dankbar aufgenommene Leistung der Bundesregierung, um auf diesem Gebiet zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen, was nicht unbedingt durch die Verabschiedung des Gesetzentwurfs geschehen muß.
Hervorragend, meine Damen und Herren!
Der Deutsche Reisebüro-Verband hatte bereits vor Fertigstellung des Regierungsentwurfs im Dezember 1975 dem Bundeskartellamt einen Entwurf der Allgemeinen Bedingungen für Pauschalreisen vorgelegt. Nach dem Vorliegen des Regierungsentwurfs 1976 ist dieser Entwurf der Allgemeinen Reisebedingungen für Pauschalreisen nochmals überarbeitet und in systematischer und materieller Hinsicht weitgehend dem Gesetzentwurf der Bundesregierung angeglichen worden. Das Bundeskartellamt hat die Allgemeinen Reisebedingungen des Deutschen Reisebüro-Verbandes für Pauschalreisen am 8. Oktober 1976 in erster Linie unter dem Gesichtspunkt eines
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Dr. Hennigangemessenen Interessenausgleichs zwischen den Reiseveranstaltern und den Reisenden als ausgewogen genehmigt. -Dabei wurde auch die Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher im Genehmigungsverfahren berücksichtigt.Nahezu alle Reiseverträge werden bereits jetzt auf der Grundlage der Bedingungen der Verbandsempfehlung geschlossen. Die noch bestehenden Probleme sind für uns also bereits entschärft.Das Entscheidende ist jedoch folgendes. Der Herr Bundeskanzler, der in dieser Woche ja schon verschiedenes angerichtet hat, hat am Montag dieser Woche in einer Rede in Berlin die bestehende Fülle von Gesetzen und Verordnungen kritisiert. Er hat gemeint, das müsse alles durchsichtiger gemacht werden. Nun, meine Damen und Herren, das ist ja nicht das erste Mal, daß der Brandstifter nach der Feuerwehr ruft.
Meine Damen und Herren, 516 Gesetze waren es, die in der 7. Legislaturperiode vom Bundestag verabschiedet worden sind. Wenn der Ausspruch von Tacitus — „Im verdorbensten Staat sind die meisten Gesetze" — richtig ist, dann sind wir schon ein ganz schön verderbter Staat.
Allein als Bundesrecht sind derzeit etwa 1 480 Gesetze und 2 280 Rechtsverordnungen in Kraft. Aus der 20jährigen Regierungszeit der CDU/CSU gibt es überhaupt nur noch etwa 280 Gesetze und 420 Rechtsverordnungen, deren Erstfassung vor dem 1. Januar 1969 verkündet wurde und die seitdem nicht mindestens einmal geändert worden sind. Das Gesetzesgestrüpp wird immer undurchdringbarer.Die Flut der Gesetze, die in den letzten Jahren verabschiedet worden sind, hat auch zu Unsicherheit bei den Bürgern geführt. Und dabei steigt die Flut noch immer höher und droht allmählich diejenigen, die all dieses Recht anwenden sollen, zu ersticken. Bundesjustizminister Vogel hat dem Rechtsausschuß das Arbeitsprogramm seines Hauses für die 8. Wahlperiode vorgelegt. Obgleich es nur die Überschriften und die Themen von Gesetzen angibt, ist es schon wieder ein dicker Wälzer. Die Bundestagsverwaltung hat uns nun dankenswerterweise eine Aufstellung zugeleitet, die uns veranlassen sollte, einen Moment innezuhalten und über unser eigenes Tun. nachzudenken. Danach gingen im ersten Halbjahr der 8. Legislaturperiode bereits 72 Gesetze im Bundestag ein. Dabei kann man doch davon ausgehen, daß nach einer Neuwahl die Gesetzesmaschinerie immer erst langsamer in Gang gesetzt wird.
— Sie waren das vorige Mal auch schon dafür verantwortlich. In vier Jahren wären das dann wieder 576 Gesetze, trotz aller guten Vorsätze auf allen Seiten dieses Hauses.Wir meinen, so kann es nicht weitergehen. Für jedes einzelne Gesetz gibt es gewiß ernsthafteGründe. Dennoch können und werden wir diesen Weg zum Perfektionismus nicht mitgehen, diese pausenlose Reformitis und Bürokratisierung nicht mitmachen.
Herr
Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dürr?
Mit Vergnügen, ja.
Herr Kollege, hätten Sie die Freundlichkeit, uns mitzuteilen, wie viele Gesetzentwürfe Ihre Fraktion allein diese Woche eingebracht hat.
Herr Kollege Dürr, in dem halben Jahr, von dem ich hier spreche, handelte es sich um über 50 Regierungsvorlagen. Wenn ich mich richtig erinnere, sind 9 von 72 Vorlagen von der CDU/CSU eingebracht worden.
Apropos Bürokratisierung! Es soll ja hier nach dem Willen des Bundeskanzlers nicht mehr gelacht werden, meine Damen und Herren,
und die folgenden Redner aus seiner Fraktion haben das sofort aufgegriffen. Wir haben allerdings sehr gelacht, als der Bundeskanzler in der vergangenen Woche ein Gespräch mit den Spitzenverbänden der Gemeinden führte und in diesem Gespräch sagte, im Herbst wolle er einen Feldzug gegen die Bürokratisierung beginnen.
Wer hat denn eigentlich den Bürokratismus, den Zentralismus, die Zahl der Gesetze in immer unverständlicherer Sprache, wer hat den Gigantismus seit 1969 vervielfacht?Zum Thema Bürokratisierung, Herr Kollege Dürr: Sie kennen sicher auch das hervorragende Papier „Grundwerte in einer gefährdeten Welt".
— Darin steht: „Wachsende Bürokratisierung macht den Bürger mehr und mehr zum Objekt staatlicher Maßnahmen."Ich meine, die Rechtsschöpfer müßten wieder zur Besinnung kommen. Wir brauchen eine Phase der Beruhigung in der Rechtspolitik. In dieser Legislaturperiode sollten Gesetze nur geändert oder neu erlassen werden, wenn es unumgänglich ist, und hierfür ist die Regierung beweispflichtig.
Sie muß den Verwaltungs- und Personalaufwand, die anfallenden Kosten, die Auswirkungen auf Länder und Gemeinden und den Erfolg von Gesetzen regelmäßig kontrollieren. Weniger neue Gesetze mit größerer Verständlichkeit, Vereinheitlichung und
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3635
Dr. HennigVereinfachung des bestehenden Rechts, stärkere Beachtung auch der wirtschaftlichen Belastbarkeit von Rechtsanwendern: das ist eine berechtigte rechtspolitische Forderung an die Legislative in dieser Wahlperiode.
Sonst kann geschaffenes Recht keine Wurzeln schlagen.Nun legt hier die Bundesregierung eine umfassende, eine nahezu abschließende Sonderregelung eines einzigen Vertragsuntertyps vor. Wieder einmal wird etwas aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch ausgegliedert, statt in es eingearbeitet. Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung an diesem wichtigen Punkt Kompromißbereitschaft signalisiert hat. Es besteht nämlich die Gefahr, daß unter Hinweis auf ein solches Gesetz auch andere, bisher nicht geregelte Vertragstypen einer eingehenden Regelung in einem Sondergesetz zugeführt werden. Eine solche Entwicklung muß zur Rechtszersplitterung führen und sollte nicht gefördert werden. Eine neue gesetzliche Regelung — darauf hat auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme hingewiesen — sollte sich auf solche Fragen beschränken — und die gibt es —, die sich mit Hilfe des geltenden Rechts nicht zufriedenstellend beantworten lassen.Grundsätzliche Bedenken hat der Bundesrat auch dagegen erhoben, daß der Regierungsentwurf in bewußter Anlehnung an das Haager Kaufrecht eine völlig neue Konzeption des Leistungsstörungsrechts für den Bereich des Reiseveranstaltungsrechts einführen will. Leider ist die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung darauf nicht inhaltlich eingegangen. Es kann doch nun nicht Sache einer sondergesetzlichen Regelung sein, im innerstaatlichen bürgerlichen Recht ein völlig neues Leistungsstörungsrecht einzuführen. Dies würde auch zu Unklarheiten bezüglich des Verhältnisses der Vorschriften des Entwurfs zu denen des Bürgerlichen Gesetzbuchs führen und bei der Rechtsanwendung beträchtliche Schwierigkeiten aufwerfen.Diesen Bedenken sollte die Bundesregierung Rechnung tragen. Wenn sie sich schon nicht dazu entschließt, diesen Entwurf zurückzuziehen, müssen wir ihn in den Ausschußberatungen nicht nur in Teilen abändern, sondern, wie ich meine, völlig neu erarbeiten. Wir brauchen z. B. keine gesetzliche Definition des Begriffs „Reise". Wir brauchen keine Vorschrift, daß der Reisende verpflichtet ist, dem Reiseveranstalter die vereinbarte Vergütung zu entrichten. Wir brauchen keinen überflüssigen Perfektionismus. Was nötig ist, ist lediglich, daß einige noch bestehende Lücken geschlossen werden, und das könnte sicher auch dadurch geschehen, daß in zwei oder drei Unterparagraphen zum Recht des Werkvertrages im Bürgerlichen Gesetzbuch noch bestehende Unklarheiten ausgeräumt werden.Meine Damen und Herren, nach einer Meldung der „Welt" vom 14. Juni ist die Karriere des Parlamentarischen Staatssekretärs de With mit gerade diesem Gesetzesvorhaben eng verbunden.
Ich vermag dies nicht zu glauben. Ich halte ihn für so intelligent, daß er sich vernünftigen Argumenten und der neuen Linie seines Bundeskanzlers der Fülle von Gesetzen gegenüber aufgeschlossen zeigt.Ich komme zum Schluß. In den Ausschußberatungen wird Gelegenheit sein, dies zu vertiefen. Die Reisebranche — auch dies will ich sagen — wäre gut beraten, wenn sie die Zeit nutzen und dafür sorgen würde, daß auch die bisherigen Außenseiter das Konditionenmodell anwenden und damit die Notwendigkeit, dieses ungeliebte Gesetz zu verabschieden, weiter verringern würden. Dann kann es die Bundesregierung endgültig dahin befördern, wohin es in dieser Form gehört:. in den Papierkorb.
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schöfberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will Sie, Herr Kollege Dr. Hennig, nicht angreifen, aber wenn Sie in Zukunft den Tacitus so locker zitieren und daran Ausführungen über die Verderbnis unserer Republik anknüpfen, müssen Sie sich vorsehen, sich nicht strafbar zu machen für den Fall, daß Ihre Gesetzesvorschläge bezüglich der Staatshetze Wirklichkeit werden; aber dies nur am Rande.
Die Kunst der Juristen ist es zuweilen, mit juristischen Konstruktionen und vielen 'Bedenken das eigentliche Problem zu verdrängen, um nicht tun zu müssen, was man interessenpolitisch nicht tun will. Auf diese Kunst verstehen Sie sich offenbar, wenn Sie mit reichhaltigen Hinweisen auf die Gesetzesflut vom eigentlichen Problem, nämlich vom Problem des Verbraucherschutzes, ablenken wollen.
Wenn Sie das Ohr am Volk haben - woran ich auch nicht zweifle —, dürften Ihnen doch die weitverbreiteten und vielfältigen Klagen von Urlaubern über gescheiterte und vermieste Urlaubsreisen nicht entgangen sein. Wollen 'Sie etwa auch diese Beschwerden und Klagen in den Papierkorb werfen, so wie den vorliegenden Gesetzentwurf?Wir Sozialdemokraten wollen hier Abhilfe schaffen.
Bei den Beratungen in den Ausschüssen wird es sich zeigen, welches der zweckmäßigste Weg für eine solche Abhilfe ist. Wir begrüßen jedenfalls den Entwurf der Bundesregierung.Der Entwurf erfüllt eine Ankündigung der Bundeskanzlers in der Regierungserklärung zu Beginn dieser Legislaturperiode. Mit diesem Gesetzentwurf soll ein Stück Verbraucherschutz auf einem wichtigen Teilgebiet des Massenkonsums verwirklicht werden.Bei den anschließenden Beratungen in den Ausschüssen wird es darauf ankommen, die wohlverstandenen Interessen und Rechtsschutzbedürfnisse
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Dr. Schöfbergervieler Millionen Urlauber und Touristen einerseits und die wirtschaftlichen Interessen der Reiseveranstalter andererseits gerecht gegeneinander abzuwägen und das Ergebnis gesetzlich zu fixieren. Dazu besteht nach unserer Auffassung ein unabweisbares Bedürfnis.Noch vor Jahrzehnten war das Wort „Urlaub" im allgemeinen Sprachgebrauch unseres Volkes kaum bekannt. Dies ist Gott sei Dank anders geworden. Damals war es ein Privileg — —
— Nein, nein, nicht seit 1969, sondern ganz genau seit dem Jahr 1919, als von der sozialdemokratischen Regierung erstmals der Anspruch auf Mindesturlaub für Arbeitnehmer gesetzlich geregelt worden ist.
Zu dieser Zeit haben Ihre geistigen Vorväter an Urlaub für Arbeitnehmer überhaupt nicht gedacht. Aber dafür können Sie nicht verantwortlich gemacht werden. — Damals war es ein Privileg derjenigen, die über ausreichend Geld, ausreichend Zeit und ausreichende Sprachkenntnisse verfügten, ferne Länder aufzusuchen.Der Massentourismus hat inzwischen, glücklicherweise, eine stürmische Entwicklung erfahren. Mehr Freizeit und ein höheres Masseneinkommen ermöglichen es heute vielen Millionen Bürgern, Urlaubsreisen zu unternehmen. 57 % der Bevölkerung haben das im letzten Jahr getan. 7 Millionen Bürger haben ihr Geld in das Reisebüro getragen, haben darauf vertraut, eine anständige Leistung zu bekommen, haben sich das ganze Jahr auf diese Reise gefreut und sind dann zuweilen herb enttäuscht worden. Dieses Problem gilt es ins Auge zu fassen.Wir wollen mit der von uns vorgeschlagenen Regelung mit Sicherheit nicht den positiv zu bewertenden Massentourismus strangulieren. Aber es steht fest: Die Entwicklung des einschlägigen Vertragsrechts ist weit hinter den praktischen Bedürfnissen dieses Massentourismus zurückgeblieben. Es ist gar kein Wunder, daß das BGB des Jahres 1900, das immer noch gilt, für den Massentourismus weder besondere Rechtsregeln noch einen Vertragstypus vorsieht. Man hat sich jahrzehntelang, bis heute, damit beholfen, auf den Reisevertrag das Kaufrecht, das Werkvertragsrecht oder gar das Maklerrecht anzuwenden. Das waren alles unvollkommene Hilfskonstruktionen. Erst der Bundesgerichtshof hat mit einer Entscheidung die beliebte Masche unterbunden, daß sich die Reiseveranstalter auf ihre Vermittlerposition zurückzogen und alle Leistungsstörungen schlechthin auf die Kunden abwälzten.Schließlich hat sich jenseits des bürgerlichen Rechts ohne den Willen des Gesetzgebers ein autonomes Privatrecht entwickelt. Dieses autonome Privatrecht ist uneinheitlich, unübersichtlich und alles andere als verbraucherfreundlich. Das gilt bis zum heutigen Tag. Wie so oft in unserem Wirtschaftsleben haben die wirtschaftlich Stärkeren dieses autonome Privatrecht bestimmt und diktiert. Oder können Sie mir Fälle nennen, in denen der Reisekunde maßgebenden Einfluß auf die Reisevertragsbedingungen hätte ausüben können?Erst unter dem Eindruck unseres Gesetzgebungsvorhabens in der letzten Legislaturperiode hat sich das, zugegebenermaßen, zum Besseren gewendet. Das spricht allerdings für die Güte unseres Vorhabens. Der Gesetzentwurf hat schon segensreich gewirkt, bevor er noch verabschiedet wurde und das Gesetz in Kraft getreten ist. Das gebe ich Ihnen gerne zu.Inzwischen hat der Deutsche Reisebüroverband beim Bundeskartellamt eine Konditionenempfehlung angemeldet und genehmigt bekommen. Das verkennen wir nicht.Die Frage ist also, ob dadurch ein Gesetz überflüssig wird. Diese Frage wird in den Ausschüssen sehr sorgfältig zu prüfen sein.
Nach dem gegenwärtigen Stand unserer Erkenntnisse teilen wir die Auffassung der Bundesregierung und meinen, daß trotz dieses Konditionenkartells auf ein Gesetz nicht verzichtet werden kann, und zwar aus folgenden Gründen.Dem Konditionenkartell haben sich zwar eine Reihe größerer und mittlerer Reiseunternehmen angeschlossen, bei weitem aber nicht alle. Das Konditionenkartell gewährt daher jedenfalls bislang keine einheitliche verbraucherfreundliche Praxis. Die Praxis ist auch nach dem freiwilligen Konditionenkartell uneinheitlich und läßt die gewünschte Rechtsklarheit und Rechtssicherheit vermissen, zumal dann, wenn die Veranstalter, wie es nicht selten vorkommt, einzelne Vorschläge und Konditionen willkürlich weglassen und andere willkürlich verändern.Auch der Inhalt des Konditionenkartells entspricht nicht in allen wesentlichen Punkten unseren verbraucherfreundlichen Vorstellungen. Ich nenne in der ersten Lesung nur zwei Beispiele. Der Reisende kann nach dem Konditionenkartell nur dann kostenbefreiend von der Reise zurücktreten, wenn ihm trotz erheblicher Programmänderungen die ausgewählte Reise überhaupt nicht mehr zumutbar ist. Bei leichter Fahrlässigkeit ist ein gänzlicher Haftungsausschluß nach wie vor möglich.Wer ein Gesetz deswegen ablehnt, verehrter Herr Kollege, weil eine überwiegende Zahl von Rechtsgenossen bereits jetzt rechtstreu und seriös handelt, der müßte konsequenterweise auch Teile des dispositiven Rechts des BGB und des HGB außer Kraft setzen. Es kommt doch darauf an, alle Rechtsgenossen dazu zu bringen, rechtstreu und im Interesse des sozialen Ausgleichs zu handeln. Es genügt nicht, wenn sich nur eine überwiegende Zahl so verhält.Auch der Einwand, das Gesetz über allgemeine Geschäftsbedingungen schaffe bereits eine ausreichende gesetzliche Grundlage, ist nicht durchgreifend stichhaltig. Mit diesem sonst hervorragenden Gesetz ist den besonderen Problemen des Reisevertrages nicht durchgängig beizukommen. Aber auch darüber wird im einzelnen zu beraten sein.Worauf es uns Sozialdemokraten schließlich ankommt, ist dies: Wir wollen beileibe nicht davon ausgehen, daß jedes Reiseunternehmen jeden Ur-
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Dr. Schöfbergerlaubsreisenden übervorteilt und schädigt. Das ist nicht so in der Praxis. Es gibt gerade in dieser Branche viele seriöse Unternehmen größerer, mittlerer und auch kleinerer Art, die hervorragende, preisgünstige, gut organisierte und auch sonst verbraucherfreundliche Massendienstleistungen anbieten und abwickeln. Das soll nicht verkannt werden. Ohne diese höchst qualifizierten Dienstleistungen wäre der Massentourismus gar nicht vorstellbar. Die seriösen Unternehmen aber, die sich schon bisher daran halten, werden sich auch sehr schnell mit einem Gesetz anfreunden, das ihnen in der Praxis dann keinerlei Schwierigkeiten bereitet.Was wir mit dem Gesetz erreichen wollen, sind ein gerechter Interessenausgleich und eine schärfere Abgrenzung der Risikosphäre zwischen Reiseveranstalter und Reisekunden. Das ist allerdings auch zwingend notwendig.Der Reisevertrag wird zumeist auf weite Distanz unter Inanspruchnahme zahlreicher fremder Leistungsträger und Erfüllungsgehilfen abgeschlossen. Selbst der sorgfältigste Reiseunternehmer — und das scheint mir das Problem zu sein — hat auf die Auswahl und auf die Qualität fremder, oft ausländischer Leistungsträger einen nur begrenzten Einfluß. Selbst bei größter Sorgfalt kann es gerade in dieser Branche zu erheblichen Leistungsstörungen kommen. Die Frage ist nun, wer ein solches Risiko tragen soll, mag es auch auf höhere Gewalt zurückzuführen sein: z. B. Leistungsstörungen wie Überbuchungen, Verspätungen • oder Ausfall von Beförderungsmitteln, ungenügende Ersatzquartiere, schlechte hygienische Verhältnisse, mangelnde Verpflegung, Lärmbelästigung und vieles andere mehr. Soll das alles nach wie vor auf die Reisekunden abgelastet werden? Wir meinen, nein.Wir wollen eindeutige Rücktritts-, Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüche im Interesse der Urlaubsreisenden vorsehen. Dabei gehen wir von einem bewährten Grundsatz unseres Wirtschaftslebens aus, der da heißt: Wer als Kaufmann Geschäfte abschließt und damit legitimerweise auch Gewinne erzielen will, darf nicht nur die Vorteile solcher Geschäfte für sich buchen wollen und die Nachteile ausschließlich auf seine Kunden abwälzen; er muß auch bereit sein, die typischen, ja sogar die untypischen Risiken solcher Geschäfte zumindest solidarisch mitzutragen.
Nichts anders wollen wir gesetzlich regeln.
Schließlich bleibt die Frage, ob wir ein Spezialgesetz schaffen sollen oder die Materie als Vertragstypus eigener Art in den Besonderen Teil des Schuldrechts hineinbringen. Ich gestehe hier freimütig — und habe auch schon eine entsprechende mündliche Anfrage an die Bundesregierung gerichtet —: Ich möchte einer Zersplitterung des Bürgerlichen Rechts in eine Vielzahl von Spezialgesetzen vorbeugen. Ich möchte das Schuldrecht konzentriert im Bürgerlichen Recht halten. Deswegen bin ich für alle Vorschläge aufgeschlossen, die uns den Einbau dieser Materie als Vertragstypus in das BürgerlicheRecht empfehlen. Darüber ist bei den Ausschußberatungen zu sprechen.In diesem Sinne möchte ich alle Beteiligten in den Ausschüssen bitten, dieses wichtige Stück Verbraucherschutz ernsthaft zu beraten und alsbald zu verwirklichen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehften Damen! Meine Herren! Der Herr Vorvorredner hat mich weitgehend zutreffend zitiert. Der Herr Vorredner hat sich weitgehend zutreffend zitiert.
Deshalb bleibt mir nun wirklich zu dieser Sache nicht mehr sehr viel zu sagen.Ich bedanke mich für die Feststellung, Herr Schöfberger, daß das, was ich vor etwa einem Jahr hier gesagt habe, eingetreten ist: der damalige Entwurf und seine Einbringung hatte schon zu einem großen Teil die von beiden Vorrednern richtig zitierte Wirkung, nämlich Beantragung des Konditionenkartells, Genehmigung desselben und Einführung dieser Bedingungen nicht nur in die Kataloge der großen Veranstalter, sondern, wie ich speziell nachgeprüft habe, inzwischen auch in den Katalog des Veranstalters, der die besondere Taktlosigkeit besessen hat, dem Bundesjustizminister eine Reise zu verkaufen, die nach ganz ungewöhnlichen Bedingungen abgewikkelt werden sollte, und trotz Anmahnung durch den Bundesjustizminister zunächst auf seinen unsittlichen Bedingungen zu verharren.
Auch dieser Veranstalter hat sich inzwischen dem Gesetz des Marktes gefügt — das ist eigentlich der Punkt, über den hier noch ganz kurz zu reden ist — und hat die Konditionen aus diesem Kartell benutzt.Wenn man Ihnen, Herr Schöfberger, ganz unbefangen zuhörte, könnte man auf Gedanken kommen, die Sie sicherlich nicht haben, nämlich daß durch Gesetz der äußerst wünschenswerte Fall herbeigeführt werden könnte, daß man in einem Fünf-SterneHotel zum Preis einer Pension übernachten kann.
Dies wird sich nicht bewerkstelligen lassen. Dieser Erfolg ist durch Gesetz nicht herbeizuführen.Wenn das so ist, dann wollen wir doch auch in Zukunft den Leuten die Möglichkeit lassen, sich ein• mal über einen minderen Veranstalter zu ärgern und das nächste Jahr woanders zu buchen. Hätten wir den Reiseboom erst seit diesem Jahr, könnte man sagen: die haben das alle noch nie ausprobieren können, und denen müssen wir jetzt schleunigst
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Kleinerthelfen. Wir haben den aber schon seit 20 Jahren, und die buchen immer wieder -und haben sich dabei wahrscheinlich auch ihre Veranstalter angeguckt. Die folgen den Gesetzen des Marktes. Von daher kommt eine Serviceleistung, ein Druck darauf, sich wirklich um jeden einzelnen Kunden Mühe zu geben, wie sie durch Gesetze überhaupt nicht erzwingbar sind, was ich Ihnen an unzähligen Beispielen, etwa aus den Bereichen von Bundesbahn und Bundespost, belegen kann.
Wenn ich glaube, das noch gesetzlich regeln zu müssen, dann muß ich mir konsequenterweise einmal die sogenannten Geschäftsbedingungen von Bahn und Post hernehmen, wo ich zu einem Benutzer degradiert werde, Anträge stelle; ich beantrage daß ich denen Geld geben darf. Wo sind wir denn überhaupt? Da haben Sie eine tiefgreifende gesetzliche Regelung und können einmal sehen, was dabei herauskommt, wenn das einzige, was wirklich greift, nämlich der Markt, fehlt.
Der Kollege Dr. Hennig hat der „Welt am Sonntag" gegenüber einmal erklärt, er wolle lieber im Wahlkreis tätig sein, weil die Arbeit in Bonn keinen besonderen Sinn habe; man würde zum Schluß doch überstimmt. Ich sehe mit großer Freude, daß Sie von diesem Grundsatz abgegangen sind,
und ich hoffe und habe eine gewisse Veranlassung zu der Hoffnung, daß sich diese Ihre Arbeit ganz im Sinne Ihrer Ausführungen schließlich auch lohnen wird.
MeineDamen und Herren, ich bin sicher, allein die Debatte der letzten Stunde hat die Einbringung des Gesetzentwurfs gerechtfertigt.
Ich schlage vor, daß wir die Vorlage an den Rechtsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Wirtschaft — mitberatend — überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr die Punkte 7 bis 9 der Tagesordnung:7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes— Drucksache 8/971 —Überweisungsvorsdilag des Ältestenrates:Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
RechtsausschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GO8. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Pockenschutzimpfung— Drucksache 8/933 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Durchführung einer Repräsentativstatistik auf dem Gebiet des Wohnungswesens
— Drucksache 8/921Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
InnenausschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GOsowie den zweiten Zusatzpunkt auf:Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhöhung des Weihnachts-Freibetrages und Verbesserung der Abschreibungsbedingungen— Drucksache 8/990 —Finanzausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 der GeschäftsordnungIch frage, ob das Wort gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall.Ich bitte, die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates der Tagesordnung zu entnehmen. In Ergänzung dieser Vorschläge hat der Ältestenrat in seiner heutigen Sitzung beschlossen, dem Plenum zu empfehlen, die Vorlage zu Punkt 7 der Tagesordnung auch dem Innenausschuß zu überweisen. Ich frage, ob das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden ist. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr Punkt 10 der Tagesordnung auf:Beratung der Ubersicht 3 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht— Drucksache 8/925 —Es liegt eine Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf der Drucksache 8/925 vor, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen.Herr Berichterstatter, ich danke Ihnen. Eine ergänzende Berichterstattung wird nicht gewünscht. — Das Wort wird nicht begehrt.Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Bundeseigenes Gelände in Wilhelmshaven, Rüstersieler Groden; hier: Veräußerung einer Teilfläche an das Land Niedersachsen-- Drucksache 8/937 —Überweisungsvorscchlag des Ältestenrates: HaushaltsausschußDas Wort wird weder zur Begründung noch zur Aussprache gewünscht. Der Ältestenrat schlägt vor,
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Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausendie Vorlage an den Haushaltsausschuß zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr die Punkte 12 bis 14 der heutigen Tagesordnung auf:12. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren— Drucksachen 7/5222, 8/913 — Berichterstatter:Abgeordneter von der Heydt Freiherr von Massenbach13. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Luftreifen von Kraftfahrzeugen und ihren Anhängern— Drucksache 8/55, 8/934 — Berichterstatter: Abgeordneter Feinendegen14. Beratung der Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 3177/76 des Rates zur Angleichung der Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften sowie der Berichtigungskoeffizienten, die auf diese Dienst- und Versorgungsbezüge anwendbar sindVorschlag zur Änderung des Verfahrens für die Angleichung der Dienstbezüge der Beamten und der sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften— Drucksachen 8/850, 8/947 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. WernitzIch frage zunächst, ob einer der Herren Berichterstatter das Wort wünscht. — Das ist nicht der Fall. Ich danke den Berichterstattern.Ich frage, ob das Wort zur Aussprache begehrt wird. — Auch das ist nicht der Fall.Wenn Sie damit einverstanden sind, können wir über die Punkte der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen. — Ich sehe und höre auch hier keinen Widerspruch. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen auf den Drucksachen 8/913, 8/934 und 8/947. Wer den Vorschlägen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich kann Ihnen mitteilen, daß wir damit am Ende der heutigen Tagesordnung sind. Ich schließe die heutigen Beratungen und berufe den Deutschen Bundestag für Freitag, den 7. Oktober 1977, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.