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ID0804706200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 8/47 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 47. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 Inhalt: Begrüßung des Präsidenten des Malaysischen Unterhauses und einer Delegation . 3555 A Begrüßung der Vorsitzenden der britischen Kommission für Kommunalpolitik, Baroness Bea Serota, des Ombudsmann von Finnland, Dr. Aalto, und des Beauftragten der Stadt Zürich in Beschwerdesachen, Dr. Vontobel 3566 A Begrüßung einer Delegation des Parlaments von Kenia 3571 A Abwicklung der Tagesordnung . . . . 3555 B Erweiterung der Tagesordnung . . . . 3555 D Fortsetzung der Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1978 (Haushaltsgesetz 1978) — Drucksache 8/950 — in Verbindung mit Fortsetzung der Beratung des Finanzplans des Bundes 1977 bis 1981 — Drucksache 8/951 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU Anwendung des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft — Drucksachen 8/876, 8/983, 8/992 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/987 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerentlastung und Investitionsförderung — Drucksachen 8/900, 8/905 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/988 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksachen 8/984, 8/992 — in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zum Abbau der Überbesteuerung der Arbeitnehmer und Betriebe sowie zur Erhöhung des Kindergeldes für Kinderreiche (Steuerentlastungsgesetz 1978) — Drucksache 8/592 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/988 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksachen 8/985, 8/992 — in Verbindung mit Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerentlastung und Investitionsförderung — Drucksache 8/974 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/988 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksachen 8/986, 8/992 — Dr. Langner CDU/CSU . . . . 3556 D, 3573 C Dr. Diederich (Berlin) SPD . . . 3558 D, 3576 B Dr. Kreile CDU/CSU . . . . . . . . . 3560 C Dr. Böhme (Freiburg) SPD 3566 A Frau Funcke FDP 3571 A Frau Matthäus-Maier FDP 3578 A Dr. Apel, Bundesminister BMF 3580 D Dr. von Wartenberg CDU/CSU . 3582 B, 3585 D Porzner SPD 3586 A Stutzer CDU/CSU 3586 C Dr. Spöri SPD 3587 C Schmidt, Bundeskanzler 3596 A Dr. Kohl CDU/CSU . . . . . . . . 3607A Mischnick FDP 3619 B Dr. Ehmke SPD 3623 D Namentliche Abstimmungen . . 3591 A, 3592 C Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Sechsten Gesetz über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern (Sechstes Bundesbesoldungserhöhungsgesetz) — Drucksache 8/998 — Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 3594 C Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1977 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1977) — Drucksache 8/365 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft — Drucksache 8/970 — Dr. Warnke CDU/CSU . . . . . . . 3626 C Roth SPD 3628 C Angermeyer FDP 3630 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Reiseveranstaltungsvertrag — Drucksache 8/786 — Dr. de With, Parl. Staatssekretär BMJ . . . 3632 B Dr. Hennig CDU/CSU . . . . . . . . 3633 B Dr. Schöfberger SPD 3635 C Kleinert FDP 3637 C Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes — Drucksache 8/971 — . 3638 B Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Pockenschutzimpfung — Drucksache 8/933 — 3638 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Durchführung einer Repräsentativstatistik auf dem Gebiet des Wohnungswesens (Wohnungsstichprobengesetz 1978) — Drucksache 8/921 — 3638 C Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhöhung des Weihnachts-Freibetrages und Verbesserung der Abschreibungsbedingungen — Drucksache 8/990 — 3638 C Beratung der Ubersicht 3 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 8/925 — 3638 D Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 III Bundeseigenes Gelände in Wilhelmshaven, Rüstersieler Groden; hier: Veräußerung einer Teilfläche an das Land Niedersachsen — Drucksache 8/937 — . . . . . . . . 3638 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren — Drucksachen 7/5222, 8/913 — 3639 A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Luftreifen von Kraftfahrzeugen und ihren Anhängern — Drucksachen 8/55, 8/934 — 3639 A Beratung der Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung (EWG, Euratom, EGKS) des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 3177/76 des Rates zur Angleichung der Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften sowie der Berichtigungskoeffizienten, die auf diese Dienst- und Versorgungsbezüge anwendbar sind Vorschlag zur Änderung des Verfahrens für die Angleichung der Dienstbezüge der Beamten und der sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften — Drucksachen 8/850, 8/947 — 3639 B Nächste Sitzung 3639 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3641* A Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Oktober 1977 3555 47. Sitzung Bonn, den 6. Oktober 1977 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 6. 10. Dr. van Aerssen * 7. 10. Dr. Ahrens ** 7. 10. Dr. Aigner * 7. 10. Alber ** 7. 10. Dr. Bardens ** 7. 10. Dr. Bayerl * 6. 10. Dr. von Bismarck 7. 10. Blumenfeld * 7. 10. Böhm (Melsungen) ** 7. 10. Frau von Bothmer ** 7. 10. Brandt 7. 10. Büchner (Speyer) ** 7. 10. Frau Eilers (Bielefeld) 7. 10. Dr. Enders ** 7. 10. Dr. Evers ** 7. 10. Dr. Früh * 6. 10. Dr. Geßner ** 7. 10. Haase (Fürth) * 7. 10. Handlos ** 7. 10. Frau Dr. Hartenstein 7. 10. von Hassel ** 7. 10. Helmrich 7. 10. Hoffmann (Saarbrücken) * 6. 10. Dr. Holtz** 7. 10. Dr. Jahn (Braunschweig) * 7. 10. Dr. Klepsch * 7. 10. Klinker* 7. 10. Lagershausen* * 7. 10. Lange * 7. 10. Lemmrich * 7. 10. Lemp * 7. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Lenzer ** 7. 10. Marquardt ** 7. 10. Dr. Mende ** 7. 10. Milz ** 7. 10. Möhring 7. 10. Dr. Müller ** 7. 10. _ Müller (Mülheim) * 7. 10. Müller (Wadern) * 7. 10. Dr. Müller-Hermann * 7. 10. Pawelczyk ** 7. 10. Reddemann ** 7. 10. Dr. Schäuble ** 7. 10. Scheffler ** 7. 10. Schmidhuber ** 7. 10. Schmidt (Kempten) ** 7. 10. Schmidt (München) * 7. 10. Schmidt (Würgendorf) ** 7. 10. Schmöle 7. 10. Schreiber * 6. 10. Schwabe ' 7. 10. Dr. Schwencke (Nienburg) ** 7. 10. Dr. Schwörer * 7. 10. Seefeld * 7. 10. Sieglerschmidt * 6. 10. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim ** 7. 10. Dr. Starke (Franken) * 7. 10. Dr. Staudt 7. 10. Frau Steinhauer 7. 10. Ueberhorst ** 7. 10. Dr. Vohrer ** 7. 10. Frau Dr. Walz * 7. 10. Wawrzik * 7. 10. Wehner 7.10. Windelen 7. 10. Dr. Wörner 7. 10. Würtz * 7. 10. Zebisch ** 7. 10. Zeyer * 7. 10. Zywietz * 6. 10.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Zufall des Kalenders fügt es, daß diese Debatte am zweiten Tage der ersten Lesung des Bundeshaushalts ein Jahr nach dem Sonntag der Bundestagswahl 1976 stattfindet.

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Das war der 3. Oktober! — Weitere Zurufe von der SPD: 3. Oktober! — Rechnen!)

    So gerät diese erste Lesung des Bundeshaushalts für das nächste Jahr ganz zwangsläufig — das ist verständlich und vernünftig und entspricht parlamentarischem Stil — zur Generalaussprache über die anstehenden Themen. Ich bin mit Ihnen, Herr Bundeskanzler, durchaus der Meinung, daß wir in den nächsten Wochen genug Gelegenheit haben, noch über andere Felder der Politik im einzelnen zu sprechen.
    Ich stimme Ihnen auch darin zu, daß dies eine ganz normale politische Debatte ist. Ich vermag nur nicht zu begreifen, warum Sie hier nun heute — und gar vor dem Fernsehpublikum, das das doch gar nicht verstehen kann — die Frage aufwerfen, warum wir nicht vor 14 Tagen, unter dem unmittelbaren Eindruck der Entführung von Dr. Hanns Martin Schleyer, eine solche Debatte geführt haben. Stil und Selbstverständnis des deutschen Parlaments haben uns damals zu dem richtigen Schritt geraten, und das, was Sie heute tun, ist törichtes Nachkarten in dieser Sache.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, es war in der Tat auch eine ganz normale Rede des gegenwärtigen deutschen Bundeskanzlers. Er hat hier gesagt, mit kaltem Blut habe der Kollege Franz Josef Strauß auf dem CSU-Parteitag gesprochen. Wer weiß, Herr Bundeskanzler, wie Sie mit kaltem Blut an dieses Pult treten, um den Gegner zu reizen, ihn herabzusetzen und zu beleidigen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    der fragt sich: Woher nehmen Sie eigentlich überhaupt das Recht, andere zu rügen?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ihre Rede war ein einziges Dokument der Schwäche.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

    Es war, meine Damen und Herren, die Rede eines Mannes, der eine Minderheitsregierung anführt

    (Zurufe von der SPD) und der hier seine Unterwerfung gegenüber den Linken in der eigenen Partei dokumentieren und demonstrieren muß.


    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU)

    Und es war in Wort und Stil der reine Helmut Schmidt, wie wir ihn kennen: hier ein bißchen verleumdet, dort ein bißchen Halbwahrheit und dazwischen eine Partie staatsmännischer Ausführung. Meine Damen und Herren, ich will es gar nicht auf uns, die sich jetzt hier im Saale befinden, beziehen. Es gab bei dieser Debatte eine Eingangsszene, die typisch ist.
    Sie haben über die Soziale Marktwirtschaft gesprochen, Herr Bundeskanzler. Das ist Ihr gutes Recht. Wenn Sie jetzt über Soziale Marktwirtschaft reden, wenn Sie jetzt über Ludwig Erhard reden, dann muß ich Sie ganz einfach fragen: Was soll denn das, wenn Sie sagen, Sie seien nicht seiner Meinung im Zusammenhang mit der Sozialen Marktwirtschaft? Das ist Ihr gutes Recht. Sie fuhren dann fort, Sie seien nicht seiner Auffassung in Sachen formierter Gesellschaft. Das ist Ihr gutes Recht. Aber was soll denn der Hinweis mit den Pinschern?
    Herr Bundeskanzler, im Mai dieses Jahres haben Sie in einem Staatsakt in diesem Saal als Regierungschef eine Trauerrede gehalten; da haben Sie vor dem deutschen Volk den Eindruck erwecken wollen, Sie seien der Erbe und Sachwalter Ludwig Erhards.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn Sie sich in dieser Debatte mit der Vorstellung der Union von Sozialer Marktwirtschaft auseinandersetzen wollen, dann tun Sie es doch!

    (Dr. Ritz [CDU/CSU]: So ist es!)

    Was soll in dieser Debatte der tote Ludwig Erhard, der unseren Respekt verdient? Ich kann Ihnen nur raten: Kehren Sie wenigstens zu den einfachsten Umgangsformen bürgerlichen Anstands zurück!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dann sagen Sie zu anderen, sie würden politische Gegner verteufeln. Wenn Sie einmal Ihre eigenen Reden analysieren, sehen Sie, daß sie auf dem Prinzip des Verteufelns aufgebaut sind, mit dieser oder mit jener Halbwahrheit.

    (Widerspruch bei der SPD)

    — Meine Damen und Herren, Sie werden sich heute noch mehr zu diesem Thema anhören müssen, und Sie werden es mit Geduld tun.

    (Widerspruch bei der SPD)

    Es ist Ihre Sache, Herr Bundeskanzler, sich hierher zu stellen und zu erklären: -Das Herz der kleinen Leute schlägt links. Vor einem Jahr bei der Wahl haben Sie gesehen, wie Ihnen die kleinen Leute davongelaufen sind. Wenn diese kleinen Leute vor einem Jahr gewußt hätten, was die Regierung Helmut Schmidt ihnen in den nächsten zwölf Monaten bescheren würde, wären Sie längst davongejagt worden. Das ist doch das, was hier zu sagen ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Dr. Kohl
    Wer hat denn die kleinen Leute im Zusammenhang mit der Rente betrogen?

    (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Da sitzt er!)

    Das waren doch Sie, Herr Bundeskanzler, und sonst niemand.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer hat denn die kleinen Sparer in der Bundesrepublik betrogen?(Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Da sitzt er!) Das waren doch Sie, Herr Bundeskanzler. (Beifall bei der CDU/CSU)
    Wer hat denn der jungen Generation die Verheißung einer neuen Vision gegeben? Das waren doch Willy Brandt und Sie, Herr Bundeskanzler, und Sie haben sie betrogen.

    (Beifall bei der CDU/CSU) Darüber werden wir uns unterhalten.

    Uns verdrießt es nicht, wenn sich hier der Bundeskanzler, klar von seinem liberalen Koalitionspartner abgesetzt, seine Definition der Sozialen Marktwirtschaft gibt.
    Ich sehe im Augenblick nicht den Kollegen Graf Lambsdorff; aber er kann es ja nachlesen. Er hat gestern hier ein feuriges, leidenschaftliches Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft abgelegt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Gestern noch!)

    Er hat deutlich gemacht, daß dies das Leitbild sei, das sozusagen schriftlich und symbolisch über seinem künftigen Schreibtisch hängen werde. Ich kann ihm nur wünschen, daß er mit diesem Leitmotiv in dieser Koalition nicht genauso scheitern wird wie sein Vorgänger, der heute seinen Abschied nimmt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, was Sie von Sozialer Marktwirtschaft halten, das ist Ihre Sache. Für uns ist nach den 28 Jahren, die die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ausmachen, die Soziale Marktwirtschaft das entscheidende tragende Prinzip der lebenden Verfassung von Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    Wir haben das nie anders verstanden denn als ein dynamisches Prinzip. Sie selbst haben hier in Ihrer Totenrede auf Ludwig Erhard sein Verständnis von Sozialer Marktwirtschaft in diesem Sinne entsprechend gewürdigt Ich kann mich dem eigentlich nur anschließen. Aber ich sehe mit großem Interesse, wie Sie auch in dieser prinzipiellen Frage so deutlich einen Weg abbauen, den Sie bisher für selbstverständlich gehalten haben. Es ist die Zeit des Hamburger Parteitags, und es gilt vor dem GeßlerHut rechtzeitig seine Reverenz zu erweisen. Das ist das, was hier ansteht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dann haben Sie eine gewaltige Schelte auf die Redner der Union, auf Rainer Barzel und Franz Josef
    Strauß losgelassen. Bloß, Sie haben beide in keinem einzigen Punkt widerlegt.

    (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es!)

    Sie haben Ihre alten Platitüden neu aufgezogen, beispielsweise die, daß jeder, der die Politik dieser Regierung kritisiert, seine Majestät den Kanzler kritisiert, den Attentismus unterstützt. Wenn der Attentismus von jemandem unterstützt wird, dann doch von Ihnen und den Mitgliedern Ihrer Regierung. Lesen Sie doch einmal nach, was Herr Matthöfer alles zur Energiepolitik gesagt hat! Das ist schon gar kein Zickzackkurs mehr; ich komme gleich darauf zu sprechen. Und Herr Apel hat ja gestern als ganz neues tragendes Prinzip weitschauender Wirtschaftspolitik die jährliche Steuerfestsetzung proklamiert.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Das ist wirklich ein Beitrag zu einer „soliden" Gestaltung volkswirtschaftlicher Grunddaten! Bei diesen Rahmenbedingungen kann der deutsche Unternehmer mit Lust und Gewinn investieren, wie sich jeder vorstellen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie reden von Attentismus, Herr Bundeskanzler, und sind stellvertretender Vorsitzender — auch wenn Sie es so verbergen — einer Partei, die jahrelang Leistung und Gewinn bewußt diffamiert hat, die es zugelassen hat, daß der wagende und wägende Unternehmer ins Abseits gedrängt wurde, die Neid zu einem Mittel sozialistischer Politik hochstilisiert hat. Da wundern Sie sich, wenn ein Vertrauensverlust eintritt. Wer will denn einer Regierung vertrauen, die etwa in Sachen Steuern über zwölf Monate hinweg solche Ankündigungen macht? Es reicht ja kaum die Zeit einer normalen Bundestagsrede, um allein diesen Zickzackkurs einmal nachzuzeichnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das ist die Bilanz Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, ein Jahr nach der Wahl: Arbeitslosigkeit und weit und breit keine Besserung in Sicht; Verlust an Zukunftschancen und depressive Stimmung in der jungen Generation; stagnierende bzw. niedrigere Zahlen in unserer wirtschaftlichen Entwicklung.; Schwinden der Investitionsbereitschaft, mit einem Wort: Das Vertrauen ist dahin. Und wenn Sie es noch einmal kritisieren: Das Vertrauen in die investive Kraft unserer Wirtschaft, in die dynamische Kraft und die dynamischen Möglichkeiten der deutschen Volkswirtschaft werden erst dann wieder voll und ganz da sein und wir werden Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum erst dann wieder haben, wenn Sie und Ihre Regierung abgetreten sind. Das ist die Voraussetzung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Vor zehn Monaten, bei Abgabe Ihrer Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, sagten Sie — Sie waren stolz darauf —, Sie stünden mit dieser Bundesregierung in der Kontinuität der Regierungen Willy Brandts. So gilt dieser Satz nach Ihrem Anspruch auch für Sie und Ihre Regierung: Mehr Demokratie wagen, jetzt beginne die deutsche Demokratie eigentlich erst. Das war damals Hybris, und



    Dr. Kohl
    jeder wußte es. Und jetzt sehen Sie die Bilanz an: Verlust an Vertrauen,

    (Zuruf von der SPD: Hatten wir schon!)

    Verlust an Autorität des Staates, Verdrossenheit geht um. Das ist keine Sache, von der Sie sich mit der Bemerkung davonschleichen können, das gehe alle Parteien an. Der Satz ist richtig: Das geht alle Demokraten und damit alle demokratischen Parteien und damit selbstverständlich auch die CDU/CSU an. Aber woher kommt denn diese Vertrauenskrise? Wer hat denn das Volk Monate hindurch so belogen, wie Sie in der Regierung das getan haben?

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir werden uns heute über diese Dinge hart auseinandersetzen; denn es ist unerträglich, daß beispielsweise in der Frage der Bekämpfung des Terrorismus bei den Staatsakten und bei den Trauerfeiern die Gemeinsamkeit der Demokraten beschworen wird und sich dann, wenn es zum einfachsten Handeln wie am vergangenen Donnerstag kommt, soundso viele vor dieser Verantwortung drücken. Hier hat doch Herbert Wehner recht und nicht Sie. Wehner hat es doch deutlich charakterisiert am vergangenen Donnerstag und nicht Sie heute, Herr Bundeskanzler. Das hat doch nichts damit zu tun, daß hier Abgeordnete ihrem Gewissen entsprechend abstimmen.

    (Zuruf von der SPD)

    Das ist doch ganz selbstverständlich, daß in einem freien Parlament mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Abgeordnete ihrem Gewissen entsprechend abstimmen können. Das brauchen wir doch überhaupt nicht zu betonen. Hier geht es doch nicht um das Abstimmungsverhalten allein, hier geht es doch darum, mit welchen Tönen hier begründet wurde, welche unglaublichen Thesen bei dieser Gelegenheit vertreten wurden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dazu, Herr Bundeskanzler, haben Sie nichts gesagt, weil Ihnen der Mut fehlt, weil Sie erpreßbar geworden sind mit Ihrer Mehrheit von den Linken in Ihrer eigenen Partei,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    weil es so ist, daß die wirklichen Schicksalsfragen unseres Landes gegenwärtig von dieser Regierung nicht angegangen werden können — selbst wenn sie den Willen und die Einsicht hat —, weil einige Hände voll radikaler Linker in Ihrer Partei und einige Fellow travellers in der FDP Sie daran hindern, Vernünftiges zu tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich will es Ihnen an zwei Beispielen deutlich machen, an der Frage der Energiepolitik und an der Frage der Bekämpfung des Terrorismus.
    Was gestern hier Herr Friderichs in seiner Abschiedsvorstellung in Sachen Energiepolitik sagte, war wirklich schwer erträglich.

    (Zuruf von der SPD: Sie sind schwer erträglich!)

    Er, der völlig vernünftige Ansichten im Bundes-hauptausschuß der FDP vertreten hat, der dort untergegangen ist, sah sich nun gestern bemüßigt, in seinem Schwanengesang etwas zu sagen, was doch nie seine Überzeugung sein kann. Er weiß doch so gut wie ich, daß dieser Beschluß der FDP in ihrem Hauptausschuß verhängnisvoll ist, wenn er Wirklichkeit wird und deutsche Politik bestimmen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Wahrheit ist, daß es in diesen Tagen das ganze Bestreben der Bundesregierung und allen voran der Bundeskanzler ist, das Thema Energiepolitik zu tabuisieren, um die Parteitage von FDP und SPD im November überwinden zu können. Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, hier schließt sich der geschichtliche Kreis.

    (Zurufe von der SPD)

    Sie haben eben wieder die große SPD-Tradition angesprochen. Sie stehen hier — —

    (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Wo ist sie denn, die SPD? Eine Stillosigkeit!)

    — Nun, die Herren sind — —

    (Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen das, glaube ich, nicht weiter zu rügen. Wer unfähig und unwillig zur Diskussion ist, der braucht dem politischen Gegner nicht einmal mehr die Reverenz zu erweisen. Das ist der neue Stil deutscher Demokratie, der hier „gewagt" wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, wenn ich Sie jetzt beobachte, beispielsweise in Sachen Energiepolitik, dann kommt doch automatisch der Gedanke an eine Periode deutscher Geschichte, wo es auch einen sozialdemokratischen Regierungschef gab: ich denke an den Reichskanzler Herbert Müller, der damals, 1929, wichtige Entscheidungen im Interesse des ganzen Landes treffen wollte, im Kabinett traf und dem dann der Parteitag der SPD das Instrumentarium aus der Hand schlug. Das ist doch heute wirklich Ihre Lage. Das sollten Sie einmal hier vom Pult aus erläutern, wie es möglich ist, daß eine von Ihnen wie mir gleichermaßen, von der Mehrheit dieses Hauses gleichermaßen — ich behaupte sogar: von der Mehrheit der SPD-Fraktion gleichermaßen — als vernünftig erkannte Energiepolitik gestoppt werden soll, weil aus ideologischen Verklemmungen eines Randbereiches in Ihrer eigenen Partei, der aber immer stärker wird, hier das politisch und wirtschaftlich Vernünftige unmöglich gemacht werden soll.

    (Beifall bei der CDU/CSU) Sie sprachen vorhin vom Attentismus.


    (Konrad [SPD] : Für Sie hat Herr Gruhl umsonst geschrieben!)

    — Verehrter Herr Kollege, der Herr Kollege Gruhl ist Mitglied der Fraktion. In dieser Fraktion gibt es keinen Abstimmungszwang. Er kann natürlich so abstimmen, wie er dies für richtig hält.

    (Lachen und Zurufe bei der SPD)




    Dr. Kohl
    — Aber Sie können doch nicht aus der Tatsache, daß wir in der Fraktion ganz selbstverständlich einen Kollegen haben, der so votiert, schließen, daß wir in dieser Grundsatzfrage deutscher Politik nicht bereit sind, das Notwendige durchzusetzen. Das ist das Entscheidende, und dazu sind Sie unfähig.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Konrad [SPD] : Ich habe nur sagen wollen, daß Sie ihn nicht verstehen!)

    Herr Bundeskanzler, Sie sprachen vom Attentismus. Jetzt frage ich Sie: Ist es eigentlich Attentismus, wenn Besteller von Reaktoranlagen zurückhalten, nachdem sie im März dieses Jahres Eckwerte der Bundesregierung mitgeteilt bekommen haben und jetzt zu befürchten steht,. daß Sie auf Ihren Parteitagen ein Moratorium beschließen und daß alles gar nicht geht? Sie wissen, es ist eine Kapazität von weit über 10 Milliarden DM, von der ich in diesem Zusammenhang spreche. Das sind doch wirklich drängende Fragen. Kein Wort ist von Ihnen dazu zu hören, außer jenen nebulosen Äußerungen des Herrn Abgeordneten Ehmke, auf die ich nachher noch zu sprechen komme.

    (Zurufe von der SPD)

    Es ist ganz klar, daß der Parteivorstand der SPD mit dem, was er als Vorlage für den Bundesparteitag beschlossen hat, seine eigene, von ihm getragene Bundesregierung zurückgenommen, zurückgezwungen hat und daß Sie wirtschaftliche Vernunft auf Grund dieses Beschlusses nicht durchsetzen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Was soll man dazu sagen, wenn Sie selbst sich noch in der Regierungserklärung am 16. Dezember klar und unmißverständlich zugunsten der Kernenergie aussprechen und der Minister für Forschung und Technologie, also ein Kabinettsmitglied, Herr Bundeskanzler, dann wenige Monate später schon erklärt — ich zitiere wörtlich —, „daß wir mit einem Aussetzen des Neubaus von Kernkraftwerken von drei bis fünf Jahren zu rechnen haben"? Herr Bundeskanzler, um auch das gleich auszusprechen: Das Ganze läuft dann draußen im Lande in einer sehr eigenartigen Weise. Sie treten nicht jenen Gruppen entgegen, die sich hier entschieden im mißbräuchlichen Sinne des Umweltschutzes bemächtigen wollen; denn unter vernünftigen Menschen in der Bundesrepublik — ich schließe hier alle Kollegen aus dem Bundestag mit ein — kann es doch gar keinen Zweifel geben, daß keiner von uns einer Politik der Kernenergie das Wort redet, die schrankenlos ist, die nicht um die Notwendigkeit ökologischer Bedürfnisse, des Umweltschutzes und der Sicherheit für die Bevölkerung weiß. Natürlich muß hier eine Güterabwägung eintreten; aber in der Güterabwägung muß doch auch enthalten sein, daß eine moderne Industriegesellschaft, wie wir, in der Zukunftssicherung für die Jahre, die vor uns liegen, auch die notwendigen mutigen Entschlüsse treffen muß. Wir brauchen in diesem Zusammenhang keinen Nachhilfeunterricht.

    (Konrad [SPD]: Na! — Zuruf von der SPD: Den Eindruck hat man aber!)

    Sie haben uns oft als Konservative verschrien. Für mich ist das überhaupt kein Schimpfwort. Nur wer wirklich konservativ ist, der muß bei seinem politischen Tun, bei Entscheidungen, die in die Zukunft weisen, an die Generation nach ihm und an die Generation seiner Enkel denken. Wir wissen, daß der Wasserschatz der Bundesrepublik, daß der Waldreichtum, daß die natürlichen Gegebenheiten nicht kaputtgemacht werden dürfen. Wir wissen um die Verantwortung, das möglichst unbeschädigt, möglichts gut an die nächste Generation weiterzugeben. Aber in der Güterabwägung wissen wir auch, daß wir ein wirtschaftliches Wachstum brauchen und daß wir ohne Kernenergie nicht fähig sind, Wachstum zu erzielen und eine moderne Volkswirtschaft zu unterhalten, und daß in dieser Güterabwägung auch die Kernenergie mit enthalten sein muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn ich von Herrn .Eppler und seinen Gefolgsleuten absehe, sind wohl die meisten vernünftigen Menschen in der Bundesrepublik der Auffassung, daß wirtschaftliches Nullwachstum verheerende wirtschaftliche, gesellschaftliche Folgen nach sich ziehen würde, daß ein Baustopp für drei, vier Jahre de facto ein Stopp für zwölf Jahre ist, wenn ich die Genehmigungs- und die Bauzeiten mit einbeziehe.

    (Stahl [Kempen] [SPD] : Kommen Sie zu Herrn Albrecht!)

    — Ich komme gleich zu Herrn Albrecht. Herr Kollege, Sie sollten nicht so vorlaut sein; dieser Buhmann findet für Sie nicht statt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ein Moratorium von drei, vier Jahren bringt, bis die Anlagen in Betrieb gehen können, de facto einen Baustopp und eine Verzögerung von zehn bis zwölf Jahren, d. h., wir sind dann am Beginn der 90er Jahre. Sie, Herr Bundeskanzler, müssen dann gegenüber der deutschen Offentlichkeit und der nachwachsenden Generation vertreten, daß wir in einer solchen Lage das Notwendige nicht getan haben. Sie müssen die Bedrohung von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen als Folge einer Rezession, die dann durch Mangel an elektrischer Energie und an Basisenergie ausgelöst wird, vertreten. Sie müssen dann eine nicht wiedergutzumachende Benachteiligung der anerkannten deutschen kerntechnischen Industrie als Anbieter auf den Weltmärkten vertreten. Sie müssen — dann mit einem Wort — vertreten, daß hier ein entscheidendes Stück unserer Zuwachserwartung, unserer Zukunftshoffnung zerstört wird.
    Im Jahr 2000 entspricht die errechnete Lücke fast jenem Wert, der 1976 an Mineralöl, Erdgas und Steinkohle zusammen verbraucht wurde. Man braucht doch dann keinen langen Vortrag mehr zu halten, wie notwendig es ist, daß wir jetzt unter voller Berücksichtigung der ökologischen Besorgnisse, der Umweltschutzbedingungen und vor allem der Sicherheitsauflagen das Erforderliche tun.



    Dr. Kohl
    Damit das klar ist, meine Damen und Herren von der SPD und von der FDP: Sie werden vor Ihren Parteitagen Gelegenheit bekommen, hier Farbe zu bekennen. Das wird nicht vertagt. Wir werden Sie nicht nur in diesem Saal stellen, sondern auch in vielen hundert Veranstaltungen draußen in der ganzen Bundesrepublik. Dort werden Sie Farbe bekennen müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Sehr gut! Das machen Sie mal ruhig!)

    Herr Bundeskanzler, dann wollen wir einmal sehen, was die kleinen Leute von denen Sie gesprochen haben, denken, wenn sie von einer solchen Politik hören.
    Im Rahmen des gesamten Schlachtengemäldes, das die Sozialdemokraten unter Führung von Helmut Schmidt hier entwickeln, wird jetzt ein neuer Kriegsschauplatz eröffnet.

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Kriegsschauplatz?)

    Man braucht ja auf allen Feldern Schuldige. Beim Suchen des Schuldigen ist jetzt die niedersächsische Landesregierung dran. Man muß sich einmal vorstellen, wie schrecklich es für Sie wäre, wenn es Herrn Kubel dort noch gäbe. Es ist für Sie ein wahres Gottesgeschenk, daß einige damals Herrn Kubel für ablösungsreif erklärten und Ernst Albrecht Ministerpräsident wurde.

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Das ist gar nicht wahr! Er ist zurückgetreten! Das wissen Sie ganz genau! Bitte keine Klitterung!)

    — Entschuldigung, Herr Kollege Schäfer! Ich bin gern bereit, das umzuformulieren. Sie haben recht. Herr Kubel ist zurückgetreten; aber die von der SPD als seine Nachfolger Vorgeschlagenen sind nicht gewählt worden.

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : So ist es richtiger!)

    Im Ergebnis kommt das aber auf dasselbe heraus; um das deutlich zu sagen.
    Ich habe gerade nach diesen ja sehr kalkulierten Angriffen von gestern nochmals mit Ministerpräsident Ernst Albrecht gesprochen. Er hat klar und deutlich gesagt — ich verlese das wörtlich —, daß die Landesregierung von Niedersachsen den Antrag auf Genehmigung einer Entsorgungsanlage so schnell wie möglich und so zügig wie möglich behandeln wird.

    (Lachen bei der SPD)

    — Sie sollten nicht lachen. Denn draußen reden Sie doch ganz anders, wenn Sie die Bürger in diesem Punkt aufhetzen. — Die Anlage, so schreibt Ernst Albrecht, wird dann genehmigt werden, wenn sich als wahr erweist, was die Bundesregierung immer wieder betont, nämlich daß diese Anlage ohne Gefährdung von Leben und Gesundheit der Bevölkerung betrieben werden kann.
    Was der niedersächsische Ministerpräsident hier tut, ist also nichts anderes, als pflichtgemäß als Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes das zu prüfen, was er nach dem Gesetz zu prüfen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Konrad [SPD] : Und die Kernkraftwerke?)

    Ich bin ziemlich sicher, wir sind uns alle einig, daß die Sicherheit der Bevölkerung auch bei einer solchen Anlage den absoluten Vorrang haben muß. Wir wissen doch auch, daß eine solche Prüfung ihre Zeit braucht — er hat nie etwas anderes gesagt, als er jetzt ausführt — und daß wir bei der Endlagerung vor einem völlig neuen technologischen Problem in Deutschland stehen, ja, daß in weiten Teilen der Welt eine solche Technologie überhaupt noch nie angewandt wurde.

    (Konrad [SPD]: Sehr wahr!)

    — Wenn das sehr wahr ist, warum protestieren Sie dann, Herr Kollege? Irgendwo ist das in sich absolut absurd.

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Sie protestieren! — Zuruf des Abg. Konrad [SPD])

    Wenn die deutsche Energieversorgung an etwas zu scheitern droht, dann doch daran, daß SPD und FDP der Bundesregierung für notwendige Schritte die Gefolgschaft verweigern. Es war doch Ihr Fehler, Herr Bundeskanzler, daß Sie die Entsorgungskoppelung so verfügt haben, daß Sie jetzt in diesen Zeitdruck gekommen sind. Ich habe nie verstanden, warum man von vornherein die Frage der Zwischenlager auf drei Jahre terminiert hat. Mir hat bisher auch noch nie jemand klarmachen können, wieso man Zwischenlager nur für drei Jahre und nicht auch für fünf Jahre einrichten kann. Der Zeitdruck ist doch — wie oft in Ihrer Politik — von Ihnen selber aus vordergründigen Motiven erzeugt worden.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Konrad [SPD]: Ihre Begriffsstutzigkeit ist einmalig!)

    Als Sie dann gemerkt haben, wie gefährlich diese Entsorgungskoppelung für die Energieversorgung ist, haben Sie — das muß doch bestätigt werden —sich mit den Ministerpräsidenten dahin verständigt, daß die Forderung auf Entsorgungskoppelung als erfüllt gelten soll — und jetzt kommt es deutlich, meine Kollegen von der SPD —, wenn die Reaktorsicherheitskommission und die Strahlenschutzkommission ihr Gutachten zum Projekt vorgelegt haben. Dies soll noch in diesem Jahr der Fall sein.
    Jetzt frage ich Sie bei diesem Tatbestand: Wo hat eigentlich der niedersächsische Ministerpräsident seine gesamtstaatliche Verantwortung hier verweigert? Er hat pflichtgemäß gegenüber den Bürgern seines Landes gehandelt. Und Sie sind unfähig, so zu handeln, wenn Sie die Beschlüsse Ihres Parteivorstands auf Ihrem Parteitag annehmen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu dem Thema Terrorismus machen. Herr Bundeskanzler, Sie haben auch hier wieder die Gemeinsamkeit der Demokraten beschworen. Ich sagte schon, das hören wir nun seit vielen Wochen und Monaten bei allen Staatsakten und dann auch — ich muß es offen sagen — an den Gräbern. Wir müssen uns fragen, ob



    Dr. Kohl
    unser Bekenntnis zu diesem freiheitlichen Rechtsstaat und zu seiner Ordnung überzeugend ist, wenn sich die Gemeinsamkeit der Demokraten stets nur als eine Art Notgemeinschaft bewährt und in der Stunde danach das kraftvolle Handeln ausbleibt.
    Diesen Eindruck müssen doch unsere Mitbürger gewinnen, wenn sie diese gespenstische Debatte am vergangenen Donnerstag hier miterlebt haben, eine Debatte, die doch an der Wirklichkeit der Bundesrepublik völlig vorbeigeht an jener Wirklichkeit, die wir nicht erst heute, sondern seit über zwei Jahren immer wieder hier vortragen. Wir haben doch immer wieder vor dieser Entwicklung des Terrorismus in der Bundesrepublik gewarnt. Sie wurde bestritten. Es wurde gesagt, daß unsere Maßnahmen überzogen seien, daß wir in keinem Verhältnis zur wirklichen Gefahr reagieren würden und vieles andere mehr. All das ist ohne Wirkung geblieben. Im Gegenteil, nachdem seinerzeit von einigen zwanzig aktiven Terroristen und von einigen hundert Sympathisanten im harten Kern gesprochen wurde, spricht heute der Präsident des Bundeskriminalamts, Herr Herold, von 1 200 aktiven Terroristen und von über 5 000 Sympathisanten.
    In diesen letzten Monaten und Jahren mußte der Bürger miterleben, daß Herr Croissant als Terroristenanwalt tätig wurde und daß — ich zitiere jetzt irgendeinen, der es besser weiß als ich, ohne ihn gleich beim Namen zu nennen, er ist hier im Saal —„dieses Rattennest seines sogenannten Anwaltsbüros als konspirative Zelle sondergleichen tätig sein konnte".

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : In Stuttgart bei einer CDU-Regierung! Lesen Sie die Debatte im Bundesrat!)

    — Jetzt frage ich mich wirklich, wollen Sie sagen, verehrter Herr Professor der Rechte, daß Hans Filbinger mit Landesrecht das Bundesrecht der Bundesrepublik Deutschland brechen soll? Ich muß da wirklich fragen, was geht hier in Ihnen vor?

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir haben erlebt, daß Croissant und andere Anwälte in der Bundesrepublik und im Ausland Greuelmärchen über diese Bundesrepublik in der herabsetzendsten Weise verbreitet haben. Wir haben erlebt, daß inhaftierte Terroristen über konspirierende Anwälte nicht nur Informationskontakte, sondern Aktionen aus den Zellen heraus steuern konnten. Wir haben erlebt, daß gefährliche Schwerverbrecher, gerade aus der Haft entlassen, sofort im Untergrund verschwunden sind und jetzt erneut an diesen terroristischen Greueltaten beteiligt sind. Wir haben erlebt — bis in diese Tage hinein erleben wir das —, daß Gewaltliteratur verbreitet wird. Wir haben bei Demonstrationen in Brokdorf und in Grohnde blutige Schlachten mit bürgerkriegähnlichem Charakter erlebt. Dies alles ist passiert, und danach ist nichts passiert, soweit es die Autorität des Staates betrifft.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Um ein anderes Feld, das indirekt damit in Zusammenhang steht, anzusprechen: wir haben erlebt, daß trotz aller unserer Aufrufe an die Vernunft demokratischer Parteiführungen es weiterhin möglich ist, daß an der Mehrheit deutscher Hochschulen Volksfrontbündnisse mit ausgesprochenen Feinden unserer Demokratie mit Ihrer politischen Unterstützung geschlossen werden.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir haben erlebt, daß Vertreter nichtmarxistischer Hochschulgruppen diskriminiert werden, mit Redeverbot belegt werden, von ,den Podien geprügelt werden. Und meine Damen und Herren, an eines der schauerlichsten Zeugnisse sei hier auch erinnert: Wir haben erlebt — ich will gar nicht auf die Details eingehen —, daß schließlich jener primitive und gemeine Nachruf, der auf den ermordeten Siegfried Buback veröffentlicht wurde, von. Professoren, von Leuten, die von den Steuerzahlern unterstützt und bezahlt werden, entsprechend verbreitet und interpretiert wurde.
    Meine Damen und Herren, das hat doch nichts mit Polizeistaat zu tun, das hat mit wehrhafter Demokratie zu tun, daß — ich zitiere Sie, Herr Bundeskanzler — diese Bundesrepublik kein Nachtwächterstaat ist, sondern sich kraftvoll zur Wehr setzt, wenn eine solche Herausforderung besteht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben uns seit Jahren Ihre Unterstützung verweigert; das ist eine Verweigerung der Gemeinsamkeit der Demokraten. Was haben Sie denn mit unseren Gesetzentwürfen in der Frage des Gemeinschaftsfriedens getan, in der Frage der Bekämpfung des Terrorismus und der Gewaltkriminalität? Sie haben auch jetzt, meine Damen und Herren, bis jetzt, nicht erkennen lassen, daß Sie bereit sind, etwas zu tun.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Im Gegenteil! Sie treten bereits den Rückmarsch an!)

    Herr Ehmke hat gestern angekündigt, daß die Frage der Überwachung von Gesprächen der Verteidiger mit inhaftierten Terroristen seine Unterstützung nicht findet. Der Bundeskanzler hat heute zum Rückzug geblasen. Da muß ich doch die Frage stellen: Liegt bei alledem das Risiko in der Bundesrepublik eigentlich nur noch bei den Opfern?

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Das ist doch eine Frage, die man sich stellen muß.

    (Konrad [SPD] : Insbesondere als Anwalt der Gerechtigkeit!)

    Lassen Sie mich das ganz offen sagen: Ich bin nun durch den Zufall meiner Funktion zum drittenmal mit anderen aus allen demokratischen Parteien in dieser Runde. Es ist bedrückend zu sehen, daß wir da reden und reden, und dann nimmt es so oder so ein Ende — ein gutes oder ein weniger gutes, wie wir beides schon erlebt haben — und anschließend geschieht gar nichts. Und Flier erleben wir jetzt Vorwürfe, daß der Gedanke der Überwachung des Verkehrs zwischen Mandant und Terroristenanwalt die Aushöhlung des Rechtsstaats sei. Mir gefällt das auch nicht, aber was wollen wir denn tun? Wollen wir dastehen und verharren und sagen, das sei Gott



    Dr. Kohl
    gefügtes Unheil, das über uns kommt? Nein, wir müssen uns zur Wehr setzen — und Sie auch!

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU)

    Nun, Herr Bundeskanzler, wir werden bald diese Abstimmung haben. Ich werde Ihnen Gelegenheit geben, hier in der Auseinandersetzung die Gründe vorzutragen, warum das alles falsch ist,

    (Zuruf von der SPD: Ist ja nicht alles falsch!)

    was Sie doch selbst in Ihrer eigenen Regierung gedacht haben. Sie wollten doch zunächst den gleichen Schritt tun, und dann sind Sie von der eigenen Fraktion gezwungen worden, den Rückzug anzutreten.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Konrad [SPD] : Nein, er hat sich eines Besseren belehren lassen! — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Der darf doch nicht mehr! Er muß auf Coppik und Hansen Rücksicht nehmen!)

    Und Sie sind nicht der einzige, den wir hier auffordern werden. Wir werden den Kollegen Genscher auffordern, der im Deutschen Fernsehen zu Recht gesagt hat, daß er diesen Schritt für richtig hält. Wir werden den Kollegen Maihofer auffordern, der auf Grund seiner täglichen Erkenntnis weiß, wie richtig dieser Vorschlag der Union ist.

    (Konrad [SPD] : Aber das stimmt doch von vorn bis hinten nicht!)

    Und wir werden den Kollegen Ertl auffordern, das Entsprechende zu tun. Und auch derjenige, der jetzt aus seinem Amt zurücktritt, muß, wenn er eine so bemerkenswert nachdenkliche Rede auf den toten Jürgen Ponto gehalten hat, hier, wenn es darum geht zu handeln, richtig abstimmen, er muß kraftvoll die Demokratie verteidigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Natürlich respektieren wir die Gewissensentscheidung jedes Abgeordneten. Das ist doch — ich sage es noch einmal — selbstverständlich. Nur, meine Damen und Herren, was wir hier dem Bürger draußen als Schauspiel bieten, das ist doch völlig unverständlich, wenn dieser gleiche Bürger weiß, daß diese Anschläge zum größten Teil in den terroristischen Zellen und Gewahrsamen erdacht und konspiriert wurden und daß Anwälte sie draußen weiter getragen haben oder 'sogar in Praxis umsetzten. Ich kann nur sagen: Jeder weiß — vielleicht nicht der Herr Bundesjustizminister —, was er in diesem Punkt will.
    Aber viele glauben Ihnen, Herr 'Bundeskanzler, die Binsenweisheit nicht mehr, daß nämlich ein hilfloser Staat vor allem auch ein herzloser Staat ist. Ich nehme dieses Wort von Ihnen auf, aber wenn Sie er ernst meinen, dann müssen Sie dieses Wort auch in die Tat umsetzen.
    Das ist ja das Beängstigende — davon habe ich eben kein Wort gehört —, daß die geistige und politische Verwirrung in den Reihen Ihrer eigenen Partei ein so beängstigendes Ausmaß angenommen hat. Daß hier ein Kollege ans Pult geht und erklärt, warum er im Gegensatz zur Fraktion anders stimmt, das halte ich für selbstverständlich. Aber es ist doch grotesk, daß hier einer der Sprecher der SPD am Donnerstag erklärte, in unserem Lande herrsche eine Pogromstimmung, und die Schüsse der RAF würden von Reaktionären dazu gebraucht, um das kaputtzumachen, was in vielen Jahren mühsam an demokratischer Errungenschaft und rechtsstaatlichen Garantien erkämpft worden ist.
    Meine 'Damen und Herren, die rechtsstaatlichen Garantien stehen in unserer Verfassung, sie stehen in unseren Gesetzen. Nur der Gesetzgeber, nur wir, können sie ändern. Wer will etwa diese Regierung verdächtigen, die doch im Amt ist, daß sie mit den Gesetzen, die wir als Opposition mit schaffen und ihnen in die Hand geben wollen, um diesen Staat kraftvoll zu verteidigen, einen Polizeistaat einführen will? Was ist das für eine Logik? 'Es wird doch der Eindruck erweckt, der Rechtsstaat sei nicht so sehr von den Anarchisten bedroht, sondern von denjenigen, die ihn schützen und ihn wehrhaft machen wollen. Das ist doch unerträglich.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Bundeskanzler, wenige Tage — wir müssen das hier austragen — vor der Entführung von Hanns Martin Schleyer sagten Sie auf einer Veranstaltung in Esslingen — ich zitiere wörtlich —:
    Man soll nicht immer nach dem Polizeiknüppel Ausschau halten. Terroristen sind meist irregeleitete junge Leute aus bürgerlichen oder großbürgerlichen Familien, denen so manches zum Halse hinausstinkt.
    Wer vom Polizeiknüppel redet, wer Terroristen als irregeleitet verharmlost, wer mit solch schlechten Bildern Verständnis für ihr Aufbegehren simuliert, dem glaubt man doch nicht, daß er entschlossen gegen diese Pest vorgehen will.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Man glaubt Ihnen erst recht nicht, Herr Bundeskanzler, wenn Sie 14 Tage danach wieder in ihrer Litanei von „Ordnungshysterie" und „Panikmache" sprachen.
    Herr Bundeskanzler, was ist das eigentlich für ein Leitantrag zum Terrorismus, der vom Vorstand Ihrer Partei beschlossen wurde, mit einer Warnung vor den „rechten Ideologen" und „rechten Scharfmachern"? Wer sind eigentlich die Leute, vor denen Sie warnen? Wo gibt es die denn? Wo können Sie sich denn in der konkreten historischen Situation der Deutschen der Jahre 1977 und 1978 diese rechten Scharfmacher und Ideologen vorstellen?
    Meine Damen und Herren, ich muß das noch einmal sagen. Sie, Herr Bundeskanzler, und die sie tragende Koalition haben eine zwar minimale, aber, wenn Sie zusammenstehen, eine vorhandene Mehrheit. Sie haben, wenn Sie nur wollen, eine Parlamentsmehrheit. Sie bestimmen doch darüber, wie diese Gesetze dann eingesetzt werden, die wir schaffen wollen, um die Terroristen entsprechend zu 'bekämpfen. Wer hätte denn die Macht, diese Bundesrepublik zu einem „Zwangsstaat" zu machen? Wessen Ordnungshysterie, wenn es sie überhaupt gäbe,



    Dr. Kohl
    könnte zu voreiligen unangemessenen Reaktionen führen? Wer macht denn in Panik?

    (Zurufe von der SPD: Sie! Sie!)

    Oder um Herrn Brandt zu zitieren: Wer macht denn in Überreaktion, meine Damen und Herren?

    (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Sie!)

    Wo gibt es ein Land der freien Welt in der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, in dem eine solche Heimsuchung stattgefunden hat und die Bürger trotz aller Aufwallungen alles in allem so abgewogen, vernünftig reagiert haben wie in der Bundesrepublik?

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Dies ist doch alles unerträglich in dieser ganzen Diskussion. In diesen schweren Wochen ist von keiner Fraktion, von keinem einzigen Mitglied dieses Hauses ein Vorschlag gemacht worden, der, an den Kriterien der Rechtsstaatlichkeit gemessen, unqualifiziert gewesen wäre.

    (Dr. Sperling [SPD] : Doch, von Ihnen! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Wissen Sie, Herr Kollege — — Es stockt mir fast der Atem in diesem Zusammenhang, zu sagen: Herr Kollege. Dies ist so armselig bei diesem Thema, so erbärmlich, dazwischenzugehen, daß das auf Sie zurückfällt; das entspricht Ihrer Qualifikation.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Mit Recht hat der Herr Bundespräsident in diesen Tagen gegenüber ausländischen Gästen in Hamburg erklärt — ich zitiere wörtlich —: „Sie werden keinen Vorschlag finden, der sich mit den Grundsätzen eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats nicht vereinbaren läßt."
    Was ich Ihnen vorwerfe, Herr Bundeskanzler, ist, daß Sie jetzt und heute wie in diesen ganzen kritischen Tagen die notwendige Wende nicht vollzogen haben. Statt daß Sie jetzt hierhertreten und klar und deutlich sagen, was jetzt zu tun ist, schielen Sie bereits auf Ihren Parteitag im November, um nach der Methode der Einigung auf den kleinsten Nenner über die Runden der Macht zu kommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie wissen so gut wie ich — das ist doch keine Erfindung von mir —, daß sich diese Terroristen Marxisten, Anarchisten, Kommunisten, Sozialisten nennen. Es ist Ihre Pflicht, das auch deutlich auszusprechen, wo hier der Trennungsstrich zu ziehen ist.
    Vor 21/2 Jahren, Herr Bundeskanzler, haben Sie hier erklärt, daß seit den Tagen der sogenannten APO manches verharmlost und bagatellisiert wurde, was nicht hätte bagatellisiert werden sollen. Dies ist richtig. Aber wann ziehen Sie endlich die richtige Konsequenz? Statt dessen sitzen Sie, mehr oder minder resignierend, im Kanzleramt, und Herr Brandt schiebt die Kulissen auf diesem speziellen Feld, unterstützt von manchem, über dessen geistige Verwirrung man nur noch den Kopf schütteln kann.
    Ich will hier ein Paradebeispiel geben, was wir gestern alle miterleben mußten. Da sprach der Abgeordnete Professor Ehmke von einer — ich zitiere ihn wörtlich — Hitler-Nostalgiewelle in der Bundesrepublik. Auf meinen empörten Zwischenruf, wo er die denn sehe, hat er mir seiner Art entsprechend — das hat ja seine politische Karriere immer so wohltuend begleitet — natürlich die intellektuelle Kapazität, ihn zu begreifen, abgesprochen. So zurechtgewiesen, bin ich tief gedemütigt in mein Zimmer, habe den Brockhaus zur Hand genommen, Herr Abgeordneter Ehmke, und habe da gelesen: Nostalgie, das ist „Sehnsucht nach Vergangenem", wörtlich zitiert. Wollen Sie ernsthaft im Angesicht des deutschen Volkes behaupten, daß es in der Bundesrepublik eine Hitler-Nostalgiewelle gibt, wenn Nostalgie unbestreitbar Sehnsucht nach Vergangenem bedeutet? Was geht eigentlich in Ihrem Kopf vor, Herr Ehmke, wenn Sie solchen Blödsinn sagen?

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU)

    Vor einem Jahr hatten wir die Bundestagswahl. Wir hatten ohne gesetzliche Wahlpflicht in freier Wahl in der Bundesrepublik eine Wahlbeteiligung von über 90 %. Von diesen 90 % Wählern haben sage und schreibe 0,9 % den Rechts- oder Linksradikalen ihre Stimme gegeben. Meine Damen und Herren, nennen Sie mir doch ein zweites Land auf dieser Erde, in dem so viel — und das sage ich mit Stolz für uns alle — demokratische Gesinnung und so viel Hinwendung zu den großen demokratischen Parteien und Traditionen zu beobachten sind!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber wenn das so ist, wie kann dann ein verantwortlicher Abgeordneter hier von einer HitlerNostalgiewelle reden?
    Dann sprachen Sie auf meinen Zwischenruf hin — ich bin nicht dahintergekommen, was Sie meinen — von Filmen. Nach meiner Kenntnis gibt es in der Bundesrepublik nur einen Film, im Ausland gibt es viele NS-nachahmende Filme, die zutiefst antideutsch sind. Die haben wir beide nicht zu vertreten. Wir haben in einem freien Land auch den Festschen Film nicht zu vertreten, aber er ist da.
    Aber, Herr Ehmke, von einem Mann Ihrer intellektuellen Herkunft muß ich doch erwarten, daß er hier, wenn er in Richtung Ausland spricht, sagt: Es ist doch ganz natürlich, daß jetzt, wo eine völlig neue Generation herangewachsen ist, die Generation der Schulkinder von heute, nachdem alle demokratischen Gruppen — aus welchen Gründen auch immer — die Bewältigung .der NS-Vergangenheit lange genug vor sich hergeschoben haben, die Frage stellt: Warum war mein Großvater oder vielleicht sogar noch mein eigener Vater für Hitler? Wir müssen doch einmal aufhören, 30 Jahre danach die Geschichte so zu betrachten, daß sie entweder nicht wahr ist, beschönigt wird oder überhaupt nur in abstrusen Formen gezeigt wird.
    Was die Tatsache angeht, daß mehr als 10 Millionen Deutsche damals Mitglieder einer Partei wurden, so hüte ich mich davor — was immer man dazu sagen mag, im Guten wie im Schlechten —, leichtfertig Vorwürfe zu erheben. Ich war damals 15 Jahre



    Dr. Kohl
    alt. Ich war nicht in der Gefahr, in Versuchung zu geraten. Wenn dies aber so war, dann muß das doch einen Grund haben. Ich habe nichts dagegen, wenn verantwortliche Historiker sich dieses Themas annehmen, schon gar nicht dann, meine Damen und Herren — das ist doch ein wichtiger Punkt —, wenn sich 30 Jahre nach einem Ereignis die Archive öffnen, die Sperren wegfallen und man über diese Dinge offener reden kann. Aber das hat doch nichts damit zu tun, daß wir deswegen einen Beitrag zum „häßlichen Deutschen" zu leisten haben.
    Ich bin der letzte — ich habe das oft gesagt —, der die Last der deutschen Geschichte leugnet. Wir haben mit Auschwitz, Majdanek und Treblinka zu leben. Das ist nicht zu verdrängen. Aber wir alle — auch die Jungen, die nachgewachsen sind, mehr als 50 O/o der Deutschen sind nach Hitler geboren — haben das Recht, aufrecht durch die Geschichte in die Zukunft zu gehen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Ehmke, dann warnten Sie vor dem Ausland. Diese Torheiten sind doch durch Sie und Ihresgleichen ins Ausland hineingetragen worden.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn Sie und Willy Brandt — ich nenne Sie hier beide; ich komme zu Brandt gleich noch etwas intensiver — solche Äußerungen machen, als sei nun quasi die Gefahr eines Neofaschismus im Anmarsch, dann kann ich nur fragen: Von welcher Republik reden Sie? Doch nicht von der Bundesrepublik! Diese Gefahr existiert doch überhaupt nicht!

    (Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Liselotte Funcke
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Nein, danke schön! —
    Meine Damen und Herren, die Folgen liegen schon auf der Hand. Am 12. September hat das Politbüromitglied Mückenberger gesagt — das wird in alle Welt verbreitet —, die Bundesrepublik sei auf dem besten Wege, eine Kappler-Republik zu werden; das enge Zusammenwirken der neofaschistischen Kräfte in Westeuropa sei Ausdruck eines Sich-bereits-wieder-stark-Fühlens revanchistischer faschistischer Kreise.
    Meine Damen und Herren, ich behaupte nicht, daß Sie das absichtlich machen, aber in Ihrer Torheit und politischen Kurzsichtigkeit helfen Sie doch solchen Angriffen gegen die Bundesrepublik.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie, Herr Bundeskanzler, Herr Brandt, Herr Ehmke oder Herr Bahr, der ja ein Altmeister dieser Kunst ist,

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : War!)

    machen das doch nur, um von den wahren Verhältnissen abzulenken.
    Denn vernünftigerweise kann doch niemand auf den Gedanken kommen, daß diese Terroristen aus dem rechten Spektrum stammen. Die haben mit dem Faschismus nun wirklich nichts zu tun. Sie haben mit dem Faschismus etwas gemeinsam, nämlich die
    Verachtung des menschlichen Lebens, der menschlichen Persönlichkeit, die Unmenschlichkeit. Aber das ist nichts Neues. Wir, die Union, haben zu jeder totalitären Gesinnung immer nein gesagt, ob sie faschistisch oder kommunistisch ist. Wir sind auf keinem Auge blind!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Bestimmte Teile der SPD, meine Damen und Herren, sind doch drauf und dran, dies alles gar nicht mehr zu begreifen. Ihr Blick ist doch verstellt, daß sich die politische Zielsetzung solcher Köpfe, die sich dann noch sozialistisch nennen, verabsolutiert, daß sie zwangsläufig in totalitärem Anspruch und brutaler Gewalt enden muß.

    (Konrad [SPD] : Aber!)

    Ich will das gar nicht mit meinen Worten sagen. Ein Mann, der einige Verdienste um die Geschichte Ihrer Partei, genauer gesagt, um die Geschichtsschreibung Ihrer Partei, hat, der wohl beste Kenner, wie ich neidlos anerkenne, der Weimarer Republik, der Bonner Politikwissenschaftler Karl Dietrich Bracher, hat in diesen Tagen in einem Artikel in einer großen deutschen Tageszeitung folgendes geschrieben — ich zitiere —:
    Diese Tabuisierung geschieht auch in den aktuellen Kontroversen über die Wurzeln und Erscheinungsformen des linksextremen Terrorismus, indem man diesen als „faschistisch" klassifiziert und den Kindern Hitlers zuschiebt, die doch so erklärtermaßen Kinder Marxens und Lenins sind. Bewußt oder nicht bedeutet dies ein Bagatellisieren oder Exkulpieren der totalitären Wurzeln und Konsequenzen.
    Meine Damen und Herren, mit diesem Satz müssen Sie sich auseinandersetzen. Ich sage das nicht schadenfroh. Es ist Aufgabe einer demokratischen Partei, hier nicht Spuren zu verwischen, sondern Dinge auszumerzen, wenn es etwas auszumerzen gibt.
    Es ist dann natürlich schon erstaunlich, daß Herr Bahr vor einigen Tagen — es ist ein Verdient, daß er diese Zeilen Willy Brandts an die Öffentlichkeit gebracht hat — eine Passage eines Aufrufs von Willy Brandt an die Sympathisanten der Terroristen veröffentlichte, indem er Brandt wörtlich wie folgt zitierte:
    Wissen Sie nicht, daß Sie politisch zu denken vorgeben, daß Sie, statt mehr Freiheit und Gerechtigkeit für die breiten Schichten in diesem Lande zu schaffen, die Geschäfte der finsteren Reaktion, ja, der Neo-Nazis betreiben? Daß Sie das Bewußtsein der Bevölkerung

    (Zuruf von der SPD) — bitte hören Sie zu! —

    über den Rand hinausbomben, hinter dem es
    nur noch den Abgrund .von Chaos, Polizeistaat
    oder Diktatur gibt? Oder wollen Sie genau das?
    Das Zitat ist von Brandt.

    (Zuruf von der SPD)

    Meine Damen und Herren, was für eine Verwirrung muß eigentlich in Willy Brandts Kopf vor sich



    Dr. Kohl
    gehen? Er ist doch ausgezogen, mehr Demokratie zu wagen. Mit welchem Volke denn? Mit einem Volk, das sich von einigen Terroristen zurechtbomben läßt, um einen Polizeistaat zuzulassen? — Es ist nicht das Volk der Bundesrepublik, an das Sie denken und für das Sie handeln wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Was ist das für ein pseudoelitärer Quatsch, der hier als Grundlage politischen Tuns ausgegeben wird?

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: So ist es!)

    Herr Bundeskanzler, hier gibt es kein Vertun. Sie sind Kanzler der Bundesrepublik Deutschland.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Noch!)

    Sie sind stellvertretender Vorsitzender der SPD. Sie haben sich heute über ein Zitat erregt, das Franz Josef Strauß gebracht hat, und Sie haben es widerrufen. Dieses Zitat können Sie nicht widerrufen. Es ist vom Bundesgeschäftsführer Ihrer Partei wiedergegeben worden. Ich erwarte von Ihnen, daß Sie von diesem Pult aus sagen, was das eigentlich für eine Vorstellung im Kopf des Herrn Willy Brandt über die Möglichkeiten ist, die im deutschen Volk schlummern. Meine Damen und Herren, dürfen Sie sich wundern, wenn Tag für Tag solche Torheiten in Ihrem Lager verzapft werden, daß draußen im Ausland von unseren Feinden das Bild des häßlichen Deutschen gezeichnet wird?

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie sollten derartige Diskussionen aufgeben, sich dem eigentlichen Thema zuwenden, Roß und Reiter nennen und klare Trennungsstriche ziehen, statt Nebel zu verbreiten.
    Jochen Steffen hatte sicher recht, als er einmal sagte:
    Wenn eine Partei auf Klassenbewußtsein setzt oder davon profitiert,
    — die Partei der „kleinen Leute", Herr Bundeskanzler —
    muß sie auch wissen: Wer auf einem Tiger reitet, wird aufgefressen, wenn er absteigt.
    Meine Damen und Herren, dieses Wort ist des Nachdenkens wert.

    (Konrad [SPD]: So spricht ESSO!)

    — Natürlich, wenn ich Sie betrachte, ist es in der Tat so, Herr Kollege.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wer 1969 mit dem großen Aufbruchspathos anfing, wer prinzipiell Systemüberwindung forderte und nur noch darüber diskutierte, ob sie revolutionär oder auf dem Wege innerer Reformen vorzubereiten ist, wer — und das lassen Sie sich ins Stammbuch geschrieben sein, meine Damen und Herren — Politik prinzipiell als Kampf antagonistischer Interessen begreift, wer dann weiter so töricht redet wie Herr Ehmke gestern, daß diejenigen, die Konfliktstrategie oder Konfliktpädogogik kritisieren, in einem törichten
    Volkstums- und Volksgemeinschaftsdenken verbleiben

    (Dr. Ehmke [SPD] : Das habe ich zwar auch nicht gesagt, aber Sie sind ja nie bei der Wahrheit!)

    — Herr Ehmke, auf Grund unserer Herkunft, gerade auch der christlichen Herkunft, wissen wir, wie auch Sie, sehr genau, daß dies nicht eine Welt ist, die das Paradies auf Erden herbeiführt; es ist nicht das Traumziel von Christdemokraten, sondern von Sozialdemokraten, das Paradies auf Erden schaffen zu wollen —,

    (Dr. Ehmke [SPD] : Das war sehr christlich! — Weitere Zurufe von der SPD)

    wer in unserem Staate duldet, daß starke Gruppen unsere Wirtschaftsordnung, das vorhandene System, als morsch und überholt ansehen, tagtäglich so kritisieren, wie dies geschehen ist, der sitzt in der Tat auf einem gefährlichen Tiger.
    Meine Damen und Herren, wer im Interesse einer sogenannten permanenten Veränderung die Reformbedürftigkeit des Staates, die wir alle doch bejahen, zum politischen Credo erhebt, wer duldet, daß dieser Staat immer wieder, Jahr für Jahr madig gemacht wird, der darf sich doch nicht wundern, wenn bei einer nicht geringen .Zahl junger Leute natürliche Skrupel gegenüber Gewaltsamkeit abgebaut werden, wenn sittliche Barrieren eingerissen werden.
    Wenn — Herr Bundeskanzler, Sie haben das heute angesprochen; lassen Sie uns das ganz klar austragen — bekannte Männer der Literatur, Hochschullehrer, Theologen Rechtfertigungen und Begründungen für eine angeblich politisch und moralisch erlaubte Gegengewalt liefern, müssen Sie sich als führender deutscher Sozialdemokrat, als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland doch klar und deutlich mit Nennung von Roß und Reiter von diesen Leuten lossagen, auch wenn sie gestern und vorgestern Helfer Ihrer Wählerinitiative gewesen sind!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben es doch mit geduldet, daß jahrelang die klassische Aufgabe des Staates, Recht und Ordnung zu sichern und damit auch das Glück des Bürgers zu schützen, nur noch sehr schamhaft und nur noch gelegentlich als zentrale Aufgabe herausgestellt wurde. Wer aber, meine Damen und Herren, Recht und Ordnung nicht mehr als zentrale Aufgabe des Staates begreift, wer nicht zu sagen wagt, daß nur ein wirklich starker Staat mit Autorität — nicht ein autoritärer Staat, sondern ein Staat mit Autorität! — die Freiheit seiner Bürger sichern kann, der baut doch ganz selbstverständlich das Eintreten der Bürger für diese Rechtsordnung ab, und der braucht sich über den Verfall von Bürgersinn im Lande nicht mehr zu wundern. Die Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien ist uns allen — in allen demokratischen Lagern — aufgegeben. Den Rechtsstaat zu schützen, ist nicht nur den Strafverfolgungsbehörden und der Polizei aufgetragen,

    (Erhard [Bad Schwalbach] : [CDU/CSU] : Sehr richtig!)




    Dr. Kohl
    und doch gibt es eine sich verbreitende fatale Meinung, das sei Sache der Behörden, ,der Polizei oder der Justiz. Dort werden eine Staatsgesinnung und ein Staatsethos vorausgesetzt, die eben ein entsprechendes inneres Engagement der Bürger bedingen. Sie, die Sie jetzt so lachen, haben sich lange genug an der Verteufelung auch der Ordnungskräfte beteiligt; Sie sollten da gar nichts sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich will hier nicht auf diesen törichten Streit, ob die Baader/ Meinhof-Gruppe eine Gruppe oder eine Bande ist, eingehen; ich will in diesem Zusammenhang zu vielem von dem, was Sie von diesem Pult aus in diesen Jahren gesagt haben, gar nichts weiter sagen.
    Ich finde es sehr eindrucksvoll — dafür sind wir dankbar —, daß die beiden Kirchen in diesen Tagen in ihren Erklärungen festgestellt haben, um was es geht. Ich zitiere wörtlich aus der Erklärung der katholischen Bischöfe:
    Die Begrenztheit des Menschen und die Wirklichkeit des Bösen wurden nicht mehr gesehen . .. Hand in Hand damit ging eine zynische Herabsetzung der Grundwerte und der Grundhaltungen eines menschenwürdigen Lebens. Von manchen Kathedern unserer Hochschulen und Universitäten werden seit Jahren Theorien
    der Verweigerung und der Gewalt gegen die fortgeschrittenen Industriegesellschaften gelehrt und empfohlen ... In Massenmedien und selbst im Unterricht gab und gibt es Versuche, unseren Staat, seine Verfassung, seine Gesetze und seine Vertreter herabzusetzen und lächerlich zu machen.
    Meine Damen und Herren, der Text spricht für sich. Er entspricht der Erfahrung der riesigen Mehrheit der Bürger unseres Landes. Ich will darauf verzichten, solche Beispiele intellektueller Verwahrlosung im einzelnen zu nennen. Sie alle kennen sie genug.
    Aber, meine Damen und Herren, ich bin strikt dagegen, daß jetzt in dieser Nebelwand über all das, was mit zu dieser Heimsuchung geführt hat, geschwiegen wird. Es gibt — und jeder, der um die geistige Zukunft dieses Landes besorgt ist, wird sich damit auseinandersetzen müssen — einen sehr interessanten Aufruf des Vorstands der Humanistischen Union, einen offenen Brief an den Herrn Bundespräsidenten. Darin steht manches, was sehr bedenkenswert ist. Aber, meine Damen und Herren, ich vermisse in diesem Brief, daß man sich mit dem, womit wir uns jetzt beschäftigen müssen, kräftig, entschlossen und entschieden auseinandersetzt. Das Problem der Bundesrepublik ist nicht eine Hexenjagd auf Intellektuelle. Wer bläst denn zu dieser Hexenjagd?

    (Konrad [SPD] : Wer denn?)

    — Sie werden gleich auf Ihre Rechnung kommen. Ich wäre etwas zurückhaltend.
    Wer bläst denn zu einer Hexenjagd?

    (Zuruf von der SPD: Die CDU!)

    Wo geht denn in der Bundesrepublik McCarthy um?

    (Friedrich [Würzburg] [SPD] : Herr Spranger! Nirgendwo. Eines muß doch gesagt werden: Wir als Demokraten bejahen alle den kritischen Dialog mit den Intellektuellen. Aber gerade, wenn wir — und ich sage das ganz klar und deutlich als Vorsitzender der Unionsfraktion und Vorsitzender der CDU — zu diesem Dialog ja sagen, erfordert das auch Offenheit und Fairneß auf der anderen Seite. Da gibt es doch keinen Sondertatbestand. Wer für sich in Anspruch nimmt — ich bin bereit, diese Vorgabe zu machen —, in jenen Bereichen, die die Menschen bewegen, besonders sensibel zu sein, und diese Bereiche zum Ausdruck bringen zu können, der muß sich auch entsprechend befragen lassen. Intellektuelle sind doch zunächst Bürger dieses Landes. Sie stehen doch nicht unter einem positiven oder negativen Sondergesetz. Sie sind Bürger wie jeder von uns auch. Dies ist die Stunde der Herausforderung des freiheitlichen Rechtsstaats, der die Kraft und den Einsatz und das Engagement seiner Bürger braucht, auch jedes einzelnen Intellektuellen in unserem Land. Jetzt gilt es, Partei zu ergreifen für diesen Staat. Wenn man mitten in diesem Staat lebt — weil mir keine sozialistischen Neidgefühle eigen sind, sage ich sogar ohne Scheu: wenn man in diesem Staat als Intellektueller gut lebt —, dann könnte man doch eigentlich erwarten, daß man sich zunächst mit der Gefahr auseinandersetzt und nicht damit, daß man irgend jemandem zu nahe getreten sein könnte, vor allem, wenn es um solche Leute geht, die in der Wahl ihrer Mittel, anderen zu nahe zu treten, wahrlich nicht zimperlich sind. Lesen Sie doch einmal nach, was in dieser Woche Ihr großer Trommler für die Wahl, (Dr. Stark [Nürtigen] [CDU/CSU] : Jetzt sind sie Mimosen!)


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Günter Grass, in der „Frankfurter Rundschau" in einem Interview gesagt hat. Das ist ein lesenswertes Interview, weil es eine Welt aufhellt, die mit der Bundesrepublik nur noch sehr bedingt etwas zu tun hat. Ich bin nicht dagegen, daß ein Schriftsteller in Visionen denkt; aber dies ist eine schlimme Vision. Dies ist nicht unsere, nicht meine Bundesrepublik — wenn ich das ganz persönlich, als einzelner Bürger für mich sagen darf. Ich zitiere ihn wörtlich. Herr Grass sagt auf die Frage „Und wie hat ein Günter Grass in dieser Situation" — das ist die Gesamtlage, die angesprochen ist — „reagiert?" folgendes:

    (Dr. Sperling [SPD]: Jetzt generalisieren Sie!)

    Ich bin seit einigen Wochen unterwegs, merke die Beklommenheit und Unsicherheit in diesem Lande. Ich spüre, wie froh viele junge Menschen sind, wenn überhaupt noch jemand den Mut hat



    Dr. Kohl
    — für mich ist es eine Selbstverständlichkeit —, über das zu sprechen, was die jungen Leute bedrückt: Radikalenerlaß, Jugendarbeitslosigkeit, Alternativlosigkeit,
    — das sind alles Vorwürfe an Sie, Herr Bundeskanzler -
    nicht motiviert sein für irgend etwas. Von Ausnahmen abgesehen, werden aber solche Gespräche weitgehend ausgespart,
    — und jetzt kommt die entscheidende Stelle —
    und dafür wird etwas getan, was uns, wenn Dregger und Strauß jemals Regierungsgewalt bekommen, rechtlich gesehen, ins Mittelalter zurückwerfen würde.

    (Zuruf von der SPD) — Ja, Sie klatschen dazu.


    (Frau Dr. Timm [SPD] : Wir klatschen doch gar nicht! — Dr. Marx [CDU/CSU] : Er weiß gar nicht, was Mittelalter ist!)

    — Ich muß Ihnen sagen: Wenn ich Sie betrachte, muß ich das Mittelalter gegen Sie in Schutz nehmen. Das ist die erste Feststellung, die ich hierzu zu treffen habe.

    (Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, das ist jetzt wirklich keine ironische Betrachtung. Das führt in eine ganz andere Dimension. Was geht im Kopf dieses Mannes vor, wenn er in einer solchen Weise Haß sät? Etwas anderes als blanker Haß ist es nicht, der hier gesät wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich bringe ein anderes Beispiel. Herr Bundeskanzler, Sie und ich und eine Reihe von Kollegen sind in diesen Wochen, in dieser besonders schlimmen Zeit nach der Entführung von Dr. Hanns Martin Schleyer oft zusammen gewesen. Wir haben — ich darf das einmal so salopp sagen, ohne mißverstanden zu werden —

    (Stahl [Kempen] [SPD] Sie reden überhaupt salopp!)

    beinahe hautnah immer wieder mit den führenden Repräsentanten unserer Kriminalpolizei und wichtigen Repräsentanten der Ordnungsmacht des Staates zusammengesessen. Wir haben erlebt, wie diese Beamten und wie die vielen Beamten draußen bis zum letzten ihre Pflicht tun, und dafür haben wir ihnen zu danken. Nun lesen wir alle, Woche für Woche, seit Jahren, einen „Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten". Dieser Informationsdienst ist nicht eingestellt worden, er kommt jede Woche heraus.

    (Zuruf des Abg. Dr. Sperling [SPD])

    — Herr Kollege, bevor Sie dazwischenrufen, sollten Sie sich erst einmal um den Gegenstand bemühen. — In diesem Informationsdienst, der in einer ziemlich großen Auflage herauskommt, wird im wesentlichen aus den Gefängnissen der Bundesrepublik berichtet, die in der Sprache des Terrorismus als Lager bezeichnet werden, um den politischen Anspruch deutlich zu machen.
    Jetzt lese ich Ihnen etwas aus einer Nummer vor, die acht Tage nach der Ermordung von Siegfried Buback herausgekommen ist. Der Bericht kommt aus dem „Lager Tegel" ; das ist die Strafvollzugsanstalt in Tegel. Ich zitiere wörtlich:
    Wahrlich, die Gefangenen hatten und haben bei diesem Anlaß Grund zum Jubeln, da sie, also wir, diese Verbrechen, Schikanen und praktischen Selbstmorde täglich am eigenen Leib verspüren, für die einzig und allein Siegfried Buback als letzter Mann dieses mörderischen deutschen Justizapparates in hohem Maße die Schuld und Verantwortung trug. Buback war und ist für uns eine Verkörperung für deutschen Faschismus und Sadismus innerhalb der Bundesrepublik und West-Berlins. Die Hinrichtung von Siegfried Buback war und ist eine unmißverständliche Warnung an alle jene Faschisten, die skrupellos wie vor 35 Jahren schon wieder unschuldige Menschenleben zerstören und vernichten. Nun endlich muß es diesen zweibeinigen Raubtieren langsam dämmern, klargeworden sein, daß keiner von ihnen früher oder später der gerechten Strafe des Volkes entgeht.

    (Dr. Sperling [SPD] : Warum lesen Sie das vor? Wollen Sie sagen, daß wir damit etwas zu tun haben?)

    Der Text ist schlimm genug. Aber die Zusammensetzung des Beirates dieses ID, meine Damen und Herren von der SPD, ist noch schlimmer. Ich will nicht alle Namen vorlesen, aber ich will von diesem Pult aus sagen: Daß Helmut Gollwitzer bis zur Stunde diesem Beirat angehört, ist eine Schande für die intellektuelle Redlichkeit.

    (Pfui-Rufe und Beifall bei der CDU/CSU)

    Gerade weil wir uns leidenschaftlich, offen und unvoreingenommen mit den Intellektuellen — soweit es sie überhaupt in dieser Verallgemeinerung gibt — auseinandersetzen wollen, können wir nicht hinnehmen, daß derartige Auswüchse schlimmster Art — auch im Blick auf die betroffenen Familien — ungerügt durchgehen. Dieser Deutsche Bundestag hat überhaupt nicht die Aufgabe einer intellektuellen Vergangenheitsbewältigung. Aber wir haben die Pflicht, im Plenum des Bundestages deutliche Worte zu staatlichen Verlautbarungen zu sagen, in denen Konflikttheorien, parteiische Geschichtsklitterung, ein ideologisch einseitiges Gesellschafts- und Verfassungsverständnis übernommen werden. Dies alles muß jetzt angesprochen und ausgetragen werden. Denn wir können uns weder Experimente noch falsch verstandene Toleranz leisten. Wir müssen aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Das ist das Gebot der Stunde.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Gerade in der Erziehung junger Leute dürfen wir das Feld nicht den Ideologen überlassen, die alles für machbar halten und die sich das vermessene Ziel setzen, einen neuen Menschen für eine neue Gesellschaft nach ihrem Bilde heranzuzüchten. Allzu lange, viel zu lange ist einer oft niederträchtigen Systemkritik, ist Forderungen nach Systemüberwin-



    Dr. Kohl
    dung, ist der Denunziation unserer Verfassungsordnung interessierte Toleranz entgegengebracht worden. Die sie vorbrachten, waren auf dem besten Wege, alle anderen mundtot zu machen. Es muß klar sein, daß diese destruktive Kritik weder fortschrittlich noch progressiv ist noch irgendeinen Wert hat, wie überhaupt Veränderung an sich keinen Wert darstellen kann. Kein politisches Ziel, keine Gewalt, kein Terror ist zu rechtfertigen.
    Ich will mit einem Satz des Züricher Philosophen Hermann Lübbe schließen, eines großen Sozialdemokraten, wie Sie wissen, der an die Adresse der allzu toleranten 'Bewunderer kritischer Intelligenz folgendes sagte:
    Verächtlich machen sich Gemeinwesen, die den Angriff auf ihre rechtlichen und moralischen Grundlagen, anstatt ihn abzuwehren, zum Ausdruck einer höheren Form kritischen Bewußtseins emporloben.
    Verächtlich wird, wer Tritte, die man ihm versetzt, „unbequem" nennt und die Tretenden ihrer kritischen Gesinnung wegen rügt.
    Verächtlich macht sich, wer jede politische Provokation sich bieten läßt, weil er nicht wahrhaben möchte, daß es Leute gibt, deren politische Feindschaftserklärung wirklich ernst und total gemeint ist.
    Dieses Zitat muß doch eigentlich jeden anrühren. Wir, meine Damen und Herren in diesem Saal, die Mitglieder des Deutschen Bundestages, werden vor _der Geschichte einmal nicht am politischen Urteil dieses oder jenes literarischen Zeitgenossen gemessen, sondern daran, ob wir den inneren und äußeren Frieden, der diesem Lande und seinen Bürgern Freiheit, Sicherheit und Wohlstand gebracht hat, entschlossen, mutig und wirksam gegen alle Feinde verteidigt haben.

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)