Rede von
Dr.
Ludolf-Georg
von
Wartenberg
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, wenn man während der letzten Monate die steuerpolitische Diskussion Ihrer Seite beobachtet hat, muß man annehmen, ein nur an ruhige Binnengewässer gewöhnter Segler sei plötzlich auf hoher See in den stürmischen Wind geraten; das Staatsschiff kommt nicht voran, es stampft und ächzt, das Segel flattert — man sagt auch „killt" —, die Wellen schütteln die Mannschaft durcheinander, ein geschlossenes Handeln ist nicht mehr möglich, und der Steuermann paddelt mal auf backbord, mal auf steuerbord — natürlich überwiegend auf backbord, weil das links ist —;
anstatt das Ruder herumzureißen und die Segel richtig zu stellen — und jede Wende erfordert Herz
und Mut —, riskiert man das Kentern des Bootes.
Meine Damen und Herren, bei der Ausgangslage der heutigen Steuergesetze sind wir uns in der Bewertung einig. Es geht darum, mehr Nachfrage zu schaffen, Impulse zu schaffen, Triebkräfte für die Konsum- und die Investitionsnachfrage zu schaffen. Aber bei der Bewertung dieser Entwicklung widersprechen Sie sich laufend. Einige von Ihnen reden plötzlich von einem langfristigen Strukturwandel; ich sage, sie reden plötzlich davon, weil sie früher einmal glaubten, mit kurzfristigen Maßnahmen die unmittelbar bevorstehenden Aufschwünge dirigieren zu können. Andere sprechen von einer nicht vorhersehbaren dramatischen konjunkturellen Entwicklung, und diese dramatische konjunkturelle Entwicklung führt zu völlig unterschiedlichen steuerpolitischen Argumenten vor und nach der Sommerpause.
Wir müssen Sie fragen, Herr Diederich: Haben Sie eigentlich in den vergangenen Jahren alle wirtschaftswissenschaftlichen Gutachten, haben Sie die Prognosen gelesen? Hören Sie bei den Debatten in diesem Hause eigentlich zu? Wir sind ja gezwungen, immer wieder dasselbe zu sagen, weil Sie nicht glauben, daß das, was wir vor zwei Jahren und vor einem Jahr vorausgesagt haben, eingetreten ist.
Frau Matthäus, wir sind uns darin einig, daß es an Nachfrage fehlt. Aber wenn man meint, daß die klassischen Konjunkturinstrumente versagt haben, muß ich sagen, das stimmt nicht. Die klassischen Konjunkturinstrumente wurden ja, wenn überhaupt, viel zu spät eingesetzt. Und wenn man von klassischen Konjunkturinstrumenten spricht, dann denken Sie immer nur an deficit spending, an Schuldenmachen, an Staatsaufträge. Es gehört aber auch die andere Seite dazu. Der Staat wird nämlich zum Träger einer negativen Konjunkturentwicklung, wenn er den privaten Spielraum immer mehr einengt, wenn er den Investoren den Mut zum Wagnis nimmt, wenn er den privaten Konsumenten Sorge um die Zukunft auferlegt. Insoweit wird man nur dann Erfolg haben können, wenn es gelingt, das Vertrauen in eine langfristig angelegte Steuer- und Wirtschaftspolitik wiederherzustellen.
Gerade die Steuerpolitik der letzten zwölf Monate ist doch ein beredtes Beispiel für die Widersprüche, für die Hektik, für die Stop-and-go-Politik des Herrn Bundesfinanzministers. Vor der Wahl waren Sie gegen die Mehrwertsteuererhöhung. Nach der Wahl kündigten Sie diese Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar 1977 an. Dann legten Sie dem Bundestag einen 2%igen Erhöhungsvorschlag zum 1. Januar 1978 vor, und zwar aus haushaltspolitischen Gründen. In der Sommerpause stimmen Sie einem 1 %igen Steuererhöhungsvorschlag bei vollem Ausgleich zu; von Haushaltspolitik war überhaupt keine Rede mehr. Danach verkündeten Sie Ruhe an der Steuerfront. Vierzehn Tage später verkündeten Sie Steuererleichterungen für das Wahljahr 1980. Nach der Sommerpause spekulierten Sie mit ihren Fraktionskollegen bereits über Steuererleichterungen für das nächste Jahr. Während der Beratungen des vorliegenden Steuerpaketes geben Sie zu überlegen, ob man die Steuergesetze nicht jedes Jahr ändern sollte. Meine Damen und Herren, heute weiß doch jeder von uns, daß der vorliegende Steuergesetzentwurf das Klassenziel so nicht erreichen wird. Spätestens morgen werden auch Sie wissen, daß die Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar 1978 konjunkturpolitisch verfehlt sein wird.