Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren! Mit Ergriffenheit und Trauer
hat das deutsche Volk die Kunde vom Tod Seiner Heiligkeit, Papst Pius XII., vernommen. Als am 9. Oktober die Todesnachricht in der Bundeshauptstadt eintraf, richtete ich folgendes Telegramm an den Dekan des Heiligen Kollegiums, Kardinal Tisserant:
Euer Eminenz, dem Heiligen Kollegium und der gesamten katholischen Christenheit spreche ich im Namen des Deutschen Bundestages sowie im eigenen Namen die herzlichste Anteilnahme am Tode des Heiligen Vaters aus. Mit Seiner Heiligkeit, Papst Pius XII., verliert nicht nur die katholische Kirche, sondern die ganze Christenheit, ja die Menschheit eine führende Gestalt, die sich besonders im Ringen um die Erhaltung und Sicherung des Friedens geschichtliche Verdienste erworben hat. Das deutsche Volk hat das große Verständnis und die tatkräftige Hilfe nicht vergessen, die ihm der Heimgerufene schon als langjähriger diplomatischer Vertreter des Heiligen Stuhls in Deutschland allezeit hat zuteil werden lassen. Ich bin daher gewiß, daß nicht nur die katholische Christenheit in Deutschland, sondern das gesamte deutsche Volk Seiner Heiligkeit stets ein dankbares Gedenken bewahren wird.
Ich setze das Haus davon in Kenntnis, daß ich gleichzeitig und im gleichen Sinne dein Herrn Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Frings, die Anteilnahme des Deutschen Bundestages ausgesprochen habe.
Kardinal Aloisi Masella hat mir folgendes Antworttelegramm gesandt, das ich hiermit dem Haus zur Kenntnis bringe:
Für die innige Anteilnahme an der Trauer über den Heimgang unseres Heiligen Vaters Papst Pius XII., die Sie, hochgeehrter Herr Präsident, im eigenen Namen wie im Namen des Deutschen Bundestags zum Ausdruck brachten, indem Sie gleichzeitig die überragende Gestalt
des hohen Entschlafenen würdigten, spreche ich Ihnen seitens des Heiligen Kollegs tiefempfundenen Dank aus.
Sie haben sich stellvertretend für das ganze deutsche Volk zu Ehren des Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren! Ich gebe bekannt: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen die Punkte 1 und 2 von der heutigen Tagesordnung abgesetzt und als Punkte 3 und 4 der Tagesordnung für Freitag, den 17. Oktober, vorgesehen werden. — Ich unterstelle, daß das Haus damit einverstanden ist; wir verfahren dementsprechend.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen.
Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat unter dem 30. September 1958 die Kleine Antrage der Fraktion der FDP betreffend Gewährung von Mitteln zum wirtschaftlichen Nutzen der Rentenberechtigten, Versicherten und ihrer Angehörigen, insbesondere zur Förderung der Erstellung von Wohnungen und Eigenheimen für die versicherte Bevölkerung beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 550 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dein 1. Oktober 1958 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Strafverfolgung von Verwaltungsangehörigen der Bundesministerien beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 552 verteilt.
Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 3. Oktober 1958 gemaß § 6 Abs. 5 Satz 2 des Zuckergesetzes in der Fassung vom 3. Oktober 1951 die Verordnung Z Nr. 5/58 über Preise für Zuckerrüben der Ernte 1958 zur Kenntnisnahme übersandt. Die Verordnung liegt im Archiv zur Einsichtnahme aus.
Der Herr Bundeskanzler hat unter denn 3. Oktober 1958 gemäß § 20 Abs. 5 des Milch- und Fettgesetzes in der Fassung vom 10. Dezember 1952 die Verordnung M Nr. 2/58 zur Änderung der Verordnung M Nr. 1/58 über Preise für inländischen Raps und Rübsen zur Kenntnisnahme übersandt. Die Verordnung liegt im Archiv zur Einsichtnahme aus.
Das Wort zur Tagesordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der sozialdemokratischen Fraktion beantrage ich, den Antrag Drucksache 561 auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung zu setzen. Hiernach soll die Bundesregierung den Bericht über die Lage der Rentenversicherung, der bis 30. September dieses Jahres zu erstatten war, am Freitag, dem 17. Oktober, unter Punkt 1 der Tagesordnung vortragen.Nach den Rentenneuregelungsgesetzen hat die Bundesregierung vier Verpflichtungen. Sie hat erstens bis zum 30. September über die Finanzlage der Rentenversicherung zu berichten. Sie hat zweitens bis zu diesem Zeitpunkt über die Entwicklung der Produktivität und des Volkseinkommens für 1957
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2476 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1958
Dr. SchellenbergBericht zu erstatten, drittens das Gutachten des Sozialbeirats dein Hause vorzulegen und viertens dem Hause Vorschläge für die Anpassung der Renten der Arbeiter, Angestellten und Bergleute zu machen.Die Bundesregierung hat diese Verpflichtung bis heute nicht erfüllt. Sie hat schon zum zweiten Male auf dem Gebiet der Rentenleistungen gesetzlich festgelegte Termine mißachtet. Sie sollte bis zum 30. Juni 1957 die Vorschriften über die Erhöhung der Tabellenrenten des Fremdrentengesetzes, die für viele Heimatvertriebene und Flüchtlinge von großer Bedeutung sind, durch Rechtsverordnung bekanntmachen. Die Bundesregierung hat weder diese Rechtsverordnug noch die angekündigte Novelle zum Fremdrentengesetz vorgelegt.Nunmehr hat der Herr Bundeskanzler, wie wir gestern erfahren haben, dem Herrn Bundestagspräsidenten mitgeteilt, daß sich die Berichterstattung nach den Rentenneuregelungsgesetzen verzögern würde, weil die letzten Rechnungsergebnisse aus dem Jahre 1958 zugrunde gelegt werden sollten. Das ist, gelinde gesagt, eine Ausrede, und zwar deshalb, weil die Finanzlage der Rentenversicherung nicht ungünstiger, als bei Verabschiedung der Gesetze von der Bundesregierung dem Hause mitgeteilt wurde, sondern im Gegenteil unerwartet viel günstiger ist. Nach der Vorlage der Regierung sollte nämlich der Überschuß für 1957 189 Millionen DM betragen; er stellt sich in der Tat für 1957 auf 1748 Millionen DM. Er beträgt also das Neunfache der von der Bundesregierung vorgenommenen Schätzung.Die Tatsache, daß der Bericht der Bundesregierung über ihre Vorschläge zur Anpassung noch nicht vorliegt, hängt auch mit dem Sozialbeirat zusammen. Nach den Rentengesetzen war von der Bundesregierung ein Sozialbeirat zu berufen. Sie hat diesen Beirat erst am 17. März 1958, also mit einer Verzögerung von über einem Jahr, berufen. Die Bundesregierung trägt deshalb die volle Verantwortung dafür, daß der Beirat seine Arbeiten noch nicht abschließen konnte.Wie wir heute aus Pressemitteilungen entnehmen, will die Bundesregierung — offenbar unter dem Druck unseres Antrags — heute einen Beschluß über die Rentenanpassung fassen. Das ist sehr interessant. Aber entscheidend für dieses Haus ist die Vorlage des Berichts und der Vorschläge zur Rentenanpassung nach den Vorschriften der Rentenneuregelungsgesetze.Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen und die Bundesregierung zu ersuchen, am Freitag dieser Woche den Verpflichtungen nachzukommen, die sie nach den gesetzlichen Vorschriften bereits bis zum 30. September hätte erfüllen müssen. Gesetzlich festgelegte Termine sind für jeden Staatsbürger verbindlich. Das muß in besonderem Maße für die Bundesregierung gelten, die verfassungsrechtlich zur Wahrung der Gesetze verpflichtet ist.
Herr Abgeordneter Schellenberg, ich habe Sie hoffentlich so richtig verstanden, daß Sie meinen, daß der Antrag Drucksache 561 auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gesetzt werden soll.
— Das ist also zunächst Ihr Ziel. Wir werden nachher darüber abstimmen.
Das Wort zur Tagesordnung hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie namens meiner politischen Freunde der Fraktion der CDU/CSU, den Antrag, den Kollege Schellenberg begründet hat, abzulehnen. Ich begründe diese Ablehnung wie folgt: Es ist zwar das gute Recht und auch durchaus verständlich, wenn die Opposition keine Gelegenheit ungenutzt läßt, der Bundesregierung und in dem weiteren Verlauf den Regierungsparteien, aber hier konkret der Bundesregierung, Vorwürfe zu machen, daß sie mal wieder nicht täte, was sie hätte tun sollen. Aber, meine verehrten Damen und Herren, so liegen ja die Dinge im vorliegenden Falle eigentlich nicht.Ich möchte mir zunächst die Bemerkung erlauben und bitte, mir das nicht zu verübeln: Wenn die verehrliche Opposition etwas weniger mit Großen Anfragen und mit Einzelanträgen und kleineren Gesetzentwürfen am Rande hier dem Hause diente, dann würde auch die Bundesregierung nicht so in ihrer Arbeit behindert und gehemmt.
Die Bundesregierung könnte dann ihre — —
— Ja, warum sollen Sie nicht mal lachen, meine Herren? Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß dann die Bundesregierung etwas zügiger und unbehinderter arbeiten könnte.
Es ist sicherlich eine bedauerliche Tatsache, daß der Termin, der 30. September, der im Gesetz festgelegt ist, verstrichen ist, ohne daß das Hohe Haus die erforderlichen Unterlagen erhalten hat.
Aber die Schuld dafür liegt primär nicht bei der Bundesregierung,
sondern in der Tatsache, daß der Sozialbeirat zwarvor dem 30. September einen Beschluß gefaßt hat,sich aber nun nicht einig darüber werden kann, welche Begründung er diesem seinem Beschluß an die Bundesregierung beifügen soll. Wenn man sich
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1958 2477
Horndie Dinge so ansieht, könnte man beinahe in Zweifel darüber geraten, ob der Sozialbeirat, den wir seinerzeit beschlossen haben, wirklich gut zusammengesetzt ist, wenn die Mitglieder sich derart streiten und mit der Begründung zu einem bereits gefaßten Beschluß nicht zu Rande kommen.Aber, meine verehrten Damen und Herren, Sie brauchen sich gar nicht so aufzuregen.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat seinerseits nichts versäumt. Er hat bereits im Monat September, ohne das Gutachten des Beirats abzuwarten, seinen Bericht und seinen Gesetzentwurf an das Kabinett eingereicht. Er hat also seinerseits nicht in Verzug kommen wollen.Nehmen Sie, bitte, davon Kenntnis - ich jedenfalls bin vorhin darüber unterrichtet worden —, daß das Bundeskabinett in seiner heutigen Sitzung den Bericht und den Gesetzwurf beraten bzw. beschlossen hat und daß sowohl Gesetzentwurf als auch Bericht sich inzwischen schon auf dem Wege zum Bundesrat befinden.
Das Gesetz wird also in Kürze bei uns sein. Verehrter Herr Kollege Schellenberg, Sie brauchen sich also Ihr Verdienst gar nicht so hoch anzuschreiben und so zu tun, als sei das unter dem Druck Ihres Antrages geschehen.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat seinen Bericht und seine Vorlage bereits zu einem Zeitpunkt gemacht, als Sie Ihren Antrag wahrscheinlich noch gar nicht formuliert hatten.Ich wiederhole deshalb meinen Antrag und bitte das Hohe Haus, dem Antrag der SPD nicht stattzugeben.
Das Wort zur Tagesordnung hat der Abgeordnete Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist bestimmt mißlich und nicht in Ordnung, daß die Bundesregierung den Bericht nicht fristgerecht vorgelegt hat. Trotzdem schließen wir uns dem Antrag der SPD-Fraktion nicht an. Allerdings stimmen wir nur zum Teil den Gründen zu, die der Herr Kollege Horn vorgetragen hat. Bevor Herr Kollege Horn seine Ausführungen über die Funktion der Opposition gemacht hat, hat er offenbar, statt in unser Grundgesetz, in die neue Verfassung eines Nachbarlandes geschaut.
Nach unseren Vorstellungen — wir hatten schon
öfter Gelegenheit, das zu betonen — ist es nicht
die Aufgabe der Opposition, brav und ruhig zu sein.
Es ist vielmehr ihr Recht, Anträge zu stellen und Anfragen einzubringen. Sicher waren wir mit vielen Anträgen und Anfragen der SPD in der Sache keineswegs einverstanden, aber wir nehmen es ihr nicht übel, daß und wieviel Anträge sie gestellt hat. Im übrigen gibt es einen § 109 in der Geschäftsordnung, der den Fall regelt, daß zu viele Große Anfragen eingehen. Da steht nämlich drin, daß sie dann auf einen bestimmten Tag der Woche gelegt werden. Es ist uns aber noch nie vorgekommen, daß wir in jeder Woche Große Anfragen zu behandeln gehabt hätten. Man kann also wirklich nicht sagen, daß hier zuviel des Guten oder Schlechten getan wird.
— Ja, erfreulicherweise.
Doch zurück zur Sache. Wir sehen in diesem Falle ein, daß die Begründung, die die Bundesregierung für die Verzögerung gibt, nicht ganz von der Hand zu weisen ist, insbesondere der Wunsch, den Zeitraum his zum 30. September in die Berichterstattung einzubeziehen. Allerdings möchten wir wünschen, daß in dem Brief, den die Bundesregierung an die Fraktionen geschrieben hat und in dem sie ankündigt, daß sie den Bericht demnächst erstatten werde, das Wort „voraussichtlich" vor den Worten „im Monat Oktober" gestrichen wird. Wir gehen also davon aus, daß der Bericht nun bestimmt im Monat Oktober erstellt wird.
Unter dieser Voraussetzung halten wir es nicht für erforderlich, heute darüber zu diskutieren.
Ich lasse abstimmen, meine Damen und Herren, nicht über den Antrag selbst, sondern darüber, ob er auf die heutige Tagesordnung gesetzt werden soll. Wer diesem Antrag des Abgeordneten Schellenberg zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. —Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.Ehe wir fortfahren, möchte ich namens des Hauses unseren Kollegen Schoettle willkommen heißen.
Ich sehe ihn nach langer Krankheit wieder wohlbehalten unter uns sitzen und wünsche ihm und dem Haushaltsausschuß in den nächsten Jahren ein gedeihliches und erfreuliches Zusammenarbeiten ohne weitere gesundheitliche Störungen.
Eine interfraktionelle Vereinbarung ist in aller Eile darüber zustande gekommen, daß die erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs des Gesetzes über „unveränderte Rohmilch", die auf der Tagesordnung von morgen steht, vorgezogen und heute als letzter Punkt der
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Präsident D. Dr. GerstenmaierTagesordnung aufgerufen werden soll. Ich hoffe, daß das Haus damit einverstanden ist. Morgen werden nämlich der Herr Ernährungsminister und sein Staatssekretär, wie sie mir glaubhaft mitgeteilt haben, durch anderweitige Inanspruchnahme verhindert sein. — Das Haus ist damit einverstanden.Damit, meine Damen und Herren, treten wir in die Tagesordnung ein. Die Punkte 1 und 2 sind für heute gestrichen.Ich rufe auf Punkt 3 a und b:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und über die Gewinn- und Verlustrechnung ;b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerrechtliche Maßnahmen bei Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln .Wenn ich recht verstanden habe, soll die Debatte über beide Gesetzentwürfe miteinander verbunden werden. Ich frage zunächst, ob das Wort zur Begründung gewünscht wird. — Der Herr Bundesfinanzminister hat das Wort zur Einbringung der beiden Vorlagen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Punkt 3 a der Tagesordnung fällt an sich in die Zuständigkeit des Herrn Bundesjustizministers. Ich will, da er noch nicht hier sein kann, die Begründung mit übernehmen.Das Gesetz über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und über die Gewinn- und Verlustrechnung hat einen inneren Zusammenhang mit den Gesetzen, die wir zur Verstärkung des Kapitalmarkts eingebracht haben. Eine große Zahl von Gesellschaften sind unterkapitalisiert, d. h. ihr Nominalkapital steht in einem Mißverhältnis zu ihrem Vermögen, das dementsprechend in einem betriebswirtschaftlich nicht vertretbaren Umfang mindestens formell mit Fremdkapital finanziert ist. Soweit das Eigenkapital, nämlich das Nominalkapital zuzüglich der offenen Reserven, als Kapitaldecke genügt, bietet sich die Möglichkeit an, das Nominalkapital durch Umbuchung auf einen angemessenen Stand zu bringen. Betriebswirtschaftlich dagegen sind Reserven zusätzliches Eigenkapital, und der Gesetzgeber befindet sich daher in Übereinstimmung mit der Wissenschaft, wenn er diese Möglichkeit eröffnet und die „Theorie der Doppelmaßnahme" aufgibt. Hier liegt das Problem der Doppelbesteuerung: daß nämlich der Teil des Gewinns, der der Gesellschaft verbleiben soll, nach den jetzigen Vorschriften herausgenommen, versteuert und dann wieder eingebracht werden muß. Das soll durch diese Maßnahme verhindert werden. Ich möchte aber ergänzend sagen, daß ohne die von der Bundesregierung eingebrachte gesetzgeberische Maßnahme praktisch diese Erhöhung der offenen Reserven zu Haftkapital nicht durchgeführt werden wird. Das Ziel ist, die Bilanzen wieder wahrhaftiger zu machen, als sie es augenblicklich sind.Der Umstand, daß die Kapitalerhöhungen aus bereits versteuerten Gesellschaftsmitteln und die ihr entsprechende Zuweisung der jungen Aktien an die Aktionäre bei diesen keine Steuerpflicht auslösen sollen, hat Kritik an diesem Vorhaben hervorgerufen. Dazu ist zu bemerken, daß die Aktionäre lediglich eine Urkunde über etwas erhalten, was bisher schon ihr Eigentum war. Der Substanzwert der alten Aktien sinkt im selben Verhältnis, wie das nominelle Aktienkapital durch Ausgabe junger Aktien verwässert wird. Der Gesellschaft fließen so weder Mittel zu, noch werden ihr Mittel entzogen; auch das Vermögen der Aktionäre ändert sich nicht.Der Großaktionär, von dem leicht gesagt wird, er sei an der Sache besonders interessiert, ist an der Aufstockung des Aktienkapitals aus den Gesellschaftsmitteln meines Erachtens am wenigsten interessiert. Er betrachtet dank seiner beherrschenden Stellung die Reserven der von ihm beherrschten Gesellschaft, und zwar wirtschaftlich völlig zu Recht, ohnehin als sein Eigentum, über das er mit Hilfe der Organe der Gesellschaft verfügen kann. An einer Dividende aus den jungen Aktien ist er primär nicht so sehr interessiert, wie man oft annimmt. Je nach seinen persönlichen Verhältnissen ist nämlich durchaus denkbar, daß die Besteuerung des als Dividende ausgeschütteten Gewinns bei der Gesellschaft und beim Großaktionär zusammen höher ist als die eines der Reserve zugewiesenen Gewinns, dessen Verwaltung praktisch im vollen Umfang beim Großaktionär liegt.Die Interessenlage des Kleinaktionärs dagegen ist anders, und um den Kleinaktionär geht es uns. Seine Interessenlage soll gestärkt werden. Die Ausgabe von Aufstockungsaktien ermöglicht es ihm, über eine zugunsten der Gesellschaft gebildete Zwangsersparnis zu verfügen, ohne daß sie der Gesellschaft entzogen wird. An einer Dividende ist er grundsätzlich interessiert, schon aus seiner besonderen Lage heraus; er ist ja nicht Beherrscher der Gesellschaft. Es ist unbestritten, daß Einkünfte dieser Art wieder zum überwiegenden Teil über den Kapitalmarkt der Wirtschaft zur Verfügung gestellt werden.Die Tatsache, daß sich das wirksame Kapital der Gesellschaften vermehrt hat, indem das Nominalkapital konstant blieb, während die Reserven zunahmen, hat zu einer Reihe von Mißständen geführt, die wirtschafts- und gesellschaftspolitisch bedenklich sind. Die Gesellschaften hatten die Möglichkeit, mit zunehmenden Mitteln zu wirtschaften, die sie formell nicht zu verzinsen brauchten. Das ist ein sehr wichtiges Anliegen. Daraus ergibt sich ein Wettbewerbsvorsprung gegenüber der mittelständischen Wirtschaft. Daraus ergibt sich die Tendenz, mit den Reserven in vorgeschaltete und nachgeschaltete Wirtschaftsbereiche einzudringen, was leicht zur Betriebs- und Unternehmenskonzentration führt. Schließlich ergibt sich daraus als Konsequenz einesBundesfinanzminister Etzel Selbstfinanzierungsvorgangs eine Verödung des Kapitalmarkts.
Darüber hinaus warf das in Form von Reserven vorhandene Eigenkapital auch Erträge für die Gesellschaft ab. Daraus ergeben sich neue Unzuträglichkeiten. Die ausgeschütteten Dividenden, bezogen auf das Nominalkapital — nicht aber auf das gesamte wirksame Eigenkapital —, lagen wesentlich über dem landesüblichen Zinssatz und führten deswegen zu Mißdeutungen der Ertragslage, die zum Kurswert in keiner Relation stand. So ergibt sich bei einer Aktie zum Kurs von 300 bei 12 % Dividende in Wirklichkeit ein Zinssatz von 4 %. Das muß gesehen werden. Um diese falsche Optik zu vermeiden, sahen sich einzelne Gesellschaften veranlaßt, ihr Nominalkapital aufzustocken. Sie entzogen damit dem Kapitalmarkt Mittel, die sie betriebswirtschaftlich gar nicht nötig hatten.Die Reservenbildung erfolgt außerdem progressiv. Die Erträge der Reserven wurden wieder den Reserven zugeführt. Dadurch entstand praktisch eine viel zu hohe Reservenbildung, die aus vielen Gründen unerwünscht ist. Die angereicherten Reserven führten zu einer Erhöhung der Substanz, die natürlich auch in steigenden Kursen ihren Ausdruck finden mußte. Dadurch wurde der Aktienkurs in einem solchen Umfang angehoben, daß die nötigen Aufwendungen für den Aktienerwerb auch bei kleiner Stückelung vielfach die Sparkraft der kleinen Sparer überstiegen. Hier das Nominalkapital und den effektiven Wert wieder einigermaßen kongruent zu machen, ist eines der Ziele dieser Vorlagen.Weiter wurde bei substanzorientierten Kursen und aus optischen Gründen fixierten Dividenden nur eine unzureichende Realverzinsung geboten und die Aktie als Anlagepapier für den Sparer entwertet. Aus der möglichen Ertragsmanipulation ergab sich eine Verkaufsneigung mit dem Ergebnis einer Konzentration des Aktieneigentums durch Paketbildung zu Lasten des Splittereigentums.Es ist das Ziel der Wirtschafts- und Steuerpolitik, die Gesellschaften mit ihren Kapitalwünschen auf den Kapitalmarkt zu verweisen und sie von der Selbstfinanzierung abzuhalten. Deswegen muß den Gesellschaften auch die Möglichkeit gegeben werden, das Verhältnis von Reserven und Nominalkapital neu zu ordnen, um mit einem ihrer realen Wirtschaftskraft entsprechenden Nominalkapital die Grundlagen für die Aufnahme von Fremdkapital zu schaffen.Aus betriebswirtschaftlichen, volkswirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Gründen kann nicht darauf verzichtet werden, daß die Gesellschaften ausreichend kapitalisiert sind. Sofern in der Vergangenheit gebildete Reserven diesem Zweck nutzbar gemacht werden können, sollen die Bestimmungen über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln die Voraussetzung dafür schaffen. Es soll aber auch vermieden werden, daß die Selbstfinanzierung im bisherigen Umfang stattfindet. Eine Voraussetzung dafür ist es, daß die Gesellschaften gehalten sind, über ihre Betriebsergebnisse in aufschlußreicher Form Rechnung zu legen.Diesem Zweck dient der zweite Teil des Gesetzes Er verpflichtet die Gesellschaften vor allem, den Umsatzerlös bekanntzugeben — das Bruttoprinzip —, Erträge, die sich in Substanzvermehrung niedergeschlagen haben, nachzuweisen, sonstige Erträge in einer aufschlußreichen Gliederung erkennbar zu machen, Kosten und Aufwendungen der verschiedenen Art anzugeben und auch wie Kosten zu wertende Bestandsverminderungen zu zeigen.Das Ziel des Entwurfs ist es, die Ertragslage besser als bisher erkennbar zu machen, um damit der Offentlichkeit eine Möglichkeit ,an die Hand zu geben, die Preis- und Dividendenpolitik der Gesellschaften sachverständig zu beurteilen, darüber hinaus aber insbesondere den Kleinaktionären, den Minderheitsaktionären in den Gesellschaften einen tieferen Einblick in die Gesellschaftsverhältnisse zu gewähren.Eine Periode eines Übergewichts der Selbstfinanzierung der Wirtschaft soll in sinnvoller Weise beendet und eine Periode der Finanzierung der Wirtschaftsbedürfnisse über den Kapitalmarkt eingeleitet werden. Deswegen ist es notwendig, im Interesse einer gleichmäßigen Versorgung der Wirtschaft mit Kapital, der Ertragssicherung für die Sparer und einer sinnvollen Eigentumsverteilung die Gewinnausschüttung bei den Gesellschaften zu begünstigen und die Grundlagen für eine Befriedigung des Kapitalbedarfs im Wege der Neuemissionen zu schaffen. Eine Voraussetzung dafür ist es, die in der Vergangenheit entstandene Kapitalstruktur zu bereinigen, also hier wahrhaftere Verhältnisse zu schaffen. Diesem Zweck dient das Gesetz.Damit habe ich den Gesetzentwurf Drucksache 416 begründet. Darf ich jetzt, Herr Präsident, den Gesetzentwurf Drucksache 417 begründen, den Entwurf eines Gesetzes über steuerrechtliche Maßnahmen bei Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln. Er steht also im inneren Zusammenhang mit der Gesetzesvorlage, deren Begründung ich soeben vorgetragen habe.Die Vorschriften dieses Gesetzentwurfs sind ein Teil der Maßnahmen, die die Bundesregierung zur Gesundung des Kapitalmarkts für erforderlich hält. Sie dienen den gleichen Zielen wie die Änderung der Körperschaftsteuertarife durch das inzwischen ergangene Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Ertrag und des Verfahrensrechts vom 17. Juli 1958 und der als Punkt 3 a soeben behandelte Entwurf eines handelsrechtlichen Gesetzes über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und über die Gewinn- und Verlustrechnung, Drucksache 416. Zwischen diesem Gesetzentwurf und dem Entwurf des steuerrechtlichen Gesetzes besteht auch insofern ein Zusammenhang, als die steuerrechtlichen Maßnahmen sich nur auf die Fälle erstrecken, in denen eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln nach den Vorschriften des handelsrechtlichen Gesetzes durchgeführt wird.
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2480 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1958
Bundesfinanzminister EtzelAusgangspunkt dieses Gesetzentwurfs ist die Tatsache, daß bei sehr vielen Kapitalgesellschaften ein Mißverhältnis zwischen Nennkapital und tatsächlichem Vermögen besteht, wie ich soeben dargetan habe. Dieses Mißverhältnis beruht, worauf in der Begründung des Entwurfs im einzelnen hingewiesen ist, auf verschiedenen Ursachen. Zum Teil sind es die Auswirkungen der Vorschriften des D-Mark-Bilanzgesetzes, zum Teil haben aber auch die in der Zeit des Wiederaufbaus bestehenden besonderen wirtschaftlichen Verhältnisse zur Ansammlung von Reserven geführt.Einer Normalisierung der Kapitalverhältnisse, die im Interesse eines funktionsfähigen Kapitalmarkts als dringend erforderlich erscheint, steht vor allem die bisherige steuerrechtliche Auffassung im Wege, die in den im Zuge einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln den Gesellschaftern gewährten neuen Anteilsrechten Einkünfte aus Kapitalvermögen sieht. Diese Auffassung geht davon aus, daß Anteile an Kapitalgesellschaften nur durch Einlagen seitens der Gesellschafter erworben werden können, was bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln zur Folge hat, daß Ausschüttung und Einlage fingiert werden müssen.Diese steuerrechtliche Beurteilung begegnet starken rechtlichen Bedenken. Ihre Auswirkungen sind volkswirtschaftlich nachteilig. Der Entwurf sieht deshalb vor, daß der Erwerb der neuen Anteilsrechte nicht den Steuern vom Einkommen und Ertrag und der Gesellschaftssteuer unterliegt.Der Bundesrat hat diesem Entwurf zugestimmt, jedoch mit der Einschränkung, daß die Befristung der vorgesehenen steuerrechtlichen Maßnahmen auf drei Jahre vorgeschlagen wird. Die Bundesregierung hält eine solche zeitliche Beschränkung nicht für gerechtfertigt, weil sie, wie bereits ausgeführt, in der Gewährung der neuen Anteilrechte einen Vorgang sieht, der bei den Gesellschaftern als eine reine Vermögensumschichtung und nicht als steuerpflichtiger Vorgang anzusehen ist. Mit dieser Rechtsauffassung ist aber eine zeitliche Beschränkung nicht vereinbar.Im einzelnen darf ich auf die Begründung der Drucksache 417 verweisen. Herr Präsident, damit glaube ich die beiden Gesetzentwürfe begründet zu haben.
Sie haben die Einbringung der beiden Vorlagen gehört. Die Aussprache wird verbunden.
Ich eröffne die Aussprache erster Lesung. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wilhelmi.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesetz bringt eine Neuerung auf dem handelsrechtlichen Gebiet, insbesondere auf dem aktienrechtlichen Gebiet, insofern, als es ein bisher in der Rechtslehre und Rechtsprechung umstrittenes Gebilde nunmehr gesetzlich festlegt, nämlich die Kapitalerhöhung aus eigenen Mitteln.
Schon seit Jahren ist in der Rechtslehre ein Streit darum, ob nicht auch nach dem bisherigen Gesetz eine solche Kapitalerhöhung möglich ist. Sie ist praktisch jedoch an der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes gescheitert, der auch noch in einer neueren Entscheidung, im Jahre 1957, das Prinzip der sogenannten Doppelmaßnahme vertreten hat. Er hat sich auf den Standpunkt gestellt — wieder zurückkommend auf bürgerlich-rechtliche Gesichtspunkte daß zunächst eine Ausschüttung der Rücklagen und Reserven an die Aktionäre erfolgen müsse — als die eine Maßnahme — und daß die zweite Maßnahme die Wiedereinbringung dieser Ausschüttungen in Form einer neuen Einlage sei, für die dann die Aktie gewährt werde. Diese Konstruktion ist mit Recht in der Rechtsprechung fast einhellig abgelehnt worden. Der Bundesfinanzhof hat sich in der letzten, von mir schon zitierten Entscheidung auf den Standpunkt gestellt: Mögen die Dinge handelsrechtlich und gesellschaftsrechtlich liegen, wie sie wollen, jedenfalls steuerrechtlich halten wir an dieser sogenannten Doppelmaßnahmentheorie fest.
Das ist nun das Neue an der zweiten Vorlage, die die rein steuerliche Frage behandelt. Diese rein steuerliche Streitfrage wird nunmehr vom Gesetzgeber entschieden, und zwar in dem Sinne, daß der Vorgang steuerlich irrelevant sein soll, d. h. daß die Ausgabe von Aktien an die Aktionäre auf Grund Rücklagen, die gemacht und ausgewiesen worden sind, keinerlei Veränderung in der Vermögenssituation der Aktionäre schafft.
Nun zu der handelsrechtlichen Frage! Das Gesetz packt eine Frage an, die uns in unserem deutschen Aktienrecht schon immer einige Schwierigkeiten gemacht hat. Wir haben im deutschen Aktienrecht den Grundsatz der Nennwertaktie, d. h. jede Aktie hat einen bestimmten Nennwert, 100 oder 1000 DM, der auch auf der Urkunde aufgedruckt ist, und danach wird sie gehandelt. Im Gegensatz hierzu hat beispielsweise das amerikanische Recht die Quotenaktie, d. h. es wird überhaupt kein Nennwert für die Aktie festgesetzt, sondern jeder Aktionär hat eine Quote am Gesamtvermögen. Die Schwierigkeit in unserem deutschen Aktienrecht besteht darin, daß, obwohl wir die Nennwertaktie haben, auf der also ein bestimmter Betrag genannt 'ist, den die Aktie theoretisch repräsentieren soll, diese Aktie trotzdem eine Beteiligung, eine Quote am Gesamtvermögen darstellt. Um über diese theoretische Schwierigkeit hinwegzukommen, gibt dieses Gesetz den ersten Ansatzpunkt. Es gehört deshalb auch mit zu der Aktienrechtsreform, an der wir ja wahrscheinlich noch in dieser Legislaturperiode arbeiten werden.
Es ist zu begrüßen, daß dieses Gesetz auf handelsrechtlichem Gebiet eine größere Beweglichkeit schafft, eine Beweglichkeit in dem Sinne, daß die Gesellschaften, die, wie der Herr Finanzminister Ihnen vorgetragen hat, weitestgehend unterkapitalisiert sind, nunmehr sogenannte freie Rücklagen, d. h. Rücklagen, die nicht für bestimmte Zwecke festgelegt sind, und Rücklagen, die bereits ver-
Dr. Wilhelmi
steuert sind, in haftendes Grundkapital überführen können.
Das hat die weitere Bedeutung, daß die Gesellschaften einer schärferen Kontrolle unterliegen; denn das gebundene Kapital, das Grundkapital, ist sehr viel schwerer angreifbar, und es fällt viel mehr auf, daß rückläufige Bewegungen in einer Gesellschaft vorliegen, wenn sie ein normales Kapital hat, als wenn sie unterkapitalisiert ist. Hierin sollten wir alle einen großen Vorteil des Gesetzes sehen. Denn die Hauptgefahr bei den Aktiengesellschaften ist stets die, daß durch die Rücklagen und noch stärker durch Rückstellungen und stille Reserven eine Situation geschaffen wird, die es der Verwaltung erlaubt, ungünstige Jahre und Verlustjahre in einer Weise zu überbrücken, daß der Aktionär überhaupt nichts merkt. Infolgedessen muß man auch diese Bestimmung über die Kapitalerhöhung aus eigenen Mitteln durchaus so auffassen, daß dadurch die Gesellschaften festgelegt werden, daß das haftende Kapital verstärkt und für den Aktionär und die gesamte Wirtschaft, nämlich die Gläubiger und alles, was damit zusammenhängt, größere Sicherheit geschaffen wird.
Man darf dies keineswegs nur unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses zwischen Gesellschaft und Aktionär sehen. Hier liegt vielmehr ein eminentes allgemeinwirtschaftliches Interesse vor: Stärkung des Grundkapitals, des haftenden Kapitals, und Verkleinerung des freien Kapitals, der freien Rücklage, mit der die Gesellschaftsleitung jedenfalls sehr viel leichter manipulieren kann als mit dem festgelegten Kapital.
Es kann auch keine Rede davon sein, daß, wie es im Pressedienst der Sozialdemokratischen Partei heißt, ein Geschenk gemacht werden soll. Den Aktionären wird schon deshalb kein Geschenk gemacht, weil sie im Grunde die Beteiligung am Gesamtvermögen schon haben. Das ist einer der wesentlichen Grundsätze der Aktie im Gegensatz zu einer Obligation. Die Aktionäre behalten genau die Beteiligung, die sie vorher hatten. Ob sie nun eine Aktie, die einen Kurs von 300 hatte, besaßen oder ob sie drei Aktien haben werden, die einen Kurs von 100 aufweisen, beides ergibt die gleiche Beteiligung.
Ebensowenig wie der Aktionär erhält die Gesellschaft ein Geschenk. Im Gegenteil, eine große Zahl von Gesellschaften werden sich nicht entschließen können — das ist schon durchgesickert —, von diesem Gesetz Gebrauch zu machen, weil ihre Verwaltungen Wert darauf legen, die Manipulationsfreiheit mit den freien Rücklagen zu behalten, und sich daher scheuen, das neue Gesetz anzuwenden. Es wird also weder der Gesellschaft noch den Gesellschaftern ein Geschenk gemacht.
Was geschieht, ist nur folgendes. Die starke Unterkapitalisierung, die zur Zeit vorhanden ist, wird beseitigt, und zugleich damit tritt eine Ordnung des Kapitalmarkts ein. Insofern ist das Gesetz, wie der Herr Minister der Finanzen soeben ausgeführt hat, auch für die Gesamtkonstruktion, für die Ordnung des Kapitalmarkts im weiteren Sinne wichtig, nämlich in dem Sinne, daß wir wieder Gesellschaften bekommen, bei denen das Grundkapital und die freien Rücklagen in einem vernünftigen und verständigen Verhältnis zueinander stehen.
Daß dabei auch noch die Möglichkeit besteht, Aktien herauszugeben, die billiger zu erwerben sind und die infolgedessen einen niedrigeren Kurs haben, ist eine Nebenerscheinung, die wohl nicht in erster Linie ins Gewicht fällt.
Der zweite Teil des Gesetzentwurfs befaßt sich mit den sehr schwierigen Gliederungsvorschrif ten für die Gewinn- und Verlustrechnung. Aber ich will Sie damit nicht langweilen. Das sind Fragen, die ausgesprochen in das Gebiet von Spezialisten fallen. Mit der Tendenz dieses Gesetzes — sich damit zu befassen, ist der Sinn einer Aussprache in erster Lesung — können wir, glaube ich, alle einverstanden sein. Die Tendenz geht dahin, die Publizität zu verstärken. Weiter handelt es sich darum — darüber werden wir uns in den Ausschüssen unterhalten müssen —, daß nunmehr die Umsatzzahlen angegeben werden sollen. Das, was schon lange und immer wieder verlangt worden ist, eine stärkere Publizität der Aktiengesellschaften, soll also jetzt eingeführt werden. Wo da die Grenze gezogen werden soll, darüber werden wir uns im einzelnen in den Ausschüssen zu unterhalten haben. Der allgemeinen Tendenz sollte aber- das ganze Haus zustimmen.
Die CDU/CSU begrüßt dieses Gesetz und wird sich in den Beratungen der Ausschüsse um seine Ausarbeitung bemühen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Harm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit den Gesetzen ist es wie mit den Menschen: man sieht ihrem Äußeren oft nicht an, was sie im Busen tragen. Noch weniger kann man aus dem Namen, den die Eltern den Kindern gegeben haben, etwas ableiten.Der Gesetzentwurf Drucksache 416 trägt den Namen Gesetz über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln. Diese Formulierung mag an sich zutreffend sein. Aber überall sonst im Lande nennt man den Vorgang so, wie es in jedem Börsenblatt zu lesen ist: Ausgabe von Gratisaktien. Seit einiger Zeit bemüht man sich offenbar, von diesem Ausdruck loszukommen. So hören wir denn andere Namen: Aufstockungsaktien, Zusatzaktien, Kapitalberichtigungsaktien, nur nicht mehr das, was es in Wirklichkeit ist.Die Gratisaktien sind keineswegs eine Erfindung der Nachkriegszeit. Sie hat es immer gegeben. Sie nach der Währungsumstellung wieder in die Diskussion gebracht zu haben, ist das Verdienst des Abgeordneten Scharnberg, der damals in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Ausschusses für Geld und Kredit die Wiedereinführung in der Weise vorschlug, daß die Gesellschaften, wenn die Körperschaftsteuer von 60 auf 40 % herabgesetzt würde, 20 % in einen besonderen Fonds tun sollten,Dr. Harm4 aus dem dann den Aktionären Gratisaktien gegeben würden, wenn 10 % des Kapitals angesammelt wären. Interessant ist, daß Herr Scharnberg damals ganz offiziell von Gratisaktien gesprochen hat. Weiter interessant ist noch heute die Begründung, die er gab: Man könne nicht gut einen anderen Weg beschreiten, weil sonst bei einer Herabsetzung der Körperschaftsteuer die Dividenden zu hoch erscheinen könnten, und das sei aus politischen Gründen nicht gut.Weiter möchte ich vorausschicken, daß die Ausgabe von Gratisaktien zu keiner Zeit verboten worden ist. Im Grunde geht es heute nicht darum, ob Gratisaktien gegeben werden sollen oder nicht, sondern es geht nur um die Modalitäten, nach denen Gratisaktien ausgegeben werden sollen, d. h., ob die Ausgabe ein steuerpflichtiger Vorgang sein soll oder nicht. Herr Kollege Wilhelmi hat soeben darauf hingewiesen, daß die höchsten Finanzgerichtefrüher der Reichsfinanzhof, heute der Bundesfinanzhof, und zwar noch in seiner Entscheidung vom 17. September letzten Jahres — sich konsequent auf den Standpunkt gestellt haben, daß der Empfang von Gratisaktien auf der Seite des Empfängers ein steuerpflichtiger Vorgang sei. Darum allein geht es. Es handelt sich nicht um die Frage, ob die Gesellschaften Gratisaktien ausgeben sollen oder nicht, sondern nur darum, ob der Empfang dieser Aktien auf seiten des Empfängers ein steuerpflichtiger Vorgang ist.Trotz dieser ständigen Praxis der höchsten Gerichte seit den zwanziger Jahren hat manche Gesellschaft auch in der jüngsten Zeit Gratisaktien an ihre Aktionäre ausgegeben. So gab z. B. eine Maschinenfabrik in Offenbach im Jahre 1953 ihren Aktionären außer 8 % Dividende noch Gratisaktien im Verhältnis 5 zu 1. Das bedeutet immerhin nochmals 20 %, nur vom nominellen Wert gerechnet. Obendrein bezahlte sie zu den dabei aufgewendeten Beträgen für die Finanzierung der Gratisaktien die Steuern, die rund ein Drittel des Nennbetrages ausmachten. In dem Geschäftsbericht dieser Gesellschaft heißt es, daß sie unter bewußtem Verzicht auf die sonst übliche Vorwegnahme von Rücklagen zur inneren Stärkung von Unternehmen diesen Weg beschritten habe. Eine ganze Reihe anderer Gesellschaften — wenn auch nicht gerade in vielen Fällen — hat ihren Aktionären in den letzten Jahren ebenfalls Gratisaktien gegeben.Es geht also bei diesen Vorlagen Drucksachen 416 und 417 im Grunde nur um die einzige Frage: Wie bringen wir die aufgespeicherten und angestauten Gewinne der letzten sieben fetten Jahre aus der Vermögensmasse der Gesellschaften in die privaten Vermögensscheunen der Besitzer? Um nichts anderes geht es hierbei.
— Nur den versteuerten.
Die Einbringung dieser Gesetze ist seit einigen Jahren propagandistisch vorbereitet worden. Nach den Patendiensten, die der Herr AbgeordneteScharnberg zuerst leistete, hat sich eine Reihe von Zeitschriften in den letzten paar Jahren dieses Themas angenommen.Nun wurde von einer „feststehenden Wissenschaft" geredet. In diesem Sinne stimmt das ja nicht. Wohl ist — auch ich habe das sehr genau nachgeprüft — hauptsächlich in den letzten beiden Jahren eine ganze Reihe von Artikeln entstanden, die sich mit diesem Thema befassen.
Aber in auffälliger Weise ist das Thema jetzt behandelt worden. Das alles läßt doch nur die eine Tatsache klar erkennen, daß wir eine seit 30 Jahren feststehende Praxis der höchsten Gerichte haben und daß von gewisser Seite gegen diese Entscheidung Sturm gelaufen wird.Nun, meine Damen und Herren, das ist immer so gewesen. Wer Steuern zahlt, tut's ungern und läuft Sturm dagegen, und immer werden sich Gefolgsleute finden, die sagen, daß diese Steuer unberechtigt oder jene zu hoch sei und abgeschafft werden müsse. Die Gegenüberstellung „Hier die Rechtsprechung, dort die sogenannte Wissenschaft" beweist nichts. Sie wissen, wie relativ diese Dinge sind.Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, es handle sich um einen steuerpflichtigen Vorgang, braucht man sich keineswegs als Oppositionsvertreter zu betrachten; denn diesen Standpunkt hat außer den höchsten Finanzgerichten noch vor wenigen Jahren auch der damalige Herr Bundesfinanzminister vertreten. Er hat in Übereinstimmung mit seinen Kollegen auf der Länderebene in einem Erlaß 1952 klargelegt, daß dieser Vorgang nach wie vor einkommensteuerpflichtig sei. Wenn die Gesellschaften Gratisaktien herausgäben, sei damit auf der Seite der Empfänger ein Vermögensvorteil entstanden, und dieser müsse bei der Einkommensteuer als Einkommen aus dem Kapitalertrag erfaßt werden.Sie sehen, man befindet sich in der Opposition in allerbester Gesellschaft, und es ist vielleicht etwas paradox, daß ausgerechnet der frühere Herr Finanzminister in seiner heutigen Eigenschaft als Justizminister mit der Vorlage dieser Gesetzentwürfe genau das Gegenteil von dem tut, was er sonst vertreten hat. Das zeigt uns, wie relativ die Dinge sind, und deswegen darf ich für mich und für uns alle sagen: Bitte, mißverstehen Sie meine Ausführungen nicht dahin, daß ich aus irgendwelchen kleinlichen Gründen oder aus Voreingenommenheit sage, das sei ein Vermögensvorteil oder ein unverdienter Vermögensvorteil. Ich stelle mich auf den Standpunkt der übrigen, und ich darf sagen, die Gesellschaft des jetzigen Herrn Bundesjustizministers, in die ich mich begebe, war eine gute Gesellschaft. Die Opposition verdient sich schon ihre Sporen, wenn sie den Daumen auf diesen Punkt legt und sagt: Warum, Bundesregierung, hast du deinen Standpunkt plötzlich so verändert? Zudem ist der besagte Erlaß aus dem Jahre 1952 doch wirk-
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Dr. Harmlieh nicht so alt, auch wenn die Zeiten heute schnell laufen.Die Jahre nach der Währungsumstellung — ich glaube, darüber sind wir uns alle einig — haben bei allen Gesellschaften — und nicht ohne Mitwirkung und Verschulden, möchte ich sagen, der Bundesregierung —
die Tendenz erzeugt, in Form von Reserven Fett anzusetzen. Aber wer wird denn einem Unternehmer böse sein, wenn er Reserven bildet? Wer kann darin etwas sehen, was ihm zum Vorwurf gemacht werden könnte? Diese Tendenz jedes Unternehmers, aus den Gewinnen gewisse Rücklagen zu machen, wird es immer wieder geben, und es wäre ein schlechter Unternehmer, der das nicht allzeit bis zu einem gewissen Grade im Auge hätte. Wenn man sieben fette Jahre hinter sich hat, so muß man auch daran denken, daß es einmal die Kehrseite der Konjunktur geben kann, wo man sich freut, wenn man auf diese Rücklagen zurückgreifen kann. Ich habe mir zwar sagen lassen, daß es die Ärzte für medizinisch nicht richtig halten, wenn die Unternehmer Fett ansetzen. Daß es etwa medizinisch oder sonstwie zu beanstanden sei, wenn die Unternehmen Fett ansetzen, wird ein Wissenschaftler oder ein Arzt niemals sagen.Ich glaube also, die Wirkungsmöglicheit solcher Gesetze ist sehr beschränkt, schon deswegen, weil kein Gesetz imstande ist, die inneren Zusammenhänge der Wirtschaft so zu reglementieren oder zu infizieren, wie es gerade in der Begründung zum Ausdruck kommt, die der jetzige Herr Finanzminister dem Entwurf gegeben hat. Wir fragen daher: Cui bono? Zu wessen Nutzen macht man denn die Sache überhaupt? Es sind bestimmt ganz wenige, die wirklich ein Interesse an diesen Gesetzen haben. Wenn die Verfasser dieser Gesetzentwürfe Drucksachen 416 und 417 die letzten Statistiken z. B. des Statistischen Bundesamts zur Hand gehabt hätten, so hätten sie bedacht, daß von dem gesamten Aktienkapital unserer Tage im Grunde nur ein ganz kleiner Teil umläuft. Nach der Statistik von 1956 waren 60 % des Kapitals fest gebunden in Gesellschaften, lagen blockiert und interessierten den Kapitalmarkt überhaupt nicht. Aus einer Mitteilung aus jüngster Gegenwart, einem Wirtschaftsbericht vom September dieses Jahres, entnehme ich, daß man vielerorts, wo man es wissen muß, annimmt, daß kaum 20 % des Aktienkapitals wirklich fluktuieren.Lassen Sie uns einmal untersuchen, was diese Reserven, diese Rückstellungen, die mobilisiert werden sollen, denn nun eigentlich sind. Ich glaube, es kann von niemandem bestritten werden, daß sie letzten Endes nichts anderes als angestaute Gewinne sind, die nicht zur Ausschüttung gekommen sind. Daneben gibt es in gewissem Umfang Reserven, die bei der D-Mark-Umstellung entstanden sind. Auch die Furcht, hohe Dividenden zahlen zu müssen oder zum Lastenausgleich zu stark herangezogen zu werden, mag manchen Unternehmer veranlaßt haben, damals sehr, sehr vorsichtig zu bewerten.Aber wenn heute die Dinge anders betrachtet werden, wenn diese angestauten Gewinne nun herauskommen, kann man doch nicht mit dem Kollegen Wilhelmi sagen, diese Gewinne gehörten schon heute dem Aktionär. Das alles ist doch nur eine Fiktion. Vom Standpunkt der Gesellschaft ist es nicht gleich, ob die Unternehmer zinsfreies Reservekapital, zinsfreie Rücklagen in ihrem Portefeuille haben oder ob sie einem Aktionär gegenüberstehen, der seine Dividenden heischt. Und vom Standpunkt des Aktionärs ,aus ist ,es auch nicht einerlei, ob er eine Aktie oder ob er zwei Aktien in den Händen hat. Schon der bloße Besitz des Papiers bedeutet doch einen Vermögenszuwachs. Das ist auch teilweise die Begründung, die der Bundesfinanzhof für seine konsequente Haltung gegeben hat. Es sind wohlüberlegte Gründe, die, wenn auch mit geringen Modifikationen, die Rechtsprechung konstant gehalten haben.Alles das muß auch einmal von der Seite her gesehen werden, wie sich das in der Offentlichkeit ausgewirkt hat. War haben seit etwa zwei .Jahren das Signal der Gratisaktien. Wir haben den Begriff Gratisaktienanwärter. Ich habe vorhin gefragt: Cui bono? Der Begriff „Gratisaktienanwärter", den Sie in den Börsenzeitungen lesen, ist ein sehr doppelsinniger Begriff. Es ist einerseits die Gesellschaft, die Gratisaktien ausgeben soll oder von der man erwartet, daß sie es tut. Andererseits kann aber das Wort „Gratisaktienanwärter" sehr wohl auch denjenigen bezeichnen, der erwartet, daß ihm die Aktie gratis gegeben wird.Es ist interessant, wie sich dieses Signal in den Börsenkursen ausgewirkt hat. Ich kann Ihnen hier natürlich nicht eine Liste der Gratisaktienanwärter geben, schon um mich nicht selbst der Anstiftung zur Spekulation schuldig zu machen. Wenn man aber die Kurszettel zur Hand nimmt und die Kursentwicklung der übrigen Aktien und dieser Gratisaktienanwärter vergleicht, dann kann man sehen, wie dieses Schlagwort die einzelnen Aktien ruckartig nach oben gerissen hat.
Ein Beispiel, ohne den Namen der Aktie zu nennen: Der Kurs einer bestimmten Aktie, der 1953 — ich gehe also gar nicht von der Währungsumstellung aus — 58 1/2 war, war 1954 102, 1955: 122, 1956: 167, 1957: 242 und ist heute 345 %. Das ist ein typischer Gratisaktienanwärter. Nun zu dem Einwurf, man wisse nicht, ob sich das auch valutiert. — Ich weiß nicht, ob ich in Zweifel ziehen muß, daß die Leute, die die Aktien zu diesen Kursen gekauft haben oder kaufen, gute Informationen aus dem Vorstand haben. Wie dem auch sei, Sie wissen, wie Kurse gemacht werden. So ergibt sich das Schauspiel, daß dieselbe Bundesregierung, der auf der einen Seite die hohen Kurse ein Dorn im Auge sind, im Grunde auf der anderen Seite die Ursache dafür gesetzt hat, daß die Kurse sprunghaft nach oben gegangen sind.Das alles, meine Damen und Herren, vollzieht sich ganz ungeniert. Denn wer findet noch etwas Anstößiges dabei, daß es in den Börsenberich-
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Dr. Harmten Jahr für Jahr heißt: Favoriten waren die Gratisaktienanwärter? Das sind doch Dinge, bei denen Mutmaßungen im Hinblick auf Gesetze valutiert werden, in deren Beratung wir noch nicht einmal eingetreten sind, geschweige denn, daß wir sie beschlossen hätten. Mir scheint, es ist ein schlechtes Spiel, wenn eine solche Beziehung, ein solches Wechselspiel zwischen dem parlamentarischen Leben und den Börsensälen, festzustellen ist.Nun nehmen Sie demgegenüber einmal die Begründung, die die Regierung ihren Vorlagen gegeben hat: Durch die hohen Kurse würden die Kapitalanleger, „die nur über bescheidene Mittel verfügen", vom Kapitalmarkt ferngehalten, und dadurch werde dessen Gesundung verhindert. Deswegen stünden die Aktienkurse so hoch, und das alles stehe einer breiten Streuung des Eigentums entgegen. — Meine Damen und Herren, das scheint mir ein Widerspruch zu sein. Wenn man die Aktienkurse niedrig halten will, muß man alles vermeiden, was zu Erscheinungen führen könnte, wie wir sie heute vor uns haben. Wenn man mich fragt: Wer will es heute verantworten, daß ein unerfahrenes Publikum bei diesen Kursen in Wertpapiere einsteigt? — ich würde es nicht verantworten wollen.Es ist das Verdienst des früheren Herrn Bundesfinanzministers — des früheren —, daß bei der Beratung über das steuerfreie Sparen die Aktien ausdrücklich ausgeschlossen wurden mit der Begründung, Aktien seien Spekulationspapiere, und Herr Bundesfinanzminister Schäffer sagte, er könne seine Hand nicht dazu bieten, daß das Publikum, das sein Geld in Aktien anlegen wolle, sich auf diese Weise ein Portefeuille von Aktien und damit Einfluß auf andere Gesellschaften verschaffe.
— Nun, das war Herr Bundesfinanzminister Schäffer. Wer daher, wie es das Gesetz empfahl — nicht befahl — sein Geld in festverzinslichen Werten angelegt hat, der hat heute, abgesehen von dem Verlust durch den Kaufkraftschwund, wenigstens die Genugtuung, daß er dem früheren Herrn Bundesfinanzminister sagen kann: Ich habe meinen Nominalbetrag erhalten.Wenn in diesem Augenblick aber derselbe Minister — jetzt in seiner Eigenschaft als Bundesjustizminister — sagt: „Diese Maßnahmen schaffe ich für die Aktien", ja, meine Damen und Herren, dann kommt mir doch das Bedenken: soll ich jetzt wiederum das tun, was die Regierung empfiehlt, oder muß ich doch wohl besser meinen eigenen Weg gehen? Denn die einen, die damals auf den Bundesfinanzminister hörten, haben ihren Nominalbetrag von, sagen wir einmal, 100 DM in irgendeiner Obligation, irgendeiner Schuldverschreibung erhalten. Die anderen aber, die nicht taten, was die Regierung empfahl, haben heute durch die Kurssteigerung aller Werte im Schnitt den sechsfachen Betrag.Wenn man diese Entwicklung betrachtet, muß man Bedenken gegen diese Entwürfe haben. Man fragt sich, warum, — zumal wir so viele dringlichere andere Aufgaben haben. Man erfährt das Warum nicht, wenn man § 1 des Gesetzes liest, sondern wenn man sich den Leitfaden ansieht, den die Herren des Ministeriums in ihrer Begründung dankenswerterweise gegeben haben. Dort steht nämlich, wie man es macht. Es geht gar nicht, Herr Wilhelmi, nur um die Umwandlung des angestauten Kapitals, es geht in aller Zukunft ja auch um die Umwandlung neu entstehender Gewinne in neues freies Kapital.
— Herr Dr. Schmidt, Sie bringen eine Sache, die nicht zum Thema gehört; denn Körperschaftsteuern sind ein Kapitel für sich, und nennen Sie mir das Land, wo keine Körperschaftsteuern bezahlt werden. Wir können uns noch darüber unterhalten. Sie übersehen hier, daß die Gesellschaften die Körperschaftsteuern bezahlen. Wir aber wenden uns dagegen, daß die Empfänger der Wohltaten, die Empfänger der Gratisaktien keine Einkommensteuern zu bezahlen brauchen. Ich bin gerade bei dem kritischen Punkt angelangt, der Ihnen zeigt, wo der Clou des Gesetzes liegt.Wie so etwas gemacht werden kann, ist in der Begründung, im Leitfaden, direkt angegeben: Man nehme den Vorstand beiseite und veranlasse ihn, den ganzen Jahresgewinn in der Bilanz unter Verzicht auf Dividendenauszahlung als Rücklage zu verbuchen. Das können Sie vierzehn Tage, bevor darüber beschlossen wird, machen.
Dafür bezahlt die Gesellschaft dann — völlig in Ordnung — ihre Körperschaftsteuer, alles in Ord-flung.
Aber nun beginnt doch die Sache erst sodann nehmen Sie die übrigen Aktionäre — Kleinaktionäre, wenn noch welche vorhanden sind — in der Aktionärversammlung beiseite und sagen: Was wollen Sie, meine Damen und Herren? Wollen Sie Dividende und davon Kapitalertragsteuer bezahlen, oder wollen Sie Gratisaktien, steuerfreie Gratisaktien haben? Nehmen wir doch den krassen Fall: Eine Gesellschaft gibt 10 % Dividende, könnte 10 % Dividende geben; sie gibt keine 10 % Dividende, sondern sie sagt: Statt 10 % Dividende gebe ich eine Gratisaktie im Wert von 10 %. Was nun, Herr Dr. Schmidt?
Sicher! Aber Sie müssen das jetzt einmal vom Standpunkt des Finanzministers nehmen — ich bitte zu entschuldigen, Herr Bundesfinanzminister, wenn ich einmal Ihren Part vertrete —, der uns gerade bei der Begründung der Senkung der Körperschaftsteuer folgendes erzählt hat: daß man nämlich die Körperschaftsteuer gesenkt habe für die ausgezahl-
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Dr. Harmten Gewinne auf 15 %, bei den nicht ausgezahlten Beträgen auf 47 plus 4 gleich 51 % in der Erwartung — das war die Begründung des Herrn Ministers —, daß dann die Gesellschaften das Bestreben haben würden: Jetzt aber weg mit den Gewinnen über die Zahlung von 15 % Körperschaftsteuer, und dann mögen die Aktionäre damit machen, was sie wollen.Warum tun sie es denn nicht? Ist die Rechnung falsch, die der Herr Finanzminister uns damals vorgemacht hat? Warum machen denn die Gesellschaften es nicht? Warum schütten sie ihre Gewinne nicht aus, wenn sie das zu einem Vorzugssatz von 15 % machen können? Die Tendenz ist eine andere; sie wollen verhindern, daß derjenige, der die großen Aktienkapitalien besitzt, Einkommensteuer von dem Kapitalertrag bezahlen muß, den er aus den Aktien hat. Was die Gesellschaft bezahlt, ist doch ein Kapitel für sich. Und, meine Damen und Herren, wenn Sie in der Aktionärversammlung die Frage so stellen: Wollen Sie Gratisaktien, oder wollen Sie Dividende, die Sie versteuern müssen?, dann möchte ich einmal sehen, wer dann noch für den Empfang von Dividende und für die Versteuerung des Kapitalertrags stimmen würde.Sehen Sie, das ist der Kernpunkt, das ist der tiefere Sinn. Die Sache wird verständlich, wenn man sich daran erinnert, daß die große Menge dieser Kapitalien bei ganz wenigen akkumuliert ist. Deswegen geht es bei der Angelegenheit hier um die einfache Frage: Wollen Sie, wie es der jetzige Bundesfinanzminister uns seinerzeit dargelegt hat — und ich bin überzeugt, er hat erwartet, daß es so sein würde —, wollen Sie, daß Dividenden gezahlt werden und der Staat die Steuern davon bekommt, oder wollen Sie Gratisaktien, die Sie überhaupt nicht zu versteuern brauchen? Wenn die Dinge anders wären, meine Damen und Herren, brauchte doch diese Kontroverse gar nicht zu sein, die der Bundesfinanzminister in seiner Begründung ja auch angedeutet hat.Warum, frage ich, hat der Bundesrat eine Einwendung erhoben? Warum hat er gesagt: wir wollen das Gesetz bis zum 31. Dezember 1960 befristet wissen? Warum? Weil er sich sagte: wir, Länderkammer, stehen nach wie vor auf dem Standpunkt des Bundesfinanzhofs; wir würden vorübergehend diese Hilfestellung leisten, wir sagen aber nach wie vor: was Recht ist, ist Recht. Deshalb muß nach einer gewissen Revidierung wieder der bisherige gesetzmäßige Zustand eintreten, daß Gewinne aus Kapitalertrag auch versteuert werden. — Wer also für dieses Gesetz stimmt, versagt dem Bundesfinanzminister die Erfüllung der Erwartungen, die er selbst bei der Senkung der Körperschaftsteuer für die ausgeschütteten Gewinne gehegt hat, von Erwartungen, die wir billigerweise geteilt haben.Gerade der Hinweis des Bundesrates zeigt uns die Problematik.
Ohne diese Einschränkung des Bundesrates würde de futuro die Möglichkeit gegeben sein, überhaupt keine Dividenden mehr zu zahlen, sondern die Dividenden jeweils auf Rücklagen zu verbuchen und zu gegebener Zeit wieder in Form von Gratisaktienherauszugeben. Es wird damit verhindert, daß in der Bilanz ein Kapitalertrag erscheint, und es bezahlen dann nur noch diejenigen Kapitalertragsteuern, die ihr Geld — wie die Regierung es empfahl — in festverzinslichen Werten oder im Rahmen der Kapitalansammlungsverträge angelegt haben. Sie bezahlen von ihren hundert oder tausend Mark Obligationen oder Schuldverschreibungen ihre vorgeschriebene Einkommensteuer. Diejenigen aber, die ihr Geld in Aktien angelegt haben, können sich, wenn diese Einschränkung des Bundesrates nicht berücksichtigt wird, bis in alle Ewigkeit eines steuerfreien Besitzes erfreuen.Nicht nur die Einkommensteuer — das Gesetz ist viel perfekter, als es auf den ersten Blick erscheint —, auch die Vermögensteuer ist berücksichtigt. Auch daran ist gedacht, daß beim Verkauf von Gratisaktien Gewinne entstehen und daß niemand Schaden leidet.Wäre das, was sich hier in der Begründung kundtut, wirklich ein echtes Anliegen der Regierung, so wären allerdings noch einige Fragen zu stellen. Was, meinen Sie, wird man in der Öffentlichkeit sagen, wenn man erfährt, welche Sorgen die Unternehmungen haben, um ihre überschüssigen Gewinne loszuwerden, während man in Fragen der Lohn- und Sozialpolitik immer behauptet hat, bereits an der äußersten Grenze des Tragbaren angelangt zu sein? Wem verdanken wir überhaupt die Entstehung dieser überschüssigen Gewinne? Den Aktionären oder all denen, die in diesen sieben oder zehn oder zwölf Jahren beim Wiederaufbau mitgeholfen haben? Könnte in Betrieben nicht auch die Frage erhoben werden: Warum bezahlen wir von unserer Arbeit die Einkommensteuer, während das Kapital einkommensteuerfrei ist?Ich würde mich wirklich gefreut haben, wenn man sich daran erinnert hätte, daß die Produktivität und die Gewinne überhaupt erst durch die Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit entstehen. Die Regierung aber will zugunsten einer sehr kleinen Zahl von Großaktionären, einer ganz kleinen Schicht, dieses Spiel mit der Umwandlung von Rücklagen und Gewinnen in steuerfreie Gratisaktien ad infinitum ermöglichen. Warum, so frage ich, mobilisiert man dann nicht bei dieser Gelegenheit die reichlich vorhandenen Rücklagen für den Lastenausgleich? Durch deren Umwandlung könnte man auch Aktien schaffen. Das wäre eine Streuung von Aktien. So würden in der Tat Aktien in die Hände vieler kommen, aber eben nur, wenn das wirklich ein Anliegen der Regierung wäre. Statt dessen eröffnet die Regierungsvorlage sogar die Möglichkeit, diese Rückstellungen für den Lastenausgleich durch entsprechende Umbuchungen zunächst einmal ebenfalls in die Mittel für die Gratisaktienausgabe einzubeziehen. Wie lange, so frage ich, wird es noch dauern, bis auch die Rückstellungen für Sozialfonds den gleichen Weg gehen und auch dafür die Begründung gefunden wird?! Vergessen scheinen die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers in seiner Haushaltsrede vom 16. April. Was hilft es, wenn ein allgemeiner Ausgabenstopp gefordert wurde, wenn er nicht gepaart wird mit
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2486 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1958
Dr. Harmeinem echten Bonifikationsstopp. Der aber fehlte bei den Steuergesetzen ebenso wie bei diesen Regierungsvorlagen Drucksachen 416 und 417! Bei der angespannten Haushaltslage sollte ein Bundesfinanzminister sich keine Einnahmequelle nehmen oder auch nur schmälern lassen. Würde aber der Herr Bundesfinanzminister diese Ausfälle gewissermaßen als Werbungskosten in Kauf nehmen, so wäre das einer der schwersten Verluste, die man sich überhaupt denken könnte. Gerade der Bundesfinanzminister trägt da natürlich die größte Verantwortung von uns allen.Nach diesen Gesetzesvorlagen der Regierung haben wir, meine Damen und Herren, einen Vorgeschmack von dem, was uns bevorsteht. In seiner Haushaltsrede sagte der Herr Bundesfinanzminister, es sei ein Wandeln am Rande des Abgrunds, und das Jahr 1958 gebe uns einen geringen Vorgeschmack von dem, was uns an Schwierigkeiten noch bevorstehe. Nun, jetzt wissen wir, was uns bevorsteht. Ich würde mich jedenfalls, wenn ich die Verantwortung hätte, weigern, irgendwie die Mittel zu schmälern, die wir alle damals bei der Änderung der Körperschaftsteuer erwartet haben. Ich kann mich nicht besinnen, daß jemals ein Gesetz so kraß, so unverhüllt und so uferlos den Vorteil nur einiger weniger im Auge gehabt hat.
Epistola non erubescit, ein Brief kann nicht erröten, und ein Gesetz kann nicht erröten. Aber wir, meine Damen und Herren, sollten erröten nach den Zumutungen, vor denen wir hier stehen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Es ist bedauerlich, daß die parlamentarischen Mühlen so langsam arbeiten. Seit Jahren verkünden wir gemeinsam, daß wir eine Änderung des Aktienrechts für dringend notwendig halten, daß wir die allzu starke Konzentration in der Wirtschaft abbremsen wollen, daß wir die Eigentumsbildung auf breitester Basis fördern und vor allem, daß wir auch die Rechte des Aktionärs wieder stärken wollen. Die große Aktienrechtsreform ist angekündigt; aber wir werden wahrscheinlich noch lange darauf warten müssen.
Deswegen begrüßen wir es ganz besonders, daß nun endlich wenigstens ein Anfang gemacht wird mit dieser kleinen Reform, die in einem ihrer Teile zumindest eine logische Fortentwicklung dessen ist, was wir bei den letzten Steuerberatungen beschlossen haben. Wir sind damals, in der Mehrheit dieses Hauses, zu der Überzeugung gekommen, daß die Ansammlung von Kapitalien bei den Aktiengesellschaften ungesund ist, daß wir Rechte des Aktionärs, des eigentlichen Besitzers des Unternehmens, wieder in stärkerem Maße berücksichtigen müssen und daß deswegen die Doppelbesteuerung,
die bis dahin die Ausschüttung von Gewinnen so stark gebremst hat, gemindert werden muß. Das ist notwendig, um den Aktionär wieder in den echten Besitz dessen zu bringen, was ihm gebührt. Deshalb stimmen wir dem Herrn Bundesfinanzminister zu, der hier vorgetragen hat, daß die Auffassung des Bundesfinanzhofs in der Frage der sogenannten Gratisaktien — nach unserer Meinung ist diese Bezeichnung falsch — nicht geteilt werden kann und daß der Gesetzgeber in dieser Beziehung endlich Klarheit schaffen muß. Es muß klargestellt werden, daß die Rechtsauffassung, die der Bundesfinanzhof in letzter Zeit wiederholt ausgesprochen hat, von dem Gesetzgeber, der das Recht zu schaffen hat, nicht geteilt wird. Wir sind nicht Ihrer Meinung, Herr Dr. Harm, daß es sich hier um ein Geschenk und damit um einen steuerpflichtigen Vorgang handelt. Die Ausgabe von zusätzlichen Aktien durch Auflösung von Rück lagen — nicht von Rückstellungen, von denen Sie immer gesprochen haben; denn Rückstellungen sind etwas ganz anderes, Rückstellungen sind Bereitstellung von Mitteln für einen bestimmten Zweck, die natürlich nicht aufgelöst werden können und auch nicht aufgelöst werden sollen; davon spricht das Gesetz in keiner seiner Formulierungen — kann nach unserer Meinung keinen steuerpflichtigen Vorgang darstellen. Dem Aktionär, dem Besitzer des Unternehmens, wird doch nur das gegeben, was er bisher noch nicht aus dem Unternehmen herausgezogen hat, was er, häufig nicht sehr freiwillig, durch Konsumverzicht im Unternehmen belassen hat. An und für sich hat ihm alles, was in die Form von Rücklagen gekleidet worden ist, gehört. Das Normale wäre, daß nach Abzug aller notwendigen Abschreibungen und Rückstellungen der volle Reingewinn für ihn ausgeschüttet wird. Das ist in den vergangenen Jahren versäumt worden. Die Meinung, daß dieses erdiente Geld eine Art „Sozialkapital" darstellt — Sie haben das Wort hier nicht ausgesprochen, aber Ihre Ausführungen standen in Parallele zu dem, was Herr Brenner immer wieder fordert —, können wir nicht teilen. Wenn Sie sich einmal die Bilanzen der Aktiengesellschaften ansehen, werden Sie feststellen, daß in den allermeisten Fällen die Rückstellungen und die Ausgaben für freiwillige soziale Leistungen höher waren als die Dividende. Der Teil, dem Sie dieses sogenannte Sozialkapital zusprechen, hat also seinen Anteil erhalten, und er hat ihn in höherem Maße erhalten als der eigentliche Besitzer des Unternehmens. Ich kann Ihnen Dutzende von Bilanzen der letzten Jahre vorlegen, in denen die freiwilligen sozialen Aufwendungen wesentlich höher sind als die ausgeschüttete Dividende. Sie können also nicht behaupten, daß das in Rücklagen angesammelte Vermögen einem anderen Kreis als dem der Aktionäre gehört. Wenn nun der Weg der Freiwilligkeit gewählt und kein Unternehmen dazu gezwungen wird, diese Rücklagen in die Form von echtem haftendem Kapital umzuwandeln, so ist die Forderung berechtigt, und es besteht geradezu die Notwendigkeit, dafür die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen.
Dr. Atzenroth
— Ja, steuerfrei, denn diese Beträge sind alle einmal versteuert worden, nämlich bei der Einkommensermittlung des Unternehmens, als das Unternehmen seine Einkommensteuererklärung hat abgeben müssen und diese Beträge als Gewinne ausgewiesen werden mußten, als die sie ja in voller Höhe der Körperschaftsteuer unterlagen. Infolgedessen ist es nicht mehr als recht und billig, sie jetzt demjenigen, dem sie gehören, steuerfrei zu belassen.
Es ist hier mehrfach, ich glaube auch von dem Herrn Bundesfinanzminister, von der Unterkapitalisierung gesprochen worden. Eine Unterkapitalisierung liegt natürlich nicht vor, wenn in überhöhtem Maße Rücklagen gebildet worden sind, denn die Kapitalisierung des Unternehmens war durchaus in Ordnung. Es handelt sich hier doch nur um die Umwandlung des in der Form der Rücklagen gebildeten Vermögens in Gesellschaftskapital.
Ist Ihnen bekannt, Herr Dr. Atzenroth, daß die Rückstellungen für Sozialleistungen erstens nicht versteuert und daß sie zweitens meistens vorgenommen wurden, um die Mittel im Betrieb zu behalten und sie gleichwohl steuerfrei zu haben?
Sie sprechen jetzt wieder von Rückstellungen und meinen in der Tat echte Rückstellungen. Rückstellungen sind nicht versteuert, das ist vollkommen klar. Aber nicht diese Rückstellungen werden hier in Kapital umgewandelt, sondern die Rück lagen. Das ist etwas ganz anderes. Vielleicht spielen Sie darauf an, daß ich gesagt habe, die Rückstellungen seien für den Kreis der Arbeitnehmer gemacht worden und brauchten als solche nicht versteuert zu werden. Das ist doch genauso eine Leistung an die Arbeitnehmer gewesen, die das Unternehmen erbracht hat, wie die Dividendenausschüttung an die Aktionäre.
In einem kann ich dem Herrn Finanzminister nicht zustimmen. Herr Finanzminister, Sie haben gesagt, daß sich die Unternehmungen, die hohe Rücklagen angesammelt haben, einen Wettbewerbsvorsprung verschafft haben. Den schließen Sie natürlich nicht aus, wenn dieser Entwurf Gesetz wird. Denn da die Umwandlung nur auf der Grundlage der Freiwilligkeit geschehen kann, würde nach Ihren Darlegungen das Unternehmen, das nicht davon Gebrauch macht, einen Wettbewerbsvorsprung erlangen.
Wir begrüßen diesen Teil der Vorlage uneingeschränkt. Einige Schwierigkeiten bereitet uns allerdings der zweite Teil des Gesetzes, und dagegen sind manche Einwendungen zu erheben.
Im Grundsatz teilen wir die Auffassung der Regierung, die auch hier dem Aktionär wieder zu größeren Rechten verhelfen will. Sie will ihm die Möglichkeit geben, besseren Einblick in das Unternehmen zu bekommen, an dem er Anteil hat. Deswegen teilen wir die Meinung, die die Wirtschaftsprüfer schon im Jahre 1956 zum Ausdruck gebracht
haben, als sie forderten, daß eine Reform der Ausweispflicht vorgenommen werden müsse, daß das, was als Gewinn- und Verlustrechnung bezeichnet wird, in deutlicherer Aufgliederung ausgewiesen wird. Auch die Wirtschaftsprüfer haben als Grundlage schon die Nennung der Umsatzziffer verlangt.
Die Einwendungen, die erhoben werden, beziehen sich einmal darauf, daß auf diese Weise Konkurrenzunternehmen einen stärkeren Einblick in die Verhältnisse der Aktiengesellschaft bekommen würden, als es sonst möglich sei. Dem kann man aber entgegenhalten, daß es alle betrifft und daß jeder die gleiche Möglichkeit des Einblicks in das Unternehmen des anderen hat, mit der einen Einschränkung, daß die GmbH zu solchen Ausweisen nicht verpflichtet ist. Da, wo eine echte Konkurrenz zwischen Aktiengesellschaft und GmbH vorliegt, könnte leicht eine solche Kollision eintreten. Ich glaube aber, daß sie sich verhältnismäßig leicht beseitigen läßt, wenn wir über das Gesetz im einzelnen sprechen werden.
Schwieriger wird schon die Tatsache sein, daß die Länder, mit denen wir demnächst in der EWG zusammen konkurrieren müssen, eine solche Ausweispflicht in keinem Fall vorsehen. Auch diese Frage wird bei den Ausschußberatungen einer eingehenden Prüfung bedürfen. Wir müssen vielleicht die notwendigen Interessen sichern, ohne aber den Grundsatz des Gesetzes irgendwie zu beeinträchtigen. Schon daraus und vor allem aber aus den eingehenden Ausführungen von Herrn Dr. Harm ergibt sich, daß dieses Gesetz in seinen Einzelheiten noch einer sehr eingehenden Beratung bedarf und daß wir in den Ausschüssen, die sich damit beschäftigen werden, zu sehr kontroversen Meinungen kommen werden, die abzuklären dann unsere Aufgabe sein wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Problem, das wir heute hier verhandeln, ist tatsächlich über 30 Jahre alt. Im allgemeinen geht es in dieser Auseinandersetzung um das Verhältnis von Privatrecht und Steuerrecht und im besonderen um die Fragen der Steuerpflicht und der wirtschaftlichen Beurteilung des Tatbestandes der Erhöhung von Stammkapital aus Gesellschaftsmitteln. Darüber gibt es eine umfassende Literatur. Das ist nicht etwa eine Angelegenheit der Propaganda der letzten zwei Jahre, sondern das ist rechtstheoretisch und wirtschaftspolitisch eine Grundauseinandersetzung.
In dieser Grundauseinandersetzung hat es zwei akute Augenblicke gegeben, in denen im Sinne dieses Gesetzentwurfes entschieden worden ist: das eine war die Dividendenabgabeverordnung des Jahres 1941, in der man den Berichtigungsvorgang ähnlich behandelt hat, und das zweite war die D-MarkEröffnungsbilanz-Verordnung; auch hier hatte man
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Dr. Schmidt
erkannt: man muß endlich einmal aus der Doktrin herausspringen, um einem wirtschaftlichen Tatbestand gerecht zu werden.
Das Kernproblem der Auseinandersetzung zwischen Bundesrat und Bundestag in dieser Frage, die in jener merkwürdigen Fristbestimmung zum Ausdruck kommt, Herr Kollege Harm, ist doch im Grunde genommen: Soll die alte Doktrin, die seit dreißig Jahren bekämpft wird, noch einmal, zum dritten Male ad hoc gelten, nämlich bis zum Jahre 1960, oder .sollen wir endlich aus der alten Doktrin herausspringen, einen wirtschaftlichen Tatbestand endgültig anerkennen und uns ein für allemal an wirtschaftliches Denken im Steuerrecht gewöhnen? Das ist das Kernproblem der ganzen Geschichte. Denn was hat der Bundesfinanzhof und was hat vor ihm der Reichsfinanzhof im Grunde genommen getan? In Abweichung des § 1 des Steueranpassungsgesetzes, der den Bundesfinanzhof und den Reichsfinanzhof und alle Steuerrechtler verpflichtet, eine wirtschaftliche Betrachtungsweise zugrunde zu legen, hat er sich von der wirtschaftlichen Betrachtungsweise entfernt und hat zivilistisch-konstruktivistisch gedacht und hat nach dem positiven Handelsrecht geurteilt: im Aktiengesetz wie im GmbH-Recht gibt es das Institut der Erhöhung des Gesellschaftskapitals aus Mitteln der Gesellschaft überhaupt nicht, sondern da gibt es nur die Bareinlage oder die Sacheinlage als Deckung der Kapitalerhöhung. Infolgedessen hat man nun mit der berühmten Theorie der Doppelmaßnahme versucht, auch steuerrechtlich den Tatbestand in diese zivilistischpositivistische Konstruktion hineinzuzwängen.
Der wirtschaftliche Vorgang war aber völlig anders. Der Bundesfinanzhof und vor ihm der Reichsfinanzhof haben in ihren Urteilen außerordentlich subtile Erörterungen angestellt, warum dieser Vorgang wirtschaftlich doppelt besteuert werden müsse. Sie haben im Grunde genommen auch erkannt, daß bei einer Gesellschaft zunächst einmal etwas abfließen müsse, wenn einem anderen etwas zufließen solle. Das Gesellschaftsvermögen müsse sich doch vermindern. Wenn Dividende ausgeschüttet wird, wird die Gesellschaft um diesen Vermögensposten ärmer und der Gesellschafter, der Empfänger reicher. Aber wenn, wie in diesem Falle, Rücklagen, die versteuert sind — ich komme nachher noch auf dieses spezielle Problem , in Gesellschaftskapital verwandelt werden, ändert sich in der Vermögensstruktur überhaupt nichts. Bei der Gesellschaft fließt nicht das geringste ab, weder wirtschaftlich noch formal.
Nur im Verhältnis zum Gesellschafter wird dieser Vermögensteil mittelbar insofern verändert, als der Gesellschafter durch die Kapitalbindung stärker belastet wird. Dieser kann nämlich schwerer darüber verfügen, und zwar mit Rücksicht auf Gläubigerschutzinteressen. Insoweit wird dieser Vermögensbestandteil im Gesellschaftskapital gebunden. Aber wirtschaftlich fließt in Wirklichkeit gar nichts ab.
Beim Aktionär, beim Gesellschafter, fließt auch nicht das geringste zu. Darin unterscheiden Herr Kollege Harm und ich uns allerdings grundsätzlich.
— Ich komme auf dieses Steuerproblem noch. Wenn ihm wirtschaftlich nichts zufließt, braucht er auch nichts zu zahlen. Es wäre ja unsinnig, wenn er dann etwas zahlen müßte.
Im Grunde genommen, Herr Kollege Harm, kommt die Differenz zwischen Ihrer und unserer Auffassung dadurch zustande, daß Sie nicht einsehen können oder nicht anerkennen wollen, daß der einzige Eigentümer des Vermögens der Aktiengesellschaft mittelbar der Aktionär, der Gesellschafter ist.
— Insofern mittelbar, als eine juristische Person dazwischensteht. Die Anteilsrechte repräsentieren das Eigentum. Ein anderer Eigentümer ist nicht da. Infolgedessen, Herr Kollege Harm, kann sich nichts verändern, auch nicht in der Vermögenslage und im Eigentum des Betreffenden; denn auf der Passivseite der Bilanz der juristischen Person wird nur der eine Posten in den anderen umgebucht, die Rechtsnatur wird verändert, aber in dem Vermögen, in dem Einkommen und dem Ertrag des Aktionärs und des Gesellschafters ändert sich überhaupt nichts. An die Stelle einer Aktie treten in Zukunft zwei, drei, vier Aktien. Aber die vier repräsentieren, rechtlich und wirtschaftlich gesehen, genau dasselbe wie die eine Aktie.
Diesen wirtschaftlichen Vorgang löst man durch eine komplizierte juristisch-zivilistische Denkweise auf, aber nicht — das ist das Entscheidende —, um einen Realisationsvorgang steuerlich zu belasten, sondern nur um der Möglichkeit vorzubauen, daß künftige Realisationen nicht steuerpflichtig werden. Dies stellt eine Art fiktive Vorbeugung dar; denn, Herr Kollege Harm, wie realisiert sich bei dem Eigentümer — Aktionär oder Gesellschafter — nun tatsächlich der Mehrwert der Aktie, der Beteriligung? Er realisiert sich entweder durch eine Kapitalherabsetzung oder durch die Veräußerung der Beteiligung oder durch eine Form des Rückkaufs durch die Gesellschaft in Gestalt eigener Anteile. Das letzte ist ein ganz klarer Umgehungsfall, ein Fall verdeckter Gewinnausschüttung. Der Bundesfinanzhof hat in einer Reihe von Entscheidungen gesagt, daß das nach § 6 des Steueranpassungsgesetzes selbstverständlich ein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten ist; ungeachtet des Mißbrauchs muß die Besteuerung Platz greifen. Im Gegensatz zu diesem letzten Fall, der im Grunde genommen der einzige Fall der Umgehung des Gesetzes ist, sind die beiden anderen Fälle, nämlich der Fall der Veräußerung der Beteiligung und der Fall der Herabsetzung des Kapitals, echte Fälle der Realisierung.
Herr Kollege Harm, Sie haben gesagt, das Gesetz gehe so weit, sogar diese Veräußerungsvorgänge von der Einkommensteuer und von der Ertragsteuer — sogar die Vermögensteuer haben Sie erwähnt — zu befreien. Herr Kollege Harm, ich darf Sie bitten, den Text noch einmal nachzulesen.
— Nein, beides ist nicht richtig, Herr Kollege Harm.
Es wird hier nur — nur! — der Erwerb der neuen
Dr. Schmidt
Anteilsrechte sowohl von den Steuern vom Einkommen und Ertrag wie von der Gesellschaftsteuer befreit. Die Veräußerung, da, wo nämlich die echte Realisation erfolgt — die Realisation der stillen Werte, die darin liegen —, wird durch den Gesetzentwurf nicht betroffen. Die hier entstehenden Fragen werden gerade durch den § 3, der sich mit den Anschaffungskosten befaßt, vorbereitend gelöst, so daß dann die §§ 17 und 21 des Einkommensteuergesetzes und der § 53 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung angewendet werden können; denn — und da liegt das eigentliche Problem — wir haben für den Fall der Veräußerung ganz verschiedene Regelungen. Im Falle der Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung ist die Regelung eine andere als in dem Fall, in dem das Schachtelprivileg, z. B. für Körperschaften, Anwendung findet. Wieder anders ist die Regelung für den Kleinaktionär, der unter einer Beteiligung von 25 % in einer Gesellschaft bleibt. Er wird bei der Veräußerung nur erfaßt, wenn er unter die Spekulationsgewinnsteuer fällt, wenn er also innerhalb einer verhältnismäßig kurzen Frist einen Snekulationsgewinn macht, der über einen bestimmten Betrag hinausgeht. Das sind die Möglichkeiten, die jeweils für den Kleinaktionär, für den Wesentlich-Beteiligten und für die Körperschaften — soweit sie das Schachtelprivileg in Anspruch nehmen können — verschieden liegen. Dieser verschiedenen Rechtslage trägt der § 3 Rechnung, der sich mit den Anschaffungskosten befaßt.
Herr Kollege Harm, bei der ganzen Frage des Steuergeschenks kann man folgendes nicht übersehen. Ich habe soeben versucht, klarzumachen, daß nichts zugeflossen ist. Darüber hinaus habe ich zweimal durch Zwischenrufe zu erkennen gegeben, daß es sich um versteuerte Rücklagen handelt. Sie sind nämlich belastet, zum Teil noch mit dem alten Körperschaftsteuersatz von 60 %, zum Teil mit dem Satz von 45 %, zum Teil mit dem Satz von 51 %. Wenn Sie, Herr Kollege Harm, bei der Dauerregelung, die dieses Gesetz vorsieht, die Situation einmal alternativ betrachten, so stehen die Gesellschaften in Zukunft tatsächlich vor folgenden Möglichkeiten. Sie können den Gewinn ausschütten; dann zahlen sie 15% Körperschaftsteuer. Dann kommt es aber ganz darauf an, wie der Einkommensteuerpflichtige nach dem Tarif belastet ist. Er zahlt unter Umständen gar nichts, wenn er ein kleiner Mann ist. Er muß schon ein erhebliches Einkommen haben, wenn er 20, 30, 40 % Einkommensteuer zahlen soll, die dann zu den 15 % hinzukommen. Im Einzelfalle, z. B. bei einer GmbH, wo drei, vier oder fünf Gesellschafter sind, kann es sehr wohl interessant sein, zu überlegen, ob man den Weg der Barausschüttung des Gewinns zur Kapitalerhöhung wählt, oder ob es sinnvoll ist, den Gewinn zurückzustellen, ihn mit 51 % Körperschaftsteuer belasten zu lassen, um dann im Wege der Verwendung von Gesellschaftsmitteln das Kapital zu erhöhen und dann diese Zusatzanteile auszuschütten. Diese Alternative besteht in Zukunft, und wir werden sicherlich im Ausschuß noch die Frage zu erörtern haben, Herr Kollege Harm, ob das alles harmonisch in das Gesetz hineinpaßt, insbesondere
auch die Frage, ob das Problem der Anschaffungskosten richtig geregelt ist und da nicht möglicherweise Ungerechtigkeiten entstehen können.
Wenn nach einer früheren falschen Theorie eine Einkommensteuerpflicht statuiert wurde, die dem Fiskus überhaupt nichts eingebracht hat, weil sie prohibitiv wirkte, so ermöglicht dieser Entwurf, einen Weg einzuschlagen, der den Kapitalmarkt auflockert, weiter in Bewegung bringt und die Aktie billiger macht, da sie den kleineren Nennwerten angepaßt ist und so auch vom kleinen Mann erworben werden kann. Das ist die ausgesprochene Absicht des Entwurfs.
Das alles, meine verehrten Damen und Herren, stellt die Chance dar, die dieser Entwurf uns gibt. Wir sollten mutig ja dazu sagen und uns nicht etwa durch falsche Überlegungen — ich erinnere an die vom Bundesrat gewünschte Befristung — wieder in eine alte falsche, formalistische und fiktive Denkweise zurücklocken lassen. Es ist ein Glück, daß sich in diesem Entwurf endlich die wirtschaftliche Betrachtungsweise durchgesetzt hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Kurlbaum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich mich meiner eigentlichen Aufgabe zuwende — nämlich der Kritik des Teils des Gesetzes, der sich mit der Gewinn- und Verlustrechnung beschäftigt —, möchte ich einiges dazu sagen, was hier von den Kollegen Dr. Atzenroth und zuletzt von Dr. Schmidt ausgeführt worden ist.Zunächst haben Sie, Herr Dr. Atzenroth, mit einem gewissen Recht gesagt, der Aktionär — und ich möchte es näher umschreiben, insbesondere der Kleinaktionär; ich glaube, es ist im Augenblick eigentlich überhaupt nur dringend, sich für ihn einzusetzen — soll das bekommen, was ihm gebührt. Gar kein Zweifel! Aber ich möchte Sie doch einmal fragen, Herr Dr. Atzenroth: Läßt sich das Problem nicht ganz einfach dadurch lösen, daß die Gesellschaften eben eine angemessene Dividende beschließen? Und können Sie es uns übelnehmen, wenn wir vermuten, daß der letzte Sinn dieser ganzen Gratisaktienangelegenheit darin liegt, es nicht zu so hohen Dividendensätzen kommen zu lassen, vor deren optischen Wirkungen man sich fürchten zu müssen glaubt? Das scheint mir doch die Kardinalfrage zu sein. Das Ziel, daß der Aktionär das bekommt, was ihm zusteht, können Sie jederzeit erreichen, indem Sie eine angemessene Dividende festsetzen.
Zweitens haben Sie davon gesprochen, daß der Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren schon im Wege der „freiwilligen Sozialleistungen" alles das bekommen habe, was ihm zustehe. — Herr Dr. Atzenroth, haben Sie noch nie etwas von der Selbstfinanzierung über den Preis gehört, zu der sich sogar der Bundeswirtschaftsminister kürzlich sehrKurlbaumkritisch geäußert hat? Haben Sie gar nichts davon gehört? Wissen Sie nicht auch, daß letzten Endes in den sogenannten freiwilligen Sozialleistungen Bestandteile enthalten sind, die durch langjährige Gewährung längst zu einer verbindlichen Verpflichtung geworden sind? Diese Bestandteile haben mit Freiwilligkeit nach dieser langjährigen Gewährung überhaupt nichts mehr zu tun, so daß die Kategorie der sogenannten freiwilligen Sozialleistungen, wie sie jetzt gewährt werden, auf die Richtigkeit ihres Bezeichnung überprüft werden sollte.Nun einige Anmerkungen zu den Ausführungen von Herrn Dr. Schmidt! Herr Dr. Schmidt, es geht hier im Bundestag nicht um juristische Doktrinen. Ich habe in den neun Jahren, die ich nun Mitglied dieses Hauses bin, meine Hauptaufgabe niemals darin gesehen, juristische Doktrinen und die Richtigkeit von Gerichtsentscheidungen zu erörtern. Es geht hier um sehr massive politische Machtfragen. Es geht um Geld, Herr Dr. Schmidt. Es geht darum, ob das Geld des Steuerzahlers zugunsten einer kleinen Minderheit ausgegeben werden soll. Darum geht es bei der ganzen Frage, und nicht um eine juristische Doktrin.
— Das wird Geld kosten. Ich werde gleich eine Frage an den Herrn Bundesfinanzminister richten, auf die ich heute gern eine Antwort von ihm hätte. Wie kann er es verantworten, daß vor ein paar Monaten hier gegen unseren Widerstand die weitere Spaltung des Körperschaftsteuersatzes beschlossen und damit ein Geschenk an die Dividendenbezieher gegeben worden ist, das uns Hunderte von Millionen kosten wird und ausdrücklich zum Ziel hat, die Barausschüttungen zu vermehren? Und da will man, daß der Bundestag ein Gesetz beschließt, das das Gegenteil von Barausschüttungen fördert und einen Verzicht auf Steuern enthält! Was will man denn nun eigentlich? Will man alles fördern, was der Aktionär bekommt? Das möchten wir gern einmal hören.Nun komme ich zu dem anderen Problem, das in dem Gesetzentwurf behandelt ist, nämlich der künftigen Gestaltung der Gewinn- und Verlustrechnung. Dazu ist von unserer Seite noch nichts gesagt worden. Es ist sehr erfreulich, daß in den letzten Jahren die Diskussion über die Bedeutung der Publizität in den Zeitungen und auch sonst einen immer größeren Raum eingenommen hat.Ich habe dazu gelegentlich der Diskussion über den Haushalt des Bundeswirtschaftsministers am 3. Juli in diesem Hause schon einiges ausgeführt. Ich habe gesagt:Nach Ansicht der Sozialdemokratie geht es bei der Publizität um zwei grundlegende Dinge. Das eine ist: Wie wird die Offentlichkeit über den Umfang und die Reichweite der wirtschaftlichen Macht unterrichtet, die gewisse Unternehmen in der Wirtschaft ausüben? Und das zweite ist: Wie erhält die Öffentlichkeit eineVorstellung von der Größe der Gewinne, die aus solcher wirtschaftlichen Macht gezogen werden?Meine Damen und Herren, das ist das Problem, um das es bei der Frage der Publizität unserer Ansicht nach geht. Ich bin sehr erstaunt darüber, daß in der Begründung des Gesetzentwurfs nicht ein einziges Wort über diese ganze Problematik steht und daß auch der Bundesfinanzminister, den bestimmt auch wirtschaftspolitische Probleme beschäftigen, nicht darauf eingegangen ist. Das einzige Wort, das sich in der Regierungsbegründung findet, lautet: „Förderung des Kapitalmarkts". Nicht einmal das Wort „Kleinaktionär" kommt in der Begründung vor.Ich möchte hier ausdrücklich feststellen: Wir Sozialdemokraten sind sehr wohl dafür, daß der Kleinaktionär endlich einmal ausreichende Information über den Vermögenswert, den er in Gestalt seiner Aktie besitzt, und über die Ertragskraft des Unternehmens erhält. Das halten wir allerdings auch für ein schutzwürdiges Interesse. Aber ich bin durchaus nicht der Meinung, Herr Dr. Wilhelmi, daß das ein Gebiet ist, auf dem sich ausschließlich Spezialisten zu betätigen haben. Hier handelt es sich um ein hochpolitisches Problem.Wenn man für die Zukunft zu einer wirklich vernünftigen Lösung des Problems der Macht und ihrer Kontrolle in der Demokratie kommen will, dann bleibt gar nichts anderes übrig, als erst einmal die Öffentlichkeit darüber zu unterrichten. Ich möchte Ihnen hier ganz deutlich sagen: Es genügt nicht, wenn die Öffentlichkeit mit diesem Problem in Schlagwortform bekanntgemacht wird. Das liegt uns auch ganz fern. Uns liegt im Gegenteil daran, daß die Öffentlichkeit über das Problem der Macht in der Wirtschaft endlich konkret mit zahlenmäßigen Vorstellungen informiert wird. Erst dann können wir überhaupt damit rechnen, daß sie sich mit Erfolg mit den Fragen beschäftigt. Darum ist eine Konkretisierung der Angaben dringend geboten.Wir bestreiten gar nicht, daß sich einzelne Gesellschaften Mühe gegeben haben, Fortschritte in der Publizität zu erreichen. Wir können uns aber nicht damit abfinden, daß die Offentlichkeit sozusagen auf den guten Willen der einzelnen Unternehmungen angewiesen ist. Zweifellos besteht bei einzelnen Unternehmen auch ein sehr reales Interesse, die Öffentlichkeit genauer zu unterrichten, weil sie von der Möglichkeit Gebrauch machen wollen, sich über den Kapitalmarkt zu finanzieren. Wir wissen aber genau, daß es sehr viele große und wichtige Unternehmungen gibt, die darauf gar keinen Wert legen; sie verdienen so viel, daß sie es gar nicht nötig haben, an den Kapitalmarkt her anzutreten. Und sollen wir es dem Zufall, ob ein solches Bedürfnis der Finanzierung über den Kapitalmarkt vorliegt, überlassen, ob die Öffentlichkeit unterrichtet wird?Meine Damen und Herren! Teilweise sehr lautlos vollzieht sich eine gewaltige Machtzusammenballung in der Wirtschaft. Mit Recht wird darüber in der letzten Zeit immer deutlicher gesprochen,Kurlbaumund wir Sozialdemokraten haben es uns als Aufgabe gestellt, darauf besonders deutlich hinzuweisen. Wir wissen dabei genau, daß ein Teil dieser Konzentration auch volkswirtschaftlich sinnvoll ist, insoweit sie etwa durch die Technik begründet ist, insoweit sie durch die Erfordernisse einer ausgedehnten Forschung bedingt ist. Wir wissen aber auch sehr genau, daß ein Teil dieser Konzentration, dieser Machtzusammenballung in erster Linie eine Frage der Marktstrategie ist,
eine Form und ein Weg, um den Markt so manipulieren zu können, wie man will, oder — um es noch deutlicher zu sagen — den Wettbewerb soweit wie möglich auszuschalten. Da allerdings ist der Punkt, wo die Öffentlichkeit ein großes und berechtigtes Interesse daran hat, ausreichend unterrichtet zu sein.Ich brauche Ihnen nur einige Beispiele zu nennen: 70 % der in der Bundesrepublik verbrauchten Margarine wird von einem Konzern hergestellt; die restlichen Hersteller sind mehr oder weniger von seiner Gnade abhängig. 60 % der Zigaretten werden von einem Konzern hergestellt. 90 % des Waschpulvers — das möchte ich den Hausfrauen sagen — werden von zwei Firmen hergestellt. Ich könnte die Zahl der Beispiele beliebig vermehren. In der Automobilindustrie haben wir bei dem besonders interessanten Objekt des Kleinautos vier große Firmen. Der Ölmarkt wird von fünf großen Firmen beherrscht.Das alles hat sich noch relativ sichtbar abgespielt. Es gibt aber eine ganze Reihe Vorgänge, die durchaus nicht so sichtbar sind. Einer der interessantesten relativ unsichtbaren Vorgänge ist z. B. die Entwicklung der Firma Oetker zu einem, man kann ruhig sagen, Nährmittelkonzern allergrößten Umfangs.
— Nein, meine Damen und Herren, ich bin ausdrücklich für eine Versachlichung. Dazu gehört aber Publizität. Wenn Sie die Publizität nicht zugestehen, wenn Sie nicht zugestehen, daß die Offentlichkeit sachlich unterrichtet wird, dann zwingen Sie uns, zunächst einmal in allgemeiner Form darüber zu sprechen. Je schneller Sie einer besseren Publizität zustimmen, desto konkreter werden wir hier miteinander diskutieren können. Bitte unterstützen Sie unser Bemühen!
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung dazu machen. Was den Oetker-Konzern besonders interessant gemacht hat, ist ja z. B. auch die Tatsache, in wie wenigen Jahren es ihm gelungen ist, dank seiner enormen Gewinne aus dem Verkauf von Nährmitteln und natürlich, meine Damen und Herren von der Koalition, dank der großzügigen steuerlichen Abschreibungsvergünstigungen, die Sie beschlossen haben, sich sozusagen im Handumdrehen eine ganze Flotte anzuschaffen. Das ist ein Vorgang, der der Öffentlichkeit zur Kenntnis zu geben durchaus interessant wäre.Wenn man sich diese ganze Problematik ansieht -- sie ist wirklich eine große Problematik, auch wenn sie Ihnen vielleicht klein vorkommt; mir kommt sie sehr groß vor —, dann kann man nur folgendes sagen: Die Bundesregierung hat hier, was die Publizität betrifft, wirklich ein Mäuschen geboren!
— Ja, meine Herren, es ist wirklich ein Mäuschen, was hier geboren worden ist.Es kann sich jetzt nicht darum handeln, auf Einzelheiten einzugehen. Aber lassen Sie mich doch einiges Grundsätzliche dazu sagen.
— Darauf will ich jetzt gerade eingehen. Ich weiß und ich erkenne es an, daß das Bundesjustizministerium zweifellos keine ganz leichte Stellung gegenüber gewissen Gruppen der Wirtschaft gehabt hat. Ich erkenne an, daß die Einführung des Bruttoumsatzes einen gewissen Fortschritt darstellt. Ich habe aber schon am 3. Juli darauf hingewiesen, daß das in dieser primitiven Form eine sehr problematische Angelegenheit ist. Denn das bedeutet doch, daß die Großfirma mit einer Vielfalt von Erzeugnissen genauso wie die kleine Spezialfirma nur eine einzige Ziffer zu nennen braucht, nämlich ihren Gesamtumsatz. Aus der Summe des Gesamtumsatzes kann man doch gerade bei den interessanten Objekten, nämlich bei den Großfirmen, soweit sie nicht ein ganz einheitliches Fabrikationsprogramm haben, noch gar nichts entnehmen. Aber bei den kleineren Unternehmen kann man etwas Interessantes daraus ersehen.Weiter gewinnen wir ein wirkliches Bild eigentlich nur dann, wenn wir den Ertrag in ein Verhältnis zum Umsatz setzen können. Sehen Sie sich einmal an, wie es nun mit der Offenlegung der Erträge steht, dank. dieser Novelle! Tut man es, muß man zu dem Ergebnis kommen, daß sehr kleine, wirklich nur sehr kleine Fortschritte gemacht worden sind. Das ganze Problem der stillen Reserven, die Frage. wieweit die Abschreibungen über das betriebswirtschaftlich Notwendige hinausgehen, ist überhaupt nicht angepackt worden. Sie kennen doch alle den meilenweiten Abstand zwischen Steuerbilanzen und Handelsbilanzen. In den Steuerbilanzen sind immer noch die steuerlichen Sonderabschreibungen drin. Trotzdem aber ist da immer ein ganz gewaltiger Unterschied. Auch bei diesem Problem ist nicht einmal angedeutet worden, wie es gelöst werden kann.Der Herr Bundesfinanzminister hat in der Begründung gesagt, daß auch die Gratisaktie ein Mittel sei, durch das sich der Kleinaktionär ein plastischeres Bild von der Vermögensstruktur machen könne. Sehr richtig! Wenn man die Dinge allerdings nur so sieht, dann speist man den kleinen Aktionär auf sehr billige Weise ab. Er bekommt doch nur dann einen gewissen Einblick, eine nur sehr näherungsweise Vorstellung von den wirklichen Kapitalverhältnissen, wenn die Gesellschaft sich tatsächlich für die Ausgabe von Gratisaktien entschieden hat. Wollen Sie denn dem Kleinaktionär diese zusätz-
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2492 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1958
Kurlbaumliche Information nur geben bei den Firmen, die Gratisaktien ausgeben?Also ich glaube, der richtige Weg, um dem Kleinaktionär zu seinem Recht zu verhelfen, ist endlich eine angemessene und ausreichende Publizität. Dann braucht man diese Kunststücke über Gratisaktien wegen der dadurch eventuell vermittelten zusätzlichen Information nicht zu machen.Lassen Sie mich noch etwas sagen, was vielleicht manchem nur als eine Formsache erscheint. In dem Gesetzentwurf ist mit dem einsamen § 22 ein Schema vorgesehen, und am Ende der Aufwandsseite steht der Reingewinn. Vor dem Reingewinn werden alle Absetzungen in die Rücklagen vorgenommen, die also ins Vermögen gehen usw. Ist denn den Verfassern dieses Gesetzentwurfs überhaupt niemals nur der Gedanke gekommen, daß die Bezeichnung dessen, was hier im allgemeinen der kümmerliche Rest eines tatsächlich vorhandenen Gewinns ist, als Reingewinn geradezu, eine Irreführung der Öffentlichkeit darstellt, und sollte man nicht endlich mit diesem entsetzlichen Brauch aufhören, das als Reingewinn zu bezeichnen? In anderen Ländern, die eine sehr viel ehrlichere Publizität haben,
bezeichnet man etwas ganz anderes als Reingewinn und sagt nachher ehrlich, welchen Teil des Reingewinns man im Unternehmen läßt und welchen man ausschüttet. Das wäre eine Terminologie, die sehr viel besser geeignet wäre, die Öffentlichkeit und insbesondere die Menschen, denen es nicht leichtfällt, sich in diesen Dingen zurechtzufinden, zu unterrichten.
— Ja, lesen Sie mal eine amerikanische Bilanz; dann werden Sie interessante Dinge feststellen.
— Ich behaupte nicht, daß alles in Amerika vollkommen ist. Ich behaupte nur, daß die Bilanzen, die für die Aktiengesellschaften in den USA, deren Aktien an der Börse gehandelt werden, vorgelegt werden, unendlich mehr sagen als die des Gros unserer Aktiengesellschaften.Ich komme zu einem weiteren Problem, Die SPD kann sich selbstverständlich niemals damit abfinden, daß die Publizitätsvorschriften auf eine Rechtsform begrenzt werden sollen. Wohin kommen wir, wenn auch in Zukunft jeder der Publizitätspflicht gegenüber der Öffentlichkeit dadurch ausweichen kann, daß er in eine andere Rechtsform ausweicht? Damit kann unserem Bedürfnis und meiner Ansicht nach den Bedürfnissen einer einwandfreien Demokratie in keiner Weise Rechnung getragen werden. Wie wir nachher die Publizitätspflicht bei den kleinen und mittleren Unternehmen nach unten abgrenzen, darüber können wir uns gern im Ausschuß unterhalten. Diese Frage steht ja auch bei den Aktiengesellschaften an.Wir sehen ferner in der ganzen Frage der Publizität einen entscheidenden Gesichtspunkt in folgendem: In je größerem Umfang ein Wirtschaftszweig es fertiggebracht hat, den Wettbewerb bei sich auszuschalten, um so eifriger sollten wir danach spüren, gerade in diesen Bereichen für eine ausreichende Publizität zu sorgen. Ich darf in diesem Zusammenhang auch noch auf die Schwierigkeiten beim Bundeskartellamt hinweisen. Wir haben das vorausgesagt, und die ersten Erfahrungen haben es sofort bestätigt. Das Bundeskartellamt ist auf Grund dessen, was an Publizität geliefert wird, zur Zeit nicht in der Lage, von den Paragraphen betreffend marktbeherrschende Unternehmen und Gruppen überhaupt nennenswerten Gebrauch zu machen. Es ist ganz klar, daß wir zu einer Wirksamkeit des Kartellamts nur dann kommen können, wenn wir unsere Publizitätsvorschriften wesentlich verschärfen.Ich möchte noch auf einen weiteren Zusammenhang hinweisen. Wenn wir das nicht tun, wenn wir das Bundeskartellamt nicht kurzfristig in den Stand setzen, gegenüber den marktbeherrschenden Unternehmen und Gruppen seine Aufgaben zu erfüllen, dann wird das Kartellgesetz nur eine Wirkung haben: nämlich den kleinen und mittleren Unternehmen Schwierigkeiten zu machen und die großen völlig ungeschoren zu lassen. Ich glaube, daß will zumindest ein großer Teil des Hauses nicht.Schließlich ein letzter Punkt. Mit Recht ist in den letzten Jahren schon die Frage der Konzernabschlüsse in der Offentlichkeit diskutiert worden. Nichts davon finden Sie in dem Gesetzentwurf, obwohl es sogar schon Gesellschaften gibt, die das selber anbieten, und obwohl es vor allen Dingen einen § 134 des Aktiengesetzes gibt, der die Regierung ausdrücklich ermächtigt, auf diesem Gebiet etwas zu tun. Frage: Warum hat man sich, obwohl dieses Problem in der Öffentlichkeit so viel diskutiert worden ist, bis heute nicht dazu entschließen können, etwas für die weitere Verbreitung von Konzernabschlüssen zu tun?Wir haben es heute in der ersten Lesung zweifellos nur mit den grundsätzlichen Fragen zu tun. Ich bedaure sehr, daß der Bundeswirtschaftsminister nicht hier ist. Ich weiß, daß er sich auf seiner „Raketenreise" durch acht Länder in 25 Tagen befindet. Wir werden aber hoffentlich auch mit ihm diese Probleme sehr ausgiebig im Ausschuß und dann in der zweiten und dritten Lesung diskutieren.Die SPD nimmt — das haben wir schon mehrmals gesagt — das Problem der Kontrolle der wirtschaftlichen Macht außerordentlich ernst. Wir nehmen es auch sehr ernst damit, die Öffentlichkeit in den Stand zu setzen, daran mitzuwirken. Wir sind nicht der Meinung, daß zuerst der Weg gegangen werden sollte, diese Aufgabe durch gesetzliche oder behördliche Reglementierung zu lösen. Wir sind gern bereit, der Öffentlichkeit die Chance zu geben, sich bei dieser Aufgabe weitgehend einzuschalten und wirksam zu werden. Ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren von der Koalition, daß die Frage, wie Sie und wie wir uns in Zukunft zu dem Problem der Kontrolle bisher unkontrollierter wirtschaft-Kurlbaumlicher Macht auch durch die Offentlichkeit stellen werden, wahrscheinlich einer der entscheidendsten Punkte in unseren zukünftigen Auseinandersetzungen sein wird. Wir haben uns nicht nur über die Frage der Marktwirtschaft, ihrer Wirksamkeit und Nützlichkeit auf diesem oder jenem Gebiet in der Sache weitgehend geeinigt, wir sind uns auch einig über die Frage der Stabilisierung der Kaufkraft. Aber die Kontrolle bisher unkontrollierter wirtschaftlicher Macht scheint mir eine Frage zu sein, über die wir uns sehr deutlich auseinanderzusetzen haben werden. Wir werden Ihre Haltung, meine Damen und Herren von der Koalition, zu dieser Frage als Prüfstein dafür betrachten, ob Sie es ernst meinen mit der Demokratie in der Bundesrepublik.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hellwig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur einige abschließende Bemerkungen zu dem bisherigen Stand der Diskussion über dieses Thema. Ich möchte anknüpfen an Ausführungen, die der Kollege Kurlbaum soeben gemacht hat. Der Kollege Kurlbaum hat das Problem der Publizität in einer Weise ausgeweitet, die über das bei der aktienrechtlichen Problematik zunächst gegebene Maß erheblich hinausgeht.
— Das ist verständlich. Wir sind ja auch nicht prüde, 'aber wir möchten doch dringend bitten, die Fragen der Markttransparenz, der Publizität über Vorgänge am Markt von den gesellschaftsrechtlichen Publizitätsvorschriften zu trennen. Das eine gehört in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und unterliegt insbesondere auch der aktiven Mitarbeit der Kartellbehörde, und das andere sind zunächst Angelegenheiten, die im Gesellschaftsrecht geregelt waren und weiter zu regeln sein werden. Auch die Zielsetzung ist ja wohl eine andere.
— Ich komme gleich darauf zurück. — Die Publizitätsvorschriften im Gesellschaftsrecht dienen doch zunächst einmal der Sicherstellung des Informationsrechts des Aktionärs, und damit ist natürlich auch 'ein öffentliches Interesse gegeben, den Aktionär vor einer Übervorteilung zu schützen; daher auch die Prüfungsbestimmungen und die weitgehende Festigung des öffentlichen Interesses durch die Entwicklung der Pflichtprüfungen und ähnliche Dinge. Weiterhin ist für einen Kapitalmarkt, der sich gesund entwickeln soll, ein Mindestmaß an Publizität unbedingterforderlich. Daß hier in der Vergangenheit längst nicht alles in Ordnung war, wurde ja nicht bestritten. Ich komme aber nachher auf diesen Punkt nochmals zurück.Davon zu unterscheiden sind zweifellos die Publizitätsbegehren, wie sie von Ihnen zur Sprachegebracht worden sind, die etwa auf die Offenlegung der jeweiligen Marktposition des Unternehmens hinauslaufen. Wenn Sie etwa bedauern, daß nur ein Bruttoumsatz genannt wird oder genannt werden soll, aber nicht eine Spezifizierung des Umsatzes nach einzelnen Artikeln erfolgen soll, dann wollen Sie in Wirklichkeit doch die Offenlegung der Marktposition der Unternehmungen, und das hat mit gesellschaftsrechtlicher Publizität zum Schutze dies Aktionärs nichts mehr zu tun.Man mag sich nun an anderer Stelle darüber unterhalten, ob es zur Förderung der Markttransparenz für die Durchführung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen noch weiterer Mittel und weiterer Maßnahmen bedarf. Ich möchte gerade in diesem Zusammenhang einmal auf folgendes aufmerksam machen. Herr Kurlbaum, Sie haben davor gewarnt, daß das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vor allem den mittleren und kleineren Unternehmungen unbequem werden könnte. Ich könnte Ihnen das genauso zurückgeben: die von Ihnen geforderte erweiterte Publizität könnte vor allem mittleren und kleineren Unternehmungen wegen der Offenlegung ihrer Marktposition gefährlich werden. Ich glaube, man sollte hier wenigstens erkennen, daß die beiden Dinge nicht über einen Leisten geschlagen werden dürfen, da als Ergebnis unter Umständen sehr wohl das Gegenteil herauskommen kann.Ich darf Ihnen nun einige Illustrationen zu dem Ausmaß der derzeitigen Publizität in den deutschen Kapitalgesellschaften geben. Es stehen mir eine Reihe von Untersuchungen über das Ausmaß der Publizität bei den deutschen Aktiengesellschaften, bei den industriellen Gesellschaften mit beschränkter Haftung, bei den amerikanischen Aktiengesellschaften und eine Untersuchung über die Börsenzulassungsprospekte in beiden Ländern zur Verfügung, außerdem einige Arbeiten, die der Öffentlichkeit und damit auch Ihnen nunmehr wohl zugänglich sind. Was zunächst den vielbeschworenen Vergleich mit den USA betrifft, so ist ziemlich unbestritten, daß die Publizität der großen amerikanischen Gesellschaften auf dem Gebiet der Vermögenslage, der Vermögensnachweisung, also der Bilanz, wesentlich bescheidener ist als diejenige der deutschen Gesellschaften und daß man sich dort im allgemeinen darauf beschränkt, Globalzahlen über die Aktiven zu nennen ohne die weitgehende Aufgliederung, die die deutsche Bilanz zeigt. Umgekehrt sind die amerikanischen Publikationen über die Gewinn- und Verlustrechnung im allgemeinen reichhaltiger als die deutschen Publikationen. Ich darf aber daran erinnern, daß eine Gewöhnung der Offentlichkeit an die Tatsache, daß es nicht unmoralisch ist, Gewinne zu erzielen, in Amerika das Klima für die Publizität gerade auf diesem Gebiete wesentlich mehr begünstigt hat, als es bei uns der Fall ist. Aber selbst wenn man die Gewinn- und Verlustrechnungen bei uns mit denen der amerikanischen Gesellschaften vergleicht, so ist auch hier schon an vielen Stellen deutlich, daß gerade die großen Unternehmungen weit über das gesetzlich vorgeschriebene Minimum hinausgegangen sind.
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2494 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1958
Dr. HellwigBei der Untersuchung, deren Ergebnisse mir vorliegen, mußten natürlich im wesentlichen die großen Gesellschaften herangezogen werden, weil hier eine detaillierte Publizität entwickelt worden ist. Die Untersuchung umfaßt über 85 % des Aktienkapitals der deutschen Aktiengesellschaften. Bei nicht weniger als etwa 60 % des Aktienkapitals geht die Publizität erheblich über die Mindesterfordernisse hinaus, und bei rund der Hälfte des in der Industrie arbeitenden Aktienkapitals wird auch bereits der Umsatz in absoluten Zahlen angegeben. Das ist doch immerhin ein erheblicher Fortschritt.Aber nun kann natürlich sofort das Argument von Ihnen kommen: Diese Zahl bezieht sich im wesentlichen auf die großen Aktiengesellschaften und die bei ihnen entwickelte Publizität mit Umsatzzahlen und ähnlichen Dingen. Dabei wird aber schon deutlich, was ich vorhin sagte: Der Mangel an Publizität ist viel stärker bei den kleineren und mittleren Gesellschaften zu beklagen, insbesondere dann, wenn es sich um einen relativ geringen Kreis von Aktionären, um Familiengesellschaften usw. handelt, als bei den großen Publikumsgesellschaften. Wir müssen also bei Ihren Forderungen nach noch weitergehender Publizität sehr genau prüfen, was die Stellung der großen gegenüber den mittleren und kleineren Unternehmen unter Umständen noch begünstigt.
Hier ist also irgendwo eine Grenze. Ich freue mich,daß Sie gesagt haben, wir wollten uns noch überdie Abgrenzung nach unten ausführlich unterhalten.Nun zur Frage der Börsenpublizität in den USA und bei uns. Wir haben die Börsenzulassungsprospekte miteinander verglichen. In folgenden Punkten gehen die amerikanischen Börseneinführungsprospekte über das deutsche Publizitätsmaß hinaus. Sie müssen enthalten: Angaben über die Börsenkurse der letzten Jahre, Ertragsrechnungen für fünf Jahre, genaue Angaben über die Bezüge der Direktoren und deren Aktienbesitz, über die beabsichtigte Verwertung des Erlöses aus den neuen Aktien, über die Aktionäre, die mehr als 10 % aller Aktien besitzen, sowie einen Bilanzstichtag bringen, der 'nicht weiter zurückliegen darf als 90 Tage. Diese Unterschiede zwischen den amerikanischen und unseren Vorschriften gehen vor allem darauf zurück, daß es in Amerika nicht die aktienrechtliche Trennung von Vorstand und Aufsichtsrat wie bei uns gibt und daß die Vereinigung von Vorstandsfunktion, also von Management und Aufsichtsratsfunktion eines der wesentlichen Merkmale der amerikanischen Management-Position ist. Bestimmte Unterschiede sind hier eben strukturell bedingt. Man kann das nicht einfach auf uns übertragen.Hinsichtlich des internationalen Vergleichs sollten wir uns nunmehr vor allem auch bemühen, den Vergleich mit den anderen Ländern innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu entwikkeln. Wir müssen uns darüber klarwerden, daß, je mehr man in Richtung auf den Gemeinsamen Markt unter Abbau von diskriminierenden Bestimmungen, unter Anpassung von verschiedenensteuerrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Tatbeständen Fortschritte macht, um so mehr natürlich auch die Publizität einer Bilanz oder Gewinn- und Verlustrechnung bei uns eine Publizität für den Konkurrenten im Gemeinsamen Markt unter gleichen Bedingungen ist. Daß hier eine Verständigung über ein gewisses Gleichmaß der anzustrebenden Publizität notwendig ist, wird wohl von niemandem bestritten werden.Noch ein Wort zur Frage der marktbeherrschenden Unternehmungen. Herr Kollege Kurlbaum, wir haben bei dem Bericht, den wir in Berlin im Bundeskartellamt gehört haben, wohl alle sehr deutlich verspürt, daß die Bestimmungen über die Zusammenschlüsse und die Meldung, die auf diesem Gebiet zu erstatten ist, nur ein sehr bescheidener Anfang sind. Mehr konnten und sollten sie nicht sein. Sie wissen aus der damaligen Diskussion ganz genau — ich darf hier wohl die Ausführungen des Staatssekretärs des Bundesjustizministeriums im Wirtschaftspolitischen Ausschuß in Ihre Erinnerung zurückrufen —, daß es sich für das deutsche Recht hier um Neuland handelt und daß man zunächst besser behutsam mit Anfangsbestimmungen arbeitet, durch die eine Berichterstattung oder eine Beobachtung eingeleitet wird, ehe man mit massiven Zwangsvorschriften und Sanktionen operiert. Hier ist also das letzte Wort keinesfalls gesprochen, und diese Lücke in der Gesetzgebung über den Wettbewerb wird unumwunden zugegeben. Sie war aber aus einer vorsichtigen Anfangshaltung diesem Problem gegenüber gewollt.Nun darf ich noch eine Bemerkung zu dem wirtschaftspolitischen Zusammenhang dieses Problemkreises überhaupt machen. Es kommt nicht so plötzlich, wie Herr Dr. Harm vorhin meinte, daß hier eine „erneute Begünstigung für bestimmte Aktionäre" geschaffen wird. Auch diese Vorlage ist Teil eines ganz bestimmten wirtschaftspolitischen Programms, dessen Zielsetzung es ist, die Aktie als Finanzierungsinstrument nicht nur wieder in ihren früheren Rang zurückzubringen, sondern sie darüber hinaus auch als eine Form der Vermögensbildung und Spartätigkeit der breiten Masse zu popularisieren. Daß dieses Werk mit einer ganzen Reihe von gesetzgeberischen Maßnahmen verbunden sein muß, versteht sich von selbst. Es ist auf der einen Seite die Senkung des Körperschaftsteuersatzes für ausgeschüttete Dividenden zu nennen — das Gesetz ist im Sommer verabschiedet worden —, und nunmehr folgen die Bestimmungen, die die Umwandlung der bisher aus — wohlgemerkt versteuerten — Gewinnen gebildeten Rücklagen in echtes haftendes Kapital anstreben. Gerade in Zusammenhang mit der Frage der Machtkonzentration und -expansion sollte eigentlich die Umwandlung von Rücklagen in haftendes Kapital, über das die Aktionäre mit zu beschließen haben, Ihre Unterstützung finden, denn dieses Anliegen ist ja auch von Ihnen stark unterstrichen worden. Je größer die Rücklagen und damit die Vermögensmassen, über die das Management gewissermaßen autonom beschließen kann, im Verhältnis zu dem Aktienkapital sind, um so stärker ist die Macht des Management gegenüber den Aktionären, um so größer ist seine UnabhängigkeitDr. Hellwiggegenüber den Aktionären in der Hauptversammlung.Hier liegt doch ein Problem, das nicht nur bei uns besteht — das etwa durch die Selbstfinanzierung entstanden wäre —, sondern das in allen Ländern bei der Entwicklung der modernen Aktiengesellschaft aufgetreten ist. Auch die Amerikaner haben dieses Problem, daß sich durch Selbstfinanzierung — selbstverständlich wohl auch aus versteuerten Gewinnen heraus — die Machtposition, die Autonomie des Management gegenüber den Eigentümern genährt hat, so daß jetzt eine Korrektur anzustreben ist. Daß diese Korrektur bei uns begünstigt und gefördert werden soll, gehört in unsere wirtschaftspolitische Gesamtvorstellung.Noch etwas zu der Finanzierung unserer Aktiengesellschaften oder überhaupt unserer Wirtschaft! Das Bild ist ja längst nicht mehr so, wie es noch vor einigen Jahren bei der Diskussion über Selbstfinanzierung, insbesondere Selbstfinanzierung über den Preis, war, sondern hier liegen nach der Neuberechnung der Vermögensbildung, des Sozialprodukts und seiner Verwendung erhebliche Korrekturen vor. Die Deutsche Bundesbank hat in ihrer jüngsten Untersuchung über die Finanzierung der Vermögensbildung der Unternehmungen nachgewiesen, daß seit Jahren die Finanzierung der Vermögensbildung aus nicht entnommenen Gewinnen rückläufig ist, daß sie für das vergangene Jahr 1957 wohl kaum mit mehr als einem Drittel angesetzt werden kann, wobei diese Größen nur rechnerisch gegenübergestellt werden, ohne daß unterschieden werden könnte, ob diese nicht entnommenen Gewinne, in denen ja auch die nicht entnommenen Gewinne bzw. die entsprechenden Einkommensteile der Selbständigen, der Landwirtschaft, des mittelständischen Gewerbes usw., enthalten sind, wirklich der Finanzierung der Sachvermögensbildung in der Wirtschaft gedient haben. Diese einfache Gegenüberstellung ist also auch noch problematisch.Aber wenn es so ist, daß im Jahre 1956 65 % und im Jahre 1957 67 % der Vermögensbildung der Unternehmen durch Kreditaufnahme finanziert werden mußten und auf die Ausgabe von Aktien zu dieser Finanzierung in dem einen Jahr nur 5,6 % und in dem anderen Jahr nur 4,6 % der Vermögensbildung entfallen, dann ist hier doch etwas nicht in Ordnung, dann ist doch der Anteil des haftenden Kapitals an der Finanzierung der Vermögensbildung einfach zu gering geworden. Gerade im Zusammenhang mit dieser Aufgabe sollte man auch die jetzige Vorlage sehen, der Aufgabe, die Aktie wieder als Finanzierungsinstrument in ihren Rang hineinzubringen und das auch für die Vergangenheit nachzuholen, insbesondere in der Abgrenzung zwischen dem haftenden Kapital und dem Aktienkapital und den anderen Bilanzpositionen.Nun hat Kollege Dr. Harm darauf hingewiesen, daß doch schon jetzt durch diese Diskussion eine ganze Reihe unerwünschter Entwicklungen ausgelöst worden seien. Insbesondere hat er auf die Entwicklung von Börsenkursen hingewiesen. Herr Dr. Harm, daß an der Börse spekulative Erwartungen, gleichgültig was für ein Gesetz im Bereich der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik gemacht wird, ihren Niederschlag finden, ist unbestritten. Was wollen Sie dagegen tun? Wollen Sie für die Dauer der Beratung eines solchen Gesetzes, das irgendwelche spekulative Erwartungen weckt, Stoppkurse für die Aktie einführen? Wollen Sie den Börsenhandel ausschalten? Sie können mit dieser Spekulation nichts anderes machen, als sie sich eben in ihrem eigenen Risiko gewissermaßen totlaufen zu lassen. Das ist, glaube ich, auch in der Spekulation auf Gratisaktien erheblich darin: die Chance, sich im eigenen Risiko totzulaufen.
Herr Abgeordneter Dr. Hellwig, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Dr. Hellwig, sehen Sie nicht selbst ein, daß es keinen Sinn hat, uns solche Absichten zu unterstellen, wir wollten die Börse abschaffen oder sozusagen eine Börsenzwangswirtschaft einführen? Haben wir nicht deutlich genug auch für Sie zum Ausdruck gebracht, daß eines unserer Hauptbedenken dahin geht, daß durch die Einführung der Gratisaktie allerdings der gesamte Börsenhandel in den betreffenden Aktien einen stärkeren spekulativen Akzent bekommt, als er vorher gehabt hat? Und ist nicht dadurch klargeworden, daß wir uns mit Recht Sorge darum machen, daß gerade der Kleinaktionär, der sich über solche Absichten nicht rechtzeitig unterrichten kann, durch Einführung solcher zusätzlichen spekulativen Elemente gegenüber dem Großaktionär, der vorher genau weiß, was passiert, nochmals mehr ins Hintertreffen kommt?
Ich glaube, ich muß die Frage zunächst an Sie zurückgeben; denn über die Entwicklung der Börsenkurse hat ja Ihr neben Ihnen sitzender Fraktionskollege Dr. Harm mit einer sehr deutlichen Verurteilung des spekulativen Elements gesprochen. Sonst hätte ich mich zu diesem Thema überhaupt nicht geäußert. Aber er hat mahnend den Finger erhoben: „Ihr seht es ja schon, was ihr mit dieser Vorlage anrichtet, jetzt ist schon die Börsenspekulation da!" Da kann ich nur die Gegenfrage stellen: was soll das Argument? Ist es ein Argument gegen die Vorlage gewesen?
— Wenn Ihre Feststellung, daß eine spekulative Bewegung an der Börse eintritt, ein Argument gegen die Vorlage ist, dann können Sie damit natürlich jeder Diskussion in diesem Hause begegnen. Es war schon richtig von mir, die Frage zu stellen: was wollen Sie denn mit diesem Hinweis?
Herr Abgeordneter Dr. Hellwig, gestatten Sie eine neue Zwischenfrage?
Herr Präsident, ich würde gern zunächst die erste Frage des Herrn
Dr. Hellwig
Kurlbaum, die ja aus mehreren Fragen bestand, voll beantworten; dann bin ich gern bereit, mich zu weiteren Fragen zu äußern.
Sie haben also gesagt, Herr Kollege Kurlbaum: Die Spekulation wird durch eine solche Gesetzgebungsmaßnahme noch einmal angereizt. Gut, ich gebe Ihnen in einem Teil recht: wir können niemandem verbieten, im Zusammenhang mit einem Gesetz, das bei uns in der Beratung ist, irgend etwas zu spekulieren.
— Gerade für die Dauer muß ich Ihnen widersprechen, Herr Kurlbaum. Warum ist das Ausmaß der Spekulation an der Börse im Augenblick so ungewöhnlich? Weil es an Material für den Börsenaktienhandel fehlt und bereits geringe Aufträge, geringe Interessenkäufe zu ungewöhnlichen Kursbewegungen führen können. Vermehren Sie das Aktienangebot an der Börse, dann werden Sie von vornherein auch der Spekulation das Wasser entzogen haben.
Aber woher sind denn die Bewegungen der letzten Monate gekommen? Man kann doch nicht alles auf diese Vorlage abschieben wollen. Da ist zunächst die Wirkung der Diskontsenkung. Durch sie ist die durchschnittliche Rendite der Aktie im Vergleich zum Zins seit einigen Monaten wesentlich günstiger geworden. Daß das eine Bewegung der Börsenkurse zur Folge hatte, konnte jeder voraussehen. Daß bestimmte Interessenkäufe, nicht zuletzt im Gefolge der Zwangsverkäufe, die die Alliierten bei einigen Kapitalbesitzern herbeigeführt hatten, eingetreten sind, ist ebenfalls hier zu erwähnen. Es ist auch unbestritten, daß weiterhin in großem Umfang spekulatives Auslandskapital, gerade in den letzten Monaten wieder, als Käufer auftritt.
Man soll also die Entwicklung der Börsenkurse nicht so schematisch, wie es geschehen ist, mit diesem Gesetz in Verbindung bringen. Sie können natürlich einzelne Werte herausgreifen und sagen, da oder da liege das mit Sicherheit vor. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: das Ausmaß der Spekulation, wie wir es in den letzten Monaten, manchmal auch Jahren, gesehen haben, ist wesentlich durch die Marktenge bedingt. Es ist eben zuwenig Material vorhanden, und die Gesellschaften haben sich bei der Emission von Aktien aus vielen Gründen, die wir früher erörtert haben, zurückgehalten, hauptsächlich deshalb, weil die Finanzierung über die Aktie im Vergleich zu Obligationen oder anderen Formen von fest verzinslichen Krediten die teuerste Finanzierung für neue Investitionen war.
Herr Kollege Harm hat auf den Aktienbesitz und dessen Aufgliederung hingewiesen sowie darauf, daß nur ein kleiner Teil des gesamten Aktienkapitals fluktuiere. Damit hat er nach meiner Meinung bestätigt, daß im Grunde genommen sehr wenig Material vorhanden ist. Die Frage ist natürlich, ob wir eine große Fluktuation des Aktienbesitzes überhaupt für richtig halten. Ich glaube, auch der Festbesitz in der Hand des Sparers, der nicht bei jeder
Börsenbewegung in die Fluktuation einsteigt, ist durchaus eine erwünschte Form der Verteilung des Aktienbesitzes.
Nun die Frage, die Sie in dem Zusammenhang ebenfalls angedeutet haben: Wem kommt das zugute, wenn nunmehr aus Gesellschaftsmitteln die Kapitalaufstockung aufgenommen wird? Sie meinten, das komme nur den großen Gruppen, dem Festbesitz, den Großaktionären usw., zugute. Sie müssen dabei aber zumindest ganz große Gruppen von Aktionären ausschalten, die an der Frage „Kapitalausschüttung durch Aktien oder Aufrechterhaltung der Rücklagen" im Grunde genommen gar nicht interessiert sind, weil es sich um feste Besitzverhältnisse handelt, die zum Teil auch noch im Genuß des Schachtelprivilegs sind und insofern von dieser Maßnahme überhaupt nicht betroffen werden.
Bei näherem Zusehen sollten daher nach meiner Meinung die von Ihnen vorgetragenen Bedenken zusammenschrumpfen, und es sollte Ihnen möglich sein, Ihre Zustimmung zu dieser Vorlage zu geben.
Ich darf wiederholen: es geht nicht um eine isolierte Maßnahme. Sie ist vielmehr in dem Strauß von mehreren Maßnahmen zu sehen und zu verstehen: die Aktie als Finanzierungsinstrument wieder zu popularisieren, sie wieder breiter in die Öffentlichkeit zu bringen, einmal um der Finanzierung der Unternehmungen selbst willen, zum andern aber auch im Rahmen der gesamten Eigentumspolitik, von der wir an anderen Stellen schon wiederholt gesprochen haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Starke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte jetzt am Schluß dieser Debatte noch einmal kurz zu diesem Gesetzentwurf Stellung nehmen. Der Herr Kollege Hellwig hat sehr vieles von dem vorweggenommen, was ich hier noch breit hätte ausführen können. Der Herr Kollege Atzenroth von meiner Fraktion hat sich schon in einem positiven Sinne zu diesem Entwurf geäußert. Er hätte, wie er mir sagte, seine Ausführungen von vorhin in einem Punkte noch gern ergänzt. Ich darf das jetzt für ihn tun.Ich will nicht zu den Publizitätsvorschriften Stellung nehmen und mich insbesondere nicht im einzelnen zu dem äußern, was Herr Kollege Kurlbaum dazu gesagt hat.Wenn ich einmal offen sprechen darf, Herr Kollege Kurlbaum, lassen Sie mich folgendes sagen. Eigentlich bedauere ich Ihre Haltung zu diesem Entwurf; denn ein wenig, Herr Kollege Kurlbaum, kenne ich doch Ihren Kampf für die mittleren Betriebe und die Kleinbetriebe und Ihren Kampf gegen Konzentration. Da schließt sich meine Fraktion in vollem Umfange an. Das wird aber nun von Ihnen mit diesem Gesetzentwurf verknüpft, der in der Gesamttendenz, die der Kollege Hellwig hier aufgezeigt hat, unzweifelhaft dem gemeinsamen Ziel dienen soll, das wir haben. Sie haben gesagt, dieser
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1958 2497
Dr. StarkeEntwurf werde nicht zu einer verstärkten Gewinn-ausschüttung führen. Herr Kollege Kurlbaum, ichgebe zu, vielleicht kann man diese Vermutung haben.
— Ich spreche davon, daß die in dem Entwurf vorgesehenen Maßnahmen zu einer verstärkten Ausschüttung bei den Aktiengesellschaften führen werden. Von Ihrer Fraktion wird bestritten, daß das die Folge sei. Vielleicht mag es andere Maßnahmen geben. Wir wollen im Augenblick gar nicht darüber sprechen. Wir erwarten aber, daß die in diesem Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen, die eine Fortsetzung der bei der letzten Steuerreform beschlossenen sind, zur verstärkten Ausschüttung führen werden. Sie müssen dazu führen, weil der Aktionär — der Herr Kollege Hellwig hat das schon gesagt; ich darf es wiederholen — jetzt ein neues Instrument gegen das Management erhält. Das ist unsere Überzeugung und gerade aus diesem Grunde bejahen wir das Gesetz in seiner Gesamttendenz.Sie haben die Frage der Publizität mit diesen Gesetzentwürfen, und zwar auch mit dem ersten, in Verbindung gebracht. Ich will dazu nur sagen, wir müssen das doch trennen. Sie finden uns natürlich nicht in Ihrem Gefolge - das werden Sie verstehen —, wenn Sie von der aktienrechtlichen, gesellschaftsrechtlichen Publizität übergehen zu der Publizität für Betriebe überhaupt, zu der Frage der Monopolbekämpfung und der Kartellbekämpfung. Das muß man trennen. Das hat auch der Kollege Hellwig gesagt, und ich möchte das noch einmal unterstreichen. So ist es auch mit der Frage der Konzentration. Wir werden über das Problem noch weiter sprechen und es uns genau betrachten milssen. Das kann aber nicht bei diesem Entwurf geschehen.Man kann bei diesem Gesetzentwurf zwei Dinge in den Vordergrund stellen. Einmal kann man sagen, daß er Steuergeschenke bringe. Zweitens kann man sagen — wie es der Bundesrat getan hat -, daß man deshalb die Sache zeitlich begrenzen müsse. Uns scheint diese Verbindung unlogisch zu sein. Wenn dieser Entwurf Steuergeschenke bringt, dann muß man ihn ablehnen. Man darf sie auch nicht geben, selbst wenn man das nur für eine Reihe von Jahren tun wollte. Das ist das, was man hier feststellen muß.Meine Fraktion begrüßt es, daß bei der Frage der Steuerpflicht für Gratisaktien die wirtschaftliche Betrachtung über eine formal-juristische gesiegt hat. Das möchten wir dann allerdings für alle Zeiten gesichert sehen. Dieser Entwurf bedeutet, so sehen wir es, eine Fortsetzung der bei der letzten Steuerreform eingeführten Maßnahmen, die zu einer erneuten steuerlichen Begünstigung des ausgeschütteten Gewinns geführt haben. Wir haben uns damals gar nicht so leicht dazu entschlossen. Wir haben aber alle Fragen sehr genau geprüft und haben dann mitgemacht. Auch unsere Haltung jetzt haben wir uns wieder sehr genau überlegt.Nur ein ganz kleiner Exkurs! Der erste Redner der Fraktion der SPD hat die Frage des Kurswertes der Aktie nicht berücksichtigt. Wenn eine Aktie notiert ist, zeigt der Kurs doch ganz deutlich, welchen Wert sie hat. Wenn man einmal darauf reduziert, so ist doch nicht einzusehen, weshalb dieser Wert in der Hand des betreffenden Aktionärs ein anderer wird, wenn er für eben denselben Wert zwei Papiere in der Hand hat; denn das Papier an und für sich ist doch kein Wert. Man muß es im Zusammenhang mit dem Kurs sehen, der entweder notiert ist oder sich ergibt, wenn ich verkaufen will. Denn dann werde ich, wenn ich nicht gerade in einer Zwangslage handle, eben den wahren Wert dafür erzielen. Wir sind also der Meinung, daß von einem Steuergeschenk keine Rede sein kann, und wir begrüßen deshalb diesen Entwurf, der die wirtschaftliche Betrachtungsweise bei der Frage der Steuerpflicht in den Vordergrund stellt.Nun komme ich zu den Fragen, die in der Aussprache erwähnt worden sind. Ich will kurz darauf eingehen. Zunächst die Frage der Umgehung! Wir sind der Meinung, man kann diese Gefahr nicht dadurch ausschalten, daß man eine zeitliche Begrenzung vorschlägt, wie es der Bundesrat möchte. Wir meinen aber, daß diese Fragen im Ausschuß noch einmal ganz genau und nach allen Richtungen durchdacht werden sollten. Es ist von keiner Seite beabsichtigt, irgend jemand mit diesem Gesetz Vorteile zuzuschanzen. Ich glaube das jedenfalls auch aus der bisherigen Reaktion auf diesen Entwurf in Teilen der Wirtschaft schließen zu können. Ich glaube, das ist ein sehr gewichtiger Hinweis. Man sollte also insbesondere prüfen, ob § 5 des Entwurfs für die Verhinderung solcher Umgehungen ausreicht. Das wird die Aufgabe des Ausschusses sein. Wir werden uns dabei eingehend beteiligen. Auf keinen Fall aber können etwaige Umgehungsgefahren von vornherein zu einer Ablehnung des Entwurfs führen.Herr Kollege Kurlbaum, der von Ihnen ausgesprochenen Vermutung, hinter dem Entwurf stecke die Absicht, es in Zukunft nicht mehr zur Gewinnausschüttung kommen zu lassen, kann ich nicht folgen. Sie glauben, dieser Entwurf werde — gerade im Gegensatz zu den Maßnahmen, die die Regierung bei der Steuerreform vorgeschlagen hat: steuerliche Begünstigung des ausgeschütteten Gewinns — dazu führen, daß nicht mehr in dem Maße ausgeschüttet wird. Das glauben wir nicht, sind aber der Meinung, daß die wirklichen und echten, auch von uns geteilten Bedenken wegen möglicher Umgehung im Ausschuß geprüft werden sollten.Insbesondere bei dem ersten Redner der Fraktion der SPD klang heute ein wenig durch, man meine vielleicht doch bei dem einen oder anderen mehr, als heute ausgeführt worden ist. Das klang an, als von der Finanzierung über den Preis gesprochen wurde. Wir brauchen darüber nicht zu sprechen. Wir wissen alle, wie das vor sich gegangen ist. Auf alle Fälle handelt es sich aber doch um Vermögen, um Eigentum der Aktionäre, und ich glaube, hinter allen Ausführungen der Redner der Fraktion der SPD liegt noch ein anderer Gedanke versteckt: daß es sich eben nicht um Eigentum der Aktionäre handelt, sondern daß auch noch an-Dr. Starkedere oder die Öffentlichkeit darauf Anspruch haben. Deshalb lehnt man diese — in einem gewissen Maße ist sie es! — Mobilisierung des Vermögens durch die Gratis-Aktien ab. Wir begrüßen es und halten es für eine Klarstellung, wenn diese Mobilisierung jetzt Platz greift. Darüber soll kein Zweifel sein: meine Freunde und ich stehen auf dem Standpunkt, daß es sich um Eigentum der Aktionäre handelt.Es wurde gesagt, daß Finanzierungen über den Preis erfolgt sind. Es ist gar keine Frage, daß das der Fall war. Aber dagegen gibt es ja andere Maßnahmen, und über diese Maßnahmen kann man sich durchaus — ich glaube, das ist auch schon geschehen — mit Ihnen, Herr Kurlbaum, unterhalten. Aber man kann mit dieser Begründung jetzt nicht diesen Entwurf ablehnen.Wir also begrüßen den Entwurf. Wir werden uns aber auch zur Verfügung stellen, um die Bedenken genau zu prüfen, die wir selbst mit anmelden, die Bedenken wegen möglicher Umgehungen, die heute hier angedeutet worden sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Deist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einige Bemerkungen zu den Ausführungen machen, die Herr Hellwig dem Problem der Publizität gewidmet hat. Er meinte, wir müßten unterscheiden zwischen dem Problem der Markttransparenz, also der Offenlegung der Machtverhältnisse auf dem Markt, und dem Problem der Unternehmenspublizität. Er sagte, bei der Markttransparenz möge es sich allenfalls um eine öffentliche Angelegenheit handeln.
— Schön, aber jedenfalls haben Sie gesagt, bei derUnternehmenspublizität handle es sich in ersterLinie um eine Art Informationsrecht des Aktionärs.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, da hat er nicht recht; Sie wollen mir gestatten, daß ich darüber eine andere Meinung habe. Die Vorgänge in den großen Gesellschaften haben für die gesamte wirtschaftliche Entwicklung eine so ungeheure Bedeutung, daß die Frage, ob man weiß, was in diesen Riesenkonzernen vorgeht, für uns nicht mehr eine private Angelegenheit sein kann, sondern eine öffentliche Angelegenheit ist.
Darum werden wir es nicht zulassen, daß Sie so tun, als wenn es sich hier um Dinge handle, die eigentlich nur die Unternehmungen und ihre Aktionäre und vielleicht allenfalls die Banken angingen. Das ist vielmehr eine Angelegenheit, die in den großen Rahmen der Publizität gehört. Wenn Sie wirklich — wie Sie einmal ausgeführt haben, Herr Dr. Hellwig — der Auffassung sind, daß es eine Aufgabe der Demokratie ist, der öffentlichen Kritik die Möglichkeit zu geben, die wirtschaftlichen Verhältnisse zu durchleuchten und offenzulegen,
dann sollten Sie die Publizität der Unternehmungen nicht als eine private Angelegenheit hinstellen, die mit der Frage der öffentlichen Durchleuchtung der Wirtschaft nicht mehr sehr viel zu tun hat.
Eine Bemerkung möchte ich doch zu den etwas gekünstelten Vergleichen zwischen der Publizität in Amerika und der in Deutschland machen.
Herr Hellwig meinte, die Publizität in Deutschland sei auf dem Gebiete der Bilanz, also des Ausweises der Vermögensteile und der Verbindlichkeiten, viel größer, nämlich aufgegliederter, als in Amerika. Dort lege man den größeren Wert nicht auf die Aufgliederung der Vermögensteile, sondern auf den Ertrag. Nun, meine Damen und Herren, wenn ich mal von den Aktionären absehe und von dem öffentlichen Interesse ausgehe, dann interessiert mich nicht die Aufgliederung der Vermögensteile, sondern dann interessiert mich, ob die Werte, die für das Vermögen in der Bilanz angesetzt sind, einigermaßen brauchbar zur Beurteilung der Vermögenslage des Unternehmens sind. Das sind sie aber nicht, wenn wir die Bewertungsvorschriften anwenden, die wir heute bei uns in Deutschland im Aktienrecht nun einmal haben und die geradezu willkürliche Bewertungen auf der Aktivseite und auf der Passivseite zulassen. Darum ist eine formal größere Aufgliederung der Aktiv- und der Passivseite der Bilanz als in den USA gar nichts wert. Die geringere Aufteilung in den USA ist für die Öffentlichkeit deswegen viel interessanter, weil die Werte, die dort angegeben sind, viel aufschlußreicher sind als unsere. Uns interessiert die große Aufgliederung der Vermögenswerte und der Schuldenteile in der Bilanz gar nicht so sehr, weil mit den Werten, die dort geteilt ausgewiesen werden, nicht viel anzufangen ist.Wir sind weit davon entfernt, zu sagen, das Bruttoprinzip in der Gewinn- und Verlustrechnung sei gar nichts. Sicherlich ist das ein Ansatzpunkt, und auch ein guter Ansatzpunkt. Aber das Problem der Publizität in der modernen Demokratie ist so groß, daß das, was Sie bieten, ein kleines Mäuschen ist. — Das mindert nicht den Wert dessen, was hier geschieht, sondern besagt nur: Wer sich schon einmal daran begibt, die Publizitätsvorschriften des Aktienrechts unter die Lupe zu nehmen, sollte nicht an den wesentlichen Dingen vorbeigehen und so tun, als sei diese Vorlage nun der Inbegriff dessen, was auf diesem Gebiete geschehen könnte. Das wollten wir sagen. Und darum kommt es so entscheidend darauf an, daß Sie hierbei nicht stehenbleiben, sondern das Kernproblem der Bewertung der Bilanz, der richtigen Ausweise derDr. DeistVermögenswerte und des richtigen Ertragsausweises innerhalb der Gewinn- und Verlustrechnung aufs Korn nehmen.Herr Hellwig hat gesagt, die Großen entsprächen diesen Publizitätsvorschriften im wesentlichen; ein Mangel sei eigentlich nur bei den Mittleren und Kleineren zu beklagen. Dieser Auffassung kann ich nicht zustimmen. Der Mangel bei den Mittleren und Kleineren stört uns nicht; ihn beklagen wir auch nicht. Im öffentlichen Interesse ist es auch gar nicht so wichtig, ob die mittleren und kleineren Unternehmen wer weiß wieviel ausweisen. Was uns interessiert, ist, daß die größeren und großen Unternehmungen ihre Karten auf den Tisch legen, und dazu gibt es zahlreiche Methoden. Sie könnten z. B. zu dem Bruttoumsatzausweis in der Gewinn- und Verlustrechnung anordnen, daß die großen Gesellschaften von einem bestimmten Rahmen ab im Geschäftsbericht ihre Umsätze nach bestimmten Gesichtspunkten aufgliedern müssen. Durch eine solche Publizitätspolitik würden Sie dem Kleinen — dessen Publizität uns nicht interessiert — überhaupt nicht wehtun; Sie würden aber erreichen, daß die Großen verpflichtet sind, ihre Karten auf den Tisch zu legen, damit wir wissen, was los ist. — Das wollte ich zu den Bemerkungen sagen, die Herr Hellwig Herrn Kurlbaum glaubte entgegenhalten zu können.Nun aber zu dem anderen Problem! Wenn man sich die Begründung des Gesetzentwurfs über die steuerliche Behandlung der Ausgabe von Gratisaktien, die Begründung des Herrn Bundesfinanzministers und die Begründung der Vertreter der Regierungsparteien zu diesem Gesetzentwurf angehört hat, dann bekommt man einen merkwürdigen Eindruck. Es handele sich hier darum, endlich eine Chance zu ergreifen und der richtigen Rechtstheorie gegenüber der juristisch-zivilistischen Denkweise des Bundesfinanzhofs zum Durchbruch zu verhelfen; es handele sich hier darum, die richtige Doktrin endlich einmal herauszustellen und an die Stelle formaler Denkweise eine wirtschaftliche Betrachtungsweise zu setzen. Als wenn sich hier etwas fernab von allem Materiellen in der Welt vollzöge, als wenn es sich hier nicht um Dividenden und um Aktien handelte, sondern um eine hehre ideelle Angelegenheit, nämlich der richtigen Rechtstheorie zum Siege zu verhelfen!
— Darauf komme ich sofort, Herr Kollege Schmidt; zu der wirtschaftlichen Betrachtungsweise möchte ich nämlich anschließend etwas sagen. — Herr Kollege Schmidt meint sagen zu können, diesen Aktionären fließe eigentlich gar nichts zu, sie bekämen eigentlich das, was ihnen in früherer Zeit vorenthalten worden sei — die armen, benachteiligten Aktionäre, deren Recht nun endlich gleichsam in Form eines Wiedergutmachungsgesetzes wiederhergestellt werden soll.
— Ich werde noch darauf kommen, warum ich das so darstelle, weil nämlich, wie mein Kollege Dr. Harm schon dargelegt hat, hinter dem Gesetzentwurf ganz andere, sehr materielle Dinge stecken.
Und ein Drittes! Beim Herrn Bundesfinanzminister kommt das dann hinaus auf die Formel des Mißverhältnisses zwischen dem ausgewiesenen Nennkapital und dem wirklichen Vermögen und der Differenz zwischen Steuerrecht und Privatrecht, als wenn es sich hier mehr um eine bilanztechnische und steuertechnische Angelegenheit handle.Worum geht es denn nun wirklich bei diesem Gesetz?Zunächst einmal, um hier doch den Eindruck richtigzustellen, als ob der benachteiligte Aktionär endlich wieder in seine Rechte eingesetzt werde: Wir haben im Jahre 1928, d. h. in einem Jahre hoher Konjunktur und guter Ertragslage, eine Durchschnittsdividende von 6,4 % gehabt. Nach den amtlichen Ausweisen war der durchschnittliche Dividendensatz im Jahre 1955 bereits auf rund 7,5 %, im Jahre 1956 auf etwa 8,5 %, im Jahre 1957 auf 9,5 % gestiegen, und inzwischen ist er weiter gestiegen.
— Nur keine Sorge, ich komme auf die Nettoverzinsung gleich zu sprechen. — Wir haben also eine ständige Steigerung des Dividendenniveaus über das Maß dessen, was in guten Konjunkturjahren vor dem Kriege gezahlt wurde.Parallel mit dieser Dividendenentwicklung — das ist nicht uninteressant — verläuft die Entwicklung der Durchschnittskurse. Die Durchschnittskurse der Aktien sind nämlich von etwa 120 % im Jahre 1954 — es kommt da auf einige Prozente gar nicht an — auf etwa 250 oder 260 % im August 1958 gestiegen. Diese Entwicklung läuft direkt parallel mit der der Dividenden.Es ist nämlich gar nicht so, daß der Kurs in erster Linie durch den Vermögenswert beeinflußt wird. Er wird in viel stärkerem Umfang durch die Dividenden beeinflußt. Das heißt, durch Steigen der Dividenden bekommen die Aktien hohe Kurswerte, und dann stellt man fest, daß diese hohen Kurswerte ja in gar keinem Verhältnis zu den Nominalwerten stehen. So werden Gratisaktien ausgegeben, damit das Verhältnis wieder glattgestellt wird. Dann steigen die Dividenden wieder, und die Kurswerte steigen mit, und da die Sache nicht einmal begrenzt ist, können wir dieses Spiel ad infinitum weiterführen. Das steckt hinter diesem Gesetzentwurf.Und wie lautet die Begründung? Man sagt, das Mißverhältnis zwischen dem inneren Vermögenswert — ausgedrückt im Kurswert, den ich soeben geschildert habe — und dem Nominalwert werde berichtigt. Die Begründung des Gesetzentwurfs bringt dazu drei entscheidende Sätze. Der erste Satz — er ist nicht ganz uninteressant — sagt, nach dem, D-Markbilanzgesetz seien in der Regel ein niedrigeres Kapital und hohe Rücklagen eingesetzt worden;
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Dr. Deistdas müsse nun einmal bereinigt werden. In gewissem Umfang ist das richtig. Das Grundkapital betrug nämlich nach den D-Mark-Eröffnungsbilanzen zum 21. Juni 1948 rund 10 Milliarden DM, die Rücklagen betrugen 4,5 Milliarden DM, d. h. 45 %. Das ist ein verhältnismäßig hoher Anteil.Das Statistische Bundesamt hat im Heft 9 von „Wirtschaft und Statistik" des Jahres 1957 Betrachtungen darüber angestellt, worauf das wohl zurückzuführen sei. Es ist zu folgender Überlegung gekommen: Hier wirkt es sich aus, daß bei der Umstellung von Reichsmarkkapitalien auf D-Mark mit Rücksicht auf die Vermögensabgabe das Grundkapital niedrig und die Rücklagen hoch bemessen wurden. Das heißt, die Anlagewerte wurden sehr hoch angesetzt, weil man nämlich die Abschreibung von hohen Anlagewerten benutzen mußte, um die Gewinne herabzudrücken und daher geringere Erträge bei niedrigeren Steuern auszuweisen. Man hätte dann natürlich ein entsprechend hohes Kapital und damit die hohe Lastenausgleichsabgabe in Kauf nehmen müssen. So war es ursprünglich auch gedacht. Daraufhin wurde das Kapital niedriger angesetzt und dafür ein Teil in die Rücklage gesteckt, so daß man auf der einen Seite Abschreibungen zur Verminderung der Gewinne vornahm, aber auf der anderen Seite eine niedrigere Vermögensabgabe zahlte.
1— Vielleicht lesen Sie einmal — so einfach ist das nicht — die Begründung des Statistischen Bundesamts in „Wirtschaft und Statistik", Heft 9 aus dem Jahre 1957, um diese Zusammenhänge zu erkennen. Derjenige, der eine verhältnismäßig niedrige Vermögensabgabe zahlt, wird heute dadurch belohnt, daß bei der Ausschüttung dieses Vermögensteils des Unternehmens, auf der Seite der Rücklagen, entsprechende Steuern nicht erhoben werden. Aber dabei handelt es sich um einen Anteil von 4,5 Milliarden DM gleich 45 %.Zur Begründung wird zweitens angeführt, durch spätere Berichtigung auf Grund des D-Mark-Bilanzgesetzes und durch Rückerstattung gemäß dem Londoner Schuldenabkommen seien auch Kapitalien erhöht worden. Auch das ist in gewissem Umfang richtig, spielt aber nur eine ganz geringe Rolle.Der entscheidende Tatbestand ist in der Begründung unter 3. angegeben worden, wo es heißt, daß von den Gesellschaften aus den laufenden Erträgen Rücklagen gebildet wurden, weil sie aus verschiedenen Gründen Gewinnausschüttungen über einen bestimmten Vomhundertsatz des Nennkapitals hinaus nicht für möglich gehalten haben. — Die Unternehmungen, die 11, 12 und 14 % Dividende zahlten — und das sind diejenigen, die freie Aktien ausschütten können —, hatten natürlich Hemmungen, noch höhere Dividenden auszuzahlen. Die Gewinne wurden in Rücklagen gesteckt. Daraus ergibt sich, daß das Grundkapital, das Aktienkapital von 10 Milliarden zum 20. Juni 1948 auf 18,6 Milliarden zum 31. Dezember 1955, nämlich um 90 %, stieg, während die Rücklagen von 4,5 auf 10,9 Milliarden, also um 140 % zunahmen. Dieses Steigen der Rücklagen aus Gewinnen, die nicht ausgeschüttet worden sind, ist der wesentliche Bestandteil der Beträge an Rücklagen, die für eine Ausschüttung von Gratisaktien in Frage kommen.
— Ist richtig! Ich danke Ihnen, daß Sie das bestätigen.Daneben spielen eine große Rolle Rückstellungen, wie Pensionsrückstellungen und andere. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß diese zum großen Teil Rücklagecharakter haben, also auch nicht ausgeschüttete Gewinne darstellen, und ich werde nachher — —
— Darauf komme ich. Sie vergessen den kleinen Unterschied zwischen der Besteuerung der Aktiengesellschaft und der Besteuerung der Aktionäre für das ihnen zufließende Einkommen.
— Herr Dr. Hellwig, ist das eine Banalität, daß man in der ganzen Welt wegen dieses Unterschiedes zwischen Unternehmern und Aktionären die Körperschaftsteuer auf diese großen Unternehmungen in anonymer Gestalt zusätzlich erhebt gegenüber der Einkommensteuer, die jeder zu bezahlen hat? Dahinter steckt doch wohl ein tieferer Grund.
Herr Abgeordneter Dr. Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Dr. Deist, wollen Sie nicht zugeben, daß im Gesetzentwurf ausdrücklich steht, genau charakterisiert ist, welche Art von Rücklagen hier zur Ausschüttung von Aktien verwandt werden können und daß die Rückstellungen, die wohlgemerkt noch nicht versteuert sind, insbesondere die Rückstellungen für soziale Zwecke, damit ausdrücklich ausgeschlossen sind?
Herr Kollege Hellwig, ist Ihnen bekannt, daß die Möglichkeiten zur Umstellung von Rücklagen in diesem Gesetz nicht begrenzt sind?
— Lassen Sie mich doch einmal meine Deduktion zu Ende führen. Ist Ihnen bekannt, daß in den Rückstellungen erhebliche Beträge sind, die Rücklagencharakter tragen? Ist Ihnen bekannt, daß es durchaus möglich ist, in den nächsten Jahren, vielleicht sogar im nächsten Jahr, diese Rückstellungen, soweit sie Rücklagencharakter tragen, aufzulösen, so
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Dr. Deistdaß sie als Gewinne in Erscheinung treten, diese Gewinne in Rücklagen umzuwandeln und sie dann mit Hilfe des vorliegenden Gesetzes als Gratisaktien steuerfrei auszuschütten?
—Ich spreche von der Versteuerung des Einkommens des Aktionärs.
— Herr Kollege Hellwig, ich will Ihnen ja nicht das Recht bestreiten, daß Sie die Auffassung vertreten, die Besteuerung des Unternehmens, der Körperschaften, und die Besteuerung des Aktionärs sei zusammenzurechnen. Ich behaupte, daß das wirtschaftlich eine völlig falsche Betrachtungsweise ist. Da können Sie sagen, Sie seien anderer Meinung. Aber Sie können nicht behaupten, daß das, was ich behaupte, völlig aus dem Nebel gegriffen sei.
Herr Abgeordneter Dr. Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt ?
Gern.
Herr Dr. Deist, würden Sie mir einmal klarmachen, was bei der Gesellschaft abfließt und bei dem Gesellschafter zufließt, wenn Gesellschaftsmittel zur Erhöhung des Kapitals nach Ihrer wirtschaftlichen Betrachtungsweise verwendet werden?
Herr Kollege Schmidt, das kommt kurz nach diesen Ausführungen. Wenn ich es vergessen sollte, bitte ich, mich daran zu erinnern. Ich werde gerade auf die Frage des Zufließens noch besonders eingehen, weil sie so interessant ist, daß man wirklich dazu etwas sagen muß. Tatsächlich ist beabsichtigt — und das bitte ich, nun einmal als meine Meinung zu akzeptieren —, daß hier Gewinne, die in früheren Jahren in dem Unternehmen angesammelt, in die Rücklage gestellt wurden, als Freiaktien, als Gratisaktien ausgeschüttet werden, ohne daß der empfangende Aktionär, wie jeder andere normale Sterbliche, für dies ihm zufließende Einkommen Einkommen- oder Kapitalertragsteuer zu zahlen habe. Das ist ein Faktum, das nicht zu bestreiten ist. Hier handelt es sich zweifellos um Ausschüttung von Gewinnen früherer Jahre. Der Bundesfinanzminister oder der zuständige Minister sagt in der Begründung zum Gesetzentwurf einfach und lapidar: „es handelt sich um keine Ausschüttung von Gewinnen", obwohl diese Rücklagen eben zurückgelegte Gewinne vergangener Jahre sind. Tatsächlich sind das Gewinnausschüttungen. Diese Feststellung in der Gesetzesbegründung ist also einfach nicht richtig.
Und ein Zweites stellt die Gesetzesbegründung fest: ohne daß sich dadurch der Bestand des Vermögensanteils der Gesellschafter ändert. Und damit komme ich zu Ihrer Frage, Herr Kollege Dr. Schmidt! Die Gesetzesvorlage wurde im März dieses Jahres dem Bundesrat zugeleitet. Die Öffentlichkeit wußte mindestens seit Ende des vergangenen Jahres ganz genau, was im Werden war. Die Börse hat nicht nur spekuliert — natürlich tut sie das auch, darauf werde ich noch zurückkommen —, sie hat auch gewußt, daß hier den einzelnen Aktionären neues Vermögen zufließt, daß es sich hier für die einzelnen Aktionäre um einen echten Vermögenszuwachs handelt. Deshalb sind 'die Kurse der Aktien der Gesellschaften, die verdächtig waren, Zusatzaktien ausgeben zu wollen, immens gestiegen. Selbst wenn Sie einmal gewisse Spekulationstendenzen ausschalten und deshalb die Zahlen nicht ganz gelten lassen, möchte ich doch einige Beispiele bringen. Eines der zusatzaktienverdächtigen Unternehmen ist Daimler-Benz. Ende 1957 stand der Kurs auf 408 %, zur Zeit beträgt er 825 %.
Bei der Ritter-Brauerei betrug der Kurs 480 % und ist innerhalb von acht Monaten auf 730 % gestiegen. Bei den Torpedo-Werken — auch eines der zusatzaktienverdächtigen Unternehmen — Ende 1957 540 %, im August 1958 1005 %. Ich kann Ihnen noch nennen: Metallgesellschaften mit 715 %, Dynamit Nobel mit 615 % und viele ähnliche Fälle.
Was ist hier geschehen? Hier ist diese Realisierung von Gewinnen, die durch die Ausgabe von Zusatzaktien erfolgt, vorweggenommen worden durch eine entsprechend höhere Bewertung des Kurses der Aktien.
Der Effekt ist folgender: Nehmen wir an, daß jemand bei Daimler-Benz im Jahre 1957 Aktien im Werte von einer Million DM hatte — Sie wissen, daß es dort Aktionäre gibt, die wesentlich mehr besitzen;
Sie kennen doch die Dinge ganz genau — und daß Daimler-Benz 12 % Dividende ausschüttet. Nach der Bilanz, nach der Struktur des Unternehmens ist es durchaus möglich, das werden Sie mir konzedieren, Zusatzaktien bis zu mindestens 50 % auszugeben. Dann steigt der Nominalwert dieser Aktien im Werte von 1 Million also auf 1,5 Millionen. Frage: Was ist dem Aktionär zugeflossen? Oder ist ihm nichts zugeflossen? Ende 1957 war diese 1 Million bei einem Kurswert von 400 % 4 Millionen Mark wert. Der Aktionär konnte zur Börse gehen und seine Aktien für 4 Millionen Mark verkaufen. Heute, nach der Transaktion, nach der Ausgabe von 50 % Zusatzaktien, hat er Aktien im Nennwert von 1,5 Millionen in der Hand. Nun, ich will gar nicht mit dem hohen Kurs von 825 %, wie er heute vorhanden ist, rechnen; dann bekäme der Aktionär nämlich statt 4 Millionen einen realisierbaren Wert von 12 Millionen. Ich unterstelle, daß gewisse Spekulationstendenzen bei Daimler-Benz im Spiele waren. Aber daß der Kurswert wesentlich unter 600 % heruntergeht, ist nicht anzunehmen. Das würde aber bedeuten, daß 'der Aktionär einen realisierbaren Wert — wenn wir von 1,5 Millionen ausgehen — von 9 Millionen gegenüber 4 Millionen,
Dr. Deist
die er Ende 1957 gehabt hat, in der Hand hat, ohne dem Unternehmen einen einzigen Pfennig Kapital zur Verfügung zu stellen. So sehen die Dinge für diesen Aktionär aus. Aber selbst wenn Sie annehmen sollten — was nur völlig irreal ist —, daß der Kurs wieder um 50 % sinken würde, nämlich auf 400 %, dann besäße der Aktionär statt eines realisierbaren Wertes von 4 Millionen Ende 1957 nunmehr einen realisierbaren Wert von 6 Millionen. Das fließt dem Aktionär effektiv an realisierbaren Vermögenswerten zu, und Sie sollten darum nicht soviel herumreden.
— Das hängt von dem Aktionär ab. Er kann heute verkaufen oder zwei Jahre warten, dann ist der Wert vielleicht noch höher als heute.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis dieser Überlegung ist folgendes. Kein Unternehmer und kein Mann an der Börse nimmt an, daß die Aktien der Gesellschaften, die eine Kapitalerhöhung vornehmen, eine geringere Dividende bringen würden als bisher. Effektiv bekommt der Aktionär bei einer 50 %igen Kapitalerhöhung einen um 50 % erhöhten Gewinn aus dem Unternehmen, von dem er Aktien besitzt, ohne neues Kapital zugeführt zu haben. Wenn diese Manipulation nicht vorgenommen würde, dann würde deutlich werden, daß er nunmehr zwischen 15 und 20 % Dividende bezieht. Er bekommt außerdem einen Vermögenszuwachs, den er an der Börse realisieren kann und der ihm steuerfrei aus früheren Gewinnen zufließt. Das sind Fakten, über die sich nicht streiten läßt.
Wem fließt das zu? Es besteht heute Übereinstimmung darüber, daß vielleicht 75 Gesellschaften für Zusatzaktien in Frage kommen. Das ist eine verhältnismäßig kleine Zahl, immerhin eine Zahl, die etwa 50 bis 65 % des Aktienkapitals darstellt. Das sind jene Gesellschaften, bei denen in erster Linie Großaktionäre eine Rolle spielen. Nach den Feststellungen des Statistischen Bundesamtes haben im Jahre 1955 Gesellschaften mit einem Aktienkapital von 1,6 Milliarden DM 11 und 12 % ausgeschüttet. Im Jahre 1957 ist die Summe dieses Grundkapitals, auf das eine so hohe Dividende ausgeschüttet wird, bereits auf 5 Milliarden angestiegen, d. h. auf das Dreifache. Von der gesamten Summe des Grundkapitals sind das 30 %.
Worum handelt es sich dabei im Hinblick auf eine breite Streuung? Da ist zunächst die Zementindustrie, die gerade wieder Kartellanträge vorlegt, weil sie Schutz vor der Konkurrenz brauche. Da ist die Chemische Industrie, die es durchgesetzt hat, daß im Rahmen des EWG-Vertrags verhältnismäßig hohe Schutzzölle gerade auf chemische Erzeugnisse gelegt werden. Dazu gehört die elektrotechnische Industrie, die große Gewinne aus jenen Maschinen und Geräten erzielt, für die sie heftig um die Preisbindung der zweiten Hand, also um feste Markenartikelpreise kämpft. Hinzu kommen die Fahrzeugindustrie und die Sektfabriken. Im allgemeinen sind das Unternehmungen, bei denen große Aktionäre eine entscheidende Rolle spielen.
Meine Damen und Herren, Sie haben vorhin so getan, als läge nicht so sehr viel darin. Ich habe mir einmal die Ertragsentwicklung angesehen, die Daimler-Benz in den letzten Jahren genommen hat: Kapital 72 Millionen DM, Dividende in den letzten drei Jahren 10, 11 und 12 %. Die Steuern auf Einkommen und Ertrag und Vermögen seit 1948 betragen 640 Millionen DM. Der Nettogewinn nach Abzug dieser Steuern dürfte also schätzungsweise bei etwa 380 Millionen DM gelegen haben. Ausgewiesen wurde ein Bilanzgewinn von 450 Millionen DM, der auch ausgeschüttet wurde.
— Das bestreite ich ja gar nicht; wir sind da völlig einer Meinung. Ich meine nur, eine falsche Finanzierungspolitik beim Volkswagenwerk ist keine Entschuldigung für Ihre Politik zugunsten der privaten Großunternehmungen hier.
Die Bilanzen des Unternehmens weisen das auch selber aus. Bei 72 Millionen DM Aktienkapital wurden nämlich rund 50 Millionen DM neue Rücklagen aus nicht ausgeschütteten Gewinnen gebildet. Bei der Metallgesellschaft ist es genau dasselbe: Kapital von 56 Millionen DM, Dividende 12 %, in den letzten drei Jahren 15 %, seit dem Jahre 1949 — ebenso errechnet über die ausgewiesenen Ertragssteuern — ein Nettogewinn von rund 60 Millionen DM, Bilanzgewinn aber nur 40 Millionen DM. Der Rest ist zum großen Teil in die Rücklage gegangen oder sonst irgendwo in der Bilanz untergegangen.
Das sind die nicht ausgeschütteten Gewinne, die nunmehr nachträglich im Wege von Gratisaktien den Aktionären zugeführt werden. Damit hier kein Streit besteht: Natürlich sind sie von der Körperschaftsteuer erfaßt worden, aber sie sind bei demjenigen, der sie bezieht — und das ist das Entscheidende —, bei dem Einkommensempfänger, nicht versteuert worden. Sie werden ihm jetzt, ohne daß er Einkommensteuer zu zahlen hat, zugeführt.
Dasselbe Beispiel kann ich Ihnen von Dynamit Nobel, von der Dortmunder Ritter-Brauerei und von vielen anderen Gesellschaften sagen, die sonst noch unter diese gratisaktienverdächtigen Gesellschaften fallen.
Besonders bedenklich ist, daß die Bundesregierung sogar den Vorschlag des Bundesrats abgelehnt hat, eine solche Ausnahmeregelung wenigstens zu befristen. Der Bundesrat war sich durchaus darüber im klaren, daß hier zur Stützung des sagenhaften Kapitalmarktes steuerlich gewisse Begünstigungen gegeben werden sollten. Und er war der Auffassung, solche Begünstigungen müßten
Dr. Deist
wenigstens zeitlich begrenzt sein. Die Bundesregierung hat das abgelehnt. Die Folge ist dieses Spiel, das ich Ihnen vorhin dargestellt habe: ansteigende Dividende, damit ansteigende Kurswerte mit der Folge: Ungleichgewicht zwischen Kurswert und Nominalwert. Deshalb Anpassung durch steuerfreie Zuwendung der Gewinne an die Aktionäre. Hinzu kommt die vorhin angedeutete Möglichkeit der Auflösung bisheriger Rückstellungen, die sich plötzlich als echte Rücklagen darstellen, die aus Gewinnen gebildet werden und ebenfalls steuerfrei für den Aktionär ausgeschüttet werden.
Es muß hier einmal gesagt werden, daß das effektiv eine steuerliche Bevorzugung einer verhältnismäßig kleinen Schicht ist, und zwar in einem Augenblick, wo der Bundesfinanzminister sagt: Ich weiß nicht mehr, wie ich den Etat im nächsten Jahr in Ordnung bringen soll; in einem Augenblick, in dem der stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU von den Grenzen der Sozialpolitik spricht, an denen wir angelangt seien; in einem Augenblick, wo Sie sagen: Wir können die Ansprüche der Kriegsbeschädigten nicht befriedigen; in einem Augenblick, in dem Sie die zum 30. September gesetzlich vorgeschriebene Vorlage für die Anpassung der Renten der Invaliden und Alten einfach nicht rechtzeitig einbringen.
Auch wir betrachten die Sache nicht isoliert, sie muß in diesem Rahmen gesehen werden. Vielleicht hat doch der eine oder andere in der CDU ein Gefühl dafür, daß sich solche Dinge einfach nicht vertragen, wenn man es mit dem sozialen l Anspruch, den man im Parteinamen trägt, wirklich ernst meint.
Herr Hellwig sagte. daß Sie die Sache auch nicht isoliert betrachteten. „Die Aktie als Finanzierungsinstrument d. h. Belebung des Kapitalmarkts", — Herr Hellwig, wenn Sie das vor einem Jahr gesagt hätten, dann hätte es vielleicht einen Anschein von Berechtigung gehabt. Aber inzwischen haben wir doch wohl zumindest — ich will das gar nicht überschätzen — eine gewisse Belebung des Kapitalmarkts zu verzeichnen. Darin zeigt sich sehr deutlich, daß die Belebung des Kapitalmarkts von ganz anderen wirtschaftlichen Bedingungen abhängt, und nicht von solchen Mätzchen wie Steuerbefreiungen und dergleichen mehr. Das ist eine Begünstigung einzelner, hat aber volkswirtschaftlich keinen entscheidenden Wert.
Ein zweites Argument. Sie haben — ich will es nicht zu hart sagen — in den Gesetzentwurf wieder die Begründung aufgenommen, hier solle Eigenturn breit gestreut werden. Ich weiß nicht, wie Sie das auf die Dauer noch ertragen. Sie haben auf Ihrem Parteitag in Hamburg ein großes Programm zur Eigentumsstreuung verkündet. Dann wurde weit und breit orakelt, daß man auf Ihrem Kieler Parteitag ein konkretes Programm vorlegen würde. Tatsächlich hat dann der Kanzler --- oder wer es sonst war — ganze acht oder neun Zeilen dazu gesagt. Nichts von konkretem Programm! Und jetzt meinen Sie ausgerechnet mit einem solchen Gesetzentwurf die breite Streuung des Vermögens herbeiführen zu können! Es muß Ihnen doch klar sein, daß es sich hier nur um die größeren, sehr ertragreichen Gesellschaften mit 10, 12, 13 und 14 % Dividende handelt, die begünstigt werden; denn die anderen kommen ja für zusätzliche Aktien nicht in Frage. Sie müssen auch wissen, daß davon nur eine kleine Schicht betroffen wird, und Sie müssen schließlich wissen, daß die Großaktionäre unter Umständen, weil sie einer hohen Einkommensteuer unterliegen, 40 bis 50 % Steuern sparen, während der kleine Mann je nach seinem Einkommen nur 10 bis 15 % Steuern spart. Wie können Sie unter diesen Umständen davon sprechen, daß dieser Gesetzentwurf eine breite Streuung des Eigentums und eine breite Streuung der Vermögensbildung herbeiführt?! Was hier geschieht, ist eine steuerliche Unterstützung stärkster Einkommens- und Vermögenskonzentrationen auf eine ganz kleine Schicht.
Nun, meine Damen und Herren, kommen Sie auch noch mit dem Argument, mit dieser Methode könne man das Problem der Machtkonzentration lösen. Sie haben inzwischen ja wohl gemerkt, daß man sich in Deutschland sehr, sehr Gedanken darüber macht, daß die bisherige Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu gewaltigen Machtkonzentrationen in Deutschland geführt hat. Wir haben uns schon einmal darüber unterhalten, Herr Kollege Hellwig, daß Sie, selbst wenn Sie mit dieser Methode eine breitere Streuung des Aktienkapitals erzielten, angesichts der gegebenen Struktur der Aktiengesellschaft die Machtkonzentration der Unternehmungen nicht nur nicht schwächen, sondern sogar stärken, weil durch diese Streuung die Macht der Aktionäre immer kleiner wird.
Aber was geschieht denn hier? Der Herr Kollege Schmidt hat gemeint, es fließt gar nichts zu. Wie auf einmal breite Eigentumsstreuung dadurch erreicht werden soll, daß gar nichts zufließt, weiß ich nicht. Aber er hat ja Unrecht damit. Den Kleinen fließt verhältnismäßig wenig zu, und den Großen fließt über ihre erhebliche Steuerersparnis verhältnismäßig viel zu. Das heißt: Stärkung der Großaktionäre. Das bedeutet nun wiederum eine Verstärkung der Machtposition der Großunternehmungen. Darum sollten Sie, wenn Sie schon von breiter Eigentumsstreuung sprechen, nicht so tun, als wenn damit auch nur in etwa das Problem der Machtkonzentration gelöst würde.
Nun möchte ich noch auf den Einwand des Herrn Kollegen Dr. Schmidt zurückkommen, der meinte, man müsse Körperschaftsteuer und Einkommensteuer des Aktionärs irgendwie zusammenrechnen. Dazu muß ich einiges sehr deutlich sagen. Die Aktiengesellschaft ist für uns und für die Öffentlichkeit die typische Organisationsform von Großunternehmungen. Es ist nicht unsere Schuld, daß Sie es nicht fertigbringen, großen privaten Unternehmern, die eigentlich in Form einer Aktiengesellschaft mit entsprechender Publizität arbeiten müßten, ähnliche Verpflichtungen aufzuerlegen. Es ist auch nicht unsere Schuld, daß es bisher nicht gelungen ist, die kleinen Familiengesellschaften, die ganz anders zu
Dr. Deist
betrachten sind, einer Sonderregelung zu unterwerfen.
Das Problem, das hier ernsthaft entsteht, ist das der Großunternehmung in Form der Aktiengesellschaft. Was bedeutet hier die Körperschaftsteuer? Sie bedeutet die Anerkenntnis des Umstandes, daß diese anonymen Großunternehmungen mit ihrer Kapitalgrundlage erfahrungsgemäß eine mächtige Stellung am Markt haben, daß sie eine gewaltige Finanzkraft darstellen und daß sie die Möglichkeit haben, sich über die Nutzung aller modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse eine Wirtschaftskraft zuzulegen, so daß sie allen mittleren und kleineren Unternehmen weit überlegen sind. Diese zusätzliche Belastung durch die Körperschaftsteuer ist geradezu ein Ausgleich für diesen Wettbewerbsvorteil, den solche anonymen Großunternehmungen gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen genießen.
Darum unterscheidet man in der ganzen Welt zwischen dem Einkommen der Aktiengesellschaft, das der Körperschaftsteuer unterliegt, und dem Einkommen des einzelnen Aktionärs, das der Einkommensteuer unterliegt. Denn weder hat der Wert der Aktie mit dem Vermögen der Gesellschaft etwas Wesentliches zu tun — er wird durch viele andere Dinge beeinflußt —, noch hat der Gewinn den der Aktionär erhält, unbedingt etwas mit dem Gewinn zu tun, der in der Gesellschaft erzielt wird. Darum darf und kann man nicht zusammenrechnen. Hier geht es allein um den Aktionär, um sein privates Eigentum, um sein Einkommen! Und man muß fragen: sollen kleinere Schichten, die die Möglichkeit haben, sich am Aktienmarkt zu betätigen, gegenüber der großen Masse, die das nicht kann, einkommensteuerlich begünstigt werden? Das ist die einzige Frage, die hier zur Debatte steht.
Darum werden wir diesem steuerlichen Teil des Gesetzentwurfs unsere Zustimmung versagen müssen. Wir werden in dein Ausschüssen an Hand von Beispielen hart mit Ihnen ringen, um zu sehen, ob vielleicht doch noch ein brauchbares Instrument aus diesem Gesetzentwurf gemacht werden kann. Wie er heute hier vorliegt, ist er ein unbrauchbares Instrument. Dabei geht es nicht um Doktrinen, dabei geht es nicht um Rechtstheorien! Hier geht es, Herr Kollege Dr. Schmidt, um die richtige wirtschaftliche Betrachtungsweise, darum, wie es wirtschaftlich real aussieht. Und es geht um den sozialen Gehalt einer Politik, die nicht darauf ausgehen darf, Steuergeschenke an kleinere Gruppen zu machen und letzten Endes die Vermögenskonzentration zu fördern, anstatt ihr entgegenzutreten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hellwig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige der Ausführungen des Kollegen Dr. Deist können sicher die Debatte im Wirtschaftsausschuß und den anderen beteiligten Ausschüssen beleben. Wir sind uns völlig darüberim klaren, daß hier der Weisheit letzter Schluß noch nicht gefunden ist.Aber einige seiner Ausführungen waren so wenig von der Sache her gerechtfertigt,
daß ich schon hier einiges klarstellen muß.
— Verzeihen Sie, ich bleibe bei der Sache!Herr Dr. Deist hat unter Berufung .auf eine Veröffentlichung in „Wirtschaft und Statistik" - ich kann es im Augenblik nicht nachprüfen — den Anschein erweckt, als ob die Vermögensabgabe zum Lastenausgleich von der Passivseite, d. h. von dem dort ausgewiesenen Gesellschaftskapital oder Aktienkapital, gezahlt würde. Die Gesellschaft zahlt die Veirmögensiabgabe von dem Vermögen, das als Überschuß auf der Aktivseite errechnet wird. Hier ist also ein falscher Eindruck erweckt worden, der unter allen Umständen korrigiert werden muß.Zweitens die Frage der Dividenden über Vorkriegsniveau! Wir wissen alle, daß mit dem Vorkriegsvergleich im Grunde genommen gerade die Notwendigkeit dieser Vorlage begründet wird. Denn gerade in den Vorkriegsjahren haben sich ähnliche Entwicklungen gezeigt, die dann noch in den Kriegsjahren zu einer Korrektur führten; davon war vorhin schon in den einführenden Bemerkungen die Rede.Herr Dr. Deist hat weiterhin gesagt, ich habe in meinen Ausführungen über den Kapitalmarkt Gedanken vorgetragen, die überholt seien. Ich habe nicht vom Kapitalmarkt im allgemeinen gesprochen, sondern ich habe von dem Zurückbleiben der Finanzierung über die Aktie gesprochen. Trotz allgemeiner Besserung und Belebung des Kapitalmarkts ist dieser Tatbestand nicht zu bestreiten. Die Gründe hierfür liegen eben in der Vernachlässigung, die die Aktie auf steuerlichem und gesellschaftsrechtlichem Gebiet erfahren hat und deretwegen wir uns ja gerade mit dieser Vorlage befassen. Wenn also gegen meine Ausführungen polemisiert wird, soll es richtig gemacht werden.Nun eine weitere Bemerkung. Herr Dr. Deist ist uns leider eine Antwort noch schuldig geblieben. Als er seinen Vergleich über die Entwicklung der Dividendendurchschnittshöhe brachte und seine Zahlen vortrug, habe ich ihm sofort entgegengehalten: Und wie hat sich die Nettoverzinsung entwikkelt? Die Nettoverzinsung hat sich nach den Zahlen, die mir vorliegen — d. h. bis in den Frühsommer dieses Jahres hinein , seit längerem etwa auf gleicher Höhe gehalten — 1957 = 4,6 % — und lag zum Schluß bei 4,4 %. Das Bild sieht erheblich anders aus, als es durch die Bruttodividendenzahl von Ihnen gezeichnet wurde. Aber Sie haben im Grunde genommen nichts anderes bestätigt, als daß die nominelle Dividendenhöhe über die effektive Verzinsung, die die Eigentümer erzielen, nichts aussagt; denn Sie müssen die Dividendenhöhe ja zu dem Gesamtvermögen, das in diesem Unternehmen arbeitet, nämlich Gesellschaftskapital oder Aktienkapital und Rücklagen, ins Verhältnis setzen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1958 2505
Dr. HellwigIch kann Ihnen nicht folgen bei der Spekulation,die Sie über die Spekulation angestellt haben. Ich möchte das Thema aber nicht mehr vertiefen. Doch das Beispiel, das Sie brachten, ist gerade wenig geeignet. In diesem Falle ist etwas ganz anderes hinzugekommen. Nicht die Erwartung sogenannter Gratisaktien hat hier ausschlaggebend mitgewirkt, sondern die Interessenkäufe von Anlegern — Sie wissen genau, was wir meinen —, die erhebliche Mittel angelegt haben, um bestimmte Pakete zusammenzubringen. Sie müssen also die Kursbewegungen, die auf Interessenkäufen beruhen, und die Kursbewegungen, die auf die Erwartung von Gratisaktien zurückzuführen sind, genau unterscheiden.
Herr Abgeordneter Dr. Hellwig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Deist?
Ja, bitte!
Herr Kollege Hellwig, meinen Sie nicht doch, daß Sie feststellen müssen, daß die Kurse der Gesellschaften, die im Verdacht stehen, daß sie Zusatzaktien ausgeben können, sich wesentlich stärker nach oben bewegt haben als die Aktienkurse der anderen Gesellschaften?
Eine zweite Frage: Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß ich bei einem augenblicklichen Kurs von 800 bei Daimler-Benz in meinem Beispiel nur mit einem realen Kurs von etwa 600 gerechnet habe — ich bin in einer zweiten Rechnung sogar bis auf 400 zurückgegangen —, weil ich weiß, daß bei Daimler-Benz gewisse spekulative Tendenzen vorhanden sind?
Wenn Sie diese beiden Fragen bejahen — wie Sie durch Nicken zugeben —, dann werden Sie auch zugeben müssen, daß die Wertsteigerung für den Aktionär durch die Ausgabe von Zusatzaktien im Wege der Kurssteigerung vorweggenommen worden ist. Dadurch ist deutlich zum Ausdruck gekommen, daß hier für den Aktionär ein Zuwachs von Vermögen vorliegt.
Ich habe nicht bestritten, was sie soeben sagten. Aber Sie fingen damit zu argumentieren an, daß Sie zunächst einmal die Kursentwicklung bei Daimler-Benz hineinknallten und danach polemisierten. Erst als einige Zwischenbemerkungen kamen, haben Sie sich dazu bequemt, zwischen dem Interessenkauf und anderen spekulativen Erwartungen zu unterscheiden.
Aber eines werden Sie doch nicht bestreiten. Wenn der Aktionär eine günstige Kursentwicklung seines Papieres hat, weil die Gesellschaft nicht alles als Dividenden ausgeschüttet, sondern erhebliche Rücklagen gebildet hat, also im Innern ihre Vermögenskraft erheblich gestärkt hat, dann kann er das auch durch den Verkauf seines Papiers zu einem allgemein wesentlich höheren Kurs realisieren. Und wenn er sich an die Spekulationsfrist für den Einkommensteuerpflichtigen hält, braucht er das auch nicht zu versteuern. Das werden Sie nicht bestreiten können.
Ich möchte jetzt in die allgemeine Polemik nicht mehr eintreten. Herr Dr. Deist hat eine Fülle von allgemeiner Polemik gebracht. Er hat den sozialen Charakter der Wirtschaftspolitik bestritten usw. Wir kennen das Lied. Ich glaube, dem Thema selbst sollten wir dadurch gerecht werden, daß wir es sehr präzise formulieren.
Nun muß ich allerdings eines sagen. Hier, Herr Dr. Deist, bitte ich, auch mir eine Bemerkung über das Thema hinaus zu gestatten. Es ist wieder einmal deutlich geworden, daß wir von grundsätzlich verschiedenen Standorten aus an dieses Problem herangehen. Unser Standort in diesen Fragen ist die Bejahung des privaten Eigentums.
Sie haben zum Eigentum zwar nichts gesagt, aber an jeder Stelle klang heraus: Ausbau, Verstärkung der öffentlichen Kontrollen. Das, meine Damen und Herren, sollten wir bei der Erörterung dieser Vorlage sehr genau beachten.
Für diejenigen Damen und Herren, die nicht so genau die interne Diskussion in der SPD verfolgen, halte ich mich doch für verpflichtet, um diese Debatte auf ihre wirklichen Hintergründe zurückzuführen,
Ihnen von zwei Entschließungsanträgen Kenntnis zu geben, die auf dem SPD-Parteitag im vergangenen Sommer angenommen worden sind. In dem einen Antrag wird die Bundestagsfraktion der SPD beauftragt, unverzüglich einen Gesetzentwurf zur Sicherung der sozialen Rechte der Arbeitnehmer einzubringen mit dem Zweck, die Rückstellungen für soziale Aufgaben zum Kredit eines öffentlichen Trägers zu erklären.
Weiterhin soll sie einen Gesetzentwurf zur Sicherung öffentlicher Kredite und ihrer nützlichen Verwendung einbringen. Durch diesen Gesetzentwurf sollen bisher gewährte Steuervorteile in Kredite eines öffentlichen Trägers umgewandelt werden.
Ich glaube, man muß diese Aufträge, die der SPD-Parteitag der Bundestagsfraktion gegeben hat, mit in den Zusammenhang unserer heutigen Debatte bringen. Wir werden sehr genau sehen, was in dieser Diskussion vor sich gehen wird. Sie dürfen versichert sein: ein sachlicher Beitrag zum Aktienrecht wird begrüßt. Wenn sich aber dahinter diese Absichten verbergen sollten, werden wir nein sagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kurlbaum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Hellwig, ich habe den betrüblichen Eindruck, daß Sie gerade am Ende Ihrer
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2506 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1958
KuribaumRede einer sachlichen Auseinandersetzung zu diesem Thema völlig aus dem Wege gegangen sind.
— Lassen Sie mich bitte aussprechen. Ich werde gern, soweit Ihre Rede sachlichen Inhalt hatte, jetzt noch darauf zu sprechen kommen.Sie haben hier von einzelnen Anträgen, die auf unserem Parteitag gestellt worden sind, gesprochen Ich weiß nicht, ob Sie die Anzahl der Anträge kennen. Ich kann Ihnen nur sagen: unsere Parteitage unterscheiden sich von den Ihren dadurch, daß alle Anträge öffentlich behandelt werden. Bei Ihnen hat es überhaupt keine Anträge gegeben.
Nun zu dem sachlichen Rest dessen, was Sie gesagt haben, Herr Dr. Hellwig. Sie haben das Faktum angesprochen, daß bei den deutschen Aktiengesellschaften ein verhältnismäßig geringer Teil des Kapitalbedarfs über neue Aktien und ein verhältnismäßig großer Teil über Kredite gedeckt wird, ganz abgesehen von dem Teil, der aus Gewinnen kommt. Wir sind jederzeit gern bereit, mit Ihnen darüber zu reden, wie man diesem Faktum gerecht wird, wie man es ändert.Wir haben seinerzeit bei den Beratungen im Ausschuß über die weitere Herabsetzung der Körperschaftsteuer für den ausgeschütteten Gewinn klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, daß wir die Existenz dieses Problems anerkennen. Wir haben aber ebenso eindeutig gesagt, daß wir es nicht für richtig halten, wenn sämtliche Probleme. die auf diesem Gebiet existieren, immer nur in der einen Richtung gelöst werden, nämlich durch weitere steuerliche Entlastung der Aktiengesellschaften. Diejenigen Ihrer Kollegen, die sich mit den Dingen schon einmal beschäftigt haben, wissen z. B. sehr genau, daß man dem Problem, daß die Dividende steuerlich belastet ist, während die Zinsen für den langfristigen Kredit nicht belastet sind auch auf einem anderen Wege hätte begegnen können. Man hätte eine Umlastung vornehmen können. Man hätte die Dividendenzahlungen steuerlich entlasten können und dafür die Zinsen für den langfristigen Kredit steuerlich belasten können. Es hätte also eine Umlastung innerhalb der Belastung der Aktiengesellschaften vorgenommen werden können. Das wäre ein Weg gewesen, der den Steuerzahler und den Bundeshaushalt nicht eine Mark gekostet hätte. Daß das geht, wissen Sie alle ganz genau aus der Handhabung der Gewerbesteuer, mit der man schon jahrelang hat Erfahrungen sammeln können.Uns geht es darum, daß hier die Kategorie der Aktionäre fortgesetzt unter Anführung aller möglichen Gründe, die solche Maßnahmen in keiner Weise nötig machen, steuerliche Entlastungen, d. h. Zuwendungen aus den vom Steuerzahler aufgebrachten Mitteln erhält. Es handelt sich darum, ob es richtig ist, daß dieses Verfahren der einseitigen Verhätschelung des Aktionärs unter Vernachlässigung aller anderen Eigentumsformen fortgesetzt wird. Das ist das Entscheidende, was hier zurDebatte steht. Aber, meine Damen und Herren und Herr Dr. Hellwig, wenn Sie versuchen, unsere Stellung zum Großeigentum und zur Frage einer weiteren Begünstigung des Aktionärs in eine allgemein eigentumsfeindliche Haltung der SPD umzumünzen, so kann ich Ihnen nur sagen, daß Sie dann überhaupt keinen guten Willen besitzen, das zu verstehen, was wir hier immer wieder in extenso auseinandergesetzt haben.
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft. Ich schließe die Aussprache.
Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und über die Gewinn- und Verlustrechnung — Drucksache 416 — an dein Wirtschaftsausschuß als federführenden Ausschuß sowie an den Finanz- und den Rechtsausschuß als mitberatende Ausschüsse zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich schlage Ihnen dann vor, den Gesetzentwurf über steuerrechtliche Maßnahmen bei Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln — Drucksache 417 — an den Finanzausschuß als federführenden Ausschuß, an den Wirtschaftsausschuß als mitberatenden Ausschuß zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Liquidation der Deutschen Reichsbank und der Deutschen Golddiskontbank .
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Wirtschaftsausschuß vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Bildung von Rückstellungen in der Umstellungsrechnung der Geldinstitute, Versicherungsunternehmen und Bausparkassen und in der Altbankenrechnung der Berliner Altbanken .
Auf Begründung und Aussprache wird auch hier verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Wirtschaftsausschuß vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Gemäß interfraktioneller Vereinbarung rufe ich nun Punkt 8 der ergänzten Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über „unveränderte Rohmilch"
und erteile zur Begründung dem Abgeordneten Köhler das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag Drucksache 421, der den Entwurf eines Gesetzes über unveränderte Rohmilch betrifft, trägt den Wünschen sowohl der Verbraucher als auch der Erzeuger in weitgehendem Maße Rechnung. Er beweist damit erneut, daß es sehr wohl möglich ist, die Interessen dieser beiden großen Gruppen unserer Volkswirtschaft zu koordinieren.
Weite Kreise der Verbraucherschaft fordern seit langem und mit Recht, daß ihnen eine unveränderte Rohmilch, also Milch, die weder entrahmt noch pasteurisiert wird und aus anerkannt gesunden Milchviehbeständen kommt, angeboten wird. Sie weisen darauf hin, daß in einer Zeit, in der ganz allgemein dahin gestrebt wird, die Nahrungsmittel soweit wie irgend möglich in ihrem natürlichen Zustand dem Verzehr zuzuführen, die Trinkmilch nicht nur durch die Entrahmung entwertet wird, sondern auch durch die Pasteurisierung eine Beeinträchtigung erfährt.
Nun gibt es bereits die sogenannte Vorzugsmilch, die diesen Wünschen entspricht. Aber diese ist bei einem Preis von zirka 1 DM pro Liter für die große Masse der Verbraucher einfach zu teuer. Sie steht auch, da sie unter Ausschluß der Meiereien von spezialisierten Einzelbetrieben geliefert wird, nur in einem sehr geringen Umfang zur Verfügung.
Meine Fraktion ist der Überzeugung, daß die Annahme ihres Antrags den Weg frei macht, um den Verbraucher sehr viel billiger und in jeder gewünschten Menge mit gesunder unveränderter
3) Rohmilch zu beliefern.
Das Interesse der Erzeuger geht in erster Linie dahin, den Trinkmilchabsatz zu heben. Bisher sind alle Bemühungen in dieser Richtung ohne Erfolg geblieben. Wir glauben, daß die beste Absatzwerbung für ein Produkt seine Qualität und seine Preiswürdigkeit sind. Die Preiswürdigkeit der bisherigen 3 %igen, pasteurisierten Trinkmilch ist unbestritten; ihre Qualität aber hat ganz offensichtlich keine ausreichende Werbekraft gehabt. Die nunmehr geplante verbreiterte Einführung der GradA-Milch, die sich von der übrigen Trinkmilch lediglich dadurch unterscheidet, daß sie nicht bis auf 3 %, sondern nur bis auf 3,5 % entrahmt wird, dürfte den Absatz auch kaum beleben.
Die Rohmilch, wie wir sie wünschen, wird, da sie unverändert bleibt, einen Fettgehalt haben, der etwa zwischen 3,5 und 4,2 % schwanken dürfte. Ihr Preis soll nicht dem Fettgehalt nach berechnet werden, sondern gleichmäßig sein. Es bestehen auch keine Bedenken, den Preis für diese Milch völlig freizugeben. Vieles spricht sogar dafür. Nach unserer Errechnung wird er sich bei etwa 65 Pf pro Liter bewegen.
Die Rohmilch soll nur auf Flaschen gefüllt in den Verkehr gelangen, die Datum und Uhrzeit der Auffüllung tragen. Sie kann dann in jedem Lebensmittelgeschäft gehandelt werden. Die technische Durchführung der Anlieferung der Milch, ihre Auffüllung auf Flaschen und ihre Verteilung bieten keine unüberwindlichen Schwierigkeiten. Vielleicht
wird es nötig sein, die Einzugsgebiete hier und dort zu vergrößern. Es wird sich vermutlich auch ein Zusammenschluß einzelner Trinkmilchmeiereien auf diesem Spezialgebiet empfehlen. Ich verweise auf Überlegungen, die Herr Dr. Korth vom Institut für landwirtschaftliche Marktforschung in BraunschweigVölkenrode kürzlich veröffentlichte und die mir ganz besonders für den Rohmilchabsatz geeignet zu sein scheinen.
Die Widerstände, die der Einführung der unveränderten Rohmilch entgegenstehen, sind mir bekannt. Ich habe zahlreiche Zuschriften von Befürwortern und von Gegnern erhalten. Der wesentlichste Einwand ist der, daß die Milch, wenn sie nicht pasteurisiert wird, noch Krankheitserreger haben könnte. Es gibt Wissenschaftler, die diese Bedenken äußern, und es gibt Wissenschaftler, die sie nicht so hoch bewerten. Das wird wohl auch so bleiben.
Wir meinen, die Vorschriften des § 2 unseres Gesetzentwurfs gehen so weit, daß sie vollauf genügen. Man sollte die Bakterienangst auch nicht übertreiben, und man sollte sie vor allen Dingen nicht als Vorwand benutzen, eine so gute Sache wie diese schon im Entstehen zu erledigen. Ich möchte glauben, daß jeder Türdrücker, den man anfaßt, und jeder schmutzige Geldschein, den man in die Hand nehmen muß, ungleich größere Infektionsgefahren bieten.
Vielleicht darf ich darauf verweisen, daß in der Schweiz unveränderte Rohmilch verkauft wird, daß diese über 90 % der gesamten Trinkmilch ausmacht und daß in der Schweiz der Trinkmilchabsatz pro Kopf der Bevölkerung doppelt so hoch ist wie bei uns. Das sollte uns zu denken geben. Es ist wirklich nicht einzusehen, weshalb es bei uns nicht gehen sollte. Daß der Buttermarkt durch eine fettreichere Trinkmilch eine Entlastung erfährt, sei nur am Rande vermerkt.
Meine Damen und Herren, es ist keine reine Freude, einen Antrag zu vertreten, von dem man von vornherein weiß, daß er trotz seiner Güte nur geringe Erfolgsaussichten hat. Aber das soll uns nicht abhalten, unsererseits einen Beitrag zu leisten, von dem wir glauben, daß er sowohl im Verbraucher- als auch im Erzeugerinteresse liegt und insbesondere der Milchwirtschaft zugute kommt, deren Wirtschaftlichkeit nach einer kurzen Zeit der Erholung schon wieder gefährdet ist.
Aber mit der Annahme unseres Antrags allein ist es auch nicht getan. Er wird nur dann den letzten und großen Erfolg haben, wenn sich alle, die es angeht, für seine praktische Durchführung mit Überzeugung und Hingabe einsetzen.
Der Antrag ist begründet. Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Bauknecht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem Antrag, den die FDP hier eingebracht hat, steckt eine Fülle von Proble-
Bauknecht
men, und im übrigen ist zur Zeit ein neues Milchgesetz in Bearbeitung. Ich möchte daher beantragen, diesen Antrag dem Ernährungsausschuß — federführend — zu überweisen und an den Gesundheitsausschuß zur Mitberatung.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Es ist beantragt, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — Ausschuß für Gesundheitswesen — mitberatend — zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Wir kommen dann zu Punkt 6 der heutigen Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Geltungsdauer des Wirtschaftsstrafgesetzes 1954 .
Das Wort zur Begründung hat der Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Jahre 1954 wurde das noch weitgehend auf eine gelenkte Wirtschaft abgestellte Wirtschaftsstrafgesetz 1949/52 durch ein Gesetz abgelöst, das sich darauf beschränkte, für das nach dem 30. Juni 1954 fortgeltende Wirtschaftsrecht den notwendigen Strafschutz zu gewährleisten. Dieses Gesetz, das Wirtschaftsstrafgesetz 1954, hat sich in der Praxis bewährt. Es tritt jedoch am 31. Dezember 1958, also Ende dieses Jahres, außer Kraft, während die Wirtschaftsgesetze, denen es strafrechtlichen Schutz verleiht, weiterhin fortgelten. Es handelt sich hierbei insbesondere um die landwirtschaftlichen Marktordnungsgesetze, nämlich das Getreidegesetz, das Zukkergesetz, das Milch- und Fettgesetz sowie das Vieh- und Fleischgesetz. Nach Außerkrafttreten des Wirtschaftsstrafgesetzes würden diese für die Ernährungspolitik so bedeutsamen Vorschriften ohne Strafsanktion und damit in ihrer praktischen Anwendung und Durchsetzung gefährdet sein. Das gleiche würde auch für die weiteren in § 1 des Wirtschaftsstrafgesetzes genannten Rechtsvorschriften des Verkehrsrechts, nämlich das Güterkraftverkehrsgesetz und das Gesetz über den gewerblichen Binnenschiffahrtsverkehr, gelten, ebenso für die übrigen in § 1 genannten Gesetze.
§ 2 des Wirtschaftsstrafgesetzes ist für die Verfolgung und Ahndung derjenigen noch vorhandenen Preisvorschriften, auf deren Weitergeltung trotz der weitgehenden Verwirklichung der sozialen Marktwirtschaft nicht verzichtet werden kann, von Bedeutung. Ich darf nur auf die wichtige Verordnung über die Preisbildung bei öffentlichen Aufträgen und die nicht weniger bedeutsame Verordnung über die Preise bei öffentlichen Aufträgen für Bauleistungen hinweisen. Auch die Preisvorschriften des Getreidepreisgesetzes werden durch § 2 strafrechtlich geschützt.
Daß der Fortfall der Strafvorschriften für die aufgezählten wichtigen Rechtsgebiete unerträglich
wäre, liegt auf der Hand. Es muß die Möglichkeit erhalten bleiben, Zuwiderhandlungen gegen diese Gesetze zu verfolgen und zu ahnden. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß der erforderliche Strafschutz am besten durch Verlängerung der Vorschriften des Wirtschaftsstrafgesetzes 1954 gewährleistet wird. Sie hat, wie schon im Jahre 1954, bewußt nicht den Weg beschritten, auf ein selbständiges Wirtschaftsstrafgesetz zu verzichten und die einzelnen von mir genannten Gesetze mit selbständigen Straf- und Bußgeldvorschriften zu versehen. Dieser Weg wäre schon gesetzesökonomisch verfehlt. Da sich die Zahl der Gesetze, auf die das geltende Wirtschaftsstrafgesetz Anwendung findet, seit 1954 nicht wesentlich verringert hat, würden die erforderlichen Gesetzesänderungen recht umfangreich sein. In jedes dieser Gesetze müßte die Mehrzahl der Vorschriften des Wirtschaftsstrafgesetzes in gleichlautender Form eingearbeitet werden.
Die im Wirtschaftsstrafgesetz 1954 als Niederschlag jahrzehntelangen Bemühens enthaltenen Grundsätze einer einheitlichen Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen wirtschaftsrechtliche Vorschriften sollten jedenfalls so lange fortgelten, bis im Rahmen der Großen Strafrechtsreform und der damit verbundenen Überprüfung des gesamten Nebenstrafrechts der Zeitpunkt gekommen ist, die Grundlagen des Ordnungswidrigkeitenrechts und des Wirtschaftsstrafrechts neu zu durchdenken. Aus diesen Erwägungen hält es die Bundesregierung für zweckmäßig, das Gesetz um weitere vier Jahre zu verlängern.
Die Bundesregierung hält es für notwendig, auch die viel umkämpfte Strafvorschrift des § 2 a des Wirtschaftsstrafgesetzes, die sich gegen unangemessene Preisüberhöhungen richtet und die erst 1956 in das Wirtschaftsstrafgesetz wieder aufgenommen worden ist, beizubehalten. Sie werden sich erinnern, daß die Frage der Aufnahme einer solchen Vorschrift das Hohe Haus in der letzten Legislaturperiode zweimal beschäftigt hat und daß das Für und Wider einer solchen Vorschrift eingehend erörtert wurde. Während die von der Bundesregierung zunächst, im Jahre 1954, vorgeschlagene Preisüberhöhungsvorschrift nicht die Zustimmung des Hohen Hauses fand, wurde 1956 der jetzige § 2 a, der wesentliche Einschränkungen gegenüber dem früheren § 19 des Wirtschaftsstrafgesetzes von 1949/52 enthält, nach eingehenden Debatten in den Ausschüssen und im Plenum beschlossen.
Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß inzwischen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in Kraft getreten ist, hält die Bundesregierung einen Verzicht auf die Vorschrift des § 2 a gegenwärtig nicht für möglich, um in solchen Fällen mißbräuchlicher Preisbildung, denen mit dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen gegenwärtig noch nicht ausreichend begegnet werden kann, einschreiten zu können. Der neue Entwurf sieht daher die unveränderte, bis zum 31. Dezember 1962 befristete Verlängerung des Wirtschaftsstrafgesetzes vor.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dehler.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1958 2509
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Wirtschaftsstrafgesetz ist eines jener Gesetze, die sich wie eine ewige Krankheit fortschleppen. Sollen wir es ebenfalls fortschleppen? Seit dem Zusammentreten des 1. Bundestages, also seit 1949, kämpfen wir um die Beseitigung dieses Überbleibsels einer bösen Zeit, einer Zeit des zwangswirtschaftlichen Denkens, einer Zeit, in der es nicht gelungen war, die klaren Vorstellungen von der richtigen Wirtschaftsordnung, ich möchte sagen, auch der richtigen Rechtsordnung durchzusetzen. Für mich ist „Wirtschaftsstrafrecht" ein Widerspruch in sich. Es ist ein Fremdkörper in unserer Rechts- und Wirtschaftsordnung. Es beruht auf der Meinung, man könne durch staatlichen Zwang — am Ende durch den Staatsanwalt — richtiges wirtschaftliches Verhalten und Handeln erzwingen. Es ist mit dem System unserer Wirtschaftsordnung ebenso unvereinbar wie etwa das Wirtschaftssicherheitsgesetz, das Sie beschlossen haben, das die Bundesregierung ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrats die Zwangswirtschaft wieder einzuführen. Wenn man wenigstens den Mut hätte, das Gesetz richtig zu bezeichnen, als Bewirtschaftungsstrafgesetz, dann könnte man vielleicht noch darüber reden.Ich bin nicht der Meinung, daß ein vernünftiger Anlaß besteht, dieses Gesetz zu verlängern. Es war von Anfang an ein Zeitgesetz. Es wurde immer wieder und würde jetzt zum fünften Male verlängert. Es ist nicht richtig, daß es durch die Novelle 1954 in seinem Charakter völlig geändert worden wäre. Es bleibt nach wie vor ein Gesetz, das unseren Bundeswirtschaftsminister eigentlich zu schärfstem Protest herausfordern müßte. Ich kann nicht anerkennen, daß es notwendig eist, dieses Gesetz deswegen aufrechtzuerhalten, weil andernfalls die Strafsanktion für bestimmte Gesetze, die Herr Staatssekretär Dr. Strauß soeben genannt hat — Getreidegesetz, Zuckergesetz, Milch- und Fettgesetz, Fleischgesetz und andere —, fehlen würde. Ich weiß nicht, warum sich die Referenten der Ministerien nicht bemühen, diese Strafdrohungen in die einzelnen Gesetze einzuarbeiten. Es ist ja nicht richtig, daß das besondere Mühe machen würde. Im Gegenteil, sämtliche Strafrechtstatbestände sind in diesen Gesetzen bereits enthalten, und soweit allgemeine Fragen in diesem Wirtschaftsstrafgesetz geregelt sind, etwa besondere Straffolgen — Einziehung von überhöhten Gewinnen und ähnliches —, ist es ohne weiteres möglich, diese Bestimmungen in das Gesetz über die Ordnungswidrigkeiten oder auch in den allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches einzufügen.Wir haben uns bisher immer nur durch gewisse schwierige Situationen zur Verlängerung dieses Gesetzes bestimmen lassen. Da war einmal die Auswirkung der Koreakrise, das andere Mal die Suezkrise, und man glaubte, man müsse der Bürokratie besondere gesetzliche Möglichkeiten an die Hand geben, damit der Verbraucher und die Wirtschaft diszipliniert würden. Ich halte das nicht für richtig. Es besteht kein Anlaß, dieses Gesetz auf vier Jahre zu verlängern, am allerwenigsten die Bestimmung des § 2a; das ist die Bestimmung, die 1956 wiederhineinkam, nachdem sich der Bundestag 1954 nach sehr eingehender Behandlung der Probleme im Rechts- und im Wirtschaftsausschuß dazu durchgerungen hatte, von einer Strafbestimmung wegen Preistreiberei — jetzt nennt man's etwas zarter: Preisüberhöhung — abzusehen. Ich bin der Meinung, gerade diese Bestimmung ist für jeden, der von den Gesetzen der Marktwirtschaft überzeugt ist, unerträglich. Das ist der Niederschlag der alten, mittelalterlichen Vorstellung vom „justum pretium", vom gerechten Preis, vom Preis, der sich nicht im Markt bildet, sondern der in irgendeiner Form von der Bürokratie festgesetzt wird, auf jeden Fall in seiner Angemessenheit von den Gerichten überprüft werden soll.Herr Staatssekretär Dr. Strauß ist der Meinung, diese Bestimmung bedürfe auch nicht der Aufhebung, obwohl inzwischen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in Kraft getreten ist. Er steht damit im Widerspruch zu dem, was Bundeswirtschaftsminister Erhard ausdrücklich vor dem Rechtsausschuß im Jahre 1954 -- durchaus zutreffend — erklärt hat. Er hat damals gesagt, der § 3 — das war die in dem damaligen Entwurf bezügliche Bestimmung — wäre gegenstandslos, und darauf könne verzichtet werden, wenn das Kartellgesetz, das Gesetz gegen die Wettbewerbsbeschränkungen, in Kraft getreten sei. Das ist ja auch zwingend, denn in dem Tatbestand des § 2 sind ausdrücklich die Gesetzesmaterien, die jetzt im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen geregelt sind, aufgeführt. Es wird erklärt: Derjenige Preis ist unangemessen — und führt dann zu strafrechtlicher Ahndung —, der infolge einer Beschränkung des Wettbewerbs oder infolge der Ausnutzung einer wirtschaftlichen Machtstellung unangemessen hoch ist. Also ob diese Voraussetzungen vorliegen, untersteht doch jetzt ausschließlich der Zuständigkeit der im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen festgelegten Behörden und Gerichte, aber nicht mehr dem Strafrichter. Ich glaube, daß hier der Standpunkt des Bundeswirtschaftsministers richtig ist, wonach schon aus diesem Grunde eine Verlängerung des § 2 a nicht mehr in Frage kommt.Die dritte Möglichkeit, einen unangemessenen Preis festzustellen, wenn die Mangellage in der Wirtschaft dazu Anlaß gibt, nun, das ist Inbegriff des unwirtschaftlichen Denkens. Wer noch glaubt, daß durch behördliche Maßnahmen eine Mangellage überwunden werden könnte, daß man durch Strafen die Auswirkungen einer Mangellage beseitigen könnte, der hat aus den Ereignissen der letzten Jahre, auch gerade aus dem, was sich in der Koreakrise gezeigt hat, nach meiner Meinung nichts gelernt. Ich sage also, das Gesetz ist nicht mehr erforderlich.Soweit wir uns auf den Standpunkt des freien Wettbewerbs stellen, gibt es gar kein Verhalten eines wirtschaftenden Menschen, das zum Konflikt mit den Wirtschaftsstrafgesetzen, es sei denn mit den Wucherbestimmungen, führen könnte; jeder Preis, der sich im Rahmen des freien Wettbewerbs bildet, ist legal. Soweit kein freier Wettbewerb besteht, ist es Sache des Kartellgesetzes und der mit der Durchführung des Gesetzes gegen Wett-
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Dr. Dehlerbewerbsbeschränkungen befaßten Behörden und Gerichte einzugreifen. Soweit unsere Gesetze, nach meiner Meinung wirtschaftswidrig, noch Preisfestsetzungen vorsehen — besonders auf dem Gebiete der Landwirtschaft —, müssen diese Bestimmungen in die Ausnahmegesetze eingefügt werden, und zwar auch aus politisch-pädagogischen Gründen, damit auch der Letzte in unserem Volke lernt, was Wirtschaft ist, und auch wieder ein Gefühl für das bekommt, was das Strafrecht will. Das Strafrecht will die großen elementaren Rechte des Menschen sichern und nicht das, was in diesem Gesetz Gegenstand des Schutzes sein soll: das Verhalten der Bürokratie.Wir vermissen vor allem, daß die Regierung einen vernünftigen Grund angibt, warum dieses Gesetz fortdauern soll, irgendeine praktische Erfahrung seit dem Jahre 1956, Grundlagen aus der Rechtsprechung, die erhärten, daß diese Ausnahmegesetze weiterhin Bestand haben sollen. Wir werden uns auch in den Ausschußberatungen nachdrücklich gegen diesen Entwurf wenden.
Das Wort hat der Abgeordnete Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich einige wenige Bemerkungen machen. Wir haben am 30. November 1956, als in der zweiten und dritten Lesung die letzte Änderung hier im Bundestag behandelt worden ist, das Gesetz in der Schlußabstimmung abgelehnt, weil wir ob der Unzulänglichkeit der Formulierung vor allem des § 2 a Bedenken hinsichtlich seiner Wirksamkeit hatten. Wir sind also dabei aus anderen Motiven zu einer Ablehnung gekommen als die FDP.
Wir sind aber der Meinung - sie ist schon 1954 hei der ersten Vorlage zur Änderung des alten Wirtschaftsstrafgesetzes begründet worden, und wenn ich mich nicht irre, hat auch Professor MüllerArmack im Ausschuß entsprechende Ausführungen gemacht—, daß gerade die Vorschriften, die Preistreibereien, sprich: Preisüberhöhungen verhindern sollen, eine wesentliche Ergänzung zu dem sind, was die Bundesregierung unter ihrer Wirtschaftspolitik, unter der Marke „Soziale Marktwirtschaft" versteht. Wir waren damals auch der Auffassung, schon aus Gründen des Wettbewerbs - denn alle die Dinge, die Herr Kollege Dehler angeführt hat, sind im Kartellgesetz leider nicht in so zwingender Weise geregelt, daß man sagen könnte, man brauche in diesem Zusammenhang nichts — müßten wir uns gemeinsam darum bemühen, solche Preisüberhöhungen, eine solche Ausnutzung wirtschaftlicher oder Marktmacht durch Anwendung des Kartellgesetzes wirksam zu verhindern und damit diese Fälle aus dem Wirtschaftsstrafgesetz herauszunehmen; nur müßten sie irgendwo ihren Niederschlag finden. Aber solange diese Dinge im Kartellgesetz das war damals noch nicht verabschiedet und so, wie es inzwischen verabschiedet ist, ist es nach unserer Überzeugung nicht ausreichend, was wir bei seiner zweiten und dritten Lesung deutlich gesagt haben — nicht wirksam geregelt sind, muß man sich über diesen Punkt, so glauben wir, weiterhin Gedanken machen. Wir behalten uns vor, im Ausschuß mit entsprechenden Vorschlägen aufzuwarten; ich will die Debatte jetzt nicht vertiefen. Entscheidend für uns ist die Erkenntnis, daß erstens das Kartellgesetz solche Voraussetzungen, wie Herr Kollege Dehler sie angenommen hat, nicht bietet, und daß zweitens auch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb — auch das ist in dem Protokoll der Sitzung vom 30. November nachzulesen — von ganz anderen Voraussetzungen ausgeht. Auch die Bestimmungen gegen den Wucher, die Sie möglicherweise noch anziehen könnten, gehen von völlig anderen Gesichtspunkten aus als die Überlegungen, die wir hier anstellen müssen. Wenn Sie uns da mithelfen, zu einer vernünftigen Lösung zu kommen, dann sind wir bereit, hier auch bestimmte Formen, die gar nicht sakrosankt sind, gelten zu lassen. Es kommt aber alles in allem darauf an, daß zutreffende Wettbewerbsvoraussetzungen auch in diesem Zusammenhang nicht zuletzt zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmungen, aber auch zugunsten des Verbrauchers geschaffen werden.
Wir werden also im Ausschuß auch von der Regierung sehr eingehende Auskunft darüber verlangen müssen, wie das Gesetz bisher gewirkt hat. Der Herr Staatssekretär sagte in diesem Zusammenhang, es habe sich bewährt. Wir wissen nur, daß nach der Verabschiedung dieses Gesetzes mit dem § 2 a in seiner gegenwärtigen Form vom Bundesrat, d. h. von den Länderregierungen, erhebliche Bedenken hinsichtlich der Anwendbarkeit dieses Paragraphen gekommen sind und daß der Bundesrat ursprünglich einen anderen Vorschlag unterbreitet hatte. Insoweit wird sich also auch die Bundesregierung bei den Ausschußberatungen auf solche Dinge einstellen müssen, damit wir ihnen wirklich noch einmal auf den Grund gehen können.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Winter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin in einer etwas unangenehmen Lage insofern, als ich mich mit den Ausführungen eines ehemaligen Justizministers, also eines Mannes, der von der Materie etwas verstehen muß, auseinanderzusetzen habe. Trotzdem kann ich es nicht vermeiden, ein paar Worte zu dem zu sagen, was er hier vorgetragen hat. Er hat die gesamte Problematik dieses Gesetzes hier angesprochen, obwohl es sich bei der Vorlage nur um die Frage der Verlängerung handelt. Er hat kritisiert, daß es sich hier nicht so sehr um ein Wirtschaftsstrafgesetz, sondern um ein Bewirtschaftungsstrafgesetz handle. Wenn Sie sich die Mühe machen, den Text dieses Gesetzes zu prüfen, dann werden Sie aus dem § 1 ersehen, daß das nicht zutrifft. Es handelt sich nach meiner Meinung etwa um den gleichen Vorgang wie bei der Auflösung einer algebraischen Gleichung. Der allen
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Dr. WinterGliedern eines Aggregats gemeinsame Faktor wird vor die Klammer gesetzt. Der § 1 des Gesetzes enthält die Strafdrohung für eine ganze Reihe von wirtschaftspolitischen Gesetzen und bedeutet insofern vielleicht sogar eine Vereinfachung, weil für alle diese Gesetze ein und dieselbe Strafbestimmung des Wirtschaftsstrafgesetzes angewendet werden kann.Die Vereinfachung hat den Schönheitsfehler, daß das für den Laien nicht sehr leicht lesbar ist, weil es sich hierbei um Verweisungen auf andere Gesetze handelt. Das liegt aber an der Technik des Gesetzes. Alle diese Gesetze — es handelt sich um Gesetze der landwirtschaftlichen Marktordnung und, soweit ich sehe, auch um Gesetze von verkehrswirtschaftlicher Bedeutung — müssen wenn sie überhaupt einen Sinn haben sollen, durch eine Strafdrohung komplettiert werden. Diese Strafdrohungen vereinheitlicht in einem Gesetz zusammenzufassen, ist nach meinem Dafürhalten der Sinn dieses Gesetzes. Schon damit hier nicht auf längst aufgehobene oder veraltete, außer Wirksamkeit getretene Strafvorschriften der einzelnen Gesetze zurückgegriffen, also eine unübersehbare Unterschiedlichkeit in der Behandlung der entsprechenden Tatbestände wiederhergestellt werden muß, muß das Gesetz verlängert werden.Die Frage, die auch von dem Kollegen Lange angeschnitten worden ist, wie es mit der Preistreibereibestimmung in diesem Gesetz ist, steht auf einem anderen Blatt. In der Vorlage, die hier zur Debatte steht, ist sie nicht angesprochen.
— Richtig, § 2 a soll mit dem ganzen Gesetz verlängert werden. Aber es wäre ja nicht das erste Mal, daß ein Ausschuß bei der Beratung einen in der Vorlage zunächst nicht angesprochenen Paragraphen in Angriff nimmt und irgend etwas daran ändert. Ich kann mir das durchaus vorstellen. Aber ich kann mir kaum vorstellen, daß es sehr fruchtbar ist, die Dinge hier in erster Lesung vor dem Plenum zu erörtern. Es wird Sache des Ausschusses sein, sich genau zu überlegen, wann und unter welchen Umständen die Preistreibereibestimmung in dem Gesetz noch Sinn hat.Es ist jedenfalls wenig sinnvoll, hier die Diskussion zu vertiefen. Über die Einzelheiten müssen wir uns im Ausschuß unterhalten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich schlage vor, den Gesetzentwurf an den Wirtschaftspolitischen Ausschuß — federführend — und an den Rechtsausschuß — mitberatend — zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften (Drucksache 530).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtit. — Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf an den Rechtsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen — mitberatend — zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Außerhalb der Tagesordnung erteile ich nunmehr gemäß § 36 der Geschäftsordnung das Wort zu einer Erklärung dem Abgeordneten Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gemäß § 36 der Geschäftsordnung gebe ich namens der sozialdemokratischen Fraktion folgende Erklärung ab.Erstens. Zu Beginn der Sitzung hatte die sozialdemokratische Fraktion beantragt, den Antrag Drucksache 561 auf die Tagesordnung zu setzen, durch den die Bundesregierung ersucht werden sollte, den Bericht über die Lage der Rentenversicherung, der nach den gesetzlichen Vorschriften bis zum 30. September 1958 zu erstatten war, am Freitag, dem 17. Oktober, dem Hause vorzutragen. Die Mehrheit des Hauses hat es abgelehnt, den Antrag heute zu behandeln.Zweitens. Inzwischen haben sich Tatbestände ergeben, die in der Parlamentsgeschichte einzigartig sind. Der Herr Bundesarbeitsminister hat heute nachmittag vor der Presse wesentliche Mitteilungen über den Bericht und die Vorschläge, die nach den Rentenversicherungsgesetzen dem Hause hätten unterbreitet werden müssen, gemacht.
Sosehr wir das Recht und die Pflicht zur rechtzeitigen und ausreichenden Information der Presse anerkennen und würdigen, so nachdrücklich müssen wir gegen das heute geübte Verfahren Verwahrung einlegen.
Die Bundesregierung hat nicht nur die Gesetzestreue verletzt, sondern sie hat durch die heute geübte Praxis gleichzeitig das Parlament mißachtet.
Drittens. Am gleichen Tage, an dem die Regierung durch die stärkste Regierungspartei eine parlamentarische Aussprache über die Fragen der Rentenanpassung verhinderte, hat sie hierüber außerhalb des Parlaments öffentliche Erklärungen abgegeben. Wir müssen feststellen, daß die Regierung offenbar nicht nur hinsichtlich des Termins, sondern auch hinsichtlich der Form der Berichterstattung nach Gutdünken und nicht nach dem Gesetz verfahrt.Viertens. Weil die Pflicht der Bundesregierung zur Berichterstattung vor dem Bundestag durch Gesetze befristet ist, handelte auch die Mehrheit des Bundestags gesetzeswidrig, indem sie durch einen einfachen Beschluß zur Geschäftsordnung die ge-
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Dr. Schellenbergsetzliche Frist verletzte. Die Frist hätte nur durchÄnderung der Gesetze verändert werden können.Fünftens. Der Herr Bundeskanzler hat in seinem Saareiben vom 9. Oktober dem Hause mitteilen lassen, daß der nach den Vorschriften der Rentenneuregelungsgesetze vorzulegende Bericht noch nicht fertiggestellt werden konnte, weil wichtige Rechnungsergebnisse noch ausstünden. Der Sprecher der CDU/CSU-Fraktion dagegen erklärte dem Hause, der Herr Bundesarbeitsminister habe der Regierung bereits im September die vollständigen Unterlagen für die Kabinettsentscheidung vorgelegt.
Es bleibt jedem Mitglied des Hauses überlassen, sich eine Meinung darüber zu bilden, welche der beiden Äußerungen aus dem Regierungslager den Tatsachen entspricht.
Das Wort zu einer Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokratischen Partei habe ich folgende Erklärung gemäß § 36 der Geschäftsordnung abzugeben.
Wir haben heute zu Beginn der Sitzung dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion nicht zugestimmt, daß der Bericht der Bundesregierung gemäß § 1273 des Rentenneuregelungsgesetzes am kommenden Freitag vorgetragen werden solle. Wir taten das auf Grund des den Fraktionen vorliegenden Schreibens der Bundesregierung vom 10. Oktober, dem wir entnahmen, daß Schwierigkeiten technischer Art die Fertigstellung und Vorlage des Berichtes innerhalb der gesetzlichen Frist verhindert hätten. Wir haben damit vorübergehend auf ein Recht des Parlaments Verzichtgeleistet.
Inzwischen ist bekanntgeworden, daß der Herr Bundesarbeitsminister wesentliche Teile des Berichts, den er dem Bundestag spätestens am 30. Sep tember hätte erstatten müssen, bei einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit bekanntgegeben hat. Wir erblicken darin eine Mißachtung des Parlaments.
Die Tatsache, daß die Öffentlichkeit heute unterrichtet worden ist, beweist, daß die Darstellung der Bundesregierung in ihrem Schreiben vorn 10. Oktober nicht in vollem Umfange zutrifft. Wenn uns das zu Beginn der Sitzung bekannt gewesen wäre, hätten wir auf den dem Bundestag gesetzlich zustehenden Rechten bestanden, d. h. sofortige Berichterstattung verlangt.
Wir verwahren uns gegen ein Verfahren der Bundesregierung, das erstens das Gesetz mißachtet, indem ohne zwingenden Grund Fristen nicht eingehalten werden, und zweitens das Parlament mißachtet, indem ein Bericht, der dem Parlament zu erstatten ist, statt dessen in einer Pressekonferenz bekanntgemacht wird.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Donnerstag, den 16. Oktober, 14 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.