Rede von
Dr.
Hans
Wilhelmi
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesetz bringt eine Neuerung auf dem handelsrechtlichen Gebiet, insbesondere auf dem aktienrechtlichen Gebiet, insofern, als es ein bisher in der Rechtslehre und Rechtsprechung umstrittenes Gebilde nunmehr gesetzlich festlegt, nämlich die Kapitalerhöhung aus eigenen Mitteln.
Schon seit Jahren ist in der Rechtslehre ein Streit darum, ob nicht auch nach dem bisherigen Gesetz eine solche Kapitalerhöhung möglich ist. Sie ist praktisch jedoch an der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes gescheitert, der auch noch in einer neueren Entscheidung, im Jahre 1957, das Prinzip der sogenannten Doppelmaßnahme vertreten hat. Er hat sich auf den Standpunkt gestellt — wieder zurückkommend auf bürgerlich-rechtliche Gesichtspunkte daß zunächst eine Ausschüttung der Rücklagen und Reserven an die Aktionäre erfolgen müsse — als die eine Maßnahme — und daß die zweite Maßnahme die Wiedereinbringung dieser Ausschüttungen in Form einer neuen Einlage sei, für die dann die Aktie gewährt werde. Diese Konstruktion ist mit Recht in der Rechtsprechung fast einhellig abgelehnt worden. Der Bundesfinanzhof hat sich in der letzten, von mir schon zitierten Entscheidung auf den Standpunkt gestellt: Mögen die Dinge handelsrechtlich und gesellschaftsrechtlich liegen, wie sie wollen, jedenfalls steuerrechtlich halten wir an dieser sogenannten Doppelmaßnahmentheorie fest.
Das ist nun das Neue an der zweiten Vorlage, die die rein steuerliche Frage behandelt. Diese rein steuerliche Streitfrage wird nunmehr vom Gesetzgeber entschieden, und zwar in dem Sinne, daß der Vorgang steuerlich irrelevant sein soll, d. h. daß die Ausgabe von Aktien an die Aktionäre auf Grund Rücklagen, die gemacht und ausgewiesen worden sind, keinerlei Veränderung in der Vermögenssituation der Aktionäre schafft.
Nun zu der handelsrechtlichen Frage! Das Gesetz packt eine Frage an, die uns in unserem deutschen Aktienrecht schon immer einige Schwierigkeiten gemacht hat. Wir haben im deutschen Aktienrecht den Grundsatz der Nennwertaktie, d. h. jede Aktie hat einen bestimmten Nennwert, 100 oder 1000 DM, der auch auf der Urkunde aufgedruckt ist, und danach wird sie gehandelt. Im Gegensatz hierzu hat beispielsweise das amerikanische Recht die Quotenaktie, d. h. es wird überhaupt kein Nennwert für die Aktie festgesetzt, sondern jeder Aktionär hat eine Quote am Gesamtvermögen. Die Schwierigkeit in unserem deutschen Aktienrecht besteht darin, daß, obwohl wir die Nennwertaktie haben, auf der also ein bestimmter Betrag genannt 'ist, den die Aktie theoretisch repräsentieren soll, diese Aktie trotzdem eine Beteiligung, eine Quote am Gesamtvermögen darstellt. Um über diese theoretische Schwierigkeit hinwegzukommen, gibt dieses Gesetz den ersten Ansatzpunkt. Es gehört deshalb auch mit zu der Aktienrechtsreform, an der wir ja wahrscheinlich noch in dieser Legislaturperiode arbeiten werden.
Es ist zu begrüßen, daß dieses Gesetz auf handelsrechtlichem Gebiet eine größere Beweglichkeit schafft, eine Beweglichkeit in dem Sinne, daß die Gesellschaften, die, wie der Herr Finanzminister Ihnen vorgetragen hat, weitestgehend unterkapitalisiert sind, nunmehr sogenannte freie Rücklagen, d. h. Rücklagen, die nicht für bestimmte Zwecke festgelegt sind, und Rücklagen, die bereits ver-
Dr. Wilhelmi
steuert sind, in haftendes Grundkapital überführen können.
Das hat die weitere Bedeutung, daß die Gesellschaften einer schärferen Kontrolle unterliegen; denn das gebundene Kapital, das Grundkapital, ist sehr viel schwerer angreifbar, und es fällt viel mehr auf, daß rückläufige Bewegungen in einer Gesellschaft vorliegen, wenn sie ein normales Kapital hat, als wenn sie unterkapitalisiert ist. Hierin sollten wir alle einen großen Vorteil des Gesetzes sehen. Denn die Hauptgefahr bei den Aktiengesellschaften ist stets die, daß durch die Rücklagen und noch stärker durch Rückstellungen und stille Reserven eine Situation geschaffen wird, die es der Verwaltung erlaubt, ungünstige Jahre und Verlustjahre in einer Weise zu überbrücken, daß der Aktionär überhaupt nichts merkt. Infolgedessen muß man auch diese Bestimmung über die Kapitalerhöhung aus eigenen Mitteln durchaus so auffassen, daß dadurch die Gesellschaften festgelegt werden, daß das haftende Kapital verstärkt und für den Aktionär und die gesamte Wirtschaft, nämlich die Gläubiger und alles, was damit zusammenhängt, größere Sicherheit geschaffen wird.
Man darf dies keineswegs nur unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses zwischen Gesellschaft und Aktionär sehen. Hier liegt vielmehr ein eminentes allgemeinwirtschaftliches Interesse vor: Stärkung des Grundkapitals, des haftenden Kapitals, und Verkleinerung des freien Kapitals, der freien Rücklage, mit der die Gesellschaftsleitung jedenfalls sehr viel leichter manipulieren kann als mit dem festgelegten Kapital.
Es kann auch keine Rede davon sein, daß, wie es im Pressedienst der Sozialdemokratischen Partei heißt, ein Geschenk gemacht werden soll. Den Aktionären wird schon deshalb kein Geschenk gemacht, weil sie im Grunde die Beteiligung am Gesamtvermögen schon haben. Das ist einer der wesentlichen Grundsätze der Aktie im Gegensatz zu einer Obligation. Die Aktionäre behalten genau die Beteiligung, die sie vorher hatten. Ob sie nun eine Aktie, die einen Kurs von 300 hatte, besaßen oder ob sie drei Aktien haben werden, die einen Kurs von 100 aufweisen, beides ergibt die gleiche Beteiligung.
Ebensowenig wie der Aktionär erhält die Gesellschaft ein Geschenk. Im Gegenteil, eine große Zahl von Gesellschaften werden sich nicht entschließen können — das ist schon durchgesickert —, von diesem Gesetz Gebrauch zu machen, weil ihre Verwaltungen Wert darauf legen, die Manipulationsfreiheit mit den freien Rücklagen zu behalten, und sich daher scheuen, das neue Gesetz anzuwenden. Es wird also weder der Gesellschaft noch den Gesellschaftern ein Geschenk gemacht.
Was geschieht, ist nur folgendes. Die starke Unterkapitalisierung, die zur Zeit vorhanden ist, wird beseitigt, und zugleich damit tritt eine Ordnung des Kapitalmarkts ein. Insofern ist das Gesetz, wie der Herr Minister der Finanzen soeben ausgeführt hat, auch für die Gesamtkonstruktion, für die Ordnung des Kapitalmarkts im weiteren Sinne wichtig, nämlich in dem Sinne, daß wir wieder Gesellschaften bekommen, bei denen das Grundkapital und die freien Rücklagen in einem vernünftigen und verständigen Verhältnis zueinander stehen.
Daß dabei auch noch die Möglichkeit besteht, Aktien herauszugeben, die billiger zu erwerben sind und die infolgedessen einen niedrigeren Kurs haben, ist eine Nebenerscheinung, die wohl nicht in erster Linie ins Gewicht fällt.
Der zweite Teil des Gesetzentwurfs befaßt sich mit den sehr schwierigen Gliederungsvorschrif ten für die Gewinn- und Verlustrechnung. Aber ich will Sie damit nicht langweilen. Das sind Fragen, die ausgesprochen in das Gebiet von Spezialisten fallen. Mit der Tendenz dieses Gesetzes — sich damit zu befassen, ist der Sinn einer Aussprache in erster Lesung — können wir, glaube ich, alle einverstanden sein. Die Tendenz geht dahin, die Publizität zu verstärken. Weiter handelt es sich darum — darüber werden wir uns in den Ausschüssen unterhalten müssen —, daß nunmehr die Umsatzzahlen angegeben werden sollen. Das, was schon lange und immer wieder verlangt worden ist, eine stärkere Publizität der Aktiengesellschaften, soll also jetzt eingeführt werden. Wo da die Grenze gezogen werden soll, darüber werden wir uns im einzelnen in den Ausschüssen zu unterhalten haben. Der allgemeinen Tendenz sollte aber- das ganze Haus zustimmen.
Die CDU/CSU begrüßt dieses Gesetz und wird sich in den Beratungen der Ausschüsse um seine Ausarbeitung bemühen.